§. [153] 108.

Es ist also kein Weg weiter möglich, auf welchem man die eigenthümlichen Wirkungen der Arzneien auf das Befinden des Menschen untrüglich erfahren könnte – es giebt keine einzige sichere, keine natürlichere Veranstaltung zu dieser Absicht, als daß man die einzelnen Arzneien versuchsweise gesunden Menschen in mäßiger Menge eingibt, um zu erfahren, welche Veränderungen, Symptome und Zeichen ihrer Einwirkung jede besonders im Befinden Leibes und der Seele hervorbringe, das ist, welche Krankheits-Elemente sie zu erregen fähig und geneigt sei92, da, wie (§. 24–27.)[153] gezeigt worden, alle Heilkraft der Arzneien einzig in dieser ihrer Menschenbefindens-Veränderungskraft liegt, und aus Beobachtung der letztern hervorleuchtet.


92

Nicht ein einziger Arzt, meines Wissens, kam in einer drittehalbtausendjährigen Vorzeit auf diese so natürliche, so unumgänglich nothwendige, einzig ächte Prüfung der Arzneien in ihren reinen, eigenthümlichen, das Befinden der Menschen umstimmenden Wirkungen, um so zu erfahren, welche Krankheitszustände jede Arznei zu heilen vermöge, als der große, unsterbliche Albrecht von Haller. Bloß dieser, obgleich nicht praktischer Arzt, sah vor mir, die Nothwendigkeit hievon ein (siehe Vorrede zur Pharmacopoea Helvet. Basil. 1771. fol. S. 12.): »Nempe primum in corpore sano medela tentanda est, sine peregrina ulla miscela; odoreque et sapore ejus exploratis, exigua illius dosis ingerenda et ad omnes, quae inde contingunt, affectiones, quis pulsus, qui calor, quae respiratio, quaenam excretiones, attendendum. Inde ad ductum phaenomenorum, in sano obviorum, transeas ad experimenta in corpore aegroto etc.« Aber Niemand, kein einziger Arzt achtete oder befolgte diese seine unschätzbaren Winke.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 153-154.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Organon der Heilkunst (6. Auflage)
Organon der Heilkunst
Organon der Heilkunst & CD-ROM: Neufassung mit Systematik und Glossar von Josef M. Schmidt
Organon der Heilkunst - Aude sapere. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, herausgegeben und mit einem Vorwort von Richard Haehl.
Organon der Heilkunst.' Aude Sapere'
Organon der Heilkunst