§. [240] 267.

Der Kräfte der einheimischen und frisch zu bekommenden Pflanzen, bemächtigt man sich am vollständigsten und gewißesten, wenn ihr ganz frisch ausgepreßter Saft unverzüglich mit gleichen Theilen Schwamm-zündenden Weingeistes wohl gemischt wird. Von dem nach Tag und Nacht in verstopften Gläsern abgesetzten Faser und Eiweiß-Stoffe wird dann das Helle abgegossen, zum Verwahren für den arzneilichen Gebrauch151. Von dem zugemischten Weingeiste wird alle Gährung des Pflanzensaftes augenblicklich gehemmt und auch für die Folge unmöglich gemacht und die ganze Arzneikraft des Pflanzensaftes erhält sich so (vollständig und unverdorben) auf immer, in wohl verstopfen,[240] an der Mündung mit geschmolzenem Wachse gegen alle Verdünstung des Inhaltes wohl verdichteten und vor dem Sonnenlichte verwahrten Gläsern152.


151

Buchholz (Taschenb. f. Scheidek. u. Apoth. a.d.J. 1815. Weimar, Abth. I. VI.) versichert seine Leser (und sein Recensent in der Leipziger Literaturzeitung 1816. N. 82. widerspricht nicht): diese vorzügliche Arzneibereitung habe man dem Feldzuge in Rußland (1812) zu danken, von woher sie (1813) nach Deutschland gekommen sey. Daß diese Entdeckung und diese Vorschrift, die er mit meinen eignen Worten aus der ersten Ausgabe des Organon's der rat. Heilkunde (§. 230. und Anmerk.) anführt, von mir herrühre und daß ich sie in diesem Buche schon zwei Jahre vor dem russischen Feldzuge (1810 erschien das Organon) zuerst der Welt mittheilte, das verschweigt er, nach der edeln Sitte vieler Deutschen, gegen das Verdienst ihrer Landsleute ungerecht zu seyn. Aus Asiens Wildnissen her erdichtet man lieber den Ursprung einer Erfindung, deren Ehre einem Deutschen gebührt. Welche Zeiten! Welche Sitten!

Man hat wohl ehedem auch zuweilen Weingeist zu Pflanzensäften gemischt, z.B. um sie zur Extractbereitung einige Zeit aufheben zu können, aber nie in der Absicht, sie in dieser Gestalt einzugeben.

152

Obwohl gleiche Theile Weingeist und frisch ausgepreßter Saft, gewöhnlich das angemessenste Verhältniß bilden, um die Absetzung des Faser- und Eiweiß-Stoffes zu bewirken, so hat man doch für Pflanzen, welche viel zähen Schleim (z.B. Beinwellwurzel, Freisam-Veilchen u.s.w.) oder ein Uebermaß an Eiweiß-Stoff enthalten (z.B. Hundsdill-Gleiß, Schwarz-Nachtschatten u.s.w.), gemeiniglich ein doppeltes Verhältniß an Weingeist zu dieser Absicht nöthig. Die sehr saftlosen, wie Oleander, Buchs und Eibenbaum, Porst, Sadebaum u.s.w., müssen zuerst für sich zu einer feuchten, feinen Masse gestoßen, dann aber mit einer doppelten Menge Weingeist zusammengerührt werden, damit sich mit letzterm der Saft vereinige, und so ausgezogen, durchgepreßt werden könne; man kann letztere aber auch getrocknet, (wenn man gehörige Kraft beim Reiben in der Reibeschale anwendet) zur millionfachen Pulver-Verreibung mit Milchzucker bringen, und dann nach Auflösung eines Grans davon, die fernern flüssigen Dynamisationen verfertigen (s. §. 271.).

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 240-241.
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