§. [252] 274.

Da der wahre Heilkünstler bei ganz einfachen, einzeln und unvermischt angewendeten Arzneien schon findet, was er nur irgend wünschen kann, (künstliche Krankheitspotenzen, welche die natürlichen Krankheiten durch homöopathische Kraft vollständig zu überstimmen, sie für das Gefühl des Lebensprincips auszulöschen und dauerhaft zu heilen vermögen,) so wird es ihm nach dem Weisheitsspruche: »daß es unrecht sei durch Vielfaches bewirken zu wollen, was durch Einfaches möglich,« nie einfallen, je mehr als einen einfachen Arzneistoff[252] als Heilmittel auf einmal einzugeben, schon deßhalb nicht, weil, gesetzt auch, die einfachen Arzneien wären auf ihre reinen, eigenthümlichen Wirkungen, im ungetrübten, gesunden Zustande des Menschen völlig ausgeprüft, es doch unmöglich vorauszusehen ist, wie zwei und mehrere Arznei-Stoffe in der Zusammensetzung einander in ihren Wirkungen auf den menschlichen Körper hindern und abändern könnten und weil dagegen ein einfacher Arzneistoff bei seinem Gebrauche in Krankheiten, deren Symptomen-Inbegriff genau bekannt ist, schon vollständig und allein hilft, wenn er homöopathisch gewählt war, und selbst in dem schlimmsten Falle, wo er der Symptomen-Aehnlichkeit nicht ganz angemessen gewählt werden konnte, und also nicht hilft, doch dadurch nützt, daß er die Heilmittel-Kenntniß befördert, indem durch die in solchem Falle von ihm erregten neuen Beschwerden diejenigen Symptome bestätigt werden, welche dieser Arzneistoff sonst schon in Versuchen am gesunden menschlichen Körper gezeigt hatte; ein Vortheil, der beim Gebrauche aller zusammengesetzten Mittel wegfällt168.


168

Bei der treffend homöopathisch für den wohl überdachten Krankheitsfall gewählten und innerlich gegebenen Arznei, nun vollends noch einen, aus andern Arzneistoffen gewählten Thee trinken, ein Kräutersäckchen oder eine Bähung aus mancherlei andern Kräutern auflegen, oder ein andersartiges Klystier einspritzen und diese oder jene Salbe einreiben zu lassen, wird der vernünftige Arzt dem unvernünftigen allöopathischen Schlendrian überlassen.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 252-253.
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