XXXII. Die Jahre 1843 und 1844.

[341] Große Erregung verursachten Anfang des Jahres 1843 die Wiener Briefe von Dingelstedt in der ›Allgemeinen Zeitung‹, alle fühlten sich durch sie beleidigt, und sogar die Sonntagsblätter Frankls traten gegen Dingelstedt auf. Der Ruf, der ihm durch seine freisinnigen Gedichte vorausgegangen war, und sein einnehmendes Äußeres sicherten[341] ihm den besten Empfang in der Gesellschaft, die von Journalisten wenig oder keine Notiz nahm. Ich sah ihn bei mir und auch bei Pereira, Walter und meiner Schwägerin Henriette. In diesem Winter fanden sich auf dem Ball der Orientalischen Akademie drei türkische Botschafter zusammen, Nafii, das ist der Nützliche, der nun Botschafter in Wien, Nuri, das ist der Lichtvollender, der von seiner Botschaft in London zurückkam, und Reschid, das ist der Gerade, der von Paris nach Konstantinopel zurückging. Reschid fuhr in der Hoffnung nach Konstantinopel, die erste Stelle des Reiches, die des Großveziers, zu bekommen, er erhielt sie nicht gleich.

Anfang März vertraute mir Endlicher die Unterredung mit dem Fürsten Metternich an, die er, als dieser den Orden Pour le mérite erhielt, gehabt hatte. Er hatte die verlangte Ausarbeitung über die Akademie gemacht, und Metternich hatte ihm sogar den Entwurf eines Handbilletts vorgelesen, das die Gründung der Akademie beschloß. Seitdem waren sieben Monate verflossen und Endlicher war nie mehr zum Fürsten berufen worden. Endlicher hielt sich für genarrt und dadurch des Schweigens für entbunden. Ich machte ihm Vorwürfe darüber, daß er mich nicht früher davon in Kenntnis gesetzt hatte, wie ich es getan, und ihm jede Unterredung, die ich mit dem Erzherzog, Metternich oder Kolowrat über die Akademie gehabt, mitgeteilt hatte. Bei der nächsten Audienz fragte ich den Erzherzog Ludwig, was aus dem Handbillett geworden sei, dessen Entwurf Metternich Endlicher gezeigt hatte. Der Erzherzog erklärte, er wisse nichts davon, es sei ihm nie vorgelegt worden. Ich knüpfte den Vorschlag an, die Akademie solle am nächsten, dem fünfzigsten Geburtstage des Kaisers ins Leben gerufen werden. ›Das ist kein erfreuliches Ereignis, wenn man 50 Jahre zählt‹, sagte der Erzherzog.

Nachdem meine Forschungen über Khlesls Lebensgeschichte im Hausarchiv beendet waren, ging ich bei der Regierung die Akten des Klosterrates durch, viele der mir wichtigsten, wie zum Beispiel die des Stiftes Himmelpfort und der dort gehaltenen Visitationen, waren abhanden gekommen, doch war der Fund an Khleslschen Schreiben noch[342] immer sehr bedeutend. Ich ließ auch im Archiv des Reichshofrates nachsehen, aber ohne Erfolg. Der Aufenthalt in Hainfeld war in diesem Jahre ein sehr bewegter. Das Bad Gleichenberg war besuchter als gewöhnlich, unser Verkehr mit dem Hause Wickenburg häufiger und Hainfeld hatte mehr Gäste als sonst. Die Versammlung der Naturforscher in Graz erforderte meine längere Anwesenheit dort, und schon lange hätte ich gern einen Ausflug nach Pöllau und Vorau gemacht, um auch in diesen Archiven nach Khleslschen Akten zu forschen.

Am 17. September ließ ich mich in Graz in die Liste der Naturforscher eintragen, am folgenden Tage begannen die wissenschaftlichen Versammlungen, aber schon an diesem Abend versammelten sich in dem Redoutensaal die Einheimischen und Fremden, um sich gegenseitig kennenzulernen. Ich fand dort zu meiner Freude meinen Freund Ritter, den Geographen.

Wie im Jahre 1832 bei der Versammlung der Naturforscher in Wien hatte ich mich in die Sektion der Geographen eintragen lassen. Die Frühstunden vor der Eröffnung der Sitzungen brachte ich immer im Archiv des Guberniums mit dem Lesen der Akten Erzherzog Ferdinands aus der Zeit Khlesls zu, besonders jener, die sich auf die venetianischen Friedensverhandlungen bezogen. Am 21. abends fand der große Ball beim Grafen Wickenburg statt. Ich glaube nicht, daß den Naturforschern in irgendeiner deutschen Stadt ein glänzenderer gegeben wurde. Ich verließ das Fest um Mitternacht und schickte einen Eilboten an Karoline mit der Nachricht, daß ich auf der Rückkehr von dem Ausfluge nach Gleichenberg mit einer Partie von Naturforschern nach Hainfeld kommen würde. Am folgenden Tag hielt ich in der Geographischen Sektion meinen Vortrag über Graz oder Grätz, der allgemeinen Beifall fand. Man drang in mich, ihn auch in der allgemeinen Sitzung zu halten. So hielt ich am folgenden Tage vor einer sehr großen Versammlung einen Vortrag, dieses einzige Mal in meinem Leben genoß ich einen allgemeinen, lärmenden Beifall einer großen Menge von Zuhörern. Als ich von der Tribüne stieg, kamen mir die drei ersten Größen des Landes,[343] der Gouverneur, der Landeshauptmann und der Bürgermeister von Graz, entgegen, um mir dafür zu danken, daß ich endlich gegen den lange geduldeten Mißbrauch aufgetreten sei. Der Landeshauptmann bedauerte, daß die für die Naturforscher geprägte Erinnerungsmedaille noch auf Graetz lautete, und der Gouverneur versprach, daß vom nächsten Tage an die amtliche Zeitung mit dem Druckort Graz herausgegeben werden solle. Dabei ist es auch geblieben und blieb auch nach der Revolution unter Schreiner, dem größten Gegner der richtigen Aussprache, dabei, weil es die allgemeine Aussprache des Volkes. Am nächsten Tage speisten 16 Naturforscher, die von Gleichenberg kamen, bei mir in Hainfeld.

Bei meiner Rückkehr nach Wien hörte ich aus guter Quelle, daß Metternich und Kolowrat sich ausgesöhnt hatten, um mit Unterstützung Kübecks den Erzherzogen Ludwig, Franz Karl und dem Palatin um so fester entgegenzutreten. Als ich Graf Kolowrat das Werk Dr. Wildes über Österreich übergab, sagte er mir, er denke wie Fürst Metternich: Ein Staatsmann müsse über Lob und Tadel seiner Zeit erhaben sein. Ich antwortete: ›Ja, über das Lob und den Tadel der Zeitungsschreiber, nicht über das Urteil der Geschichte. So zum Beispiel gehört die Tatsache, daß unsere Bittschrift um die Gründung einer Akademie der Wissenschaften nun schon sieben Jahre unerledigt beim Fürsten Metternich liegt, der Geschichte an, die dafür weder ihn, noch jene, die es geschehen ließen, loben wird.‹

Mir blieb also nichts übrig, als mit regem Eifer die Quellenforschung zu Khlesls Lebensgeschichte fortzusetzen. Aus den Archiven der österreichischen Stände und der Hofkanzlei erhielt ich reichste Ausbaute. Bei den Ständen las ich in dem Zimmer, in welchem der Verordnete und spätere Landmarschall Graf Montecuccoli arbeitete, und machte bei dieser Gelegenheit seine Bekanntschaft. Der Syndikus Nehammer und der Archivdirektor der Hofkanzlei Disberger gingen mir mit regem Eifer an die Hand. In Ottenstein und Zwettl und ihren für die Geschichte Österreichs so reichen Archiven forschte ich auch nach.[344]

Meine arme Frau wurde im Jahre 1844 immer kränker, im letzten Sommer hatte sie eine Kur in Karlsbad gemacht, die ihr aber keine Heilung ihres Leidens brachte, die behandelnden Ärzte behaupteten immer wieder, das Übel sei kein organisches des Herzens, sondern sitze in der Leber. Bei einem Konsilium, das ich einberief, sprach sich ein Teil der Ärzte für ein Herzleiden, der andere für eines der Leber aus.

Die Versöhnung Graf Kolowrats mit Fürst Metternich war nur von kurzer Dauer, bald sahen sie sich gar nicht mehr. Graf Kolowrat, den ich wieder an die Akademie erinnerte, antwortete mir, er könne davon dem Fürsten unmöglich sprechen, weil er ihn gar nicht sehe und nur schriftlich mit ihm verkehre. Dies war buchstäblich wahr, ich habe überhaupt den Grafen Kolowrat gegen mich nicht ein einziges Mal unwahr gefunden, er entzog sich sogar den Konferenzen, was ihm besonders Erzherzog Johann sehr verübelte. In der Tat ist ein Minister, der nicht Mut genug hat, mit seiner Person einzustehen und seine Meinung auch mündlich zu verfechten, nicht dieser verantwortungsvollen Stelle würdig.

Obwohl ich bereits an der Lebensbeschreibung Khlesls arbeitete, setzte ich doch meine Forschungen nach Beiträgen noch fort. Trotzdem ich das Archiv des Magistrats durchsehen ließ, war es mir noch nicht gelungen, das Haus zu bestimmen, das Khlesls Vater besessen hatte und das beim ›Blauen Esel‹ oder ›Beim Esel in der Wiege‹ hieß. Durch Vergleichung der Register der alten und neuen Hausnummern konnte ich es endlich feststellen und fand zu meiner Überraschung, daß der ›Blaue Esel‹ die Hälfte des Hauses war, das heute beim ›Eisernen Mann‹ heißt und unmittelbar an das Heniksteinsche Haus, in dem ich wohne, anstößt. Ich war also nur durch eine Mauer von dem Orte getrennt, an dem Khlesl seine Kindheit und erste Jugend verbrachte.

Karoline war immer bedacht, mich an meinem Namens- oder Geburtstag mit einem sinnigen Geschenk zu überraschen. Diesmal hatte sie dem Erzieher meines Sohnes den Auftrag gegeben, eine Kopie des Portraits von Khlesl zu beschaffen, das sich bei einem Domherrn von St. Stephan befand. Der Erzieher verfehlte das beste Portrait Khlesls, das[345] sich in der Wohnung des Dompropstes befand, und fand ein anderes aus des Kardinals früheren Jahren auf, auf dem er in der Tracht eines Bischofs gemalt ist. Ich kannte nur jenes im Besitz des Dompropstes, und so machte mir diese Überraschung noch viel größere Freude, als Karoline erwartet hatte. Um die Stelle des ersten Kustos bei der Hofbibliothek, Mosels, der auch gestorben war, bewarben sich drei Dichter, nämlich Grillparzer, Baron Münch und Deinhardstein. Grillparzer machte von seinem Wunsche kein Geheimnis, war aber zu stolz, sich um die Stelle zu melden und einzukommen, was ihm Graf Kolowrat, in dessen Bereich die Vergebung lag, sehr übel nahm, Deinhardstein war Regierungsrat und Zensor und von seinem Chef, dem Grafen Sedlnitzky, nur deshalb empfohlen, weil er ihn gerne los haben wollte. Baron Münch fand eine Stütze an Fürst Metternich durch seinen Onkel, den Bundestagsgesandten. Dieser ließ den Grafen Dietrichstein hoffen, daß dessen Sohn den Ministerposten in London bekommen würde, wenn sein Neffe die Kustosstelle bekäme. Der Wunsch beider wurde ohne Rücksicht auf die Befähigung erfüllt.

Es wäre rein vergeblich gewesen, beim Fürsten Metternich noch weitere Schritte wegen der Akademie zu machen, aber beim Grafen Kolowrat und beim Erzherzog Ludwig ließ ich die Sache nicht fallen. Dem Erzherzog sprach ich bei einer Sonntagsaudienz nicht nur von dieser, sondern auch von der Bibliothek und dem Archiv, wo die Stellen des ersten Kustos und des Direktors erledigt waren. Die des Kustos zu wünschen, konnte mir gar nicht einfallen, schon vor dreißig Jahren hatte ich mich dafür bedankt. Die Archivdirektion hätte ich angenommen, wenn sie mir verliehen worden wäre, aber Fürst Metternich dachte gar nicht daran, mir diese Genugtuung für meine Entlassung als Hofdolmetsch zu geben, er hatte für diese Stelle Klemens Hügel im Auge. Eine sonderbare Geschichte hatte mir der Direktor der Hofkanzlei, Disberger, der meine archivalischen Forschungen mit freundschaftlichster Bereitwilligkeit förderte, erzählt. Vor geraumer Zeit hatten sich im Keller der Hofkanzlei in einer Kiste die Akten der Wallensteinschen Hauskanzlei gefunden. Sechs Monate lang hatte ein Beamter des[346] Archivs das Wesentliche ihres Inhaltes ausgezogen und dieser Auszug war von einem Vortrag begleitet an den Kaiser gegangen mit der Anfrage, was mit den Akten geschehen solle. Bis jetzt war auf diesen Vortrag keine Kaiserliche Entschließung erfolgt. Der Erzherzog Rainer war von dem Funde benachrichtigt worden und hatte sich bei seinem letzten Aufenthalte in Wien vergeblich danach erkundigt, wahrscheinlich war der Vortrag in Metternichs Hände gekommen, der ihn einsperrte.

Am 1. Mai wurde Karoline von einem schrecklichen Herzkrampf befallen, so daß wir schon das Ende befürchteten. Von nun an verzweifelte ich an ihrer Rettung und betete nur mehr um Abkürzung der Leiden und baldige Erlösung. In den nächsten vierzehn Tagen flackerte die verlöschende Flamme noch manchmal auf und gab falsche Hoffnung. Noch immer behauptete der Arzt, das Übel liege in der Leber. Ich mußte mich jeden Morgen dazu zwingen, an der Lebensgeschichte Khlesls zu arbeiten, am Mittag ging ich in die Hofkanzlei und betäubte meinen Schmerz durch mechanisches Ordnen und Abschreiben der Stücke.

Ich hatte eine Audienz in Schönbrunn bei der Erzherzogin Sophie, der ich jährlich ein- bis zweimal aufwartete, um ihr Interesse für die Akademie nicht erkalten zu lassen. Sie fand meine Klagen über des Erzherzogs Ludwig Nichtstun nur zu begründet und erzählte mir die unglaubliche Tatsache, daß jetzt, neun Jahre nach des Kaisers Tod, die Erbschaft der kaiserlichen Familie noch nicht in Ordnung gebracht sei. Ich benützte diese Gelegenheit und sprach mich offen gegen Jesuiten und Liguorianer aus, als deren Gönnerin Erzherzogin Sophie ganz mit Unrecht verschrien war. Die Erzherzogin erkundigte sich angelegentlich nach dem Befinden Karolinens.

Am nächsten Tag konnte ich beim Anblick der Kranken meine Tränen ebensowenig zurückhalten wie Eveline, der die Mutter als besonderes Andenken ihre Uhr schenkte. Am folgenden Tage, dem 14. Mai, war die Kranke sehr schwach und am 15. Mai weckte mich mein Sohn Max um ein Uhr nachts, ich hörte Karoline klagen und schreien in herzzerreißenden Tönen. Der Arzt erklärte, das Wasser sei[347] ihr in die Brust getreten. Sie schrie und betete die ganze Nacht. Gegen Morgen kamen die Schwägerinnen und einige alte, treue Freunde, von denen sie rührenden Abschied nahm, in vollem Besitze ihrer geistigen Kräfte. Gegen neun Uhr ging ich in die Bibliothek, um eine halbe Stunde zu ruhen, um zehn Uhr weckte man mich mit der Nachricht, daß alles vorüber sei. Das Testament wurde geöffnet, ich war froh, daß mir die Selige von ihrem väterlichen Vermögen nicht mehr als den Kindern, von dem Vermögen, welches wir während der fünfundzwanzig Jahre unserer Ehe gemeinsam erworben, die Hälfte den Kindern vermacht hatte. Am folgenden Tage fand die Eröffnung statt, das Herz wurde normal groß gefunden, die Leber war gesund. Am 17. Mai fand das Begräbnis statt.

Es wäre mir unmöglich gewesen, in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Tode Karolinens an der Lebensbeschreibung Khlesls weiterzuschreiben, aber ich ging täglich in das Archiv der Hofkanzlei, um die sich darauf beziehenden Schriften zu sichten und für die Abschreiber vorzubereiten.

Für den Herbst war eine Reise nach Mailand zur Versammlung der Naturforscher festgesetzt, vor ihr vollendete ich noch die Handschrift der Lebensbeschreibung Khlesls.

Eine mir angenehme Beschäftigung war die letzte Korrektur des letzten Bogens der ›Zeitwarte des Gebetes in sieben Tageszeiten‹, Gebete, die ich seit langem aus arabischen Gebetbüchern gesammelt und geordnet hatte. Das Buch wurde während der Todeskrankheit meiner Frau gedruckt und ist dem ›Andenken meiner seligen, innigst geliebten Gattin‹ geweiht, vollendet am 22. Julius 1844, dem achtundvierzigsten Geburtstage Karolinens. Die in sieben Tageszeiten nach den sieben Kategorien des Gebetes eingeteilten Gebete sind allgemein religiösen Inhaltes ohne allen positiven Islam oder Mohammeds Prophetentum. Sie sind geeignet, von Bekennern aller Religionen gebetet zu werden.

Ich beantwortete Professor Fleischers Einladungsschreiben zur Versammlung der Orientalisten, welche diesen Herbst zur Gründung der deutschen morgenländischen Gesellschaft[348] zugleich mit der Versammlung der Naturforscher stattfinden sollte, und dankte ihm für die Ehre des mir zugedachten Vorsitzes. Ich schrieb, darauf könne ich nur als der Älteste, der Scheich deutscher Orientalisten, Anspruch machen. Von der Teilnahme an der Versammlung entschuldigte ich mich damit, daß ich schon zur Versammlung der Naturforscher in Mailand zugesagt habe, sandte aber meine ›Zeitwarte des Gebetes‹ ein, welches das erste der Gesellschaft dargebrachte Werk war.

Kopitar starb, der nur kurz den Hofratscharakter als Kustos der Hofbibliothek und den preußischen Pour le mérite genossen hatte. Für ihn wurde Freiherr von Münch, der unter dem Namen Halm bekannte Dichter, ernannt, der, ausschließlich Poet, diese Ernennung nur dem Einflusse seines Oheims, des Grafen Münch, beim Fürsten Metternich verdankte. Der durch Kopitars Tod erledigte Pour le mérite wurde Endlicher verliehen, der ihn entweder aus Überzeugung, daß ein anderer größere Ansprüche darauf hatte als er, oder aus Geringschätzung auch nicht ein einziges Mal getragen hat. Gegen die Verleihung selbst an diesen ausgezeichneten Gelehrten war gewiß nichts einzuwenden.

Am 16. August trat ich mit meinem Sohne Max die Reise nach Mailand über Graz an. Von Venedig reisten wir über Padua und Verona nach Mailand. Von Verona aus machte ich einen Abstecher nach Castel Gofredo und besuchte dort meinen alten Freund Acerbi, den Reisenden in Lappland und in Ägypten, den früheren Herausgeber der ›Bibliotheca Italiana‹ und letzten Generalkonsul in Ägypten.

Ich hatte mich auf früheren Reisen nie in Brescia aufgehalten, jetzt wollte ich wenigstens die Statue der Siegesgöttin sehen und zwei Freunde besuchen. Der eine war der Advokat Saleri, der Präsident des Atheneo, der mir das Mitgliedsdiplom dieser Gesellschaft gesandt, ein wissenschaftlich gebildeter Ehrenmann, der sich auch durch die Fürsorge für verwahrloste Kinder und andere wohltätige Anstalten, dann durch die Herausgabe der Altertümer seiner Vaterstadt namhafte Verdienste erworben hatte. In seiner Begleitung sah ich die berühmte Siegesgöttin, eine der schönsten Statuen des Altertums, die aus dem Schutte ihres[349] Tempels unversehrt ausgegraben worden war. Der zweite Freund war der Delegato Herr von Breindl, dessen erste Gattin eine Base meiner seligen Frau. Den Morgen und Vormittag sahen wir, von Saleri geführt, die Altertümer und Merkwürdigkeiten Brescias, den Nachmittag und Abend brachten wir mit Breindls zu.

In Mailand ließ ich mich sogleich im Palaste Brera zur Versammlung der Naturforscher in der Sektion der Geographen einschreiben, der Sekretär war Caesare Cantú, der Bruder Ignazio Cantús, mit dem ich in brieflichen Verkehr stand. Die Versammlung der Naturforscher hatte für mich nur untergeordnetes Interesse, vor allem wollte ich meinen Sohn Max die Merkwürdigkeiten der Stadt zeigen und ihn auf die Borromäischen Inseln begleiten.

Am 12. September war die Enthüllung der Statue des Mathematikers Fr. Cavalieri auf der Brera. Abends war in der Scala die Oper Hernani und nach ihr Ballett. Am 15. September war das wahrhaft großartige Schauspiel in der Arena, welche einen mit Wasser gefüllten Zirkus vorstellte und eine Rennbahn für Ruderboote war. Den Preis errang ein von Weibern gerudertes, mit dem Wappen Mailands geschmücktes Boot. Bald gaben Opernsänger die schönsten Chöre zum besten, bald spielten militärische Musiken. Regatte wechselte mit Musik bis in die späte Nacht, dann erleuchtete ein glänzendes Feuerwerk den Zirkus. Bei der Versammlung traf ich den schwedischen Orientalisten Graberg de Hemsoe und Balbi, außer mit ihnen verkehrte ich mit dem Grafen Castiglioni, Professor Leibler und dem Vorsteher der Ambrosiana Catena. Mein Freund Rossi verschaffte mir die Bekanntschaft seiner Freunde Ambrosoli und Manzoni. Manzoni war ein edler, gutmütiger, religiöser Mensch, und ich war froh, die beiden größten italienischen Dichter meiner Zeit, Monti und Manzoni, gekannt zu haben. Rossi führte uns auch in die Häuser des Grafen Taverna und Castel di Barco. Graf Castel di Barco, dessen Gemahlin die Obersthofmeisterin der Vizekönigin ist, ist ein Dilettant der Poesie und der schönen Künste. Sein der Brera gegenüber gelegener Palast ist der schönen Gemälde wegen sehenswert, darunter das Portrait einer Frau, von Leonardo da Vinci, ein sehr[350] gutes des Stifters der Jesuiten, Ignatius von Loyola, und eines von Cesare Borgia.

Während der Versammlung der Naturforscher waren auch die Paläste des Duca di Litta und des Grafen Borromeo zur Besichtigung offen. Als Präsident der Versammlung gab Graf Borromeo mehrere Gastmahle, bei einem derselben erneuerte ich die Bekanntschaft mit dem Duca Serra di Talio. Am 23. September um Mitternacht verließen wir Mailand bei Regen, am Morgen heiterte es sich auf, und wir hatten eine wunderschöne Fahrt, die Ufer des Comosees entlang. In Meran blieben wir nur einen Tag, gingen nach Schloß Tirol, wo ich die gnostischen Gebilde sah, die ich bisher nur aus Zeichnungen kannte, auch eine Kreuzabnahme, bei der das Kreuz von den Templern mit Füßen getreten wird. Der Weg nach Bozen und nach Brixen ist romantisch-wild, wie der von Trafoi nach Meran romantisch-schön ist. Durch Lienz fuhren wir im Mondschein nach Drauburg. Von Marburg fuhren wir über Straß, Weinburg und Gnas nach Hainfeld, wo ich meine Tochter wohlauf anfand.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 341-351.
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