IX. Frau von Grotthuis. – Frau von Eybenberg

[141] Varnhagens Feder wird dem Andenken einiger Personen Dauer verleihen, welche durch sich selbst wenig Anspruch darauf haben. Ich zähle Frau von Grotthuis zu diesen. Sie war eine hübsche Frau, es hat dümmere gegeben als sie war, aber, Gott verzeihe mir daß ich es ausspreche, ungeachtet sie nun gestorben, und wie ich glaube, sinnverwirrt gestorben ist, unter allen ihren Eigenschaften stand die Narrheit obenan. Wenn sie in Beziehung zu bedentenden Männern war, so dankte sie dies zumeist den Aufmerksamkeiten, welche sie ihnen erwies, und für welche diese, als von einer hübschen Frau ausgehend, nicht unempfänglich waren. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch ihr Verhältniß zu Göthe zu betrachten.1[142]

Ein anderes war es jedenfalls mit ihrer Schwester, Frau vou Eybenberg, ungeachtet sie zu denjenigen gehörte, deren völlige Bedeutung Frauen nur durch einen Rückschluß zu erkennen vermögen, durch den Eindruck nämlich, welchen sie auf Männer, und auf tüchtige Männer machen. Freilich konnten auch Frauen körperliche und geistige Vorzüge an ihr nicht verkennen. Sie war hübsch, von elegantem Wuchse, in ihren Bewegungen durchaus anmuthig. Ihr Temperament war lebhaft, wenngleich unstät. Ihr Geist war mehr anregend als schöpferisch; konnte man sie auch nicht gerade geistreich nennen, doch eben so wenig geistlos. Sie hielt darin eine Mitte, wie sie den meisten Männern an Frauen sehr wohlgefällig ist. Mit ihren Kenntnissen stand es so, daß man sie, den damaligen Ansprüchen an weibliches Wissen nach, ein unterrichtetes Frauenzimmer nennen durfte. Verschweigen will ich nicht, daß namentlich einige unserer gemeinschaftlichen männlichen Bekannten ihr wenig Gemüth und vielen Leichtsinn zutrauten. Sie fanden diese Ansicht von ihr besonders zu einer Zeit bestätigt, als Mariane Meyer, so hieß sie früher, ohne Wissen ihrer sehr orthodoxen Eltern zur christlichen Religion übergegangen war, und sich ausgelassen lustig erwies, während sie wußte, daß die Kunde von ihrer Religionsänderung für ihre Eltern ein überwältigender Schlag sein mußte.

Als Tochter eines Kaufmanns und als Jüdin, und sonach, bei der Kluft zumal, durch welche Verschiedenheit des Standes und des Glaubens damals noch die Menschen trennte, vermöge ihrer Stellung in der Welt nicht auf den Umgang oder gar auf nähere Verbindung mit[143] christlichen Männern hohen Standes angewiesen, sah sie doch eben von diesen Letzteren einen nach dem andern zu ihren Füßen, ja ernstlich um sie werbend. Die Liebe des ersten derselben erwies sich freilich der Ungleichheit der äußeren Verhältnisse nicht gewachsen. Dies war Graf Geßler, der sächsische Gesandte am preußischen Hofe. Er verhehlte seine Gefühle für Mariane Meyer so wenig, daß man nicht Anstand nahm, auch mit ihm bei Gelegenheit von seiner Liebe zu sprechen. Als nun nach seiner Abreise von Berlin Mariane zum christlichen Glauben übergetreten war, und öffentlich und laut behauptet ward, Graf Geßler sei nur abgereist um alles Erforderliche vorzubereiten sie aus dem elterlichen Hause zu führen, und sich dann mit ihr zu vermählen, glaubte ich, als ich ihn in Leipzig traf, und er sich angelegentlichst nach der Dame seines Herzens erkundigte, wohl von Dem mit ihm sprechen zu dürfen, was das Gespräch des ganzen Kreises der gemeinsamen Bekannten war. Wie erstaunte ich jedoch, als ich ihn stutzen, erschrecken sah! Er läugnete jede Absicht, sich mit Marianen zu verbinden, und ich erfuhr nachher, daß er eiligst verschiedenen Freunden in Berlin Briefe geschrieben habe, in welchen er das Vorhaben welches man ihm beimaß eifrigst desavouirte. Ich mußte hier wie bei anderen ähnlichen Gelegenheiten, den Scharfblick Alexanders von Humboldt auch hinsichts solcher Verhältnisse anerkennen. Er hatte von Anfang an, im Widerspruche mit der Meinung Aller, ausgesprochen, daß Geßler sie nie heirathen würde. Und doch war es gewiß nur Mangel an Kraft sich über Vorurtheile hinwegzusetzen, was diesen so handeln machte. Er hörte niemals auf, die lebendigste Theilnahme[144] für Mariane zu haben, dies bewies mir schon die Art, auf welche er sich später so oft wir uns wiedersahen nach ihr erkundigte.

Hatte nun in diesem Falle das Vorurtheil eines der Liebenden verhindert, daß das zärtliche Verhältniß zu einem ehelichen wurde, so knüpfte sich bald ein anderes, welches durch die Vorurtheile Dritter von diesem Ziele abgewendet wurde. Graf Christian Bernstorff, später preußischer Minister, zu jener Zeit bei der dänischen Gesandtschaft in Berlin angestellt, wurde von den lebhaftesten Gefühlen für Mariane Meyer ergriffen. Aber seinem Vorsatze, sich mit ihr zu verbinden, stellte sich der sehr entschiedene Widerspruch seines Vaters, des dänischen Ministers, entgegen. – Schon gleichzeitig mit ihm war Fürst Reuß, österreichischer Gesandter am preußischen Hofe, ihr Bewunderer gewesen, ein guter, wackerer Mann, aber ihr ziemlich ungleich an Jahren, und häßlich wie die Nacht. Er bat später um ihre Hand. Sie achtete ihn gewiß, aber ich weiß nicht ob sie ihn liebte. Fast schien es mir, als nahm sie seine Hand nur an, weil sie von den revers gelangweilt war, welche ihr bis dahin stets vereitelnd entgegengetreten waren, wenn eine ihrer zärtlichen Verbindung zur Ehe zu führen schien. Und soll ich es nun Tücke des Geschicks oder Vergeltung nennen, eben am Morgen ihrer Verehelichung mit dem Fürsten Reuß, erhält sie einen Brief von Bernstorff, den sie zuverlässig so sehr liebte als sie bei einem nicht sehr warmen Gemüthe überhaupt lieben konnte, und der ihr in demselben, ich weiß nicht mehr genau ob in Folge des Todes seines Vaters oder einer geänderten Gesinnung des Letztern, seine Hoffnung ausspricht, sie in kurzer Frist[145] die Seine nennen zu dürfen. Sie hat mir dies, wenn mein Gedächtniß mich nicht trügt, selbst erzählt.

Trug nun gleich Fürst Reuß seiner Gattin auf Händen, so konnte doch, da er Prinz eines souverainen Hauses war, seine Ehe mit dem bürgerlichen Mädchen nur eine morganatische sein. Ja sie wurde auch bei Lebzeiten des Fürsten niemals öffentlich erklärt, und deshalb wohnte auch die Gattin nicht im Hause des Gatten. Die eheliche Verbindung Beider war deshalb nicht minder bekannt, und hier in Berlin wurden in jede Gesellschaft, bei welcher nicht Hoffähigkeit die Zulassung bedingte, stets beide Eheleute eingeladen, wenngleich jeder Theil durch besondere Einladung.

Als nun nach einigen Jahren der Fürst Reuß starb, fühlte sich Mariane in einer peinlichen Lage, ja ihre Stellung schien ihr gewissermaaßen zweideutig. Sie wurde nicht als Mädchen, nicht als Frau, nicht als Wittwe betrachtet. Und während sie sich andererseits doch die Wittwe eines Fürsten wußte, war sie, da Rang und Ansehen ihres Gatten ihr nicht mehr zur Seite standen, dort wo Wohlwollen sie nicht freiwillig höher stellte, auf Stand und Stellung eines bürgerlichen Mädchens gewiesen. Das vermochte sie nicht zu ertragen. Sie ging nach Wien, und man spricht von einem Fußfalle, den sie vor dem Kaiser that. Sie wurde freundlich aufgenommen. Aber zu einer Fürstin Reuß konnte der Kaiser sie nicht machen, oder doch nicht ohne die Bewilligung der fürstlich reußischen Häuser, welche schwerlich zu erlangen gewesen wäre, und so machte er sie denn zu einer Frau von Eybenberg.

Ich sah sie im Jahre 1811 in Wien wieder. Sie litt in solchem Grade an der Wassersucht, daß ich ihre Auflösung[146] nahe glaubte. Und als ich sie eben tief bewegt verlassen habe, treffe ich Bernstorff, der als dänischer Gesandter nach Wien gekommen war. Eine seiner ersten Fragen war nach Marianen. Ich erzähle ihm von ihrem trübseligen Zustande, und er eilt sogleich zu ihr. Es war ein schmerzliches Wiedersehen nach jahrelanger Trennung, denn auch er konnte sich über die Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes keinen Augenblick täuschen.

Fußnoten

1 Das Urtheil über Frau von Grotthnis und ihre Beziehungen dürfte doch zu hart sein. Ein in der »Europa« vom 3. April 1850 aus dem Riemerschen Nachlasse mitgetheilter Brief derselben an Göthe scheint für Selbstständigkeit des Geistes und Gemüthes zu sprechen, ja er verräth eine gewisse innere Verwandtschaft mit Rahel, wenngleich bei minderer Tiefe.

Anmerk. des Herausgebers.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 147.
Lizenz:
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