XII. Frau von Genlis

[163] Ich habe Frau von Genlis während ihrer Anwesenheit in Berlin viel gesehn, denn ich nahm Unterricht bei ihr. Eine Freundin von mir, welche sie sehr für sich zu interessiren gewußt hatte, führte sie mir – es war im Jahre 1798 – nach meiner Sommerwohnung im Thiergarten zu. Als ich zur Erwiederung des Besuches zu ihr nach der Stadt fuhr, fand ich sie in dem schlechten kleinen Zimmer einer engen Straße der Neustadt nahe der heutigen Dorotheenstraße. Hier saß die berühmte Gräfin Genlis, Marquise de Sillery, vor einem Windofen, und kochte sich ihre Chocolade. Auf einem etwas gebrechlichen Tische stand ein schlechter hölzerner Leuchter mit einem dünnen Talglichte. Auf einem sogenannten Schappen, wie sie sonst nur in Küchen stehen, fehlte es nicht an Töpfen, Pfannen und anderem Kochgeschirr, und ein gewisses Geräth unter dem Bett bemühte sich nicht im mindestens sich zu verbergen. Auch die Bewohnerin des Zimmers wäre nicht im Stande gewesen, den Eindruck eines niederländischen Genrebildes der unfeineren Gattung, der sich mir sogleich beim Eintreten aufdrängte, zu verwischen, denn in der gewöhnlichsten[164] und vernachlässigtesten Kleidung, das schon ergrauende Haar unordentlich unter der wenig saubern Haube herabhängend, saß sie bei ihrem Geschäfte, hätte nicht eine schöne Harfe, welche in einer Ecke des Zimmers stand, die wenig erfreuliche Illusion gestört. Sie schien in dieser Umgebung einen ganz ausgesprochenen Ausdruck zu haben, sie sah ernst und befremdet aus wie ein gebildeter Mann, der durch Zufall in eine unfeine Gesellschaft gerathen ist. Bekanntlich spielte Frau von Genlis dies Instrument vortrefflich. Bald aber ward uns ein zweiter, wenngleich nicht so in die Augen fallender Gegensatz bemerkbar. Auf einem Tische befanden sich unter vielen anderen sehr heterogenen Gegenständen künstliche Blumen und saubere Körbchen, welche Frau von Genlis anfertigte. Gewiß ist es bei allem dem, daß ein Gartenknecht, welchen ich etwa fünf Jahre vorher mit Campe in dessen Garten bei Braunschweig grabend gefunden hatte, und welcher ein Französischer Emigrant und ci-devant chevalier war, mir trotz seiner niederen Beschäftigung mehr einen Eindruck von Vornehmheit gab, als Frau von Genlis bei diesem ersten Sehen.

Schon damals traf ich Verabredungen mit ihr wegen eines mir zu ertheilenden Unterrichts im französischen Styl; nächstdem wollte ich französische Classiker mit ihr lesen. Aber für diesmal scheiterte das Vorhaben an der auf höheren Befehl erfolgten Ausweisung der Frau von Genlis. Das Hinderniß, welches ihrem Aufenthalte entgegenstand, wurde je doch in Kurzem beseitigt, und sie kehrte nach Berlin zurück.

Als nun der Unterricht beginnen sollte, und Frau von Genlis von mir hörte, daß ich die Stunden nicht allein nehmen wolle, erklärte sie mir sofort, daß, wenngleich sie[165] auch Herrn unter ihren Schülern zähle, sie doch nie einen Herrn und eine Dame gemeinschaftlich unterrichte. Wie sie denn überhaupt die Trennung der Geschlechter bis ins Wunderlichste trieb. So trennte sie zum Beispiel, als sie sich später in Berlin wieder in den Besitz eines kleinen Büchervorraths gesetzt hatte, die männlichen Schriftsteller aufs sorgfältigste von den weiblichen. Nicht nur wurde jedem Theile eine andere Seite des Repositoriums eingeräumt, zu größerer Sicherheit blieb auch noch ein leerer Zwischenraum zwischen ihnen. – Ich sah mich nach einer Gefährtin um, und fand sie in der als Schriftstellerin nicht unbekannten Frau Sophie Bernhard, gebornen Gad.

Frau von Genlis wohnte nun schon etwas besser; das Zimmer, in welchem sie Unterricht ertheilte, war ein reinliches Zweifenster-Zimmer. Auch war sie nicht mehr allein. Sie hatte eine Frau Klebe, geb. de la Garde, von der französischen Colonie, zu sich genommen, und nächstdem wohnte der kleine Casimir bei ihr, welcher ihr Schüler auf der Harfe war, und später als einer der ersten Virtuosen auf diesem Instrumente Europa durchreiste, und sich namentlich in Frankreich einer gewissen Berühmtheit erfreute.

Mich hatte sie besonders in Affection genommen, weil ich, ihrer Behauptung nach, ihrer Tochter oder Pflegetochter, ich weiß dies nicht mehr genau, ähnlich sah. Aber das hinderte sie nicht, mit meinem französischen Styl sehr unzufrieden zu sein. Meine Arbeiten unterlagen vielfachen Correcturen, während sie sich von denen meiner Gefährten sehr befriedigt erwies. Doch die Scene änderte sich, als es an das Vorlesen der französischen Klassiker ging. Da wurde ich mit Lob überschüttet, während die Andere ihr[166] nichts zu Dank thun konnte. Die Komödie namentlich las ich, ihrer Behauptung nach, vortrefflich. Aber als wir zur Tragödie übergingen, wurde sie wieder unzufrieden. »Ce n'est pas là le ton de la tragédie!« – rief sie einmal über das andere. – Ich wußte wohl, woran es lag daß sie diesen bei mir vermißte, und bat sie mir einige Stellen aus einem Trauerspiele vorzulesen; worauf ich ihr dann erklärte, daß mir ein solcher hohler Pathos völlig unerträglich sei, und ich lieber darauf verzichte, Tragödien zu lesen, als daß ich mich zu ihm verstände. – »Vous ne voulez pas lire la tragédie?« – rief sie – »vous qui êtes faite pour la jouer? vous aves votre figure tragique?« –

Sie selbst war freilich eine ganz vortreffliche Schauspielerin. Ich sah sie einmal in dem Hause des reichen jüdischen Kaufmanns Cohen so meisterhaft spielen, daß ich nicht umhin konnte, ihr nach der Vorstellung mein Compliment deshalb zu machen. – »Mais« – rief sie mit einem vieldeutigen Lächeln – »j'ai joué la comédie toute ma vie!« –

Ich glaube übrigens nicht daß sie jemals schön war, ungeachtet man ihr selbst damals, wo sie schon im Anfange der Funfziger stand, sehr deutlich ansah, daß sie früher den Anspruch gehabt hatte hübsch genannt zu werden. Sie war schlank und gut gewachsen, ihr Teint war von großer Klarheit, ihr Auge dunkel und lebendig, ihre Züge waren fein, aber es fehlte den Verhältnissen des Gesichts einiges an der Regelmäßigkeit, welche ein nothwendiges Erforderniß der Schönheit ist. Daß sie niemals gut und fest angekleidet war, schadete nächstdem ihrer Erscheinung.[167] Ich wenigstens habe, so lange ich sie kannte, ihre Kleidung nie anders als salope gesehen. –

Ihr früheres Verhältniß zu dem Herzoge von Orleans wurde viel besprochen. Aber wenn es in der That so verfänglicher Art war, wie man behauptete, so muß man erstaunen, daß Louis-Philippe und seine Schwester, welche beide nicht nur sehr sittlich sind, sondern auch das Andenken ihrer Mutter hoch verehren, sie mit so vieler Rücksicht behandelten. Der Erstere bot ihr sogar eine Wohnung im Schlosse an. Sie nahm sie jedoch, an ihre bisherige einmal gewöhnt, nicht an. Ich meinerseits habe bei unserer Bekanntschaft nichts an ihr wahrgenommen, was mich berechtigt hätte sie für unsittlich zu halten, und würdige und einsichtige Frauen theilten meine Ansicht. So schrieb mir Sophie von la Roche im Jahre 1798 während der Anwesenheit der Genlis in Berlin über sie: »Genlis sehen Sie vermuthlich und beurtheilen Sie selbst. Es fällt mir schwer das Böse zu glauben, so man von ihr sagt. Man überhäufte mich schon in Paris damit, wo ich nur sagen konnte: prouvez moi qu'elle a le tems d'écrire des livres, d'élever et d'instruire les enfans d'Orléans et de faire ce que vous dites, alors je vous croirai. Es ist schwer geistvoll oder schön zu sein, weil man immer in Gefahr ist, von Männern, die gern leiten – oder gern versuchen wollten, verläumdet zu werden.«

Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 163-168.
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