Erlaubnis zur Selbstbeschäftigung.

[106] Der Pfarrer, dessen wahrhaft humanem Wirken im Untersuchungsgefängnis zu D. ich noch eingehend und dankbar gedenken werde, hatte mich zwar immer mit sorgsam für mich ausgewählter Lektüre versorgt, sich auch oft stundenlang mit mir unterhalten, gerade dadurch aber jedenfalls mit seinem Verständnis herausgefühlt, daß ich um so unbefriedigter sein, die Ausübung meines Berufs umsomehr vermissen mußte, je weniger ich in einer anderen geregelten Tätigkeit Ersatz finden konnte. So brachte er selbst die Angelegenheit zur Sprache und fragte mich, ob ich mich nicht gern hier mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigen möchte.

»Dazu würde man wohl schwerlich Erlaubnis bekommen,« entgegnete ich zweifelnd.

»Doch!« behauptete er und nannte mir Fälle, in denen diese Erlaubnis, allerdings Männern, erteilt[106] worden sei. Einer, ein Journalist, habe während der fünf Monate seiner Untersuchungshaft ein umfangreiches Manuskript fertiggestellt, das er ihm zur Durchsicht übergeben.

»Seine Strafe wurde später als durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet. So hatte er nach der Entlassung gleich die Mittel zu seinem Fortkommen in der Hand,« ergänzte der Pfarrer seinen Bericht.

»Das waren Männer,« sagte ich mit Bezug auf die vorgetragenen Fälle, »ich glaube nicht, daß ich eine gleiche Erlaubnis erhalten würde.«

»Warum denn nicht?« beharrte der fürsorgliche Geistliche. »Wenn Sie es wünschen, werde ich mich darum bemühen.«

Natürlich akzeptierte ich dankend. Aber trotz der eifrigen Verwendung des Pastors war es ein sehr langer und umständlicher Weg, auf dem ich endlich zum erwünschten Ziele, zur schriftstellerischen Betätigung im Untersuchungsgefängnis gelangte.

Die Voruntersuchung war beendet, die Beweisführung abgeschlossen.

»Sie lassen sich zuerst beim Untersuchungsrichter vormelden. Wenn Sie seine Genehmigung haben, den Direktor, der auch gefragt werden muß, übernehme ich,« sagte der Pfarrer.

Vom Untersuchungsrichter erlangte ich zwar ziemlich[107] schnell und leicht die nötige Einwilligung. Doch mußte sie auch noch von einer anderen Behörde bestätigt werden, weil ich nach beendeter Voruntersuchung erst nochmals für kurze Zeit dem Staatsanwalt, dann der Strafkammer unterstellt war.

So dauerte es ziemlich lange, bis ich abermals vorgeführt und mir eröffnet wurde, daß mein Ansuchen genehmigt, und mir gestattet sei, mich selbst zu beschäftigen, für eigene Rechnung schriftstellerische Arbeiten im Gefängnis anzufertigen. Nun war aber damit noch nichts gewonnen, denn jetzt mußte erst der Gefängnisdirektor sein Machtwort sprechen, der im übrigen mit den Untersuchungsgefangenen so gut wie gar nicht in Berührung kommt. Hier jedoch war das anders. Hier hing von seiner Einwilligung alles ab. Wohl beruhigte mich der Pastor. Er freute sich des erreichten Erfolges und meinte, den Direktor kenne er, habe zudem bereits mit ihm gesprochen. Bei ihm werde ich sicher auf keine Schwierigkeiten stoßen.

Dann wurde ich auf meine Bitte zum Herrn Direktor gemeldet. Er ließ mich kommen, und ich lernte in ihm einen äußerst humanen, liebenswürdigen älteren Beamten kennen. In seiner ernsten gütigen Weise empfing er mich, erkundigte sich eingehend nach meinem Lebensgange, nach der Ursache, die mich hierhergeführt, sowie was ich geschrieben habe und hier[108] zu schreiben beabsichtige. Er bekundete dabei ein tiefes Verständnis und ein mehr als rein berufliches Interesse, das mir außerordentlich wohltat. Dann eröffnete mir der liebenswürdige Vorgesetzte, daß er meinem Wunsche und Streben durchaus nicht ablehnend gegenüberstehe.

»Es ist zwar eigentlich in der Frauenabteilung noch nicht vorgekommen. Aber ich glaube, ich kann Ihnen unbedenklich die Erlaubnis geben,« sagte er freundlich. »Ich hoffe, Sie werden im übrigen Ihren Pflichten wie bisher nachkommen.« –

Mit diesen Pflichten sollten jedenfalls die Arbeiten gemeint sein, die jeder Untersuchungsgefangene zur Instandhaltung seiner Zelle zu verrichten hat.

»Um die Reinigung seiner Zelle kommt niemand herum,« sagte mir einst die Aufseherin K. »Das müssen auch die Männer machen, die Selbstbeköstiger sogar nicht ausgeschlossen. Es wird nur in Ausnahmefällen mal jemand vom Arzt dispensiert.«

Sie wollte mir damit Trost zusprechen, weil mir das Scheuern anfangs ziemlich schwer fiel. Eine andere dagegen war weniger rücksichtsvoll und meinte, mein Ungeschick bemerkend, in wegwerfendem Tone:

»Stellen Sie sich doch nicht so an! Eine Frau muß doch scheuern können!« –

Ich dankte dem menschenfreundlichen Herrn[109] Direktor für seine gute Meinung sowohl als für die erteilte Bewilligung.

»Wenden Sie sich also an Ihre Aufseherin. Dann wird das Nötige schon besorgt werden. Jetzt können Sie gehen,« schloß er und winkte mir, mich zu entfernen.

Die Aufsichtsbeamtinnen waren inzwischen schon, wie ich bemerkte, durch direkte Verordnung, vielleicht auch privatim durch den Pfarrer informiert.

»Was wollen Sie für Papier haben? Und was für Federn? Sie können bestellen, was Sie haben wollen. Das müssen Sie aber von Ihrem Gelde kaufen,« belehrte mich Frau Aufseherin R. und brachte mir später eigenhändig das Verlangte.

So hatte ich nun nach vielen Bemühungen, nach langem Warten und Sorgen endlich die Erlaubnis zur Schriftstellerei im Gefängnis erhalten. Genügendes Material stand mir zur Verfügung, und an Stoff fehlte es ebenfalls nicht. Wenn ich dennoch keinen ausgiebigen Gebrauch davon gemacht habe, so lag dies einesteils an den mancherlei Hemmungen, die mit der Inhaftierung untrennbar verbunden sind, zum andern an der steten Kontrolle jeglichen Vornehmens, die dem Gefangenen weder mündlich noch schriftlich eine freie Entfaltung seines Wesens und seiner Willenskräfte gestattet.

Dazu kommt noch die vielleicht nur bei weiblichen Häftlingen in Frage kommende Abneigung der[110] meisten Aufsichtsbeamten gegen derartige Selbstbeschäftigung, die trotz dem Mangel einer geeigneten Tätigkeit sich auch meinem literarischen Schaffen gegenüber bemerkbar machte.

»Kriegen Sie das nicht satt, den ganzen Tag bloß zu schreiben?« fragte die eine Aufseherin.

»Nein, Frau Aufseherin, das ist ja mein Beruf,« entgegnete ich höflich, aber bestimmt.

»Das begreife ich nicht. Ich möchte es nicht,« meinte sie kopfschüttelnd.

Eine andere ging noch weiter. Sie hatte eine ähnliche Frage an mich gerichtet und dieselbe Antwort erhalten.

»Sie täten auch gescheiter, etwas anderes zu machen. In der Strafanstalt gibt man Ihnen keine Schreiberei in die Hände. Das werden Sie schon sehen,« bemerkte sie anzüglich.

Selbst die hochgebildete neuangestellte Frau Oberaufseherin, sonst in allem wie geschaffen für ihren verantwortlichen Posten, nahm wenig Rücksicht auf meine Schriftstellerei, konnte es wohl auch nicht, insoweit die Anstaltsinteressen in Frage kamen.

Als sie jedenfalls in gutgemeinter Absicht meine Zusammenlegung mit einer anderen Untersuchungsgefangenen anordnete, machte ich vergeblich unter anderem den Einwand dagegen geltend, daß ich dadurch in der mir gestatteten Selbstbeschäftigung gehindert[111] werden würde. Sie ließ jedoch die Einrede nicht gelten, meinte vielmehr, das gehe alles einzurichten. Die Folgezeit gab mir indessen Recht. Die erfolgte Zusammenlegung beeinträchtigte meine schriftstellerische Tätigkeit in hohem Grade, und durch die nachfolgenden Ereignisse hörte solche bald gänzlich auf.

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 106-112.
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