Zusammenlegung.

[161] So seltsam es dem Fernstehenden bei den geschilderten tatsächlich geltenden strengen Bestimmungen im Untersuchungsgefängnis scheinen mag, so kommt es doch gar nicht selten vor, daß zwei oder mehrere Untersuchungsgefangene in einer Zelle zusammen untergebracht werden. Man tut dies offiziell und wohl[161] auch in Wahrheit vor allem aus Platzmangel, doch sind häufig noch andere Ursachen dabei maßgebend. Natürlich werden die Gefangenen dann nicht in den gewöhnlichen engen Zellen, sondern in größeren sogenannten Doppelzellen vereinigt. In diesen Zellen sind zwei, drei, bisweilen sogar vier eiserne Feldbetten an den Wänden angebracht. Es kommt aber auch vor, daß noch außerdem Strohsäcke des Nachts auf den Fußboden gelegt und bis zu sechs Häftlinge in einen solchen Raum gelegt werden. Derartige Masseneinquartierungen rekrutieren sich allerdings nur aus Stammgästen der Untersuchungshaft, bei denen zwar häufige, aber kleinere Delikte vorliegen, und deren Hast nie lange dauert, weil die Untersuchung keine Schwierigkeiten bereitet.

Erfolgt dagegen bei schwereren Verdachtsgründen und bei erstmalig Inhaftierten eine Zusammenlegung, so hat diese oft noch eine andere Bewandtnis als blos den Platzmangel. Am seltensten geschieht es wohl aus Erbarmen mit einer weiblichen Gefangenen, die das Alleinsein absolut nicht ertragen kann. Doch kommen auch solche Fälle vor.

Man müßte sich nun eigentlich wundern, da hier aus Gründen der Untersuchung jedes Wort, jeder Blick, jedes Augenzwinkern und Zeichen geben zwischen den Gefangenen streng verpönt ist, daß man dennoch selbst durch obrigkeitliches Machtgebot die[162] Leute so eng vereinigt, wo man doch unmöglich annehmen kann, daß sie im steten Zusammensein bei Tag und bei Nacht kein Wort miteinander wechseln sollen.

Deshalb darf es wohl als feststehend angenommen werden, daß die Behörde andere Zwecke damit verfolgt.

Wirklich soll es geschehen sein, daß mitunter durch Zellengenossinnen Straftaten entdeckt wurden, die den scharf inquirierenden Beamten undurchdringlich geblieben waren, weil sich selbst gewiegte Verbrecher unter ihresgleichen sicher fühlen und offener aus sich herausgehen.

Dennoch wird ganz gewiß viel öfter Schaden damit gestiftet als Nutzen geschafft. Nicht nur, daß Schadenfreude und Denunziationssucht angeregt werden, was doch niemals im guten Sinne erzieherisch wirken dürfte, es kann auch nach den herrschenden Verhältnissen nicht ausbleiben, daß die Behörden absichtlich oder unabsichtlich irregeführt, daß zahllose Täuschungen und Durchstechereien verübt werden, die man sonst so ängstlich bestrebt ist, zu verhüten.

Eine junge Frau, die bereits gestanden hatte, war durch die grauenhaften Darstellungen einer alten, schon mehrfach vorbestraften Zellengenossin so in Angst und Aufregung versetzt worden, daß sie sich schleunigst vormelden ließ, ihr Geständnis in vollem Umfange[163] zurücknahm und dem Staatsanwalt dafür ein Märchen erzählte, was sie im Verein mit jener Alten zusammenkombiniert hatte. Dadurch wurde die Untersuchung erschwert und das Verfahren in die Länge gezogen, bis die alte Person wegen Rückfallsdiebstahls auf sechs Jahre in die Strafanstalt abgegangen war. Erst dann kam die junge Frau, dem Einfluß ihrer alten Beraterin entrückt, wieder auf ihr früheres Geständnis zurück.

Ein andermal war einer Gefangenen geraten worden, ihren Mitschuldigen, einen früheren Geliebten zum Zwecke eigener Entlastung preiszugeben. Schon wollte sie in diesem Sinne der Wahrheit die Ehre geben, als die Versucherin in Gestalt eines jungen Weibes, das man ihr beigegeben, an sie herantrat.

»Das werden Sie doch nicht tun, den armen Menschen mit hineinzulegen« redete die Person auf sie ein. »Was haben Sie denn davon? – Wenn Sie nun schon ein bißchen mehr Strafe kriegen, das kommt doch nicht so drauf an. Der ist reich. Der wird's Ihnen schon wieder vergelten.«

Und wirklich erreichte die Verführerin ihren Zweck. Erst viel später wurde die Wahrheit entdeckt, Beide dann aber umso schwerer bestraft.

Die an dem verursachten Wirrwarr Schuldigen aber gingen in beiden Fällen frei aus.

Wie schwer es insonderheit für ein warm empfindendes[164] Frauengemüt ist, sich dem Jammer und Leid seiner Mitmenschen zu verschließen, wenn sie uns von der Behörde selbst zu im wahrsten Sinne des Wortes engster Gemeinschaft aufgezwungen werden, das sollte ich zu meinem Schaden selbst in Erfahrung.

Quelle:
Hoff, Marie: Neun Monate in Untersuchungshaft. Erlebnisse und Erfahrungen, Dresden, Leipzig 1909, S. 161-165.
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