4. Das Betragen in öffentlichen Konzerten

[56] IV. Das Betragen in öffentlichen Konzerten


sey bescheiden, ruhig und gegen die Damen artig. Man dränge sich nicht mit Ungestüm in die vordersten Reihen, oder setze sich nicht etwa gar auf die für die Damen bestimmten Stühle, überhaupt lasse man diesen gern jedes Vorrecht, was ihnen nach den Gesetzen der Höflichkeit zukommt.[56]

Wer eine Dame in das Konzert führt, sorge für einen guten Sitz, wo dieselbe nicht nur die Musikstücke hören, sondern auch die Versammlung so viel als möglich übersehen kann; auch wollen die meisten Frauenzimmer gern gesehen seyn; der Führer hat daher auch dieß bei der Wahl des Platzes zu berücksichtigen.

Daß ein junger Mensch, der artig und gefällig heißen will, während der Musik nicht laut plaudert, und so die Aufmerksamkeit seiner Umgebung stört, versteht sich von selbst; auch das Taktschlagen oder Takttreten, so wie eine zu lebhafte Aeußerung des Vergnügens über eine Stelle der Musik, durch übertriebenes Mienenspiel u.s.w. ist unanständig. Das Applaudiren ist nun einmal Mode, es kann also Niemanden verboten werden; ich rathe jedoch, es nicht zu oft und nicht so zu thun, daß der Nebenstehende vor dem[57] tobenden Geklatsche die Ohren zuhalten muß – letzteres kann nur unangenehm seyn und ersteres in die peinliche Verlegenheit bringen, daß man allein applaudirt und dadurch die Augen des ganzen Auditorium auf sich zieht.

In der Pause ist es Pflicht, die Dame, welche man in den Saal führte, zu unterhalten, und ihr so diese Zwischenzeit angenehm zu machen – Stoss zu einer passenden, angenehmen Unterhaltung findet sich im Konzertsaale sehr leicht. Thorheit würde es verrathen, bei diesem Gespräche tief in den Geist der Musik einzudringen, oder mit Kunstausdrücken zu prahlen, die nur dem Musikkenner verständlich seyn können, besonders wenn man weiß, daß die Dame zwar gern Musik hört, jedoch die Theorie derselben nicht so studirt hat, um das Gespräch auf solche Weise fortsetzen zu können; sie würde in Verlegenheit[58] kommen und dem eitlen Sprecher mit Recht zürnen. Ist man selbst nicht fest in der Musik, hat man nicht solide Kenntnisse darin, so enthalte man sich besonders jedes Urtheils, und höre lieber zu, wenn Andere darüber reden.

Während der Musik der Dame in die Ohren zu plaudern, ist unschicklich und muß dieser unangenehm seyn, indem sie doch wahrscheinlich nicht des Geschwätzes, sondern der Musik wegen, in das Konzert gieng.

Es ist sehr angenehm, musikalisch zu seyn, d.h. irgend ein Instrument zu spielen. Nicht nur, daß uns die Musik die reinsten Freuden gewährt, daß sie unsern Geist und unsre Phantasie rührt, bewegt und uns in das süßeste Entzücken versetzt, sie macht uns auch andern angenehm, und der Musikalische findet viel leichter Freunde oder Freundinnen, indem das Interesse für[59] Musik jetzt seht allgemein ist und das Talent dazu von Jedermann geschätzt wird.

Das Instrument mag nun Flöte, Clavier, Violine, Guitarre oder sonst ein anderes seyn – man muß es bei jedem zu einer Fertigkeit zu bringen suchen, welche allein Vergnügen gewähren kann. Ohne diese würde die darauf verwendete Zeit unnütz und verloren seyn. Besonders bei Instrumenten, wie Flöte oder Clavier muß man mit Fleiß und Ernst nach Virtuosität streben, indem gerade diese Instrumente am allgemeinsten sind, und darum gut gespielt werden müssen, wenn man sich vor einer Gesellschaft, sey sie auch noch so klein, hören lassen will.

Wird ein junger Mann in einer Gesellschaft aufgefordert, sein musikalisches Talent zu zeigen, so thue er es ohne vieles Widerstreben, zwar mit großer Bescheidenheit, aber ohne lange, alberne Ziererei;[60] diese macht nur lächerlich. Daß ihn das Lob, was er etwa für sein Spiel einärndtet, nicht eitel machen darf, versteht sich von selbst – dergleichen Lobsprüche ruhen meistentheils nicht sowohl auf der Fertigkeit des Spielers, sondern besonders auf der Gefälligkeit desselben und dem Zauber, den eine nicht ganz mittelmäßige Musik über jedes Herz ausübt – auch wird viel Lob aus Artigkeit verschwendet.

Den Gesang – diese herrliche Gabe der Natur, welche vorzüglich dazu geeignet ist, fröhlichen Sinn zu beleben, trübe Stunden zu erheitern und in uns und Andern heitere oder auch tiefernste, gemüthliche und süßschmerzende Empfindungen zu wecken – sollte kein junger Mann vernachlässigen.

Wollte ich auch den großen Genuß, den ein schöner Gesang jedem nicht ganz Fühllosen gewährt, wollte ich auch den Einfluß,[61] den derselbe unmittelbar auf unser Herz übt, gänzlich unberührt lassen, so ist es doch auch unbezweifelt, daß ein junger Mann, der eine gute Stimme, und diese sorgfältig und regelmäßig ausgebildet hat, in unsern Gesellschaften, die schon der Mode wegen enthusiastisch für Musik und besonders Gesang eingenommen sind, bedeutend mehr gilt, als ein Anderer, dem diese Eigenschaften fehlen.

Mancher wird nun wohl den Vorwand gebrauchen, daß ihm eben eine gute Stimme fehle, und daß also die Mühe, singen zu lernen, vergebens sey. Allerdings sind viele Menschen unfähig, auch nur mittelmäßig singen zu lernen, dieß kommt aber fast immer daher, weil ihnen der Tactsinn und das gute Gehör (d. ist: Sicherheit in Beurtheilung der Tiefe oder Höhe eines Tons) fehlt – hier ist freilich nicht viel zu machen. Im Gegentheil aber ist Uebung,[62] fleißige Beharrlichkeit und Freude an der Musik die Hauptsache; wer diese besitzt, wird auch bei einer weniger guten Stimme bedeutende Fortschritte machen, seine Stimme immer mehr heben, und in kurzer Zeit den Genuß haben, zu bemerken, daß dieselbe an Umfang, Festigkeit und Rundung immer zunimmt.

Jedenfalls können Singübungen durchaus nicht schaden, sondern nur nützen, indem sie wenigstens die Aussprache und den Ton der Stimme sehr ausbilden; diese Uebungen sind daher jungen Leuten sehr zu empfehlen – Gelegenheit dazu findet sich leicht für den, dem es Ernst ist, sie zu suchen.

Beim Schlusse dieses Abschnitts erlaube mir der geneigte Leser, noch etwas über männliche Körperschönheit im allgemeinen zu sagen.

Es ist ein albernes Vorurtheil, daß manche[63] junge Leute unter Schönheit des Mannes nichts anderes verstehen, als daß derselbe ein Gesicht wie Milch und Blut, eine feine Haut, zarte Hände und einen kleinen niedlichen Fuß etc. habe – vorzüglich liebenswürdig scheint es ihnen, wenn diese eingebildeten körperlichen Vorzüge noch durch Kunst gehoben, der Fuß durch enge Schuhe noch mehr zusammengepreßt, die schlanke Gestalt durch Riemen noch deutlicher gezeigt u.s.w., kurz wenn das ganze Geschöpf so verschroben wird, daß es gar keinem Menschen, noch weniger einem Manne gleich sieht.

Pomaden und Schönheitswasser soll ein Mann nie gebrauchen; einem Weibe ist es nicht zu verargen, wenn sie die Schönheit ihres Körpers, welche doch größtentheils ihr höchstes Gut ist, durch künstliche Mittel hebt, bei einem Manne aber ist es unverzeihlich und wird von dem bessern Theile[64] des andern Geschlechts immer durch Kälte, ja Verachtung, gerügt.

Eine gerade Haltung des gesunden Körpers, ein offenes Auge, eine freie Stirn, eine blühende aber männliche Gesichtsfarbe, Anmuth und Kraft in jeder Bewegung – das ist Schönheit des Mannes.

Muth und Festigkeit glänze aus dem, weder stier noch matt blickenden, sondern bescheiden Jedem begegnenden Auge, es sey der Spiegel einer reinen Seele, der sichere Zeuge eines moralisch guten Wandels. Die gebräunte Wange ehrt mehr, als weibische, Schwäche verrathende Zartheit und Weiße der Haut – sie giebt einen Anstrich von herrlicher Kraft, von einer Männlichkeit, die weder Schminken und Frottirungen des Weichlings nachäffen, noch das beliebte Zusammenpressen des Halses durch feste Binden, wie viele[65] glauben, hervorbringen kann. Schönheit ist hier gleichbedeutend mit Kraft, verbunden mit Anstand. Man stelle einen unverdorbenen, kräftigen jungen Mann neben ein verziertes, geschniegeltes Modebild, deren unsere Zeit Millionen aufzuweisen hat – dann wird man den großen Unterschied zwischen beiden erkennen. Während der Modeaffe am Halstuch zupft oder in eitler Selbstgefälligkeit seine eigene liebenswürdige Personnage bewundert und wohl gar mit Verachtung auf den bescheidenen männlichen Jüngling sieht, welcher es wagt, sich seinem, wie et meint göttlichen (wenn auch geistlosen, todten – unerträglichen) Antlitze zu nahen, wird dieser es selten der Mühe werth achten, das Zerrbild nur zu bemerken, sondern er wird mit Ruhe und Heiterkeit, wohl im Gefühle seines Werthes aber dennoch mit Bescheidenheit, das freie Auge aufschlagen.[66] Wer von beiden gewinn – der Geck oder der Mann – wer besonders bei den Damen gewinnt, es versteht sich wohl von selbst!

Leider finden wir jetzt unter den jungen Leuten sehr wenig an Leib und Seele Gesunde – gar viele sind durch die Macht des Beispiels, durch die traurige Sucht nach Zerstreuungen, schon dahin gelangt, daß sie keinen Begriff von ihrer wahren Bestimmung, von jenem Streben nach der Vervollkommnung ihrer geistigen Kräfte, von der Bildung ihres Verstandes, von der Veredlung ihres Herzens und der Festigung ihrer Grundsätze haben. Und wie nöthig ist dies in einer Zeit wie die unsrige!

Traurig sind die Folgen eines Lebens, welches in der Jugend nur dem Genuß, nur den sinnlichen Zerstreuungen der Welt gewidmet war; traurig empfindet ein solcher[67] Unglücklicher, wenn der Schmelz der Jugend von der kalten Wirklichkeit verwischt, die phantastischen Träumereien dem Ernste des Lebens weichen müssen – traurig empfindet er die Leere seines Geistes und Herzens, mit Schmerz möchte er die verlornen Jahre zurückrufen, um thätiger für das eigne Wohl zu arbeiten – aber an sich selbst verzweifelnd, sucht er entweder durch neue künstliche Genüsse sich zu betäuben, oder nimmt sich selbst ein langweiliges, verächtliches Leben, welches er sich doch durch vernünftige Mäßigkeit und gute Zeitnützung in der Jugend so sehr angenehm und fruchtbringend bis in das späteste Alter hätte erhalten können und sollen.

Wie kann aber ein junger Mann, der seine eigene Würde nicht fühlt, dessen Herz von Leidenschaften durchwogt, dessen sonst reiner Sinn durch Verführung und böse[68] Neigungen getrübt, dessen Gefühl durch selbstige Verschuldung nach und nach abgestumpft wird – wie kann ein solcher junger Mann es noch unnatürlich finden, wenn sich die früher so schönen, klaren Züge seines Gesichts trüben und verzerren, wenn Falten der Stirn und der scheue Blick je länger je mehr die Nichtswürdigkeit eines zwecklosen, eiteln, sündhaften Wandels bezeigen? Den aufmerksamen Beobachter wird diese Veränderung nicht Wunder nehmen. Es ist psychisch gegründet, daß Leidenschaften eine furchtbare Wirkung auf den menschlichen Körper haben; ist es also ein Wunder, daß die Körperschönheit schwindet, wenn zu diesen Leidenschaften noch ein leichtsinniger, wüster Lebenswandel kommt, der die innersten Kräfte aufreibt, und die Blüthe der Jugend, das Roth der Wangen zerstören muß?

O daß es doch alle beherzigen mögten,[69] denen diese Blätter zu Gesicht kommen, daß eine schlecht benutzte Jugendzeit des Fluch im Alter ist; daß sie den Pfad scheueten, der zur Sünde und zum Unglück führt, daß sie, haben sie ihn leider betreten, reuig zurückkehrten zum Guten, den Verführer verachteten, ihre Leidenschaften bändigten, jeden grob sinnlichen Genuß verabscheueten, und so dem Ziele nachstrebten, in dem allein das wahre Glück ruht: immer besser, geistig gebildeter, immer vollkommener zu werden.

Dann wird ihnen auch im fernsten Alter der wahre Gottesfriede zu Theil werden, und bis an ihr Ende wird Glück und Freudigkeit, durch edles Bewußtseyn redlich gethaner Pflicht, sie umgehen! –

Quelle:
Hoffmann, Karl August Heinrich: Unentbehrliches Galanterie-Büchlein für angehende Elegants. Mannheim 2[1827], S. 56-70.
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