Dreizehntes Kapitel

Landpartien.

[62] Eine Landpartie kann sich zu einem höchst angenehmen Vergnügen gestalten, wenn sie taktvoll organisiert und mit Anmut arrangiert wird. Natürlich dürfen an ein ländliches Fest keine zu großen Ansprüche seitens der Beteiligten gestellt werden.

»Ländlich, sittlich«, darin ist alles gesagt, und jeder, der von diesem Motto beeinflußt, ein Sommerfest mitmacht, wird sich, wenn es einigermaßen gemütlich und unterhaltend ist, in seinen Ansprüchen befriedigt sehen.

Zu einer Landpartie sollen möglichst zusammenpassende Elemente sich vereinigen. Hauptsächlich ist eine Landpartie ein Vergnügen für die Jugend. Es können jedoch auch ältere Leute sich sehr gern bei einer Landpartie beteiligen, denn ein Aufenthalt im Freien wird jeder Altersklasse irgendeinen Reiz gewähren. Die Begleitung einer oder der anderen älteren Person wird sogar bei Landpartien,[62] an welchen junge Leute beiderlei Geschlechts beteiligt sind, vom guten Ton geboten.

Junge Leute werden gerade auf Landpartien durch den zwangloseren Ton, den ein Aufenthalt im Freien gestattet, unwillkürlich leichter übermütig, wenn sie auch sonst noch so wohl erzogen und mit guten Formen betraut sind, und da ist es denn am Platz, wenn das besonnene Alter, den Vorsitz führend, kleinere Ausschreitungen, wie Streit, Waghalsigkeiten, größere Freiheiten der Herren den jungen Damen gegenüber, unterdrückt.

Von den Unternehmern einer Landpartie muß zuvörderst ein Hauptaugenmerk auf bequemes Fuhrwerk gerichtet werden. Ein solches darf bei einer Landpartie jeder Eleganz entbehren, aber es muß genügend Raum für alle Anteilnehmenden bieten, und zwar derart, daß die Insassen nicht aufeinandergepfercht sitzen, wie in Schraubstöcke eingepreßt, sondern sich frei und zwanglos während der Fahrt, die häufig ein ziemliches Zeitmaß beansprucht, bewegen können.

Zeit und Ort der Abfahrt muß sämtlichen Teilnehmern zuvor genau bezeichnet und von diesen aufs pünktlichste eingehalten werden. Pünktlichkeit, allgemeine Pünktlichkeit, ist bei allen derartig gemeinschaftlich geplanten Unternehmungen die erste Hauptbedingung. Pünktlichkeit ist eine[63] Höflichkeit, welche der gute Ton in erster Reihe von jedem Gebildeten fordert.

Für die Fahrt sind die Plätze möglichst passend zu verteilen, besonders wenn mehrere Wagen erforderlich sind.

Man berücksichtige hierbei, daß die Beteiligten schon in weit gehobenerer Stimmung an den für das Vergnügen in Aussicht genommenen Aufenthaltsort anlangen, wenn sie sich auf der Fahrt gut unterhielten. Ein derartiges Arrangement muß fast so planmäßig und feinfühlig wie die Tischordnung bei Gesellschaften getroffen werden.

Was die Verpflegung auf einer Landpartie anbetrifft, so ist dieselbe in Picknick-Form am üblichsten.

Spiele dürfen bei einer Landpartie lustig, zwanglos, aber nicht wild und taktlos sein. Der gute Ton muß auch noch die heiterste Laune, die übermütigste Fröhlichkeit regieren, wenn nachträgliche Verstimmungen und peinliche Erinnerungen vermieden werden sollen. Man denke stets, auch wenn man einmal gänzlich losgelöst vom Alltagsleben sich so recht froh und zwanglos einer etikettefreien Stunde hingeben möchte, daß doch nur »das« Vergnügen ein wirkliches Vergnügen bleibt, dessen Nachgeschmack frei von Hefe, in vollkommener Harmonie sich den genossenen Stunden anpaßt.[64]

Junge Mädchen sollen bei solchen Gelegenheiten, wenn auch noch so animiert, doch nicht in überlautes Kreischen, Schreien und Lachen verfallen, beim Schaukeln, beim Rennen nur anmutsvolle Grazie, aber keine gewagten Bewegungen sich gestatten, liebenswürdig und verbindlich, aber dennoch in diskreter Weise, ohne Zudringlichkeit, für die Verpflegung der Herren sorgen, und indem sie Freiheiten, zu denen sich letztere, in Anbetracht des längeren zwangloseren Beisammenseins vielleicht unwillkürlich hinreißen lassen, taktvoll zurückweisen, für die Aufrechterhaltung des guten Tons Sorge tragen.

Die Kosten werden meist bei solchen Veranlassungen gemeinschaftlich, getragen, wenn nicht gerade jemand eine Landpartie aus eigener Initiative den von ihm dazu gebetenen Gästen gibt.

Man hüte sich bei der Rückkehr in die Stadt vor jenen überlauten auffallend fröhlichen Kundgebungen, zu denen gerade beim Schluß eine animierte Stimmung oft verleitet. Was im Freien, auf dem Lande erlaubt ist, verbietet der gute Ton oft in städtischer Umgebung, wo es Veranlassung zu öffentlicher Kritik geben könnte.[65]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 62-66.
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