Zweiundsiebenzigstes Kapitel

Gatten.

[221] Mann und Frau repräsentieren das Haus. Der Ton, der zwischen diesen herrscht, ist daher für das Haus maßgebend.

Gatten sollen unter allen Verhältnissen liebenswürdig, gütig und höflich miteinander verkehren. Das ist das beste Beispiel für die übrigen Familienmitglieder, die erste Bedingung für den guten Ton eines Hauses.

Ein Mann hat mit dem Brautstand durchaus nicht alle Höflichkeit und Galanterie abzustreifen. Seine Frau muß für ihn stets die verehrungswürdigste Dame bleiben.

Ein Mann soll sich nie gegen seine Frau, und wenn er auch schon lange mit ihr verheiratet ist, Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen.

Er soll ihren Verlobungstag, ihren Hochzeitstag, ihren Geburtstag nie vergessen. Er soll nie leiden, daß seine Frau beleidigt wird. Er soll seine Abende nicht im Klub und Kneipen zubringen, sondern in Gesellschaft seiner Frau.[221] Er soll seine junge Frau nicht unbegleitet in Gesellschaft gehen lassen, sie nicht in Gesellschaft vernachlässigen.

Er soll ihr zur Blumenzeit des öfteren ein Sträußchen ins Haus bringen. Er soll keine ihrer häuslichen Anordnungen in Gegenwart der Kinder rügen. Er soll beim Essen nicht grundlos kritteln, wegen einer verdorbenen Mahlzeit nicht heftig aufspringen.

Er soll sich nicht in kleinlicher Weise um häusliche Angelegenheiten kümmern, sondern das Forum der Wirtschaft vollständig seiner Frau überlassen. Er soll kleine Lieblingswünsche seiner Frau zuvorkommend erfüllen. Er soll nur am frühen Morgen oder krankheitshalber in Hausschuhen und Schlafrock gehen und geschäftliche Launen und Sorgen nicht an seiner Frau auslassen.

Er soll auf sein Äußeres ebenso halten wie als Verlobter und nie die Kavalierspflicht gegen seine Frau außer acht lassen. Ein guter Ehemann soll sich möglichst pünktlich zu der für die verschiedenen Mahlzeiten festgesetzten Stunde einstellen.

Ebenso soll eine Frau jederzeit zuvorkommend und liebenswürdig gegen ihren Mann sein, ihm das Hauswesen harmonisch gestalten, sich in ihrem Äußeren nie gehen lassen, sondern stets den Talisman des Reizes, den äußere und innere[222] Anmut einer Frau verleihen, sich zu erhalten suchen. Eine Frau muß in erster Reihe immer ihrem Manne zu gefallen suchen.

Sie soll nicht, wenn der Mann müde von Geschäften heimkehrt, ihn mit ihren kleinlichen Sorgen belästigen, sondern lieber an seinen Plänen Anteil neh men.

Eine verständige, feinfühlende Frau kann einen Mann sehr günstig beeinflussen, sie kann auch mit der Zeit kleine Unebenheiten seines Wesens abschleifen.

Es ist taktlos, wenn eine Frau ihren heimkehrenden Gatten mit Klagen über Dienstboten und Kindern überschüttet. Die erste Erziehung der Kinder soll eine Frau möglichst selbständig bewältigen. Was die Dienstbotenfrage anbetrifft, so muß sie überhaupt versuchen, ihren Mann möglichst wenig damit zu behelligen.

Es ist gegen den guten Ton, wenn der Hausherr die weiblichen Dienstboten in Zucht und Ordnung halten soll. Das ist Sache der Hausfrau.

Eine Frau soll zur pünktlichen Stunde für die verschiedenen Mahlzeiten sorgen, daß der Mann nie zu warten hat. Sie soll nicht anspruchsvoll sein und sich über das kleinste Geschenk ihres Gatten freuen. Sie soll ihren Mann nicht veranlassen, sich über seine Kräfte[223] anzustrengen, damit sie luxuriösen Neigungen frönen kann. Sie soll bei der Abfassung des Küchenzettels ihren persönlichen Geschmack dem ihres Gatten unterordnen und bemüht sein, seine Lieblingsspeisen auf den Tisch zu bringen. Sie soll überhaupt in echt weiblicher Hingebung versuchen, sich den Gewohnheiten ihres Mannes, wenn diese nicht gerade burschikos und roh sind, anzupassen.

Bemerkt eine Frau, daß ihr Gatte etwas verstimmt aus seinem Berufsleben heimkehrt, so soll sie nicht unausgesetzt übereifrig in ihn dringen, ihr mitzuteilen, was der Grund seiner Verstimmung sei.

Oft lieben es die Männer nicht, Ärgernisse, die sie im Geschäft, im Amt gehabt haben, den Frauen mitzuteilen, und werden dann durch dringende Nachfragen häufig noch mißmutiger und ungeduldiger. In solchen Fallen tut eine Frau von gutem Ton am besten, die üble Laune ihres Gatten scheinbar gar nicht zu bemerken, während sie in Wirklichkeit bemüht sein muß, ihm durch leichtes, harmloses Geplauder diese wegzuscherzen.

Bei Kleinigkeiten ist es immer richtiger, wenn die Frau sich dem Manne fügt, als umgekehrt.

Ein Mann kann durchaus liebevoll und aufmerksam gegen seine Frau sein, aber es darf[224] nie den Eindruck machen, daß er ein Pantoffelheld ist – auch das ist gegen den guten Ton.

Über die Erziehung der Kinder müssen Gatten, besonders in Gegenwart der Kinder, stets einig sein, weil ein Hin- und Herstreiten der Gatten nach dieser Richtung nicht nur unpassend ist, sondern auch der Auffassung der Kinder sehr verderblich werden kann.

Eine Meinungsverschiedenheit sollen Gatten überhaupt nie in Gegenwart der Kinder ausfechten, eben sowenig wie in Anwesenheit anderer, sondern stets unter vier Augen.

Es macht einen sehr schlechten Eindruck, wenn Gatten anderen gegenüber gegeneinander Partei nehmen.

Gegen die Eltern ihres Mannes hat eine Frau besonders zuvorkommend und aufmerksam zu sein. Sie darf diese unter keinen Umständen vernachlässigen, weil sie dadurch ihren Gatten aufs tiefste kränken würde und es auch sehr taktlos wäre.

Desgleichen hat der Mann gegen die Eltern seiner Frau stets besonders aufmerksam und zuvorkommend zu sein.[225]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 221-226.
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