Tanzen.

[53] Tanzen ist ein großes Vergnügen, und derjenige, der nicht Gelegenheit findet, einen regelrechten Unterricht zu genießen, sollte doch nicht versäumen, auch ohne einen solchen die landläufigen Tänze zu erlernen. Alle die jungen Burschen und Dirnen, die alten behäbigen Ehepaare, die bei Freischießen, Kirmeß und anderen Volkslustbarkeiten so fröhlich und unverdrossen dem Vergnügen des Tanzes sich hingeben, haben ganz gewiß nie Unterweisung durch einen Tanzlehrer gehabt. Mutter oder Vater haben es sie gelehrt, das ältere Kind dem jüngeren. Bei den Klängen einer Orgel, oder dem ohrenzerreißenden Hörnerklang umherziehender Musikanten wurde gewalzt oder gepolkt, wo man gerade ging[53] und stand, und so hat man es gelernt und übertrifft an Gewandheit manchen regelrecht gebildeten Tanzschüler.

Die Entschuldigung: »ich kann nicht tanzen«, lasse ich also nicht gelten. Mit dieser Erklärung drücken sich aber jetzt viele unserer jungen Herren in die Ecken, ja sie entblöden sich wohl nicht, noch gar hinzuzusetzen »ich bin zu bequem dazu«, oder (mit 20-26 Jahren) »ich überlasse dieses Jüngeren.«

Die armen jungen Greise, die in solchem Alter schon so blasirt auf jede unschuldige Lebensfreude herabsehen und nur da zu finden sind, wo eine Bowle angesetzt oder ein Faß Bier angestochen wird.

Auf einen Ball geht man aber nicht allein um zu essen, zu trinken und die Ecken zu füllen, sondern um zu tanzen, und es ist eine große Rücksichtslosigkeit gegen die Gastgeber, wenn junge Männer dieses immer und immer wieder vergessen. Kann ich das Tanzen nicht vertragen, wird gewiß Niemand mich dazu bereden. Mag und will ich aber nicht tanzen, so gehe ich nicht auf einen Ball.

Die Familie, die ein solches Fest giebt, überrechnet gewöhnlich die Zahl der tanzenden Damen und Herren und sucht nach Kräften ein gewisses Gleichgewicht beider Theile herzustellen. Oft gelingt ihr dieses aber nicht, oder wird die schönste Berechnung durch die Rücksichtslosigkeit der jungen Männer durchkreuzt. Oft capriciren sich die Herren darauf, nur mit dieser oder jener Dame tanzen zu wollen, solche wird dann mit Bitten um einen Tanz bestürmt, während eine Reihe niedlicher junger Mädchen unbeachtet sitzen bleibt. Ein solcher Anblick ist für den Gastgeber eine Qual und ebenso wie es seine Pflicht ist, die Herren zum Tanzen zu animiren, sie den fremden jungen Damen zuzuführen und auch für die weniger hübschen aber beliebten Mädchen Tänzer zu finden, so ist es Pflicht jedes Herrn, wenn der Wirth mit einer dahin zielenden Bitte zu ihm tritt, derselben unbedingt zu folgen.

Einschalten will ich hier etwas, was mir schon oft ein Räthsel gewesen ist. Wie kommt es nur, daß die Männer, die doch am meisten und unaufhörlich über die[54] Modethorheiten, den Luxus der Damen eisern, sich doch immer wieder den elegant, ja, auffallend gekleideten Mädchen zuwenden, während – auf den Bällen nun mal ganz gewiß – diejenigen in einfacher und bescheidener Toilette, vollständig unbeachtet, die Wände schmücken. Wende man sich doch eben solchen Damen zu, die das vermeiden, was die Männer im Allgemeinen so laut tadeln, und zeige dadurch, daß man sich nicht nur in hohlen Phrasen ergeht, sondern auch durch die That für seine Meinung eintritt.

Nun zu dem Tanze selbst: Der Herr wird sich der ihm noch nicht bekannten Dame vorstellen lassen und bittet dann, ohne eine Anrede ihrerseits zu erwarten, um die Ehre dieses oder jenes Tanzes. Hat die Dame den Tanz nicht mehr frei, so wird sie dem Herrn einen anderen Tanz vorschlagen, den er auf seiner Tanzkarte notirt. Cotillon und der Tanz nach Tische wird von einer Dame nicht angeboten.

Sobald die Musik den fraglichen Tanz zu spielen beginnt, begiebt sich der Herr zu seiner Tänzerin, läßt sie nicht warten oder wohl gar nach ihm suchen.

Die Haltung der Arme und Hände beim Tanz ist besonders zu beachten. Der Herr legt bekanntlich den rechten Arm um die Taille der Tänzerin, niemals aber auf den Rücken. Die linke Hand wird mit der rechten der Dame lose zusammengefügt, in leichter Biegung zur Seite gehalten. Unpassend ist es, wenn der Herr die Hand der Tänzerin sich in die Seite stemmt, noch abscheulicher, wenn er sie auf seinen Rücken führt, oder hoch in die Luft hält.

Zu fest die Tänzerin an sich zu drücken, ist nicht erlaubt, dieselbe zu lose zu halten, so daß ihr jede Führung und Sicherheit fehlt, unbequem. Die richtige Mittelstraße ist hier wie immer die beste.

Wünscht der Herr eine Extratour mit einer Dame zu tanzen, die bereits engagirt ist, so hat er dem Tänzer derselben, auch wenn er ihn nicht kennt, eine Verbeugung zu machen mit der Frage: »Gestatten Sie?« oder »Erlauben Sie?« – worauf der andere gleichfalls durch eine Verbeugung seine Zustimmung giebt. Erst nach[55] Erledigung dieser Form bittet der Herr die Dame um eine Extratour. Im Cotillon, bei dem ja ein fortwährendes Holen und Engagiren stattfindet, fällt diese Form selbstverständlich fort.

Hat man eine Dame zur Quadrille engagirt, muß man sich nach einem vis-à-vis umsehen. Dabei kommt es leicht vor, daß der Herr die gegenüberstehende Dame nicht kennt; in diesem Falle hat er, vor Beginn des Tanzes, sich ihr vorstellen zu lassen. Damen untereinander können dieses unterlassen.

Als durchaus unschicklich muß ich es bezeichnen, wenn die Herren sich erlauben, in den Pausen im Nebenzimmer zu rauchen und dann mit tabakduftendem Rocke der Tänzerin zu nahen. In feiner Gesellschaft wird so etwas nicht vorkommen, auch daß die Handschuhe der Herren so wenig salonfähig sind, daß Spuren davon auf dem Kleide der Tänzerin sichtbar bleiben. Erwähnen müßte ich es aber doch.

Wie ich sehe, habe ich mich in diesem Capitel mit meinen Rathschlägen hauptsächlich an die Männer gewandt und in der That finde ich auch für die jungen Mädchen weniger zu sagen.

Also, meine jungen Damen, ich bitte Sie, betragen Sie sich recht fein und wohlanständig, lachen und sprechen Sie nicht zu laut, kokettiren Sie nicht, trinken Sie nicht wenn Sie erhitzt sind etwas Kaltes und setzen Sie sich nicht der Zugluft aus. Nehmen Sie auch die Geduld von Papa und Mama nicht zu ungebührlich lange in Anspruch und bedenken Sie, welch' ein Opfer es ist, bis zum Morgen im Ballsaal, des gewohnten Schlafes zu entbehren.

Im Uebrigen wünsche ich den Herrschaften allerseits viel Vergnügen!

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 53-56.
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