Aberglauben.

[142] Eine Doktorinn, in deren Hause ich oft war, hatte einen vortreflichen Gatten, eine liebenswürdige Tochter, schon mannbar, und ein großes Vermögen, als ich sie kennen lernte. Nichts desto weniger trug sie sich noch mit der Grille, daß ihr Geld und ihre Gestalt sie würdig gemacht hätten, einen Edelmann zu heirathen, und daß sie noch zu diesem Glücke gelangen könnte, wenn ihr Mann stürbe. Dieser Mann beschäftigte sich eigentlich zu wenig mit ihr, und dünkte ihr sehr unliebenswürdig, in Vergleich mit einem gewissen Baron, der sich gegen sie sehr aufmerksam bezeigte, und[142] ihr oft die Hand küßte, übrigens auch ein hübscher und artiger Kavalier war.

Auf einmal wird der Doktor krank. In der Stadt geht die Sage von einer geschickten Tassengießerinn, rasch wird dieser der Wagen geschickt. Ein kleines schwarz-äugigtes Husarenweib, die von den Zigeunern verscheucht scheint, springt aus der Karosse, und weiß vor Freuden, über eine so ungewöhnliche Ehre, die Thür nicht zu finden. Kommen Sie herein, seyen Sie willkommen! ruft die Doktorinn ihr schon an der Thür entgegen, sie eilt mit ihr in den Sallon, und reicht ihr den Kaffee mit eigner Hand; die Husarenfrau kann nicht geschwind genug trinken. Ich bin in großen Kümmernissen, ruft die Frau Doktorinn, mit den heitersten Augen von der Welt; mein Mann ist recht krank, ich möchte wohl sein Schicksal wissen. Sie haben sich wohl[143] beide recht lieb, sagte die Wahrsagerinn. Je nun, ja, erwiederte die Doktorinn, die Männer haben all' ihre Launen, man muß mit ihnen Geduld haben. Welche Frau hat nicht ihr Kreuz? Ich habe das meinige wohl tragen müssen, ob ich wohl noch so jung bin.

Nun wußte die Wahrsagerinn, was sie zu thun hatte, es wurden Tassen gegossen, ihrer sechs. Nun, was sehen Sie? fragte die Doktorinn einmal über das andere. Hm! was seh ich, sagte die Frau, viel Tröstliches ist es nicht. Ihr Mann wird sterben. Sterben! rief die Dame, mit einer schnellaufsteigenden Freudenröthe im Gesicht. Ja, ja, sagte die weise Frau, sehen Sie, hier in der Tasse gehn die Blumen alle herunter. In der zweiten sah sie einen Hobel; in der dritten einen umgerißnen Baum, auf welchem eine Taube saß; in der vierten[144] einen Todtenkopf, in der fünften eine Gruft, in der sechsten eine Leiche. Die zitternde Doktorinn goß nun auch den Spühlnapf. Nun wollen wir diesen auslaufen lassen, sagte sie; aber liebe Frau, haben sie denn sonst nichts gesehen, als den Tod meines Mannes? Ich habe noch sonst etwas, das ich gern wissen möchte. Ja, sagte die Frau, ich habe sonst wohl noch allerlei gesehen, ich dachte nur, es würde Ihnen in Ihrer Betrübniß nicht damit gedient seyn. Was denn, was denn, liebe Frau, rief die Doktorinn hastig. Sagen Sie nur alles, ich will alles wissen. Das Weib nahm den Spühlnapf: nun hier wird ja wohl alles recht ausführlich stehen. Du lieber Himmel, da ist ja ein großer leibhaftiger Sarg, sehn Sie selbst her. Ja, so wahr ich lebe! rief diese im Hereinsehen, denn es hatte sich würklich der Kaffeegrund zu einem Sarge gestaltet. Nun, Sie sind[145] so gut als Wittwe, sagte die Wahrsagerinn, der Himmel mag Sie trösten! Die Frau Doktorinn schloß eilig ein Kistchen auf, langte zwei Dukaten heraus, und drückte sie der Frau in die Hand: Sie sind gar zu gnädig, sagte diese, ich habe Ihnen ja noch nicht alles erklärt. Ich höre, ich höre, sagte die Doktorinn, und sah ihr über die Schultern in den Spühlnapf. »Hier seh ich etwas, aber Sie müssen es mir nicht übel nehmen. Hier seh ich ein großes, großes Herz, das bedeutet einen Freund. Das hat einen Anker bei sich, der kömmt vom Sarge her; und Vergiß mein nicht, sehen Sie, die blühen darum her. Ach Frau Doktorinn, Sie heirathen wieder, und das recht glücklich, denn es ist ein großer Stern über dem Herzen. Ein Stern, ein Stern! rief die Doktorinn, ja, ja, den trägt er als Baron ... Ach! um Gotteswillen, was sagt ich da! Die Betrübniß[146] bringt mich gar von Gedanken. Sieht sie denn sonst nichts? Denn ich muß ihr sagen, die Traurigkeit macht mich ganz verwirrt, und ich wollte ihr von einem würdigen Freund sprechen, einem Baron, dessen Frau auch sterbendkrank liegt, und der sehr betrübt ist. Nun darum, sagte die schlaue Alte, hab ich auch die Todtenköpfe, Hobel u. dgl. alle doppelt gesehen. Hat sie das, hat sie das! O sie englische Frau!

Die englische Frau wurde öfters wieder geholt, indessen wurde der Doktor frisch und gesund, und seine Frau plötzlich krank. Sie starb in kurzer Zeit, die Geschichte der Wahrsagerinn war ruchtbar geworden, und die Spötter lachten darüber.

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 142-147.
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