Von der Zigarre

[122] Vor einigen Jahren richtete eine Berliner Zeitung an eine Reihe der bekanntesten Schriftsteller und Künstler die Aufforderung, sich darüber zu äußern, ob sie Anhänger oder Feinde des Rauchens seien und ob der Genuß einer Zigarre, nach ihrer Meinung und Erfahrung, das geistige Schaffen fördere oder hindere. Man weiß, wie solche »Enquêten« ausfallen. Die einen antworten bejahend, die andern verneinend, ein drittes Häuflein drückt sich diplomatisch und nichtssagend aus, und eine ganze Skala der Gefühle, von der begeistertsten Zustimmung bis zur flammendsten Entrüstung, offenbart sich. So war es auch in diesem Falle. Man hätte das Ergebnis in die schönen Worte fassen können: »Es gibt so'ne – und so'ne.«

Denn die Männerwelt teilt sich nun einmal in Raucher und Nichtraucher, und da es eine den meisten Menschen angeborene, im übrigen sehr glückliche Eigenschaft ist, von der Vortrefflichkeit ihrer Anschauungen und Gewohnheiten überzeugt zu sein, so sollte man sie auch in diesem Punkte nach ihrer Fasson selig werden lassen. Es steht mit dem Nikotin nicht anders als um den Alkohol. Den berühmten Greisen, die neunzig Jahre alt wurden, weil nie ein Tropfen Wein über ihre Lippen kam, lassen sich eben soviele von einundneunzig Jahren gegenüberstellen, die ihr hohes Alter dem Grundsatz, täglich drei Schnäpschen zu trinken, verdanken.

Innerhalb der großen Menge der Raucher, die denn doch unter uns Männern die Mehrheit bilden, gibt es aber sehr verschiedene Sorten. Sie sind so verschieden voneinander wie der Glimmstengel des kleinen Mannes – drei Stück für einen Groschen – von den mächtigen Importen, die, wie man sagt, in eigenen Plantagen der Insel Kuba für den König Eduard VII. von England hergestellt wurden und von denen jede einzelne, alle Unkosten mit eingerechnet, einen Wert von zwanzig Mark gehabt haben soll. Für den gewöhnlichen Sterblichen dürfte es ein Ding der Unmöglichkeit sein, ein ganzes »Pfund« für eine einzige Zigarre anzulegen. In unseren teuersten und elegantesten Restaurants[122] kostet die größte, beste Zigarre allerhöchstens zehn bis zwölf Mark – und das ist schließlich auch eine ganze Menge Geld.

Sklaven der Zigarre sind die sogenannten Kettenraucher, die schon morgens, gleich nach dem Erwachen, nach ihr langen, und sie erst vor dem Einschlafen bedauernd aus der Hand legen. Bevor Schweninger ihn in die Finger nahm, war Bismarck solch ein Kettenraucher, der sich, wie er es selbst erzählt hat, den ganzen Tag lang eine schwere Zigarre an der vorigen anzündete.


Von der Zigarre

Das Kettenrauchen mag seine Freuden haben. Wieviel genußreicher aber ist eine einzelne, sorgfältig ausgesuchte Zigarre, die man zum Abschluß und zur Krönung eines exquisiten Diners, im bequemen Klubsessel, den duftenden Mokka und einen gut gekühlten alten Likör in flacher Schale vor sich, bedachtsam in Brand setzt. Es ist ein schöner und feierlicher Augenblick, wenn der Klubdiener oder der Maître d'hotel die vielen Kisten mit den Zigarren aller Formate und aller Stärkegrade vor uns zur Wahl ausbreitet, und um das behagliche halbe Stündchen, das nun folgt, müßten uns alle Nichtraucher beneiden, hätte es nicht die Natur wiederum so weise eingerichtet, daß man nicht entbehrt, was man nicht kennt.

L.v. Nordegg.

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 122-123.
Lizenz:
Kategorien: