Die Ironie

[192] Wir glauben im allgemeinen zu wissen, was Ironie ist: Man sagt etwas und meint das Gegenteil. Ich sehe einen Jungen mit einer verspritzten und dreckigen Hose und sage: »Du hast aber eine saubere Hose.« So weit so gut. Es kommt aber bei der Ironie immer noch etwas dazu. Die Ironie läßt sich nämlich nicht umkehren. Ich werde, wenn ich einem Jungen mit sauberer Hose begegne, nicht sagen: »Du hast aber eine dreckige Hose.« Das wäre zwar das Umgekehrte dessen, was gemeint ist, aber es wäre keine Ironie. Ironie geht nur »in einer Richtung« und zwar so: Man sagt etwas Positives, wo man etwas Negatives meint. Die Umkehrung: etwas Negatives sagen und etwas Positives meinen, ist keine Ironie; sie kommt übrigens so selten vor, daß man sie vernachlässigen kann.

Man sieht daraus, daß in der Ironie stets ein wertendes Element steckt. Man kritisiert ethische oder ästhetische Mängel, indem man sie mit ihrem Gegenteil bezeichnet und so das wünschbare Gute oder Schöne dem festgestellten Schlechten oder Häßlichen gegenüberhält. Ironie ist also immer Kritik, und weil sie ein gewisses Maß von Künstlichkeit und Distanz impliziert, absichtlicher und damit auch verletzender als direkte [192] Kritik. Hieraus folgt als erste Regel, daß man mit dem Gebrauch der Ironie allgemein zurückhaltend sein soll.1

Verschiedene Menschen sind auf Ironie verschieden empfindlich. Manche sagen, daß Ironie besonders bei Frauen schlecht ankomme. Wilhelm Busch schrieb:


Bei Damen sollst du fein,

Gar niemals nicht ironisch sein.


Das steht am Schluß der Geschichte »Ein galantes Abenteuer«, wo ein feiner Herr einer Gruppe von fünf Straßenkehrerinnen zuruft:


»Seid mir gegrüßt, ihr edlen Frauen –

So wunderlieblich anzuschauen!«


worauf er prompt von fünf nassen Besen verdroschen wird. Wir meinen, mit Recht. Aber nicht so sehr, weil er gegenüber Frauen ironisch war, sondern, weil er einen sozialen Abstand von oben herab ironisch kommentiert hat, was gemein von ihm war. Daß Frauen an sich gegenüber Ironie allergischer sind als Männer, ist möglich, aber nicht besonders wahrscheinlich.

Hingegen gibt es starke soziale und regionale Unterschiede. In einer Stadt oder in einem Land, wo die Leute ernsthaft oder gar stur an ihre Arbeit gehen, ist Ironie unbeliebt, ja sie wird oft überhaupt nicht verstanden. Ebenso in einer angestrengten sozialen Schicht, wo man keine Zeit für Spielereien hat, etwa bei manchen Arbeitern oder Managern. Anderswo dagegen, wo man den Sinn für das Spielerische bewahren konnte, ist sie eine beliebte und ohne weiteres verstandene Kunst.

In dem amüsanten Roman »Stepping Westward« von Malcolm Bradbury (1965) kommt ein englischer Dozent als Gast an eine Universität im amerikanischen Westen, und es ergibt sich eine herrliche Konfrontation englischer und amerikanischer [193] Werte und Verhaltensmuster. Unter anderem versucht der Engländer, seinen amerikanischen Studenten ein Werk des großen Ironikers Jonathan Swift (des Autors von »Gullivers Reisen«) nahezubringen; aber die Amerikaner reagieren zuerst mit Verwirrung und sind nachher ernstlich darüber aufgebracht, daß der Autor sie dermaßen »auf den Arm nehmen« wollte.

Ein ähnlicher Unterschied besteht zwischen Basel und Zürich. Als ein (vierzigjähriger, jugendlich aussehender) Basler auf ein Zürcher Ordinariat berufen wurde, erschien sein Bild in der »Neuen Zürcher Zeitung«. Seine Basler Kollegen sollen sofort ausgerufen haben: »Dein Konfirmationsbild ist ausgezeichnet gelungen!« Und der »Konfirmand« strahlte – er hat uns die Geschichte selbst erzählt. Oder etwas anderes, ebenfalls baslerisches. Wir kamen an einem heißen Tag mit dem Auto von Deutschland her gefahren und tankten bei der ersten Basler Gelegenheit. Der Tankwart machte sich an die bös verklebte Windschutzscheibe und sagte fröhlich: »Mir miend Platz mache fir di neien Insäggte.« (Wir müssen Platz machen für die neuen Insekten).

So etwas käme in Zürich, wenn überhaupt, bestimmt weniger häufig vor. Ein Professor, der aus einer anderen Gegend der Schweiz nach Zürich berufen worden war, meldete als erste sprachliche Beobachtung, daß die Zürcher immer fragten: »Wie meinen Sie das?« Da haben wir das Gegenteil der Basler; diese haben einen Instinkt, der ihnen sagt, wie die Dinge gemeint sind, also zum Beispiel, ob ironisch oder nicht, während der Zürcher sich vom Gesprächspartner am liebsten schriftlich bestätigen ließe, ob sein Ausspruch jetzt als Beleidigung gemeint sei oder als Harmlosigkeit!

Es liegt uns ferne, unsere liebe Wahlstadt und zweite Heimat anzuschwärzen. Man kann die Abneigung gegen die Ironie auch als etwas durchaus Positives sehen. Nämlich als völlige Aufrichtigkeit, die sich schließlich auf das Bibelwort stützt, daß »Eure Rede« ja, ja oder nein, nein sei, und daß man mit der Wahrheit besser kein Spiel treibt. Aber wie immer hat das Grund-Moralische eben auch etwas Schwerfälliges.

[194] So viel ist sicher, daß das Verhältnis zur Ironie von Landschaft zu Landschaft verschieden ist – man kann darüber nachlesen in dem ebenso amüsanten wie instruktiven Buch von Herbert Schöffler.2 Wie in anderen Dingen soll man sich deshalb auch hier der verschiedenen Landesbräuche bewußt sein.

Weiter soll man Rücksicht nehmen auf das soziale Verhältnis zwischen Sprecher und Hörer, von dem wir bereits im Abschnitt über die »Kleinen Leute und großen Tiere« (Seite 61 ff.) gesprochen haben. Ironie bedeutet immer auch: sich lustig machen, und wer sich von oben herab über Unterschichten oder Untergebene lustig macht, der handelt nicht fein. In anderen Worten: Wer in einer Machtposition Ironie gebraucht – sei es als Arbeitgeber, Lehrer oder Kritiker – der verdient, wenn nicht gerade fünf nasse Besen ins Gesicht, so doch erheblichen Tadel. Denn jeder Arbeitnehmer oder Schüler hat ein moralisches Recht darauf, daß die Beurteilung seiner Arbeit in sachliche Worte gekleidet ist. Auch einem Menschen, der ein wissenschaftliches oder künstlerisches Werk hervorgebracht hat, soll man nicht mit Ironie begegnen, wie das manche Rezensenten tun, sondern mit Sachlichkeit.

Schließlich ist auch das Atmosphärische zu berücksichtigen. Wenn wir uns in einer munteren Gesellschaft befinden, die bereits auf Scherz und Neckerei eingestimmt ist, dann wird auch Ironie verstanden und ist am Platz, nicht dagegen, wenn sich Menschen frisch begegnen und noch nicht angewärmt sind.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 192-195.
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