X. Heimkehr und Friedensjahre.

[97] Auch über den Einzug in die heimatlichen Quartiere finden sich in meines Vaters Kriegstagebuch noch kurze Aufzeichnungen, die ich folgen lasse.

»9. September. Um 61/2 Uhr hatte ich die ganze Garnison auf dem Schloßhof vereinigt und rückte an ihrer Spitze, vollständig kriegsmäßig, zum Tore hinaus. Eine dichte Volksmenge umwogte uns, aber dank einiger laut gegebenen, energischen Befehle fiel keine Unordnung vor und man ließ uns lautlos ziehen.«

»15. September. Heute fuhr ich nach Hamm, wo ich mit dem Füsilierbataillon Reg. 55 zusammentraf, das Hauptmann von Below führte. Mit diesem lieben Kriegskameraden fuhr ich nach Herfordt und war sehr erfreut zu sehen, welch herzlicher Empfang meine braven Füsiliere hier erwartete. Die ganze Umgegend mußte zusammengeströmt sein, denn kaum ein Drittel der Menschenmasse konnte dem kleinen Städtchen angehören. Welche rührende Szenen des Wiedersehens, des Wiederfindens spielten sich da ab! Was für ein herzlicher und stürmischer Jubel machte sich da Luft! Das war alles so ungekünstelt, so lebenswarm und darum so ergreifend!

Nach dem Mittagessen, das ich mit den Offizieren eingenommen hatte, ging ich nach dem Bahnhof und fuhr mit dem eben anlangenden I. Bataillon Reg. 55 in Begleitung meines alten braven Stoltz nach Minden.

Es war ein erhebender, unvergeßlicher Augenblick, als wir, umdrängt von dem jubelnden Volk, überschüttet mit Blumen, Bändern und Kränzen, unter den Tönen der bekannten Schlachtmusik in die alte Feste Minden einzogen.

In der Stadt ging man vollständig unter einem Laubdach, so viel Girlanden waren quer über die Straße gezogen, und Transparente mit sinnigen Sprüchen hingen daran. Sobald ich mich mit meiner Spitze des Zuges näherte, gingen in den vor uns liegenden Häusern bengalische Flammen auf, und ein Blumenregen folgte. Kränze wurden uns in die Hand gedrückt, eine solche Anzahl, daß man sie nicht fassen konnte.

Die Zeit verging im Fluge. Am 16. abends fuhr ich ab und langte heute früh in Potsdam an, wo mich mein lieber Schwiegersohn schon auf dem Bahnhof erwartete. Sein Kopfhieb ist gut geheilt und kleidet den Schlingel vortrefflich. Was war das eine Freude nun in dem behaglichen[98] Heim meines geliebten Töchterchens, Frau, Kind und Kindeskind nach dieser bewegten Zeit wohlbehalten und gesund wieder umarmen zu können. Das kleine Ding hielt mir mit ausgestreckten Ärmchen einen Lorbeerkranz hin, den ich mir doch aufheben will.«

»19. September. Früh fuhr ich nach Berlin, die Meinen folgten später nach. Um 11 Uhr war Meldung beim Könige, der sich gegen Kummer und mich so überaus gnädig und anerkennend aussprach, daß ich wohl wünschte, ich hätte jedes Wort behalten können. Der hohe Herr erging sich in Lobsprüchen über die Leistungen meiner Brigade.

Wie glücklich mich das machte, wird ein jeder mir nachfühlen können.«

»20. September. Früh 8 Uhr fuhr ich nach Berlin, wo mich schon der Bursche meines Schwiegersohnes mit dessen Rappen erwartete, den der liebe Sohn bei Königgrätz geritten hatte, und der, wie sein Herr, noch die Narben der erhaltenen Verwundungen aufwies. Ich ritt durch den Tiergarten nach dem Krollschen Platz, wo sich schon alle Offiziere, mit ihren neuen Dekorationen geschmückt, zusammengefunden hatten. Kurz vordem der König kam, brachte mir Graf Kalnein, der Adjutant des Feldmarschalls, den Orden pour le mérite mit der dazugehörenden Kabinettsorder, beides war fälschlich bei dem alten Herrn abgegeben worden.

Unbeschreiblicher Jubel erscholl, als der König mit seiner Suite erschien. Nicht endenwollende Zurufe begleiteten den Einzug der Truppen, die durch das herrlich geschmückte Brandenburger Tor die Linden entlang marschierten. Der Weg Unter den Linden war durch die Aufstellung der eroberten Geschütze, wie durch die Tausende von flatternden Fahnen und sinnreichen Emblemen in eine Art Triumphstraße verwandelt worden. Beim Vorbeimarsch wurde jede bekränzte Fahne, jeder Verwundete mit herzerhebendem Jubel begrüßt. Ich glaube, eine ähnliche Sache werde ich wohl nicht zum zweiten Male sehen.

Als der Vorbeimarsch beendigt war, meldeten sich die neu dekorierten Offiziere beim Könige.

Ich war einer der letzten, der herankam. Der König gab mir die Hand. Die Worte, die der Hohe Herr zu mir sprach, prägten sich mir tief ein, er sagte: ›Den Orden haben Sie sich rechtmäßig verdient, also brauchten Sie mir eigentlich nicht dafür zu danken. Übrigens muß ich Ihnen noch sagen, daß ich Sie mir in einem Punkt doch etwas anders wünsche. Man hat mir berichtet, Sie wären zu brav. Sie exponierten sich zu sehr, das wünsche ich nicht, solche Offiziere müssen mir und meinem Sohne erhalten bleiben.‹[99] ›Für solchen König kann niemand zu brav sein‹, antwortete ich überglücklich und küßte mit wahrer Herzensfreude die königliche Hand, mit der er die meine fest umschlossen gehalten hatte. Das sind die schönsten Augenblicke meines Lebens und der herrlichste Lohn für das Streben nach treuer Pflichterfüllung.

Bei diesen Mitteilungen, deren Erinnerung mir stets zu einem Sporn dienen soll, meine Pflicht auf das äußerste zu tun, möchte ich noch des Besuches bei dem alten Onkel Wrangel erwähnen. Sein Empfang war mir wahrhaft rührend, er konnte nicht warm genug seine Freude darüber aussprechen, daß es mir vergönnt gewesen sei, durch diesen glücklichen Feldzug unserem Familiennamen neue Lorbeerblätter zuzuführen.«

Diesen Berichten aus dem Tagebuch meines Vaters möchte ich die schriftlich niedergelegten Äußerungen des Generalmajors von Bilguer folgen lassen:

Äußerungen, welche Se. Majestät der König am 19. September 1866 gegen die Generale von Wrangel und von Kummer gemacht hat:


»Meine Herren, was Sie getan haben, ist über alles Lob erhaben. Ich danke Ihnen für die großen Erfolge. Es ist Ihr Werk, daß wir so viel erreicht haben, ich danke Ihnen nochmals!« ...


Dies sind genau die Worte, die Se. Majestät gesprochen, die von dem Großh. Meckl. Major von Klein und von mir gehört und gleich darauf niedergeschrieben sind.

Schwerin, den 29. Oktober 1866.

von Bilguer, Generalmajor.


Desgleichen lasse ich die Abschrift eines Briefes folgen, den der Feldmarschall in jenen Tagen meinem Vater sandte.


»Berlin, den 4. September 1866.


Mein guter Herzenskarl!


Mit Deinem gütigen Schreiben vom 27. v.M. bin ich so glücklich gewesen, die von mir zur Einsicht gewünschten Papiere über Deine ehrenvollen und eingreifenden Gefechte zu erhalten. Ich habe sie mit hohem Interesse gelesen und mit Zunahme von Karten gründlich studiert, und bin zu der wohltuenden Überzeugung gekommen, daß Du, mein guter Neffe, des Namens Deiner Väter würdig bist, woran ich den allerinnigsten Anteil nehme.

Der König, unser sieggekrönter Kriegsherr, wird Dein Verdienst um das Vaterland und die Armee wohl anzuerkennen wissen, und ich bin stolz auf Deine Taten.[100]

Dein guter Schwiegersohn Liliencron hat im Tatendurst sich von seiner Stellung als Ordonnanzoffizier loszumachen gewußt und hat sich mit der Reiterschar dem Feinde entgegengeworfen, und ist der Liebe so glücklich gewesen, eine ehrenvolle Verwundung zu erhalten. Ich freue mich dessen sehr und beneide ihn darum.

Deine liebe Frau und Kinder grüße herzlich. Meine alte Frau ist wohl und frisch und grüßt bestens.

Dein alter Freund

v. Wrangel.«


Den feierlichen Einzug der Truppen in Berlin und Potsdam habe ich selbstverständlich auch miterlebt, habe mit den anderen gejubelt und mit ihnen die begeisterte Stimmung des Tages geteilt. Aber tiefer, überwältigender noch war für mich der Eindruck gewesen, als unsere gelben Reiter, die Allee heraufkommend, auf das Jägertor zu ritten.

Unser Haus lag dicht vor diesem Tor, und ich stand unten auf unserem Balkon. Wenn ich die wilden Weinranken, die sich zu diesem Tage brennend rot gefärbt hatten, zurückschob und mich hinauslehnte, dann konnte ich eine gute Strecke der Allee übersehen, und das Herz klopfte mir vor Jubel zum Zerspringen, wie ich Musik und Pferdegetrappel hörte und die schwarzweißen Fähnlein mir winkten.

Ich entsinne mich sehr wohl, daß es so manche Stunden in meinem Leben gegeben hat, wo ich gemeint habe, das Herz sei viel zu klein, um das Glück in seinem ganzen Umfange zu erfassen, das Gottes Güte uns bescherte. Diese Stunde des Einzuges gehörte auch dazu, und als Oberst Mirus, unser Kommandeur, der das Regiment führte, an meinen Balkon heranritt und mir zurief: »Gnädige Frau, nun bekomme ich Dank, ich bringe Ihnen Ihren Mann gesund zurück«, da fehlten mir die Worte, aber ich glaube, er hat sie doch von meinem Gesicht gelesen. Nun waren sie alle wieder da, unsere gelben Reiter! Wie freudig sie grüßten, wenn sie die Säbel senkten, und wie herzensfroh ich den Gruß erwiderte! Meinem Liebling auf seinem Rappen, dem folgte der Blick natürlich am längsten. Aber ihn hatte ich schon vorher wiedergesehen, denn als Quartiermacher hatte er es möglich zu machen gewußt, sich ein paar Stunden für seine Frau zu erobern. Im Dämmerlicht einer späten Abendstunde war er plötzlich vor mir aufgetaucht, und ehe ich es recht erfassen konnte, was eigentlich geschah, hatte er mich an sich gezogen und in seinen großen Mantel eingewickelt.

Wie waren wir glückselig gewesen! Wenn es auch nur wenige Stunden sein konnten, wir hatten uns doch mit jubelndem Herzen an jeder Minute gefreut![101]

Unser schönes Heim in Potsdam, das Haus, das meinen Eltern gehörte, in dem unser Kind geboren war, mußten wir freilich nun bald verlassen, denn mein Mann wurde nach Nauen versetzt. Aber was tat's, wir drei waren doch zusammen, und unser tief innerliches Glück nahmen wir überall mit. Eine passende Wohnung war in Nauen nicht zu bekommen. Während des Oktobermonats blieb mein Mann in Potsdam, ritt jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe nach Nauen, tat dort seinen Dienst und kam dann heim. Das waren aber täglich zwischen sieben und acht Meilen, die er zurücklegen mußte, und das war auf die Dauer dienstlich und gesundheitlich nicht durchzuführen. So mieteten wir denn in Nauen, was gerade zu haben war, vier Stuben, und fühlten uns auch dort seelenvergnügt.

Nun lernte ich das Leben in einer ganz kleinen Garnison kennen. Außer unserem Hause war es in Nauen nur noch das des Rittmeisters Senfft von Pilsach, in dem die Offiziere verkehrten. Da lebten wir denn zusammen wie eine große Familie in harmloser Gemütlichkeit. Gemeinsam wurden Besuche auf dem Lande unternommen zu Wagen oder zu Pferde, oder wir lasen mit verteilten Rollen, spielten Theater und durchlebten miteinander die kleinen Freuden und Leiden der engen Garnison. Mein Mann und ich hatten dabei auch viel Zeit für uns, trieben Musik, spielten entweder vierhändig oder ich sang, während mein Mann mich begleitete, und abends holte ich mein Spinnrad vor. Das fand mein Mann so besonders gemütlich, und stundenlang konnte er mir dabei vorlesen. An wieviel guten Büchern haben wir uns in jenen Winterabenden allein oder mit den Kameraden erfreut!

Zwei Jahre später kamen wir nach Potsdam zurück und wieder in unser liebes Haus, an dem im Sommer fast jeden Morgen unsere gelben Reiter mit Musik vorbeizogen. Nun kam eine Zeit, die war so voll Freude und Glück, daß ich sie in meiner Erinnerung wie ein sonnendurchstrahltes Bild bewahrt habe. Unser Kind, der kleine blonde Liebling, wuchs frisch und fröhlich auf, wir zwei, mein Mann und ich, konnten das ungetrübte Beisammensein mit warmem Herzschlag genießen, und der harmlose Verkehr mit den Kameraden meines Mannes, wie wir ihn in Nauen gehabt hatten, setzte sich hier fort. Uneingeladen kamen die Herren von unserem Regiment und auch von anderen Regimentern abends zu uns, nahmen fürlieb mit dem, was gerade bei uns auf dem Tisch stand, und bei Musik und zwangloser Unterhaltung verflog die Zeit. Dazu kamen die herrlichen Ritte in die wundervolle Umgebung Potsdams, die Wanderungen mit unserem Kinde durch das nahe Sanssouci und die Freude an unserem kleinen Garten. Das alles zusammengenommen gab jener Zeit einen schimmernden Glanz.[102]

So kam das Jahr 1870, und als wir da so recht im Wonnemonat Mai die Frühlingszeit genossen, wurde mein Mann auf Remontekommando geschickt, und wir mußten uns trennen.

Mein Vater hatte am 10. August 1867 die 18. Division in Flensburg bekommen und war glücklich, wie der bei seinem lieben Holstenvolk zu sein. Die Manöverzeit pflegte ich immer bei meinen Eltern zuzubringen, und der sich daran schließende Urlaub war dann immer regelrecht geteilt worden zwischen Flensburg und Preetz bei Kiel, wo meine verwitwete Schwiegermutter lebte. Einmal aber war statt des Aufenthalts in Flensburg eine wundervolle Reise nach Norwegen eingeschoben, wo wir mit meinen Eltern bis zum Riukanfoß herauffuhren.

In diesem Jahre kam ich nun mit meinem Kinde schon Anfang Juni nach Flensburg, wo uns das vielgeliebte Elternhaus, wie immer, mit offenen Armen aufnahm.

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 97-103.
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