XXV. Auszug aus Feldpostbriefen.

[281] Aus fünf Kriegen konnte ich erzählen, und immer waren es namhafte Truppenführer, die mir nahe standen, auf deren Worte und Aufzeichnungen ich mich stützte und die ich wiedergab, untermischt mit den eigenen Eindrücken der Zeit. Jetzt, bei den sechsten Kriegserinnerungen, will ich kein fortlaufendes Bild des Orlogs entwerfen, will auch keine[281] Truppenführer sprechen lassen, sondern nur Unteroffiziere und Reiter. Aus der Fülle meiner Briefe greise ich einzelnes heraus, um damit zu zeigen, wie die schlichten Söhne unseres Volkes dazumal dachten und fühlten.


Aus dem Bericht des Unteroffiziers Lüth.

6. August 1904.


Wir waren auf 14 Kilometer an den Waterberg herangekommen und mit Freude blickten wir auf die nächsten Tage. Dachten wir doch, die ganze Bande dort zu unterwerfen und kampfunfähig zu machen. Rund um den Waterberg lagen die Abteilungen und hielten durch Patrouillen Verbindung. Von uns war zurzeit Leutnant von Bodenhausen unterwegs, sollte aber noch gegen Abend zurückkehren.

Gegen 8 Uhr, es war bereits stockfinster geworden, traf im Lager der Reiter Fischer mit dem am Fuß verwundeten Gefreiten Balz ein. Er meldete: »Unsere Patrouille ist gegen Mittag von allen Seiten zugleich überfallen und gänzlich abgeschossen. Wie wir uns umstellt sahen, befahl Leutnant von Bodenhausen den Rückzug. Da habe ich den verwundeten Gefreiten in das dichte Gebüsch geschleppt und mich dann nach seitwärts mit ihm entfernt. Von den Kameraden habe ich nichts mehr gesehen.« Das war geradezu erschütternd, als wir diese Meldung hörten.

Hauptmann Fiedler befahl, uns sofort marschbereit zu machen, um den vielleicht noch Lebenden zur Hülfe zu eilen. Um Mitternacht rückten wir ab, etwa 100 Gewehre und die Halbbatterie mit zwei Geschützen. Reiter Fischer, der sich wieder aufgerafft hatte, führte uns.

Es war eine dunkle, sternlose Nacht, und schweigend ritten wir alle, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Wer hätte es ahnen können, daß für die Kameraden, mit denen wir noch vor etlichen Stunden so vergnügt zusammengewesen waren, diese Patrouille ein Todesritt werden sollte. Ja, nun kam der Ernst für uns, heute rot, morgen tot; das ist im Kriege nicht anders.

Keiner von uns dachte an den Morgenkaffee, denn unwillkürlich drängte nur jeder vorwärts, um zu helfen, wenn noch etwas zu helfen war.

Die Ruhepausen, die wir uns gönnten, waren auf das knappste bemessen, sie wurden nur eingeschoben, damit die Tiere sich etwas verschnauften. Endlich ging die Sonne auf, und nun konnte man um sich sehen.

Wenige Minuten später bot sich uns ein schrecklicher Anblick, den wohl keiner vergessen wird, der ihn erlebte. Sechs Tote lagen nackend[282] nebeneinander auf der Pad zusammengeschleift, der Witboi als erster, dann der Leutnant und vier Reiter. Allen waren die Hände abgeschnitten, ihre Körper verstümmelt und zerschnitten. Es war grauenhaft anzusehen. Die Geschütze wurden aufgefahren, Reiter deckten die Stellung, während die anderen Kameraden die Gräber schaufelten. Nun wurden auch die übrigen Leichen gefunden, die einzeln im Gebüsch umherlagen. Sie waren sämtlich verstümmelt, und zwei sogar gänzlich ausgeweidet. Zwei Schwarze lagen dort, die wir als Christen auch beerdigten.

Als nun unsere Kameraden zur letzten Ruhe gebettet und ein stilles Gebet über ihr Grab gesprochen war, verwandelte sich in unseren Herzen der tiefe Schmerz über den traurigen Verlust unserer Kameraden in heiße Empörung ob solcher Freveltat. Ich glaube, ein jeder gelobte still bei sich, für die so schmählich verstümmelten Kameraden einzutreten mit Blut und Leben in diesem mörderischen Kriege. Jeder sprach ein stilles Vaterunser an den Heldengräbern, bevor er die Stätte verließ.

Traurig bewegte sich unser Zug nach den Osondjachabergen zurück. Nur wenige von uns sprachen, jeder weilte mit seinen Gedanken bei den eben zur Ruhe gebetteten Kameraden. Wer konnte ermessen, welche Qualen ihnen noch vor ihrem Tode bereitet waren! Diese Sorge quälte uns, denn die alten Afrikaner schilderten uns die Hereroweiber noch grausamer als die Männer. Nach Aussage der Gefangenen wurde später festgestellt, daß es wirklich Weiber gewesen, die die Verwundeten erst gequält, verstümmelt und dann totgeschlagen hatten.

Auf dem schweigsamen Ritt stand mir immer wieder der Tag vor Augen, als Freiherr von Bodenhausen nach Omarasa zu unserer Patrouille kam und mit seinen Reitern bei uns blieb. Wie freute er sich an unserer afrikanischen Behaglichkeit, und wie stolz waren wir, unserem allgemein so beliebten Leutnant Gastfreundschaft bieten zu können. Die herzliche Leutseligkeit und der schneidige Frohmut des Leutnants hatte ihm unsere Herzen gewonnen.

Wir alle wußten es hoch zu schätzen, daß Freiherr von Bodenhausen auch uns, seinen Untergebenen, eine Kameradschaft bewies, wie man sie nicht größer und schöner denken kann. Jeder einzelne von uns hätte sich aber auch keinen Augenblick besonnen, für den vielgeliebten Offizier sein Leben einzusetzen.


Ganas, 10. Oktober 1904.


Heute bin ich imstande, einen Brief zu schreiben, da ich von einem Kameraden einen Briefbogen erhalten habe. Ich erfreue mich noch guter Gesundheit, aber meine eiserne Kraft, um die ich in der Garnison oft[283] beneidet wurde, ist infolge der Strapazen sehr vermindert, nun, ich werde mich schon wieder erholen. Ich bin bei harter Arbeit doch ganz zufrieden.

In letzter Zeit haben sich mehrere buschkriegerische Erlebnisse abgespielt in unserer Kompagnie, welche leider oft sehr traurig waren.

Bei einer Expedition, um mit Rietfontein Verbindung aufzunehmen, ging es uns schlecht. Munitionswagen und 2 Geschütze blieben etwa 90 Kilometer von Otjimanamgombe im Epukirotal stehen. Mit großen Verlusten an Eseln und Pferden kam endlich der größte Teil der Truppen an eine Wasserstelle. Etwa 30 Mann, die am weitesten zurück waren, wären verdurstet, wenn nicht der liebe Gott Hülfe gesandt hätte und es regnen, uns auch schließlich noch eine spärliche Wasserstelle finden ließ. Etliche der Reiter hatten in der Verzweiflung schon den verendenden Tieren die Kehle aufgeschnitten und das Blut getrunken. An der Wasserstelle waren nur wenige noch so rüstig, um mit mir Wasser schöpfen zu können. Es kamen aber alle zu sich, nur einer starb ein paar Tage darauf. Mein Falbe, den ich einem fußkranken Unteroffizier geborgt hatte, ging kurz vor dem Ziel ein. Ich habe das Tier von Anfang des Krieges geritten, es hatte nie versagt und war mir wie ein guter Kamerad, mit dem ich so manches Mal das letzte Stück Brot und den letzten Schluck Wasser geteilt hatte. Ich mußte mich abwenden und die Zähne zusammenbeißen, als ich hörte, daß das Tier eingegangen sei.

So herzlichen Dank für das Paket. Es hat mir so wohlgetan, denn damals war gerade der Proviant nicht durchgekommen und es ging riesig knapp zu.

In Treuergebenheit

Unteroffizier Lüth.


Ein Zusatz für obigen Brief aus einem späteren Bericht des Unteroffiziers Lüth über die Expedition.

Hauptmann Klein ritt mit vier Reitern, die noch die frischsten Pferde hatten und sich freiwillig meldeten, schneller voran, während der Oberleutnant, so rasch es die Kräfte von Mann und Pferd erlaubten, folgen sollte. Der Leistungsfähigkeit meines Falben verdankte ich es, daß ich unseren Hauptmann bis zum letzten Endpunkt begleiten durfte.

Die Hitze wurde immer unerträglicher, dunstigblau war der Himmel, und die blendende, sengende Sonne zehrte förmlich an den Kräften von Roß und Reiter. Ebenso tot und einförmig wie die Gegend gestern vor uns gelegen hatte, erschien sie uns auch heute, aber wir kümmerten uns nicht darum, wir hatten nur das drängende Verlangen, vorwärts zu kommen und Rietfontein zu finden, wohin der Feind ausgewichen war.[284]

Nachdem wir etwa 15 Kilometer geritten, wurden zwei Pferde schlapp. Die Reiter mußten umkehren und sollten der Abteilung den Befehl bringen, daß, wenn der Hauptmann bis 4 Uhr nachmittags nicht zurück wäre, der Oberleutnant die Leute zurückführen solle.

So ging der Ritt zu dreien weiter. Nirgends war Wasser, die Fußspuren hörten auf, und totes Vieh war ebenfalls nicht mehr zu sehen. Es erschien uns als ein Zeichen, daß die Hereros hier nicht weiter vorgedrungen waren.

Unterdessen war es Mittag geworden, wir hatten von der Stelle an, wo die Reiter umgekehrt waren, wieder zwischen 25 und 30 Kilometer zurückgelegt. Bisher waren wir in nordöstlicher Richtung geritten, jetzt machte das Rivier eine Biegung nach Süden. Auf der linken Flußseite lag eine Anhöhe vor uns. Wir stiegen von den Pferden und gingen hinauf. Was hing für uns davon ab, ob dort oben etwas zu erspähen war, das uns Hoffnung geben konnte!

Nun standen wir oben, die Gläser an den Augen und spähten – spähten! Nichts anderes sah man als eine starre Einförmigkeit, eine endlos öde Fläche, die durch nichts anderes als das flimmernde Sonnenlicht belebt wurde. Keine Wasserstelle war zu entdecken, und wo war Rietfontein?

Es war eine beredte Sprache, als wir einander stumm ansahen und schweigend die Höhe hinabgingen. Die letzte Hoffnung, zu der wir uns aufgeschwungen hatten, war zusammengesunken, es ging tatsächlich eine Höhe hinab, ins Elend hinunter.

Aber nun galt es den Kopf oben zu behalten und Gott zu vertrauen, der noch durchhelfen konnte. Unsere Pferde fingen an matt zu werden, das zwang zur Umkehr.

Gegen Abend erreichten wir die Abteilung. Sie war, nachdem wir sie verlassen, noch etwa 10 Kilometer weiter vorgerückt und hatte an den hohen felsigen Rändern des Flußbettes vor der Gluthitze Schutz gesucht. Die Pferde und Esel standen auf einem schönen Grasplatz, aber sie fraßen nicht, sondern lagen todmüde hinter den Sträuchern. Die Maultiere brüllten vor Durst, und die Mannschaften, die sich mit Woilachen gegen die brennende Sonne zu schützen suchten, waren meist kraftlos zusammengesunken.

Hauptmann Klein ließ drei Kanonenschüsse abfeuern, sie sollten als Signalschüsse dienen, falls Rietfontein in der Nähe läge. Dröhnend verhallte der dumpfe Schall in der Weite, aber keine Antwort kam, alles blieb still, kein menschliches Wesen war zu entdecken.

Als es kühler geworden, traten wir den Rückzug an. Die Tiere waren so matt, daß sie die Geschütze nicht mehr vorwärts brachten, der[285] Munitionswagen mußte stehen bleiben, um die Bespannung noch vor die Geschütze zu legen. Langsam und mühsam ging es weiter, nach einem Marsch von etwa vier Stunden verweigerten die dem Verdursten nahen Tiere jedes Vorwärtsgehen, und notgedrungen mußten die Geschütze stehen bleiben, die Protzen wurden zum Fortschaffen marschunfähiger Leute gebraucht. Hauptmann Klein ritt voraus, um Wasser entgegenbringen zu lassen.

Am 26. Oktober waren wir ausgerückt, am 1. November langten wir in Oz-Ombu an. Bei dem Ritt mit Hauptmann Klein hatten wir bei spärlichem Proviant und sengender Hitze hin und zurück in 40 Stunden etwa 160 Kilometer zurückgelegt.


Aus einem Brief über das Gefecht bei Grotz-Nabas.

Am Abend des 2. Januar 1905 bekamen wir auf unserem Marsch um 6 Uhr Feuer. Die Hottentotten waren so schlau, ließen die kleine Spitze durch, und das erste Geschütz ließen sie direkt in ein Hufeisen hineinfahren.

Ein Blick nach rechts und links genügte. Raus aus dem Sattel – abgeprotzt! Geschütz ward geladen, entsichert und abgezogen – und dann mit einer Kartätsche. Das genügte und die Linie war frei. Zugleich kam die Spitze retour, die ganze Bespannung war totgeschossen. Da kommandierte Major von Nauendorf: »Aufprotzen! Batterie vor!«

Der Feind zog sich zurück bis ans Auobrivier. Der Major stand am dritten Geschütz und sagte: »Wo sind die Kerls, ich sehe ja gar keine«, mit einmal langte er sich nach der Brust und fiel um. Er war getroffen, wurde gleich in den Schatten gebracht und verbunden.

Herr Leutnant Semper fand seinen Tod, Herr Leutnant Zwicker wurde vor Durst wahnsinnig. Der Adjutant Oberleutnant Lautenschläger kam der Batterie zu Hülfe, den einen Arm in der Binde. Der Feind verteidigte sich hartnäckig. Die Ochsenwagen waren hinter der Schützenlinie als eine Wagenburg aufgefahren, da wurden die Verwundeten hingebracht.

Abends wollte uns der Feind stürmen, denn die dachten, daß wir schlafen und nie Wache ausgestellt haben, aber die haben wir gleich empfangen.

Die Nacht verging, ab und zu fiel ein Schuß, der so einsam durch die Luft hallte. Geschlafen habe ich die ganze Nacht nicht, und das wird wohl keiner getan haben, immer aufgepaßt. Ich hatte schon einen verdammten Durst, ich glaube wenigstens, daß ich darum nicht geschlafen habe, denn es waren immer welche kommandiert als Posten, und die übrigen hatten ein bißchen einduseln können. Ich dachte so bei mir, der[286] Feind zieht sich zurück in der Dunkelheit, mein Erstaunen war groß, als am nächsten Morgen lebhaftes Feuer wieder anfing.

Da hieß es: Artilleriemunition sparen. Wir mit den Karabinern geschossen. Die Witbois müssen viele englische Munition gehabt haben, denn sie schossen viel mit Dum-Dum, die klatschten immer so in der Luft, es hörte sich doll an. Vom Feinde haben wir wenig gesehen, denn wie ich später sah, haben sie alle in einer tiefen Schlucht gelegen. Wir lagen alle auf einer Fläche, ein paar Klippen zusammengetragen, das war unsere Deckung.

Es wurde immer heißer und es stellte sich ein unangenehmer Gast bei uns ein, der Durst.

Herr Leutnant Bockelmann stürmte im Wahnsinn allein gegen den Feind, und so noch viele mehr.

Die Witbois riefen ganz deutlich: »Dütschmann, Water hier stief!« (viel). Und das wiederholten sie immer.

Wir baten die Herren Offiziere, wir wollen die Wasserstelle stürmen, denn so zieht sich der Feind doch nicht zurück aus seinem Versteck. Aber Major Meister meinte, das Stürmen koste so viel Leute.

Abends zogen wir uns zurück, denn in unserer Stellung konnten wir es nicht aushalten, wegen der toten Tiere, denn der Geruch war bös. Erst wurden langsam die Geschütze zurückgebracht, und die Kompagnien kamen unbemerkt nach. Abends hörten wir einen Krawall bei dem Feind, wie es sich später herausstellte, hatten sich die Hereros mit den Witbois erzürnt und sind am selben Abend abgezogen.

Langsam kam der dritte Tag. Am Mittag wurde uns die Sache doch zu bunt, wir noch einmal den Herren Offizieren gesagt, daß wir noch Kraft genug besitzen zum Stürmen. Herr Oberleutnant Grüner von der 7. Kompagnie und Hauptmann Richard von der 4. Kompagnie, beide ein paar Helden, waren damit einverstanden, hauptsächlich Oberleutnant Grüner, der wurde bei der ganzen Abteilung verehrt.

Ich hatte schon vier Pferde vom Artilleriestab mit Erlaubnis des Oberleutnants Lautenschläger etwas in Deckung gebracht, weil unsere Bespannung tot war. Ich gehe schon zurück, spanne die Pferde ein vor der Protze, mache alles zurecht, denn eine Stimme sagte mir, heute muß noch was geschehen, wenn wir uns nicht selbst opfern wollen. Da höre ich auch schon sagen: »Alles fertig machen zum Sturm.«

Mittlerweile gingen die Kompagnien im Sturm mit Hurraruf vor, ich brachte die Protze vor, aufgeprotzt und Galopp nach!

Diesen Augenblick vergesse ich nie, mir war so wohl, ich glaube, es war die Freude um Wasser, daß wir den Durst stillen können. Herr[287] Oberleutnant Grüner war mit seiner Kompagnie an der Wasserstelle, und wir gaben noch einige Bohnen aus dem Geschütze nach zum Gruß. Ich habe so viel Wasser getrunken, ich hatte solche Bauchschmerzen! Die Wasserstelle war schwer erkauft, unsere 5. Batterie hatte die meisten Toten Am 6. Januar 1905 zogen wir wieder zurück nach Stamprietfontein, unsere Batterie hatte alle Leichen wieder ausgebuddelt und nach Gochas gebracht. Ehre ihrem Andenken!

Danke auch vielmals für die Gratulation zum Militärehrenzeichen. Unterzeichne mich hiermit ganz ergebenst

Gefreiter Bröcker.


Gefecht bei Kowisekolk
vom 4. April 1905.

Haruchas, 15. April 1905.


Eine Patrouille hatte die gesamten Witbois, an vier Vleis zwischen Nossob und Elefantenfluß sitzend, festgestellt. Hauptmann Manger machte sich mit unserer Abteilung auf den Weg dorthin, 1. und 2. Kompagnie und 7. Halbbatterie. Zu jedem Geschütz waren 16 Esel und 20 Ochsen, die abwechselnd angespannt wurden. Wir hatten eine Strecke von 70–73 Kilometern zurückzulegen, und in der Strecke waren 105 hohe Dünen zu übersteigen, von denen eine jede 40–50 Meter hoch war, dabei nirgends Wasser.

Wir treckten am 4. April vom östlichen Ufer des Auob ab bis an die zwölfte Düne. Hier blieben wir, tränkten das Vieh im Auob und treckten am 5. abends weiter, wir waren 280 Gewehre, 2 Geschütze und die Ochsen- und Eselkarren mit Wasser beladen. Am 6. lagerten wir 10 Dünen hinter dem Elefantenfluß, hatten demnach 56 Dünen überschritten. Am 7. früh gelangten wir an das Vley, wo Hendrik Witboi sitzen sollte. Es war eine tiefe Mulde, die nur zur Regenzeit Wasser enthält. Jetzt war nur Schlamm darin und kleine Wasserpfützen. Wir jagten in Attacke durch und auf die 200 Pontocks los, die um das Vley lagen. Es waren nur noch wenige Bewohner darin, 10–15 fielen, einige 20 wurden gefangen. Das Vley tauften wir »Prophetenvley«.

Wir lagerten am 7. fünf Dünen westlich vom Vley. Als nachmittags 3 Uhr einige Leute ohne Erlaubnis ans Wasser gegangen waren, fielen plötzlich 12–15 Schüsse und gleich darauf eine ganze Reihe von Schüssen. Im Nu war gesattelt, mein Zugführer Leutnant Wimmer, ein schneidiger Offizier, ritt sofort mit seinem Zuge zur Attacke vor. Ich verlor dabei den Woilach und stürzte mit dem Sattel über den Kopf des Pferdes. Aber im Nu hatte ich wieder gesattelt, saß drauf und kam[288] zusammen mit unserem Zug zur Attacke vor. Mein Leutnant bekam einen Schuß in den Kopf, wie er uns eben an den Feind brachte. Mit ihm fielen zwei Reiter, und sieben Pferde wurden erschossen.

Es wurde gleich abgesessen und das Feuergefecht aufgenommen. Wir waren bis auf 30 Schritt an den Feind heran. Von den Reitern der gestürzten Pferde waren fünf verwundet, von denen zwei noch starben. Ich sah, wie zwei Hottentotten, die direkt auf mich eindrangen, von meinen Schüssen fielen. Ein Gefreiter, der einen Kopfschuß erhalten hatte, lag etwa drei Schritt vor der feindlichen Schützenlinie. Da sagte der Oberveterinär, der links von mir stand: »Wir müßten wohl den Verwundeten zurückholen«, und ich rief ihm gleich zu: »Ich komme mit.« Da taten wir es sofort. Ich hatte das volle Gefühl, mich kann keine Kugel treffen, es war, als ob mir eine innere Stimme das Wort zurief, das ich kürzlich gelesen: »Fürchte dich nicht, ich bin mit dir.«

Am 7., gleich nach dem Gefecht, begruben wir unsere vier Toten. Mein Leutnant sah aus, als ob er noch eben Hurra jubelte. Um 8 Uhr traten wir den Rückmarsch an und kamen bis 30 Dünen östlich des Elefantenflusses. Major Meister hatte uns einige Wasserwagen entgegengeschickt. In der Nacht vom 8. zum 9. kamen wir bis hinter den Elefantenfluß. Da erwartete uns ebenfalls Wasser, Hauptmann Bech kam aus Gochas mit einer Eselskarre voll Wasser, sogar seinen eigenen Blechkoffer hatte der Hauptmann zur Verfügung gestellt. Von hier wurde alles Vieh nach dem Auob getrieben und getränkt. Am 10. kam es zurück, und am 11. ritten wir in Haruchas ein. Am selben Tage schrieb ich schon die Karte über das Gefecht. Diese Expedition, die jeder alte Afrikaner für unmöglich hielt, wurde nun doch durchgeführt.

Jetzt habe ich auch Pakete erhalten. Ich weiß gar nicht, wie ich danken soll für alle Liebe und Güte.

Getreu in Ergebenheit

Unteroffizier Lüth.


Grootfontein, 4. September 1905.


Seit dem 4. bin ich mit einem Vizefeldwebel zusammen in Grootfontein stationiert. Wir wohnen in einem schönen Hause, das noch gut erhalten ist, und haben uns ganz behaglich eingerichtet. Zwei eiserne Bettgestelle mit Säcken ausgelegt, in denen schläft es sich ganz anders als immer auf der Erde. Einen Tisch haben wir uns gemacht, und drei eiserne Gartenstühle, von denen das Holz heruntergebrannt war, habe ich mit Draht überzogen und mit Blech belegt. An den Wänden habe ich Kleiderriegel gemacht, die ich zwischen dem Schutt der niedergebrannten[289] Farmen fand. Hier sind nämlich bis auf zwei Häuser alle niedergebrannt, nur die Mauern stehen.

Einen Abreißkalender habe ich gemacht und für jeden Tag den Spruch geschrieben, der in meinem Buche steht. Am Fenster habe ich einen Blumentopf mit blühenden Kakteen, die habe ich aus dem Felsgeröll geholt, wo viele stehen. Ein paar Blumen davon lege ich ein.

Damit jeder weiß, daß Sonntag ist, werden wir vor dem Morgenkaffee einen Choral singen, und zwar: In allen meinen Taten.

Die besten Grüße sendet

Ihr treuergebener

Unteroffizier Lüth.


Grootfontein, 16. September 1905.


Ganz gemütlich saßen wir heute vormittag noch zusammen, als plötzlich ein Reiter eintraf. Meldung: »Sofort Station Tourloisie und Plattfontein nach Grootfontein heranziehen. Morgen marschiert der Stab mit der Kompagnie ab über Maltahöhe nach Gibeon.«

Ich ritt sofort ab, überbrachte den beiden Stationen den Befehl. Wir sollen bei dem Marsch das Hudop- und Kutiprivier aufklären. Eine Klippenpartie wird es wieder werden, unsere Pferde werden daran denken. Die gefangenen Hottentotten müßten eigentlich alle Klippen auf Haufen sammeln zur Strafe für ihre Schandtaten.

Der 30. August bleibt auch gewiß zeitlebens im Gedächtnis unsere Kompagnie. Da sind wir bei stockfinsterer Nacht den Schwarzrand heruntergeklettert in vier Absätzen von ungefähr je 300 Meter, nachdem die Truppe bereits zwei Tage ohne Wasser war. Früh 8 Uhr kamen wir in Kleinfontein an. Bei dem Abstieg hatte jeder mit sich allein zu tun, das Pferd mußte am langen Zügel sich selbst überlassen bleiben, aber es gelang tadellos. Major von Estorff führte uns und ging voran. Hier auf der Station haben wir uns von den Strapazen erholt. So der liebe Gott will, ist bald Schluß und wir kehren zur Heimat zurück. Oh welche Freude wird das sein. Die besten Grüße sendet

Ihr treuergebener

Unteroffizier Lüth.


Persip, 18. Oktober 1905.


Vor einiger Zeit wurde mir auf Patrouillenritt mein Pferd unter dem Leibe erschossen, alle meine kleinen Schätze mußte ich in der Satteltasche den Hottentotten überlassen, um auf einem ledigen Esel fortzukommen. Nur ein Andenken aus der Heimat, das mit mir schon ganz Afrika durchquert[290] hat, mußte mit, und wenn es gleich das Leben gekostet hätte. Jetzt mußte ich mich aber krank melden, Herzmuskelschwäche ist konstatiert.

Nun kam ich nicht mal mit der Kompagnie weiter, um es den Kerlen heimzuzahlen. Vielen Dank für die Briefe, sie sind so tröstlich, wenn man sich elend fühlt. Meine Kameraden können nun weiter zum Kampf, können Gefahren bestehen, und ich liege hier und kann nicht mehr mit. Ich bin ganz traurig, aber die Worte der Briefe trösten mich und geben mir wieder Mut.

Ihr treuergebener

Unteroffizier Lüth.


Gefecht bei Hartebeestmund
vom 24. Oktober 1905.

Lüderitzbucht, 3. März 1906.


Leutnant von Bojanowski hatte am 24. Oktober mit seinem Zuge die Spitze und war fast auf die Höhe des von Morenga besetzten Berges, als auf uns von drei Seiten ein starker Kugelregen einsauste. Sich hinlegen und das Feuer erwidern, war das Werk eines Augenblicks, und doch fielen schon dieser und jener, der eine tot, der andere verwundet. So auch ich. Nachdem ich die ersten beiden Schuß im Stehen in beiden Beinen erhalten und zusammenbrach, lag ich vollkommen frei, den feindlichen Kugeln von allen Seiten ausgesetzt. Ich feuerte, nach vorn hin hielt ich meinen Gegner in Schach, doch von der Seite erhielt ich noch zwei Schuß durch das Gesäß. Die Kugeln schlugen in Unmenge in nächster Nähe bei mir ein und schütteten mir öfter die Brille voll Sand. So liegend sah mich unser Hauptmann Ritter, er rief seiner Gefechtsordonnanz zu und hielten die beiden durch wohlgezieltes Feuer die mich Beschießenden in Schach.

Nun lag ich ziemlich sicher und konnte um mich sehen; links von mir nur Tote, rechts Verwundete. Da hörte ich in der Linie der Hottentotten rufen: »Die Lütnant tot!« Ich sah nach unserm dritten Zug, der Leutnant von Bojanowski war nur verwundet und feuerte tapfer weiter. Doch muß die Verwundung sehr stark gewesen sein, denn sein Bursche Hennkies lief zu ihm, faßte ihn, um ihn zurück in Sicherheit zu bringen. In den Armen seines Burschen erhielt dann der Leutnant, ebenso wie dieser den tödlichen Schuß in den Kopf. Beide fielen, sich fest umfaßt haltend, tot in die Klippen. So endete deutsche Treue mit deutscher Tapferkeit. Allgemein betrauert wurde der bei allen so geliebte und geachtete Offizier.[291]

Doch nun will ich für heute schließen, indem ich Ihnen für Ihre lieben Briefe nochmals danke. Ihrer stets gedenkend bin ich mit den besten Grüßen der Ihre

Reiter Zimmermann.


Ein Abschnitt aus einem Lazarettbrief.

Kub 1906.


Wollen Ew. Hochwohlgeboren den herzlichsten Dank für die gesandten Blätter und Grüße für unsere Braven im Lazarett entgegennehmen. Bei der Verteilung der Blätter an die Kranken habe ich von den Leuten mit so dankbarem Herzen sprechen hören, daß ich auch nicht anders kann, als in Ihnen die Frau zu erblicken, welche die Liebe für Kaiser und Reich bei unseren Braven der Schutztruppe fördert und begeistert. Ich wünschte, Ew. Hochwohlgeboren könnten mal hören, mit welcher Begeisterung selbst von den Kranken im Bette unsere deutschen Lieder, insbesondere die »Kriegsklänge« gesungen werden. Im Gesange selbst würden Ew. Hochwohlgeboren den schönsten Dank unserer tapferen Reiter empfinden. Es ist herzergreifend und wirkt wohltuend, erfrischend auf Geist und Gemüt. Oft genug ist mir Gelegenheit geboten, an den gemeinsamen Gesängen teilzunehmen, und hierbei kann ich die Stimmung so gut beobachten. Selbst diejenigen, welche gewöhnlich das Gute in den Schmutz zu ziehen versuchen, verstummen ja bald und singen schließlich mit. Auch Tränen der Wehmut kommen dabei vor, zu schämen braucht sich aber keiner solcher Tränen, denn sie zeugen nur von großer Liebe zur deutschen Heimat. Wenn man sieht, welchen Entbehrungen und Strapazen unsere Braven hier unterworfen sind und dennoch mutig, hoffnungsvoll, tapfer und siegesbewußt darauf losgehen und aushalten, so lacht einem das Herz im Leibe. Deutschland kann stolz auf seine Söhne sein, und nicht etwa, daß nur der einfache Reiter den Entbehrungen und Strapazen unterworfen ist, nein, der Offizier noch viel mehr, da derselbe schon an und für sich eine bessere Lebensweise von Hause aus gewöhnt ist und dennoch dasselbe durchzumachen hat wie der Reiter. Von Mannschaften habe ich wiederholt gehört, daß Offiziere aus eigenen Beständen ihr Letztes mit den Reitern geteilt haben.

Doch genug des Geschreibsels, es trieb mich die Dankbarkeit dazu, Ihnen, allverehrte gnädigste Frau, etwas vom Lazarett zu berichten. Ich bitte gehorsamst, die herzlichen, ehrfurchtsvollen Grüße entgegennehmen zu wollen. In treuer Dankbarkeit zeichne ich sehr ergebenst und hochachtungsvoll

B.P., Zahlmeisteraspirant.


Ernstes Wort.

[292] Wir hielten Treu' in Kampf und Not,

Die blut'ge Treue bis zum Tod,

Davon könnt' ich wohl vieles dichten,

Von großen Siegen kann ich nichts berichten,

Doch dürft' ihr uns darob nicht schelten,

Laßt schlechtes Reden dort nicht gelten.

Glaubt mir, wir stehn hier unsern Mann,

Es tut ein jeder, was er kann.

Hier gilt die Tat und nicht das Wort,

Kein'n Witboi jagt das Reden fort.

Den Blick nach oben und das Herz, die Hand

Mit Gott für König und für Vaterland.


Reiter L., Signalist.


Der deutschen Frau.

Gib uns deine milde Hand,

Von der Mutter Hand gerissen,

Wandeln wir in Finsternissen,

Kinder durch ein fremdes Land.


Manchmal, wenn es dunkel war,

Schenkte eine Heimatweise

Deiner Stimme wunderbar

Licht und Trost der langen Reise.


Wandrer ohne Ziel und Pfad

Irren wir in dunklen Weiten,

Wolle Gott uns gnädig leiten,

Bis der große Morgen tagt.


Sergeant Bertram.


Windhuk, Sonntag, 4. Februar 1906.


Wie ist's gekommen?


Wie ist's gekommen, daß der Dornenhang,

In Purpurgold erschauernd, stumm dasteht?

Wie ist's gekommen, daß ein neuer Klang

Und neue Kraft mir Herz und Seel' durchweht?

Wie ist's gekommen, daß mein finstres Herz

Auf Hoffnung schwebet und im Kummer lacht?

Es sorgte für mich ein edles Herz,

Und dessen Sonnenstrahlen haben's vollbracht.


Unteroffizier Lüth.

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 281-293.
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