Schluß.

[310] Nun bin ich wieder in Charlottenburg, in der Heimat meiner Kinderzeit, mache meine Morgenspaziergänge in dem Charlottenburger Schloßgarten, für den ich als Kind solche schwärmerische Liebe empfand, und wandere durch Lützow an dem Hause vorbei, wo ich geboren bin. Ganz verträumt kann mir dabei zu Sinn werden, denn lebenswarm steigen unzählige große und kleine Erinnerungen aus längst entschwundenen Jahren vor mir auf.

Vorn auf dem Steinbalkon mit der breiten Freitreppe saßen abends die »Erwachsenen« und schauten zu, wie wir junges Volk uns auf dem freien Platz davor unter den Bäumen herumtummelten.

Dem Großvater konnte es wohl manchmal zu viel werden, dieses jauchzende Lärmen der Enkelschar, aber die Großmutter hatte ihre helle Freude daran.

Noch stehen vier der alten Bäume vor dem Hause, die anderen sind hinüber. Das tiefe, höhlenartige Loch in der einen Linde, der prächtige Versteck von damals, ist auch nicht mehr vorhanden, das Loch ist mit Lehm verschmiert und vernagelt. Im Garten ist alles verändert, da habe ich mich vergebens nach dem dichten Weidengestrüpp umgesehen, meiner Burg aus der Kinderzeit. In dies grüne Nest zog ich mich zurück, wenn ich Sonntags stundenlang mit den anderen gespielt hatte, allein mußte ich dann eine Weile sein, ganz allein, erst dann konnte ich nachher wieder lustig mit den anderen tollen.

Wie diese Kindheitsneigung mich doch durch mein ganzes Leben begleitet!

Ebenso verträumt, ebenso von Erinnerungen umdrängt ist mir zumut, wenn ich in Potsdam bin. Eine glückselige, wonnevolle Zeit war das, Bild reiht sich an Bild, und ich habe sie alle so lieb, so lieb! Noch[310] einmal durchlebe ich das Große, das Schöne und das Schwere, wenn ich die Räume in unserem Potsdamer Hause durchschreite, in denen sich für uns so viel Bedeutungsvolles abgespielt hat!

Wunderbar, wie treu man durch alle Jahre hindurch festhalten kann, was uns teuer war; da ist von keinem Verblassen die Rede, und kein Vergessen breitet seine Schleier über Vergangenes; was einst unser war, bleibt im Geist unveräußerlich unser Besitztum, lebensvoll ersteht es vor uns und winkt und grüßt! – – – Ja, winkt und grüßt! Das ist die Sehnsucht nach dem, der uns das Liebste auf der Welt war. Diese Sehnsucht schwindet auch nicht, neben aller segenspendenden Arbeit, neben allem daseinsfrohem Empfinden geht sie still neben her, und ich möchte sie auch nicht missen, sie gehört zu dem engen Band, das mich mit den teuren Heimgegangenen verknüpft.

Mein Heim in Charlottenburg mit dem prachtvollen Blick auf den Lietzensee, geschmückt mit allen den Afrikaerinnerungen, hat einen eigenartigen Zauber. Das »Märchenheim« nennen sie es. Nun, wenn alle die Dinge, die mein Heim umschließt, auch keine Märchen erzählen können, so hat doch fast alles seine eigene Geschichte.

Meinen kolonialen Interessen bin ich jetzt näher gerückt, das erleichtert, besonders für meine Büchereien, die Arbeit. Ein anregender geistiger Verkehr hat sich auch hier rasch entwickelt, der sich in den Nachmittagsteestunden abspielt, fast immer nur im engsten Kreise.

Mit meinen Stellvertreterinnen in Posen bin ich im regen Briefwechsel und viermal bin ich im Winter auf acht bis zehn Tage dort, um alle Sitzungen zu erledigen, meine Horte zu besuchen, bei den Volksaufführungen zu sein und, so viel es die Zeit erlaubt, liebe alte Bekannte aufzusuchen.

So rollt das Leben weiter, und wenn ich alles zusammenfasse an Freud und Leid, was an mir vorüberzog, so kann ich nur die Hände falten und danken für den reichen Segen, den Gott mir zuteil werden ließ. Auch die bittersten und schmerzlichsten Stunden, die ich durchzukämpfen hatte, möchte ich nicht aus meiner Erinnerung streichen; aus ihnen erwuchs immer festeres Gottvertrauen, stärkere Willenskraft und ein freieres Schaffen, denn die kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens verloren mehr und mehr ihren störenden Einfluß. Zugleich aber lernte man auch durch die trüben Zeiten das Leid anderer tiefer verstehen und konnte sie, gestützt auf eigene Erfahrungen, besser trösten und aufrichten. Sonne und Liebe hat nie in meinem Leben gefehlt, das gab den glücklichen Zeiten ihren Glanz und durchstrahlte die trüben Tage. Daher ist mein Herz auch voll Dank für die Meinen und für alle, die mir[311] nahe standen und mir treue Liebe entgegenbrachten. Gottes Segen über sie!

Was ich nun noch für einen Wunsch habe, meine eigene Person betreffend? Auch das will ich sagen:


Laß mich nicht wie die welken Blüten

Langsam sterbend, müde vergehn,

Gott wolle mich davor behüten,

Kein mattes, stumpfes Untergehn.


Laß mir den Flug zu lichten Höhen,

Laß mir des Herzens heißen Schlag,

Laß frisch mich in der Arbeit stehen

Mit hellen Augen Tag um Tag.


Laß nicht das Leben, zum Schaffen gegeben,

Trübe versickern im schlammigen Sand,

Laß mir das fröhliche Aufwärtsstreben,

Laß mich dann sterben, den Pflug in der Hand.[312]

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 310-313.
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