Vorwort.

Der Mensch gebiert viel mehr dumme als gescheidte Gedanken. Wer die ersteren alle heraus und drucken lassen wollte, verdiente, ein zweiter de la Tude, wenigsten 46 Jahre in einer Bastille brummen zu müssen. So dumm bin ich nun nicht gewesen. Ob aber der Gedanke, das Buch: »Aus dem Leben eines Musikers« zu veröffentlichen, nicht auch unter die dummen gerechnet werden wird, ist eine Frage, die mein Gemüth lange schon ängstlich durchzittert! Der Titel schon kann zu Erwartungen verleiten, die in diesem Bande gar nicht erfüllt werden sollen, sondern erst im zweiten, wie die Vorrede dazu überraschend darthun wird. Der gegenwärtige bringt zum größten[5] Theil nur literarische Kinder, die ich fast alle schon vor Jahren – (einiges Neue habe ich doch dazwischen gepreßt) – in die Journal-Omnibusse gesetzt, wo sie in dem unaufhörlich vorübereilenden Gedränge von Wenigen bemerkt und bald vergessen worden sind. Ich selbst habe mich nach ihrer Abfahrt nicht weiter um sie bekümmert. – Nun, in meinen alten Tagen, erwacht eine gewisse Sehnsucht nach denselben – in mir. Es haften viele für den Vater angenehme Erinnerungen und goldene Hoffnungen daran; und die letzteren werden ja um so theuerer, je weniger die spätere Zeit sie realisirt hat. Mit der Erfüllung einer Hoffnung stirbt ihr Interesse in uns ab; eine unerfüllte aber hegen wir sehnsüchtig und wehmüthig in uns fort, wie das Bild einer in der Jugendblüthe dahingegangenen Geliebten. Für den Leser freilich ist dieser Reiz und Vergleich gar nicht vorhanden, dagegen ist es vielleicht oder wahrscheinlich der einzige, der die armen Dinger dem Autor lieb macht. Ich habe mir das oft genug vorgesagt, theils mit sehr groben, theils mit ziemlich ironischen Worten, denn mit mir mache ich keine Umstände. »Das Publikum« – habe ich z.B. zu mir gesagt – »wird eben auf deine gesammelten Aufsätze gespannt sein!« So barsch angefahren duckte[6] sich jener Gedanke wohl beschämt und erschreckt nieder, aber nicht lange, so stand er wieder aufgerichtet vor mir, und forderte dringender die Ablösung aus meiner planreichen Seele. Mir blieb, wollte ich endlich Ruhe haben, in der That Nichts übrig, als nachzugeben. – Nun galt es nur noch, dem Publikum gegenüber einige plausible Entschuldigungsgründe für das Unternehmen aufzufinden. Das war eine lange und mühselige Arbeit, die ich meinem ärgsten Feinde nicht wünschen und meinem allernächsten, allerbesten Freunde nicht zum zweiten Male aufbürden werde. Was sie mir gebracht, möge nun folgen. Ich bitte die lieben Leser freundschaftlichst, sich gütigst dadurch überreden lassen zu wollen. Ich rathe Ihnen sogar, einige Erwartung von dem Buche zu fassen. Welcher Vortheil dann sicher für Sie erwächst, will ich Ihnen später enthüllen.

Was zuerst meinen groben Vorhalt von wegen des gespannten Publikums betrifft, so warf ich ihn durch folgende Gegenrede wohl kräftig zu Boden; nämlich: Sollten keine anderen Bücher erscheinen dürfen, als auf welche das Publikum vorher schon gespannt ist, so gäbe es gar keine Literatur! Denn auf ein literarisches Werk brennt das Publikum doch im allerbesten Falle nur, wenn es von[7] einem berühmten Autor herrührt. Auf dem Titel seines ersten Buches ist aber kein Autor schon ein berühmter Autor. Da nun jeder Autor ein erstes Buch herausgeben muß, und wir eine große Literatur haben, so sind viele Bücher gedruckt worden, auf die das Publikum vorher gar nicht gespannt war. Wenn nun gegenwärtiges Buch auch nicht mein erstes ist, so war das Publikum doch auf keines meiner früheren gespannt, und da es die Herren Verleger mit jenen dennoch gewagt, warum nicht auch mit diesem? Zuweilen, sagte ich mir zweitens und ermuthigend, mußt du doch etwas Nachdrückliches geschrieben haben, da du zuweilen nachgedruckt worden bist. Ich zog daraus den Satz: Jeder Nachgedruckte darf sich sammeln und wieder herausgeben. Ich unterstützte mein Vorhaben drittens durch die Bemerkung: daß ich den Inhalt des Buches sehr mannigfaltig machen könne: Biographie, Abhandlung, etc. Und nach diesem etc. folgt noch gar Vieles, wie der Leser sehen wird! Z.B. bin ich dahinter sogar einigemal spaßhaft zu finden, was einem Deutschen schwer wird, aber ihn auch ungemein ehrt und auszeichnet. Viertens enthülle ich nun den Entschuldigungsgrund, welchen ich vorn von wegen der Erwartung angedeutet habe. Wenn der Leser nämlich jenen Rath befolgt,[8] so ist er in jedem Fall vor Täuschung gesichert, mag das nachfolgende Buch Etwas sein oder Nichts. Ist das Buch Etwas, so wird des Lesers Erwartung erfüllt, denn ich habe doch nur Wenig versprochen. Im anderen Falle, wenn das Buch Nichts ist, erhält der Leser noch mehr, nämlich ein Buch, was ihn Lachen machen und erheitern wird. Denn nach Kant entsteht das Lächerliche von einer plötzlichen Auflösung einer Erwartung in – Nichts. Diese Vorrede ist dann der Vordersatz und das nachfolgende Buch die Pointe eines sehr umfangreichen, mehrere hundert Seiten langen Epigramms, das der Verfasser auf sich selbst gemacht hat. Ich füge einen Satz an, den Niemand je umzustoßen versuchen und der mein Vorhaben vollständig rechtfertigen wird. Jeder Mensch muß seine Bestimmung erfüllen. Ich gehöre nun mit den meisten Büchermachenden nicht zu den Wenigen, welche die Bestimmung haben, vollkommene Werke zu schaffen!

Es kommt mithin bei mir und den allermeisten Producirenden nur auf das Mehr oder Weniger des Unvollkommenen an. Auf dieser Scala nehme ich zwar eine niedrige Stufe ein, aber hoffentlich nicht die niedrigste. Um daher die nöthige Kühnheit[9] zur Herausgabe meines Buches zu gewinnen, blickte ich unter mich auf noch geringere. Dies ist allerdings ein miserables Princip, allem Höhersteigen tödtlich. Weshalb ich es auch durchaus keinem Menschen und Künstler etwa empfehlen will. Mir kann's nicht mehr schaden. Mit dem Weiterkommen ist's in meinen Jahren vorbei. Nehmt daher, liebe Leser, nachsichtig auf das Geringe, was ich Euch biete. Ich hätte gern Bedeutenderes geboten, aber – das war nicht meine Bestimmung. Ich will nun, um wenigstens einmal in meinem Leben etwas Originelles zu thun, gleich hier mit abdrucken lassen das

Quelle:
Lobe, Johann Christian: Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig 1859, S. V5-X10.
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