Schwanengesang

[56] Prüfet Alles, behaltet das Gute,

und

wenn etwas Besseres in euch selber gereift,

so setzet es zu dem, was ich euch in diesen Bogen

in Wahrheit und Liebe zu geben versuche, in Wahrheit und Liebe hinzu.


Die Idee der Elementarbildung, für deren theoretische und praktische Erheiterung ich den größten Theil meiner reifern Tage, mir selber in ihrem Umfange mehr und minder bewußt, verwendet, ist nichts anders als die Idee der Naturgemäßheit in der Entfaltung und Ausbildung der Anlagen und Kräfte des Menschengeschlechts.

Aber auch nur von ferne das Wesen und den Umfang der Ansprüche der diesfälligen Naturgemäßheit zu ahnen, fragt sich vor allem aus: Was ist die Menschennatur? Was ist das eigentliche Wesen, was sind die unterscheidenden Merkmale der menschlichen Natur, als solcher? Und ich darf mir keinen Augenblick vorstellen, daß irgend eine von den Kräften und Anlagen, die ich mit den Thieren gemein habe, das ächte Fundament der Menschennatur, als solcher, sey. Ich darf nicht anders, ich muß annehmen, der Umfang der Anlagen und Kräfte, durch welche der Mensch sich von allen Geschöpfen der Erde, die nicht Mensch sind, unterscheidet, sey das eigentliche Wesen der Menschennatur. Ich muß annehmen, nicht mein vergängliches Fleisch und Blut, nicht der thierische Sinn der menschlichen Begierlichkeit, sondern die Anlagen meines menschlichen Herzens, meines menschlichen Geistes und meiner menschlichen Kunstkraft seyen das, was das Menschliche meiner Natur, oder, welches eben soviel ist, meine menschliche Natur selber constituiren; woraus dann natürlich folgt: die Idee der Elementarbildung sey als die Idee der naturgemäßen Entfaltung und Ausbildung der Kräfte und Anlagen des menschlichen Herzens, des menschlichen Geistes und der menschlichen Kunst anzusehn. Die Naturgemäßheit, welche diese Idee in den Entfaltungs- und Bildungsmitteln unserer[57] Kräfte und Anlagen anspricht, fordert demnach eben so gewiß in ihrem ganzen Umfange die Unterordnung der Ansprüche unsrer thierischen Natur unter die höhern Ansprüche des innern, göttlichen Wesens der Anlagen und Kräfte unsers Herzens, unsers Geistes und unserer Kunst; das heißt im Wesen nichts anders als die Unterordnung unsers Fleisches und unsers Bluts unter unsern Geist. Es folgt ferner daraus: der ganze Umfang der Kunstmittel in der naturgemäßen Entfaltung der Kräfte und Anlagen unsers Geschlechts setze, wo nicht eine deutliche Erkenntniß, doch gewiß ein belebtes, inneres Gefühl von dem Gange, den die Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Kräfte selbst geht, voraus. Dieser Gang ruht auf ewigen, unabänderlichen Gesetzen, die im Wesen jeder einzelnen menschlichen Kraft selbst liegen und in jeder derselben mit einem unauslöschlichen Trieb zu ihrer Entfaltung verbunden sind. Aller Naturgang unsrer Entfaltung geht wesentlich aus diesen Trieben hervor. Der Mensch will alles, wozu er in sich selbst Kraft fühlt, und er muß, vermöge dieser inwohnenden Triebe, das alles wollen.

Das Gefühl dieser Kraft ist der Ausdruck der ewigen, unauslöschlichen und unabänderlichen Gesetze, die in ihrer menschlichen Anlage dem Gange der Natur in ihrer Entfaltung zum Grunde liegen.

Diese Gesetze, die wesentlich aus der Eigenheit jeder einzelnen menschlichen Anlage hervorgehn, sind eben wie die Kräfte, denen diese Gesetze inwohnen, unter sich wesentlich verschieden; aber sie gehen alle, eben wie die Kräfte, denen sie inwohnen, aus der Einheit der Menschennatur hervor, und sind dadurch, bey aller ihrer Verschiedenheit, innig und wesentlich unter einander verbunden und eigentlich nur durch die Harmonie und das Gleichgewicht, in dem sie in unserm Geschlecht bey einander wohnen, für dasselbe wahrhaft und allgemein naturgemäß und menschlich bildend. Es ist eine, sich in allen Verhältnissen bewährende Wahrheit, nur das, was den Menschen in der Gemeinkraft der Menschennatur, d.h. als Herz, Geist und Hand ergreift, nur das ist für ihn wirklich, wahrhaft und naturgemäß bildend; alles, was ihn nicht also, alles, was ihn nicht in der Gemeinkraft seines Wesens ergreift, ergreift ihn nicht naturgemäß und ist für ihn, im ganzen Umfang des Wortes, nicht menschlich bildend. Was ihn[58] nur einseitig, d.i. in einer seiner Kräfte, sey diese jetzt Herzens-, sey sie Geistes- oder Kunstkraft, ergreift, untergräbt und stört das Gleichgewicht unsrer Kräfte und führt zur Unnatur in den Mitteln unsrer Bildung, deren Folge allgemeine Mißbildung und Verkünstlung unsers Geschlechts ist. Ewig können durch die Mittel, welche die Gefühle meines Herzens zu erheben geeignet sind, die Kräfte des menschlichen Geists an sich nicht gebildet, und ebenso wenig können durch die Mittel, durch welche der menschliche Geist naturgemäß gebildet wird, die Kräfte des menschlichen Herzens an sich naturgemäß und genugthuend veredelt werden.

Jede einseitige Entfaltung einer unsrer Kräfte ist keine wahre, keine naturgemäße, sie ist nur Scheinbildung, sie ist das tönende Erz und die klingende Schelle der Menschenbildung und nicht die Menschenbildung selber.

Die wahre, die naturgemäße Bildung führt durch ihr Wesen zum Streben nach Vollkommenheit, zum Streben nach Vollendung der menschlichen Kräfte. Die Einseitigkeit ihrer Bildung aber führt eben so durch ihr Wesen zur Untergrabung, zur Auflösung und endlich zum Absterben der Gemeinkraft der Menschennatur, aus der dieses Streben allein wahrhaft und naturgemäß hervorzugehn vermag. Die Einheit der Kräfte unserer Natur ist unserm Geschlecht als wesentliches Fundament aller menschlichen Mittel zu unserer Veredlung göttlich und ewig gegeben; und es ist auch in dieser Rücksicht ewig wahr: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Thut er es in Rücksicht seiner Bildung, so macht er, nach welcher Richtung er es auch thue, Halbmenschen aus uns, bey denen kein Heil weder zu suchen noch zu finden ist.

Jedes einseitige Übergewicht in der Bildung unserer Kräfte führt zum Selbstbetrug grundloser Anmaßungen, zur Mißkennung seiner Schwächen und Mängel und zur harten Beurtheilung aller derer, die nicht mit den irrthumsvollen Ansichten unserer Einseitigkeit übereinstimmen. Das ist bey Menschen, die Herzens- und Glaubenshalber überschnappen, eben so wahr als bey denen, die ihrer Geisteskraft in liebloser Selbstsucht einen ähnlichen Spielraum der Unnatur und ihres Verderbens eröffnen. Alles einseitige Übergewicht einer einzelnen Kraft führt zur Aufgedunsenheit ihrer Ansprüche, die im Innern ihres Wesens[59] lahm und todt ist. Das ist von der Liebe und vom Glauben eben so wahr als von der Denk-, Kunst- und Berufskraft unsers Geschlechts. Die innern Fundamente der häuslichen und bürgerlichen Segnungen sind in ihrem Wesen Geist und Leben, und die äußern Fertigkeiten, deren Ausbildung das häusliche und bürgerliche Leben auch anspricht, sind ohne das innere Wesen der Fundamente ihres Segens unserm Geschlecht ein Mittel der gefährlichsten Täuschungen und Quellen der vielseitigsten häuslichen und bürgerlichen Unbefriedigtheit und aller Leiden, Kränkungen und Verwilderungen, die sie ihrer Natur nach zur Folge haben und haben müssen.

Das Gleichgewicht der Kräfte, das die Idee der Elementarbildung so wesentlich fordert, setzt ihren Anspruch an die naturgemäße Entfaltung einer jeden der einzelnen Grundkräfte unsrer Natur voraus. Jede derselben entfaltet sich nach ewigen, unveränderlichen Gesetzen, und ihre Entfaltung ist nur in so weit naturgemäß, als sie mit diesen ewigen Gesetzen unsrer Natur selber in Übereinstimmung steht. In jedem Falle und in jeder Art, in der sie mit diesen Gesetzen in Widerspruch kommt, ist sie unnatürlich und naturwidrig. Die Gesetze, die der naturgemäßen Entfaltung jeder einzelnen unsrer Kräfte zum Grunde liegen, sind an sich wesentlich verschieden. Der menschliche Geist bildet sich durchaus nicht naturgemäß nach den Gesetzen, nach welchen das menschliche Herz sich zur reinsten Erhabenheit seiner Kraft emporhebt; und die Gesetze, nach welchen sich unsre Sinne und Glieder naturgemäß ausbilden, sind eben so wesentlich von denen verschieden, die die Kräfte unsers Herzens und unsers Geistes naturgemäß auszubilden geeignet sind.

Aber jede dieser einzelnen Kräfte wird wesentlich nur durch das einfache Mittel ihres Gebrauches naturgemäß entfaltet.

Der Mensch entfaltet das Fundament seines sittlichen Lebens, die Liebe und den Glauben, nur durch die Thatsache der Liebe und des Glaubens selber naturgemäß.

Hinwieder, der Mensch entfaltet das Fundament seiner Geisteskraft, seines Denkens, nur durch die Thatsache des Denkens selber naturgemäß.

Und ebenso entfaltet er die äußern Fundamente seiner Kunst- und Berufskräfte, seine Sinne, Organe und Glieder, nur durch die Thatsache ihres Gebrauches naturgemäß.[60]

Auch wird der Mensch durch die Natur jeder dieser Kräfte in sich selbst angetrieben, sie zu gebrauchen. Das Auge will sehen, das Ohr will hören, der Fuß will gehen und die Hand will greifen. Aber eben so will das Herz glauben und lieben. Der Geist will denken. Es liegt in jeder Anlage der Menschennatur ein Trieb, sich aus dem Zustande ihrer Unbelebtheit und Ungewandtheit zur ausgebildeten Kraft zu erheben, die unausgebildet nur als ein Keim der Kraft und nicht als die Kraft selbst in uns liegt.

Aber so wie sich beym Kinde, das noch nicht gehen kann, die Lust zum Gehen augenblicklich mindert, wenn es bey seinen ersten Versuchen auf die Nase fällt, so mindert sich die Lust zum Glauben in ihm, wenn die Katze, gegen die es das Händchen ausstreckt, es kratzt, und das Hündchen, das es anrühren will, es anbellt und ihm die Zähne zeigt. Hinwieder mindert sich die Lust, seine Denkkraft thatsächlich durch ihren Gebrauch zu entfalten, in ihm nothwendig, wenn die Mittel, durch die man es denken lehren will, seine Denkkraft nicht reizend ansprechen, sondern mühselig belästigen und eher einschläfern und verwirren, als aufwecken und in Übereinstimmung unter sich selbst beleben. Der Gang der Natur in der Entfaltung der menschlichen Kräfte ist, sich allein überlassen, langsam vom Sinnlich-Thierischen unsers Geschlechts ausgehend und von ihm gehemmt. Wenn er sich zur Entfaltung des Menschlichen im Menschen erheben soll, so setzt er einerseits die Handbietung einer erleuchteten Liebe, deren Keim sinnlich beschränkt, instinktartig im Vater-, Mutter-, Bruder- und Schwester-Sinn unsrer Natur liegt, anderseits die erleuchtete Benutzung der Kunst, die sich die Menschheit durch Jahrtausende von Erfahrungen erworben, voraus.

Die Idee der Elementarbildung ist also näher bestimmt nichts anders als das Resultat der Bestrebungen des Menschengeschlechts, dem Gange der Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Anlagen und Kräfte die Handbietung angedeihen zu lassen, die ihm die erleuchtete Liebe, der gebildete Verstand und der erleuchtete Kunstsinn unsers Geschlechts zu ertheilen vermag.

So heilig und göttlich der Gang der Natur in den Grundlagen zur Entfaltung unsers Geschlechts ist, so ist er, sich selbst allein überlassen, ursprünglich nur thierisch belebt. Es ist die Sorge[61] unsers Geschlechts, es ist das Ziel der Idee der Elementarbildung, es ist das Ziel der Frömmigkeit und der Weisheit, ihn menschlich und göttlich zu beleben.

Fassen wir jetzt diesen Gesichtspunkt in sittlicher, geistiger, häuslicher und bürgerlicher Hinsicht näher ins Auge und fragen wir uns:

I. Wie entfaltet sich das Fundament unsers sittlichen Lebens, die Liebe und der Glaube, thatsächlich, wahrhaft naturgemäß in unserm Geschlecht? und wie werden die ersten Keime unserer sittlichen und religiösen Anlagen, durch den Einfluß menschlicher Sorgfalt und menschlicher Kunst im Kinde von seiner Geburt an naturgemäß belebt, genährt und in ihrem Wachsthum also gestärkt, daß die letzten höhern Resultate der Sittlichkeit und Religiosität und ihr Segen als durch sie menschlich, aber wahrhaft und naturgemäß begründet und vorbereitet anzusehen sind? so finden wir, es ist der gesicherte, ruhige Fortgenuß seiner physischen Bedürfnisse, was die ersten Keime der sittlichen Kräfte des Säuglings von seiner Geburt an naturgemäß belebt und entfaltet; es ist die heilige Muttersorge, es ist die instinktartig in ihm belebte Aufmerksamkeit auf augenblickliche Stillung jedes Bedürfnisses, dessen Nichtbefriedigung das Kind sinnlich zu beunruhigen geeignet ist, was wir bey ihm als die erste, aber wesentlichste Vorbereitung und Anbahnung des Zustandes anerkennen müssen, in dem sich die sinnlichen Keime des Vertrauens gegen die Quelle dieser Befriedigung und mit ihnen die ersten Keime der Liebe zu derselben entfalten, und es ist in der Belebung dieser ersten, sinnlichen Keime des Vertrauens und der Liebe, woraus auch die ersten, sinnlichen Keime der Sittlichkeit und der Religiosität hervorgehen und sich entfalten.

Darum ist die Entfaltung der stillen Ruhe und Befriedigung im Säugekind, und ihre Benutzung für die Belebung der noch schlafenden Keime der Gefühle, welche uns von allen Wesen der Schöpfung, die nicht Mensch sind, unterscheidet, für die Bildung zur Menschlichkeit in der Erziehung unsers Geschlechts von der äußersten Wichtigkeit.

Jede Unruhe, die in diesem Zeitpunkte das vegetirende Leben des Kindes stört, legt den Grund zur Belebung und Stärkung aller Reize und Ansprüche unsrer sinnlichen, thierischen Natur und zur Abschwächung aller wesentlichen Fundamente der naturgemäßen[62] Entfaltung aller Anlagen und Kräfte, die das eigentliche Wesen der Menschlichkeit selber constituiren.

Die erste und lebendigste Sorge für die Erhaltung dieser Ruhe in der frühesten Epoche des kindlichen Lebens ist von der Natur in das Herz der Mutter gelegt. Sie spricht sich in unserm Geschlecht allgemein durch die, ihr inwohnende, Mutterkraft und Muttertreue aus. Der Mangel dieser Kraft und dieser Treue ist mütterliche Unnatur; er ist eine Folge des widernatürlichen Verderbens des Mutterherzens. Wo dieses ist, da ist auch das wirksame Daseyn der Vaterkraft, das bildende Daseyn des Bruder- und Schwester-Sinnes und mit ihm der bildende Segen des häuslichen Lebens in seinem ersten, reinsten Belebungsmittel verlassen und dadurch untergraben. Dieser gründet sich in seinem Ursprung und in seinem Wesen auf das belebte Daseyn der Mutterkraft und Muttertreue; und so wie die Sorge für die Ruhe des Kindes in der ersten Epoche seines Lebens im allgemeinen nur beym Daseyn dieser Kraft und dieser Treue denkbar ist, so ist die Erhaltung dieser Kraft und dieser Treue nur durch die Fortsetzung der naturgemäßen Ausbildung seiner sittlichen Kraft denkbar.

Das Wesen der Menschlichkeit entfaltet sich nur in der Ruhe. Ohne sie verliert die Liebe alle Kraft ihrer Wahrheit und ihres Segens. Die Unruhe ist in ihrem Wesen das Kind sinnlicher Leiden oder sinnlicher Gelüste; sie ist entweder das Kind der bösen Noth oder der noch bösern Selbstsucht; in allen Fällen aber ist sie die Mutter der Lieblosigkeit, des Unglaubens und aller Folgen, die ihrer Natur nach aus Lieblosigkeit und Unglauben entspringen.

So wichtig ist die Sorge für die Ruhe des Kindes und der sie sichernden Mutterkraft und Muttertreue, so wie für die Verhütung aller sinnlichen Reize zur Unruhe in dieser Epoche.

Diese Reize gehen sowohl aus Mangel liebevoller Sorgfalt für die Befriedigung wahrer sinnlicher Bedürfnisse, als aus Überfüllung mit unnützen, die thierische Selbstsucht reizenden, sinnlichen Genießungen hervor. Wo die Mutter dem, nach ihr schreyenden Wiegenkinde oft und unregelmäßig mangelt, und das, im Gefühl des Bedürfnisses, das sie stillen sollte, unbehaglich liegende Kind oft und viel so lange warten muß, bis dieses Gefühl ihm Leiden, Noth und Schmerz wird, da ist der Keim der bösen[63] Unruhe und aller ihrer Folgen in ihm in einem hohen Grad entfaltet und belebt, und die also verspätete Befriedigung seiner Bedürfnisse ist dann nicht mehr geeignet, die heiligen Keime der Liebe und des Vertrauens gegen die Mutter, wie es sollte, naturgemäß zu entfalten und zu beleben. Der erste Keim der thierischen Verwilderung, die böse Unruhe, tritt dann im Kind an die Stelle der durch Befriedigung zu erzeugenden Ruhe, in der sich die Keime der Liebe und des Vertrauens allein naturgemäß entfalten.

Die, in den ersten Tagen belebte Unruhe des Wiegenkindes entfaltet dann soviel als nothwendig die ersten Keime der empörten Gefühle der sinnlichen, physischen Selbstkraft und ihre Neigung zur thierischen Gewaltthätigkeit und mit ihm die Hölle des unsittlichen, irreligiösen, das innere, göttliche Wesen der Menschlichkeit selber mißkennenden und verläugnenden Weltgeistes.

Das Kind, das, aus Mangel an mütterlicher Befriedigung seiner Bedürfnisse, durch seine Leiden innerlich empört wird, stürzt dann, wie ein hungriges und durstiges Thier, an die Brust seiner Mutter, an die es sich, sein Bedürfniß nur leicht fühlend, menschlich froh anlegen sollte. Sey die Ursache davon, was sie wolle, wo dem Kind die zarte Hand und das lächelnde Auge der Mutter mangelt, da entfaltet sich auch in seinem Auge und in seinem Munde das Lächeln und die Anmuth nicht, die ihm in seinem beruhigten Zustande so natürlich ist. Dieser erste Zeuge des erwachenden Lebens der Menschlichkeit mangelt im beunruhigten Kinde; im Gegentheil, es erscheinen in ihm alle Zeichen der Unruhe und des Mißtrauens, welche die Entfaltung der Liebe und des Glaubens gleichsam im ersten Entkeimen stocken machen, verwirren und das Kind so im Wesen seiner ersten Entfaltung zur Menschlichkeit gefährden.

Aber auch das Überfüllen des Kindes mit sinnlichen Genüssen, für welche es im ruhigen, sinnlich nicht unnatürlich gereizten Zustande kein Bedürfniß in sich selbst fühlt, untergräbt den Segen der heiligen Ruhe, in dem sich die Keime der Liebe und des Vertrauens naturgemäß entfalten, und erzeugt hinwieder ebenso den Unsegen der sinnlichen Unruhe und der Folgen ihres Mißtrauens und ihrer Gewaltthätigkeit.

Die reiche Thörin, die, in welchem Stande sie auch sey, ihr[64] Kind täglich mit sinnlichen Genießungen überfüllt, bringt thierische Unnatur nach Gelusten in dasselbe, die kein reales Fundament in den wirklichen Bedürfnissen der Menschennatur haben, sondern vielmehr in ihren Folgen der soliden Befriedigung derselben unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen geeignet sind, indem sie die Kräfte, deren es zur sichern und selbstständigen Befriedigung dieser Bedürfnisse durch sein Leben unumgänglich bedarf, in ihm schon in der Wiege untergraben, verwirren und erlahmen machen und dadurch in ihm leicht und beynahe nothwendig zu einer unversieglichen Quelle immer wachsender Unruhen, Sorgen, Leiden und Gewaltthätigkeiten ausarten. Die wahre mütterliche Sorge für die erste, reine Belebung der Menschlichkeit im Kind, aus der das höhere Wesen seiner Sittlichkeit und Religiosität, menschlicherweise davon zu reden, hervorgeht, beschränkt ihre Sorgfalt auf die reelle Befriedigung seiner wahren Bedürfnisse. Die erleuchtete und besonnene Mutter lebt für ihr Kind im Dienst ihrer Liebe, aber nicht im Dienst einer Laune und seiner thierisch gereizten und belebten Selbstsucht.

Die Naturgemäßheit der Sorgfalt, mit der sie die Ruhe des Kindes befördert, ist nicht geeignet, seine Sinnlichkeit zu reizen, sondern nur seine sinnlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie, die Naturgemäßheit der mütterlichen Sorgfalt, wenn sie schon instinktartig in ihr belebt ist, steht dennoch mit den Ansprüchen ihres Geistes und ihres Herzens in Harmonie; sie ist geistig und herzlich begründet, und instinktartig nur belebt, also durchaus nicht eine Folge des Unterliegens ihrer edlern, höhern Anlagen unter den sinnlichen Gelüsten ihres Fleisches und ihres Blutes, sondern nur eine Mitwirkung ihres Fleisches und ihres Blutes zum Resultat der Bestrebungen ihres Geistes und ihres Herzens.

Auf dieser Bahn ist es, daß der Einfluß der Mutterkraft und der Muttertreue bey ihrem Säuglinge die ersten Spuren der Liebe und des Glaubens naturgemäß entfaltet und zugleich den segensvollen Eindruck der Vaterkraft, des Bruder- und Schwester-Sinnes vorzubereiten und zu begründen, und so allmälig den Sinn der Liebe und des Vertrauens über den ganzen Kreis des häuslichen Lebens auszudehnen geeignet ist. Die sinnliche Liebe und der sinnliche Glaube an die Mutter erhebt sich auf dieser Bahn zu einer menschlichen Liebe und zu einem menschlichen Glauben.[65] Von der Liebe zur Mutter ausgehend, spricht er sich in der Liebe zum Vater und zu seinen Geschwistern und im Glauben an sie aus.

Der Kreis der menschlichen Liebe und des menschlichen Glaubens des Kindes dehnt sich immer mehr aus. Wen die Mutter liebt, den liebt ihr Kind auch. Wem die Mutter traut, dem traut es auch. Selber wenn die Mutter von einem fremden Manne, den es noch nie gesehen, sagt: »Er liebt dich, du mußt ihm trauen, er ist ein guter Mann, gib ihm dein Händchen!«, so lächelt es ihn an und gibt ihm gerne das Händchen seiner Unschuld. So hinwieder, wenn sie zu ihm sagt: »Du hast einen Großvater in fernen Landen, dem du lieb bist,« so glaubt es an seine Liebe; es redet gerne mit der Mutter vom Großvater, glaubt an seine Liebe und hofft auf sein Erbe. Und ebenso wenn sie zu ihm sagt: »Ich habe einen Vater im Himmel, von dem alles Gute kommt, das du und ich besitzen,« so glaubt das Kind auf das Wort seiner Mutter an ihren Vater im Himmel. Und wenn sie als Christin zu ihm betet und in der Bibel liest und an den Geist der Liebe, der in seinem Wort herrscht, glaubt und von ihm belebt ist, so betet das Kind mit seiner Mutter gerne zu ihrem Vater im Himmel, glaubt an das Wort seiner Liebe, dessen Geist es im Thun und Lassen seiner Mutter schon in seiner sinnlichen Unmündigkeit erkennen lernt. So ist es, daß das Kind des Menschen an der Hand seiner Mutter sich naturgemäß vom sinnlichen Glauben und von der sinnlichen Liebe zur menschlichen Liebe und zum menschlichen Glauben und von diesen zum reinen Sinn des wahren christlichen Glaubens und der wahren christlichen Liebe erhebt. Und diese Bahn ist es auch, in welcher die Idee der Elementarbildung das sittliche und religiöse Leben des Kindes von der Wiege auf menschlich zu begründen, zum Ziel ihrer Bestrebungen zu machen sucht.

Ich schreite weiter und frage mich:

II. Wie entfalten sich die Fundamente des geistigen Lebens des Menschen, die Fundamente seiner Denkkraft, seiner Überlegung und seines Forschens und Urtheilens naturgemäß in unserm Geschlechte? Wir finden, die Bildung unsrer Denkkraft geht von dem Eindruck aus, den die Anschauung aller Gegenstände auf uns macht und die, indem sie unsre innern oder äußern Sinne berühren, den, unsrer Geisteskraft wesentlich inwohnenden Trieb, sich selber zu entfalten, anregen und beleben.

Diese, durch den Selbsttrieb der Denkkraft belebte Anschauung[66] führt ihrer Natur nach vor allem aus zum Bewußtseyn des Eindrucks, den die Gegenstände der Anschauung auf uns gemacht haben, und mithin zur sinnlichen Erkenntniß derselben. Sie erzeugt dadurch nothwendig das Gefühl des Bedürfnisses von Ausdrücken, die die Eindrücke unsrer Anschauung auf uns gemacht haben; und vor allem aus das Gefühl des Bedürfnisses der Mimik, zugleich, aber noch weit mehr und weit menschlicher das Gefühl des Bedürfnisses der Sprachkraft, deren Entfaltung den diesfälligen Gebrauch der Mimik sogleich überflüssig macht.

Diese, der Ausbildung der Denkkraft wesentliche Sprachkraft unsers Geschlechts ist hauptsächlich als eine Dienstkraft der Menschennatur, um uns die durch Anschauung erworbenen Kenntnisse fruchtbar und allgemein zu machen, anzusehen. Sie bildet sich auch von Anfang an nur im festen Zusammenhang mit dem Wachsthum und der Ausdehnung der menschlichen Anschauungserkenntnisse naturgemäß aus; und diese gehen ihr auch allgemein vor. Das menschliche Geschlecht kann über nichts naturgemäß reden, das es nicht erkannt hat. Es kann über nichts auf eine andere Weise reden, als wie es dasselbe erkannt hat. Was es oberflächlich erkannt, davon redet es oberflächlich; was es unrichtig erkannt, davon redet es auch unrichtig, und was diesfalls von Anfang wahr war, das ist es auch jetzt noch.

Die Naturgemäßheit der Erlernung der Muttersprache und jeder andern Sprache ist an die, durch Anschauung erworbene Erkenntniß gebunden, und der naturgemäße Gang der Kunst in der Erlernung von beyden muß mit dem Gange der Natur, nach welchem die Eindrücke unsrer Anschauungen in Erkenntnisse hinübergehen, wesentlich in Übereinstimmung stehen. Fassen wir diesen Gesichtspunkt in Rücksicht auf die Erlernung der Muttersprache ins Auge, so finden wir: Wie alles unterschieden und wesentlich Menschliche sich nur langsam aus dem Thierischen unsrer sinnlichen Natur, aus dem es hervortritt, stufenweise entfaltet, so bildet sich auch die Muttersprache, sowohl in Rücksicht auf das Sprachorgan als auf die Erkenntniß der Sprache selber, in langsamen Stufenfolgen. Das Mutterkind kann so lange nicht reden, bis seine Sprachorgane gebildet sind. Es kennt aber auch anfänglich soviel als gar nichts und kann also über gar nichts reden wollen. Sein Wille und seine Kraft zum Reden bildet sich nur nach Maßgabe der Erkenntniß, die es allmälig durch die[67] Anschauung gewinnt. Die Natur kennt keinen andern Weg, das unmündige Kind reden zu lehren, und die Kunst muß in ihrer Nachhülfe zum nämlichen Ziele mit ihm eben diesen langsamen Weg gehen, aber ihns auch mit allen Reizen, die sowohl die Erscheinung der Gegenstände in den Umgebungen des Kindes, als in dem Eindruck des Klanges in der Verschiedenheit der Töne, deren die Sprachorgane fähig sind, auf dasselbe haben, zu begleiten und zu befördern suchen. Um das Kind reden zu lehren, muß die Mutter die Natur selber mit allen Reizen, die das Hören, Sehen und Fühlen etc. auf seine Organe hat, auf dasselbe einwirken machen. So wie das Bewußtseyn dessen, was es sieht, hört, fühlt, riecht und schmeckt, in ihm belebt ist, so wird auch sein Wille, Ausdrücke für diese Eindrücke zu kennen und sie brauchen zu können, d.h. sein Wille, darüber reden zu lernen, sich in ihm immer stärker aussprechen, und seine Kraft, es zu können, sich bey ihm ausdehnen.

Auch den Reiz der Töne muß die Mutter zu diesem Zwecke benutzen. Wenn und in soweit es ihr daran liegt, ihr Kind geschwind reden zu lehren, muß sie ihm die Sprachtöne bald laut, bald leise, bald singend, bald lachend u.s.w., immer wechselnd mit lebendiger Munterkeit und so vor die Ohren bringen, daß es die Lust, sie ihr nachzulallen, nothwendig in sich selbst fühlen muß; und ebenso muß sie ihre Worte mit dem Eindruck der Gegenstände, deren Namen sie dem Kind ins Gedächtniß bringen will, begleiten. Sie muß ihm diese Gegenstände in den wichtigsten Verhältnissen und in den verschiedensten und belebendsten Lagen vor die Sinne bringen und vor den Sinnen festhalten, und in der Einübung der Ausdrücke derselben nur in dem Grad vorschreiten, in welchem ihr Eindruck durch die Anschauung im Kinde selber gereift ist. Die Kunst oder vielmehr die erleuchtete Muttersorge und Muttertreue kann die Langsamkeit dieses Naturganges in der Erlernung der Muttersprache vergeschwindern und beleben, und es ist eine Aufgabe der Elementarbildung, die Mittel dieser Vergeschwinderung und Belebung zu erforschen und den Müttern mit Klarheit und Bestimmtheit in Reihenfolgen geordneter Übungen vor die Augen zu legen, die dieses zu erzielen geeignet sind. So wie die Kunst dieses thut, wird sich ganz gewiß das Herz der Mutter für diese Mittel offen und bereitet finden, sie mit inniger Liebe zu ergreifen und für ihr Kind zu benutzen.[68]

Die naturgemäße Erlernung jeder andern als der Muttersprache, geht diesen langsamen Gang gar nicht. Das Kind, das eine fremde, sey es eine alte oder eine neue, Sprache lernt, hat

1. schon gewandte Sprachorgane. Es hat bey jeder fremden Sprache nur einige wenige, dieser Sprache eigene Töne seinen, an sich im allgemeinen schon kraftvollen Sprachorganen einzuüben.

2. Sind in dem Alter, in dem ein Kind fremde, neue oder alte Sprachen lernt, Millionen Erkenntnisse durch die Anschauung auf eine Weise in ihm zum gereiften Bewußtseyn gelangt, daß es sie in der Muttersprache mit der höchsten Bestimmtheit auszudrücken im Stande ist. Daher denn auch die Erlernung jeder neuen Sprache in ihrem Wesen für dasselbe nichts anders ist, als die Erlernung, Töne, deren Bedeutung ihm in der Muttersprache bekannt ist, in Töne, die ihm noch nicht bekannt sind, zu umwandeln. Die Kunst, diese Umwandlung durch mnemonische Mittel zu erleichtern und in psychologisch geordnete Reihenfolgen von Übungen zu bringen, welche die Verdeutlichung und Erheiterung der Begriffe, deren wörtliche Erkenntniß dem Kind mnemonisch erleichtert wird, naturgemäß und nothwendig zu ihrer Folge haben muß, ist hinwieder als eine der wesentlichsten Aufgaben der Idee der Elementarbildung anzusehen. Das Bedürfniß einer psychologischen Begründung der Anfangspunkte der Sprachlehre wird allgemein gefühlt, und ich glaube bey meinen schon vor einem halben Jahrhundert begonnenen und ununterbrochen betriebenen Versuchen, den Volksunterricht in seinen Anfangspunkten zu vereinfachen, zu einigen naturgemäßen, dießfalls fruchtbaren Mitteln, dieses wichtige Ziel zu erreichen, gekommen zu seyn.

Um aber den Faden meiner Darlegung der Idee der Elementarbildung nicht aus den Händen zu verlieren, kehre ich zum Gesichtspunkt zurück, daß die von der Anschauung ausgehende Geistesbildung in der naturgemäßen Sprachlehre ihren ersten Kunstbehelf suchen muß. Dieser Behelf geht, als zur Verdeutlichung der Erkenntnisse dienend, aus der Anschauung hervor. Die Geistesbildung aber erfordert ihrer Natur nach weiter führende Fundamente. Sie fordert Kunstmittel zur naturgemäßen Entfaltung der Kräfte, die durch die Anschauung erkannten und in sich zum klaren Bewußtseyn gebrachten Gegenstände selbstständig zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, und[69] dadurch die Anlage, über sie, über ihr Wesen und über ihre Beschaffenheit richtig zu urtheilen, zur wirklichen Denkkraft zu erheben.

Die Geistesbildung und die von ihr abhängende Cultur unsers Geschlechts fordert fortdauernde Ausbildung der logischen Kunstmittel zur naturgemäßen Entfaltung unsrer Denk-, Forschungs- und Urtheilskräfte, zu deren Erkenntniß und Benutzung sich das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden erhoben. Diese Mittel gehen in ihrem Wesen und Umfange aus der uns inwohnenden Kraft hervor, die durch die Anschauung zum klaren Bewußtseyn gekommenen Gegenstände in uns selbst frey und selbstständig zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, d.h. logisch ins Auge zu fassen und zu bearbeiten und uns dadurch zur gebildeten menschlichen Urtheilskraft zu erheben.

Diese Mittel der Kunst, das Denkvermögen unsers Geschlechts zur gebildeten Urtheilskraft zu erheben, sie in ihrem Wesen zu erforschen und zur allgemeinen Brauchbarkeit und Anwendbarkeit auszuarbeiten, ist hinwieder eine der wesentlichsten Bestrebungen der Idee der Elementarbildung. Und da die Kraft, durch die Anschauung deutlich erkannte Gegenstände logisch zu bearbeiten, offenbar in der gebildeten Kraft, zu zählen und zu messen, ihre erste, naturgemäßeste Anregung und Belebung findet, so ist klar, daß in der vereinfachten Bearbeitung der Zahl- und Formlehre das vorzüglichste Mittel zu diesem wichtigen Zweck der Menschenbildung gesucht und anerkannt werden muß, und warum die Idee der Elementarbildung die psychologisch bearbeitete und vereinfachte Zahl- und Formlehre, in Verbindung mit der ebenso vereinfachten Sprachlehre, gemeinsam als das tiefste, einwirkendste, allgemeine Fundament der naturgemäßen Kunstausbildung der menschlichen Denkkraft anerkennt und anspricht.

In Rücksicht auf die elementarisch zu bearbeitende Zahl- und Formlehre ist der Eindruck merkwürdig, den unsre ersten Versuche darüber schon in Burgdorf auffallend allgemein machten. Noch merkwürdiger aber ist, wie unwidersprechlich die spätern Resultate dieser in Burgdorf höchst einseitig begonnenen und später in einen so tödtlich sterbenden Zustand versunkenen Versuche es allein möglich machten, daß meine, so lange in sich selbst zerrüttete, ganze Reihen von Jahren in[70] offenem Aufruhr um ihre Erhaltung kämpfende und am Rande ihres Abgrunds gestandene Anstalt sich bis auf diese Stunde zu erhalten vermochte1 und gegenwärtig, bey der immer wachsenden Abschwächung und beynahe vollkommenen Zernichtung aller ihrer äußern Mittel, in der Errichtung einer Anstalt von Erziehern und Erzieherinnen, mitten im Anschein ihres nahen Erlöschens, noch einen hohen Funken innerer Lebenskraft zeigt, dessen bedeutende Erscheinung die Hoffnung ihrer Errettung auch jetzo nicht ganz in mir auszulöschen vermag.

III. Wenn wir uns drittens fragen: Wie entfalten sich die Fundamente der Kunst, aus denen alle Mittel, die Produkte des menschlichen Geistes äußerlich darzustellen und den Trieben des menschlichen Herzens äußerlich Erfolg und Wirksamkeit zu verschaffen, hervorgehen und durch welche alle Fertigkeiten, deren das häusliche und bürgerliche Leben bedarf, gebildet werden müssen? so sehen wir sogleich, diese Fundamente sind innerlich und äußerlich, sie sind geistig und physisch. Aber wir sehen auch eben sowohl, daß das innere Wesen der Ausbildung aller Kunst- und Berufskräfte in der Ausbildung der geistigen Kraft der Menschennatur, in der Ausbildung seiner Denk- und seiner Urtheilskraft, die in ihrem Wesen von der naturgemäßen Ausbildung seiner Anschauungskraft ausgeht, besteht. Wir können die Wahrheit nicht verkennen, daß, wer zum Rechnen und Messen und dem dießfalls beywohnenden Zeichnen wohl, d.h. naturgemäß und genugthuend angeführt ist, die innern, wesentlichen Fundamente aller Kunst und aller Kunstfertigkeit in sich selbst trägt, und daß er nur noch die äußern Kräfte seiner Sinne und Glieder in Übereinstimmung mit seiner innerlich entfalteten Kunstkraft für den bestimmten Zweck der Fertigkeiten derjenigen Kunst, die er erlernen will, mechanisch auszubilden nothwendig hat.

So wie die elementarisch bearbeitete Zahl- und Formlehre ihrer Natur nach als die eigentliche Gymnastik der geistigen[71] Kunstkraft angesehen werden muß, so müssen hingegen die mechanischen Übungen der Sinne und der Glieder, die zur Ausbildung der äußern Kunstfertigkeiten nothwendig sind, als die physische Gymnastik der Kunstkraft angesehen und erkannt werden.

Die elementarische Ausbildung der Kunstkraft, wovon die Berufskraft nur als eine specielle, auf den Stand und das Verhältniß eines jeden Individuums passende Anwendung dieser Kraft angesehen werden muß, ruht also auf zwey in ihrem Wesen verschiedenen Fundamenten, und ihre naturgemäßen Mittel gehen aus der Belebung und Ausbildung zweyer, von einander verschiedener Grundkräfte, der geistigen und der physischen, hervor, werden aber auch nur durch die gemeinsame und mit ihnen verbundene Belebung und Ausbildung der drey Grundkräfte der Cultur unsers Geschlechts Mittel der wahren, menschlichen Bildung, oder welches eben soviel ist, wirkliche und naturgemäße Bildungsmittel des Eigenthümlichen der Menschlichkeit, das in unsrer Natur liegt. Ich habe das Wesen der elementarischen Ausbildung dieser Mittel in ihren sittlichen und geistigen Fundamenten berührt; ich berühre es noch in ihrem physischen. Wie der wesentliche Reiz der Ausbildung unsrer sittlichen und geistigen Kräfte in ihrem Naturtrieb, sich selber zu entfalten, selbst liegt, so liegen die wesentlichen Reize zur naturgemäßen Ausbildung der Kunstkraft, auch in physischer Hinsicht, in dem Selbsttrieb dieser Kräfte, sich selber zu entfalten, der auch in dieser Hinsicht im Wesen unsrer Sinne, Organe und Glieder liegt, und geistig und physisch belebt, uns die Neigung zur Anwendung dieser Kräfte soviel als nothwendig macht. Von Seite dieser Belebung hat die Kunst eigentlich wenig zu thun. Der physische Antrieb, Sinne und Glieder zu gebrauchen, ist wesentlich thierisch und instinktartig belebt. Die Unterordnung seiner instinktartigen Belebung unter die Gesetze der sittlichen und geistigen Fundamente der Kunst ist das, was die elementarische Bestrebung zur naturgemäßen Entfaltung unsrer dießfälligen Kraft eigentlich zu thun hat, und hierin wird sie vorzüglich von der Gewaltskraft, die in den Umständen und Verhältnissen eines jeden Individuums und in dem Einfluß des häuslichen Lebens, in dem sich diese Gewaltskraft in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht im Umfang ihrer Mittel concentrirt, unterstützt und belebt. Die sorgfältige und[72] weise Benutzung der Bildungsmittel des häuslichen Lebens ist also in physischer Hinsicht so wichtig, als sie es in sittlicher und geistiger Hinsicht auch ist. Die Ungleichheit dieser Mittel wird durch die Verschiedenheit der Lagen und Verhältnisse des häuslichen Lebens, in welchem sich jedes Individuum persönlich befindet, bestimmt; aber mitten im Wirrwar der Verschiedenheit der Bildungsmittel zur Anwendung der Grundkräfte unsrer Natur ist das Wesen der Entfaltung dieser Mittel in physischer, eben wie in sittlicher und geistiger Hinsicht ewigen und unveränderlichen Gesetzen unterworfen, folglich allenthalben sich selbst gleich.

Es geht in der Bildung des Kindes von der Aufmerksamkeit auf die Richtigkeit jeder Kunstform zur Kraft in der Darstellung derselben, von dieser zum Bestreben, jede in Rücksicht auf Richtigkeit und Kraft wohl eingeübte Form mit Leichtigkeit und Zartheit darzustellen, hinüber, und von der eingeübten Richtigkeit, Kraft und Zartheit derselben schreitet es zur Freiheit und Selbstständigkeit in der Darstellung seiner Formen und Fertigkeiten empor. Das ist der Gang, den die Natur in der Ausbildung unsers Geschlechts zur Kunst allgemein geht und allgemein gehen muß; und indem sie in der Stufenfolge ihrer Bildungsmittel dem Zöglinge die Fertigkeit in der Richtigkeit, Kraft und Zartheit bis auf einen gewissen, gegenseitig gleichförmigen Grad der Vollendung einzeln einübt, kommt sie auch dahin, daß die Resultate dieser einzelnen Übungen unter sich in Übereinstimmung und Harmonie gelangen und dadurch sich zu einer Gemeinkraft der Kunst erheben, ohne welche der Mensch weder sich selbst durch die Kunst veredeln, noch selber zu einem soliden, in ihm selbst wahrhaft begründeten Streben nach der Vollkommenheit irgend einer wirklichen Kunst zu gelangen vermag.

Dieser naturgemäße Gang der Entfaltung der mechanischen Fundamente der Kunstkraft ist mit dem Gange der Natur in der Entfaltung der innern, geistigen Fundamente derselben in vollkommener Übereinstimmung, und bahnt ihr überhaupt den naturgemäßen Weg, mit den Fundamenten der Herzens- und Geistes-Bildung in Harmonie zu gelangen und so die naturgemäßen Bildungsmittel der Liebe und des Glaubens mit den naturgemäßen Bildungsmitteln der Kunstkraft (eben wie dieses auch in Rücksicht auf diejenigen der Denkkraft der Fall ist) zu vereinigen,[73] ohne welche das Gleichgewicht unsrer Kräfte, dieses hohe Zeugniß der aus der Einheit unsers Wesens hervorgehenden Gemeinkraft unsrer Natur im Allgemeinen in ihren ersten Begründungsmitteln nicht einmal denkbar, viel weniger erreichbar ist.

Ich fasse dieses hohe Zeugniß der wahrhaft entfalteten Gemeinkraft unsrer Natur, das Gleichgewicht der sittlichen, geistigen und physischen Kräfte unsers Geschlechts, oder welches eben soviel ist, das Gleichgewicht unsrer Herzens-, Geistes- und Kunstkräfte, noch einen Augenblick von einer seiner wesentlichsten Seiten näher ins Auge.

Wenn es auch wahr und unwidersprechlich ist, daß jedes Übergewicht einer einzelnen unsrer Kräfte über die andere den Segen der Gemeinkraft, der aus der Übereinstimmung von allen allein zu entspringen vermag, stört und entkräftet; so ist zwar gleich wahr, daß das Übergewicht der sinnlichen Reize und der sinnlichen Neigung zur Belebung der Kräfte des Herzens, der Liebe und des Glaubens, bey großer Schwäche und bey großer Verwirrung der Denk- und der Thatkraft noch mit einem ernsten Streben nach göttlicher und menschlicher Handbietung zur Stärkung einer frommen, liebenden und gläubigen Seele begleitet seyn kann. Ein solcher Mensch, bey dem das Gleichgewicht der Kräfte von dieser Seite verloren gegangen, kann aber bey allem seinem ernstgemeynten Streben nach Stärkung seiner, ihm mangelnden Geisteskräfte und bey allem seinem kraft- und fundamentlosen Hinstreben nach Erkenntniß der Wahrheit, in seinen träumerischen Verirrungen sich immer mehr vertiefen und zur wirklichen Erkenntniß der Wahrheit und des Rechts und zur Ausübung aller Pflichten, die diese Erkenntniß ansprechen und voraussetzen, dennoch in einem hohen Grade unfähig werden. Er kann sogar durch die, wenn auch noch so sehr ursprünglich aus redlichem Herzen hervorgegangene Gewaltsamkeit seines Fühlens, Denkens und Handelns, mit der er auf der einen Seite unnatürlich nach dem strebt, was er auf der andern Seite um der Schwäche und der Täuschung willen, unter denen er es besitzt, in sich selber mißkennt und verachtet, das innere, wahre, heilige und göttliche Wesen seiner Liebe und seines Glaubens in sich selber abschwächen und dadurch in einen Zustand der Ohnmacht und in Widerspruch seiner selbst mit sich selbst gerathen, der in einem äußersten Grad bedauernswürdig und menschlicherweise davon zu[74] reden, unheilbar werden kann. Doch, Gott ist in den Schwachen mächtig. Wer Ihn und durch Ihn göttliche und menschliche Handbietung zur Stärkung der ihm mangelnden Kräfte sucht, der hat die innere Fähigkeit zur Belebung, Stärkung und Wiederherstellung derselben nicht in dem Grad verloren und kann sie niemal in dem Grad verlieren, wie dieses bey Menschen, denen bey aller Schwäche einiger ihrer wesentlichen Kräfte der heilige Trieb, Handbietung zur Stärkung derselben im frommen Glauben an Gott und in reiner Liebe zu ihren Mitmenschen zu suchen, mangelt, vielseitig und sehr leicht der Fall ist. Sie, die thierische Befriedigung im Genusse der sinnlichen Folgen überwägender Geistes-, Kunst- und Berufs-Kräfte, führt durch ihr Wesen dahin, das Gefühl des Mangels von Liebe und Glauben und mit ihm das Streben, dieses Gleichgewicht der Kräfte durch Stärkung der Liebe und des Glaubens in sich selber wieder herzustellen, im Innersten der Menschennatur auf eine Weise zu ersticken, die seine Wiederherstellung, menschlicherweise davon zu reden, soviel als unmöglich macht. Die diesfällige Zerstörung des Gleichgewichts der Kräfte führt in ihren äußersten Folgen einen Zustand der Verstockung herbey, der bey allen Schwachheitsverirrungen der geistlosesten Liebe und des kraft- und thatenlosesten Glaubens nicht denkbar ist.

Die Frömmigkeit, der Glaube und die Liebe streben bey aller Schwäche und Verirrung nach Ruhe. Die Geistes-, Kunst- und Berufs-Kraft ist ohne Glauben und ohne Liebe eine unversiegliche Quelle der thierischen Unruhe, die der naturgemäßen Entfaltung der menschlichen Kräfte wesentlich ans Herz greift.

So gewiß es aber ist, daß die, zur gänzlichen Unfähigkeit des ernsten, wahren Strebens nach Stärkung schwacher und Wiederherstellung verlorner Kräfte hinführende Verstockung, zu welcher der Hochmuth geistiger und der Übermuth physischer Kräfte so leicht und so vielseitig hinführt, bey der Frömmigkeit, bey der Liebe und beym Glauben, auch bey sehr großem Mangel der Geisteskräfte und bey sehr großer physischer Unbehülflichkeit nicht die gleichen Reize hat und nicht leicht statt findet, so ist dieses doch nur in dem Fall wahr und sicher, wenn man diese Art schwacher und einseitiger Menschen individualiter ins Auge faßt. Sobald sie als Massa, als Corps, als Orden, als Clique, als Secte zusammenstehn und also auftreten, geht[75] auch bey den einzelnen Gliedern dieser Verhältnisse das Gefühl ihrer individuellen Schwäche, das den Fundamenten der wahren Liebe und des wahren Glaubens so wesentlich und dem reinen Streben nach Stärkung mangelnder und nach Wiederherstellung verlorner Kräfte so nothwendig ist, auch in ihnen verloren. Auch sie fühlen sich als Massa, als sinnliche menschliche, d.i. als thierische Kraft belebt, geistig und bürgerlich stärker, als sie sind, und der Widerspruch des frommen Gefühls ihrer Schwäche mit dem belebten Gefühl ihrer Massakraft und ihrer Massaansprüche erzeugt auch bey ihnen eine Gemüthsstimmung, die sie individualiter in ihrer Schwäche gar leicht zu einem innerlich belebten, heuchlerischen Selbstbetrug hinführt, der sie stolz auf ihre Massakraft und leidenschaftlich, feindselig und verläumderisch gegen alle Menschen macht, deren Meinungen und Urtheile nicht mit den Meinungen und Urtheilen, die sie als Massa und als Sekte vereinigen, übereinstimmen, wodurch sich die wahre Kraft und der stille fromme Sinn nach Stärkung ihnen individualiter mangelnder und nach Wiederherstellung in ihnen verlorner Kräfte nicht bloß abschwächt, sondern noch dahin wirkt, die rohen Gefühle stolzer Anmaßung und den harten Sinn gewaltthätiger Handlungen in ihnen zu erzeugen, aus dem auch die Verstockung der Weltkinder, die zur gänzlichen Unfähigkeit des reinen, wahren Strebens nach Stärkung abgeschwächter und nach Wiederherstellung verlorner Kräfte hinführt, hervorgeht. Der Esprit du corps geht in religiöser, wie in bürgerlicher Hinsicht nicht aus dem Sinn des Geistes, er geht aus dem Sinn des Fleisches hervor, und spricht sich in seinen endlichen Resultaten mit den einseitig belebten Resultaten überwiegender geistiger oder physischer Kräfte ganz gleich aus. So wichtig ist der Einfluß der Idee der Elementarbildung auf die Bildung des Gleichgewichts der menschlichen Kräfte auch in religiöser Hinsicht.

Ich gehe weiter und fasse jetzt die Idee der Elementarbildung in Rücksicht auf den ganzen Umfang der Ansprüche ihrer Unterrichtsmittel ins Auge. Ihre Naturgemäßheit fordert allgemein die höchste Vereinfachung ihrer Mittel, und es ist bestimmt von diesem Gesichtspunkt, wovon der Ursprung aller meiner pädagogischen Lebensbestrebungen wesentlich ausgieng. Ich wollte und suchte im Anfange dieser Bestrebungen durchaus nichts anders, als die gewohnten und allgemeinen Unterrichtsmittel des Volks[76] im höchsten Grad zu vereinfachen und dadurch ihre Ausübung, ihren Gebrauch, den Wohnstuben des Volks allgemein näher zu bringen. Diese Ansicht führte natürlicherweise zu Organisirung von Reihenfolgen von Unterrichtsmitteln, die in allen Fächern des Kennens und Könnens des Menschengeschlechts, von höchst einfachen Anfangspunkten ausgehend, in lückenlosen Stufenfolgen vom Leichtern zum Schwerern hinführen, mit dem Wachsthum der Kräfte der Zöglinge gleichen Schritt haltend, immer belebend und nie ermattend und erschöpfend aus ihm selbst hervorgehen und auf ihn einwirken. Die Möglichkeit einer unverwirrten, rein psychologischen Ausführung dieses Grundsatzes setzt wesentlich die Anerkennung des Unterschiedes zwischen den immer sich selbst gleichen, von ewigen Gesetzen ausgehenden Entfaltungsmitteln der menschlichen Grundkräfte und den Mitteln der Einübung und Abrichtung zu den Kenntnissen und Fertigkeiten, die die Anwendung der gebildeten Entfaltungskräfte anspricht, statt findet. Diese letzten Mittel sind sämmtlich in ihrem ganzen Umfange so verschieden als die Gegenstände der Welt, auf deren Erkenntniß und Benutzung unsere Kräfte angewandt werden, eben wie die Lage und Umstände der Individuen, die diese gebildeten Kräfte anwenden wollen und müssen, verschieden sind. Es ist aber die Aufgabe der Elementarbildung, den Folgen des verwirrenden Einflusses dieser Verschiedenheit durch den vorherrschenden Einfluß der ewig sich selbst gleichen Entfaltungsmittel unserer Kräfte vorzubeugen und zu diesem Endzwecke die Mittel der Anwendung unserer Kräfte denjenigen ihrer Entfaltung unterzuordnen und von ihnen abhängig zu machen. Sie thut dieses vorzüglich dadurch, daß sie im ganzen Umfange der Mittel zur Entfaltung und Anwendung unserer Kräfte jeden Schritt ihres dießfälligen Einflusses im Kinde zu vollenden sucht, ehe sie in ihren Übungen einen Schritt weiter geht. Dadurch bringt sie, beydes, sowohl durch die Entfaltungsübungen der Kräfte, als durch ihre Anwendungsübungen ein geistiges Streben nach Vollendung im Zögling hervor, das nicht nur geeignet ist, die Wirkung der elementarischen Entfaltungsmittel der Kräfte mit derjenigen der Ausbildung ihrer Anwendungsfertigkeiten in die innigste Übereinstimmung zu bringen, sondern auch das Streben nach Vollendung ihm in allem Thun des Lebens allgemein habituel zu machen.[77]

Ich berühre die vielseitigen Folgen dieses Gesichtspunkts jetzo noch nicht. Ich fasse, ehe ich weiter gehe, vor allem aus die Frage ins Auge: Ist die Idee der Elementarbildung nicht ein Traum? ist sie das Fundament eines wirklich ausführbaren Gegenstandes? Ich höre die Frage laut und vielseitig an mich gelangen: Wo ist sie in ihrer Wirklichkeit?

Ich antworte: Allenthalben und nirgends. Allenthalben in einzelnen Belegen ihrer Ausführbarkeit. Nirgends in ihrer Vollendung. Als eine, in ihrem Umfang eingeführte und in ihren Mitteln organisirt dargestellte Methode ist sie nirgends. Es existirt keine, in ihrem Umfange elementarisch organisirte Schule; es existirt kein solches Institut. Das Wissen und Können unsers Geschlechts ist in allen seinen Fächern Stückwerk, und auch das Höchste und Beste unsrer Cultur bildet und organisirt sich nur stückweise; der Mensch geht in jedem einzelnen Theil seiner sich nur stückweise bildenden Cultur bald vorwärts, bald wieder zurück. Es wird und kann kein Zustand entstehen, der den Ansprüchen dieser großen Idee je allgemein ein Genüge leisten wird. Die Menschennatur hat unüberwindliche Hindernisse der allgemeinen und in ihren Mitteln vollendeten Ausführung dieser Idee in sich selbst, und die menschliche Schwäche unsers Geistes und unsers Herzens, deren göttliches, inneres Wesen in der Hülle unsers vergänglichen Fleisches und Blutes wallet, läßt unser Geschlecht in keinem Stück seiner Ausbildung eine unbedingte Vollendung erreichen. Auch der kraftvollste Mensch muß in jeder seiner Bestrebungen zu irgend einer Art seiner Ausbildung mit Paulus aussprechen: »Nicht daß ich's schon ergriffen habe, ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möge.« Und wenn dieses vom einzelnen Menschen wahr ist, so ist es noch unendlich mehr von allen collectiven Culturbestrebungen unsers Geschlechts wahr. Ewig kann kein Institut, keine Anstalt, wenn sie äußerlich auch mit fürstlichen und mit diesen ähnlichen sittlichen und geistigen Hülfsmitteln belebt und unterstützt wäre, dahin gelangen, die Idee der Elementarbildung als eine, in ihren Mitteln vollendete Erziehungs- und Unterrichts-Methode für alle Stände praktisch allgemein im Lande einzuführen und anerkennen zu machen. Ich wiederhole es, die Menschennatur steht der vollendeten, allgemeinen Einführung dieser hohen Idee mit unwiderstehlicher Kraft entgegen. All' unser Wissen und all' unser Können[78] ist Stückwerk und wird bis ans Ende der Tage Stückwerk bleiben, und jeder Vorschritt unsers Wissens und unsers Könnens und selber unsers Wollens wird in Ewigkeit, aus dem beschränkten Vorschritt einzelner Menschen und einzelner Verbindungen hervorgehend, ein Stückwerk unsers Wissens und unsers Könnens bleiben, und hinwieder individualiter den hierin vorzüglich vorschreitenden Menschen selber Hindernisse der Näherung zur Vollendung des Stückwerks, in dem sie sich auszeichnen, in den Weg legen.

Wir müssen es geradezu aussprechen: eine, der Idee der Elementarbildung in ihrer Vollendung genugthuende Erziehungs- und Unterrichts-Methode ist nicht denkbar.

Setze auch ihre Grundsätze noch so klar ins Licht, vereinfache ihre Mittel aufs höchste, mache die innere Gleichheit ihrer Ausführung auch noch so heiter, es ist keine äußere Gleichheit ihrer Ausführungsmittel denkbar; jeder einzelne Mensch wird diese Mittel nach der Verschiedenheit seiner Individualität anders, als jeder andere, dessen Individualität mit der seinigen nicht harmonirt, ausführen. Der eine wird die Kraft zur Ausführung der Idee in seinem Herzen finden und ihr mit dem edeln Drange seiner Liebe entgegenstreben; der andere wird diese Kraft in dem geistigen Übergewicht seiner Individualität erkennen und sich den Weg zur Erreichung seines Ziels durch die Klarheit und Richtigkeit der Begriffe, die zu demselben führen, anzubahnen suchen. Wieder ein anderer wird diesen Weg durch das Übergewicht der Kunst- und Berufskräfte, die er in sich selber fühlt, anzubahnen suchen; und es ist wahrlich gut, daß es so ist. Es gibt Genies des Herzens, es gibt Genies des Geistes und der Kunst. Gott hat sie geschaffen. Er hat einigen von ihnen ein millionenfaches, aber einseitiges Übergewicht über ihre Mitmenschen gegeben. Sie sind die Millionäre der innern Mittel der sittlichen, geistigen und physischen Kräfte unsers Geschlechts, und auch im Innern ihres Fühlens, Denkens und Handelns von allen Ansprüchen der individuellen Selbstsucht belebt, die wir an den Geld- und Gewaltsmillionären, welche in unsrer Mitte leben, zu bemerken alle Tage Gelegenheit finden. Sie haben in der Verschiedenheit ihrer, aus der Natur ihres speciellen Kraftübergewichts hervorgehenden, ungleichen Ansprüche, eben wie die Geldmillionäre, eine Stufenfolge von Anhängern, die, vom Interesse für die Erhaltung des[79] Übergewichts ihrer einseitigen Kraft belebt, in Opposition mit den Ansprüchen des Übergewichts entgegengesetzter Kräfte stehen, deren Folgen nothwendig dahin wirken müssen, daß jedes Übergewicht einzelner Kräfte zur Erhaltung des Gleichgewichts aller, aber zugleich zur Erhaltung der Schranken und Hemmungen des Stückwerks in den Vorschritten jeder einzelnen Kraft und im ganzen Umfange ihrer Mittel beyzutragen, von der Menschennatur selbst hingelenkt wird, und an dessen Anerkennung die Naturgemäßheit aller Vorschritte unsers Wissens und Könnens und mithin auch alle Realität des Segens, der aus diesem Wissen und Können unsers Geschlechts hervorgeht, gebunden ist.

So lange wir dieses nicht erkennen, müssen wir die Idee der Elementarbildung bloß als einen Traum menschlicher Verirrungen ansehen und ihre Ausführung im ganzen Umfang ihrer Zwecke als unmöglich anerkennen. Sobald wir aber das Ziel der Elementarbildung an sich als das Ziel aller menschlichen Cultur ansehn und die Naturgemäßheit der Vorschritte alles unsers Wissens aus der Natur des Stückwerks hervorgehend anerkennen, das unserm Wissen und Können allgemein unübersteigliche Schranken setzt, so fällt uns das Ziel dieser großen Idee als das Ziel des Menschengeschlechts in die Augen, und damit fällt denn auch der Anspruch unsrer Blindheit, daß sie ein eitler Traum menschlicher Verirrung und an sich unausführbar sey, von selbst weg.

Nein, was das Ziel meines Geschlechts ist, macht das darnach zu Streben mir zur Pflicht, und was die Pflicht meines Geschlechts ist, kann ewig nicht unausführbar und unerreichbar seyn, und darf nicht dafür angesehen werden. Und das ist wahrlich mit der Idee der Elementarbildung, wenn sie richtig und in ihrer Reinheit ins Auge gefaßt wird, der Fall. So wie es wahr und unwidersprechlich ist, daß sie in den Formen und Gestalten ihrer Ausführung als Methode das Ziel ihrer innern Vollendung nie erreichen wird, so ist eben so gewiß, daß das Streben nach diesem Ziel allgemein in der unverkünstelten, ich möchte beynahe sagen, in der Culturhalber unverhunzten Menschennatur liegt, und daß wir den Grad der Cultur, zu dem sich die civilisirte Welt in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht erhoben, diesem allgemein in der Menschennatur liegenden Streben zu danken haben. Jeder Grundsatz einer naturgemäßen Erziehung, jedes naturgemäße Mittel irgend eines Unterrichtsfaches ist ihr Werk. Ich sage noch einmal, diese[80] hohe Idee ist allenthalben und nirgends. So wie sie in ihrer Vollendung nirgends ist, so ist sie im Stückwerk ihrer Erscheinungen und ihres Nachstrebens allenthalben sichtbar. Ihre allgemeine Mißkennung ist Mißkennung alles Göttlichen und Ewigen, das in der Menschennatur liegt. Dieses Göttliche und Ewige aber ist in seinem Wesen die Menschennatur selbst. Es ist in seinem Wesen das einzige wahre Menschliche in unsrer Natur, und die Naturgemäßheit der Bildungsmittel unsers Geschlechts, die die Idee der Elementarbildung anspricht, ist in ihrem Wesen ebenso nichts anders als die Übereinstimmung dieser Mittel mit den unauslöschlichen Fundamenten des ewigen, göttlichen Funkens, der in unserer Natur liegt, der aber auch ewig mit dem sinnlichen Wesen unsrer thierischen Natur im Widerspruch und im Kampfe steht.

Die sinnliche Selbstsucht ist das Wesen der thierischen Natur, und was aus ihr hervorgeht und mit ihren Reizen belebt ist, ist, rein menschlich ins Auge gefaßt, naturwidrig. Daher sind freylich die Ansprüche der Idee der Elementarbildung die wesentlichen Ansprüche der wahren Naturgemäßheit, die aus dem Geist und Leben unsrer innern Natur hervorgehen und mit dem ganzen Gewebe der thierischen Verkünstelungs-Mittel unsers Geschlechts und ebenso mit der sinnlichen Allmacht der thierisch eingewurzelten Unnatur und Widernatur, die aus dem Übergewicht der Herrschaft des Fleisches über den Geist hervorgehen, im ewigen Widerspruche. Der Sinn der Welt, das Übergewicht der Aufmerksamkeit auf die Bildungsmittel der collectiven Existenz unsers Geschlechts über diejenigen ihrer individuellen, ist dem Wesen der Ansprüche der Elementarbildung und dem Einfluß ihrer naturgemäßen Mittel im ganzen Umfang ihrer wahren Bedeutung entgegen. Sie kann nicht anders. Die Bildungsmittel der collectiven Existenz unsers Geschlechts sprechen durch ihr Wesen mehr physische als sittliche und geistige Kraft, Kunst und Anstrengung an. Der Sinn des Fleisches ist dem Sinn des Geistes unter allen Formen und unter allen Gestalten zu unterwerfen, und der Geist der Idee der Elementarbildung führt im Wesen und im ganzen Umfang seiner Bestrebungen zur ernsten und belebten Anerkennung des Bedürfnisses dieser Unterwerfung.

Fasse ich den ganzen Umfang meiner Bestrebungen für die Anerkennung der Idee der Elementarbildung ins Auge, so kann[81] ich mir nicht verhehlen, diese Idee lag in mir im Gefühl des unaussprechlichen Mangels ihres Daseyns in den Anfangsmitteln der Volksbildung aller Stände. Sie führte mich mit unaussprechlicher Gewalt zu unauslöschlich in mir belebten Bestrebungen für die Vereinfachung der gemeinen, üblichen Formen des Volksunterrichts, als dem vorzüglichsten Mittel, dem übeln Zustand desselben in allen Ständen mit gesichertem Erfolge entgegenzuwirken. Aber sie, diese hohe Idee, lag in mir vorzüglich als das Produkt eines gutmüthigen, liebevollen Herzens, mit unverhältnißmäßiger Schwäche der Geistes- und Kunst-Kraft, welche dem dießfälligen Streben meines Herzens einen bedeutenden Einfluß auf die reelle Beförderung dieser hohen Idee hätte geben können. Sie lag in mir als das Produkt einer äußerst belebten Traumkraft, die in der Gewalt des dießfälligen Routineganges der Welt, wie er in meinen Umgebungen dastand, keine wirklich bedeutende Realresultate hervorbringen konnte, sondern vielmehr als die Erscheinung eines Kindes, das sich mit den kraftvollen Zeitmännern, die das Gegentheil von den Bestrebungen seiner Traumsucht wollten und ausübten, in einen Kampf einließ, in dem es in dem Grad unterliegen mußte, als es in träumerischer Standhaftigkeit darin verharrte, anzusehen war. Meine Bestrebungen konnten unter diesen Umständen natürlich keine bedeutendere Realwirkungen hervorbringen, als die zum Theil lebhaften und schimmernden, aber im Allgemeinen folgenlosen Anregungsresultate, die sie wirklich hervorbrachten. Die naturgemäßen Bildungsmittel unsers Geschlechts, die aus dem Sinne des Geistes hervorgehen, sprechen auf der andern Seite die Individuen desselben allgemein in dem Grad an, als dieser Sinn des Geistes in ihm belebt ist. Sie müssen ihn in diesem Grad ansprechen.

So wie die Unnatur und Widernatur des Welt-Sinnes und aller verderblichen Folgen seiner Selbstsucht durch die Reize der sinnlichen Befriedigung allgemein ansteckend auf die thierische Natur unsers Geschlechts einwirkt, und vermöge des thierischen Triebes der Nachahmung und der Allgewalt der Routinekraft des Esprit du corps ansteckend ist, so wirkt die Naturgemäßheit der Elementarbildung und aller ihrer Mittel, wo sie immer in der Wahrheit und im Segen ihrer Gemeinkraft wahrhaft dasteht, allgemein ergreifend und anziehend auf den Sinn des Geistes, wo dieser immer innerlich belebt dasteht. Sie wirkt allgemein auf die[82] Empfänglichkeit sittlicher und geistiger Reize und auf die Unschuld und Unbefangenheit, aus der diese Empfänglichkeit wesentlich hervorgeht. Sie, die Elementarbildung, ist auch dadurch geeignet, den Reizen und Folgen der Unnatur und Widernatur in den Bildungs- und Belebungs-Mitteln unsers Geschlechts mit Erfolg entgegenzuwirken. Die Erfahrung aller Cultur unsers Geschlechts spricht diese ergreifende und anziehende Kraft der Natur-Gemäßheit der Bildungs- und Belebungs-Mittel unsrer Kräfte, oder welches eben soviel ist, die Idee der Elementarbildung und ihrer Mittel, wo sie immer mit der Unschuld und Unbefangenheit unsers Geschlechts in Berührung kommt, in allen Epochen ihrer Geschichte mit der unzweydeutigsten Bestimmtheit aus. Aber man muß ihrem Daseyn nicht im Traum der Möglichkeit ihrer allgemeinen und allseitig vollendeten Erscheinung, sondern in den allenthalben angeregten, unvollendeten, aber mehr und minder ihrer Vollendung nachstrebenden und sich ihr nähernden Bruchstücken nachspüren, und so fällt ihr Daseyn dem Forscher in tausend und tausend stillen Erscheinungen als die Unschuld und Reinheit des menschlichen Herzens anziehend und ergreifend ins Auge.

Ich fasse die Resultate unsrer, die Erforschung des tiefen Eingreifens der Elementar-Bildungsmittel auf die Menschenbildung bezweckenden Versuche mit dem großen Fundamentalgrundsatz alles naturgemäßen Erziehungswesens, mit dem Grundsatz: »Das Leben bildet«, in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht ins Auge.

a) In sittlicher Hinsicht knüpft sich die Idee der Elementarbildung an das Leben des Kindes dadurch an, daß sie den ganzen Umfang ihrer Bildungsmittel aus dem, dem Menschengeschlecht allgemein inwohnenden und ursprünglich instinktartig belebten Vater- und Muttersinn der Eltern, und aus dem, im Kreise des häuslichen Lebens eben so allgemein belebten Bruder- und Schwestersinn hervorgehen macht. Es ist unstreitig, daß Glauben und Liebe, die wir als die göttlich gegebenen, ewigen und reinen Anfangspunkte aller wahren Sittlichkeit und Religiosität anerkennen müssen, im Vater- und Muttersinn der häuslichen Verhältnisse, folglich im wirklichen Leben des Kindes, den Ursprung ihrer naturgemäßen Entfaltung und Bildung zu suchen haben. Unsere Anstalt kann sich freylich nicht rühmen, hierin mit Kindern[83] von der Wiege auf selbst Erfahrungen gemacht zu haben. Aber es ist dennoch gleich gewiß, daß die Mittel der Idee der Elementarbildung durch ihre Einfachheit allgemein geeignet sind, in sittlicher Hinsicht von der Wiege auf benutzt zu werden, und zwar weit früher und ergreifender, als in geistiger und Kunst-Hinsicht. Das Kind liebt und glaubt, ehe es denkt und handelt, und der Einfluß des häuslichen Lebens reizt und erhebt es zu dem innern Wesen der sittlichen Kräfte, die alles menschliche Denken und Handeln voraussetzen. Und was wir, ungeachtet des Mangels von Erfahrungen mit Wiegenkindern, von unsern dießfälligen Versuchen mit verschiedener Überzeugung sagen können, ist dieses: Die Einfachheit aller elementarischen Bildungsmittel, die jedes Kind auf der Stufe der Erkenntniß, auf der es steht, fähig macht, das, was es kennt und weiß, jedem andern Kinde mitzutheilen und einzuüben, hat in sittlicher Hinsicht ihre Kraft auch in unsrer Mitte vielseitig bewährt und im Kreise unsers Hauses die Belebung des brüderlichen und schwesterlichen Sinnes und in Rücksicht auf die daraus herfließende, gegenseitige Liebe und Zutrauen in verschiedenen Epochen unsers Zusammenseyns Resultate hervorgebracht, die vor unsern Augen viele edle Seelen, welche dieselben gesehen, überzeugt haben, daß unsere dießfälligen Bestrebungen geeignet sind, die Bildungskräfte des häuslichen Lebens für die Erziehung in sittlicher Hinsicht in einem Grad zu stärken und zu bilden und dem Gang der Natur in der Entfaltung unsrer Kräfte von dieser Seite mit entschiedenem Erfolg und auf eine Weise näher zu bringen, wie wir dieses in unserer, durch verhärtete Verkünstelung so vielseitig und allgemein zur Unnatur versunkenen Zeit in allen Ständen sehr dringend bedürfen, aber auch in allen sehr schwer zu erzielen vermögen.

b) In intellektueller Hinsicht spricht die Idee der Elementarbildung dem Erziehungsgrundsatze: Das Leben bildet – ebenso das Wort. So wie die sittliche Bildung wesentlich von der innern Anschauung unsrer selbst, d.i. von Eindrücken, die unsere innere Natur belebend ansprechen, ausgeht, so geht die Geistesbildung von der Anschauung von Gegenständen aus, die unsere äußere Sinne ansprechen und beleben. Die Natur knüpft den ganzen Umfang der Eindrücke unsrer Sinne an unser Leben. Alle unsere äußern Erkenntnisse sind Folgen der Sinnen-Eindrücke[84] desselben. Selbst unsre Träume gehen aus denselben hervor. Der in allen unsern Kräften liegende Selbsttrieb zur Entfaltung der Kräfte unserer Sinne und Glieder macht uns unwillkührlich sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, greifen, gehen u.s.w. Aber unser Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Gehen, Greifen ist nur in so weit bildend für uns, als es die Kräfte unsers Auges zum richtig sehen, die Kräfte unsers Ohres zum richtig hören u.s.w. hinführt. Diese Bildung zum richtig hören, sehen, fühlen usw. hängt von der Vollendung, von der Reifung der Eindrücke, welche die Anschauungs-Gegenstände der Welt auf unsere Sinne gemacht haben, ab. Wo immer der Eindruck einer Anschauungs-Erkenntniß nicht vollendet in unsern Sinnen gereift ist, da erkennen wir den Gegenstand selber nicht im Umfang der Wahrheit, in der er vor unsern Sinnen steht. Wir erkennen ihn nur oberflächlich. Seine Erkenntniß ist nicht bildend. Sie ergreift den Bildungstrieb unserer Natur nicht im ganzen Umfang seines Wesens und seiner Kraft. Seine Folgen sind deßwegen auch nicht befriedigend für unsre Natur, und was in seinen Wirkungen für die Menschen-Natur nicht befriedigend ist, das ist in seinen Ursachen und Mitteln in so weit nicht naturgemäß begründet. So wie die sittliche Bildung im instinktartigen Vater- und Muttersinn einen göttlich gegebenen Mittelpunkt ihrer naturgemäßen Entfaltung hat, so muß auch die geistige Bildung von einem Mittelpunkt ausgehen, der geeignet ist, die Anschauungs-Erkenntniß, die wir uns durch unsre Sinne verschaffen, zu einer Reifung und zu einer Vollendung zu bringen, die unsre Natur befriedigt. Sie wird nur dadurch bildend, sie wird nur dadurch naturgemäß.

Fragen wir uns aber jetzt: Wo ist dieser Mittelpunkt, in welchem die Anschauungs-Erkenntnisse unsers Geschlechts, d.h. der ganze Umfang der sinnlichen Fundamente unsrer Geistes-Bildung hiefür vereinigt ist? so finden wir, es ist offenbar kein anderer als der Kreis des häuslichen Lebens, den das Kind von der Wiege an vom Morgen bis am Abend anzuschauen gewohnt und soviel als genöthigt ist. Es ist unstreitig die Wiederholung der Anschauung der Gegenstände, es ist die öftere und vielseitige Erscheinung dieser Gegenstände vor den Sinnen des Kindes, die den Eindruck ihrer Anschauung bey ihm zur Reifung und Vollendung zu bringen vermag. Auch ist eben so wahr, daß[85] die Wohnstuben der Menschen, die noch eine Wohnstube haben, dieser Mittelpunkt ist, und daß überhaupt außer dem Kreis des häuslichen Lebens kein Ort ist, in welchem die Gegenstände der Anschauung dem Kinde von der Wiege an so anhaltend, so ununterbrochen, so vielseitig und die Menschennatur so sehr in allen ihren Ansprüchen ergreifend vor die Sinne kommen, und folglich naturgemäß bildend auf dieselbe einwirken. Es ist in diesem Kreise, wo sich auch das Bedürfniß, die Entfaltungsmittel der menschlichen Kräfte von der Einübung der Kenntnisse und Fertigkeiten, deren jedes Kind nach seiner Lage und nach seinen Umständen individualiter bedarf, gesöndert ins Auge zu fassen, so natürlich und einfach ausspricht, und hinwieder die Objecte der speciellen Anwendungs-Fertigkeiten, die es individualiter braucht, sich gleichsam von selbst an die, in ihm entfalteten Grundkräfte, aus denen die Bildung der Anwendungs-Fertigkeiten naturgemäß hervorgehen muß, anschließen. Und da die ersten, die Entfaltungsmittel der menschlichen Kräfte, in allen Ständen und in allen Verhältnissen in ihrem Wesen die nämlichen sind und seyn müssen, und hingegen die Mittel der Bildung der Anwendungs-Fertigkeiten unsers Geschlechts unter sich unendlich verschieden sind, so ist der Grundsatz: »Das Leben bildet« in dieser Rücksicht nach zwey verschiedenen Gesichtspunkten ins Auge zu fassen.

Es fragt sich nämlich erstlich: Auf welche Weise ist der Einfluß des Lebens geeignet, die Kräfte der Menschennatur naturgemäß zu entfalten? und zweytens: In wie weit ist sein Einfluß geeignet, die Anwendungs-Fertigkeiten der entfalteten Kräfte des Kindes in ihm naturgemäß auszubilden? Die Antwort ist einfach. Es entfaltet die menschlichen Kräfte, auch unter den verschiedensten Umständen, unter denen sich das Kind befindet, nach ewigen, unveränderlichen Gesetzen, die in ihrem naturgemäßen Einfluß auf das Kind, das im Staube kriecht, und auf den Sohn des Throns, die nämlichen sind und auf die nämliche Weise auf die Menschennatur einwirken. In Rücksicht auf die Anwendung der Kräfte wirkt das Leben hinwieder auf jedes Individuum, das es bildet, vollends in Übereinstimmung mit der Verschiedenheit der Umstände, Lagen, Verhältnisse, in denen sich das Kind, das gebildet werden soll, befindet, und ebenso in Übereinstimmung mit der Eigenheit der Kräfte und Anlagen des[86] Individuums, das hiefür gebildet werden soll, ein. Sein letzter Einfluß ist also in dieser Rücksicht unaussprechlich verschieden.

Daraus folgt weiter, was die Kunst der Elementarbildung in ihrer Handbietung zur naturgemäßen Entfaltung der Anschauungskräfte der Kinder von der Wiege an beyzutragen vermag und zu thun hat, und das ist nichts anders, als die Anschauungs-Gegenstände des häuslichen Lebens dem Kind von der Wiege an reizend, kraftvoll und ansprechend vor die Sinne zu bringen und dadurch im reinen Sinn des Worts bildend auf dasselbe einwirken zu machen; so daß die elementarischen Bildungsmittel der Anschauungskraft im Grunde nichts anders sind, als psychologische Belebungsmittel des Selbsttriebs der Anschauungskraft, der ihr, wie jeder andern Kraft der Menschennatur, zu ihrer selbstständigen Entfaltung allgemein inwohnt. Sie sind nichts als Resultate der menschlichen Sorgfalt, die Eindrücke der Anschauungs-Gegenstände durch Festhaltung und Belebung für das Kind bildend zu machen.

Ich gehe weiter. Die elementarische Kunst der naturgemäßen Ausbildung der Anschauungskraft ruft, vermöge ihres Wesens, der naturgemäßen Entfaltung der Sprachkraft, d.h. die bildend belebten Eindrücke der Anschauungs-Gegenstände rufen, vermöge ihres Wesens, der menschlichen Kraft, sie ausdrücken zu können, sie rufen der menschlichen Sprachkraft.

Die naturgemäße Ausbildung dieser Kraft ist durch ihr Wesen an den Gang der Natur in der Entfaltung der Anschauungskraft gebunden. Sie steht mit ihr im innigsten Zusammenhange und muß in Rücksicht auf die Organisation ihrer Ausbildungsmittel im innigsten Zusammenhang mit den Mitteln, die der Entfaltung der Anschauungskraft eigen sind, ins Auge gefaßt werden.

So wie die Bildung der Anschauungskraft, also geht auch die Bildung der Sprachkraft vom Leben aus. Der Grundsatz: Das Leben bildet – ist in Rücksicht auf ihre Ausbildung eben so wahr und eben so eingreifend und bedeutend, als in Rücksicht auf die Ausbildung der Anschauungskraft. Es ist unstreitig, der Gang der Natur in der Entfaltung der letzten geht durchaus, wie ihr Gang in der Entfaltung der ersten, vom Leben aus, und ihre Ausbildung ist nur dadurch und nur in so weit naturgemäß, als sie dieses thut, d.h. als sie mit diesem großen, allgemeinen und göttlich gegebenen Fundament der Menschenbildung in[87] Übereinstimmung steht. Und ebenso gewiß ist, daß diese Übereinstimmung nur durch die Ankettung des ganzen Umfangs aller ihrer Mittel an das häusliche Leben, folglich an den ganzen Umfang der Anschauungs-Erkenntnisse dieses Lebens wahrhaft erzielt werden kann, welche Erkenntnisse im Kinde mit bestimmten Begriffen vorher schon da seyn sollen, ehe man das willkührliche Wortzeichen, das dieselben in jeder Sprache verschiedenartig ausdrückt, ihm in den Mund legt.

So wie man anfängt, dem Kinde leere Wörter, als wären sie Sacherkenntnisse oder Erlernungsmittel von Sacherkenntnissen, in den Mund zu legen und seinem Gedächtnisse einzuprägen, von denen es weder durch die Gefühle seiner innern Natur, noch durch die Sinneneindrücke seines äußern Lebens ein Realfundament ihrer wirklichen Bedeutung in sich selbst trägt, so geht man offenbar in der Ausbildung der Sprachkraft vom Grundsatz: »Das Leben bildet« ab, und indem man dieses thut, legt man ins Kind den Grundstein aller Verkehrtheit und aller Unnatur im Gebrauche der göttlichen Gabe der Sprachkraft. Man legt in dasselbe den Grundstein aller Anmaßung und aller Verhärtung, und damit den Grundstein zu dem größten Unglück unsrer Tage, zu der Unnatur, die aus der Oberflächlichkeit aller Erkenntnisse und aus den Lügen unserer dießfälligen Ausdrücke hervorgeht und unser Geschlecht dahin führt, in den Sumpf aller Irrthümer, aller Anmaßungen und aller Selbstsucht zu versinken, die der Oberflächlichkeit der menschlichen Erkenntnisse in allen Formen und in allen Verhältnissen eigen sind, deren Folgen aber auch unser Zeitalter in allen Formen und in allen Verhältnissen leidend erkennt. Die Sprachlehre erscheint in Rücksicht ihres dießfälligen Zusammenhangs mit dem Grundsatz: »Das Leben bildet« eigentlich als ein Anwendungs-Mittel der Anschauungs-Erkenntnisse, dessen Bestimmung dahin geht, diesen letzten einen höhern Grad ihrer Brauchbarkeit zu verschaffen. Ihre Kunst geht wesentlich und nothwendig von der Benennung der Gegenstände, von den Objecten der Anschauung aus und knüpft sich an die Beschaffenheits-Veränderungen, an das Leiden und Wirken, d.i. an die Adjektiva und Verba, die diese Beschaffenheiten, Veränderungen, dieses Leiden und dieses Wirken der Objecte ausdrücken, an. Je ausgedehnter und bestimmter die Anschauungs-Erkenntnisse der Objecte, ihrer Beschaffenheiten,[88] ihres Wirkens und Leidens beym Kinde sind, desto ausgedehnter und bestimmter liegen die naturgemäßen Fundamente der Sprachlehre oder vielmehr des naturgemäßen Redenlernens in ihm selber. Je beschränkter und unbestimmter die Anschauungs-Erkenntnisse dieser Objecte und Beschaffenheiten im Kinde liegen, desto beschränkter und verwirrter liegen die ächten und soliden Fundamente des naturgemäßen Redenlernens in ihm. Die Sprachlehre ist also bey jedem einzelnen Kind von dem Grad der Ausdehnung und Bestimmtheit der Anschauungs-Erkenntnisse, die es besitzt, abhängig, und der Sprachlehrer muß, wenn dem Zögling die, seiner Lage und seiner Bestimmung wesentlichen Anschauungs-Erkenntnisse mangeln, ehe er in seinem Sprachunterricht naturgemäß weiter gehen kann, die Lücken der dem Kinde jedes Standes nothwendigen, aber mangelnden Anschauungs-Erkenntnisse vor allem aus auszufüllen suchen.

Der naturgemäße Gang des Vorschrittes im Redenlernen, d.h. in der Erlernung der Muttersprache, kann demnach in keinem Fall schneller und in keinem Fall bildender seyn, als die Vorschritte des Kindes in seinen Anschauungs-Erkenntnissen es auch sind. So wie das Kind viele Jahre braucht, um die Gegenstände seiner Umgebungen sich von allen Seiten durch ihre Anschauung zum klaren Bewußtseyn zu bringen, so braucht es auch viele Jahre, es dahin zu bringen, sich über den Kreis seiner Anschauungen mit Bestimmtheit ausdrücken zu können; und es kann in diesem Erlernen nur in dem Grad naturgemäß vorschreiten, als die Eindrücke der Gegenstände bey ihm in der Anschauung selber durch vielseitige Belebung zu ausgedehnterer Bestimmung gereift. Nur so weit die Natur die Vielseitigkeit und Bestimmtheit der Anschauungs-Eindrücke belebt, nur so weit ist die Kunst, das Kind in den Ausdrücken der Gegenstände naturgemäß vorschreiten zu machen, wahrhaft und wesentlich begründet und beholfen. Die Kunst der naturgemäßen Erweiterung und Belebung der Anschauungs-Eindrücke ist das einzige wahre Fundament aller Mittel, die Erlernung der Muttersprache in ihren Vorschritten naturgemäß zu behelfen. Das Äußere der Sprache, die Töne selber, sind ohne belebten Zusammenhang mit den Eindrücken, die ihrer Bedeutung zum Grunde liegen, leere, eitle Töne. Sie werden nur durch das Bewußtseyn ihres Zusammenhangs mit den Eindrücken der Anschauungs-Gegenstände[89] wahre, menschliche Worte. Ihre Anfangs-Vorbereitung durch das, was das Mutterkind in seinen Umgebungen reden hört, ist lange bloß mechanisch; aber diese mechanische Vorbereitung zum Redenlernen fordert die ganze Aufmerksamkeit der Personen, die auf das Redenlernen des Kindes Einfluß haben.

Die Worte, die das unmündige Kind in seinen Umgebungen hört, werden ihm nur allmälig geistig bildend. Sie machen lange nur, wie das Glockengeläute, der Hammerschlag, sie machen nur wie die Thiertöne und alle andern Naturtöne, einen sinnlichen Eindruck auf sein Gehör. Aber dieser Eindruck ist für die Sprachlehre bedeutend. Sein Eindruck, als solcher, vollendet sich allmählig im Gehör. So wie er im Gehör vollendet ist, geht er allmälig in die Kraft des Mundes, ihn nachzusprechen, hinüber. Es lernt in diesem Alter eine Menge Worttöne aussprechen, deren Sinn es nicht kennt; aber es ist dadurch vorbereitet, diesen Sinn ohne alles Maß leichter aufzufassen und fester zu behalten, als wenn sie ihm im Mund und Ohr nicht schon geläufig wären. Die Elementarbildung begnügt sich indeß nicht, die Eindrücke, welche die Natur dem Kind zufällig und verwirrt vor die Sinne stellt, zu Ausbildung seiner Sprachkraft, bloß so, wie sie kommen und sich einstellen, zu benutzen; sie dehnt ihren dießfälligen Einfluß auch dahin aus, dieselben wahrhaft nach dem Umfange der wirklichen Bedürfnisse der Menschennatur zu ordnen und ihre Benutzung mit diesen Bedürfnissen in Übereinstimmung zu bringen. Sie muß es. Denn es ist auffallend, so wie es für die Ausbildung des Anschauungs-Vermögens des Kindes nothwendig und gut ist, daß der Kreis seiner Anschauungs-Gegenstände in seinen Umgebungen für die Entfaltung aller ihm wesentlichen und nothwendigen Kenntnisse umfassend und ihm genugthuend sey, aber durchaus nicht außer die Segensbedürfnisse seiner Lage, Verhältnisse und Kräfte so weit hinausgehe, daß er auf die, ihm in seiner Lage und in seinen Verhältnissen nothwendigen und wesentlichen Kenntnisse, sie stillestellend, abschwächend, zerstreuend und verwirrend einwirke. Eben so auffallend nothwendig ist es, daß der Kreis der Sprachkenntnisse, in dessen Schranken das Kind reden lernen soll, für die Bedürfnisse seiner Lage, Verhältnisse und Kräfte umfassend und genugthuend sey, aber auch nicht über den Kreis der Segensansprüche dieser Verhältnisse[90] so weit hinausgehe, daß er auf die, ihm in seiner Lage und in seinen Verhältnissen nothwendigen und wesentlichen Kenntnisse, sie stillestellend, abschwächend, zerstreuend und verwirrend einwirke. Dieser Gesichtspunkt ist auf die Entfaltungs- und Bildungsmittel aller menschlichen Kräfte gleich wahr und gleich bedeutend.

Auch das ärmste, auch dasjenige Kind, dessen Lage und Verhältnisse die allerbeschränktesten sind, kann in der Realität, in der Solidität seiner wesentlichen Grundkräfte auf eine naturgemäße elementarische Weise nie zu weit geführt werden; es kann elementarisch und naturgemäß nie zu wohlwollend, nie zu verständig, nie zu thätig und arbeitsam gebildet werden. Aber die Bildung der Anwendungs-Fertigkeiten seines Wohlwollens, seines Denkens und seines Arbeitens muß schon von den ersten Anfangspunkten an, in welchen sich die Kunst in die Erziehung einmischt, fest innerhalb der Schranken, die die Bedürfnisse und Verhältnisse seines wirklichen Lebens ansprechen, gehalten werden. Und hierin ist's, worin die Kunst der Elementarbildung die Anschauungs- und die Spracherkenntnisse in den Kunstmitteln ihrer Erlernung wesentlich zu bewähren geeignet und berufen ist. Alle Kunst der Erziehung muß bey jedem einzelnen Kind als im Dienst seines wirklichen Lebens stehend, angesehen werden. Die Kunst der Erziehung darf dasselbe schon in den ersten Stufen seiner Bildung, schon in ihrer Mitwirkung zur Entfaltung seines Anschauungs- und Sprachvermögens nicht zum Nachtheil der Bedürfnisse dieses seines wirklichen Lebens zu Anschauungs- und zu Sprachkenntnissen hinführen, die ihm im Kreis dieses Lebens nicht nur nicht anwendbar, sondern vielmehr geeignet sind, den Gang seiner Bildung in den ersten Bedürfnissen ihrer Übereinstimmung mit seinem wirklichen Leben zu verwirren, das Kind für dasselbe zerstreut und kraftlos zu machen und in der Harmonie seines dießfälligen Seyns, Thuns und Lebens zu mißstimmen.

So groß sind die Folgen der Anerkennung des Unterschieds der Naturgemäßheit, der zwischen den Entfaltungs-Mitteln der menschlichen Kräfte und den Ausbildungs-Mitteln ihrer Anwendungs-Fertigkeiten auch in Rücksicht auf die Ausbildung seiner Sprachkraft statt findet. Es ist merkwürdig, wie sehr der Unterschied zwischen den elementarischen Entfaltungs-Mitteln unsrer[91] Kräfte und der elementarischen Ausbildung unsrer Anwendungs-Fertigkeiten mit dem Unterschied des Grads, in welchem die Kunstmittel zur Ausbildung der Anschauungskraft, der Sprachkraft, der Denkkraft und der Kunstkraft den verschiedenen Ständen gegeben werden müssen, im innigsten Zusammenhang steht. Der innere Zusammenhang dieses gedoppelten Unterschiedes macht es auch auffallend, wie nothwendig es ist, daß die Erziehung in den ersten Schritten der Einmischung ihrer Kunst den wahren Gang der Natur sowohl in den Entfaltungs-Mitteln unsrer Kräfte als in den Bildungsmitteln der Anwendungs-Fertigkeiten derselben mit großer Sorgfalt festhalte, und in dem einen sowohl als in dem andern nicht gegen die Natur anstoße. Die Beruhigung des Menschengeschlechts und der wahre Segen aller Stände ist an die ernste und allgemeine Erkenntnis dieser Wahrheit gebunden. Die Gefahr der Abschwächung und der allmäligen Auflösung der reinsten Bande des gesellschaftlichen Lebens ist eine unausweichliche Folge der Mißkennung dieser Grundsätze in der häuslichen und öffentlichen Erziehung aller Stände.

Ich gehe weiters. Die Naturgemäßheit der Erlernung jeder andern als der Muttersprache, ist in ihren Mitteln, wie schon oben gesagt, von der Naturgemäßheit der Bildungsmittel der ersten wesentlich verschieden. Ihre ganze Kunst besteht in naturgemäßen Erleichterungs-Mitteln, die Worttöne der Muttersprache, deren Sinn dem Kind bekannt ist, in Worttöne einer andern Sprache, die ihm vorher nicht bekannt war, zu umwandeln. Wenn die Kunst dieser Umwandlung in psychologischer und mnemonischer Hinsicht einen naturgemäßen Organismus zu ihrem Fundament hat, so ist sie, mitten indem sie von dem tief verkünstelten Routinegang der gewohnten Sprachlehre gänzlich abweicht, dennoch unendlich leicht. Sie ruht auf dem unbestreitbaren Erfahrungssatze: Das Redenlernen ist an sich und in den Anfängen seiner Einübungsmittel durchaus nicht die Sache der Geistesbildung, sondern des Redenhörens und des Redens selber. Das Bewußtseyn aller grammatikalischen Regeln ist hinwieder nichts anders als ein Probierstein, ob die naturgemäßen Mittel des Redenlernens und des Redenhörens beym Kinde ihren Zweck erreicht und ihm wirklich ein Genüge geleistet haben. Diese Regeln sind in ihrem Wesen bestimmt das Ende eines, psychologisch gut geordneten Redenlernens, und bey fernem nicht ihr Anfang. Aber[92] man hat seit langem in Rücksicht auf die Erlernung jeder andern als der Muttersprache, das Redenlehren der Sprache von der eigentlichen Sprachlehre, deren geistiges Wesen durch die mechanischen Erleichterungs-Mittel des gemeinen Redenkönnens dem Kinde vorbereitend zum ahnenden Bewußtseyn gebracht werden muß, ehe es durch die Erlernung der Regeln darin zum deutlichen Erkenntniß derselben gebracht werden kann und gebracht werden soll, unnatürlich gesondert. Man gibt dieses zwar in Rücksicht auf die lebenden Sprachen hie und da zu; man kann nicht anders als es zugeben; aber man widerspricht es in Rücksicht auf die todten Sprachen im höchsten Grade und wird zu diesem entscheidenden Widerspruche vorzüglich dadurch bewogen, weil der Unterricht in den todten Sprachen gegenwärtig wirklich, mitten in der Lückenhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit der Routinemittel seiner Anfangspunkte, in unsern Tagen in seinen Resultaten sehr weit und wesentlich vorgeschritten und in seinen höhern Stufen wirklich auf psychologisch tiefer greifende Fundamente gebaut wird.

So richtig aber diese Thatsache auch immer ist, so bleibt dennoch gleich wahr, daß im allgemeinen die niedern Stufen unsers Zeitunterrichts in den alten Sprachen weder in psychologischer noch in mnemonischer Hinsicht als naturgemäß und in dieser Rücksicht als befriedigend angesehen werden können. Das Vorzügliche, das dieselben in den obern Stufen wirklich haben, hat in den niedern kein psychologisches und mnemonisches, dasselbe genugsam vorbereitendes und naturgemäß anbahnendes Fundament. Ich bin von dieser Wahrheit in dem Grade überzeugt, daß ich es wage, mit Bestimmtheit auszusprechen: der gegenwärtige Routinegang in der Erlernung der Anfangspunkte der alten Sprachen ist in psychologischer und mnemonischer Hinsicht unnatürlich und naturwidrig. Ich weiß ganz wohl, in welchem Grade dieses Wort im Munde eines Mannes, der weder die alten Sprachen, noch die Vorzüge, zu welchen ihre Unterrichtsweise sich im allgemeinen erhoben, persönlich kennt, als unerträglich und beynahe empörend anmaßlich ins Auge gefaßt werden wird. Aber indem ich auf der einen Seite meine gänzliche Unfähigkeit, die höhern Stufen des Unterrichts in den alten Sprachen zu beurtheilen, vollkommen erkenne, und alles, was hieraus natürlich folgt, von Herzen zugebe, darf ich meinem dießfälligen[93] Geständniß auf der andern Seite mit voller Überzeugung auch beyfügen, daß eben diese Unkunde aller Raffinements- und Kunstmittel des Routinegangs im Sprachunterricht mir bey meinen Bestrebungen, die Mittel des Redenlernens wie den ganzen Umfang der Mittel des gemeinen Volksunterrichts zu vereinfachen und den dießfälligen Gang der Natur durch die Kunst psychologisch und mnemonisch zu stärken und für seinen Zweck eingreifend und fruchtbar zu machen, in einem Grad und auf eine Weise behülflich gewesen, auch den Gang der Natur in der Erlernung der todten Sprachen und ihrer psychologischen und mnemonischen Fundamente in seiner Einfachheit tiefer zu erforschen, als dieses mir, wenn ich die alten und neuen Sprachen in den bessern ihrer Routineformen zur höchsten Vollkommenheit erlernt hätte, wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre.

Ich sah sehr bald, daß die Mittel der Geistesbildung, die aus der vereinfachten Zahl- und Formlehre hervorgehen, in ihren wesentlichen Folgen auf die Menschenbildung gelähmt sind und im Allgemeinen ohne Wirkung dastehen, wenn sie nicht mit einer ebenso tief greifenden Vereinfachung des Sprachunterrichts verbunden sind. Und da ich persönlich auf die tiefere und weitführende Bearbeitung der vereinfachten Zahl- und Formlehre keinen Anspruch machen darf, sondern mich in Rücksicht auf die dießfällige, genugthuende Bearbeitung dieser zwey Fächer für gänzlich unfähig erklären muß, so habe ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die Mittelstufe, die zwischen der elementarischen Bearbeitung der Entfaltungsmittel, der Anschauungskraft und derjenigen der Denkkraft statt findet, geworfen; und mein ganzes Verdienst, das ich in Rücksicht meines Einflusses auf die Bearbeitung der Idee der Elementarbildung anspreche, bezieht sich einzig auf das Fach des Sprachunterrichts. Ich habe mir dieses Fach allein durch persönliches Nachforschen eigen und darin selbstständig einzuwirken, mich fähig zu machen gesucht. Ich bin also auch über dasselbe weitläufiger, als über diejenigen Fächer der Elementarbildung, die ich nicht in diesem Grad erforscht und nicht einmal sie in diesem Grad zu erforschen mich fähig achten darf.

Die naturgemäßen Mittel des Unterrichts jeder Sprache sind in ihrem Wesen naturgemäße Mittel der Entfaltung und Bildung der Sprachkraft, folglich im innigsten Zusammenhange mit den[94] naturgemäßen Mitteln der Entfaltung der Anschauungskraft. Sie stehen eigentlich in der Mitte zwischen den naturgemäßen Kunstmitteln der Ausbildung der Anschauungskraft und den naturgemäßen Kunstmitteln zur Entfaltung der Denkkraft.

Die Ausbildung der Anschauungskraft, als wesentliches Fundament der Ausbildungsmittel der Sprachkraft, ist in Verbindung mit dieser letzten als wesentliches Fundament der naturgemäßen Ausbildung der Denkkraft anzusehen. Sie, die Sprachlehre, ist also die wesentliche Mittelstufe zwischen dem geistig belebten Wesen der Anschauungskraft und demjenigen der Denkkraft.

Die Bildungsmittel dieser Mittelstufe zwischen beyden sind in ihren Anfangspunkten also wesentlich mechanisch und müssen es seyn, und die Sprachkraft ist das, die Eindrücke der Anschauungskraft mit den Entfaltungsbedürfnissen der Denkkraft vermittelnde Organ.

Alle drei Kräfte, die Anschauungskraft, die Sprachkraft und die Denkkraft, sind als der Inbegriff aller Mittel der Ausbildung der Geisteskraft anzuerkennen. Diese letzte findet in der Anschauungskraft den Anfangspunkt, in der Sprachkraft den Mittelpunkt und in der Denkkraft den Endpunkt ihrer naturgemäßen Bildung. Auch redet die Übereinstimmung der Bildungsmittel der Anschauungskraft mit derjenigen der Sprachkraft dieser Ansicht laut das Wort. So wie die ersten, die Bildungsmittel der Anschauungskraft, von den Objecten ausgehen und durch die Erkenntniß ihrer verschiedenen Beschaffenheiten und Wirkungen für die Kraft bildend werden, also geht auch das Mechanische der elementarischen Einübungsmittel der Sprachkraft von Substantiven aus und wird durch Anknüpfung der Adjectiva und Verba, die in der Wirklichkeit mit denselben verbunden sind, mechanisch oder mnemonisch mitwirkendes Übergangsmittel der Anschauungskraft zur Begründung der naturgemäßen Ausbildungsmittel der Denkkraft. So wie das große Erziehungswort: Das Leben bildet – im ganzen Umfang seiner Ansprüche in Rücksicht auf die naturgemäße Entfaltung der Anschauungskraft wahr ist, so ist es in Rücksicht auf die naturgemäße Entfaltung der Sprachkraft eben so wahr und eben so bedeutend, und zwar in Rücksicht auf diejenigen Folgen, die die Sprachkraft als Mittelstufe der Bildungsmittel zur Entfaltung der Anschauungs- und[95] der Denkkraft gleich hat, gedoppelt. Diese Folgen werden einerseits durch den Zusammenhang und die Ansprüche des innern, geistigen Wesen unsrer Natur mit den ewigen Gesetzen, die der Sprachkraft zum Grunde liegen, bestimmt, und in so weit sind auch ihre Mittel und ihre Resultate ewig unveränderlich und sich selbst gleich; anderseits werden sie durch den Zusammenhang und die Ansprüche der millionenfach verschiedenen Umstände, Lagen, Verhältnisse, Mittel und Kräfte der Individuen, die durch sie gebildet werden sollen, hinwieder bestimmt, und sind in dieser Rücksicht in eben dem Grad unter sich ungleich und verschieden. Deßwegen ist die Sprachbildung, wenn sie elementarisch gegeben werden soll, in dem Zeitpunkt, in dem das Kind reden lernen muß, in beyden Rücksichten einerseits den ewig gleichen Gesetzen der Sprachkraft, anderseits den unendlich verschiedenen Lagen und Umständen der Kinder, die reden lernen sollen, unterworfen und von ihnen abhängig. Es ist in der Welt kein anderer Anfang des Redenlernens der Muttersprache naturgemäß, aber auch kein anderer möglich.

Das Redenlernen des Menschengeschlechts geht nicht von der Sprachlehre, die Sprachlehre geht vom Redenkönnen des Menschengeschlechts aus. Es ist indessen aber gar nicht die Ungleichheit der äußern Sprachformen und Mundarten, es ist die Wahrheit und die Realität der Lagen, Umstände und Verhältnisse, in denen jeder einzelne Mensch lebt, es ist die Wahrheit und die Realität der Kräfte und Mittel, die jeder Mensch in dieser Rücksicht besitzt, was bey ihm den großen Unterschied in der Art und Weise, wie bey ihm die Sprachkraft naturgemäß entfaltet werden kann und werden soll, bestimmt; es ist diese Wahrheit und diese Realität des Lebens eines jeden Menschen, was den Kreis des Redenlernens bey den einen naturgemäß ausdehnt und bey den andern naturgemäß einschränkt. Und was hierin bey den einzelnen Menschen wahr ist, das ist auch bey den einzelnen Klassen und Ständen der Menschen wahr. So wie die Objecte der Anschauung sowohl als die Mittel ihrer geist- und kunstbildenden Benutzung beym landbauenden Manne beschränkter sind als beym städtischen Berufs- und Gewerbs-Mann, so sind hinwieder die Objecte der Anschauung und die Mittel ihrer geist- und kunstbildenden Benutzung beym städtischen Berufs- und Gewerbs-Mann beschränkter als diejenigen der Stände und Menschen,[96] die zu einer wissenschaftlichen Laufbahn gebildet werden sollen, und überhaupt als diejenigen der Individuen, deren Umstände sie über das Bedürfniß, für die Begründung oder auch für die Erhaltung des ökonomischen Zustandes ihres Hauses und ihrer Verhältnisse durch persönliche Einschränkung und Aufopferung zu sorgen, mit Sicherheit emporstellen.

Diese unwidersprechliche Wahrheit und Realität des dießfälligen ungleichen Zustandes der menschlichen Stände und Klassen, in Rücksicht auf die Naturgemäßheit der Entfaltung ihrer Sprachkraft, setzt nothwendig das Bedürfniß ins Licht, daß die Kunstmittel der Sprachlehre, und zwar sowohl die häuslichen als die öffentlichen, mit den Realfundamenten des wirklichen Lebens der Menschen und Menschenklassen in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Es fällt auf, daß sie nur dadurch als naturgemäß und zum wirklichen Segen unsers Geschlechts hinführend angesehen und anerkannt werden können. Die Mittel einer naturgemäßen Ausbildung der Sprachkraft müssen also in jeder dieser drey Klassen und Stände, in Rücksicht auf ihre Ausdehnung und Beschränkung, im allgemeinen nothwendig und wesentlich sehr verschieden organisirt werden. Sie müssen in jeder derselben den Bedürfnissen ihrer Lage ein Genüge leisten, aber in keinem derselben in ein Hinderniß des Segens und der Beruhigung desselben ausarten. Sie müssen in jedem dieser Stände mit den, ihm in sittlicher, geistiger und Kunsthinsicht nothwendigen und zu Gebote stehenden Anschauungsgegenständen verbunden werden und zur sicheren Begründung des Segenseinflusses derselben durch Übereinstimmung mit ihnen einwirken.

So wie die Kinder des Staubes und die ganze Klasse unbegüterter Landbauern in Rücksicht auf ihre Sprachbildung sich über alles dasjenige, was ihren Beruf, ihre Pflicht und ihre Verhältnisse betrifft, mit Bestimmtheit ausdrücken lernen müssen, so müssen sie auch in religiöser Hinsicht dahin gebracht werden, sich über das Erhebende und Bildende des religiösen Sinnes in aller Einfachheit und Unschuld, aber in aller Wärme des Glaubens und der Liebe selbstständig ausdrücken zu können. Die Herzenssprache des Gebetes muß ihnen auch in den niedersten Hütten in ihrer Mundart geläufig gemacht werden. Im frohen, heitern Sinn, der dem jugendlichen Alter des Menschengeschlechts eigen ist, muß ihre Sprachkenntniß auch Herzenshalber auf den Punkt gebracht[97] werden, der sie innerlich zu erheben und zu befriedigen fähig, so wie sie äußerlich durch sie in den Stand gesetzt werden müssen, sich derselben zur Befriedigung ihrer Lagen und Umstände bedienen zu können. Aber die mühsame, ihre Sinne und Glieder vom Morgen bis am Abend ansprechende Arbeit ihres Standes fordert wesentlich, daß sie durch die Art ihrer Sprachbildung nicht in Kenntnisse und Interessen hineingelockt werden, die sie in den Fundamenten ihres Segens und ihrer Ruhe zerstreuen, abschwächen und untergraben. Dabey ist es im höchsten Grad wichtig, daß der Mensch durch die Art, wie er reden lernt, nicht zum Schwatzen und Schwatzenwollen hingelenkt werde. Es ist im Leben unaussprechlich wichtig, daß er nicht unüberlegt und unbedacht reden lerne, daß folglich die Übungen seines Redenlernens fest, kraftvoll und lebendig an die Übungen seines Denkens und Überlegens angeknüpft werden. Hinlenkung zur Geschwätzigkeit, die eine unpsychologische Sprachlehre durch ihre Mittel und Folgen selber bey den niedern Ständen auch leicht erzeugt, ist vorzüglich für Menschen, die ihr Brod im Schweiß ihres Angesichts suchen müssen, aber dabey auch erzogen werden sollen, um selbiges in ihrem Stande mit Gott und Ehren verdienen zu können, im höchsten Grad nachtheilig. Und wahrlich, die sich kultivirt glaubende Zeitwelt nimmt es nicht genug zu Herzen, daß sie in ihrem Einfluß auf die Ausbildung des Landvolks in Rücksicht auf die Art des Redenlernens so wie der Ausdehnung der Kenntnisse halber im allgemeinen mit großer Sorgfalt zu Werke gehen, und alles das, was dem unbegüterten Landvolk eigentlich nur zeitverderbendes Spielwerk ist, mit Kraft und Ernst der soliden Erlernung dessen, was es unumgänglich nothwendig hat, nachgesetzt werden sollte.

Gehen wir weiter, so sehen wir, daß der bürgerliche Handwerks- und Berufsstand und der durch Eigenthum und Gewerbsfleiß mit ihm sich in gleicher Lage befindende begütertere Landmann einen ausgedehntern Übungskreis seiner Sprachfertigkeiten anspricht; aber auch dieser muß von der Wahrheit der Realität und der Bedürfnisse seines wirklichen Lebens ausgehen und wird vielseitig wieder durch dasselbe beschränkt. Die Fundamente der bürgerlichen Ehrenfestigkeit, Behaglichkeit und stillen, bescheidenen Rechtlichkeit des Handwerks- und bürgerlichen Erwerbs- und Berufsstandes, deren verlöschende Überreste ich in meiner[98] Vaterstadt noch in meiner frühen Jugend gesehen, sprachen sich auszeichnend in den Vorzügen, die die Sprachbildung dieses Standes und die mit ihr innig verbundenen Lese- und Schreibübungen vor den dießfälligen Übungen hat, die das Landvolk im Allgemeinen genoß, sehr aus. Ihr Kirchengesang und zum Theil auch ihre Freiheits-, ihre bürgerlichen Zunft- und Gesellschafts-Lieder, ihre Handwerksgesänge etc. etc. waren ein zuverlässiges Zeugniß einer, mit der Wahrheit und der Realität ihres Lebens übereinstimmenden und sie in den Schranken ihres Standes innig erhebenden Ausbildung ihrer Sprachkraft. Wahrlich, wir müssen auch in dieser Rücksicht für diesen Stand zu den naturgemäßen Grundsätzen der Vorzeit zurückkehren und erkennen lernen, daß wir auch dem Bürgerstand des Wortwesens über unnütze, seine Segensverhältnisse nicht berührende Gegenstände im Allgemeinen zu viel und in Rücksicht auf die Realbedürfnisse und Fundamente seines sittlichen, häuslichen und bürgerlichen Segens im Allgemeinen nicht nur zu wenig, sondern wahrlich täglich je länger je weniger geben. Der Unterschied der dießfälligen Privat- und öffentlichen Besorgung der Söhne und Töchter der gemeinen Bürger, der nur bey meiner Lebenszeit einriß und statt findet, ist äußerst groß. Die erhebende Aufmerksamkeit auf die allgemeine Erhaltung der Ehrliebe und Ehrenfestigkeit des niedern Bürgerstands ist in ihren Fundamenten tief erschüttert.

Ich trete in die Ursachen dieses Unglücks jetzt nicht ein; aber die Thatsache ist richtig, und ihre Folgen sind für die Mehrzahl der gemeinen städtischen Einwohner sehr drückend und sie nicht nur an der Beförderung und Sicherstellung ihres ökonomischen Wohlstands gefährdend, sondern auch an der Befriedigung ihrer höhern, menschlichen und sittlichen Bedürfnisse in einem hohen Grad hemmend. Der Bürgerstand bedarf einer bestimmt von der Thatsache seines wirklichen Lebens ausgehenden und sie belebenden Bürgersprache. Diese mangelt ihm in dem Grad, als das Bürgerleben wenigstens in sehr vielen unsrer Städte kein Bürgerleben mehr ist, und sie muß ihm so lange mangeln, als dieses also ist. Weder der Bon ton, noch die verschiedenen Arten des mauvais Genre du ton ist die Sprache, deren der Bürgerstand bedarf. Weder der eine, noch der andere geht aus der Wirklichkeit des wahren Bürgerlebens hervor, sondern ist den wesentlichen[99] Bedürfnissen des öffentlichen und Privatsegens dieses Stands schnurstraks entgegen. Ich will von der Sprachlehre, die dem Bürgerstand durch die allgemeine Besuchung der Staatspromenaden, des Schauspiels, des Casino, der Zeitungs- und Journal-Lesegesellschaften und ähnlichen Auswüchsen des öffentlichen, städtischen Sprachunterrichts gegeben wird, nicht reden.

Die wissenschaftlichen und höhern Stände, die in eben dem Grad einer, aus dem Leben hervorgehenden und mit ihm übereinstimmenden, naturgemäßen Ausbildung der Sprachkraft bedürfen, als dieses bey ihnen in Rücksicht auf die Ausbildung ihrer Anschauungs- und ihrer Denkkraft der Fall ist, sind indessen wahrlich auch in dieser Rücksicht darin durch den Zeitgeist und seine Folgen eben so übel beholfen, als der Bürgerstand und das Landvolk. Es ist, als wenn unsre Zeitwelt glaubte, die höhern Stände müssen durch das Redenkönnen denken und leben lernen, und seyen gar nicht im Fall, durch das Leben reden und denken lernen zu müssen, und auf diesem Wege verlieren sie soviel als die Bildung der Realkräfte, die dem Reden, Denken und Leben von Natur allgemein zum Grunde liegen und hinwieder ihm durch die Kunst allgemein zum Grunde gelegt werden müssen. Sie verlieren dadurch vielseitig das wesentliche Belebungsmittel der naturgemäßen Ausbildung ihrer Anschauungs-, ihrer Sprach- und ihrer Denkkraft zusammen, und mit diesem die wesentlichen Fundamente der segensvollen Anwendung ihrer Kräfte im Leben. Die Bildungslücke, die dadurch in den Individuen, die in diesem Fall sind, nothwendig statt finden muß, ist groß und in ihren Folgen weitgreifend. Was nützt der Überfluß von Anwendungskräften, wo die Kräfte, die angewandt werden sollen, selber mangeln? Und unausgebildete, übelausgebildete und unnatürlich verbildete Kräfte sind wahrlich in Rücksicht auf den segensvollen Einfluß ihrer Anwendung als beynahe mehr als nur mangelnde Kräfte anzusehen. Ich mag meinem dießfälligen Urtheil nicht zu viel trauen; aber ich dächte, dieser Gesichtspunkt wäre der ernsten Überlegung der edelsten Individuen aus den höhern Ständen würdig, und zwar um der Würde, des Wohlstands und der Selbstständigkeit des Mehrtheils ihrer Standsgenossen sowohl, als um des mit denselben innig zusammenhangenden, öffentlichen Wohlstands aller Stände willen.[100]

Das Bedürfniß der naturgemäßen Ausdehnung, Verstärkung und Belebung der Bildungskräfte der höhern Stände ist wahrlich eben so dringend als dasjenige der naturgemäßen Einschränkung und Verengerung des unnatürlichen Ausschweifungsdranges der niedern Stände zu einem, ihnen nicht nur unbrauchbaren und segenslosen, sondern noch nachtheiligen und schädlichen Vielwissen und Vielreden, das gewöhnlich mit einem, in eben dem Grad wenig und immer weniger Können und ebenso mit einem immer mehr oberflächlichen und unrichtigen Denken und Urtheilen verbunden ist.

Der Gesichtspunkt vom gegenseitigen Bedürfniß der Ausdehnung und Beschränkung der Kunstbildungs-Mittel unsers Geschlechts in den verschiedenen Ständen desselben hat mich von der nähern Erforschung der naturgemäßen Mittel der Entfaltung der Sprachkraft weggelenkt. Ich kehre wieder zu derselben zurück und frage mich: Wie lernt das Mutterkind reden? Wie bereitet es sich von der Stunde seiner Geburt an zum Redenlernen? – Und ich sehe, es ist von dieser Stunde an eben so aufmerksam auf die Töne, die vor seinen Ohren erschallen, als auf die Gegenstände, die ihm durch den Sinn des Gesichts und überhaupt durch jeden seiner Sinne zum Bewußtseyn gebracht werden. Die Ausbildung der Organe, durch die ihm der ganze Umfang der Gegenstände seiner Anschauung zum Bewußtseyn gebracht wird, ist also mit der Ausbildung des Organs, durch das es reden lernt, im innigsten Zusammenhange. Die Ausbildung der Sprachkraft muß mit der Ausbildung der Anschauungskraft beym Kinde von der Wiege an gleichen Schritt halten. Das Kind fühlt sehr frühe eine Kraft in sich selbst, die Töne, die es hört, auch hervorbringen zu können, und diese Kraft wird, wie jede andere menschliche Kraft, in ihm durch den Selbsttrieb, sie gebrauchen und anwenden zu wollen, belebt, und durch diesen Gebrauch werden die Organe seiner Sprachkraft zwar unmerklich, aber von Tag zu Tag wirklich und real gestärkt. Das Schreyen, das es nicht lernen muß, ist in seinen verschiedenen Articulationen die erste Äußerung der in ihm liegenden Sprachkraft. Nach ihm folgen Töne, die mit den Articulationen der menschlichen Sprache noch keinen Zusammenhang, sondern vielmehr mit den Tönen verschiedener Thierarten große Ähnlichkeit haben, und aus dem Drang der Organe, wie sie sich noch ganz thierisch, ohne allen Zusammenhang[101] mit den menschlichen Worttönen, die sie umgeben, zu entfalten suchen, hervorgehen. Erst mehrere Monate hernach fangen diese Töne allmälig an, einen merklichen Zusammenhang mit dem Klang unsrer Vocale und Consonanten, die sich in unsern Worttönen aussprechen, zu haben und sich dem Ton einiger ihnen oft vorgesprochenen Sylben und Wörter zu nähern. Das Kind fängt jetzt an, die leichtesten Töne, die ihm die Mutter vorspricht, ihr nachzulallen. Das Redenlernen wird ihm täglich leichter und lieber, und knüpft sich im Vorschritte seiner Ausbildung immer an die Vorschritte der Ausbildung seiner Anschauungskraft an. Es geht auch, wenn es nicht durch unnatürliche Verkünstelungsverirrungen von diesem Gang der Natur abgelenkt wird, mit den Vorschriften der Ausbildung seiner Anschauungskraft immer in vollkommener Übereinstimmung gleichen Schrittes vorwärts.

Und wenn ich jetzt den naturgemäßen Gang der Erlernung der Muttersprache, den ich in seinen Anfangspunkten bezeichnet, in seinen Fortschritten weiter verfolge, so sehe ich ihn fortwährend diesen Gang in Einheit mit den Vorschritten der Anschauungskraft seiner Bildungsmittel im Kreise seines häuslichen Lebens und seiner nächsten Umgebungen suchen und finden. Und so ist es auch in Rücksicht auf die Entfaltung der Sprachkraft das Leben selbst, was den Menschen darin wahrhaft naturgemäß bildet und vorwärts bringt. Dieses aber muß im ganzen Umfange seiner Kultur-Mittel übereinstimmend vorwärts schreiten. Es muß in seiner Herzensbildung, es muß in seiner Geistesbildung, es muß in seiner Kunst- und Berufsbildung naturgemäß vorwärts, wenn es in seiner Sprachbildung naturgemäß vorwärts schreiten soll. Aber auch diese allein und isolirt ins Auge gefaßt, sind die Abwege von den ewigen Gesetzen des Naturgangs in den Verkünstelungssurrogaten der wahren und soliden Entfaltungsmittel unsrer Kräfte sehr groß. Man macht die Kinder lesen, ehe sie reden können; man will sie durch die Bücher reden lehren; man zieht sie von der Anschauung, diesem Naturfundament des Redens künstlich und gewaltsam ab, und macht auf die unnatürlichste Weise den todten Buchstaben zum Anfangspunkt der Sacherkenntnisse, deren naturgemäßer Hintergrund und Anfangspunkt der Geist und das Leben der Anschauung der Natur selbst ist und in allen Verhältnissen anerkannt werden sollte. Der Mensch muß schon lange über vieles richtig und bestimmt reden[102] können, ehe er zum vernünftigen Lesen irgend eines Buches reif ist.

Aber man will in unsern Tagen immer mehr den Schein der Kraft als die Kraft selber, und tödtet alle soliden Bildungsmittel der Kräfte durch den immer wachsenden Glauben an Scheinbildungsmittel, die aus der Kraftlosigkeit selber hervorgehen. Wenn ich jetzt auch die Naturgemäßheit des Redenlernens, dieses wesentlichen Fundaments der Sprachlehre, im bestimmten Gang seiner positiven, einfachen Mittel ins Aug' fasse, so sehe ich, daß das unmündige Kind in seinen Umgebungen eine Menge Worttöne hört, deren Sinn es im Anfang gar nicht versteht. Viele von ihnen werden durch die öftere Wiederholung, in der sie vor dem Sinne seines Gehörs erscheinen, ihm dadurch bewußt und selber seinem Munde geläufig, ohne daß es ihre Bedeutung noch im geringsten versteht oder auch nur ahnet. Aber diese vorläufige, dunkele Erkenntniß, die das Ohr von ihnen erhält, und diese Geläufigkeit, die sich der Mund also von ihnen verschafft, ist für die reelle Ausbildung der Sprachkraft eine Vorbereitungsstufe, die ihr von wesentlichem Nutzen ist. Dem Begriffe der Gegenstände mit der Geläufigkeit des Lauts, der sie bezeichnet, voreilend, bleibt der Begriff des durch ihn bezeichneten Gegenstands dem Kind vom Augenblick an, in dem es den Gegenstand des Lauts selber durch die Anschauung vereinigt erkannt, unauslöschlich. Es ist deßwegen für die Ausbildung der Sprachkraft ein großer Vortheil, wenn das Kind von der Wiege an in Umgebungen lebt, in denen ziemlich viel und über vielerley, besonders aber über Gegenstände seiner nächsten Umgebungen und seines häuslichen Lebens, gesprochen wird. Der Einfluß der mechanischen Vorbereitungsmittel des Redenhörens auf die Ausbildung der Sprache in allen ihren Theilen, ist äußerst groß und vielseitig. Das Kind lernt durch dieses Redenhören nicht nur die Nomenclatur seiner Muttersprache in einem sehr ausgedehnten Umfange, ohne fast ein Bewußtseyn, daß es etwas lernt; es übt sich die Formen des Deklinirens und Conjugirens im ganzen Umfang ihrer Abwechslungen ganz mnemonisch und allgemein umfassend ein.

Und das führt schon weit. Wenn ich denn aber von der Ansicht des Ganges, den die Natur in Rücksicht auf die mechanische Entfaltung unsrer Sprache festhält, vorschreite und mich frage: Was[103] ist der Gang der Natur in der Entfaltung der Sprachkraft auf das Innere, geistig Bildende derselben? so sehe ich ihre dießfälligen Bildungsmittel hinwieder im innigsten Zusammenhang mit den naturgemäßen Bildungsmitteln der Anschauungskraft. Sie folgt, Stufe für Stufe, dem Naturgang, den diese in den Vorschritten ihrer Bildung auch geht. So wie diese im Anfang ihrer Entfaltung jeden Gegenstand, der ihr erscheint, nur als ein einzelnes Ganze ansieht und erkennt, und im Anfange sehr langsam dahin kommt, die Theile des Gegenstandes einzeln und gesondert von einander ins Auge zu fassen; so wie hinwieder die verschiedenen Beschaffenheiten, in welchen jeder Gegenstand zu ungleichen Zeiten und unter verschiedenen Umständen sich befindet, in ihrem Umfang und Zusammenhang zum klaren Bewußtseyn zu bringen, vor den Sinnen des Kindes nur zufällig, langsam und unzusammenhängend erscheinen; also führt der sich selbst überlassene, von der Kunst unbeholfene Gang der Natur in der Entfaltung der Sprachkraft auch dahin, den Gegenstand zuerst ohne Rücksicht weder auf seine einzelnen Theile noch auf die verschiedenen Beschaffenheiten zu benennen, und kommt spät und langsam dahin, die einzelnen Theile dieser Gegenstände in aller ihrer Vielseitigkeit ins Auge zu fassen und allgemein zu benennen, so wie über die verschiedenen Beschaffenheiten, in welchen sich diese Gegenstände in manigfaltig ungleichen Zeiten und Verhältnissen befinden, sich mit Bestimmtheit und Richtigkeit ausdrücken zu können. Die Elementarbildung und alle naturgemäßen Mittel ihrer Kunst führen das Kind auch in Rücksicht auf seine Sprachbildung vollends im Geleise des Gangs der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte. Auch sie hörte sogleich auf, elementarisch zu seyn, wenn sie in ihren Grundsätzen hierin schwankte und dieselbe in dem Vorschritt und Umfang ihrer Bildungsmittel nicht festhielte. Es ist Thatsache, das elementarisch wohlgeführte Kind schwatzt nicht, ehe es erkennt, und nicht von dem, was es nicht auf irgend eine Art durch die Anschauung erkannt hat. Die intensiven und extensiven Vorschritte der Ausbildung der Sprachkraft müssen, wenn sie real seyn wollen, nothwendig diesen Gang gehen; und sie, die Sprachkraft selber, kann nur dadurch auf dieser Bahn wirklich als die solide bildende Mittelstufe der Anschauungskraft und der Denkkraft anerkannt, und ihre Ausbildungs-Mittel können nur dadurch mit[104] den allgemeinen Fundamenten der wahren, naturgemäßen Menschen-Bildung in Übereinstimmung gebracht werden.

Und nun die Sprachlehre oder vielmehr die Kunst des Redenlernens jeder Sprache also ins Auge gefaßt, wird vollkommen klar, was ich schon oben gesagt. Diese Kunst ist die Mittelstufe zwischen der auszubildenden Anschauungskraft und der auszubildenden Denkkraft. Die Kunst der Ausbildung der ersten geht der Kunst der Ausbildung der zweyten vorher. Die Mittel der Ausbildung der Denkkraft haben keinen naturgemäßen Boden, wenn ihnen die naturgemäße und genugthuende Ausbildung der Anschauungskraft, oder welches eben soviel ist, der Resultate der Anschauungskraft, mangelt.

Aber was ist die naturgemäße und genugthuend gebildete Anschauungskunst? Wann ist die Anschauungskunst, als Vorbereitungsmittel der zu entfaltenden Denkkraft, für einen jeden Stand und für jedes Individuum, naturgemäß und genugsam gebildet?

Die Antwort ist klar.

Die Anschauungskraft ist durch die Anschauungskunst genugsam gebildet, wenn das Anschauungs- Vermögen des Menschen durch sie in jedem Stand und in jedem Verhältniß zu dem Grad der Kraft gebracht worden, der erforderlich ist, die Anschauungs-Eindrücke seiner Umgebungen und Verhältnisse mit klarem Bewußtseyn als sichere Fundamente seines Denkens und Urtheilens über eben diese Gegenstände mit Freyheit und Sicherheit zu benutzen.

Dieser Grad der gebildeten Anschauungskraft ist aber in jedem Fall nur in so weit erreichbar, als die Mittelstufe der Bildung zwischen der Anschauungskraft und der Denkkraft zu eben dem Grad der Reife gebracht worden, zu welchem die Anschauungskraft gebracht werden muß, wenn sie als ein genugthuend mitwirkendes Fundament der zu entfaltenden Denkkraft angesehen und benutzt werden soll. Es ist offenbar, der naturgemäß zu führende Zögling muß durch die Ausbildung seiner Sprachkraft dahin gebracht werden, sich über die Anschauungs-Eindrücke seiner Umgebungen und seiner Verhältnisse mit eben soviel Bestimmtheit auszudrücken, als ihm die Anschauungsmittel dieselben klar und heiter gemacht haben. Ohne den Sprachzögling auf diesen Grad der Sprachkraft gebracht zu haben, liegt zwischen der Ausbildung seiner Anschauungskraft und der[105] Ausbildung seiner Denkkraft eine Kluft, die nicht anders als durch eine, mit der beyderseits naturgemäß gebildeten Anschauungs- und Denkkraft übereinstimmende und mit ihnen ins Gleichgewicht gebrachte Ausbildung der Sprachkraft ausgefüllt werden kann.

Das ist die innere Aufgabe einer psychologisch zu begründenden Sprachlehre. Aber ihre Auflösung führt auch zur Beantwortung eines zweyten Problems, nämlich zur Aufstellung eines auf die Sprachlehre allgemein anwendbaren Sprach-Unterrichts, die als Norm des naturgemäßen dießfälligen Unterrichts in allen Sprachen anwendbar sey. Ist eine solche Norm aufgestellt, so ist die Aufgabe der psychologischen Begründung und Erlernung jeder einzelnen Sprache genugthuend aufgelöst. Das innere, geistige Wesen der zweyten ist dadurch so weit gefunden, daß es bloß eine Übersetzung, aber freylich eine in psychologischer Hinsicht vollendete Übersetzung der in einer Sprache gegebenen und aufgestellten Reihenfolgen der mnemonisch und psychologisch geordneten Übungen braucht, um dieselben in allen Sprachen auch zu benutzen.

Die Segensfolgen der Erreichung dieses Ziels und auch nur der Näherung zu demselben sind unermeßlich. Aber wir müssen uns nicht täuschen. Die Erreichung des Ziels, eine solche allgemeine Normalform der Sprachlehre aufzustellen, oder auch nur zu einer wahrhaft truglosen Näherung zu demselben zu gelangen, fordert wesentlich, daß die naturgemäße Ausbildung der Sprachkraft in dieser Rücksicht fest und allseitig als die Mittelstufe zwischen der naturgemäß gebildeten Anschauungskraft und der ebenso naturgemäß zu bildenden Denk- und Urtheilskraft anerkannt und überhaupt der Gang der Natur in der Entfaltung der Muttersprache fest im Auge gehalten werde.

Die Grundsätze der Ausführungs-Mittel einer solchen allgemeinen Normalform des Verstehens und Redenlernens jeder fremden Sprache müssen nothwendig und in ihrem ganzen Umfange von der Art und Weise, wie das unmündige Kind seine Muttersprache lernt, abstrahirt werden und auch allgemein von der deutlichen Erkenntniß der ewigen Gesetze, denen der Gang der Natur in der Entfaltung der Muttersprache selbst unterworfen ist, ausgehen. Und hier ist noch zu bemerken: der naturgemäße Vorschritt von der elementarischen Erlernung der Muttersprache[106] geht zuerst zur Erlernung der lebenden und dann erst zur Erlernung der todten Sprachen hinüber, weil die Sacherkenntniß, die durch die Erlernung einer lebenden Sprache dem Kinde gegeben werden muß, derjenigen, die ihm durch die Erlernung der Muttersprache gegeben worden ist, unendlich näher steht, als diejenigen, die ihm klar und heiter gemacht werden müssen, wenn es eine todte Sprache wahrhaft und naturgemäß verstehen lernen soll. In allen Fällen aber müssen die Grundsätze der Ausführungsmittel einer solchen allgemeinen Normalform des Verstehens und Redenlernens jeder fremden Sprache hinwieder von der Kunst des Menschengeschlechts in mnemonischer und psychologischer Hinsicht in ihrem ganzen Umfange unterstützt und beholfen werden. Diese Kunst, die uns seit Jahrtausenden der Sprachlehre und der Sprach-Erkenntnisse halber auf den Punkt der Ausbildungsmittel gebracht, auf dem wir wirklich stehen, muß für diesen Zweck mit dem ganzen Umfang der Wahrheit und der Kraft ihrer dießfälligen Resultate benutzt, und alle Realvorschritte, die sie in mnemonischer und psychologischer Hinsicht uns darbietet, an das Fundament alles Redenlernens, an den Gang, den die Natur in der Entfaltung der Sprachkraft selbst geht, angeknüpft und damit verbunden werden.

Das, was die sich selbst überlassene Natur, vom Zustand der unentfalteten Sinne und Organe des Mutterkindes gehemmt, dießfalls nur langsam, unsicher und lückenvoll erzielt, das ordnet die Kunst in Reihenfolgen von Bildungsmitteln, deren jedes einzelne zwar von den ewigen Gesetzen des Naturgangs in der Erlernung der Sprache ausgeht, aber durch seine Zusammenstellung und Ordnung in mnemonischer und psychologischer Hinsicht einen Grad der Kraft erhält, zu der die sich selbst überlassene Natur sich unmöglich zu erheben vermag. So wahr und so gewiß dieses ist, so ist eben so gewiß, daß die Kunst unsers Geschlechts sich ohne die tiefe Erkenntniß des Gangs der Natur in der Entfaltung der Muttersprache nicht zu dieser Höhe ihres mnemonisch und psychologisch bildenden Einflusses in der Erlernung neuer Sprachen zu erheben vermag, sondern, daß sie in diesem Falle im Gegentheil in ihrem Einfluß auf die Erlernung dieser Sprachen auf Verkünstelungs-Manieren verfällt, die alle wahre Naturkraft auch von dieser Seite in ihrem Wesen untergraben und zu Grunde richten. Die tiefere Erkenntniß des Naturgangs in der Entfaltung[107] der Muttersprache ist also auch das ewige Fundament und die eigentliche Quelle aller wahrhaft mnemonischen und psychologischen Vortheile, mit welchen die Kunst die naturgemäße Erlernung jeder neuen Sprache zu erleichtern und zu behelfen vermag.

Ich blicke noch einmal auf dieses große Fundament jeder naturgemäßen Sprachlehre zurück.

Die Natur unterwirft unser Geschlecht in ihrem Einfluß auf die Erlernung der Muttersprache bis auf einen gewissen Punkt zwingend den ewigen Gesetzen, aus denen jeder naturgemäße Sprachunterricht wesentlich hervorgeht und hervorgehen muß. In der Mutter ist das naturgemäße Geben dieses Unterrichts, und im Kinde das naturgemäße Empfangen desselben gegenseitig instinktartig belebt. Die Mutter und das Kind unterwerfen sich den ewigen Gesetzen dieses Naturgangs soviel als instinktartig. Doch nein, sie unterwerfen sich diesen Gesetzen nicht instinktartig; sie sind nur instinktartig dafür belebt. Ihre freye und frohe Befolgung ist ihre Lust und ihre Freude. Der Trieb, gegenseitig in Übereinstimmung mit diesen Gesetzen zu handeln, geht aus dem Innersten der mütterlichen und kindlichen Natur hervor. Aber diese Natur ist durch das Verkünstelungs-Verderben der Welt in den Zeitmüttern der Gegenwart so viel als allgemein gelähmt. So wie dieses sie in unnatürliche Verhältnisse gegen ihr Kind hinwirft, so werden auch die Gesetze der Entfaltung der Sprachkraft in ihnen ohnmächtig. So wie die böse Verkünstelung unsrer Zeit sich auch in die Bildung der Anschauungs-Erkenntnisse des Kindes, folglich in die Fundamente der Naturgemäßheit des Redenlernens einmischt, wird der Gang der Erlernung der Muttersprache vom Instinkt nicht mehr beholfen. Das naturgemäße Geben des Unterrichts ist in den Zeitmüttern vielseitig verwirrt und verdorben, und in diesem Falle ist der Instinkt, ihn naturgemäß zu empfangen, im Kinde umsonst da. Diese Untergrabung des instinktartigen Einflusses im Geben und Empfangen des ersten mütterlichen Unterrichts ist in seinen Folgen sehr wichtig. Alle weitern Stufenfolgen der Führung des Kindes werden dadurch in der Wahrheit ihrer Natur-Gemäßheit tief und vielseitig geschwächt und untergraben. Sie können nicht anders. So wie das Verkünstelungs-Verderben unsrer Zeit schon dem Kind Worte in den Mund legt und als wären sie Sacherkenntnisse,[108] einprägt, von deren wahren Bedeutung es weder innerlich noch äußerlich eine Anschauung in sich selbst trägt, ist die Kraft und mit ihr der Segen der Natur-Gemäßheit in der Erlernung der Muttersprache in ihm in seinem Wesen untergraben. Seine Sprachlehre hat als bildende Mittelstufe zwischen der Ausbildung der Anschauungskraft und derjenigen der Denkkraft die Basis ihres wahren Naturgangs oder ihrer wahren Naturgemäßheit in so weit verloren; und so wie die Belebung der naturgemäßen Ausbildung der Anschauungskraft irregelenkt wird, so wird auch der Naturgang im Redenlernen des Kindes selber in seinen Anfangspunkten in der Erlernung der Muttersprache stille gestellt, verwirrt und geschwächt. Auch die Basis der naturgemäßen Erlernung jeder andern als der Muttersprache wird durch diese ersten Verwirrungsschritte in der Naturgemäßheit der Sprachlehre der reinen, segensvollen Kraft beraubt, die ihr im unverdorbenen, ungeschwächten Zustand dieser Kraft halber wesentlich beywohnt. Er, der naturgemäße Gang der Erlernung jeder fremden Sprache, muß mit dem Gang der Natur in der Erlernung der Muttersprache in vollkommener Übereinstimmung stehen. Diese Übereinstimmung zu suchen, ist das Ziel der wahren menschlichen Sprachlehre und aller ihrer Kunst; und es ist eine der vorzüglichen Aufgaben der Idee der Elementarbildung, dem Menschengeschlecht hierin Hand zu bieten und die Mittel zu erforschen, durch welche die Abirrung vom Gange der Natur in diesem Gesichtspunkte verhütet werden kann. Die wenigen und beschränkten Versuche, die dießfalls in unsrer Mitte statt gefunden, beweisen auch unwidersprechlich, daß die Idee der Elementarbildung geeignet ist, die Kräfte der Wohnstube in dieser Rücksicht wesentlich zu stärken und zu beleben. Es ist eine thatsächliche Erfahrung, die Versuche dieser hohen Idee wirken, wo sie immer solid und genugthuend statt finden, unfehlbar dahin, die Mütter auf der einen Seite durch die Erheiterung der Fundamente und Mittel der naturgemäßen Sprachlehre für ihre Ergreifung in ihnen selbst zu beleben und sogar zu begeistern, und auf der andern Seite jedes nach ihren Grundsätzen geführte Kind auch der Sprache halber dahin zu bringen, alles, was ihm elementarisch genugsam eingeübt worden, seinen Geschwistern mitzutheilen, folglich auch die Erlernung der Muttersprache im Kreis seiner häuslichen Verhältnisse ins Geleise der echten Mittel, sie allgemein[109] zu machen, hineinzuleiten. Das Erlernen der Muttersprache geht beym Kinde unbedingt vom Eindruck der Objecte aus, die es durch die Anschauung sinnlich erkannt und deren Namen zugleich seinem Ohr bekannt und seinem Munde geläufig gemacht worden sind. An das Erkennen und Aussprechen der Namen dieser Objecte schließt sich allmälig, aber langsam, das Erkennen und Aussprechen der Beschaffenheit und der Wirksamkeit derselben (der Zeit- und der Beschaffenheits-Wörter), die ihnen zukommen, an. Der Vorschritt dieses Redenlernens von den Objecten zu den Beschaffenheits-Wörtern und von diesen zu den Zeitwörtern ist durchaus nicht eine Stufenfolge der Zeit halber. Das Mutterkind hört die Objecte, die Beschaffenheitswörter und die Zeitwörter der Zeit halber nicht in Stufenfolgen und getrennt; es lernt sie alle in einer innigen, des Erkennens- und Redenlernens halber sehr vorteilhaften und lehrreichen Verbindung in Phrasen, die es die Bedeutung der einzelnen Wörter und das Wesen ihres Zusammenhangs unter einander in allem, was es hört und was es redet, merken, ahnen und allmälig in immer wachsender Klarheit verstehen und begreifen zu machen geeignet sind. Das Sprachbildende dieses Umstands fällt in die Augen.

Jedes einzelne Wort einer Phrasis ist durch den Zusammenhang der Begriffe, die es ausdrückt, für die mit ihm durch sie verbundenen Wörter erläuternd, und darum behält sich auch eine Phrasis im ganzen leichter im Gedächtniß als ein einzelnes, isolirtes, an kein anderes naturgemäß angereihetes Wort; der Sinn eines Worts von jeder Phrasis bekommt durch diese Verbindung mit den andern Wörtern derselben eine bestimmte, wiewohl einseitige und beschränkte Begründung seiner allgemeinen Bedeutung. Die großen Vortheile des Gangs der Natur in der Erlernung der Muttersprache erhellen ferner auch daraus, daß er von den ersten Anfangspunkten seines Einflusses an, alle Grundtheile derselben gemeinsam anspricht und sie den Kindern durch tausend und tausend Wiederholungen in ihrer Erkenntniß heiter und in ihrer Anwendung geläufig macht. Das ist so wahr, daß dadurch nicht nur das Wesen jedes einzelnen Grundtheils der Sprache dem elementarischen Zögling zum dunkeln, aber festen Bewußtseyn gebracht, sondern auch die Abänderungen, die jedes Substantivum, Adjektivum und Pronomen, d.i. die Abänderungen jedes deklinirbaren Grundtheils der Sprache ihm gleichsam von selbst eingeübt und[110] habituel gemacht werden, welches eben so sehr bey den Zeitwörtern im ganzen Umfange der Abänderungen, die sie durch das Conjugiren ansprechen und erdulden, der Fall ist. Die zweyte Art der Grundtheile einer jeden Sprache, die an sich unverändert bleiben, aber durch ihren Einfluß die Stellung der Wörter in phraseologischer Hinsicht ebenso nach ewigen Gesetzen den vielseitigsten Veränderungen unterwerfen, die Adverbia, die Präpositionen, die Conjunctionen und Exclamationen, können durch psychologisch geordnete Reihenfolgen von Beyspielen der Eigenheit ihres sprachbildenden Einflusses in einem hohen Grad gestärkt und die Fertigkeiten ihrer Anwendung dem Zögling auf eine Art erleichtert werden, den der sich selbst überlassene Gang der Natur in der Entfaltung der Sprachkraft durchaus nicht zu erreichen vermag. Es ist auch eine wesentliche Aufgabe der Idee der Elementarbildung, durch psychologisch und mnemonisch bildende Reihenfolgen von Beyspielen, die den Gebrauch jedes einzelnen Sprachtheils im ganzen Umfange seines Einflusses durch öftere Wiederholung, ihm unbewußt, so viel als mechanisch einprägen und habituel machen, dem Gange der Natur in der Entfaltung der Sprachkraft mit dem ganzen Umfange der Mittel ihrer Kunst nachzuhelfen und behülflich zu seyn.

Die Wirkung dieser beiderseitig einzuübenden Reihenfolgen der Grundtheile aller Sprachen ist von einer Natur, daß den Zöglingen der ganze Umfang des Declinirens und Conjugirens, so wie der Ansprüche aller psychologisch begründeten Formen der Phraseologie in einer großen Ausdehnung und Solidität auf eine Weise eingeübt werden kann, bey welcher die gewohnten Beschwerlichkeiten dieser Einübungen so viel als allgemein wegfallen. Sie hören durch die ganze Zeit dieser Einübungen kein Wort weder von einer Syntax noch von einer Grammatik. Aber wenn sie sich auf diesem kunstlosen Wege ihre Muttersprache bis auf einen gewissen Grad also praktisch eingeübt und zur Vollendung geläufig gemacht haben, so sind sie denn auch zuverlässig auf dem Punkt, die Richtigkeit aller grammatikalischen Regeln, die vom Naturgang der Sprachlehre erzeugt werden und denselben in der Reinheit seines Ursprungs ansprechen, eben wie die Eigenheiten, durch welche sich das Wesen der Grundformen jeder Sprache in der Muttersprache ausdrückt, als in ihnen selbst liegend und durch die Erfahrung in ihnen selber begründet, zu erkennen.[111] Auf dieser Bahn kommt jedes, in Rücksicht auf den Sprachunterricht naturgemäß geführte Kind dahin, den ganzen Umfang der Ausdrücke seiner Anschauungs-Erkenntnisse, die es sich eingeübt, unauslöschlich in sich selbst zu besitzen, und so sich in seiner Muttersprache in einem sehr weiten Umfange über seine Erkenntnisse mit der höchsten Bestimmtheit und Geläufigkeit ausdrücken zu können, ohne daß es während des ganzen Zeitraums seines Redenlernens nothwendig hatte, weder sich die Grundsätze und Regeln der Sprachlehre eigen zu machen, noch für diesen Endzweck irgend ein Wort auswendig zu lernen.

Indeß ist der Grundsatz, daß der ganze Umfang der Mittel, eine neue Sprache zu lehren, mit denjenigen, durch welche dem Kind die Muttersprache eingeübt werden muß, vollkommen ähnlich und im Wesen der nämliche sey, ein Gesichtspunkt, den das Raffinement der Verkünstelungsmittel, durch welche besonders die Anfangsstufen der Erlernung jeder neuen Sprache sehr verwirrt und erschwert werden, dem Zeitgeist aus den Augen gerückt hat. Aber er liegt dennoch im Bon sens der Menschennatur unerschütterlich tief eingegraben. Es ist Thatsache, je weniger eine Person, die einem Kinde eine fremde Sprache einüben will, mit den Routineformen des gewohnten Sprach-Unterrichts bekannt ist; je mehr führt sie die Natur hierin selbst für ihren Zweck auf Grundsätze und Mittel, die dem Gange der Natur in der Entfaltung der Muttersprache gleich sind. Die Erfahrung setzt außer allen Zweifel, daß je mehr sich unverkünstelte Menschen damit befassen, ein Kind eine neue Sprache zu lehren, desto auffallender auch der glückliche Erfolg ihrer Bestrebungen sey. Ein französisches Dienstmädchen, dem man ein deutsches Kind übergiebt, dasselbe französisch zu lehren, bringt, wenn es seine Sprache nur grammatikalisch richtig reden kann, dasselbe ohne Mithülfe irgend einiger Kunstkenntnisse und Kunstmittel, durch bloßes anhaltendes, fleißiges Reden mit ihm innerhalb einer vergleichungsweise auffallend kurzen Zeit dahin, daß es sich über den ganzen Umfang der Gegenstände, über welche das Mädchen sich mit ihm unterhaltet, mit Leichtigkeit richtig ausdrückt. Dieses aber leistet die Routinekunst unsrer Zeit durch die bloße Benutzung der gewohnten Kunst- Unterrichtsmittel in der Erlernung einer neuen Sprache weder durch Privat-Unterricht noch in den öffentlichen Schulen.[112]

Fragt man sich jetzt: Was giebt einem solchen Mädchen diesen Vorsprung über die gewohnten Lehrer einer fremden Sprache, die in ihrem Unterricht auch noch so fleißig und in gewisser Rücksicht verständig von den Kunstformen jeder Sprachlehre ausgehen? so ist offenbar, das Mädchen dankt den Vorsprung, den es dießfalls unzweydeutig erhält, der Ähnlichkeit seines Thuns in seiner Unterrichtsweise mit dem Gang, den die Natur selbst in der Einübung jeder Muttersprache in aller Welt geht. Das Kind, das bei ihm die französische Sprache lernen soll, hört, eben wie das Kind, das die Muttersprache lernt, lange, sehr lange eine große Menge französischer Wörter, die das Mädchen vor ihm ausspricht, ehe es auch nur den Sinn derselben ahnet; es ist zugleich vorzüglich die Gegenwart der Gegenstände, die ihm vor den Sinnen liegen, was ihm den Zusammenhang der französischen Worte mit der Sprache selber mit sinnlich belebten Reizen ins Auge fallen und das Wort als den Ausdruck derselben erkennen macht. Eben so schließt sich beym Unterricht dieses Mädchens allmälig die Erkenntniß des Ausdrucks, der Beschaffenheiten und Wirkungen an den Ausdruck der Objecte, der Hauptwörter, wie beim Erlernen der Muttersprache, auch an; und der ganze Umfang der Wörter, die es bei diesem Mädchen erlernt, wird ihm ebenso durch vielfache Wiederholungen und phraseologische Zusammensetzungen eingeübt. Eben wie bei der Muttersprache bringt die Phraseologie alle einzelnen Grundtheile der Sprache dem Kinde gemeinsam verbunden zum Bewußtseyn und belebt und verstärkt den Eindruck von allen durch unzählig wiederholte, in jedem Falle ungleich und eigens bestimmte Erscheinungen. Die Wörter der zu erlernenden Sprache und die Abänderungen dieses ihm eingeübten Wortschatzes werden ihm durch diese Zusammenstellungen und Wiederholungen theils in ihrem Inhalt bekannt, theils in ihrem Ausdruck geläufig und habituel, ohne daß es eigentlich weiß, wie es dazu gekommen, und wenigstens ohne alle Mühseligkeit des Auswendiglernens und der Erklärungsweise, die im Routinegang der Erlernung irgend einer fremden Sprache gebräuchlich sind. So kommt es auf diesem Gange mit großer Leichtigkeit dahin, das Wesen jeder grammatikalischen Regel als eine, in ihm durch Erfahrung begründete Erkenntniß in sich selber zu tragen und sie bei der ersten wörtlichen Darlegung derselben vollkommen zu verstehen.[113]

Meine dießfällige Ansicht von der Übereinstimmung der naturgemäßen Erlernung der Muttersprache mit der Art und Weise, wie eine fremde Sprache naturgemäß gelernt werden soll, erhellt auch aus der Übereinstimmung der tiefsten, fruchtbarsten Grundregeln, die den raffinirtesten Fundamenten der Kunstformen des Redenlernens selber zum Grunde liegen. Selber die Mißgriffe der Kunst gehen aus Thatsachen hervor, die in ihrem Ursprung naturgemäß waren; aber in der Unnatur ihrer Anwendungen das reine Wesen ihrer ursprünglichen Entstehung verloren haben. Ich füge übrigens noch ein Beyspiel der auffallenden Gleichheit des Naturgangs in der Erlernung der Muttersprache mit den ächten Fundamenten der Erlernung jeder andern Sprache, das ebenfalls entscheidend ist, an. Man kennt das Sprüchwort: »Die Noth ist der beste Lehrmeister.« Aber es ist auch noch ein zweytes üblich: »Die Noth ist ein böser Rathgeber.« Es sind beide ganz wahr; die Noth führt immer entweder zu naturgemäßen Mitteln, sich zu helfen, oder zu den Gewaltthätigkeits-Mitteln der bösen Selbstsucht, durch welche der Mensch sich so viel als in jedem Fall selber enthilft und in sich selbst verwildert, indem er sich zu helfen sucht. Das Beispiel der Noth, das ich zur Bestätigung meiner gegenwärtigen Ansicht anbringe, ist nicht von dieser letzten Art. Ein Mensch, der, durch welchen Zufall es auch immer sey, an einen Ort hinkommt, an welchem niemand seine Sprache redet und wo folglich er niemand und niemand ihn versteht, kann die Sprache, die er in dieser Stadt lernen muß, auf keine andere Weise erlernen als auf eine, die mit der Erlernung der Muttersprache und mit der Art und Weise, mit welcher das oben angeführte Mädchen ein deutsches Kind französisch lehrt, vollkommen in Übereinstimmung steht. Ich wiederhole die Ansichten dieser Übereinstimmung nicht. Sie sind in den obern Beyspielen klar ausgesprochen.

Ich gehe weiter, um zu zeigen, wie auch die ersten Versuche meiner pädagogischen Bestrebungen den Grundsatz, daß die naturgemäße Erlernung fremder Sprachen durch die Übereinstimmung ihrer Mittel mit dem Gange der Natur in der Erlernung der Muttersprache erzielt werden müsse, bestätigen. Diese Versuche, die Mittel des gemeinen Volksunterrichts zu vereinfachen, führten mich von ihrem Anfang zur Überzeugung, daß alle menschliche Erkenntniß, folglich auch aller menschliche Unterricht von[114] der Anschauung ausgehe. Die Idee der Anschauung lag durchaus wesentlich in mir als Fundament der Entfaltung der menschlichen Sprachkraft, schon lange, ehe sie in der Mitte unsers pädagogischen Vereins als naturgemäßes, aber in dem Zustand, in dem wir es gebrauchten, zu hoch gepriesenes Fundament des Rechnens anerkannt und mit Einseitigkeit ergriffen wurde. Aber meine dießfällige Überzeugung konnte unter den Umständen, unter denen unser pädagogischer Verein beynahe von seinem Anfang an lebte, auf die naturgemäße Behandlung der Sprachlehre keine bedeutenden Folgen haben. Die elementarische Bearbeitung der Anschauungslehre war im Allgemeinen ihrer Ansprüche und besonders in Rücksicht auf ihren Zusammenhang mit den Fundamenten der Sprachlehre und zwar in Rücksicht auf die Erlernung der Muttersprache und jeder andern von dem Augenblick wesentlich geschwächt und vereinzelt, so bald der unverdiente Ruf unsrer Anschauungs-Tabellen, durch die wir einseitig genug unsern Kindern das Rechnenlernen erleichterten, unsere Aufmerksamkeit von den allgemeinen Bedürfnissen der Erforschung der Anschaungslehre ab- und auf diesen einzigen Punkt hinlenkte, und uns den Gesichtspunkt, daß die naturgemäße Bearbeitung der elementarischen Anschauungslehre zuerst auf die Erforschung der naturgemäßen Fundamente der Sprachkraft, und nur in Verbindung mit dieser auf diejenige der Denkkraft, wovon das Redenlernen nur ein einzelner Theil ist, hingelenkt werden müsse, aus den Augen rückte. Die Richtung, die unsere Anstalt von Anfang an nahm, war aber auch Jahre lang ohne allen Reitz und ohne alle Mittel zur Erforschung der allgemeinen Ansprüche der Ausbildung der Anschauungskraft im ganzen Umfang ihrer Bedürfnisse, beides, in Beziehung ihres Zusammenhangs mit der naturgemäßen Ausbildung der Sprachkraft sowohl, als mit derjenigen der Denkkraft. Unter diesen Umständen war der Begriff der Anschauung von uns durchaus nicht mehr als das allgemeine Fundament des Redenlernens in seinem Umfang und in seiner Tiefe ergriffen, sondern nur partiell und einseitig in einigen Übungen der Botanik und Mineralogie betrieben. Die Zahl- und Formlehre entfaltete sich in unsrer Mitte allein als ein kraftvoll und naturgemäß bearbeitetes, aber isolirt gelassenes Mittel der Geistesbildung. Die Folgen davon waren, in Verbindung mit andern, in den Schicksalen unsers Hauses bis auf die heutige Stunde sehr[115] groß und sehr traurig. Ich berühre sie jetzt nicht. Ich sage nur, was ich jetzt in Rücksicht auf die Vereinfachung der Sprachlehre versuche, steht im innigsten Zusammenhang mit dem Eigenthümlichen meiner Bestrebungen für die Vereinfachung des Volksunterrichts, wie es schon in Burgdorf in mir selbst lag und sich in den berührten Versuchen aussprach. Drückende Erfahrungen von dem Mangel einer naturgemäßen Sprachlehre in unserer Mitte überzeugten mich schon lange von der Nothwendigkeit, die dießfällige Lücke, die in den elementarischen Versuchen der Geistesbildung statt fand, so viel mir möglich auszufüllen, oder wenigstens ein Scherflein zu ihrer künftigen Ausfüllung beyzutragen. Es ist jetzt eine Reihe von Jahren, daß ich versuchte, die Naturgemäßheit des Sprachunterrichts in seinen wesentlichsten Fundamenten zu erforschen, um ihn in unsern elementarischen Bestrebungen als den Mittelpunkt der naturgemäßen Entfaltungsmittel der Anschauungskraft und der Denkkraft mit Erfolg zu benutzen, und ihm die Einfachheit, Naturgemäßheit und solide Gemeinnützigkeit zu geben, deren er eben so fähig ist, als er derselben dringend bedarf.

Nach unendlich verwirrten Ansichten und Begriffen, in denen ich mich Jahre lang über diesen Gegenstand herumtrieb und deren Ursachen, die ich aber jetzt nicht berühre, zum Theil in mir selbst, zum Theil außer mir lagen, glaube ich endlich in der klaren Erkenntniß des Gangs, den die Natur in den Entfaltungs-Mitteln der Muttersprache allgemein geht, die eigentliche absolute Wegweisung zum ganzen Umfang der Mittel gefunden zu haben, durch welche die Sprachlehre allgemein in allen Theilen und nach allen Richtungen auf naturgemäße Fundamente zurückgeführt, folglich jede Sprache, welche diese auch immer sey, ungeachtet aller Eigenheiten und Verschiedenheiten, welche jede derselben, in der Bildung ihrer äußern Formen individualiter haben mag, naturgemäß erlernt werden kann. Hierauf gestützt habe ich versucht, das Beispiel einer allgemeinen Normalform aufzustellen, auf welche Art und in welchem Grad es möglich sey, die Erlernung jeder fremden alten oder neuen Sprache auf diesen Gang der Natur zu bauen, und ihn aus den ewigen Gesetzen, die ihm zum Grunde liegen, hervorgehen zu machen. Der Grad, in welchem dieser Versuch sich seiner Reife zu nähern anfängt, hat mich überzeugt, daß er, wenn er in seinen Mitteln vollständig dargelegt ist,[116] allgemein für diesen Zweck segensvoll benutzt werden könne. Ich habe hiefür die lateinische Sprache, in Verbindung mit der deutschen, die das Kind, das Latein lernen soll, zum voraus besitzen muß, gewählt, trete aber jetzt in den Detail dieses Versuches gar nicht ein, weil er durch die Herausgabe eines Theils desselben der Prüfung des Publikums ungesäumt übergeben werden soll und dadurch den Grad seines Erfolgs und den Werth seiner Mittel in ihrem ganzen Umfang und Zusammenhang weit bestimmter ins Licht setzen wird, als alles, was ich ohne diesen Schritt selber vorläufig Erheiterndes und Erläuterndes darüber immer sagen könnte.

Ich fahre also fort, den Gegenstand der Elementarbildung, ohne fernere spezielle Rücksicht auf den Versuch der Aufstellung einer Normalform für die Erlernung aller Sprachen, ins Auge zu fassen.

So wie es von der Sprachkraft wahr ist, daß das Leben sie bildet und daß der ganze Umfang der Kunstmittel, die dem Gange der Natur in seinem Einfluß auf das sie bildende Leben wahrhaft nachzuhelfen geeignet sind, von den naturgemäßen Kunstmitteln der Ausbildung der Anschauungskraft ausgeht; so ist es von der Denkkraft eben so wahr, daß das Leben sie bildet und daß der ganze Umfang der Kunstmittel, die dem Einfluß dieses sie bildenden Lebens nachzuhelfen geeignet sind, von der naturgemäßen Ausbildung der Anschauungskraft ausgeht. Und so wie die Mittel des bildenden Lebens sich in Rücksicht auf ihren Einfluß auf die solide Ausbildung der Sprachkraft durch ihre Übereinstimmung mit den Ausbildungsmitteln der Anschauungskraft solid zu bewähren vermögen; so vermögen sich auch die Ausbildungsmittel der Denkkraft durch ihre Übereinstimmung mit den Ausbildungsmitteln der Anschauungskraft solid zu bewähren. Der Gang dieses Zusammenhangs der Anschauungskraft und der Denkkraft ist dieser: Die Anschauungskraft führt, wenn sie nicht unnatürlich, verwirrt und irregelenkt wird, den Menschen schon an sich selber unter allen Umständen zu einzelnen klaren Vorstellungen über die Gegenstände seiner Umgebungen, d.h. zu einzelnen Fundamenten der naturgemäßen Belebung seiner Denkkraft. Aber so weit diese klaren Vorstellungen nur in der sinnlichen Anschauung begründet und nur durch sie belebt sind, thun sie der Menschennatur auf keine Weise ein Genüge. Diese will die[117] ihr sinnlich klar gewordenen Vorstellungen in sich selbst zu deutlichen Begriffen erheben; sie will die Gegenstände ihrer Anschauung mit selbstständiger Kraft zusammenstellen, trennen und unter einander vergleichen; sie will sie als vorbereitendes Bildungsmittel ihrer Urtheilskraft benutzen; sie will sie logisch bearbeiten. Sie muß es wollen. Das Vermögen der Denk- und Urtheilskraft, das in ihr liegt, zwingt sie unumgänglich dazu. Alle Welt benutzt diese Kraft; alle Welt denkt und urtheilt.

Indeß ist die Kunst, den Übergang vom klaren Bewußtseyn einzelner Anschauungsgegenstände zum richtigen Denken und Urtheilen über dieselben, durch naturgemäß organisirte und in psychologischen Stufenfolgen geordnete Unterrichtsmittel zu erleichtern, nichts weniger als in einem hohen Grad ihrer Vollendung und Solidität in unsern Händen. Seit dem die Welt steht, arbeitet man an den Mitteln, den Übergang der Ausbildungsmittel der Anschauungskraft zu denjenigen der Denkkraft dem Menschengeschlecht durch die Kunst zu erleichtern und den, aus der einfachen Anschauung der Gegenstände der Natur hervorgehenden Bon sens in demselben zur logisch gesicherten Denk- und Urtheilskraft zu erheben. Aber so wie man in den Routine-Ausbildungsmitteln der Anschauungs- und Sprachkraft den Weg der Natur verlassen und sich auf den Wegen eitler Verkünstelungsmittel einer tiefgreifenden und verderblichen Unnatur in die Arme geworfen, so ist dieses auch in Rücksicht auf diejenigen Mittel wahr, die unser Verkünstelungsverderben zur Ausbildung unserer Denkkraft so viel als allgemein gebraucht. Es ist unwidersprechlich, man ist in den dießfälligen Versuchen und Mitteln von der wahren Basis dieser Kunst, von der eigentlichen Übung im sorgfältig richtigen Zusammenstellen, Trennen und Vergleichen der Anschauungsgegenstände vielseitig abgewichen, und will die Kinder immer mehr einerseits durch willkührliche und unnatürliche Ausdehnung oberflächlich und einseitig ins Aug' gefaßter Reflexionsgegenstände, anderseits durch die Erlernung der Logik, d.h. durch die, ich weiß nicht, ob ich sagen soll, deutliche oder raffinirte Erklärung der ewigen Gesetze, die der Denkkraft zum Grunde liegen, denken lehren. Aber so wie der erste Weg der Vervielfältigung oberflächlich und einseitig aufgefaßter Erkenntnisse, anstatt die Entfaltung der Denkkraft wahrhaft zu befördern, im Gegentheil ihrer naturgemäßen Entfaltung[118] die größten Hindernisse in den Weg legt; so können auf der andern Seite die ewigen Gesetze, die der naturgemäßen Entfaltung der menschlichen Denkkraft zum Grunde liegen, von Zöglingen, die im wirklichen, einfach mit der Anschauung verbundenen Zusammenstellen, Trennen und Vergleichen der Gegenstände zum vorschreitenden Gebrauche der Denkkraft noch nicht genugsam vorbereitet sind, durchaus nicht in ihrer Wahrheit und Tiefe auf eine Weise verstanden werden, daß sie als wirklich allgemein brauchbares bildendes und stärkendes Mittel dieser Kraft selber angesehen werden könnten. Die Logik bleibt in dieser Rücksicht für sie, so lange sie sie auch in den Händen und im Kopfe herumdrehen, im stärksten Sinne des Worts, ein verschlossenes Buch.

So wenig als die naturgemäße Entfaltung der menschlichen Denk- und Urtheilskraft von der Ausdehnung und Menge oberflächlich erkannter Anschauungs- und Reflexionsgegenstände ausgeht, so wenig geht sie aus der oberflächlichen Erkenntniß der ewigen Gesetze der Denkkraft und der daraus fließenden Regeln ihrer Anwendung hervor. Beydes, sowohl die willkührliche Ausdehnung oberflächlicher und den Verhältnissen und Lagen des Kindes unanpassender Erkenntnisse, als das unnatürliche Voreilen der Erlernung der logischen Regeln vor den genugthuenden Übungen der logischen Kraft, führt unser Geschlecht mitten in seiner Bestrebung, die Bildungskunst der menschlichen Denkkraft zu vervollkommnen, immer mehr von der reinen Basis dieser Kunst ab und auf Verkünstelungsmittel einer Bildung, die die Denkkraft selber, anstatt sie naturgemäß zu entfalten, widernatürlich in sich selbst aufdunset, verwirrt, abschwächt und stille stellt.

Es ist unstreitig, der naturgemäße Gang der Kunst in der Entfaltung der menschlichen Denkkraft muß mit dem naturgemäßen Gang, den das menschliche Leben zur Entfaltung dieser Kraft selbst geht, in Übereinstimmung gebracht werden. Und so wie der Mensch naturgemäß sich nicht durch erläuternde Erheiterungen von dem Wesen der Liebe und des Glaubens, sondern durch die Thatsache des wirklichen Glaubens und der wirklichen Liebe zu der Kraft des Glaubens und der Liebe erhebt; so erhebt er sich eben so wenig durch erläuternde Erheiterungen der ewigen Gesetze, die der menschlichen Denkkraft zum Grunde liegen, sondern[119] durch die Thatsache des Denkens zur gebildeten Kraft dieses Vermögens selber. Die Elementarbildung, die geeignet ist, den Naturgang in der Entfaltung der Denkkraft durch die Mittel ihrer Kunst zu behelfen und zu befördern, erkennt in der Zahl- und Formlehre die einfachsten Mittel, den Übergang der gebildeten Anschauungskraft zu der ausgebildeten Denkkraft naturgemäß zu behelfen und zu befördern, und die eigentliche Basis dieses höhern Vermögens, die Abstraktionskraft der menschlichen Natur, solid zu entfalten und zu bilden. Um aber über das Wesen dieses, von der Idee der Elementarbildung anerkannten Fundaments der naturgemäßen Entfaltungskunst der menschlichen Denkkraft richtig zu urtheilen, muß man zum voraus ins Auge fassen, die Kunst der naturgemäßen Zahl- und Formlehre ist gar nicht eine mechanische Einübung des Zählens und Messens. Eben so wenig geht sie von, wenn auch noch so kunstreichen Erleichterungs- und Abkürzungsmitteln des einzuübenden Rechnens und Messens aus. Sie ist auch kein bloßes Erleichterungs- und Verkürzungsmittel dieses Mechanismus. Ihre Mittel gehen in der Zahl nicht von Formen aus, die mit dem Einmaleins für das Rechnen und tausend andern Kunsterleichterungsformen des Zählens und Messens gleich sind. Sie geht aus der einfachsten, innern Anregung und Belebung der Grundkräfte, die sich durch die Fähigkeit, Gegenstände der Anschauung in uns selbstständig zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, aussprechen, hervor, und wir hatten sehr unrecht, sie aus dem Viereck unsrer Anschauungstabellen und aus dem Mechanismus ihrer geistig unbelebten Einübungsmittel, wie einen Deus ex machina, hervorzaubern zu wollen.

Die eigentliche Übungskraft alles dessen, was die elementarische Zahl- und Formlehre zu leisten versucht, liegt in dem Selbsttriebe der menschlichen Denkkraft. Der Mensch muß die Gegenstände seiner Anschauung als Mittel, über sie denken zu lernen, sie selbständig in sich selbst zusammenzustellen, von einander trennen und unter sich selbst vergleichen. Und indem er das thut, wie er es thun muß, entfaltet sich in ihm die Kraft, die diesen Selbsttrieb belebt, die Kraft zu zählen und zu messen, in ihrem geistigen, innern Wesen gleichsam von selbst. Die reine, elementarische Zahl- und Formlehre geht also offenbar aus dem Geist und Leben der Kraft, zu deren naturgemäßen Entfaltung[120] sie durch das innere Wesen ihrer Mittel mitzuwirken geeignet ist, hervor, und in so fern sie von ihren Anfangspunkten aus elementarisch vorschreitet, verschmäht sie, vorzüglich in ihren Anfangsübungen, alle mechanischen Erleichterungs- und Verkürzungs-Mittel, welche die Routine- und Handwerksübungen selber der Arithmetik und Mathematik als bürgerliche Kunst- und Berufssache in der Einübung ihrer niedern und höhern Stufen allgemein benutzt.

Rein kraftentfaltend und in hoher Übereinstimmung mit allem, was im ganzen Umfang des Erziehungs- und Unterrichts-Wesens rein elementarisch behandelt wird, ergreift ihre Kunst das Kind in der Einfachheit ihrer ersten Anfangspunkte mit der größten Lebendigkeit. Es sieht die Gegenstände, in deren Anschauung das Wesen dessen liegt, was gezählt und gemessen werden kann, im millionenfachen Wechsel seiner Grundformen vor seinen Augen; aber so wie sie ihm als bloße isolirte Anschauungsgegenstände einzeln ins Auge fallen, muß es sie in Reihenfolgen von Abstraktionsformen erkennen lernen, durch welche die Stufenfolgen ihrer Verschiedenheiten in gesonderten Darstellungen ihm, mit ihrem wörtlichen Ausdrucke vereinigt, zur Anschauung gebracht werden. Beydes, die Zahl- und Formlehre, ist nichts anders als eine Sammlung psychologisch geordneter Reihenfolgen von Mitteln, das innere, geistige Wesen der Zahl und der Form durch solche äußere Darstellungen dem Kinde stufenweise auf die möglich leichteste Art solid einzuüben, d.h. dasselbe schon bey den ersten, einfachsten Übungen des Elementarunterrichts zusammenstellend, trennend und vergleichend denken und in der Fortsetzung dieser Übungen seine Denkkraft immer mehr zu stärken und zum umfassendem und tiefern Denken fähig zu machen.

Die Zahl- und Formlehre, rein elementarisch ins Aug' gefaßt, ist also offenbar nichts anders als ein reines Produkt der dem Menschen inwohnenden Urkraft des Denkens und der in ihm liegenden Fähigkeit, das richtig zusammenstellen, trennen und vergleichen zu können, was die gebildete Kraft des Messens und Zählens voraussetzt und wodurch sie beholfen und entfaltet wird. Die Kunstmittel der so ins Auge gefaßten Zahl- und Formlehre sprechen deswegen auch alle die höchste Übereinstimmung des allgemeinen Gangs der Natur in der Entfaltung aller unsrer[121] Kräfte unbedingt an. Sie müssen es, oder sie sind nicht elementarisch. Sie können es aber auch, und es läßt sich thatsächlich aufweisen, daß, wo die Kunst der Elementarbildung in diesem Gange der Natur vorschreitet, ihre Mittel denn auch geeignet sind, die Zöglinge von der ersten Anfangserkenntniß der Zahl- und Formlehre in lückenlosen Stufenfolgen eben so schnell als solid bis zur selbstständigen Berechnung nichts weniger als ganz leichter, algebraischer und geometrischer Aufgaben hinzuführen.

Damit aber ist gar nicht gesagt, daß die elementarisch zu bildenden Zöglinge allgemein und in allen Ständen also zu weitführenden algebraischen und geometrischen Erkenntnissen gebracht werden sollen. Das ist gar nicht der Fall. Die verschiedenen Klassen und Stände und selber die Individuen derselben bedürfen der Kunstausbildungsmittel der Zahl- und Formlehre durchaus nicht alle in gleichem Grade; die wenigsten von ihnen bedürfen derselben in einem ausgezeichnet hohen. Und es wäre wirklich gut, wenn in allen Ständen nur diejenigen Kinder darin weit und auf einen hohen Grad geführt würden, die in den niedern Stufen der dießfälligen Ausbildung, welche unbedingt allen naturgemäß wohl zu erziehenden Kindern gegeben werden sollte, vorzüglich große Vorschritte machen und von denselben so eigenthümlich und genialisch ergriffen und gleichsam begeistert würden, daß man offenbar daraus sehen müßte, daß eine höhere, entscheidende Grundlage, sich Geistes- und Kunstkräfte halber auszuzeichnen, in ihnen liegt. Aber in einem solchen Falle sollte die Menschheit auch allgemein ihre Pflicht erkennen, der Entfaltung so ausgezeichnet auffallender Kräfte eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, und so viel es Umstände und Verhältnisse möglich und thunlich machen, dafür zu sorgen, daß eines sehr großen Wachsthums fähige Kräfte, die Gott zu ihrer Entfaltung und Besorgung in unsre Hände gelegt, in denselben nicht verwahrlost bleiben und unbenutzt zu Grunde gehen oder sogar dahin gebracht werden, sich in böser Verwilderung allein thätig und kraftvoll aussprechen zu können.

Diese Sorgfalt, die ausgezeichnete Kräfte ansprechen, ändert indeß gar nicht, daß auch in der Zahl- und Formlehre, wie in allem, was die Kunst für die Bildung unsers Geschlechts zu thun vermag, der Grundsatz »Das Leben bildet« in allen Fällen unumstößlich erkannt werden muß und folglich auch eben dieses Unterrichtsfach[122] jedem Menschen nur in dem Grad gegeben werden soll, als es mit der Wahrheit seiner Lage in seinen Umständen, Verhältnissen und Mitteln in Übereinstimmung steht, oder wenigstens soweit wahrhaft in Übereinstimmung gebracht werden kann, daß es mit den wesentlichen und nothwendigen Segensbedürfnissen seiner Lage nicht im Widerspruch steht, und ihm am ruhigen Besitz und Genuß derselben hinderlich werde. Die liebevolle Sorgfalt, die wir ausgezeichneter Kinder halber fordern, oder vielmehr wünschen, widerspricht diesem Grundsatz auf keine Weise, sie bestätigt ihn vielmehr in seinem ganzen Umfange. Es ist unwidersprechlich, so wie der Grundsatz »Das Leben bildet« alles, was die Kunst für die Bildung unsers Geschlechts zu thun vermag, anspricht, so muß auch der Grad, in welchem die Zahl- und Formlehre den verschiedenen Ständen, Klassen und Individuen eingeübt werden soll, eben wie es bey der Ausbildung der Anschauungs- und der Sprachkraft der Fall ist, mit den Umständen, Kräften und Bedürfnissen derselben in Übereinstimmung gebracht und darin erhalten werden. Die Frage: In welchem Grad und bis auf welchen Punkt muß die Zahl- und Formlehre im Allgemeinen dem Bauernstand, dem Bürgerstand und den höhern, zur Kenntniß und Erforschung wissenschaftlicher Gegenstände berufenen Ständen und Individuen eingeübt werden? ist mit der Frage: Wie muß die Anschauungslehre, die Sprachlehre und die Elementarlehre der Kunstfertigkeiten diesen verschiedenen Ständen naturgemäß eingeübt werden? ganz die nämliche.

Eben so bleibt die elementarisch einzuübende Zahl- und Formlehre in Rücksicht ihres Vorschreitens in den Stufenfolgen ihrer Ausübungsmittel im ganzen Umfange ihres Einflusses an den Grad der geistigen Entfaltung, zu dem ihr Zögling gelangt ist, gebunden. Diese Mittel müssen ihm durchaus nicht außer dem Verhältniß des Grades der gebildeten Empfänglichkeit, auf dem er steht, gewaltsam eingepfropft, sie müssen aus ihm oder vielmehr aus der Kraft, die in ihm selbst dafür zum Grunde liegt, in milder, freyer Lebendigkeit herausgelockt werden.

Es ist also offenbar, der naturgemäße Übergang von den Eindrücken der Anschauungserkenntnisse zur naturgemäßen Entfaltung, Stärkung und Belebung der Denkkraft geht wesentlich von der Thatsache des Zusammenstellens, Trennens und Vergleichens der dem Kinde zum klaren Bewußtseyn gebrachten Anschauungsgegenstände[123] selbst aus. Die Neigung, dieselbigen zusammenzustellen, zu trennen, zu vergleichen und zum Fundament der Entfaltung der Denkkraft und der Ausbildung der Urtheilskraft zu benutzen, liegt in ihm selber, und hat, wie jede andere Kraft, den Trieb, sich zu entfalten, von der Wiege an im Kinde selbst. Es ist aber die Sache des Menschengeschlechts, diesen Selbsttrieb auf der Bahn der Natur festzuhalten und ihm dieselbe durch seine Kunst zu erleichtern. Sie darf die Ausbildung der Denkkraft und den Stufengang ihrer Mittel, die von dieser Kraft ausgehen, nicht dem Zufall überlassen; sie muß ihren Zögling mit dem ganzen Einfluß der menschlichen Sorgfalt einem Zustande entgegenführen, der geeignet ist, die Erkenntniß und Benutzung ihrer Mittel dem Menschengeschlecht mit entschiedener Kraft und Sicherheit zu erleichtern. Die naturgemäßen Kunstmittel dieses Zweckes gehen offenbar von der höchsten Vereinfachung aller menschlichen Unterrichtsmittel, und besonders der Zahl- und Formlehre aus, die in Verbindung mit, aus dem wirklichen Leben des Kindes hervorgehenden und innerhalb seiner Schranken genossenen und gereiften Anschauungserkenntnissen als die Basis der naturgemäßen Ausbildung der menschlichen Denkkraft anzusehn ist.

Doch ich gehe einmal zu meinen Ansichten über die elementarische Entfaltung der Kunstkraft hinüber.

c) Die Kunstkraft ist, wie jede andere Kraft des Menschengeschlechts, vor ihrer Ausbildung nur Kunstanlage, Kunstsinn. Diese entfaltet sich, eben wie die Anlage der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft, nur durch ihre Übung, durch ihren Gebrauch allmälig zur Kunstkraft. Ihre Bildung geht offenbar von der Übung der Kräfte der Sinne, Organe und Glieder aus. Das innere, geistige Wesen aller Kunst ist mit dem innern Wesen der Geistesbildung und der Denkkraft innig verwoben. Alle elementarischen Mittel der naturgemäßen Entfaltung der Denkkraft sind in ihrem Wesen auch naturgemäße Entfaltungsmittel des innern, geistigen Wesens aller Kunst und aller Kunstkräfte. So wie die Zahl- und Formlehre durch ihr Wesen geeignet ist, die logischen Kräfte unseres Geschlechts durch Übungen der Anschauungsgegenstände im Zusammenstellen, Trennen und Vergleichen zu begründen und progressiv zu entfalten, zu stärken und zu erhöhen; so sind eben diese Übungen geeignet, das innere, geistige Wesen der Kunst in Gemeinschaft des innern Wesens der[124] Denk- und Urtheilskraft elementarisch zu begründen, zu entfalten, zu stärken und zu erhöhen. Die äußern und innern Grundanlagen der Kunst aber müssen, wenn sie elementarisch entfaltet und gestärkt werden sollen, beym Kinde von der Wiege auf beyderseits gemeinsam und im innigsten Zusammenhang unter einander menschlich belebt, in Thätigkeit gesetzt und so sich selbst bildend benutzt und gebraucht werden.

Alle Mittel der naturgemäßen Bildung und Entfaltung unserer Kunstkräfte hängen deswegen mit den elementarischen Entfaltungsmitteln der Anschauungskraft innig zusammen. Wie diese wesentlichen Folgen der gebildeten menschlichen Sorgfalt und Kunst zur Aufweckung, Belebung, Leitung und Stärkung des menschlichen Selbsttriebs in der Entfaltung der Anschauungskraft sind; so sind eben so die naturgemäßen Elementarmittel zur Entfaltung der menschlichen Kunstkraft als Folgen der gebildeten menschlichen Sorgfalt zur Aufweckung, Belebung, Leitung und Stärkung des menschlichen Selbsttriebs zur Entfaltung der menschlichen Anschauungskraft anzusehen und zu benutzen. Das innere Wesen der Kunstkraft ist, wie das innere Wesen der Anschauungskraft, der Sprachkraft und der Denkkraft, Geist und Leben; die äußern Mittel der Entfaltung der Kunst sind, in so fern sie die Ausbildung unsrer Sinne und sinnlichen Organe ansprechen, physisch; in so fern sie die Ausbildung unserer Glieder ansprechen, mechanisch. Beyde sprechen eine elementarische Gymnastik der Sinne, der sinnlichen Organe und der Glieder an. Die Kunstgrundsätze und Mittel der Gymnastik der Sinne und sinnlichen Organe müssen von den physischen Gesetzen abstrahirt werden, die im Wesen der Kräfte selber liegen, die den Sinnen und ihren Organen eigen sind, die sie, die Gymnastik, naturgemäß für die Kunst beleben, bilden und stärken soll. Die Gymnastik der Glieder hängt ebenso von den Gesetzen ab, die den Kräften der Glieder eigen sind, die sie, die elementarische Gymnastik für die Kunst beleben, stärken und bilden soll. Ihre Mittel gehen aus der Natur des Mechanismus, der den Kräften der menschlichen Glieder zum Grunde liegt, hervor, und sind also in ihrem Wesen mechanisch.

Der Selbsttrieb, der den Kräften der Sinne, der Sprachorgane und der Glieder zum Grunde liegt, reitzt die Sinne, Organe und Glieder an sich selbst zur Thätigkeit, die sie bildet. Aber die[125] Kunst ist geeignet, die Wirkung dieser Thätigkeit vielseitig zu erleichtern, zu vergeschwindern und zu berichtigen. Sie, wenn sie naturgemäß oder elementarisch gegeben wird, bietet uns eine Stufenfolge psychologischer Bildungsmittel, die Anschauungskraft des Ohrs für das richtig hören, des Auges für das richtig sehen, und des Mundes für das richtig reden und richtig singen, progressiv zu schärfen und zu stärken, an. Eben so bietet sie uns eine Stufenfolge von Mitteln an, die Kunstkraft unsrer Glieder zum Dienst des innern Wesens der Kunst mechanisch zu entfalten.

Das Kind, vom Selbsttrieb der Kräfte, die in ihm liegen, gedrungen, fängt mit dem Gebrauche der vielseitigen Kräfte seiner Sinne und Glieder, die seine Thätigkeit zur Kunst ansprechen, von selbst an.

Es geht der nachhelfenden Kunst in selbstständiger Freiheit voraus. Die nachhelfende Bildung muß dieser freien Thätigkeit des ungebildeten Kunstsinnes nicht voreilen. Die Kunst muß den Sinn des Kindes nur reitzend ansprechen. Sie muß durch die Regmachung des Gefühles: Ich kann das auch – das Kind zum Nachlallen eines lieblichen Tons reitzen. Sie muß es frey Kreide, Bleistift, Kohlen etc. in die Hand nehmen, und gerade und krumme Striche in's Kreuz und in die Quere, ohne sich darein zu mischen, und ihm dieselben berichtigen zu wollen, an die Wand, an den Boden, in den Sand, oder wo es ist, zeichnen lassen. Erst dann, wenn es leichte Wort- und liebliche Klangtöne von sich selbst nachgelallt und an den Veränderungen und nähern Bestimmungen seiner Kreuz- und Querstriche einen Gefallen zu haben anfängt, erst dann, wann der Reitz, mehrere und verschiedene Wort- und Klangtöne nachzulallen und seine Kreuz- und Querstriche richtiger, vielfacher und sich selber gleicher zu machen, und der Gedanke in ihm erwacht: die liebende Mutter kann mir helfen, das zu machen, was ich gerne machen möchte und nicht recht machen kann; erst dann ist der Zeitpunkt da, wo die Handbietung der Kunst naturgemäßen Eingang beim Kinde findet und ihm naturgemäß angeboten werden soll. In allen Fächern der Kunstbildung ist dieser Gang ihrer Bildungsmittel ein und eben derselbe. Die Lehre der Kunst, die von der reggemachten und belebten Freiheit des Kunstsinns und seines Selbsttriebs ausgeht, ist in allen Mitteln, die von den Gesetzen ihres innern Wesens ausgehen, sich immer selbst gleich.[126]

Der ganze Umfang aller wahrhaft elementarischen Bildungsmittel geht von der höchsten Einfachheit ihrer wesentlichen Anfangspunkte aus und schreitet in lückenlosen Stufenfolgen intensiv und extensiv unter sich übereinstimmend, den höhern Stufen jeder Erkenntniß, jedes Bildungs- und Unterrichtsfaches entgegen.

Die Bildungsmittel aller Kunst gehen theils von sinnlichen Bedürfnissen unsers thierischen Daseyns, theils von geistigen Antrieben und Neigungen zum innern Wesen der Kunst selbst aus. Die höchste Stufe der Baukunst geht von den Verschönerungs-Künsten der Schilfhütte des Wilden aus. Würde unser Geschlecht keines Schutzes gegen Wind und Wetter bedürfen, so hätte der Mensch keine Paläste; und wenn der Gelust, vom Ufer eines Flusses ans andere und vom Strand eines Sees an den andern, ohne große Umwege hinüberzukommen, nicht in uns läge, so hätten wir von unsern vielerley Schiffen wahrscheinlich wenige, und der Name Baukunst und Schiff-Baukunst wäre in unserer Sprachlehre kaum zu finden.

Erst wenn wir die Bedürfnisse unsers thierischen Daseyns in einem merklichen Grad befriedigt haben, führt uns unser Kunsttrieb naturgemäß weiter und sucht die in der Befriedigung der thierischen Bedürfnisse erprobten und gestärkten Kunstkräfte auf die Befriedigung der uns inwohnenden geistigen Antriebe und Neigungen zur Kunst selber anzuwenden, und stärkt sich in der Solidität ihres menschensegnenden Einflusses auf die Bildung unsers Geschlechts im allgemeinen, so lange und so weit sie in den Bildungsmitteln ihrer Kräfte mit der Sorgfalt für die Quelle, woraus sie wesentlich entspringt, in Übereinstimmung bleibt. So wie sie aber, von dieser Bahn abweichend, den Mittelpunkt ihrer naturgemäßen Selbstbildung, den innigen, engen Zusammenhang ihrer naturgemäßen Vorschritte mit dem Segens-Einfluß ihrer Kraft auf die Befriedigung der Nothbedürfnisse unsers sinnlichen Daseyns auf Erden mißkennt und durch partielle Übersättigung in diesen Bedürfnissen dahin gelangt, die Schein-Ausbildung der in uns wohnenden, höhern, geistigen Kunstkräfte zur Befriedigung der die Menschennatur in allen ihren Kräften wesentlich abschwächenden Kitzel- und Flittergelüste ihrer Sinnlichkeit allgemein in allem Volk anzusprechen, so hat sie das wahre und wesentliche Fundament ihrer Segenskräfte[127] für das Menschengeschlecht verloren und führt uns mit vollem Zügel dem Flitterglanz des, die Menschennatur im Innersten ihrer Segenskräfte verheerenden Zustandes einer allgemein in alle Stände eingreifenden Verkünstelungs-Abschwächung entgegen.

Die Mittel der geistigen und höhern Kunstbildung müssen der Solidität der die Nothbedürfnisse des Menschengeschlechts sicherstellenden Kunst-Bildungsmittel in gewissen Rücksichten so viel als untergeordnet ins Auge gefaßt werden. Unser Welttheil hatte kaum jemals wie jetzo nöthig, die Ausdehnung und Allgemeinmachung der Ansprüche an höhere und geistige Kunstausbildung in die Schranken zurückzulenken, die das Bedürfniß der wesentlichen Solidität und Sicherheit der gemeinen, broderwerbenden, anspruchslosen, häuslichen und bürgerlichen Thätigkeit und ihrer Fundamente ihr anweist. Die höhere Kunst selber findet in der Sorgfalt für diese Beschränkung wesentliche Fundamente zur Sicherstellung und Erhaltung ihrer eigenen Segenskräfte. Der Luxus ihrer Ausdehnung ist sowohl in rein menschlicher als bürgerlicher Hinsicht das Grab ihrer Solidität, indem er die wesentlichen innern Fundamente ihrer Kraft selber untergräbt und ebenso ihre äußern Resultate segenslos und folglich für die Menschennatur unbefriedigend läßt. Die Ausbildungsmittel der Anschauungskraft durch alle fünf Sinne sind das wesentliche Fundament der naturgemäßen Ausbildung der Kunstkraft, und müssen es seyn, denn diese, die Kunstkraft, geht wesentlich aus der ersten, der Anschauungskraft, hervor, und ihre naturgemäße Ausbildung ist nur durch die gute Beschaffenheit und genugthuende Ausbildung der Sinne, Organe und Glieder, deren thätige Mitwirkung die Ausbildung der Anschauungskraft anspricht, denkbar.

Die Ausbildung des geistigen Wesens der Anschauungskraft spricht aber zugleich auch die Ausbildungsmittel der Denkkraft, die Erkenntniß der Zahl- und Formlehre, so wie die Ausbildungsmittel der die Anschauungs- und die Denkkraft vermittelnden Sprachkraft, an. Das Wesen aller Ausbildungsmittel der Kunstkraft besteht in der geistigen Belebung und sinnlich genugthuenden Übung der Anlagen, die dem Zeichnen, Messen und Rechnen, so wie dem Singen und der Tonkunst, im ganzen Umfange des Worts, zum Grunde liegen. Wer elementarisch, d.h. durch[128] Reihenfolgen von psychologisch organisirten Bildungsmitteln, messen, rechnen und zeichnen gelernt, der hat den ganzen Umfang der geistigen Bildungsmittel zur Kunst in sich selbst, und es fehlt ihm nichts mehr als die Ausbildung der mechanischen Fertigkeiten, die die äußere Ausübung des speziellen Kunstfaches, das er erlernen will, besonders anspricht.

Das ist sogar auch in der Tonkunst und der mit ihr innig verbundenen Tanzkunst richtig. Wer sich die Kraft des Messens und Rechnens elementarisch eingeübt, der hat einen Vorsprung in der deutlichen Erkenntniß aller Fundamente der Gesangslehre, die in der Vocal- und Instrumentalmusik allenthalben die nämlichen sind und die auch die mühsamsten Einübungen der äußern Fertigkeiten sowohl des Singens als des Spielens auf jedem Instrument in einem hohen Grad erleichtern und durch die Deutlichkeit des Bewußtseyns der Grundsätze des Unterrichts sicher machen. Diese innere Erheiterung der Fundamente der Vocal- und Instrumentalmusik mindert indessen das Bedürfniß der anstrengungsvollen Übungen der äußern Werkzeuge der Tonkunst, in Verbindung mit dem innern Wachstum des geistigen Bewußtseyns und der geistigen Klarheit ihrer Fundamente, gar nicht. Wenn die Zahl- und Formlehre die Erlernung des innern Wesens der Tonkunst erleichtert, so muß das Wachsthum der innern Erkenntniß der Fundamente der Tonkunst mit dem Wachsthum der äußern Kräfte der Ausübung in jedem Fache derselben gleichen Schritt halten. Der Bildungsgang aller mechanischen Fertigkeiten, die der ganze Umfang der äußern Kunst-Bildungsmittel erheischt, ist, wie ich oben schon in einer allgemeinen Beziehung gesagt habe, dieser: Von Übungen zur Richtigkeit einer jeden mechanischen Fertigkeit ausgehend, schreitet er zur Einübung der Kraft in der Richtigkeit, und von dieser Kraft zur Zartheit in der Darstellung derselben vorwärts, und gelangt endlich durch eingeübte Richtigkeit, Kraft und Zartheit seiner Kunstfertigkeit zur Freyheit und Selbstständigkeit in den Ausübungsmitteln derselben. Wir haben den dießfälligen Gang der Bildungsmittel der mechanischen Fertigkeit im Schreiben, Zeichnen, Singen, Klavierspielen einzig naturgemäß und in seinen Wirkungen allgemein sich selbst gleich und befriedigend gefunden. Die Fundamente seiner Stufenfolge sind im Wesen der Menschennatur selbst gegründet. In ihrem ganzen Umfange an mathematische[129] Sicherheit und mechanische Genauigkeit gebunden, gehen sie von der höchsten Einfachheit der Anschauungs-Erkenntnisse aus und ergreifen die kindliche Natur auf allen ihren Stufen. Der unbefangene Beobachter muß, er kann nicht anders, erkennen, daß bey der sorgfältigen Befolgung ihrer Stufenfolgen die Kunst zur Natur und die Natur zur Kunst wird.

Die elementarische Geistes- und die elementarische Kunstbildung stehen, wie schon oben gesagt, im großen, innigsten Zusammenhang neben einander. Das Kind, dem die elementarische Zahl- und Formlehre solid eingeübt worden, besitzt das geistige Element der naturgemäßen Ausbildung zur Kunst eben so tief und eben so allgemein in sich selbst, als das geistige Element der naturgemäßen Entfaltung seiner Denk- und Urtheilskraft, und die mechanischen Fertigkeiten, die jedem speziellen Kunst- und Gewerbsfache zum Grunde liegen, werden dem Kinde, das einer wahrhaft elementarischen Führung unterworfen, erzogen wird, im häuslichen Leben schon zum voraus gegeben, und zwar in allen Ständen in wesentlicher Übereinstimmung mit den speciellen Lagen und Bedürfnissen, ebenso wie in Übereinstimmung mit dem Grad der Kräfte und Anlagen, die ihnen zum Grunde liegen. Die Anwendung des Grundsatzes: »Das Leben bildet«, ist indeß, wenn von dem guten, naturgemäßen Einfluß des häuslichen Lebens auf die Bildung unsers Geschlechts, sowohl in Beziehung seiner naturgemäßen Mittel als seiner segensvollen Resultate, die Rede ist, in Rücksicht auf die höhern Stände weniger allgemein anwendbar als in Rücksicht auf die niedern. Diesen letztern wird das Wesen der mechanischen Fertigkeiten, deren sie durch ihr Leben vorzüglich bedürfen, so viel als allgemein von der Wiege an schon zum voraus vielseitig eingeübt und eigen gemacht. Die Kinder des Landvolks, der Handwerktreibenden und aller, ihren Haussegen durch ihren Gewerb gründenden und fördernden Stände leben im allgemeinen vom Morgen bis am Abend in Umgebungen und Verhältnissen, in denen sie alle Augenblicke Gelegenheit und Reitz finden, an den mechanischen Fertigkeiten ihres väterlichen Berufs Theil zu nehmen, und sich das Wesentliche der speciellen Fertigkeiten, die sie für irgend ein künftiges, ihrer Lage und ihren Verhältnissen angemessenes Berufsfach nöthig haben, einzuüben.

Das ist aber freilich bei den höhern Ständen nicht der Fall.[130] Noth und Bedürfniß helfen ihnen dazu gar nicht. Ihre Kinder sprechen im allgemeinen mit eingesogener Selbstzufriedenheit das Wort aus: »Ich bin reich und bin reich geworden, und bedarf dessen nicht.« Das segensvolle Gefühl gemeiner bürgerlicher und ländlicher Kinder: »Ich kann meinem lieben Vater und meiner lieben Mutter in ihren Geschäften und selber in solchen, die sie im Schweiß ihres Angesichts verrichten müssen, einige Handbietung und Hülfe leisten, die sie freut und erleichtert –« dieses segensvolle Gefühl der Kinder der gemeinen Stände und die häusliche Vorbereitung zu genugthuender Einübung der mechanischen Fertigkeiten, die auch sie in jedem, ihren Verhältnissen angemessenen Berufsfach nothwendig haben möchten, fehlt den Kindern der höhern Stände allgemein und noch mehr den Kindern aus dem zahllosen Schwarm der anmaßlichen Menschen, die in bürgerlicher und häuslicher Kraft- und Verdienstlosigkeit, ohne einen Schatten von wahrem Recht, nicht zum gemeinen Volk und nicht zum Stand, in den sie wirklich gehören, sondern mit Gewalt zu einer Art von Gnadenanhängsel der vornehmen und reichen Leute, die in ihrer Nähe wohnen, gezählt seyn wollen, im höchsten Grad.

Unsere, sich von der Segensbahn der häuslichen Verhältnisse immer mehr entfernende Zeitverkünstelung hat einen großen Theil von Individuen aus den höhern Ständen und selber einige sonst sehr edle Seelen unter ihnen in Rücksicht auf alles, was ihre Kinder von früher Jugend an sittlich, geistig und physisch kraftvoll bilden und in allen diesen Beziehungen zu einer befriedigenden Selbstthätigkeit und Selbstständigkeit erheben konnte, irre geführt und dießfalls auf Abwege hingelenkt, auf denen die Bahn der Natur in der Entfaltung und Bildung ihrer Kräfte ihnen so viel als allgemein und gewaltsam aus den Augen gerückt wird.

Der Mangel der naturgemäßen Einübung der mechanischen Fertigkeiten für die allgemeine solide Begründung der Kraftbildungsmittel unsers Geschlechts, die auch die höhern Stände zum gesegneten Fleiß und zur gesegneten Betreibung aller guten Werke ihres Standes nothwendig haben, ist in unsern Tagen größer und für ihren Haussegen drückender und irreführender, als er es je war. Es mangeln uns in der Verkünstelung unsers gegenwärtigen Zeitpunkts, beides, sowohl der Gang der Natur als derjenige der Kunst, der dem Gange der Natur[131] nachhelfen sollte und ihm auch nachhelfen würde, wenn wir für den Gang der Natur und die daraus herfließenden Mittel der Idee der Elementarbildung mehr Sinn und Takt hätten, als wir dafür wirklich besitzen. Wir suchen nicht bey der Wahrheit der Kunst, sondern bey dem Verderben unserer Verkünstelung Mittel und Hülfe gegen die Quelle der Übel, von der wir gegenwärtig Natur- und Kunst halber gleich entfernt sind und uns beiderseits gleich in Verlegenheit befinden.

Wir müssen in dieser Rücksicht die Natur und die Mittel der Elementarbildung, in so fern sie Mittel der menschlichen Kunst sind, genau und scharf von dem Gang der Natur in der Entfaltung unsrer Kräfte gesondert in's Aug fassen. Der Gang der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte, der dem Gang der Kunst in der Ausbildung derselben, folglich auch dem ganzen Umfang der elementarischen Bildungsmittel vorhergeht und ihn begründet, ist ewig und unveränderlich. Der Gang der Kunst ist dieses zwar in Rücksicht auf das Innere seines Wesens eben sowohl, aber in Rücksicht auf das Äußere seines Einflusses und seiner Anwendungs-Mittel ist er veränderlich. Sein Wesen ist nicht seine äußere Erscheinung; sein Wesen ist die Kraft selber, aus der seine äußere Erscheinung hervorgeht. Die äußere Erscheinung der Kunst ist zwar im Wesen der Kunst selber gegründet; aber sie ist nur in so weit wahre Kunst, als sie mit dem Gang der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte in Übereinstimmung steht. So wie sie dieses nicht thut, sondern mit ihm im Widerspruche dasteht, ist sie in so weit unerschöpfliche Quelle der bösen Verkünstelung unsers Geschlechts, die besonders in unserer Zeit durch die Gewalt ihrer Reize auf den Segen und das Wachsthum der wahren Kunst tödlich eingreift. Ich fasse beides, den dießfälligen Gang der Natur und denjenigen der Kunst, so wie dieser sich in der Idee der Elementarbildung, und durch sie in der bestimmtesten Opposition mit dem Verkünstelungs-Verderben unserer Zeit und ihrer Routinemittel als wahre Erziehungskunst bewähren soll, in's Auge, und werfe einen kurzen Hinblick auf das Thun und die Bestimmung des einen neben dem andern, so wie auf den Zusammenhang, in welchem beyde, gegenseitig sich unterstützend und behelfend, neben einander dastehen und auf den wirklichen Zustand des Erziehungswesens in unserm Geschlecht einzuwirken bestimmt sind. Der Gang der Natur in der Entfaltung[132] der Anschauungskraft ist an die Wahrheit der Lage des Individuums, dessen Anschauungsvermögen gebildet werden soll, gebunden. Sein Einfluß auf die Entfaltung dieser Kraft hängt gänzlich von der Erscheinung der Gegenstände ab, wie solche dem Kind in der Wahrheit seiner Umgebung vor die Sinne gelangen.

Die Kunst der Elementarbildung kann diese Erscheinungen vermehren, sie kann ihren Reiz erhöhen, sie kann ihn ordnen, sie kann ihn lehrreicher und als ihr Bildungsmittel auf die Menschennatur eingreifender machen. Und dieses alles kann sie von der Wiege auf. Sie soll es auch. Aber sie soll es nur in dem bestimmten Zusammenhang mit dem Gang, den die Natur in der Darstellung der Anschauungsgegenstände beim Kinde selbst geht, und diese ist in dieser Darstellung an die Wahrheit und Wirklichkeit der Lagen, Umstände und Verhältnisse, in denen das Kind, dessen Anschauungsvermögen durch den Eindruck und die Benutzung dieser Erscheinungen gebildet werden soll, gebunden. Die Kunst darf ihren dießfälligen Einfluß durchaus nicht außer dem Zusammenhang mit der Wahrheit und Wirklichkeit dieser Lagen, noch weniger im Widerspruch mit denselben versuchen. Sie soll weder durch ihren Einfluß auf die Vermehrung der Anschauungsgegenstände, noch durch ihre Anordnung, noch durch die Erhöhung ihrer Reize nachtheilig auf den Gang der Natur, der in seinem Einfluß auf die Entfaltung des Anschauungsvermögens des Kindes an die Wahrheit und Wirklichkeit der Lage und der Umstände, in denen es lebt, gebunden ist, einwirken. Thut sie es, so ist sie nicht wahre Kunst, sie ist nicht elementarisch begründet, sie ist zum erniedrigten Mittel unserer Zeitverkünstelung und ihres Verderbens herabgesunken, und die elementarische Kraft der wahren Erziehungskunst, deren Schild sie aushängt, ist nicht in ihr.

Die wahre Kunst soll und darf ihren Zögling auf keine Weise außer dem festen Zusammenhang mit dem Gang der Natur in der Entfaltung unsrer Kräfte und eben so wenig im Widerspruch mit den bildenden Anschauungseindrücken, die aus der Wahrheit und Wirklichkeit der Lage, der Umstände und der Verhältnisse, in denen ihr Zögling lebt, hervorgehen und hervorgehen sollen, anreitzen, beleben und ergreifen.

So ist hinwieder der Gang der Natur in der Entfaltung der Sprachkraft eben so an die Wahrheit und Wirklichkeit der Lagen, Umstände und Verhältnisse des Individuums, bey welchem die[133] Sprachkraft entfaltet werden soll, gebunden. So wie die Kunst der Elementarbildung die Erscheinung der Anschauungsgegenstände vor den Sinnen des Kindes zu vermehren, ihre Eindrücke zu verstärken, sie ergreifender zu machen und belehrender zu ordnen, geschickt ist, so ist sie dadurch auch geeignet, die Erscheinungen der Anschauungsgegenstände dahin zu benutzen, die Kunstbildungsmittel der Sprachkraft ausgedehnter, belehrender und ergreifender zu machen, als dieses dem sich selbst überlassenen Gang der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte möglich ist und möglich werden kann. Die Anschauungskraft und die Sprachkraft haben in ihrem, für das Menschengeschlecht segensvollen Kunsteinfluß den nämlichen Spielraum, aber auch die nämlichen Schranken. Der Gang der Kunst darf sich weder in seinem Einfluß auf die Erweiterung und Belebung der Sprachkraft, noch in demjenigen, den er auf die Vermehrung der Reitze des Kindes für die Sprachkunst, als solche, zu ergreifen haben könnte, eben so wenig als in seinem Einfluß auf die Erweiterung und Belebung der Anschauungskraft und in demjenigen, den er auch in diesem Fach auf die Vermehrung der Reitze des Kindes für diese Kunst, als solche, haben könnte, vom Gang der Natur in der Entfaltung dieser Kräfte entfernen, oder sogar im Widerspruch mit denselben auf seinen Zögling einwirken.

Selber die Erlernung einer neuen, todten oder lebendigen Sprache findet die Fundamente ihres naturgemäßen Ganges in der Übereinstimmung ihrer Mittel mit dem Gang, nach welchem die Natur beym Kinde, das die Mutter reden lehrt, in Übereinstimmung mit seiner Lage und mit seinen Verhältnissen zu Werke geht.

Alles in Rücksicht auf die Übereinstimmung des Gangs der Natur und des Gangs der Kunst in der Entfaltung und Ausbildung der Sprachkraft Gesagte ist auch in Rücksicht des Einflusses, den die Sprache als Mittelstufe zwischen der Entfaltung der Anschauungskraft und der Denkkraft besitzt, gleich wahr.

In der Entfaltung der Denkkraft ist der Gang der Natur hinwieder an die Anschauungserscheinungen der Gegenstände und an den Grad der Klarheit, in welchem sie dem, zum Denken zu bildenden Individuum durch die Anschauung der Sinne und durch die Sprachkraft zum festen Bewußtseyn gebracht werden muß, gebunden. Die Anschauungskunst erzeugt die Eindrücke der[134] Gegenstände, die Sprachkraft gibt dem Zögling die Ausdrücke, den Sinn, die Bedeutung der Eindrücke zu bezeichnen. Beide zusammen machen diese Gegenstände zu Objecten, die das Kind in sich selbst als zusammengehörend oder von einander getrennt in's Aug fassen, miteinander vergleichen und zur Belebung seiner Denkkraft benutzen kann. Und was dießfalls von dem Zusammenhange des Gangs der Natur mit dem Gange der Kunst in Beziehung der Anschauungskraft und der Sprachkraft gesagt ist, das ist auch in seinem ganzen Umfang in Beziehung des Zusammenhangs des Gangs der Natur mit dem Gange der Kunst in der Entfaltung der Denkkraft und des durch sie naturgemäß zu begründenden Unterrichts in allen wissenschaftlichen und Kunstfächern gleich wahr.

Der naturgemäße Gang der Entfaltung der Denkkraft ist indeß, eben wie der naturgemäße Gang der Anschauungskraft, wenn er, von der Kunst unbeholfen, sich selbst überlassen in's Aug gefaßt wird, an das Positive der Lagen und Verhältnisse, in welchen die Gegenstände der Anschauung dem Kinde vor die Sinne kommen, gebunden. Auch reift das Vermögen der Denkkraft bey diesem Gange langsam und in engen Schranken. Ohne Beihülfe der Kunst denkt das Kind über wenige Gegenstände und wird langsam zum freyen und erweiterten Denken reif. Zwar erweitert schon die Anschauungs- und die Sprachkunst diese Schranken in der Entfaltung der Denkkraft. Aber es ist ein selbstständiges Vermögen in der Denkkraft, sich über die Schranken der Anschauungseindrücke zu erheben und schöpferisch in der Ausbildung seiner selbst selbstständig vorwärts zu schreiten. Dieses Vermögen liegt im Wesen der Denkkraft. Es ist eigentlich ihr Wesen. Es constituirt ihr Wesen. Es heißt Abstraktionsvermögen. Aber auch dieses Vermögen entfaltet sich, wenn es kunstlos sich selbst überlassen wird, nur langsam. Es ruft der Kunst mit innerer selbstständiger Kraft.

Aber so wahr dieses, so selbstständig und schöpferisch die Kunst an sich selbst ist und auf unser Geschlecht einwirkt, so soll und darf sie doch nicht durch die Mittel ihrer Ausbildung, welche diese auch immer seyn mögen, außer den Zusammenhang mit dem Gang der Natur in der Entfaltung der Anschauungskraft und der Sprachkraft sinnlich gereitzt, zu einem außer den Zusammenhang des wirklichen Lebens geworfenen Freydenken, dem[135] das heilige, segensvolle Fundament des durch menschliche Lage und menschliche Pflicht beschränkten Denkens mangelt, zu einem, diesen Segen untergrabenden Herumschweifen und Ausschweifen im Denken widernatürlich und außer dem Kreis des wirklichen positiven Zusammenhangs des Kinds angereitzt und angelockt werden. Die wahre Kunst thut das niemals, aber das Verkünstelungsverderben, das, von der Selbstsucht unserer sinnlichen Natur belebt und gereitzt, der wahren Kunst selber in allen Rücksichten an's Herz greift, thut das vielseitig. Es lockt, durch die Unnatur seiner Ausbildungsmittel zur Scheinkunst unsers Geschlechts, den Zögling mit gewaltigen Reitzen auf die vielseitigste Art zu einem ungebundenen, oberflächlichen, mit dem positiven Leben des Menschen durchaus wesentlich und enge zusammenhängenden Herumschweifen im Denken. Dieses aber ist in seinen verderblichen Folgen so wichtig, daß es wesentlich nothwendig ist, demselben frühe und zwar schon in der Bildung der Anschauungs- und der Sprachkraft vorzubeugen, um so mehr, da die ersten Reitze dazu in der Unnatur und in den Verirrungen, die in der Ausbildung der Anschauungskraft und der Sprachkraft selber statt finden, zu suchen sind. Wir können uns gar nicht verhehlen, in welch einem hohen Grad die sinnlichen Belebungsmittel in der Routineentfaltung unsrer Anschauungskraft und unsrer Sprachkraft in dieser Rücksicht unvorsichtig und gefährlich sind, und zwar vorzüglich wegen des gewöhnlich verbundenen, großen Mangels an genügsamen Übungen, die mit durchgreifender Ordnung und Festigkeit, der Ausschweifung und Zerstreuung im Anschauen der Bildungsgegenstände und im Reden darüber kraftvoll Einhalt zu thun und vorzubeugen, geeignet sind.

Die Oberflächlichkeit unsrer dießfälligen Routineübungen reitzt gewöhnlich allgemein zum gedankenlosen Maulbrauchen über die Gegenstände, durch die wir uns unterrichten sollten. Wann das Kind das, was es lernen sollte, nicht versteht, und doch zeigen sollte, daß es dasselbe verstehe, so führt das natürlich zum gedankenlosen Schwatzen über Sachen, die es nicht versteht. Sein Lernen selber wird ein eigentlicher Unterricht im Maulbrauchen über das, was es nicht versteht. Dadurch wird denn aber auch das Schwatzen darüber ein eigentliches Versüßungsmittel des Verdrusses und der langen Weile, die jeder Unterricht, den man nicht[136] versteht, der Menschennatur nothwendig macht. Es ist psychologisch richtig und sehr leicht zu erklären, wie man auf diesem Wege dahin kommen kann, am Ende leidenschaftlich viel über Dinge zu reden, mit denen man sich zum Eckel lange und mühselig beschäftigen mußte, ohne es in sich selber dahin gebracht zu haben, einzusehen, was sie sind und wozu sie dienen.

So weit gehen die Folgen der Abweichung der Kunst vom Gange der Natur in der Entfaltung unsrer Kräfte allgemein in den Anfangspunkten der Routineausbildungsmittel unsrer Anschauungskraft, unsrer Sprachkraft und unsrer Denkkraft. So wahr dieses ist, so wahr ist hinwieder auch, daß die Vorbeugungsmittel sowohl gegen die Ursachen, als gegen die Folgen dieses Verkünstlungsverderbens und die Bahn zur wahren Begründung der ächten Kunst der Erziehung im Wesen der Idee der Elementarbildung liegen. Fasse ich diese große Idee mit Festhaltung dieses Gesichtspunkts noch einmal in's Auge, so sehe ich, ihre wesentliche Kraft geht von dem Einfluß aus, den die Vereinfachung des ganzen Umfangs der Erziehungs- und Unterrichts-Mittel auf die Cultur des menschlichen Geschlechts hat und nothwendig haben muß; und es ist diese Vereinfachung, wodurch sie geeignet wird, den bildenden Einfluß des häuslichen Lebens und seines Mittelpunkts, der Wohnstube aller Stände, zu erhöhen, und dadurch Millionen Kräfte für die Erziehung in Bewegung zu setzen, die gegenwärtig schlafend unbenutzt und unbelebt in unserer Mitte dastehen.

Ich führe zur Bestätigung des Weitführenden dieser Wahrheit nur dieses an: Jedes Kind wird, wie wir schon wissen, durch die elementarische Vereinfachung des ganzen Umfangs seiner Unterrichtsmittel in Stand gesetzt, das, was es auf jeder Stufe der Ausbildung, auf der es steht, selbst gelernt hat, seinen Geschwistern und jedem andern Kinde, das dieses nicht kann, mitzutheilen; und es ist jedem hierin wohl geführten Kinde selber eine Herzensfreude, dieses zu thun, so wie es jeder unverkünstelten Mutter eine Herzensfreude wäre, ihm hierin selber behülflich zu seyn, wenn sie es nur könnte. Ich bin sogar überzeugt, tausend und tausend Mütter würden bey diesem Thun eines solchen Kindes wehmüthig erkennen und bedauern, daß sie es selber nicht können, und mit Mutterfreude an ihrer Seite es ihnen abzulernen suchen. Ich träume nicht, das Fundament[137] dieser Überzeugung liegt im gegenseitigen Einfluß des allgemein instinkartig belebten Mutter- und Kindersinns. Das ist in Rücksicht auf das Geben und auf das Empfangen dieses Unterrichts, gleich wahr. Es ist eine unwidersprechliche Thatsache, daß Kinder sich von Kindern unendlich lieber zeigen lassen, was sie noch nicht können, als von irgend einem erwachsenen Menschen, der nicht ein auffallend zartes, mütterliches Gemüth, oder ein eben so auffallend kraftvolles, väterliches Herz in seinem Leibe trägt.

Es ist aber eine unstreitige Wahrheit, daß die Idee der Elementarbildung jedes Kind, das nach ihr wohl geführt ist, zu dieser Fähigkeit emporhebt, deren hohe Wichtigkeit dadurch ins Auge fällt, daß sie unwidersprechlich beweist, daß alle wahrhaften und solid durchgeführten Mittel der Elementarbildung geeignet sind, die Kinder fähig zu machen, ihren Eltern allgemein und zwar in sittlicher und geistiger Hinsicht für die Erziehung ihrer Geschwister eben sowohl an die Hand zu gehen, als Noth und Armuth sie in physischer und wirthschaftlicher Hinsicht in allen, ihr Brod mit Handarbeit suchenden Haushaltungen dafür mit menschlichen Reitzen anlockt, bildet und selber dazu nöthigt.

So gewiß ist, daß auch die Anerkennung der Idee der Elementarbildung, Millionen schlafende Kräfte für die Erziehung in Bewegung setzen würde, und überhaupt ihre allgemeine segensvolle Folgen, wenn sie wirklich eingeführt wäre, auf den guten Zustand des häuslichen Lebens nicht zu berechnen seyn würden. Ihre Grundsätze und Mittel sind indeß nichts weniger als eine neue Lehre. Die Welt hat die wesentlichen Wahrheiten, die ihr zum Grunde liegen, von jeher erkannt, wenn sie dieselben schon nicht wörtlich nach unsern Ansichten ausgesprochen. Ich habe in meiner Jugend in gemeinen Haushaltungen, unter den verschiedensten Verhältnissen das Wort hundertmal aussprechen gehört: »Ein Kind, das von früher Jugend an beten, denken und arbeiten gelernt, ist schon halb erzogen.« Und es ist wahr, ein Kind, das von seinen frühesten Jahren auf gewohnt ist, täglich herzlich und andächtig zu beten, den Tag über hinwieder alles, was es thut und redet, wohl zu überlegen und mit Fleiß und Anstrengung auszuführen, ist für alles, was es in der Welt werden soll und werden muß, zum voraus wohl vorbereitet, folglich in so weit wohl erzogen. – Dieses große Wort, dessen tiefer Sinn[138] den Alten so stark eingeprägt war und im Leichtsinn der Neuen so vielseitig entkräftet und ausgelöscht ist, findet in der Idee der Elementarbildung wesentlich sein bildendes Element. Und je tiefer ich dieses Wort beherzige, desto mehr werde ich überzeugt, daß der ganze Umfang aller Mittel der Elementarbildung aus dem einfachen Gang der Natur hervorgeht, durch welchen der wahre Sinn des Betens, Denkens und Arbeitens in einem Kind in Liebe und Glauben belebt und ihm eingeübt worden ist, daß folglich ein jedes im großen Sinn dieses Worts von der Wiege an erzogene Kind wesentlich im Geiste der Elementaridee gebildet, und dadurch zu allem, was es in der Welt seyn und werden will, zum voraus wohl vorbereitet ist. Diese Ansicht macht es auch vollkommen klar, daß der ganze Umfang der elementarischen Bildungsmittel nichts anders ist, als ein psychologisch mit Sorgfalt und Umfassung bearbeiteter Kunst-Zusatz zum Gange der Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer sittlichen und geistigen und physischen Kräfte, und eine psychologisch begründete Nachhülfe ihres dießfälligen guten Thuns selbst. Die Ansicht dieses Gegenstandes, oder vielmehr das innere Wesen dieser, in der alten Zeit so gewöhnlichen Ansicht der Fundamente des Erziehungswesens spricht sich auch in dem elementarischen Grundsatze, die Entfaltungsmittel der menschlichen Kräfte als das innere Fundament der Bildungs- und Einübungsmittel der Anwendungsfertigkeiten und folglich aller Unterrichts- und Abrichtungsmittel unsers Geschlechts anzusehen, anzuerkennen und zu benutzen, so wie die Nothwendigkeit, den ganzen Umfang der Unterrichts- und Abrichtungsmittel unsers Geschlechts den höhern Gesetzen der Entfaltung unsrer Kräfte unterzuordnen, bestimmt aus.

Die Folgen, welche die psychologisch wohl eingelenkten und sorgfältig durchgeführten Elementarbemühungen, die Erziehungskräfte des häuslichen Lebens durch Vereinfachung ihrer Mittel allgemein zu stärken, ihrer Natur nach auf das Menschengeschlecht in allen Rücksichten haben müssen, sind in ihren Anfangspunkten gleichsam an das beginnende Leben des Kindes im ganzen Umfang aller seiner Kräfte gebunden, sie gehen auch wesentlich von selbst aus demselben hervor. Der ganze Umfang der elementarischen Entfaltungs- und Bildungsmittel hat für die Unschuld der Kinder selber von der Wiege an belebende Reize,[139] indem sie sich an die ersten Keime des sich in uns entfaltenden Selbsttriebs anschließen und so, naturgemäß angeregt, gleichsam von selbst aus ihm hervorsprudeln. Die Wahrheit dieser Ansicht bewährt sich auch dadurch, daß die ächten Mittel der Idee der Elementarbildung, eben so wie sie die Unschuld des Wiegenkindes ergreifen, geeignet sind, mit dem steigenden Wachsthum der Kräfte dieses Selbsttriebs gleichen Schritt zu halten und dieselbe fortdauernd mit gleichen Reitzen zu begleiten. Es ist Thatsache, der wildeste Knabe, der im Gefühl seiner Kräfte, und belebt durch den Selbsttrieb zu ihrer Entfaltung in seinen Umgebungen umherstürmt und alles, was um ihn ist, als Mittel zu dieser Entfaltung anpackt und in Unordnung bringt, wird, wenn ihm die Mittel der Elementarbildung mit genugsamer Einfachheit, Kraft und Liebe eingeübt werden, auf eine Weise von ihnen ergriffen, daß er ihre ihn belebende Wahrheit und ihre ihn belebende Kraft tief in sich selbst fühlt, und unwillkührlich ein in ihm belebtes Interesse dafür nehmen muß. Er kann nicht anders; der Selbsttrieb zur Entfaltung seiner Kräfte findet in ihnen Nahrung. Er fühlt, daß er durch sie etwas erkennt, das er vorher nicht kannte, und etwas lernt, das er vorher nicht konnte. Er will, vom Selbsttrieb seiner Kraft belebt, in seinem Kennen und in seinem Können weiter schreiten. So wild er vorher umherstürmte, zu suchen, was ihm mangelte; sitzt er jetzt freywillig hin, zu genießen, zu benutzen und zu äufnen, was er besitzt, und zu leben in dem, was in ihm lebendig und reitzvoll erwacht ist. So verschieden ist der psychologische Einfluß der elementarischen Entfaltungsmittel der menschlichen Kräfte von dem Einfluß der Routinekunst, durch welche einem Kinde von keinen Anschauungseindrücken unterstützte und belebte Worterkenntnisse eingebläut werden. Das Wort ist merkwürdig, das ein einsichtsvoller Mann, da er diesen Unterschied in einer Unterrichtsstunde der Formlehre gesehen, zu mir sagte: C'est un pouvoir, ce n'est pas un savoir. Es ist richtig, mit diesem Wort ist unstreitig das eigentliche Wesen des Unterschieds zwischen einer wahrhaft elementarischen und einer, auf welche Art sie dieses auch immer seyn mag, unelementarischen Bildungsweise ausgesprochen und in ein heiteres Licht gesetzt.

Eben so ist in sittlicher Hinsicht wahr, daß der, der Idee der Elementarbildung wesentliche Grundsatz, den ganzen Umfang[140] der Bildungs- und Erziehungsmittel der Kinder an das häusliche Leben zu ketten geeignet ist, Glauben und Liebe auf das große, allgemeine Fundament der Sittlichkeit und Religiosität, auf den Vater-, Mutter- und Kindersinn der Menschennatur zu bauen und mit aller Kunst und aller Kraft ihres Einflusses diesen in seinem Ursprung instinktartigen Sinn zur gebildeten Vaterkraft und Muttertreue zu erheben und durch die Vereinfachung ihrer Mittel die Erziehungskräfte von Millionen Eltern in allen Ständen wesentlich in sittlicher und religiöser Hinsicht zu bestärken und zu beleben. In intellektueller Hinsicht finden wir in der elementarisch vereinfachten Sprach-, Zahl- und Formlehre den Inbegriff aller Mittel der naturgemäßen Geistesbildung von ihren ersten Keimen aus vereinigt. Die elementarische Sprachlehre, die sich an die elementarische Ausbildung der Anschauungskraft anschließt, führt das Kind an der Hand der Natur und mit ihrer Kraft zum richtigen Ausdruck über den ganzen Umfang der Eindrücke, welche die Anschauungsgegenstände seiner Umgebungen auf dasselbe gemacht haben, und die elementarische Zahl- und Formlehre ist durch die psychologisch vereinfachte Organisation ihrer Mittel geeignet, das Kind fähig zu machen, die ihm durch die Anschauung erkannten Gegenstände zusammenzustellen, zu trennen, sie unter einander zu vergleichen, und sich dadurch in den Stand zu setzen, sie in sich selbst logisch zu bearbeiten, und über dieselben zu urtheilen. Sie, die elementarische Zahl- und Formlehre, ist in ihrem Wesen eine reine und allgemein für alle Stände und Menschen gleich segensvoll anwendbare Ausbildung der Denkkraft selbst, die dem Menschen, in welchem Stande und in welchen Verhältnissen er sich immer befindet, das Überlegen und Nachdenken so viel als von der Wiege auf habituell macht und dabey keinen Menschen, weder den Mann, der den Pflug führt oder ein Handwerk treibt noch irgend einen andern davon weglockt, sondern ihn überhaupt zum Nachforschen und Nachdenken über die gute Benutzung seiner Lage hinführt. Tausendfache Erfahrungen zeigen uns, wie dieses durch die Routinemittel unserer Zeitbildung selber in den höhern Stufen unsrer Cultur nicht erzielt wird, wie im Gegentheil zahllose, auf diesem Wege selber wissenschaftlich gebildete Menschen bey ihrer Führung durchaus nicht dahin gebracht worden sind, sich das ernste forschende Denken in ihrer Lage und in[141] ihren Verhältnissen und für dieselben habituell zu machen; wie sie vielmehr in allem Thun des Lebens, das außer dem Kreise ihrer wissenschaftlichen, Berufs- oder Liebhabereybildung liegt, denkens-, forschens- und überlegenshalber äußerst ungewandt in der Welt und in ihren Umgebungen dastehen. Wir können uns auch nicht verhehlen, daß dieser Umstand seine Quelle und Ursache im Mangel einer, von früher Jugend psychologisch naturgemäß entfalteten Denkkraft suchen muß, daß aber die sich selbst überlassene, von keiner soliden Kunst unterstützte Natur sehr schwer hat, die Lücke, die aus diesem Mangel entsteht, auszufüllen.

Die Idee der Elementarbildung bleibt indeß in intellectueller Hinsicht durchaus nicht bey ihrem Einfluß auf die reine Entfaltung der menschlichen Denkkraft stehen, sie dehnt denselben auch auf den ganzen Umfang sowohl unsrer wissenschaftlichen als unsrer Kunst und Berufskenntnisse und Fertigkeiten aus. Jede wissenschaftliche, jede Kunst- und jede Berufskenntniß und Fertigkeit hat eben, wie jede einzelne Kraft der Menschennatur, ihr bestimmtes eigenthümliches Wesen, das von dem bestimmten eigenthümlichen Wesen jeder andern Wissenschaft, jeder andern Kunst und jedes andern Berufs verschieden ist. Die naturgemäße Ausbildung und Erlernung der Anwendungserkenntnisse und Fertigkeiten unserer Kräfte und Anlagen setzt also den vollen Besitz der Wissenschaft, der Kunst und des Berufs, der jedem einzelnen Individuo eingeübt werden muß, in allen seinen Eigenthümlichkeiten voraus. Der Mann, der sich anmaßt, irgend eine Wissenschaft, eine Kunst oder einen Beruf naturgemäß zu lehren, muß, beydes, die vollendete Erkenntniß der elementarischen Ausbildungsmittel unserer Kräfte und Anlagen, und die vollendete Erkenntniß der Kunst und der Wissenschaft, die er seinem Zögling einüben will, in sich selber vereinigt besitzen. Dieser Umstand scheint, wenn man ihn in dieser Zusammenstellung bloß, an sich, ins Auge faßt, gegenwärtig noch so viel als unübersteigliche Schwierigkeiten zu haben; aber die Natur kommt auch hierin in der Zusammenstellung dieser zwey Bedürfnisse der Kunst zu Hülfe und geht ihr als Wegweiser in ihrem künftigen Thun voraus.

Wenn wir den positiven Gang der Ausbildung aller Künste und Wissenschaften, ohne Rücksicht auf die Idee der Elementarbildung,[142] ins Auge fassen, so sehen wir, es ist Thatsache, alles was immer in wissenschaftlicher oder Kunsthinsicht solid gelehrt wird, geht aus der innern Erkenntniß der Grundsätze, Gesichtspunkte und Mittel, die der Idee der Elementarbildung zum Grund liegen, hervor. Ob diese mit klarem Bewußtseyn begleitet oder in dunkeln Ahnungsgefühlen in ihm liege, ist gleich viel, wenn sie nur in den Segenskräften ihrer Ausführung dasteht, und sich darinn offenbart und bewährt; und das ist vielseitig in vielen Ständen und in vielen Verhältnissen der Fall, denen nicht einmal der Name »Idee der Elementarbildung« und will geschweigen, die wirkliche Erkenntniß ihres Gangs und ihrer Mittel, wörtlich und namentlich bekannt ist. Die psychologisch tiefer gehenden Kenner aller Wissenschaften vereinigen sich allgemein in dem Grundsatz, daß die Mittel der Erlernung und der Betreibung jeder Wissenschaft und jeder Kunst, besonders in ihren Anfangspunkten, auf alle mögliche Weise vereinfacht werden müssen. So wie sie in ihren höhern Stufen immer, auch wenn sie selber beym höchsten Mangel der Vereinfachung der Anfangspunkte ihrer Wissenschaften sich noch so mühsam und naturwidrig zu dem Grad der Kraft, in der sie in ihrer Wissenschaft wirklich stehen, haben durcharbeiten müssen; so erkennen sie dennoch, daß jeder höhere Grad der wissenschaftlichen Ausbildung das Bedürfniß der Vereinfachung der Anfangsmittel ihres Unterrichts sowohl als die Mittel der Kunst, den Anfangsunterricht jeder Wissenschaft zu dieser Vereinfachung zu erheben, in ein helles Licht setzt, und die Mittel der Ausführung dieses Gesichtspunkts allgemein vorzubereiten geschickt ist. Also ist offenbar, das Gefühl dessen, was es brauche, die Idee der Elementarbildung auf irgend eine Kunst oder Wissenschaft wohl und genugthuend anzuwenden, ist mit dem Gefühl, was es brauche, irgend eine Wissenschaft oder Kunst wohl und genugthuend zu erlernen, in ihrem innern Wesen vollends das nämliche. Alles, was immer solid erlernt wird, wird durch Mittel seiner Erlernung auf irgend eine Weise erkannt, die mit den Grundsätzen und Mitteln der Idee der Elementarbildung in Übereinstimmung stehen. Also bereitet die Natur der Kunst auch hierinn den Weg. Und es ist offenbar, die Kunst ist in allen Punkten, in denen sie solid dasteht, auf die Grundsätze, die die Idee der Elementarbildung anspricht, auch da, wo diese Idee wörtlich und namentlich nicht[143] gekannt ist, gebaut; und so wie ihre Mittel durch ihre Fortbearbeitung auf die Bildung unsers Geschlechts vielseitiger und auf die Menschennatur eingreifender vorschreiten werden, so wird das Bedürfniß, sie auf jede einzelne Wissenschaft und Kunst anzuwenden, auch allgemeiner gefühlt und leichter ausgeführt werden, wodurch denn auch die Schwierigkeiten, Menschen zu finden, die die volle Kenntniß der Idee der Elementarbildung mit eben so solider Kenntniß derjenigen Wissenschaft und desjenigen Berufs, den sie elementarisch zu lehren versuchen werden, zu vereinigen im Stande sind, sich in eben dem Grad vermindern müssen.

Auch in diesem Gesichtspunkt findet das große Erziehungswort: »Das Leben bildet« seine einfache und natürliche Anwendung: es macht auch dießfals in seinen Folgen die nämlichen Ansprüche und führt zu den nämlichen Resultaten, die wir früher als seine Folgen und seine Resultate erkannt haben. Und wir müssen es auch in diesem Gesichtspunkt ins Auge fassen, daß die Idee der Elementarbildung, indem sie die höchste Vereinfachung der Bildungsmittel der Kräfte und Anlagen unsers Geschlechts anspricht, den größten Unterschied in dem Grade fodert, in welchem ihre Mittel den verschiedenen Ständen und Klassen unsers Geschlechts in intellektueller und Kunsthinsicht ertheilt und eigen gemacht werden können und sollen.

So wichtig der Segen der psychologisch gegründeten, elementarischen Bildungsmittel der Denk- und Kunstkraft im allgemeinen für eine solide Begründung der Nationalcultur ist, so wichtig ist auch die Erkenntniß der Schranken, innerhalb welchen alle höhern Stufen der elementarischen Bildungsmittel sowohl in Rücksicht der Anschauungskraft als der Sprachkraft, der Denkkraft und der Kunstkraft, besonders in denjenigen Ständen gegeben werden sollen, deren Brod und Ruhe, und ich darf sagen, deren Glaube, Liebe und Treue vom stillen Segen ihres häuslichen Arbeitsfleißes abhängt.

Dieser wesentlichen Basis alles wahren Volksglücks muß in den ersten Grundmitteln der Volksbildung auch von Seite seiner Kunstbildung mit Sorgfalt Vorsehung gethan werden; und es ist auf der Bahn dieser Sorgfalt, aber auch nur auf ihr möglich, die die Menschennatur mächtig ergreifenden Elementarbildungsmittel der menschlichen Denk- und Kunstkraft zum Segen aller[144] Stände und damit als Fundament aller Staatskraft, aller Staatsruhe und alles Staatssegens zu benutzen.

Wir dürfen uns nicht täuschen. Auf dem Weg unsers Zeitgeists und seiner, alle wahren Segenskräfte der Menschennatur abschwächenden und in ihrer Abschwächung sie bald zur Verträumung, bald zur Erlahmung, bald zur Verwilderung hinführenden Verkünstelungsmittel aller unsrer Kräfte ist dieses nicht möglich; es ist nur auf dem Weg einer weisen Sorgfalt ihrer, nach den Bedürfnissen und Umständen der verschiedenen Volksklassen ausgedehnten oder beschränkten Anwendung möglich, sie mit gesichertem Erfolg als ein allgemein gesegnetes Mittel der Volkscultur anzusehen. Aber bey dieser Sorgfalt und mit diesen Schranken führt sie denn auch auf jeder Bahn, auf jeder Stelle und in jedem Fach ihrer wissenschaftlichen Kunst allgemein zum Segen aller Stände; und es ist unstreitig, wenn sie in einem Land in diesem Geiste anerkannt und eingeführt wäre, so würde sie, besonders in den höhern Ständen und bey allen, ihrer Berufsbestimmung halber einer eigentlichen, wissenschaftlichen Bildung bedürftigen Menschen dahin wirken, sie persönlich zu einem Grad der Selbstentfaltung ihrer ihnen eignen Kräfte und Anlagen hin zu führen, die sie einerseits zu einer soliden und ihnen genugthuenden Erlernung ihrer Berufswissenschaft fähig machen, anderseits sie individualiter auch dahin erheben würde, für die Aufnahme und Förderung des Studiums ihrer Wissenschaften so wie zu allgemeinen Segenskräften ihrer Anwendung persönlich mit Erfolg zu wirken.

Eben so würden die Elementarbildungs-Mittel, wenn sie den bürgerlichen Ständen und selber dem, die Erde mit eigener Hand bauenden Landmann in diesem Geiste eingeübt würden, in beiden Ständen zu ihrem individuellen Segen die nämliche Richtung nehmen und die nämliche Wirkung haben. Sie würden, wenn sie mit dieser Sorgfalt, Solidität und Beschränkung in einem Lande allgemein gemacht würden, besonders auch den Gelust nach einem höhern Grad der Geistes- und Kunst-Bildung als derjenige, der zu einer soliden Begründung und Ausdehnung ihres eigentlichen Haus- und Standessegens vorzüglich geeignet ist, in tausend und tausend, zu einer höhern äußern Stellung in allen Rücksichten unfähigen Menschen erkalten machen und ebenso vorzüglich, ich möchte sagen, von Gottes wegen ausgezeichneten Menschen[145] Wege bahnen, das Übergewicht ihrer Anlagen im Kreise ihres Standes und ihrer Verhältnisse zu ihrer Befriedigung und zum Segen ihrer nächsten Umgebungen anwenden und benutzen zu können. Das Unglück ist groß, daß in unserer Zeit eine zahllose Menge Menschen außer die wahren und soliden Segensgenießungen ihres Standes herausgelockt und durch böse, aber starke Reizmittel gleichsam mit Haaren aus denselben herausgezogen werden. So wie dieses große Unglück unserer Tage von der immer weitern Entfernung unserer Bildungs- und Erziehungsmittel und von dem Gange der Natur in der Entfaltung unsrer Kräfte und der Einfachheit der Bildungs- und Erziehungsmittel unsers Geschlechts abhängt und herzuleiten ist, so ist eben so gewiß, daß dieses große Unglück vorzüglich durch Näherung zu den allgemein kraftbildenden Erziehungs-Grundsätzen und Erziehungs-Mitteln, deren Erforschung, Begründung und Ausführung die Idee der Elementarbildung gewidmet ist, in seinen Wurzeln solid angegriffen und allmählig gehoben werden kann. Die höchsten elementarischen Resultate müssen nach allen Richtungen der Erziehungs-Bedürfnisse von der Wiege auf vorbereitet werden. Sie sind aber auch alle von der Natur, daß die dießfälligen Vorbereitungs-Mittel in den niedern Hütten des Landvolks eben so anwendbar sind, als in den Palästen der Großen und an jeder Stelle, wo sie wahrhaft erkannt und sorgfältig benutzt werden, durch ihr Wesen gleich tief und vielseitig segenbringend in den ganzen Umfang des Erziehungs- und Unterrichtswesens, und in die solide Begründung aller ihrer Vorschritte, so wie in die Einlenkung der Erkenntniß ihrer spätern Resultate, eingreifen.

Fassen wir die elementarischen Übungen, die in ihrem ganzen Umfange von ihrem ersten Anfangspunkt, von der Ausbildung der Anschauungskraft und der höchsten Vereinfachung ihrer Mittel aus, bearbeitet werden müssen, ins Auge, so sehen wir, daß sie sämmtlich zu einer Einfachheit erhoben und mit, dem kindlichen Alter angemessenen Reizen verbunden werden können, und verbunden werden müssen, die ihren wahrhaft naturgemäß bildenden Gebrauch von der Wiege an möglich machen, und indem sie einer Reihenfolge von dießfälligen Bildungs-Mitteln rufen, deren Reize die Anschauungskraft nach allen Richtungen von Stufe zu Stufe lebendig ansprechen, erweitern[146] und stärken, die Kinder ihrer Natur nach zum fortdauernden Wachsthum der lebendigen und klaren Erkenntniß aller Gegenstände, die sie umgeben, hinführen, und dadurch den ersten Grundstein zur Entfaltung der menschlichen Denkkraft auf eine solide Weise hinlegen. Fassen wir jetzt eben so auch die elementarische Sprachlehre ins Auge, so finden wir, daß sie an sich eine fortdauernde, durch die naturgemäße Entfaltung der Sprachkraft zu erzielende Fortsetzung, Stärkung, Benutzung, und Erweiterung der Resultate der naturgemäßen Ausbildung der Anschauungskraft ist, und dadurch zu eben der Einfachheit hingeführt, und für das kindliche Alter mit eben den Reitzen belebt werden muß, wie dieses bey der elementarischen Ausbildung der Anschauungskraft der Fall ist. Wir finden ferner, daß sie, mit den Vorschritten der Anschauungskraft immer gleichen Schritt haltend, geeignet ist, den Zögling fortwährend zur progressiven Verdeutlichung seiner Begriffe hinzuführen und so, mit der elementarischen Anschauungslehre vereinigt, den ersten Grundstein zur naturgemäßen Entfaltung der menschlichen Denkkraft zu legen und also als Mittelstufe zwischen der Entfaltung der menschlichen Anschauungskraft und der menschlichen Denkkraft dazustehen.

Gehen wir jetzt weiter und fassen die elementarische Zahl- und Formlehre, als die bestimmten eigentlichen Kunst-Ausbildungsmittel der Denkkraft, ins Auge, so sehen wir, daß sie in ihrer Eigenthümlichkeit aus dem Wesen der Zahl und Form selber hervorgehen und darum auch den ganzen Umfang ihrer Segensfolgen in Übereinstimmung mit diesen Fundamenten zu suchen haben. Wir sehen ferner, daß sie von den ersten Anfangspunkten ihrer Erlernung eben so wie die naturgemäßen Bildungsmittel der Anschauungs- und Sprachkraft mit gleichen, die Menschennatur im kindlichen Alter ergreifenden Reitzen belebt werden muß, aber dadurch auch geeignet wird, die Zöglinge in Verbindung mit den Resultaten der naturgemäß eingeübten Anschauungs- und Sprachkraft auf eine Weise zu der wissenschaftlichen Ansicht eben dieser Gegenstände und überhaupt zu einem Grad der logisch gebildeten Denkkraft zu erheben, der ohne die Bildungsmittel, die uns die naturgemäße Zahl- und Formlehre verschafft, im allgemeinen unerreichbar ist.[147]

Fasse ich den Umfang der Kunstmittel, die zu diesem hohen Ziel unserer intellectuellen Kräfte hinführen, von ihren Anfangspunkten ins Auge, so sehe ich, die aufgestellte Normalform einer allgemeinen Sprachlehre giebt hierüber vielseitiges Licht. Sie greift, eben wie jeder wahrhaft elementarisch gegebene Unterricht in einer neuen Sprache, durch alle Mittelstufen ihres progressiv bildenden Einflusses in alle Fächer der menschlichen Erkenntnisse ein und führt durch die, aus ihr hervorgehenden und ihr nothwendig inwohnenden Übungen zu einem Erheiterungsgrade der Begriffe von den Gegenständen, die die zu erlernenden Wörter bezeichnen, daß der Endpunkt der durch sie erzielten Erkenntniß der gemeinen Gegenstände des Lebens sich immediat an den Anfangspunkt anschließt, von welchem die wissenschaftlichen Ansichten dieser Gegenstände ausgehen. Dieser Gesichtspunkt ist in allen wissenschaftlichen Fächern gleich wahr und unter allen Verhältnissen und Lagen unsers Geschlechts in seinem Wesen gleich anwendbar. So wie kein Kind in der Welt ohne einen gewissen Kreis von Anschauungs-Gegenständen lebt, die in ihm gereift sind, so steht jedes Kind, das in der Ausbildung seiner Sprachkraft elementarisch, d.h. so weit geführt ist, als es in der Anschauungskraft vorgerückt ist, auf dem Punkt, in welchem seine Anschauungs-Erkenntnisse an die Ansichten grenzen, von denen aus es naturgemäß zur Empfänglichkeit der wissenschaftlichen Ansichten eben dieser Gegenstände geführt werden muß.

Nehme ich die Naturgeschichte zum Beispiel, so sehe ich, ein jedes Kind, wenn es auch in den beschränktesten Verhältnissen lebt, kennt in jedem Falle doch wenigstens sechs Säugethiere, so viele Fische, Vögel, Insekten, Amphibien und Würmer. Und wenn es diese wenigen Thiere elementarisch von der Wiege an mit Genauigkeit anschauen, sie in allen ihren wesentlichen Theilen und abänderlichen Beschaffenheiten richtig erkennen und sich darüber mit Bestimmtheit ausdrücken gelernt, wie dieses bei einer wahrhaft elementarischen Führung zur Sprachlehre, auch in den niedrigsten Hütten, erzielt werden kann und erzielt werden muß, ein solches Kind hat den Anfang einer soliden und naturgemäßen Erlernung der wissenschaftlichen Ansicht der Säugethiere, der Ornithologie, der Ichthyologie, u.s.w. in sich selbst. Und wenn Lage, Umstände und Verhältnisse es dazu veranlassen oder[148] gar verpflichten, diese Wissenschaften zu lernen, so ist es durch seine bisherige Führung dazu vorzüglich gut vorbereitet. Ferner ist eben so richtig, daß, wenn es von der Wiege auf in der Anschauungskunst und in der aus ihr immediat hervorgehenden elementarischen Zahl- und Formlehre naturgemäß geführt worden, so ist es durch das Rechnen, Zeichnen und Messen, das es wohl mit elementarischer Kraft erlernt hat, dafür vorzüglich vorbereitet.

Das ist in allen Wissenschaften der nämliche Fall. Die durch die elementarisch eingeübte Anschauungs-, Sprach-, Zahl- und Formlehre naturgemäß entfalteten Kräfte der Menschennatur haben in allen Fächern der menschlichen Erkenntnisse die nämliche Wirkung; seyen es reine, seyen es mathematische Wissenschaften, seyen es Berufs-Wissenschaften und Berufs-Fertigkeiten, seyen es Kenntnisse, von welcher Art sie immer seyn mögen, so haben die elementarischen Bildungsmittel der menschlichen Kräfte auf sie die nämliche Wirkung. Ich spreche das Wort mit Überzeugung aus: die elementarischen Bildungsmittel sind entweder zu allem diesem gut, oder zu gar nichts. Ihr Werth, ihr großer Werth liegt theils in uns selber, theils in Umgebungen, deren bildende Eindrücke in ihrem Wesen keinem Menschen ganz mangeln. Jedes Kind, das z.E. den, allen Menschen täglich vor Augen liegenden Zustand des Wassers in seiner Ruhe, in seiner Bewegung, und seine Veränderungen in Thau, Regen, Dunst, Dampf, Reifen, Hagel, u.s.w. und dann hinwieder seine Wirkungen und seinen Einfluß in allen diesen Zuständen auf andere Natur-Gegenstände mit elementarischer Genauigkeit anschauen und sich darüber mit Bestimmtheit ausdrücken gelernt, hat die Anfänge der Kunstansicht der Naturlehre über alle diese Gegenstände in sich selbst. Hinwieder jedes Kind, das die Auflösung des Salzes und des Zuckers in der Küche, die Wiederherstellung desselben aus seinem nassen Zustand in den trocknen, und seiner Cristallisirung etc., und ebenso die Gährung, das Abstehen und zu Essig werden des Weins im Keller, die Umwandlung des Alabasters in Gyps und des Marmors in Kalk, des Kiesels in Glas u.s.w. elementarisch anschauen und sich darüber mit Bestimmtheit ausdrücken gelernt, trägt die Anfänge der Anschauungs-Erkenntnisse der Wissenschaften, deren nähere Erforschung diese Gegenstände ansprechen, so gut in sich[149] selbst, als ein Kind, das auch nur einige wenige Bauernhäuser in allen ihren Theilen mit elementarischer Genauigkeit ins Auge fassen und sich darüber mit Bestimmtheit ausdrücken gelernt, ebenso die Anfangspunkte der Baukunst in ihren wesentlichen Theilen in sich selbst trägt, und, wenn es dafür vorzügliche Anlagen besitzt, durch die bloße, mit den elementarischen Einübungen der Zahl- und Formlehre unterstützte Anschauungs-Erkenntniß eines Bauernhauses einfach und naturgemäß auf die Bahn geführt werden kann, die Anfangsgründe der Baukunst und ihrer vielseitigen Erkenntnißfächer in ihrem ganzen Umfange in sich selbst zu entfalten und nach Umständen und Verhältnissen in wirklichen Werken der Baukunst an den Tag zu fördern.

Es ist allerdings nicht zu berechnen, wie weit die von der Wiege auf wohl behandelte Ausbildung der Anschauungskraft in der Erkenntniß wissenschaftlicher Gegenstände hinführen kann, wenn sie selber durch psychologisch geordnete Anschauungsübungen im Kinde begründet und ihre geistige abstrakte Erkenntniß naturgemäß und solid in ihm vorbereitet worden. Wo immer die Kraft stark ist, da ist die Kunst leicht; und wo immer die Kunst leicht ist, da führt sie von selbst weit. Ein Kind, das in der Anschauung der Zahl und Form solid geführt worden, hat den Übergangsweg zu den Abstraktions-Übungen im Zählen und Messen schon zur Hälfte zurückgelegt, ehe die eigentlichen dießfälligen Abstraktions-Übungen mit ihm naturgemäß auch nur angefangen werden können. Diese letzten Übungen setzen, im Falle sie naturgemäß gegeben werden, eine, durch ihre genugthuende Bildungs-Übungen auf einen merklichen Grad der Reifung gebrachte Anschauungskraft schon voraus.

Dieses Weiterführen der menschlichen Geisteskräfte durch die elementarischen Bildungsmittel hat indeß gar keine Gemeinschaft mit dem anmaßlichen Vorrücken des Wirrwares unserer oberflächlichen Zeitvielwisserey und aller träumerischen Scheinbildungsmittel unserer verderblichen allgemeinen Volkslitteratur und ihrer, unser Geschlecht irreführenden Routine-Übungen. Fest angebunden an den hohen Grundsatz: Das Leben bildet – und in ihrer Erweiterung allgemein aus dem naturgemäßen Bildungsgang des häuslichen Lebens hervorgehend, führen die Elementar-Bildungsmittel, vermöge ihres Wesens, durchaus nicht[150] auf die Abwege der Zeitverirrung, zu denen die oberflächlichen Mittel unserer Volks- und Zeitkultur Milionen Individuen unsers Geschlechts zu ihrem Verderben hinreißen. Die Mittel der wahren Elementar-Bildung sind im ganzen Umfang ihrer Anwendung allgemein Geist und Leben, so wie sie dieses auch im ganzen Umfang ihrer Ursprungs- und Entfaltungs-Mittel sind. Das ist so weit wahr, daß auch in dem irrthumsvollsten Gange der Routinen-Einübung von Wissenschaften, die keine reelle, sinnliche Anschauung zum Grunde haben und von einer Natur sind, daß ganz junge Kinder ihr geistig bildendes Wesen durchaus nicht zu begreifen vermögen, dennoch mit Wahrheit gesagt werden kann, die Grundsätze der Elementarbildung seyen geeignet, den Bon sens der Menschennatur auf die Art und Weise, wie auch solche Wissenschaften so viel möglich naturgemäß gelernt werden können, aufmerksam zu machen und ihn auf die Mittel, die hiezu führen, hinzulenken. Zum Beleg dieser Ansicht fasse ich die Geographie und die Geschichtslehre von diesem Gesichtspunkt aus ins Auge. Ich bin natürlicher Weise weit entfernt, eines dieser Fächer im Umfang seiner wahrhaft bildenden und wirklichen wissenschaftlichen Bedeutung weder als ein Volks- noch als ein Kinderstudium anzuerkennen; aber wenn man nun einmal ein Kind, ob mit Recht oder Unrecht, das ist gleich viel, eines dieser Fächer lernen lassen will, so führen die elementarischen Bildungs-Grundsätze in Rücksicht auf die Geographie in einem einfachen, naturgemäßen Gange zu den leichtesten Einübungsmitteln der Kenntniß der Namen, den die Berge, Flüsse, Städte und Örter der verschiedenen Länder haben, und ebenso zu einer leichten, sinnlichen Einprägung der Kunst-Anschauungsmittel von der Lage dieser Städte, Flüsse etc., wie sie in der Wahrheit ihrer Lokalität neben einander liegen und auf einander folgen.

Diese beidseitigen Übungen sind dem kindlichen Alter im höchsten Grad angemessen. Sein Gedächtniß und sein Anschauungs-Vermögen sind im vollen Leben ihres jugendlichen Erwachens für alles, was sinnlich auf sie einwirkt, in einem hohen Grad offen und empfänglich. Ich würde also einem Kinde, das die Geographie lernen sollte, neben dem natürlichen Gebrauche der elementarisch einzuübenden Anschauungsmittel der geographischen Lagen und Verhältnisse, die in seinen nächsten Umgebungen nach allen Richtungen ihm vor Augen liegend statt finden, die[151] Namen der Städte und Örter einer bestimmten Gegend, z.B. eines Flußgebietes, schon beym ersten Reden und Lesenlehren in der Ordnung und Reihenfolge, wie sie in der Welt und auf der Landcharte neben einander stehen und auf einander folgen, mnemonisch genugsam einüben und ihm ihre Aussprache in der Ordnung ihres reellen Aufeinanderfolgens und Nebeneinanderstehens genugsam geläufig machen. Ich würde im ersten Cursus dieser mnemonischen Einübungen die Flußgebiethe der ersten und hernach die der zweyten Größe in Quelle-, Mittel- und Ausflußgebiete abtheilen, und dann von dem Quellengebiete bis auf den Ausfluß des Stromes in bestimmten Entfernungen von einander Örter von einer gewissen Bedeutung zum Mittelpunkt der minder bedeutenden Örter, die in einer gewissen Entfernung um dieselben herumliegen, festsetzen; und die Kinder müßten bey jedem ihnen in diesem zweiten Cursus einzuübenden neuen Orte nichts anders lernen als: Es liegt in der oder dieser Entfernung von dem Ort, an dessen Namen und Lage es ihnen mnemonisch angeknüpft bleiben soll; und da ihnen dieser Ort im frühern Cursus nach allen seinen Lagen und Umgebungen bestimmt, umständlich und unauslöschlich bekannt ist, so wird ihnen durch die Anknüpfung an dieselben die Lage und die Umgebungen des neuen Orts eben so bestimmt und eben so unauslöschlich bekannt.

Ich bin sicher, daß auf diesem Wege die Kinder in der Nomenklatur dieser Wissenschaft und in dem festen Anschauungs-Bewußtseyn der Lokalitäts-Verhältnisse der Länder und Örter gegen einander unglaublich schnelle und beinahe unauslöschliche Vorschritte machen würden. Ich weiß indessen auch ganz wohl, daß diese Übungen, als wirkliche Voreinübungen zu dem, was das Wesen der wissenschaftlichen Geographie ist, gar nicht angesehen werden können.

Aber so wie es beim Redenlehren des Kindes dennoch eine wirklich und sehr vorteilhafte Vorbereitungs-Übung zur spätern Erkenntniß der Gegenstände ist, deren Namen es aussprechen lernt, wenn dieselbe vorläufig seinem Ohr eingeprägt und seinem Mund geläufig gemacht worden sind, lange ehe es die Gegenstände dieser Worte in ihrer vollen Bedeutung erkennt und zu erkennen vermag; so ist auch eine solche Namens- und Örter-Kenntniß von Reihenfolgen von Örtern, wie sie auf der Landkarte neben einander liegen, und auf einander folgen, eine gute Vorübung für[152] die spätern geographischen Studien, deren gegenwärtig tiefer gehende Erforschung ein Hors d'œuvre seines Alters, seiner Lage und seiner Bildung ist. Ich sehe diese Nomenklatur-Übungen in so weit auch für nichts anders an, als für eine Art von Sandtragen und Materialien zuführen zu einem Gebäude, dessen Fundament noch nicht einmal gegraben ist. Aber was hat man bei dem Routinegang, mit dem man junge Kinder beim Einüben der Geographie, die man auch auf dieser Stufe des Kinderunterrichts Wissenschaft heißt, bisher anders und mehr gethan? Bei dem, was ich vorschlage, thut man doch mit Bewußtseyn nichts anders und will mit Bewußtseyn nichts anders und nicht mehr thun. Aber man gewinnt mit dieser rein mnemonischen Erleichterung des Einübens der geographischen Nomenklatur, und mit den künstlichen Anschauungs-Einübungen des Bewußtseyns der Lage der Örter auf der Charte für die spätere Einübung der wirklichen Unterrichtsmittel dieser Wissenschaft bei den Vorschritten zur vielseitigen Ansicht des geographischen Studiums sehr viel; und neben dem ist diese Erlernungsweise der Geographie in diesem Alter, eine, das Namengedächtniß und das Lokalgedächtniß der Kinder real stärkende und bildende Wirkung.

Das Nämliche ist bey der im kindlichen Alter versuchten Einübung der Geschichte gleich wahr. Ohne die Kinder von gar nicht vorgerücktem Alter durch die wörtliche Einübung geschichtlicher Erkenntnisse für den Takt, das Wesen und den innern Geist der Geschichtskunde selber zum voraus zu verderben und so viel als dafür unfähig zu machen, darf man es durchaus nicht versuchen, sie die Geschichte, als solche, auch nur in den ersten Anfängen ihrer wissenschaftlichen Ansichten lehren zu wollen. Es ist vollkommener Unsinn, Menschen, die mit der, in lebendiger Anschauung vor ihren Sinnen stehenden, gegenwärtigen Zeitwelt noch nicht bekannt sind, mit dem Geist der Vorwelt bekannt machen zu wollen, der den Sinnen und der Anschauung der lebenden Welt schon seit Jahrhunderten und selber seit Jahrtausenden entrückt ist. Man kann deswegen bey solchen Kindern in der Erlernung der Geschichte nicht weiter gehen, als ihnen eine ausgedehnte Nomenklatur historischer Namen und ein ausgedehntes Bewußtseyn der Lokalität, deren Erkenntniß die Geschichte anspricht, mnemonisch wohl einzuüben.

Ich sehe auch die dießfälligen Einübungen des Todtengerippes[153] der Geschichte und Geographie für nichts anders als eine Art von mnemonisch erleichterten Sprach-Übungen an. Indeß zeigt alles, was ich bisher über die Sprachübungen gesagt habe, wie groß und wie wichtig ihr Einfluß auf den ganzen Umfang sowohl der Entfaltungs-Bedürfnisse unserer Kräfte als der Begründung unsers soliden Kennens, Könnens und Wissens im allgemeinen ist.

Ich berühre diese Ansicht noch von einem andern Gesichtspunkt.

Jede elementarisch erlernte, alte oder neue Sprache ist als eine naturgemäße, und wenn der Gesichtspunkt fest ins Auge gefaßt und wohl benutzt wird, in seinen Folgen äußerst weit führende Recapitulation des Bewußtseyns aller Gegenstände, zu deren Erkenntniß der Mensch, bey Erlernung seiner Muttersprache, durch seine Anschauungserfahrungen gelangt ist, anzusehn. Aber der Mensch weiß unendlich viel, dessen er sich durchaus nicht klar bewußt ist, und eine durch die Erlernung einer neuen Sprache psychologisch wohl eingelenkte und durchgeführte Rekapitulation unserer Kenntnisse belebt, erneuert und bestimmt in uns tausend und tausend Erkenntnisse, deren wir uns in unserer Muttersprache nur sehr dunkel bewußt sind, und im gewohnten Gebrauch derselben nur selten Gelegenheit haben, daran erinnert und ihrethalben belebt zu werden. Darum ist auch die Rekapitulation unserer Erkenntnisse, die durch eine psychologisch und mnemonisch wohl eingelenkte und durchgeführte Erlernung einer neuen Sprache erzielt werden kann, auf die Erweiterung und solide Begründung der Erkenntnisse der Zöglinge von der äußersten Wichtigkeit.

Die Normalübungen, durch die wir die Erlernung der lateinischen Sprache aus der deutschen hervorgehen machen, zeigen die Wichtigkeit dieses Gesichtspunkts in zwey Epochen. Das Vokabularium, mit dessen Durchlesung wir unsere diesfälligen Übungen anfangen, erneuert dem Zögling den sinnlichen Eindruck der Gegenstände, deren Worte ihm eingeübt werden, durch das Gedächtniß, und belebt ihm diesen Eindruck durch seine Einbildungskraft im ganzen Umfang der Gegenstände, deren Bewußtseyn ihm durch die Rekapitulation der Wörter erneuert wird. Diese Wirkung wird durch die, immediat dem Vokabulario folgenden Übungen, die die Erkenntniß der Beschaffenheiten und Wirkungen dieser Gegenstände durch Hinzusetzung der Adjectiva[154] und Verba in ihm erweitern, stufenweise und naturgemäß in seinem Gedächtniß und in seiner Einbildungskraft von neuem belebt und durch die phraseologischen Übungen so weit verstärkt, daß der Zögling am Endpunkt dieser Übungen zu einem Grad der Klarheit in der Ansicht dieser Gegenstände gelangt, den er durch die sich selbst überlassene, routinemäßige und auch schulroutinemäßige Erlernung der Muttersprache gar nicht leicht und sicher nur selten erhalten würde, und welcher als der Anfangspunkt der Hinführung desselben zu der wissenschaftlichen Ansicht eben dieser Gegenstände angesehen werden kann und angesehen werden muß, und folglich in Rücksicht auf die höhere Kultur des Menschengeschlechts von wesentlicher Bedeutung ist.

Diese Ansicht aber kann durchaus nur durch die Publikation der Normalform, selber in ein genugthuendes Licht gesetzt werden. Doch, ich ende einmal diesen Gesichtspunkt, und schreite von der beschränkten und einseitigen Ansicht der elementarischen, aber isolirt ins Aug' gefaßten Ausbildungsmittel der Anschauungs-, Sprach-, Denk- und Kunstkraft zu der allgemeinen, das ganze innere Wesen der Idee der Elementarbildung umfassenden Ansicht derselben vorwärts.

Ich muß es; denn wenn es auch bis zur Unwidersprechlichkeit bewiesen ist, daß die elementarisch wohl ausgeführten Entfaltungs- und Bildungsmittel aller intellectuellen und Kunstkräfte das Kind durch ihre Einfachheit allgemein bilden, anreizen und dahin bringen, in der Anschauungs-, Sprach-, Denk- und Kunstkraft einzeln sehr befriedigende und sehr auffallende Fortschritte zu machen, so ist damit durchaus noch nicht gesagt, daß durch die Einzelnvorschritte jeder dieser Kräfte die Menschennatur selber in den wesentlichen Bedürfnissen der Menschlichkeit im Allgemeinen naturgemäß genugsam beholfen und befördert sey. Es ist damit nicht gesagt, daß die Gemeinkraft der Menschennatur, in so fern durch sie die Fundamente der Menschlichkeit selber solid gegründet werden sollen, durch die Resultate dieser Bildungsmittel wirklich naturgemäß und genugsam begründet sey. Die wahre naturgemäße Gemeinkraft der Menschennatur geht, wie wir wissen, wesentlich aus dem Streben zum Gleichgewicht aller menschlichen Kräfte unter einander hervor, und die isolirte Bearbeitung der Geistes- und Kunstkräfte thut dieses an sich durchaus nicht. Sie führt an sich durchaus nicht naturgemäß[155] zum reinen, festen Streben nach diesem Gleichgewicht; sie führt in dieser Isolirung und durch sie im Gegentheil mit vielseitigen Reizen zum gewaltsamen Streben nach dem sinnlichen Übergewicht jeder einzelnen menschlichen Kraft über die andere, folglich zur Begründung des Widerspruchs einer dieser Kräfte und eines, den Segen derselben untergrabenden und störenden Kampfs gegen einander. Sie wird auch dadurch offenbar die bestimmte, ursprüngliche Quelle des Kriegs aller gegen alle. Auch durch diese Ansicht erklärt sich heiter, daß die Frage: Was ist in der Erziehung und im Unterricht naturgemäß? nur dann zumal richtig beantwortet und der Begriff der Naturgemäßheit nur dann zumal richtig ins Auge gefaßt werden kann, wenn die Frage: Was ist die Menschennatur selber? zum voraus heiter gemacht ist. Diese aber besteht nur in dem Wesen der Menschlichkeit selber und geht folglich, wie ich im Anfange dieser Bogen schon gesagt habe, aus dem Geist und Leben der innern, göttlichen Kräfte, die wir mit keinem Geschöpf auf Erden, das nicht Mensch ist, gemein haben, hervor.

Auch das Vieh hat Geist und Leben, aber nicht menschlichen, sondern thierischen Geist und thierisches Leben. Und ich werfe in der Unschuld meiner, mir selbst wohl bewußten, dießfälligen Beschränkung anmaßungslos und unbesorgt das Wort hin: Ich denke mir den Anfangspunkt der Menschlichkeit in den geistigen Kräften unsers mit den Thieren gemeinhabenden Fleisches und Blutes an den sich im Unsichtbaren verlierenden Endpunkt der zartesten Fasern der menschlichen Nerven, folglich an den Endpunkt unsers Fleisches und Blutes selber, das sich auch im Thier bis auf einen gewissen Punkt in seinen Fundamenten als geistig erprobt und in seinen Resultaten als geistig ausspricht. Aber auch die instinktartigen Gefühle der Liebe und des Vertrauens haben in den zartesten Fasern unsers Fleisches und Blutes, und in dem tiefsten Organismus unserer thierischen Natur den Anfangspunkt ihres Übergangs in das göttlich gegebene, innere Wesen der menschlichen Liebe und des menschlichen Glaubens, deren Wachsthum und Vollendung in unserer, durch den religiösen Glauben zu erzielenden Heiligung unserer Natur und in den Mitteln der göttlichen Gnade zu suchen ist. Die Resultate der instinktartigen Liebe und des instinktartigen Glaubens sind die Resultate aller, aus bloß sinnlichen Anschauungen hervorgehenden[156] Erkenntnisse unsers Geschlechts, und in so weit nur thierisch begründet, folglich in so weit vom innern Wesen der Menschlichkeit selber vollends entblößt. Und auf diesem Punkt erprobt sich der Geist unsers Geschlechts weder in Rücksicht auf seine Kraft zum Denken, noch in Rücksicht auf seine Kraft zum Glauben und zum Lieben als ein wirklich menschlicher Geist; er ist in so weit in beiden Rücksichten nur eine Kraft, die wir mit den Thieren des Feldes gemein haben, und deren Fundamente viele Thiere in Rücksicht auf die Sinne, durch die sie die Welt, wie wir, nach ihrer Art zu erkennen vermögen, in einem weit höhern Grad als wir besitzen. Der Hund hat eine weit bessere Nase, und der Adler ein weit besseres Auge, als der Mensch, und was auf diese Fundamente der thierischen Geisteskraft wahr ist, das ist auch auf die vielseitigen thierischen Anwendungen dieser Kraft gleich wahr. Diese grenzen vielseitig und allgemein für uns ans Wunderbare, und stehen in ihrem ganzen Umfange als dem höchsten Grad aller menschlichen Kunstkraft unerreichbar vor unsern Augen. Aber ihre ganze Kunst ist keine menschliche Kunst; sie ist nur das Resultat einer instinktartig belebten, thierischen Kraft, deren Natur der höchste Grad der menschlichen Geisteskraft zwar nicht ergründen, aber deren Unterschied zwischen der menschlichen Kunstkraft und der ihr zu Grunde liegenden, menschlichen Denkkraft auch dem niedersten, menschlichen Wesen heiter ins Auge fällt.

Dieser Unterschied der menschlichen und der thierischen Kunstkraft, und überhaupt des menschlichen und thierischen geistigen Seyns, so wie die Größe des Übergewichts des Niedersten in der menschlichen gegen das Höchste in der thierischen Natur ist so auffallend, daß sich bey mir bey der Ansicht dieses Übergewichts mit dem Worte David's: »Du hast uns ein wenig minder gemacht, als die Engel«, allemal der gefühlvoll belebte Gedanke verbindet: »Du hast uns über alles Fleisch und Blut, das auf Erden wandelt, unendlich erhoben, du hast uns unendlich höher gestaltet, als alle Thiere der Erde.« Alle, auch die höchsten Resultate des thierischen Denkens und der thierischen Kunst sind durchaus keine Beweise der menschlichen Denkkraft. Das Denken unsers Geschlechts, als menschliches Denken, geht durchaus, auch im kleinsten Produkt seiner Wahrheit, nicht aus irgend einer Kraft hervor, die sich an die zartesten Fasern unsers Fleisches[157] und unsers Bluts anschließt. Unser Denken, in so fern es wahrhaft menschlich ist, geht aus der göttlichen Kraft hervor, unsern Geist über unser Fleisch herrschen zu machen, und ist und wird nur dadurch ein wahrhaft menschliches Denken, das mit allem thierischen Denken in vollkommenem Widerspruche steht. Alles thierische Denken ist mit allem menschlichen Denken, wie die Finsterniß mit dem Lichte, im Widerspruche, und führt in seinen Vorschritten und Endpunkten immer zur Unmenschlichkeit. Um das Wort »Naturgemäßheit« in der Bedeutung, in der es in Rücksicht auf elementarische Menschenbildung ins Aug' gefaßt werden muß, nicht schwankend und unbestimmt zu lassen, müssen wir den Gesichtspunkt fest halten, daß die elementarische Geistes- und Kunstbildung unsers Geschlechts in allen ihren Wirkungen geeignet ist, eine Gemeinkraft der Menschennatur zu erzeugen, die die Segenskräfte unserer Natur alle unter einander vereinigt. Und forschen wir dem Wesen dieser Gemeinkraft nach, so sehen wir, sie entfaltet sich im Menschengeschlecht nur in so fern auf eine, dasselbe befriedigende Weise, als sie wahrhaft und wesentlich aus der Harmonie unserer Kräfte hervorgeht und durch das Gleichgewicht derselben in Stand gesetzt wird, in uns herrschend auf unser Thun und Lassen, auf die wesentlichen Kräfte der Menschennatur, die unserm Fühlen, Denken und Handeln zum Grunde liegen, einzuwirken.

Wo eine dieser drey Kräfte schwach, gelähmt, unentfaltet und ungebildet und noch mehr verbildet in uns dasteht, da mangelt der Gemeinkraft der Menschennatur durchaus die Basis, ohne deren Daseyn die zwey andern Kräfte einen, die Menschennatur im ganzen Umfang ihrer Ansprüche befriedigenden Spielraum ihres Segenseinflusses unmöglich zu erhalten im Stande sind. Das ist beim Menschen, der in seiner Sittlichkeit einseitig belebt, gedankenlos, geistig unentfaltet und in seinen häuslichen und bürgerlichen Berufspflichten ungebildet, ungewandt, nachlässig und kraftlos umherwandelt, eben so der Fall, wie es beim ausgezeichnetesten besten Kopfe, dem es an den Fundamenten der Ausbildung der sittlichen Kraft, an wahrer Liebe und an wahrem Glauben mangelt, ebenso der Fall ist. Diese segensvolle Gemeinkraft der Menschennatur ist indessen bey mittlern und sogar bey schwachen Kräften eines Individuums ebenso möglich und eben so denkbar, als sie bey isolirten, abgeschnittenen, unverhältnißmäßig[158] großen, selber gigantischen Einzelnkräften oft schwierig und sogar unerreichbar ist. Dabey aber ist wesentlich zu bemerken, daß ein im reinsten Sinne des Worts vollendetes Gleichgewicht der menschlichen Kräfte nicht denkbar ist. Der Mensch, dessen Wissen und Können Stückwerk ist, ist in keiner seiner Kräfte einer reinen vollendeten Ausbildung, folglich auch niemals eines vollendeten Gleichgewichts derselben unter einander, oder, welches eben so viel ist, einer, in ihren Fundamenten allgemein gleich vollendet begründeten Gemeinkraft der Menschennatur fähig. Alles, was von einem menschlichen Gleichgewicht der Kräfte und von einer aus ihr hervorgehenden Harmonie geredet, ist nur von einem Zustand der menschlichen Kräfte zu verstehen, der sich dieser Harmonie und diesem Gleichgewicht derselben unter einander nähert oder wenigstens mehr oder minder zu nähern sucht.

Die Unmöglichkeit eines vollendeten Gleichgewichts der Menschennatur ist durch die Wahrheit der Disharmonie der Kräfte und Anlagen der einzelnen Menschen zum voraus entschieden. Jeder einzelne Mensch wird in hoher Ungleichheit seiner Kräfte gegen die Kräfte tausend und tausend anderer Menschen geboren. Der eine ist in der Anlage seines Herzens, der andere in derjenigen seines Geists und der dritte in derjenigen seiner Kunst in sich selbst überwägend erschaffen, und jeder Mensch, folglich auch das Menschengeschlecht im Ganzen, muß in Rücksicht auf das vollendete Gleichgewicht und die vollendete Harmonie seiner Kräfte nicht nur mit Paulus aussprechen: »Nicht, daß ich sie schon ergriffen habe« – er muß noch hinzusetzen: »Nicht, daß ich sie je ergreifen werde –«; aber dann darf er auch mit dem Apostel fortfahren: »Ich jage ihr aber nach, wie wenn ich sie wirklich ergreifen könnte.«

Indeß ist, wie ich eben sagte, der sich dem Gleichgewicht nähernde Zustand unserer Kräfte bei schwachen Kräften eben so denkbar, als bei starken. Das Gleichgewicht von drei Pfunden ist mit dem Gleichgewicht von drei Zentnern eines und eben dasselbe Gleichgewicht. Ich sah gar oft in meinem Leben die segensvolle Gemeinkraft, so wie sie unserm Geschlecht erreichbar ist, bei Individuen mit sehr mittelmäßigen Anlagen in einem ruhigen, wirklich befriedigenden Gleichgewicht dastehen. Das brillante Hervorstrahlen einzelner Kräfte wird hingegen dem Menschengeschlecht[159] gar oft ein unübersteigliches Hinderniß der Ausbildung der segensvollen Gemeinkraft und des Gleichgewichts, das ihnen mangelt; hinwieder ist auch wahr, daß die Ausbildung dieser Gemeinkraft auch beim höchsten Mangel äußerer Mittel eben so erreichbar ist, als beym Überfluß derselben. Ich habe das Maximum dieses Gleichgewichts und der daraus hervorgehenden Gemeinkraft beym Minimum aller äußern Kräfte und Mittel im Bilde meiner Gertrud, beynahe vor einem halben Jahrhundert, darzulegen gesucht, und ich glaube, es gebe über diesen Gesichtspunkt vielseitiges Licht.

Die Wahrheit, daß der Grad des Gleichgewichts, dessen unser Geschlecht fähig, unter allen Umständen und Verhältnissen des Menschengeschlechts gleich erreichbar ist, hängt mit dem Gesichtspunkt zusammen, daß derselbe nur durch das gesicherte Daseyn der Liebe und des Glaubens zu erzielen möglich ist. Dabey aber darf durchaus nicht vergessen werden, daß wahrer Glauben und wahre Liebe, ohne allgemeine Liebe zur Wahrheit, d.i. ohne Liebe zu aller und jeder Wahrheit, undenkbar ist, und daß die Bildungsmittel zur wahren Liebe und zum wahren Glauben mit den Bildungsmitteln zur Erkenntniß aller Wahrheiten und zur Liebe aller Wahrheiten im innigsten Zusammenhange stehen. So wie ohne die segensvolle Kraft der Liebe und des Glaubens keine Harmonie unserer Kräfte, kein innerer Friede weder mit mir selbst, noch mit meinem Geschlecht denkbar ist, so ist auch ohne solide Sorgfalt für die Ausbildung des Menschengeschlechts zur Erkenntniß der Wahrheit, d.i. ohne ernste Sorgfalt zur soliden Entfaltung seiner intellektuellen Kräfte, sowohl in sittlicher und religiöser, als in häuslicher und bürgerlicher Hinsicht, kein wahres Gleichgewicht und sogar keine wahre Näherung zum Gleichgewicht der menschlichen Kräfte, und also auch keine wahre, Segen und Befriedigung bringende Gemeinkraft der Menschennatur denkbar. Diese geht durchaus nicht aus einer einseitigen Ausbildung, einer einzelnen menschlichen Kraft, sie geht, den Gegenstand menschlicherweise ins Auge gefaßt, aus der gegenseitig gleich sorgfältigen Entfaltung aller Kräfte hervor. So wie es unwidersprechlich ist, daß sie nicht aus Lieblosigkeit und Unglauben hervorgeht, so ist eben so gewiß, daß sie nicht aus Gedankenlosigkeit, Dummheit, Geistesschwäche und Geistesleerheit entspringt. Ich erkenne zwar ganz, daß Lieblosigkeit und[160] Unglauben, diese unseligen Kinder der, in unsern Tagen unnatürlich belebten, sinnlichen Selbstsucht, das schreckliche Unglück unsrer Tage hervorgebracht haben. Aber ich erkenne dabei eben sowohl, daß diese Lieblosigkeit und dieser Unglaube auch die ersten Fundamente einer wahren, segenbringenden Denk- und Berufskraft in unserer Mitte und die wesentlichen Fundamente derselben, die im reinen häuslichen Leben und in dem ihm beiwohnenden, reinen Vater-, Mutter- und Kindersinn liegen, in einem hohen Grad abgeschwächt und vielseitig beynahe ihrer Zernichtung nahe gebracht haben. Der wahre Glauben, der, wie die wahre Gottesfurcht, die göttliche Segensverheißung des gegenwärtigen wie des künftigen Lebens besitzt, fordert für alle Stände die Ausbildung der Denk- und Kunstkraft, die zur Sicherstellung der Segensgenießungen unserer häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse, d.i. zum ächten Dienst unsers öffentlichen und Privatlebens nothwendig sind.

Wir dürfen uns den Zusammenhang des Bedürfnisses der menschlichen Sorgfalt für die Ausbildung unserer Geistes- und Kunstkräfte mit demjenigen der heiligen Sorgfalt für die Ausbildung des Glaubens und der Liebe auf keine Weise aus den Augen rücken lassen; und wir können es uns nicht verhehlen, was immer in unserer Mitte die Kraft des Vater-, Mutter-, Bruder- und Schwestersinns im häuslichen Leben untergräbt und zernichtet, das wirkt auf die Zerstörung der Fundamente des wahren Glaubens und der wahren Liebe, eben so wie es auf die Zerstörung der wahren Fundamente der Denk- und Berufskräfte und der Segensgenießungen der häuslichen und bürgerlichen Verhältnisse des Menschengeschlechts verheerend einwirkt. Die Hülfe gegen die Übel, unter denen das gute Herz aller Stände dießfalls gegenwärtig leidet, kann nur aus Maaßregeln hervorgehen, die, indem sie der Lieblosigkeit, dem Mißtrauen und dem Unglauben im ganzen Umfang ihrer Ursachen und Quellen entgegenwirken, geeignet sind, die Vaterkraft, die Muttertreue und den Kindersinn in der Erziehung, im öffentlichen wie im Privatleben, in dem Grad mit Sorgfalt zu beleben, und ich möchte in gewissen Rücksichten sagen, von den Todten auferstehn zu machen, als wir dieselben gegenwärtig auf der einen Seite so viel als offen im Grabe vor unsern Augen liegen sehen, auf der andern Seite aber ihrer dringend bedürfen. Und unser Zeitgeschlecht hätte gewiß Unrecht,[161] sich dieses Gesichtspunkts halber dem eiteln Wahn zu überlassen, das, was wir seinethalben und zwar gegenwärtig schon dringend nothwendig haben, werde sich ohne unser Zuthun wohl etwa von selbst geben. Weder die Anlagen der Liebe und des Glaubens, noch diejenigen der Denk- und der Kunstkraft bilden sich in den Individuen unseres Geschlechts, noch viel weniger in den Massaverhältnissen unserer Stände und Klassen, ohne unser Zuthun. Die sinnliche und geistige Angewöhnung alles dessen, was Liebe, Weisheit und Glaube in unsern Lagen und Verhältnissen von einem jeden von uns fordern, erheischen unbedingt menschliche Sorgfalt zur Einübung aller Fertigkeiten und Gewandtheiten, die uns unser häusliches und bürgerliches Leben zur Pflicht machen, und die das wahre Christenthum selber als unumgängliche Mittel zur Ausübung derselben anerkennt und von uns fordert. Menschlicher Weise davon zu reden, ist es auch vorzüglich durch die Einwirkung einer naturgemäßen Angewöhnung und Einübung der Fertigkeiten, die die Ausübung dieser Pflichten erfordern, wodurch das Joch Jesu Christi unserm schwachen Geschlecht ein leichtes Joch und seine Last eine leichte Last zu werden vermag.

Ich fasse die Idee der Elementarbildung noch einmal in dem Gesichtspunkt ins Auge: Wie entfalten sich ihre Mittel zur Ausbildung der Gemeinkraft der Menschennatur und zu der aus ihr hervorgehenden Harmonie der menschlichen Kräfte? – Das innere Entfaltungsmittel dieser Gemeinkraft unserer Natur ist die Liebe; die äußern Mittel ihrer Entfaltung liegen im ganzen Umfange der menschlichen Thatkraft, wie diese uns befähigt, das von der Geistes- und Kunstkraft unterstützt äußerlich darstellen zu können, wofür die Liebe die Gemeinkraft der Menschennatur bildend anspricht und alle unsere Kräfte in Bewegung setzt. Auch hier ist die Sprachkraft die vereinigende Mittelstufe unserer Anschauungs- und unserer Denkkraft, indem sie das Kind in den Stand setzt, den Eindruck der Anschauungsgegenstände, wenn sie in der Wahrheit, Beschränkung und Ausdehnung nach allen Richtungen, Geistes-, Herzens- und Kunsthalber, vor ihm liegen, zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, d.i. geistig zu behandeln, darüber zu denken und zu urtheilen. Offenbar wird die Sprachkraft auch darin das äußerlich vermittelnde Organ der Kräfte, welche die einzelnen Fundamente und Grundtheile[162] der Gemeinkraft und der Gemeinthätigkeit unserer Natur in dieser Rücksicht unter einander vereinigt und durch ihre Vereinigung in ihren Resultaten die Menschlichkeit in ihrem ganzen Umfange anspricht. Ohne sie, ohne dieses große Resultat aller gelungenen Bildung unsers Geschlechts, ohne diese entfaltete Gemeinkraft der Menschennatur, ist das Ziel aller Erziehung, die Entfaltung der Menschlichkeit selber, unerreichbar. Ohne sie erhebt sich keine menschliche Wissenschaft, kein menschliches Gewerb, keine Art von Thätigkeit zur Menschlichkeit selber.

Das innere Erweckungsmittel der alles in uns belebenden Gemeinkraft, die die Thätigkeit aller einzelnen Kräfte, sie unter sich vereinigend anspricht und sich in dem göttlichen Fundament der Menschlichkeit, in der Liebe, äußert, braucht zur Belebung ihres Wesens an sich keine Handbietung der Kunst. Sie genießt im Innern eines jeden Menschen, der sie sucht, göttliche Handbietung. Der Ruf zu ihr, der Ruf sie zu suchen, liegt in jedem Menschen in der göttlichen Gnade und in der göttlichen Kraft des Gewissens. Ihre äußere Ausbildung hingegen fordert in dem Grad die Handbietung der menschlichen Kunst, als die naturgemäße innere Entfaltung der Kräfte der Menschlichkeit göttliche Handbietung in ihm selbst findet; und es ist überhaupt die naturgemäße äußere Ausbildung dieser Gemeinkraft, worin die Idee der Elementarbildung in allen ihren psychologischen Bestrebungen die wesentlichsten Mittel zur naturgemäßen Entfaltung der Fundamente der Ausbildung unserer Kräfte und Anlagen zu suchen hat.

Es ist auch auf eben dieser Bahn, wodurch es allein möglich gemacht werden kann, den Hindernissen, die diesen Bestrebungen im Wege liegen, mit Erfolg entgegenzuwirken. Diese entspringen allgemein aus dem Übergewicht der selbstsüchtigen, sinnlichen Ansprüche unserer thierischen Natur über diejenigen der sittlichen und geistigen Fundamente unserer Menschlichkeit selber. Es ist auch bestimmt das Übergewicht unserer Aufmerksamkeit auf die, unserer Natur unwesentlichen, von der Wirkung der Zeitlaunen und Zeitumstände herrührenden und gebotenen Collectivansprüche unserer Verhältnisse über die, aus dem Wesen der Menschlichkeit selbst herfließenden Individualansprüche eines jeden und folglich des Menschengeschlechts und der Menschennatur selber, welches seiner Natur nach das Verkünstlungsverderben[163] unsers Geschlechts in allen seinen Formen und Gestaltungen erzeugt und herbeygeführt. Und dieses ist es dann hinwieder, was dem Gang der Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Kräfte die größten Hindernisse allgemein in den Weg legt und legen muß, und indem es das thut, den wesentlichsten Wirkungen der Idee der Elementarbildung und aller ihrer Bildungsmittel tief ans Herz greift. Es ist offenbar, daß die Realansprüche der individuellen Existenz unsers Geschlechts als Ansprüche der Menschennatur selber den Ansprüchen der Collectivexistenz desselben allgemein, d.i. in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht vorhergehen und sie sich unterordnen sollen. Thun sie das nicht, unterliegen sie dem Unrecht und den willkührlichen Anmaßungen des Verkünstlungsverderbens und seiner Quelle in den sinnlichen, selbstsüchtigen Ansprüchen unserer Collectivverhältnisse, so legen sie dem Gange der Natur in der Entfaltung und Bildung unserer Kräfte zur Menschlichkeit allgemein und tiefgreifend die größten Hindernisse in den Weg; sey es im Bauernstand, im Bürgerstand, sey es im Adelstand und selber im Klosterstand, die thierische Selbstsucht dieser Ansprüche hat in allen Verhältnissen die nämliche Wirkung. Sie ist der reinen Entfaltung unserer Kräfte zur Menschlichkeit im höchsten Grad hinderlich; und was immer der reinen Entfaltung und Bildung zur Menschlichkeit an sich selbst und nothwendig hinderlich ist, das ist auf der andern Seite ebenso den sinnlichen und thierischen Reizen zur Belebung der Unmenschlichkeit angemessen, dienlich und förderlich, und das in einem jeden Stand so gut als in allen andern. Dadurch ist aber offenbar, daß das Verkünstlungsverderben, so wie es der Entfaltung unsrer Kräfte zur Menschlichkeit hinderlich, verderblich und tödtlich ist, auch ebenso dahin wirken muß, uns das eigentliche Wesen der Idee der Elementarbildung vollkommen aus den Augen zu rücken, und uns dadurch für dasselbe innerlich blind und äußerlich nicht nur ungewandt und ungeschickt, sondern sogar beynahe gänzlich untauglich und unfähig zu machen, und zwar besonders in einem Zeitpunkt, in welchem dieses Verderben von dem Routinegewalt des wirklichen Lebens in einem so hohen Grad allgemein unterstützt und belebt wird, als dieses gegenwärtig der Fall ist.

Ich muß dieser Ansicht noch beyfügen, wir haben dieses alles,[164] sowohl in uns selber als im ganzen Kreis der Umgebungen, auf die sich unsere Bestrebungen ausdehnen, wirklich erfahren, und die Zeit ähnlicher Erfahrungen ist für andere, welche sich, unreif wie wir, an die Ausführung und Einführung dieser hohen Idee wagen möchten, noch nichts weniger als vorüber. Es liegt im unreifen Eingreifen in das Geschäfte der Elementarbildung so viel Stoff und Materie, den Kopf anzustoßen und die Finger zu verbrennen, daß ich allen, in ihrer Gutmüthigkeit und in ihrer Schwäche mir gleichen Jünglingen, wie dem Bock, der bey einem glühenden Kohlhaufen zu steht, zurufen möchte: »Rühr' nicht, es brennt!« Je vielseitiger ich diesen Gegenstand ins Auge fassen, und je tiefer ich in das Wesen desselben eindringen werde, desto heiterer werden auch die Gründe und Ursachen meiner dießfälligen Ansicht ausfallen. Ich verfolge meinen Gegenstand, wie bisher auf meinem Wege links und rechts hie und da einkehrend und selber oft von der Landstraße abweichend, aber immer das Ziel desselben fest im Auge haltend, forthin, und stehe wieder einen Augenblick bey dem Gesichtspunkt stille, daß die Bestrebungen der Elementarbildung in Rücksicht auf die Ausbildung unserer Geisteskräfte eine erneuerte Sorgfalt für die reine und kraftvolle Entfaltung der allgemeinen Fundamente der Menschlichkeit, der Liebe und des Glaubens, folglich auch eine erneuerte und belebte Sorgfalt für die Verstärkung der Kräfte des häuslichen Lebens und seines heiligen Fundaments, des Vater-, Mutter- und Kindersinns, aus welchem die Gemeinkraft der Menschennatur, thatsächlich und allgemein ins Auge gefaßt, wesentlich hervorzugehen vermag, voraussetzen und ansprechen.

Sie, diese Gemeinkraft, kann nur aus der Wahrheit des innern, göttlichen Wesens der Menschennatur, und durchaus nicht aus der isolirten, wenn auch noch so künstlich und glücklich belebten, einzelnen Kraft derselben hervorgehen. Ebenso ist die Idee der Elementarbildung auch nicht durch die isolirte Naturgemäßheit ihrer Ausbildungsmittel der menschlichen Denkkraft, sie ist durchaus nicht durch die isolirte Bearbeitung der Zahl- und Formlehre geeignet, auf die Entfaltung der Menschlichkeit und die ihr wesentlich zum Grunde liegenden Fundamente des Gleichgewichts und der Harmonie unserer Kräfte einzuwirken; sie ist dieses wesentlich nur durch ihre innigste Verbindung mit den heiligen Fundamenten des Glaubens und der Liebe. Selbst die[165] alten Griechen erkannten das Bedürfniß des innigen Zusammenhangs der Liebe und des Glaubens mit den naturgemäßen Entfaltungsmitteln der menschlichen Denkkraft. Ihr ἀληϑεύειν ἐν ἀγαπῆ, ihr die Wahrheit in der Liebe Nachforschen, spricht bestimmt aus, daß sie das bloße, von der Geisteskraft allein belebte Forschen nach Wahrheit für die Erkenntniß des Menschlichen in der Wahrheit nicht als genugthuend erkannten. Es ist es auch nicht, und in Übereinstimmung mit der Überzeugung, daß es dieses nicht ist, strebt die Idee der Elementarbildung dahin, selber die sinnlich und instinktartig belebten Fundamente der Liebe und des Glaubens von der Wiege an durch Vereinfachung ihrer Bildungsmittel zu stärken, zu fördern und zu behelfen. Sie strebt allgemein dahin, ihre naturgemäßen Entfaltungsmittel der Liebe und des Glaubens mit den naturgemäßen Entfaltungs- und Bildungsmitteln des Wahrheitsinnes und der Wahrheitskraft zu vereinigen. Ihre Erkenntniß der in der Einheit der Menschennatur selbst begründeten, innigen Vereinigung aller menschlichen Kräfte unter einander macht sie das Bedürfniß der Vereinigung der Bildungsmittel des Glaubens und der Liebe mit denjenigen der Denk- und Kunstkraft der Menschennatur tief fühlen, und auf die dießfällige Überzeugung gestützt, die Organisation der gegenseitigen Ausbildungsmittel der sittlichen und intellectuellen Kräfte unserer Natur in der höchst möglichsten Übereinstimmung unter einander begründen. Ihre Überzeugung von den Ansprüchen der Einheit der Menschennatur an den ganzen Umfang der Entfaltungs- und Bildungsmittel aller unserer Kräfte und Anlagen macht der Idee der Elementarbildung die höchste Sorgfalt für die innige Vereinigung der sittlichen und geistigen Bildungsmittel unsers Geschlechts zur höchsten Pflicht.

Man fasse diese große Idee im ganzen Umfang der Übereinstimmung ihrer Mittel mit dem Gang der Natur in der Entfaltung der Kräfte und Anlagen unsers Geschlechts ins Auge, so wird man auffallend sehn, in welchem Grad ihre Entfaltungs- und Bildungsmittel unserer geistigen Kräfte mit denjenigen unserer sittlichen von der Wiege an in Übereinstimmung stehn. Sie müssen es; sie hören auf, elementarisch zu seyn, wenn sie es nicht thun; sie thun es aber auch. Das häusliche Leben, in dem sich der ganze Umfang ihrer Bildungsmittel concentrirt, verbindet beydes, den Stoff, die Mittel und die Reitze dieser Vereinigung in sich selbst.[166] Es spricht die höchste Sorgfalt für diese Vereinigung schon in der Unmündigkeit des Kindes an, aber es trachtet freylich auch, die Bildungsmittel der Liebe und des Glaubens den Bildungsmitteln der Denkkraft vorhergehen zu machen, und die letzten durch die ersten eben so zu begründen, als sie mit denselben in Übereinstimmung zu bringen. Zu der höchst möglichen Vereinfachung zurückgedrängt, kann der ganze Umfang der Elementarbildungsmittel nur mit wahrer Mutterliebe dem Kind gegeben und nur mit wahrem liebendem Vertrauen in der Kraft ihres Segens benutzt werden. Auch ist es unwidersprechlich, daß die elementarischen Kunstausbildungsmittel der Anschauungs-, Sprach-, Denk- und Kunstkraft nur in Verbindung mit der heiligen Sorgfalt für die naturgemäße Entfaltung des Glaubens und der Liebe auf eine, die Menschennatur im Ganzen befriedigende Weise und mit gesegnetem Erfolg gegeben werden können, und daß sie, wenn sie beym Mangel dieser belebenden Bildungsmittel auffallend gute Resultate hervorzubringen scheinen würden, diese Resultate durchaus nur Scheinresultate wären, welche die Menschennatur nicht befriedigen könnten, sondern segenslos und sogar naturwidrig auf den ganzen Umfang der naturgemäßen Erziehung und ihrer elementarischen Bildungsmittel einwirken müßten. Das wesentlichste und reinste Belebungsmittel der Gemeinkraft der Menschennatur geht in seiner ursprünglichen Quelle ewig nur aus Liebe und Glauben hervor, und die unterscheidende Frucht ihrer Wahrheit ist unverbrüchliche Treue. Je reiner, wahrhafter und gebildeter die Liebe und der Glaube, desto reiner, wahrhafter und gebildeter ist auch die Gemeinkraft, die durch sie belebt wird, und desto sicherer und zuverlässiger ist ihr höchstes erhabenstes Resultat, ihre Treue und die mit ihr verbundene, allseitige Thätigkeit, Anstrengung, Ausharrung, Hingebung und Aufopferungskraft derselben. Aber auch umgekehrt, je unreiner, sinnlicher, geistig und physisch ungebildeter die Liebe und der Glaube und ihre beydseitige Thatkraft im Menschen ist, desto unreiner, zweydeutiger, trüglicher, schwankender, thatenloser und bloß scheinbarer ist die Gemeinkraft, die aus ihr entspringt, und desto unsicherer, unzuverlässiger und trüglicher ist auch die Treue, die auf sie gebaut wird, so wie alle Resultate der mit der wahren Liebe innig verbundenen und ihr unzertrennlich beywohnenden Thätigkeit, Anstrengung, Ausharrung, Hingebung und Aufopferungskraft.[167] Die Schwachheit und Sinnlichkeit der Liebe und des Glaubens ist deswegen als eine gefährliche Brutstube der Untreue und der Lieblosigkeit, die sich im milden Flaum der Sinnlichkeit und Behaglichkeit neben den todten Scheineyern der Treue und des Glaubens gemächlich ausbrütet und unvermerkt stark wird, anzusehen. Es ist folglich eine wesentliche Aufgabe der Idee der Elementarbildung, dem Trug und der Ausartung der sinnlichen Liebe und der sinnlichen Glaubensschwäche mit der ganzen Kraft ihrer Naturgemäßheit in ihren Wurzeln entgegen zu wirken. Die Natur muß auch in Rücksicht auf diese Ansicht im ganzen Umfang ihrer Mittel als herrschende Führerin, aber die Kunst hingegen auch im ganzen Umfang ihrer Mittel als untergeordnete und folgsame Dienerin derselben ins Auge gefaßt werden.

Ich bin über die Idee der Gemeinkraft und über das Streben nach der Harmonie und dem Gleichgewicht der menschlichen Kräfte etwas weitläufig und muß es seyn. Der Mangel an richtiger Erkenntniß ihres Wesens ist Mangel an richtiger Erkenntniß des Wesens der Idee der Elementarbildung selber. Diese ist ein Traum, ein Tand und ein Verführungsmittel des Volkes, wenn sie nicht auf das allgemeine Bestreben unsers Geschlechts, sie aus dem einzigen, ewigen Fundament der naturgemäßen Bildung zur Menschlichkeit, aus Liebe und Glauben und der ihnen ewig beywohnenden Thatkraft hervorgehen zu machen, gebaut ist. Und dieses ist sie, beydes, in dem Fall nicht, wenn sie durch isolirte und sich selbst überlassene Mittel der Geistes- und Kunstbildung zu erzielen gesucht wird; aber auch eben so wenig, wenn sie, der naturgemäßen Ausbildung der Geistes- und Kunstkräfte, welche zur genugthuenden Entfaltung der Gemeinkraft der Menschennatur nothwendig sind, mangeln und ihr Hindernisse in den Weg legen sollte.

Diese Ansicht meines Gegenstandes hat noch eine andere Seite.

Weder die elementarische Entfaltung der Anschauung, noch diejenige der Sprach- und der Denkkraft kann einzeln und von den andern gesöndert in ihrem Einfluß als zu einer wahren und soliden Entfaltung unserer intellektuellen Kräfte naturgemäß mitwirkend angesehn und anerkannt werden. Die intellektuelle Kraft unsers Geschlechts ist in ihrem ganzen Umfang als eine Kraft der Menschennatur, oder, welches eben so viel ist, als[168] eine Kraft der Menschlichkeit unserer Natur anzusehen. Die Ausbildung, oder vielmehr die Erhebung der Geisteskraft zur Menschlichkeit fordert zum voraus die Ausbildung der Menschlichkeit selber, ohne deren kraftvoll gebildetes Daseyn eine wahre Erhebung der Geisteskraft zur Menschlichkeit nicht denkbar ist. Diese aber geht wesentlich aus Liebe und Glauben hervor. Ohne Liebe und ohne Glauben mangelt der Anfang des Fadens, von dem allein alle wahre Entfaltung zur Menschlichkeit ausgeht, fortschreitet und endet. Mit einem Wort, Glaube und Liebe ist das A und das O der naturgemäßen, folglich der elementarischen Bildung zur Menschlichkeit. Die Geistesbildung und die Kunstbildung sind nur ihr untergeordnete Bildungsmittel, und vermögen nur in dieser Unterordnung mitwirkend, das ihrige zur Harmonie unserer Kräfte und zum Gleichgewicht derselben unter einander beyzutragen. Die Natur geht in der Entfaltung der Menschlichkeit vollkommen diesen Gang, und die Kunst, folglich auch die Mittel der Elementarbildung müssen ihr Schritt für Schritt folgen.

Fasse ich diese große Idee als naturgemäßes Entfaltungs- und Bildungsmittel der Geistes- und Kunstkräfte ins Auge, so wird thatsächlich heiter, daß die Aufmerksamkeit auf den Unterschied der Entfaltungsmittel unsrer Kräfte und denjenigen der Ausbildung der Unterrichts- und Abrichtungsfertigkeiten, die die Anwendung dieser Kräfte ansprechen, besonders in unserm Zeitalter für uns von der äußersten Wichtigkeit ist. Dieses Zeitalter will in allem seinem Thun Früchte von Bäumen, ehe sie geblüht haben, und selber von Bäumen, die es in seinen Wurzeln faul werden läßt. Es will Scheinresultate, ehe die Fundamente, deren alle soliden Resultate bedürfen, gegraben, will geschweigen gelegt sind. Es ist offenbar, daß die Entfaltung der menschlichen Kräfte nothwendig als wesentliche Wurzel aller Ausbildungsmittel der Anwendungsfertigkeiten unserer entfalteten Kräfte angesehen werden muß, aus welcher die wahre Blüthe und die wahren Früchte derselben hervorzugehen vermögen; und es fällt auf, daß in der tiefern Anerkennung dieses Unterschieds die wesentliche Spur der Mittel zu finden ist, durch welche dem Verderben unserer dießfälligen Zeitverirrungen, die in den Anfangspunkten unsers Verkünstelungsverderbens in der Erziehung liegen, mit Erfolg entgegengewirkt werden kann,[169] und daß in diesem Gesichtspunkt der Anfangspunkt der Mittel gesucht werden muß, durch welche es möglich ist, in allen Ständen und Verhältnissen den Vater- und Muttersinn der Menschennatur zur gebildeten Vater- und Mutterkraft zu erheben und die Erziehungs- und Unterrichtskräfte des häuslichen Lebens auf eine Weise zu erhöhen, daß dadurch den traurigen Folgen eines unnatürlichen, unelementarischen, mit den Lagen, Verhältnissen und Bedürfnissen aller Stände im Widerspruche stehenden Scheingelehrsamkeitseinflusses der Schulen auf dieselben und dem Glauben an ihr, den häuslichen Segen des Volks allgemein untergrabendes Blendwerk ein Ziel gesetzt werden könne. Wir können uns nicht verhehlen, der Drang eines oberflächlichen, die Kinder aller Stände von der festen Aufmerksamkeit und Einübung alles dessen, was ihnen in ihren Verhältnissen Bedürfniß ist und Segen bringt, ablenkenden und störenden Schuleinflusses ist groß, und die Folgen seines Verkünstelungseinflusses auf den öffentlichen Privatwohlstand vielseitig und tiefgreifend, und hangen mit den übrigen, Mißmuth, Unbehaglichkeit und Leiden aller Art erzeugenden Folgen unserer Zeitgelüste, Zeitlaunen und Zeitmängel innig zusammen. Es liegt offenbar im Wesen und in den Kräften der Idee der Elementarbildung, den Quellen dieses Zeitverderbens mit Erfolg entgegenzuwirken.

So wie diese hohe Idee die größte Sorgfalt für die psychologische Begründung des Stufengangs aller ihrer Bildungsmittel und die Harmonie derselben unter einander anspricht und festzuhalten verpflichtet ist, so spricht sie eben so sehr die größte Aufmerksamkeit auf die Übereinstimmung des ganzen Stufengangs ihrer Bildungsmittel mit den Lagen und Umständen der verschiedenen Stände und Verhältnisse unsers Geschlechts an, und der Mittelpunkt ihrer dießfälligen Maßregeln geht allgemein ebenfalls aus der Sorgfalt hervor, den ganzen Umfang ihrer Mittel in allen Ständen an das häusliche Leben zu ketten und dadurch mit den Lagen, Umständen und Verhältnissen, die jedem dieser Stände eigen sind, in Übereinstimmung zu bringen. Die Folgen dieser Sorgfalt sind geeignet, die Beruhigung aller Stände auf die vielseitigste Weise zu begründen. Das Kind lernt vermög' dieser Sorgfalt in allen Ständen lieben, was in seinen Lagen und Verhältnissen liebenswürdig dasteht; es lernt vorzüglich über das denken, was in seinen Lagen und Verhältnissen seine Denkkraft[170] zu reitzen dasteht; es lernt von der Wiege an thun, wünschen, hoffen, glauben und darnach streben, was in seinen Lagen und Verhältnissen als wünschbar nothwendig und nützlich vor ihm erscheint. Es wächst in dieser Übereinstimmung seiner selbst mit seinen Lagen und Verhältnissen der Reifung seiner Kräfte entgegen. Sein väterliches Haus, sein väterlicher Stand, sein väterliches Recht wächst ihm ans Herz, und das Tragen seiner Beschwerden wird ihm leicht. Es wächst im Tragen derselben auf. Auch seine Schranken werden ihm leicht, sie werden ihm von der Wiege an habituel. Es fühlt sich in denselben gar nicht beengt.

Ist es ein Bauernkind, die Mittel der Elementarbildung machen es weder Herzens-, noch Geistes-, noch Kunsthalber zu einem Traumgeschöpf, das außer seinen Bauernstand hinausgeworfen, für den Segen desselben und für die Schätzung seines Werthes allen guten Sinn verloren und dadurch zur Benutzung der Mittel, seinen Standessegen, als solchen, zu erhöhen und zu erweitern, unfähig und für denselben unbrauchbar werden muß. Auf der Bahn einer wohleingeübten Elementarbildung wird sein Verstand, sein Herz und seine Kunst, zu welchem Grad der Kraft das eine oder andere auch erhoben werden kann, ein dasselbe in seinem Bauernstand segnender Verstand, ein es in seinem Bauernstand befriedigendes Herz, und eine es in seinem Bauernstand erhebende Kunstkraft.

Das Nämliche ist auch in Rücksicht auf den Bürgerstand und auf alle Stände mehr und minder gleich wahr. Dennoch aber ist die Erzielung dieser Übereinstimmung in jedem Stande auch in dem Grad schwieriger, als das Verkünstlungsverderben der Zeit die wesentlichen Fundamente des allgemeinen Haussegens und der allgemeinen Berufskraft dieses Stands in einem hohen Grad abgeschwächt und untergraben hat. Und die ausschweifende Disharmonie, die unsere Zeitsitten und Zeitgrundsätze in die Fundamente der städtischen Bildung zu einer segensvollen, häuslichen, beruhigenden Erwerbskraft hineingebracht, und die ihm wesentlich beiwohnenden Widersprüche eingewurzelter, und sich immer steigernder Anmaßungen, Ansprüche, Gewohnheiten und Bedürfnisse mit den sich immer mindernden, die häusliche Selbstständigkeit begründenden und sichernden Ressourcen des bürgerlichen Erwerbsstands haben hie und da in diesem Verhältniß[171] einen Zustand der Dinge hervorgebracht, daß nun die größere Anzahl der bürgerlichen Einwohner in sehr vielen, mehr und minder bedeutenden Städten nicht mehr wie ehemals in reiche, wohlhabende, bedürftige, aber auch in ihrer Dürftigkeit sich in bürgerlicher Ehrenfestigkeit erhaltende und über alles Gesindel emporstehende Bürger, und endlich in die gar nicht zahlreiche, unterste Klasse der ganz unbehülflich und unberathen dastehenden und sich dem Gesindelstand nähernden Spital- und Armenhaus-Bürger abgetheilt werden könnte.

Das ist jetzt ganz anders, und dieses ganz anders Seyn geht hie und da soweit, daß mich Männer, die den wahren Zustand der Zeitwelt im nähern Kreise der Umgebungen, in denen ich lebe, besser als ich kennen, versichern, es seyen hie und da nicht nur wenige, sondern viele, und dann noch bedeutende, städtische Örter dießfalls dahin versunken, daß man die größere Anzahl ihrer Einwohner, wenn man sie in der Wahrheit ihrer Lage in's Auge faßt, nicht mehr anders, als in ein abhängliches, in prekairen Ressourcen schwelgendes Prunkgesindel und in ein tief in Koth getretenes, außer den Ehrenkreis des im Grunde eben so armen Prunkgesindels hinausgeworfenes und in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht sich selbst und seinem Nothzustand preis gegebenes Bettelgesindel abtheilen könne. Das Bild ist stark; es ist grell; es schauert mir selbst davor, und man kann nicht mehr als ich wünschen, daß es geprüft und in der Wahrheit weniger drückend, weniger beunruhigend und weniger aus Unrechtlichkeit hervorgehend und zu Unrechtlichkeit hinführend, erfunden werde. Ich will auch in meiner beschränkten, nur in dem sehr kleinen Kreis meiner nahen Umgebungen sich ausdehnenden Weltkenntniß gerne glauben, daß es hierinn nur an wenigen städtischen Orten in diesem Grad grell, und beunruhigend aussehe und daß vielmehr auch an den schlechtesten dieser Örter die Zahl der bürgerlichen Einwohner, die weder zu dem dießfälligen Prunk-, noch zu dem dießfälligen Bettelgesindel gehören, weit die stärkere sey. Aber um der Ansicht von der Größe des Übels an jedem Ort, wo es dießfalls mehr oder minder so grell aussehen möchte, nichts zu vergeben, und nicht von ferne das Ansehen zu haben, als ob ich dieser Ansicht halber auf beyden Achseln trage, und mich mit der Sprache, wie ich wirklich darüber denke, mit vollkommenem, offenem Gradsinn herauszurücken[172] scheue, muß ich dem Gesagten noch beyfügen, daß ich alle Arten von Individuen, die ohne persönliches Eigenthum verdiente oder nicht verdiente Einkünfte jährlich aufbrauchen, um durch ihr Leben einen ihnen ungebührlichen Aufwand machen zu können, ohne dabey ihren Kindern, die sie in allen Ausschweifungen, Anmaßungen, Ansprüchen, Frechheiten und Gewaltthätigkeiten reich erzogener Bettler haben aufwachsen lassen, auch nur zu einem nothdürftig selbstständigen Unterhalt genugthuende Erbmittel zu hinterlassen, zu dem städtischen Prunkgesindel rechne, von dem ich geredet, und dessen erste und merkliche Verminderung ich als ein wesentliches und dringendes Bedürfniß unserer Zeit achte.

Die erste Stütze aller wahren und segensreichen Staatskraft ist sowohl im Bauern- und Bürgerstand als in den höhern Ständen, in dem in allen diesen Ständen selbstständigen, und durch seine Selbstständigkeit in seinen Verhältnissen allgemein Kraft und Segen verbreitenden Mittelstand zu suchen. Und es scheint mir dringendes Bedürfniß, alles zu thun, um den Segenseinfluß wieder herzustellen, den dieser in seiner Selbstständigkeit feststehende Mittelstand in allen Klassen, sowohl auf die begüterten Glieder der höhern Stände, als auf die bedürftigen Glieder des Bauern- und Bürgerstandes unter unsern Ahnen hatte, um sie zu allseitigem, individuellem Emporstreben nach Ehrenfestigkeit, Ehrbarkeit, Achtbarkeit und persönlicher Selbstständigkeit zu erheben. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß die Ausschweifungen unsers Zeitluxus großentheils im Mangel des Daseyns dieses selbstständigen Mittelstands in allen Ständen zu suchen sind, und eben so wenig, daß die Kräfte und Mittel, die zu seiner Wiederherstellung erforderlich sind, durch das, was wir in der Ausschweifung unsers Zeitluxus und unserer Zeitverkünstlung wirklich geworden sind, in uns selber und im häuslichen Leben aller Stände in einem hohen Grad abgeschwächt und beynahe bis zur Zernichtung in unserer Mitte verloren gegangen.

Seine Wiederherstellung fordert offenbar in den verschiedenen Ständen verschiedenartige Maßregeln, und wenn ich diesen Gesichtspunkt mit Rücksicht auf den Bürgerstand bestimmter ins Aug fasse, so finde ich, der Bürgerstand bedarf unstreitig nicht eigentlich einer größern Solidität in der Entfaltung und Begründung seiner Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft als[173] der Landmann, aber er bedarf einer merklich verschiedenen Form und Gestaltung der Entfaltungsmittel dieser Kräfte, so wie der Ausbildung der Anwendungsfertigkeiten derselben. Wenn der für seinen Stand genugsam gebildete Landmann dahin gebracht werden soll, nicht für jedes Brett, das gehobelt werden sollte, den Tischmacher, und für jeden Nagel, der in die Wand hineingeschlagen werden muß, den Schmid und den Schlosser mit einem Hammer und mit einer Zange in sein Haus kommen zu lassen, sondern in den Stand gesetzt werden muß, so etwas mit seinem eigenen Hobel zu hobeln und allfällig einen krummen Nagel auf seinem eigenen Feuerheerd glühend zu machen, und auf einem kleinen Hausamboß selber wieder gerad zu schlagen, so muß der für den bürgerlichen Erwerbsstand genugthuend vorbereitete Bürger durch seine Erziehung dahin gebracht werden, die Gegenstände der Kunst, welche die verschiedenen bürgerlichen Gewerbsarten ansprechen, mit mathematischer Genauigkeit und ästhetischem Takt in's Auge zu fassen, die Gegenstände der Zahl in algebraischen Auflösungen und die Gegenstände der Form im Zusammensetzen, Trennen und Vergleichen mit gebildeter Erfindungskraft und mathematischer Richtigkeit zu behandeln. Eben so muß der städtische Einwohner bey seiner Erziehung allgemein für die solide Kenntniß und Behandlung des vielseitigen Stoffes, der dem bürgerlichen Stand als Erwerbsmittel eigen ist, sorgfältig und genugthuend vorbereitet werden, und zwar nicht nur in Verbindung mit den geistigen Mitteln seiner Ausbildung in der Kunstkraft, sondern auch in Verbindung einer soliden und kraftvollen Handanlegung an die wesentlichen Theile der Ausübungsmittel der Kunstwerke.

Die tiefe Kraft der elementarischen Ausbildung ist thatsächlich außer allem Zweifel. Ihre Solidität weckt durch ihre Naturgemäßheit den Selbsttrieb, der dem Wesen aller Kunstkräfte zum Grunde liegt, in einem Grad auf, daß in dieser Rücksicht wohl geführte Kinder sich nicht bloß begnügen, das Wesen der Kunstbehandlung der Gegenstände geistig aufzufassen; ihre durch die elementarischen Bildungsmittel eingreifend und allgemein belebte Kunstkraft treibt sie mit unwiderstehlichen Reitzen selbst an, die Hand an die Kunstarbeiten, deren Wesen sie geistig ergriffen, wo sie immer Gelegenheit haben, anzulegen. Es wird ihnen eine wahre Lust, die Werkzeuge eines geschickten Drehers,[174] eines mathematischen Instrumentmachers, eines Uhrenmachers, eines Ebenisten und jedes bürgerlichen Arbeiters selbst in die Hand zu nehmen, ihren Gebrauch zu erforschen und sich, beydes, die Kunstfertigkeiten, die ihnen zum Grunde liegen, und diejenigen, die durch sie erzielt werden sollen, selbst eigen zu machen; dieser Umstand muß bey einer soliden Bildung zum bürgerlichen Erwerbsstand mit der größten Sorgfalt als ein vorzüglich und trefflich mitwirkendes Bildungsmittel für diesen Stand anerkannt und benutzt werden. Man kann sich nicht verhehlen, der bürgerliche Broderwerb, der bürgerliche Wohlstand und die bürgerliche Selbstständigkeit, diese wesentlichen Quellen eines soliden städtischen Mittelstands, hängen von der Allgemeinheit eines Grads der dem Bürgerstand tief eingeübten Kraft des selbsteigenen Handanlegens an die Gegenstände der bürgerlichen Berufsarten ab, und es ist wesentlich zu bemerken, daß die gute Ausführung der Idee der Elementarbildung durch die Solidität ihrer geistigen Ausbildungsmittel die Reitze zur selbsteigenen und selbstthätigen Handanlegung und Mitwirkung an bildenden Kunstarbeiten im Kinde selbst in dem Grad lebendig und kraftvoll erzeugt, als die Unnatur unsers, das Wesentliche der menschlichen Kräfte allgemein abschwächenden Zeitgeists und der ganze Umfang der Modeerziehungsmittel unsers Verkünstlungsverderbens und auch ihrer Routineschulmittel geeignet ist, den weit größern und weit bedeutendern Theil der Kinder des Bürgerstands vom selbstständigen Handanlegen an alles das abzuhalten, und dadurch zu alle dem unfähig zu machen, was den bürgerlichen Erwerbsstand in den Grundfertigkeiten, deren er zu seiner Äuffnung und Emporhebung zum Mittelstand bedarf, bilden, stärken und beleben und den Segen dieses Stands und aller seiner Verhältnisse allgemein solid begründen könnte.

Die untern Stände und auch die niederste Stufe derselben, das arme, eigenthumslose Volk, wird von den dringenden Bedürfnissen der Selbsterhaltung, es wird von der Noth des Lebens zum Handanlegen an alles, was ihm Brod giebt, von selbst gereitzt und sogar beim Mangel aller Nothhülfe der Kunst dennoch bis auf einen gewissen Grad von selbst gut oder wenigstens erträglich dazu vorbereitet und gebildet. Auch der Bürgerstand, wo er nicht durch Umstände, welche die Segenskräfte desselben entkräftet,[175] in den innern Fundamenten seiner wirklichen und wesentlichen Stellen zu Grunde gerichtet ist, findet im Wesen des bürgerlichen Erwerbs und im ganzen Umfang seiner, in der Natur seines Erwerbs liegenden Bildungsmittel, so wie in den Überresten der alten, ehrbaren und achtbaren, einfachern, beydes, anmaßungslosern und unerniedrigtern Thätigkeit dieses Standes allgemein von Kindheit an große und vielseitige Reitze zum wirklichen Handanlegen an die Gegenstände des bürgerlichen Erwerbs; er bedarf aber auch der Benutzung dieser Reitze vorzüglich in unserer Zeit im allgemeinen dringender als je. Ein sehr geachteter, aber im alten Geist meiner Vaterstadt fühlender, denkender und handelnder Bürger sagte gar oft: »Seitdem unsere Bürgerssöhne, deren Großväter noch im Schurzfell zum Herrn Bürgermeister und selber auf ihr Rathhaus giengen, mit adelichen Handschuhen auf den Bällen erschienen, seitdem ißt fast mehr oder minder die halbe Stadt Gnadenbrod und empfängt es gar oft aus der Hand von Menschen, die eines solchen in einem noch höhern Grad selbst bedürfen und in einer andern, nur etwas glänzenderen Form wirklich genießen.« Es ist unstreitig, der Bürgerstand im allgemeinen muß zu seiner geistigen Ausbildung und zur Erweiterung, mehr aber noch zur Solidität seiner höhern Ausbildung, durch thätige Theilnahme an den bürgerlichen Berufsarbeiten, folglich auch durch selbsteigenes Handanlegen an dieselben vorbereitet und gebildet werden.

Bei den höhern, in ihrer Höhe selbstständig und feststehenden Ständen ist dieses nicht der Fall. Sie bedürfen dessen nicht und in ihrer Lage liegen keine Reitze und keine Mittel dazu. Sie sind durch ihr Leben nie gezwungen, auch nur einen Augenblick nachzudenken, wo das Brod eigentlich herkomme. Sie können und sollen durchaus nicht durch die Thätigkeit ihrer Hände zur Thätigkeit ihres Geistes und zur Erhebung ihres Herzens hingeführt werden, sie müssen durch die Erhebung ihres Herzens und durch die Thätigkeit ihres Geistes zur Thätigkeit ihrer Hand angereitzt und hingelenkt werden.

In diesem Gesichtspunkt liegt das innere Wesen des Unterschieds, der in der Organisation der elementarischen Bildungsmittel der verschiedenen Stände zur naturgemäßen Entfaltung und Ausbildung ihrer Kräfte, Kenntnisse und Fertigkeiten statt finden muß. Das Wesen dieses Unterschieds geht im Bauernstand[176] und im bürgerlichen Gewerbsstand von dem höhern Grad der Ausbildung der Kräfte des Könnens, in den höhern Ständen von dem Bedürfniß der Erweiterung des richtigen Wissens und Kennens und in den wissenschaftlichen Ständen von der Befriedigung des Bedürfnisses der höhern Ausbildung seiner geistigen Anlagen zum tiefern Ergreifen und Durchforschen seiner Erkenntnißgegenstände aus. Der Segen des ganzen Erwerbsstands, sowohl des bürgerlichen als des ländlichen, hängt ganz von der Ausbildung der Kräfte des Könnens ab. Aller Erwerbssegen ruht auf dem Können; die Ausdehnung des Wissens trägt sehr wenig dazu bei. Die höhern Stände hingegen bedürfen als unterscheidendes Merkmal des Eigenthümlichen ihrer Ausbildungsweise einer merklichen Erweiterung des Wissens, aber auch nur eines, durch die Anschauung solid begründeten Wissens. Das eigentliche Können, dessen sie bedürfen, ruht auf dem Grad der Ausdehnung und der Solidität ihres Wissens, d.i. der Erkenntniß von Gegenständen und von Behandlungsweise der Gegenstände, für deren wirkliche und thatsächliche Behandlung sie vielseitig andrer Leute Hände an der Hand haben und brauchen dürfen und sollen. Das Personale der wissenschaftlich zu bildenden Stände bedarf, als unterscheidendes Merkmal seiner Standesbildung, weiter führender und tiefer greifender Ausbildungsmittel des geistigen und erforschenden Eindringens in das innere Wesen der Gegenstände, deren wissenschaftliche Erforschung und geistige Behandlung ihre Lebensbestimmung erfordert. Es bedarf der weiter führenden Ausbildung in den Kunst-Entfaltungsmitteln des logischen Denkens.

Es fragt sich nun: Was thut die Natur in dieser Rücksicht für die Erzielung dieses Eigenthümlichen, dessen vorzüglichem Ausbildung jeder dieser Stände bedarf? Und es fällt auf, die vorzüglichen Bildungsmittel dafür liegen in den, die Individuen dieser Stände näher berührenden und um sie belebten Thätigkeits-Gegenständen ihrer verschiedenen Stände, Lagen und Verhältnisse selber.

Bei den wissenschaftlich zu bildenden Ständen ist dieses nur in so weit der Fall, als Berufs-Gegenstände, die mit dem wissenschaftlichen Fache, zu dem ein Individuum bestimmt ist, eine nähere Beziehung haben, in seinem Hause oder in seinen nähern Umgebungen praktisch betrieben werden.[177]

Die menschliche Kunst ist bestimmt, diesem Gang der Natur in der Ausbildung unserer Kräfte, und zwar nach jeder Richtung, nach welcher diese ihr vorgeht, in Übereinstimmung mit ihr und ihr untergeordnet nachzuhelfen. Sie bedarf, um dieses zu können, in jedem Fall einer tiefen Erkenntniß und eines belebten Gefühls von dem Gang der Natur selber, in dessen Fußstapfen sie ihr nachfolgend und dienend eintreten soll. Sie ist aber in jedem Fall hiefür immer nur in dem Grad fähig, als ihre Mittel nicht durch das Verkünstelungs-Verderben der Zeit in ihr selbst zu Grunde gerichtet sind, und in diesem Zustand aus der Willkür des unnatürlichen Mißbrauchs der Kunstkraft, sondern aus den ewigen, der wahren Kunst zu Grunde liegenden Gesetzen der Menschennatur selber hervorgehen. Daraus folgt hinwieder, wo immer die Kunst dem Gang der Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Kräfte also nachhelfen soll, da müssen die elementarischen Entfaltungsmittel unserer Kräfte als die Grundlage der Ausbildungsmittel der Anwendungsfertigkeiten, so wie jedes speciellen Faches derselben und alles Eigenthümlichen, dessen diese Fächer bedürfen, angesehen und anerkannt werden. Es liegt in ihrer Natur und sie sind nur dadurch wahrhaft elementarisch, wenn sie sich im ganzen Umfang ihrer Anwendung und ihres Gebrauchs als die wahren und ewigen Grundlagen der Bildungsmittel aller speciellen Fertigkeiten, die jedes einzelne Kunstfach anspricht, bewähren; woraus sich auch dann die Naturgemäßheit der Steigerung der Ausbildungsmittel der einzelnen Kräfte, wie diese in den ungleichen Ständen und Lagen erfordert wird, heiter erklärt. Wenn das vornehmste Kind, das elementarisch geführt werden soll, dasjenige in seiner Vollendung besitzt, wodurch die elementarische Führung des ärmsten Kindes in der niedersten Hütte als für dasselbe genugthuend anerkannt werden kann, so hat es einen vollendet guten Boden für jede Steigerung der Bildungsmittel, deren es zur Befriedigung der höhern Ansprüche, die seine Lage und seine Verhältnisse erfordern, bedarf. Die Steigerung der Bildungsmittel, deren es bedarf, geht allgemein von den Grundsätzen und Übungen aus, die bei der elementarischen Führung der Kinder auch in den niedersten Ständen statt finden, und es ist bestimmt von der Einfachheit und Kunstlosigkeit dieser gemeinen, aber wesentlichen, elementarischen Grundübungen, die auch in den niedersten Ständen[178] statt finden müssen, von welchen die Mittel der Steigerung der Ausbildung der Kunstkräfte, deren die höhern Stände bedürfen, allein, naturgemäß und allgemein auszugehen vermögen.

Es ist unwidersprechlich, sobald die elementarische Führung der Kinder bei den niedersten Ständen in der Entfaltung der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft, als befriedigend und für sie genugthuend angesehen werden kann, so führen ihre Mittel den Zögling in der Ausbildung dieser Kräfte in jedem Fall auf den Punkt, aus welchem der höhere Punkt der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft, dessen ein höherer Stand bedarf, in so fern er ein Resultat der Kunstbildungsmittel dieser Kraft ist, gleichsam von selbst hervorgeht, der aber auch wesentlich nur ein leichter Zusatz zu dem ist, was er dieser Bildung halber schon wirklich besitzt. So ist die solidere Begründung des ausgedehntern Wissens, dessen die höhern Stände bedürfen, hinwieder eben so nur als ein, auf dem Wege der fortdauernden Elementarbildung zu erzielender Zusatz zu dem anzusehen, was die niedern Stände, wenn sie dießfalls elementarisch gut besorgt wären, wirklich besitzen würden. Diese Stände würden also durch die Solidität der Anfangspunkte der gemeinen Erkenntnisse, die ihnen mit den niedern Ständen gleich gegeben werden müssen, für den weitern Kreis der Kenntnisse und Fertigkeiten, deren sie in ihren höhern Verhältnissen bedürfen, und zur bildenden und naturgemäßen Anwendung ihrer Kräfte für die volle Benutzung des weitern Kreises der Anschauungsgegenstände ihrer hiefür günstigen Lagen und Verhältnisse naturgemäß vorbereitet.

Selbst die Eigenheiten, welche die Bildung zu jedem einzelnen Wissenschaftsfache anspricht, finden die Vorbereitungsmittel zu ihrer naturgemäßen und befriedigenden Einübung in der Einfachheit der elementarischen Entfaltung der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft, wie sie dem Kind in den niedern Strohhütten gegeben werden kann und gegeben werden sollte. Der Zusatz der tiefern, weiterführenden, elementarischen Kunst-Entfaltungsmittel, deren die wissenschaftliche Bildung bedarf, um sich unabhängend von ihrer Belebung durch die Anschauungs-Eindrücke zur solid begründeten Abstraktionskraft zu erheben, ist in seinem Wesen ebenfalls nichts anders als eine psychologisch geordnete Fortsetzung der Art und Weise, wie sie die Anschauungskraft, die Sprachkraft und die Denkkraft durch ihre, zur[179] höchsten Einfachheit erhobenen Elementarmittel allgemein für alle Stände zu begründen geeignet ist.

Die speciellen Mittel der Steigerung der Ausbildungsmittel der Abstraktionskraft, deren sie bedürfen, liegen vorzüglich in der Fortsetzung und Weiterführung der elementarischen Übungen der Geistesbildung, wie selbige in ihren Anfangspunkten von der elementarisch geordneten Zahl- und Formlehre ausgehen. So wie der Wirrwarr unserer Zeiterziehung, wenigstens in sehr vielen ihrer Theile, als ein Kind unserer Abschwächung und unserer Abschwächungs-Ausschweifungen angesehen werden muß, indem sie uns in den Mitteln einer kraftvollen Selbstständigkeit immer ärmer und dabei in der Armuth immer eitler, verschwenderischer und anspruchsvoller macht, als wir es bei den Kräften des dießfälligen guten Zustands und der Selbstständigkeit unserer Lagen, Verhältnisse und Umstände in häuslicher und bürgerlicher Hinsicht sicher nicht wären, so ist die Idee der Elementarbildung in der Wahrheit ihres Wesens und ihrer Kraft als die Mutter, Pflegerin und Wiederherstellerin der Kräfte, die wir durch die Abschwächungs-Ausschweifungen in der Erziehung täglich mehr verlieren, anzusehen und ins Aug zu fassen, indem sie uns durch die Solidität ihrer Mittel zu eben der Kraft im Erwerben alles dessen, was die menschliche Selbstständigkeit in allen Rücksichten zu begründen und zur Sparsamkeit in der Erhaltung alles dießfalls Erworbenen in einem hohen Grad kraftvoll hinführt. Und wir können uns nicht verhehlen, daß tausend und tausend edle, unbefangene Menschen auf jeder Stelle, auf welcher die Mittel dieser hohen Idee als Erfahrungssache anschaulich dargelegt würden, von ihnen ergriffen, in ihnen solide Mittel zur allmähligen Wiederherstellung der Einfachheit des häuslichen Lebens und der Fundamente der Selbstständigkeit unserer bessern Vorzeit, aus welcher der Segen des Mittelstands in allen Klassen der Staatsbürger in diesem Zeitpunkt hervorgieng, erkennen, und mit treuen, reinen Menschen- und Bürgerherzen Hand dazu bieten würden, sie in ihren Kreisen allgemein benutzen zu machen.

Aber so wie das innere Wesen der Entfaltung aller elementarischen Mittel an sich selbst ewig und unveränderlich ist, so sind nicht nur die Objekte und Gegenstände der Anwendung der Kräfte, für die jedes Individuum nach seiner Lage und nach seinen Umständen gebildet werden soll, sehr verschieden; sondern[180] auch der Grad, in welchem die elementarischen Geistes- und Kunstkräfte in den Individuen dieser ungleichen Stände ausgebildet werden müssen, ist eben so sehr verschieden. Die genugthuende Ausbildung aller menschlichen Kräfte hat in allen Ständen einen ausgedehntern oder beschränktern Kreis.

Die Ausbildung der Geistes- und Kunstkräfte, die dem Bauern genugthuend, ist dem städtischen Gewerbsmann, und diejenige, die dem städtischen Gewerbsmann und Handwerker genugthuend, ist dem höhern Geschäftsmann und den wissenschaftlich zu bildenden Ständen und Individuen nicht genugthuend.

Indessen die Kinder in den niedern, handarbeitenden Ständen diesfalls nach Lagen und Umständen beschränkt und auf keine Weise aus dem Kreis der Noth und der Umstände ausschweifend und herumschweifend gebildet werden dürfen, so dürfen sie hingegen in den höhern und wissenschaftlich zu bildenden Ständen nicht hinter den Kreis der wesentlichen Erfordernisse ihrer Lage und ihrer Verhältnisse zurückgedrängt werden. Merkwürdig ist es, der Kreis der nöthigen und sie wahrhaft bildenden Anschauungserkenntnisse steht den niedern Ständen in ihren Lagen und Verhältnissen weit belebter vor ihren Sinnen, als den höhern.

Die Natur hilft den lezten in der Begründung ihrer diesfalls nöthigen Ausbildung bei weitem nicht selbst nach, wie sie dieses bei den niedern Ständen vielseitig thut. Darum bedarf aber auch die Vorbereitung zu der Bildung, welche die höhern Stände und die zu einem wissenschaftlichen Beruf bestimmten Menschenklassen ansprechen, in jedem Fall eines weit ausgedehntern Bodens der Nachhülfe der Kunst zur Ausbildung ihrer Anschauungserkenntnisse, ihrer Spracherkenntnisse und ihrer Denkkraft, so wie zur Einübung aller Fertigkeiten des thätigen, Anstrengungskräfte erheischenden Lebens, welches die Lagen und die Umstände der höhern Stände eben so ernst ansprechen, als dieses in den niedern Ständen der Fall ist; und es ist wesentlich, daß diesem Bedürfniß der höhern Stände mit aller psychologischen Kunst und Sorgfalt, deren Erkenntniß die Idee der Elementarbildung nachstrebt, ein Genüge geleistet werde.

Aber so wahr dieses ist, so ist auf der andern Seite eben so wahr, der Sohn des Staubs darf im Wesen dieser Gesichtspunkte eben so wenig verwahrlost werden, als der Sohn des Glanzes in der Höhe seiner Marmorpaläste. Die Anschauungserkenntnisse,[181] die Spracherkenntnisse, die Denkkraft und die Fertigkeiten der äußern Thätigkeit, deren der Sohn des Staubs in den niedersten Hütten bedarf, können und sollten ihm auf eine, ihn in seinem Stande und in seinen Umständen eben so genugthuend befriedigende, seinen Geist, sein Herz und seine Hand mit gleicher Kraft ansprechende und erhebende Weise gegeben werden, wie dieses der Sohn des Glanzes für die ausgedehntern Erfordernisse seiner Lage und seiner Pflichten auch so bedarf und zu wünschen ist, daß er's finde. Dieses Problem, dessen Auflösung bestimmt eine der wesentlichsten Aufgaben der Idee der Elementarbildung ist, fällt beym ersten Anblick als sehr schwer in die Augen. Aber indem die tiefe Erforschung des Wesens und der Wirkungen dieser hohen Idee uns die Unnatur und Fundamentlosigkeit der ihr thatsächlich entgegenstehenden Routinebildungsmittel unsers Zeitverkünstlungsverderbens in einem großen Umfange und mit großer Lebendigkeit auffallen macht, so wirkt diese Erforschung ihrer Natur nach auch dahin, die anscheinenden Schwierigkeiten der Auflösung dieses Problems vielseitig gleichsam von selbst wegfallen zu machen.

Von diesem Gesichtspunkt aus erheitert sich auch die, für die Idee der Elementarbildung so wichtige Wahrheit, daß, so wie die Mehrzahl der Probleme, die sie aufzulösen hat, durch die Unnatur des Verkünstelungsverderbens, aus dem sie hervorgehen, unter einander zusammenhängen und sich gegenseitig mit ihren Scheinkräften unterstützen und beleben, so hangen die elementarischen Mittel der Auflösung dieser Probleme durch das Wesen der Menschennatur selber und durch die Einheit derselben, aus der sie hervorgehen, unter sich eben so zusammen, und unterstützen sich in den Mitteln ihrer Auflösung gegenseitig mit dem ganzen Umfang und mit der ganzen Wahrheit ihrer Kraft, in dem Grad mächtig und eingreifend in die Menschennatur, als sie solid elementarisch sind, und folglich aus der Menschennatur selber hervorgehen. Die Wahrheit dieses Gesichtspunkts erheitert sich in ihrem ganzen Umfang von jeder Seite, von welcher die Idee der Elementarbildung und die Natur und das Wesen ihrer Mittel und ihrer Resultate in's Auge gefaßt werden. Insonderheit gibt dieser Gesichtspunkt auch darüber Licht, daß die gemeinen Ansichten des Lebens, wenn sie zu einem Grad der Reifung gelangt sind, sich an die wissenschaftlichen Ansichten eben dieser Gegenstände[182] anschließen und naturgemäß auf die tiefere Erkenntniß derselben vorbereitend einwirken. Jede, dem Menschenkind auf eine solide Weise eingeübte Erkenntniß ist, wenn sie auch die allergemeinste Anschauungserscheinung im Leben des Volks ist und aus demselben hervorgeht, in so weit als eine solide Begründung und Vorbereitung einer naturgemäßen Einübung der ausgedehntern Anschauungserkenntnisse, deren die Bildung zur wissenschaftlichen Ansicht und Behandlung der Anschauungsgegenstände bedarf, anzusehen.

In jedem Fall grenzt eine jede, sey es auch im niedersten, engsten Erfahrungskreis, vollendet eingeübte Erkenntniß irgend eines Anschauungsgegenstands an die wissenschaftliche Erkenntnißweise eben dieses Gegenstands.

Der Endpunkt der elementarisch genugthuend eingeübten, gemeinen Anschauungserkenntnisse des Lebens grenzt in jedem Fall an den naturgemäßen Anfangspunkt der elementarisch zu bildenden wissenschaftlichen Ansicht und Behandlung eben dieses Gegenstandes. Dieser Anfangspunkt aber geht durchaus und wesentlich nur von der einfachen Erweiterung des Anschauungskreises der Gegenstände, die der Zögling im Kreis seiner Umgebungen sich zum voraus schon eigen gemacht hat, hervor. Der naturgemäß erweiterte und durch die elementarische Entfaltung der Sprachkraft unterstützte und belebte Kreis der Anschauungserkenntnisse führt natürlicherweise zur Erweiterung des Stoffes der logischen Behandlung eben dieser Gegenstände, er führt zu Übungen, dieselben nach verschiedenen Gesichtspunkten und in verschiedenen Rücksichten geistig in sich selbst zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, d.i. sie als Übungen der Denk- und Urtheilskraft zu benutzen und sich zur wissenschaftlichen Erkenntniß eben dieser Gegenstände zu erheben.

So weitführend und tiefgreifend der Grundsatz im Allgemeinen ist, daß die Elementarbildungsmittel in ihrem ganzen Umfang mit der Lage und mit den Umständen eines jeden ihrer Zöglinge in Übereinstimmung gebracht und darum in ihrer Anwendung bei ihnen in ihren verschiedenen Ständen ungleich benutzt werden müssen; so weitführend und tiefgreifend ist es hinwieder auch, in besonderer Rücksicht den Grad der Ausdehnung oder Beschränkung zu erforschen, in welchem die elementarischen Kunstmittel der Geistesbildung den einzelnen[183] Menschen in den verschiedenen Ständen gegeben und eingeübt werden müssen. Würde man dem Stande der Landbauern in der Einübung der elementarischen Kunstbildungsmittel im allgemeinen den Grad der Ausbildung oder vielmehr der tiefern Begründung ertheilen wollen, dessen der bürgerliche Erwerbsstand bestimmt bedarf, so würde dieser Stand die Übereinstimmung seiner Bildung mit seiner Lage, seinen Umständen, Kräften und Bedürfnissen in einem hohen Grad verlieren und in sich selbst verwirrt den Samen einer Gemüthsstimmung entkeimen machen, der ihm die Schranken seines Standes und seiner Umstände zu seinem Unglück zur drückenden Last machen könnte und müßte. Der nämliche Fall ist es, wenn man dem Bürgerstand, der in der bürgerlichen Kunst- und Gewerbsindustrie den Wohlstand seines Hauses gründen und auf Kinder und Kindeskinder hinab erhalten und äufnen soll, allgemein und ohne Unterschied in der elementarischen Sprach-, Zahl- und Formlehre den Grad der Ausbildung ertheilen und eigen machen, und überhaupt das Wissen dieses Standes nach vielseitigen Richtungen durch die Einübung seiner Kunstbildungsmittel in dem Grad ausdehnen wollte, in dem es den höhern und wissenschaftlich zu bildenden Ständen ausgedehnt eingeübt werden muß, damit sie in denselben Reiz und Mittel zu einer, ihnen in ihren Lagen und Umständen nothwendigen und ihrer würdigen Ausbildung ihrer Kräfte finden, so würde man hinwieder den Bürgerstand durch die Heterogenität seiner Geistes- und Kunstbildung mit dem positiven Zustand seiner Lagen, Umstände und Verhältnisse, und mit den wesentlichsten und solidesten Segensquellen derselben in Widerspruch bringen.

Um aber den Grad zu bestimmen, in welchem die Kunstbildungsmittel dieser hohen Idee den Individuen aller Stände im allgemeinen eingeübt und gegeben werden sollen, muß man das Verhältniß der Natur und des Wesens einer jeden dieser, eine solide Cultur gleich ansprechenden Volksklassen genau ins Auge fassen; und dann fällt auf, daß die Geistesbildung der handarbeitenden Stände in einem weit kleinern Grad ein Resultat ihres Abstractionsvermögens als ihres Anschauungsvermögens und ihrer Sinne- und Handübungen ist; daß folglich die Kunstmittel der Geistesbildung dieser Stände wesentlich und vorzüglich von Sinnen- und Handübungen ausgehen und auf dieselben[184] gegründet werden müssen. Für den handarbeitenden Mann ist die genugthuende und kraftvolle Ausbildung seiner Sinne und Glieder zum Dienst alles dessen, was seinen Lebenssegen begründet, die Stuffenleiter, auf welcher er sich zum richtigen und ihn in seinen Lagen und Verhältnissen segnenden Denken emporzuheben berufen ist. Die Ausbildung seines Abstractionsvermögens muß aus dem, durch tägliche Übung gereiften Gebrauch seiner Organe und seiner Glieder hervorgehen und darauf begründet werden. Die Kraft seines Abstractionsvermögens muß aus der Reifung seiner Organe zum Sehen und Hören, und aus der Reifung seiner Glieder zum Thun und Handeln hervorgehen.

Das ist von den ersten Anfangspunkten seiner Kunstbildungsmittel gleich wahr. Auch sein Lesen- und Schreibenlernen ist diesem Gesichtspunkt unterworfen, und muß, wenn es ihm naturgemäß eingeübt werden soll, aus seinem gereiften Redenkönnen hervorgehen. Sein Redenlernen muß indeß in den niedern Ständen weit weniger von den Kunstmitteln des Lesens und Schreibens unterstützt oder vielmehr verfeinert werden, als man dieses bey den sogeheißenen gebildeten Ständen zu glauben scheint und ausübt. Diese sind hundertmal im Fall, durch's Lesen und Schreiben zum Reden gebildet und darin beholfen zu werden. So widernatürlich dieses auch an sich ist, so schadet es den Kindern aus den diesfälligen Ständen dennoch weit weniger, als es den Kindern aus gemeinen, handarbeitenden Ständen schaden würde, wenn dieses auch bey ihnen vielseitig der Fall wäre. Je größer und vielseitiger die Unnatur in der Führung eines Kindes im allgemeinen ist, desto weniger schadet ihm ein einzelner Punkt dieser Unnatur an sich selbst. Je einfacher und beschränkter der Stand eines Menschen ist, desto mehr bedarf er der höchsten Einfachheit und Beschränkung in den Kunstausbildungsmitteln seiner Erziehung. Der Landbauer, als solcher, bedarf der Sprach-, Zahl- und Formlehre nur in dem Grad, als er dadurch in den Stand gesetzt wird, die Mittel, die er als Bauer für die Gründung eines soliden Wohlstandes in seiner Hand hat, mit Erfolg dafür zu benutzen. Er muß Sprachkenntnisse und richtige Sprachkenntnisse besitzen, um sich über alles, was er in seiner Lage und in seinen Verhältnissen wissen soll, mit Bestimmtheit und Klarheit aussprechen zu können. Eben so muß sein Denkvermögen durch die gereifte Kraft seines Anschauungsvermögens in den[185] Stand gesetzt werden, alles, was ihm in seinem Kreis zur Verbesserung seiner Lage an der Hand liegt, richtig ins Auge zu fassen, wohl zu überdenken, um es mit Sicherheit segensreich benutzen zu können. Das heißt aber auch bestimmt, seine Anschauungskraft muß durch die Kunstmittel der Elementarbildung sehr viel weiter geführt werden, als es für ihn nothwendig ist, sein Abstraktionsvermögen durch diese Kunstmittel weit zu führen. Seine Denkkraft darf durch die Weiterführung in den Übungen dieser Kunstformen zur Bildung des Abstraktionsvermögens nicht dahin gesteigert werden, um vielerlei Reize in ihn zu bringen, dieselbe außer dem Kreise und im Widerspruch mit seiner ländlichen Lage benutzen oder vielmehr damit brilliren zu wollen.

Die nämliche Ansicht findet diesfalls auch im allgemeinen in Rücksicht auf den Bürgerstand statt. Auch für diesen Stand müssen die elementarischen Kunstübungen zur Bildung des Abstractionsvermögens im allgemeinen nicht über die Schranken der Bedürfnisse, welche die Bildung desselben zu seiner kraftvollen Thätigkeit fordert, gegeben und nicht auf den Grad gesteigert werden, auf dem es die Menschen, die durch ihre Bestimmung zu einem speciellen wissenschaftlichen Fache, das entweder ein tieferes Sprachstudium, höhere mathematische Fertigkeiten oder ausgedehnte, weit führende wissenschaftliche und Weltkenntnisse anspricht, bedürfen. Indessen sind die Bedürfnisse des Bürgerstandes in Rücksicht auf die ausgedehntern oder beschränktern Kunstausbildungsmittel des Abstraktionsvermögens individualiter so verschieden, daß es auch nur mit fester Rücksicht auf das Individuum, von dem in jedem Fall die Rede ist, möglich ist, diesen Grad für dasselbe mit Genauigkeit zu bestimmen.

Die höhern Stände hingegen, so wie jede einzelne Person, die durch ihren Stand, Rang oder ökonomischen Wohlstand ihre Zeit und ihre Kräfte, ohne Rücksicht auf diesfalls hemmende Schranken ihrer Lage, auf einen hohen Grad wissenschaftlicher Ausbildung zu verwenden im Stande sind, oder dazu berufen scheinen, müssen in den soliden Kunstausbildungsmitteln des Abstraktionsvermögens, die in der elementarischen Behandlung der Zahl- und Formlehre liegen, auf einen, den höhern Ansprüchen ihrer Lage bestimmt genugthuenden Grad geführt werden,[186] damit sie dadurch vor dem weitführenden und nicht nur ihnen selbst, sondern auch ihren Mitmenschen gefährlichen Unglück bewahrt werden, auf der Bahn des oberflächlichen Vielwissens und des armseligen Allwissens der Kraft-, Takt- und Karakterlosigkeit eines Zeitgeists zu unterliegen, dessen verderbensvolle Erfahrungen uns doch endlich zur Überzeugung gebracht haben sollten, daß der geistige Luxus unserer oberflächlichen Erkenntnisse, mit dem physischen Luxus unserer Tage vereinigt, (damit ich nicht mehr sage und nur den kleinsten, äußerlichen Theil ihres verderblichen Einflusses berühre) den Nervus rerum allen Ständen und den niedern derselben besonders bis auf den letzten Heller aus den Händen spielt.

Alle diese Unterscheidungen des Grads, in welchem die Mittel der Elementarbildung den ungleichen Ständen gegeben werden müssen, haben ihr Fundament im Geist und Wesen von Bedürfnissen und Ansprachen der Menschennatur selber; und es ist vermöge dieses Zusammenhangs, daß diese Mittel, in welchem Grade sie auch immer den ungleichen Ständen und Individuen eingeübt werden müssen, sich auf der einen Seite in ihrem ganzen Umfang auch selber als Geist und Leben bewähren, indem sie auf der andern Seite zugleich geeignet seyn müssen, mit sinnlicher, physischer Kraft in's Fleisch und Blut der Zöglinge, denen sie eingeübt werden, hinüber zu gehen.

Es fällt auf, daß die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die die Übereinstimmung der Führung der Kinder jedes Standes hierin erfordert, bey ihnen von der Wiege auf statt finden sollen. Das Bedürfniß dieser Vorbereitung aller Resultate der Elementarbildung von der Wiege an ist im ganzen Umfang ihrer Mittel allgemein. Ohne seine Befriedigung mangelt die Idee der Elementarbildung den naturgemäßen Anfangspunkt des soliden Einflusses auf das Wachsthum aller unserer Kräfte und mit ihm auf die Sicherstellung des innigen Zusammenhang's derselben unter einander. Und da der Gang der Natur, in dessen Fußstapfen der Gang der Kunst ihr nachhelfend eintreten soll, den Anfangspunkt der soliden Entfaltungsmittel unserer Kräfte in der Einheit der Menschennatur besitzt und durch ihn allgemein, von der Wiege an, auf die Vereinigung und den Zusammenhang der Resultate aller Bildungsmittel unsers Geschlechts einwirkt, so ist offenbar, daß die Kunst, eben so von der Wiege an, den Anfangspunkt[187] aller ihrer Mittel in der Einheit der Menschennatur suchen und durch sie die Harmonie ihrer Resultate und ihre Übereinstimmung mit dem Gang der Natur zu erzielen trachten muß.

Der Mittelpunkt der Kraft der Idee der Elementarbildung zu allem diesem ruht wesentlich in diesem Gesichtspunkt, aus welchem sich denn auch die Nothwendigkeit ergiebt, den ganzen Umfang ihrer Mittel gemeinsam und im Zusammenhang unter einander von der Wiege an zu beleben, zu stärken und zu fördern und dieselben in ihrer Einfachheit selber in die Hand der Mütter zu legen, in denen der Trieb, nach ihnen zu haschen und sie zu ergreifen, schon zum voraus instinktartig belebt vorliegt und sie in den Stand stellt, sie für ihre Kinder in sittlicher, geistiger und Kunsthinsicht auf eine Weise zu benutzen, daß ihre Bildungskraft einfach und belebt auch in ihre Kinder übergeht und diese in den Stand setzt, nicht nur innerlich und naturgemäß belebt zu empfangen, was die Mütter ihnen also einüben, sondern sie noch dahin bringt, das, was ihnen beym festgehaltenen Organismus dieser Übungen beygebracht worden, ihren Geschwistern und jedem andern Kinde selber wieder mitzutheilen, einzuüben und beyzubringen; wodurch offenbar die Erziehungskräfte im häuslichen Leben in Millionen Menschen belebt werden könnten, in denen sie ohne die Erkenntniß und Benutzung dieser Grundsätze und Mittel unbelebt stocken bleiben und naturwidrig ausarten müßten.

Aber indem ich dieses annehme und festsetze, kann ich mir nicht verhehlen, man wird mir dagegen einwenden, es sey eine Thorheit zu glauben, daß die Anerkennung der Idee der Elementarbildung jemals dahin wirken werde, daß diejenigen unserer Zeitmütter und Zeitväter, die nicht die Noth dazu zwingt, sich je mit Ernst persönlich mit der Erziehung ihrer Kinder abgeben so werden. Ich glaube das im allgemeinen selbst, und weiß sogar, daß es jetzt allgemein Mode und beynahe zu einer Ehrensache so vieler Eltern dieser Stände geworden, ganz treuherzig einzugestehen: sie verstehen nichts von der Erziehungskunst, sie müssen ihre Kinder bezahlten Händen anvertrauen, indessen lassen sie sich weder Mühe noch Geld dauern, hiefür gute Subjecte aufzufinden und auszuspüren. Und sie thun dieses wirklich auch gar oft mit dem Anschein großer Generosität, aber auch sehr oft mit unglaublichem Erfolg. Es ist nicht anders möglich.[188]

Das Auffinden eines guten Erziehers ist für jemand, der nicht weiß, was ein guter Erzieher seyn soll, ein Glück, wie das große Loos in einer Lotterie; und obgleich, wie das Sprichwort sagt, oft auch eine blinde Kuh ein Hufeisen findet, so ist ein solcher Glücksfall dennoch immer eine Seltenheit, und es begegnet sehr vielen Leuten, die auf diesem Wege sich Erziehungshalber des großen Looses in der Lotterie durch die Größe des Jahrlohns versichern wollen, daß sie mit dem größten Jahrlohn einen schlechtern Erzieher erhalten, als wenn sie selber aus Geiz den wohlfeilsten angestellt hätten. Dieses Unglück betrifft sehr viele Personen aus den höhern und sehr begüterten Ständen. Es ist aber auch sehr groß, so wie die Zahl der Menschen, welche die Irrthümer unserer Modeerziehung zum Nachtheil ihrer Kinder mit schwerem Geld gekauft haben, und die Folgen ihrer Verirrung zum Theil mit lauten Äußerungen bejammern. Aber es ist auch hiemit, wie mit vielem andern, noch nicht alle Tage Abend. Es kann eine Zeit kommen, daß edle Menschen aus allen und besonders aus den höhern Ständen durch ernstes Nachdenken über das, was ein guter Erzieher seyn soll, dahin kommen werden, über diesen Gesichtspunkt richtiger zu urtheilen, und mit einem, durch die Anschauung der Folgen der Elementarbildung belebten Vater- und Mutterherzen Hand biethen werden, dem Modeton der dießfälligen Unkunde eine bessere Mode zu substituiren. Die immer steigende, ökonomische Beschränkung, welche die großen, gegenwärtigen und unausweichlich noch zu erwartenden Folgen unserer allgemeinen, das Mark unserer Kräfte abschwächenden Zeitverkünstlung nothwendig herbeyführen muß, kann sehr vieles zur Änderung des dießfälligen Modetons beytragen und dahin wirken, den wesentlichen Ursachen der sittlichen, geistigen und physischen Irreführung und Verwahrlosung von Millionen Kindern unserer Tage in den wichtigsten Angelegenheiten der Erziehung mit Erfolg ein Ziel zu setzen.

Wir dürfen die Möglichkeit dieses Begegnisses um so mehr mit etwas Zuversicht erwarten, da es unwidersprechlich ist, daß die Anerkennung der Vorzüge und der Bedürfnisse der naturgemäßen Erziehung, welche die Idee der Elementarbildung bezweckt, in ökonomischer Hinsicht allerdings zu einer soliden Erkenntniß der wahren Fundamente des Haussegens und der häuslichen Selbstständigkeit und dadurch zu einer tiefern Erkenntniß der[189] Mittel, sie zu begründen, naturgemäß und mit Sicherheit hinführt. Je näher wir die Natur dieses Segens ins Auge fassen, desto mehr muß es uns auffallen, daß wir desselben gegenwärtig mehr und dringender bedürfen, als es vielleicht in der Welt je der Fall war. Der Weltsinn unsers Verkünstlungsverderbens hat eine Höhe erreicht und von dieser Seite so tiefe Wurzeln gefaßt, wie dieses wenigstens in christlichen Zeitaltern kaum je der Fall war. Das aber soll die Freunde der Menschheit und der Erziehung nichts weniger als muthlos machen. Es ist eben so wahr, da, wo die Verkünstlung ihre Abschwächungs-Gewalt auf das Höchste getrieben, da wird das Gefühl des Bedürfnisses einer, die geschwächten Kräfte solid wieder herzustellen fähigen Kunst in eben dem Grad groß, und führt in jedem Falle Umstände und Verhältnisse herbey, deren allgemein nachtheiliges und drückendes Daseyn den Segen wahrhaft naturgemäßer Bildungsmittel jedem auch nur in einem gewissen Grad unbefangenen Vater- und Mutterherzen auffallen machen muß. Dennoch aber dürfen wir uns freylich auch in dieser Rücksicht nicht blindlings täuschenden Hoffnungen überlassen. Die Schwierigkeiten der Allgemeinmachung der Idee der Elementarbildung sind eben so groß, als das Verkünstlungsverderben, dem sie entgegenwirken sollten, dieses auch ist. Die bisher und gegenwärtig noch stattfindende und in einem so hohen Grad belebte, entgegengesetzte Richtung unserer selbst, unserer Neigungen und Ansichten gegen die wesentlichsten Theile der Idee der Elementarbildung, verschlingt alle Fundamente der Kräfte und Fertigkeiten, deren wir bedürfen, um über das Wesen dieser hohen Idee richtig zu urtheilen, und von den Vortheilen derselben ergriffen, in den Stand gesetzt zu werden, die Mittel der Individualsorge für unsere sittliche, geistige und physische Existenz nicht von dem Übergewicht der Bildungs- und Abrichtungsmittel unserer Collectivexistenz verschlingen zu lassen.

Offenbar ist, daß nur tiefer greifende, psychologische Grundsätze über das Wesen der Erziehung und der Menschenbildung im Stande seyn können, uns in diesem wesentlichen Bedürfnisse unserer Zeitlage wahre und solide Hülfe zu leisten, oder auch nur uns die Bahn zu eröffnen, auf welcher es allein möglich ist, diesem wichtigen Ziel mit gegründeter Hoffnung eines guten Erfolgs entgegenzuschreiten. Ich schreibe der Idee der Elementarbildung[190] diese Kraft, gestützt auf die thatsächlich bestätigte Überzeugung zu, daß ihre Mittel die Individualsorge für die sittliche, geistige und physische Selbstständigkeit unserer Kräfte beym Menschen in dem Grad auf sich selbst concentriren und in ihm selbst beleben, als die Routinemittel unsers Verkünstlungsverderbens die Fundamente dieser Sorge in ihm selbst abschwächen und dilapidieren. Sie können nicht anders; sie müssen dieses thun. Die Zeitbildung ist im allgemeinen ihres Einflusses und ihrer Mittel in jedem Stande weit mehr ein Resultat der Collectivansprüche unsers Geschlechts, wie diese sich in der Laune und in der Willkühr ihres Wechsels immer veränderlich aussprechen, als ein Resultat der guten Besorgung der allgemeinen Bedürfnisse der Menschennatur selber, wie diese sich bey jedem einzelnen Individuum, vermöge der ewigen Gesetze der Menschennatur selber aussprechen und aussprechen müssen. Unsere Zeitbildung ist im allgemeinen des Einflusses ihrer Mittel und ihrer Wirkungen unendlich mehr einmischend in das, was uns fremde ist, als bildend für das, was wir selbst sind, und was wir als selbstständige Wesen um unserer selbst willen bedürfen und nöthig haben.

Die Folgen dieses Umstands sind von der höchsten Wichtigkeit. Ganz gewiß hat die Unruhe unserer Tage und der ganze Umfang aller ihrer blutigen und windigen Erscheinungen ihre Quelle in der immer steigenden Abschwächung unserer Individualkräfte für unsere Selbsthülfe, die sich durch den Einfluß unsers Verkünstlungsverderbens mit jedem Tag verstärkt, zu suchen. Es ist unstreitig, wenn die allgemeine Anerkennung der Segenskräfte der Idee der Elementarbildung auch nur dahin wirken würde, die Individualbildungsmittel unsers Geschlechts von Millionen Menschen um ein Geringes, um ein sehr Geringes zu erhöhen, so würden die Segenskräfte, die in Millionen Individuen auch nur um dieses Geringe wahrhaft verstärkt würden, auch die Staatskräfte um ein Großes, um ein sehr Großes erhöhen. Diese große Idee würde aber, wenn die Zeitwelt einmal tiefer von ihr ergriffen und zu ihrer Benutzung reifer geworden wäre, die Individualkräfte der einzelnen Staatsglieder nicht um ein Geringes, sie würde sie um ein Großes, um ein recht Großes erhöhen. Sie könnte nicht anders. Der Weg der elementarischen Verstärkung der menschlichen Kräfte ist der Weg der Natur. Er ist göttlich gegründet, und das Gift des Verkünstlungsverderbens,[191] dessen Opfer heute die Welt von den Täuschungen und dem Spielwerk des Papiergelds bis auf den Trug und die Täuschungen tausenderley Papier- und Bücher-, selber Schulbücher-Spielwerke hinab früher oder später zu werden gefahret, hat in unserer Zeit und in unserer Mitte unaussprechlich tiefe Wurzeln gefaßt und eine Höhe seiner Vergiftungskünste erreicht, die die Welt, nach meinem Urtheil, wenigstens in christlichen Zeitläufen im allgemeinen noch nie erlebt.

Das Wort, das ich dieser Idee halber ausgesprochen, ist groß, und ich möchte weder mich selbst darüber täuschen noch irgend jemand seinethalben irreführen. Ich werfe meinen Blick noch einmal auf den Geist, aus welchem die große Idee der Elementarbildung hervorgeht, und fasse ihn zuerst in sittlicher Hinsicht ins Auge. Ich muß es. Der Anfangs- und Mittelpunkt der Vereinigung aller Segensfundamente, die in den Kräften unserer Natur selbst liegen, geht von diesem Gesichtspunkt aus, und setzt die naturgemäße Entfaltung der Gemüthlichkeit, die aus der Liebe und aus dem Vertrauen wesentlich hervorgeht, voraus; und indem sie durch ihr Bestreben den ganzen Umfang der Erziehungs- und Unterrichtsmittel durch ihre Vereinfachung den Wohnstuben aller Stände näher zu bringen sucht, ist sie dadurch offenbar geeignet, zur naturgemäßen Entfaltung der sittlich-religiösen Anlagen unsers Geschlechts die erste, segensvolle, menschliche Handbietung zu leisten. Weit entfernt, daß sie zu bloßen moralischen Wortlehren und einseitig belebter, geistiger Auffassung derselben hinlenke, und durch das Auswendiglernen sich mönchisch eingeübter, rabbinisch erläuterter, sektenartig belebter und collectiv verhärteter Religionsmeynungen den heiligen Samen der wahren Religion in unbebauten Boden, zwischen Dornen und Disteln und in Wegen, wo ihn die Vögel auffressen und die Menschen zertreten, hinwerfe, und ohne thatsächliche, kraftvolle Belebung der Liebe und des Glaubens im Fleisch und Blut der Menschen und allfällig in den mißlichen, mit der Belebung des Fleisches und des Blutes innig zusammenhängenden Belebungsmitteln der Einbildungskraft ihr segens- und kraftloses Spiel treiben läßt, ist sie im Gegentheil geeignet, die wahren und ewigen Fundamente der Liebe und des Glaubens von der Wiege an durch thatsächliche Belebung ihrer selbst in der Wahrheit ihres reinsten menschlichen Anfangspunkts[192] zu entfalten und das Emporheben der sinnlichen menschlichen Liebe und des sinnlichen menschlichen Glaubens zur höhern göttlichen Liebe und zum wahren Glauben naturgemäß menschlich zu begründen.

Je tiefer wir die Idee der Elementarbildung in ihrer Wahrheit und in ihrer Kraft von dieser Seite ins Auge fassen, desto mehr fällt es auf, daß sie in ihrem Wesen Geist und Leben ist, und in ihren Mitteln als eine, aus Glauben und Liebe hervorgehende und im Glauben und in der Liebe einwirkende, menschliche Handbietung und Vorbereitungsweise zum wahrhaft christlichen Fühlen, Denken und Handeln anzusehen ist und anerkannt werden muß; es fällt auf, daß sie geeignet ist, alles, was uns die Religion als Pflicht gebietet und so weit dieses durch die Kraft menschlicher Mitwirkung erzielt und befördert werden kann, von der Wiege an uns einzuüben, habituel und gleichsam zur andern Natur zu machen.

Es ist nicht anders möglich, als daß die Entfaltungsweise der menschlichen Kräfte, in so fern sie in elementarischer Reinheit aus Liebe und Glauben hervorgeht, und das Wachsthum ihrer Vorschritte im Glauben und in der Liebe zu erzielen sucht, nicht zur naturgemäßen, menschlich mitwirkenden Begründung des christlichen Denkens, Fühlens und Handelns hinführen müsse.

Ich habe zwar oben gesagt, die religiöse Sittlichkeit gehe durchaus nicht von der menschlichen Kunst aus; sie habe eine tiefere Begründung und müsse von einem höhern Standpunkt aus ins Auge gefaßt werden. Der Gedanke ist richtig; aber er fordert eine nähere Bestimmung. Die religiöse Sittlichkeit fordert von der Wiege an menschliche Handbietung zur Angewöhnung alles dessen, was die Religion uns im Umfang aller unserer Verhältnisse, folglich in häuslicher und bürgerlicher Hinsicht zur menschlichen Pflicht macht. In dieser Rücksicht ist es unwidersprechlich, die Religion, die an sich selbst von einem höhern Standpunkt ausgeht, benutzt, vollendet und heiligt alle Resultate der menschlichen Kunst zur Begründung der sittlichen Angewöhnungen, die sie uns unumgänglich zur Pflicht macht. Aber an sich selbst gibt sie uns diese Angewöhnungen nicht. Sie übt sie uns an sich selbst nicht ein; sie unterrichtet uns nicht darin; aber sie benutzt dazu menschliche Handbietung im ganzen Umfang der Verhältnisse, die uns diesen Unterricht zu geben und uns diese Angewöhnungen[193] einzuüben im Stande und geeignet sind. Es versteht sich von selbst, die Religion bildet an sich keinen Kaufmann, keinen Gewerbsmann, keinen Gelehrten und keinen Künstler. Aber sie vollendet, was sie nicht gibt; sie heiligt, was sie nicht erschafft, und segnet, was sie nicht lehrt. Sie begründet, entfaltet und sichert die Gemüthsstimmung, die den Stand des Kaufmanns, des Gewerbsmanns, und jeden andern Stand im Innern seines Wesens erhebt, heiligt, reinigt und wahrhaft menschlich macht.

Die Religiosität, dieses höhere Resultat aller wahren menschlichen Bildung, ist durchaus kein Erzeugniß und kein Beförderungsmittel der sinnlichen Menschlichkeit und ihrer Bestrebungen, Mittel und Kräfte, als solcher; die Welt ist ihr nichts, aber sie braucht die Welt und alle ihre Mittel und Kräfte zum Dienst des Höhern und Göttlichen, das in ihr lebt, und dieses mit einer Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Thätigkeit, als wäre sie im Dienst der Welt selber. Aber sie ist es nicht; sie darf es nicht seyn. Die Religion macht uns das Sinnliche, Thierische unseres Fleisches und unseres Bluts, das den göttlichen Funken, der ihr zum Grunde liegt, ihn verderbend und auslöschend umhüllt, tief in uns selber fühlen und erhebt uns zum ernsten, unabläßlichen Kampf gegen dasselbe. Sie erkennt auch die sinnlichen Erscheinungen der Anfangspunkte der Liebe und des Vertrauens, in so fern wir sie mit den Thieren des Felds gemein haben, so wenig als die intellektuellen und Kunstkräfte, die uns thierisch-sinnlich belebt und zum Theil instinktartig inwohnen, als Kräfte des innern, göttlichen Funkens, aus welchem alle wahre Menschlichkeit und alle wahre Religiosität hervorgeht. Selber die Liebe, als bloßes sinnliches Wohlwollen ins Auge gefaßt, ist nicht Sittlichkeit, noch weniger Religiosität.

Denk' dir den höchsten Grad der sinnlichen Gutmüthigkeit, des sinnlichen Wohlwollens der Liebe, denk' dir selbst das höchste Resultat aller menschlichen Ausbildungsmittel derselben, denk' dir selber die noch so reizende, aber nur sinnlich, folglich nur selbstsüchtig belebte Erscheinung der Vater-, Mutter- und Kinderliebe im häuslichen Leben, denk' dir hinwieder das eben so nur sinnlich belebte Wohlwollen auf Freunde, Nachbarn und Verwandte, selber auf Nothleidende und Arme ausgedehnt, denk' dir alles dieses bis zum Anschein der höchsten sinnlich belebten Aufopferungskraft erhoben und forsche ihm in seiner Wahrheit[194] und in seinem Wesen nach: Du wirst, du mußt finden, es erzeugt durch ihre, sich selbst allein überlassenen Resultate durchaus kein sicheres Fundament der reinen, hohen Kraft der wahren Sittlichkeit – der Religiosität. Alle Resultate unserer nur sinnlich belebten Liebe und Zuneigung gegen einander führen, vermöge der Selbstsucht, die ihnen allgemein zum Grunde liegt, unser Geschlecht nicht weiter, als daß wir unser Fleisch und Blut, d.i. uns selbst in unsern Kindern vorzüglich lieben. Und in Rücksicht auf unser ganzes Geschlecht führen sie uns nicht weiter, als daß wir die lieben, die uns hinwieder lieben, und denen Gutes thun, die uns hinwieder Gutes thun; kurz nur dahin, daß wir in sinnlicher Beschränkung der selbstsüchtigen Gefühle, die in ihren letzten Folgen in jedem Fall zur Unmenschlichkeit führen, den Kitzel von Annehmlichkeiten suchen, die in ihrem Wesen nicht Sittlichkeit, nicht Geist und Leben, sondern sinnlicher, thierischer Natur sind. Noch mehr als die sinnliche Belebung der Liebe, ist die sich selbst überlassene Belebung und Entfaltung der intellektuellen Kräfte unsers Geschlechts an den Einfluß der thierischen Selbstsucht unserer Natur gebunden. Sie führt ohne höhere, innere Belebung von Kräften, die dem thierischen Einfluß unserer Selbstsucht mit höherer Kraft entgegenstehen, durchaus nicht zur Entfaltung des reinen, göttlichen Wesens unserer innern Natur, sie führt nicht zum wahren, wirklichen Streben nach Vollendung unserer selbst, nach Vollkommenheit, ohne welche keine wahre, wirkliche Sittlichkeit denkbar ist. Noch viel weniger als beydes, die sich selbst überlassene und nur sinnlich belebte Liebe und die eben so sich selbst überlassene und nur sinnlich belebte Entfaltung der Geisteskraft führt die, wenn auch an sich noch so naturgemäße Entfaltung der Sinne und Glieder, die der menschlichen Kunst- und Berufskraft zum Grunde liegen, an sich zu irgend einem reinen Resultat der wahren Sinnlichkeit. Sie ist an sich, isolirt ins Auge gefaßt, eine von Geist und Leben entblößte Ausbildung der Kräfte des Fleisches und des Bluts unserer Natur selber zur physischen Gewandtheit thierischer Anlagen und Kräfte.

Jede bloß sinnliche Formirung und Belebung einer zu entfaltenden, physischen Kraft gefährdet an sich selber das Übergewicht der geistigen Belebungsmittel derselben; und die Gemeinkraft,[195] die in einer der Anlagen, aus deren Zusammensetzung sie hervorgeht, dem sinnlichen Übergewicht ihrer Belebung unterliegt, ist keine wahre Gemeinkraft der Menschennatur und darum auch durchaus nicht in der Wahrheit elementarisch begründet. Sie geht nicht im ganzen Umfang ihres Einflusses aus dem Streben nach sittlicher und geistiger Vollendung hervor. Sie trägt das Gepräge der göttlichen Liebe und des göttlichen Glaubens, aus dem allein reines und ungeheucheltes Streben nach der wahren Vollendung unserer Kräfte, nach Vollkommenheit hervorgeht, nicht in sich selbst; im Gegentheil, sie trägt, vermöge ihrer Natur und ihres Wesens, den Saamen der Zweytracht unserer Kräfte und Anlagen sinnlich belebt tief in sich selbst. Das Streben nach Vollkommenheit, nach Vollendung, das allein geeignet ist, den Saamen der Zweytracht in uns selbst in seinem Wachsthum wahrhaft abzuschwächen und zu vertilgen, geht nur aus dem ernsten Suchen des göttlichen Beystands und der göttlichen Gnade hervor. Die Wahrheit dieses Suchens führt untrüglich zur Andacht und zum Gebete; aber die Wahrheit der Andacht und die Wahrheit des Gebets ist ohne die Wahrheit des göttlichen Glaubens und der göttlichen Liebe undenkbar.

So innig hängt das Wesen der Idee der Elementarbildung mit dem Geist des Christenthums, seines göttlichen Glaubens und seiner göttlichen Liebe zusammen. Auch erscheint die Elementarbildung in dieser Rücksicht in allen ihren Ansprüchen, Mitteln und Resultaten, wie ich schon mehreremale gesagt habe, als eine, dem Geist des wahren Christenthums und seinen göttlichen Mitteln zu unterordnende, menschliche Sorgfalt und Handbietung zur Entfaltung, Angewöhnung und Einübung alles Fühlens, Denkens, Wollens, Kennens und Könnens von dem, was die Ausübung der christlichen Pflichten im positiven, menschlichen Daseyn von jedem Menschen nach seiner Lage und nach seinen Umständen und Verhältnissen wesentlich fordert, und wozu das Menschengeschlecht, ohne Mitwirkung einer solchen menschlichen und christlichen Sorgfalt und Kunst, ewig nie zu gelangen vermag. So entschieden ist, daß die Sittlichkeit und Religiosität auf der einen Seite an sich selbst nicht aus der menschlichen Kunst hervorgeht und ihrer an sich selbst nicht bedarf, aber auf der andern Seite, daß sie in ihrer göttlichen Reinheit und durch sie alle Resultate der wahren menschlichen Kunst, welche[196] sie immer seyn mögen, zu benutzen, zu stärken und zu heiligen geeignet ist; und ebenso gewiß ist, daß sie, in so fern sie nicht in der Allgemeinheit ihres innern Wesens, sondern im positiven Zustand des bürgerlichen, gesellschaftlichen Lebens dastehend ins Auge gefaßt wird, der Mitwirkung und Handbietung der Kunst unumgänglich bedarf, indem sie vom Einfluß der menschlichen Selbstsucht und ihrer thierischen Sinnlichkeit einen tödtlichen Einfluß auf ihr Wesen zu gefahren hat, und nicht genug auf ihrer Hut seyn kann, die menschliche Kunst nur durch ihre Wahrheit und Solidität und nicht durch ihr Verkünstlungsverderben, das eine Folge unserer thierischen Natur ist, auf sich wirken zu lassen.

Ich fasse das Wesen dieses Gesichtspunktes noch einmal in's Auge.

Die Gemeinkraft des Menschengeschlechts ist, ohne einen Gemeingeist, der sie innerlich belebt und die verschiedenen Kräfte unserer Natur unter sich selbst vereinigt, ein Unding und nicht denkbar. Der Gemeingeist aber geht wesentlich aus der Einheit der Menschennatur hervor. Sie aber, die Einheit der Menschennatur, ist in ihrem Wesen die reine, göttliche Gnade, aus welcher alle menschlichen Kräfte, alle menschlichen Mittel und alle menschliche Sorgfalt, den Geist über das Fleisch herrschen zu machen, hervorgehen. Alle Belebungsmittel der Gemeinkraft unsers Geschlechts, die nicht aus dem Geist und Leben unsers innern, göttlichen Wesens, sondern aus den sinnlichen Trieben des Fleisches und Blutes unserer thierischen Selbstsucht hervorgehen, sind nicht elementarisch.

So ist offenbar, daß die Wahrheit der elementarischen Bildung und des ganzen Umfangs ihrer Mittel aus dem heiligen, innern Wesen des göttlichen Funkens, der in der Menschennatur liegt, hervorgeht, folglich mit dem Geist des Christenthums in hoher Übereinstimmung steht. Hingegen ist eben so unwidersprechlich, daß der ganze Umfang der Zeitbildungsmittel unsers Verkünstelungs-Verderbens und seiner Routinemittel nicht aus dem Wesen des göttlichen Funkens unserer innern, höhern Natur, sondern aus dem Fleisch und Blut unserer thierischen, sinnlichen Erscheinung hervorgeht, folglich mit dem Geist und Wesen des wahren Christentums in vollkommenem Widerspruch steht und in allen seinen Resultaten den wesentlichen Fundamenten desselben mit den ganzen Reizen seines sinnlichen Verderbens entgegenwirkt.[197] Ich habe mein lebhaftes Gefühl über den Grad, in welchem das Verkünstelungs-Verderben unserer Zeit mit dem Geist des Christenthums in Widerspruch steht, in dem Stammbuch einer Enkelin eines meiner unvergeßlichen Freunde mit folgenden Worten ausgedrückt: »Die Zeitwelt gefährdet die Religiosität und den Geist des Christenthums vorzüglich durch Sitten, Gewohnheiten und Lebensweisen, die die Liebe der Selbstsucht, die Wahrheit dem Wortwesen, das Recht seinen Formen, die Pflicht der Convenienz, die Humanität der Urbanität, das Gewissen dem Beyspiel, das Göttliche dem Irdischen, die Kraft der Schwäche, die Vernunft der Einbildungskraft, die Realität der Traumsucht, den Segen der Welt der Abträglichkeit ihrer Geldjagd, und das Heil der Armen der Behaglichkeit der Reichen, den Ansprüchen der Glücksritter und Bavardagen von Leuten, die nicht wissen, wo das Brod herkommt, unterordnen.«

Ich halte mich gerne noch einen Augenblick bei diesem Gesichtspunkt auf.

So wie das Verkünstelungs-Verderben unserer Zeit mit allen Folgen der Abschwächung, Untergrabung und Verwirrung aller unserer Kräfte in sittlicher Hinsicht seine wesentlichen Quellen und Ursachen vorzüglich im Mangel der naturgemäßen, reinen Einfachheit des häuslichen Lebens und der ihm zum Grunde liegenden, wesentlichen Fundamente des kraftvollen Vater-, Mutter- und Kindersinns zu suchen hat, so hat dieses Verderben in geistiger Hinsicht seine Quellen und Ursachen hinwieder vorzüglich im Mangel einer psychologisch genugthuenden Organisation der Bildungsmittel der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft zu suchen. Diese Mittel aber stehen, eben wie die Kräfte, die ihnen zum Grunde liegen, im innigsten Zusammenhang neben einander.

Das Kind, dessen Anschauungs-Vermögen psychologisch genugthuend gebildet [worden ist], hat das Anfangs-Fundament der Bildung, sich richtig über die Anschauungs-Gegenstände auszudrücken, so wie richtig darüber zu denken, in sich selbst und ist dafür naturgemäß und solid vorbereitet. Sein Reden oder vielmehr seine Sprachkraft ist als Mittelstufe seiner Anschauungs- und seiner Denkkraft dadurch ebenso naturgemäß und solid begründet. Ihr natürliches Fundament, die Anschauungskraft ist nicht schweifend, zerstreut und dadurch irreführend und zum[198] eitlen leeren Schwatzen hinlenkend; und ihre Denkkraft ist dieses gleichfalls auch nicht. Ihr so geführter Zögling ist durch seine dießfällige Bildung so wenig zum unbegründeten und gedankenlosen Urtheilen als zum unbegründeten und gedankenlosen Schwazen über nur oberflächlich und halb empfangene Anschauungs-Gegenstände angereitzt. Und wir sehen bey einer, auch nur geringen Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand, daß das Herumschweifen und Ausschweifen der Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft seine wesentliche und erste Quelle in dem Überfluß der Reize seiner sinnlichen Nahrung und im Mangel der geistig und gemüthlich befriedigenden Belebung seiner Kräfte zu suchen hat, und daß das oberflächliche Schwazen und Urtheilen, das aus dem naturwidrig belebten, oberflächlichen Anschauen und Erkennen der Gegenstände hervorgeht und ihm eigen ist, mit der Naturwidrigkeit der Ausbildungsmittel der sittlichen und geistigen Fundamente des Erziehungswesens im allgemeinen innig zusammenhängt, so wie sich dieser Zusammenhang in den ersten und tiefern Ursachen unsers Verkünstelungs-Verderbens auffallend im ganzen Umfange der naturgemäßen wirksamen Mittel, den immer tiefer greifenden Resultaten unsers Verkünstelungs-Verderbens mit Erfolg entgegenzuwirken und dieselben in ihren ersten und wesentlichen Quellen stille zu stellen oder sie davon abzulenken, erprobet.

So wie wir gesehen, daß den Folgen der Unnatur unsers Verkünstelungs-Verderbens in sittlicher Hinsicht vorzüglich durch Mittel entgegengewirkt werden muß, die geeignet sind, die reinen Fundamente des häuslichen Lebens in ihrer tiefern Begründung wieder herzustellen, so ist eben so wahr und unwidersprechlich, daß den Folgen unsers Verkünstelungs-Verderbens in intellektueller Hinsicht mit Erfolg nur durch Mittel entgegengewirkt werden kann, die geeignet sind, die Fundamente der naturgemäßen Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft solid und genugthuend wieder herzustellen. Es ist unstreitig, ein Kind, dessen Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft naturgemäß und genugthuend gebildet, trägt die wesentlichen und vorzüglichen Mittel, den Folgen der Unnatur und der Ausschweifung des Verkünstelungs-Verderbens in geistiger Hinsicht mit Erfolg entgegenzuwirken, in sich selbst, und ist für dieses wichtige Bedürfniß der Zeit in dieser Rücksicht wesentlich und wohl vorbereitet.[199] Auch ist eben so wahr, was dießfalls den einzelnen Menschen zur Veredelung seiner selbst emporhebt oder zu seiner Entwürdigung herabsenkt, das erhebt oder entwürdigt unser Geschlecht eben so in jeder Richtung in seinen kollektiven Verhältnissen. Das was in Rücksicht auf die Bildungsmittel des einzelnen Menschen auf den ganzen Umfang seiner Erziehung wahr ist, und ebenso, was dießfalls in Rücksicht auf die Wiederherstellung seiner selbst bei seinem Unterliegen unter den Folgen unsers Verkünstelungs-Verderbens bei ihm wahr ist, das ist noch in einem weit höhern Grad bey den concreten Verhältnissen unseres Geschlechts in allen Ständen und Gemeinschaften, darin die Menschen unter einander vertheilt sind und zusammenleben, gleich wahr, und was menschlicherweise davon zu reden, geeignet ist, solid mitzuwirken, den einzelnen Menschen in seinem Verderben wiederherzustellen, das ist auch, menschlicherweise davon zu reden, geeignet, solid mitzuwirken, das Menschengeschlecht im Verderben seiner Massaverhältnisse wieder herzustellen.

Fassen wir die Idee der Elementarbildung in intellektueller und Kunsthinsicht an sich und gesondert von ihrem innern, ewigen Zusammenhange mit den sittlichen und religiösen Grundlagen unserer Natur ins Auge; so ist offenbar, daß so wie sie die wesentlichen Haupttheile der intellektuellen Bildung, die Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft, sinnlich naturgemäß, d.i. in Übereinstimmung mit den Gesetzen, die ihnen in der thierischen Natur zum Grunde liegen, auszubilden und in ihrer einzelnen Ausbildung an sich zu vollenden sucht, so legt sie dadurch das äußere sinnliche und geistige, aber nicht das innere, sittliche, menschliche und religiöse Fundament der naturgemäßen Vereinigung von allen Grundtheilen der Gesammtheit der intellektuellen Kunstbildungsmittel unsers Geschlechts.

Fassen wir die Idee der Elementarbildung auch in Rücksicht ihres Einflusses auf die naturgemäße Entfaltung der sinnlichen, thierischen Neigungen und Kräfte unsers Fleisches und Bluts, mit welchen der göttliche Funken unserer innern, wahren Natur gleichsam umhüllt in uns lebt, ins Auge, und fragen wir uns: Was ist der Einfluß des Lebens auf die Bildung dieser Hülle zu ihrer Übereinstimmung mit dem göttlichen Funken unserer innern Menschennatur selber? so sehen wir, alles, was unser Fleisch und Blut sinnlich zum Glauben, zur Liebe und zum Denken und Arbeiten[200] im Glauben und in der Liebe anreizt und bildet, ist geeignet, die thierische Hülle unsers Fleisches und Bluts mit dem göttlichen Funken unserer innern Menschennatur in Übereinstimmung zu bringen. Und fragen wir uns dann: Was kann die Kunst des Menschengeschlechts dazu beytragen, diesen Gang der Natur in seinem Einfluß auf Übereinstimmung zu befördern und ihn darin zu behelfen? so zeigt sich, alles, was die menschliche Kunst zur Entfaltung des Denkens und Arbeitens im Glauben und in der Liebe beyzutragen vermag, das ist auch geeignet, die thierische Hülle unsers Fleisches und Blutes mit dem göttlichen Wesen unserer innern Natur menschlich zu befördern und ihr dafür behülflich zu seyn. Alles, was uns wahrhaft menschlich zu bilden vermag, ist auch geeignet, das thierische Übergewicht des Fleisches und Bluts über den innern Funken unserer wahren Menschennatur zu schwächen und dadurch die Übereinstimmung unsers sinnlichen, thierischen Wesens mit diesem göttlichen Funken, oder vielmehr die Unterordnung des ersten unter den letzten menschlich zu befördern und zu behelfen.

Dieser Gesichtspunkt ist im praktischen Leben des Menschen allgemein anerkannt. Jedermann weiß, daß die Erkenntniß der Wahrheit und die Einübung der Fertigkeiten, die die Ausübung unserer wesentlichsten Pflichten allgemein voraus setzt und anspricht, gleichsam zur andern Natur gemacht und wie die Volkssprache sich ausdrückt, ins Fleisch und Blut hinübergebracht werden müssen. Das Wort, in succum et sanguinem vertere, drückt das Nämliche bestimmt aus.

Der Grad, in welchem die Kunst mit Erfolg zu diesem Ziel einwirken kann, hängt von dem Grad des Erfolgs ab, mit welchem sie im Stande ist, alle einzelnen Grundtheile, die die Menschlichkeit, oder welches eben so viel ist, die Menschennatur in ihrem Wesen selber konstituiren, naturgemäß zu entfalten. Daher fällt eben so sehr auf, daß die Idee der Elementarbildung, welche die Nachhülfe der Kunst am vorzüglichsten anspricht, nothwendig mit großer Aufmerksamkeit dahin trachten muß, die einzelnen Grundtheile der intellektuellen Kraft, die Anschauungs-, Sprach- und Denkkraft einzeln in der möglichsten Vollendung auszubilden, welches nur dadurch erzielt werden kann, daß die Mittel ihrer Kunst mit dem Gange der Natur in der Entfaltung jeder dieser einzelnen Kräfte in genugthuende Übereinstimmung gebracht[201] werden, oder welches eben so viel ist, daß jedes ihrer dießfälligen Mittel den ewigen Gesetzen genau unterworfen werde, aus denen die naturgemäße Entfaltung jeder einzelnen dieser Kräfte allein hervorzugehen vermag. Diese Aufmerksamkeit der Idee der Elementarbildung ist darum wesentlich und wichtig, weil alles, was in seinen einzelnen Theilen nicht bis auf einen gewissen Grad vollendet ist, sich auch nicht naturgemäß zum Ganzen, davon es ein Theil ist, zusammengestaltet, und hinwieder weil alles, was in seinen einzelnen Theilen bildungshalber unvollendet ist, sich durchaus nicht naturgemäß an irgend etwas anders, das naturgemäß vollendet gebildet ist, anschließt. Die vernachlässigte Anschauungskraft schließt sich nicht naturgemäß an die ausgebildete Sprachkraft, und die vernachlässigte Ausbildung der Denkkraft schließt sich nicht naturgemäß an die naturgemäß gebildete Anschauungskraft an. Nur Gleiches und Gleiches gesellt sich gerne; was aber ungleich ist, hat die Neigung zur Trennung in sich selbst, und wirkt, wenn es versucht wird zu vereinigen, widernatürlich und störend auf den Zweck der gesuchten Vereinigung.

Dieser Gesichtspunkt steht mit einem andern, in pädagogischer Hinsicht eben so wichtigen, im innigsten Zusammenhange. Jede nur oberflächlich erkannte, in ihren wesentlichen Theilen durch die Anschauung nicht begründete und durch die Denkkraft nicht erwogene Wahrheit steht in der Menschennatur wie in den Lüften; sie ist gar nicht geeignet, sich an andere Wahrheiten, mit denen sie in der Wirklichkeit im Zusammenhange steht, naturgemäß anzuschließen, und zahllose solche oberflächlich erkannte Wahrheiten haben auf die Ausbildung der Denkkraft weniger bildenden Einfluß als nur eine einzige, in der Anschauung genugsam begründete und von der Denkkraft in ihrer Vollendung erkannte Wahrheit. Oberflächlich erkannte Wahrheiten führen durchaus nicht zur Harmonie unserer Kräfte, diesem letzten Ziel sowohl des Naturganges in der Entfaltung derselben, als des ganzen Umfangs aller Kunst-Bildungsmittel, die die nämlichen Zwecke zu befördern geeignet sind. Die Harmonie unserer Kräfte geht nur aus der gleichartig guten und naturgemäßen Besorgung jeder einzelnen derselben wahrhaft und befriedigend hervor; und was dießfalls in Rücksicht auf die intellectuelle Ausbildung unserer Kräfte wahr ist, das ist auch in Rücksicht auf die Ausbildung[202] der Anlagen, die unserer Kunstkraft zum Grunde liegen, gleich wahr. Die naturgemäß genugthuende Ausbildung jeder Anlage, die irgend ein Fach der Kunst anspricht, muß der Ausbildung der Gemeinkraft, die ein jedes Kunstfach gemeinsam anspricht, einzeln hervorgehen. Wird irgend eine dieser Anlagen einzeln vernachlässigt, so wird die Erzielung der Erlernung des Kunstfaches im Ganzen seiner Ansprüche unnatürlich gelähmt und verspätet.

Wir haben diese Ansicht aber schon einmal berührt. Die Kunstkraft wird, eben wie die Geisteskraft nur durch die naturgemäße Ausbildung jedes einzelnen ihrer Grundtheile Geist und Leben; ebenso werden die einzelnen Theile der Kunstkraft sowohl als diejenigen der intellektuellen, Geist und Leben und dadurch wirksame Mittel zur Entfaltung der Menschlichkeit selber. Es ist unstreitig, jedes einzelne Mittel der Kunstbildung wird nur in so weit, als es durch die Naturgemäßheit seiner Ausbildungsmittel in sich selbst zum Geist und Leben erhoben wird, mitwirkendes Mittel, die Menschlichkeit unserer Natur, oder vielmehr die Erhebung unseres Geschlechts zur Menschlichkeit durch die Kunst zu begründen, zu befördern, auszusprechen und darzustellen.

Fasse ich in dieser Rücksicht die Sprachkraft, oder vielmehr die Sprachlehre als Kunstausbildungsmittel in's Auge, so finde ich, die Kunst ihrer naturgemäßen Begründung geht in ihrem ganzen Umfange aus der Kunst der naturgemäßen Begründung der Anschauungskraft hervor, und nur durch Verbindung von beiden ist die Bahn zur naturgemäßen Entfaltung der Denk- und Urtheilskraft auf eine solide, die Menschenatur in ihren wesentlichen Ansprüchen befriedigende Weise möglich.

Diese letzte, die elementarische, oder was gleich viel ist, die naturgemäße Entfaltung der Denk-, Forschungs- und Urtheilskraft fordert indeß eine größere Handbietung der Kunst unsers Geschlechts, als die Ausbildung der Anschauungskraft. Die logischen Operationen des naturgemäßen Zusammensetzens (Zusammendenkens), Trennens und Vergleichens, die dem Kinde, dessen Denk- und Urtheilskraft durch die Kunst naturgemäß gebildet und gestärkt werden soll, eingeübt und habituell gemacht werden, fordern freilich eine wesentliche, tiefe, psychologische Bearbeitung der Grundkräfte, die alles solide Zusammensetzen,[203] Trennen und Vergleichen, d.h. alle Fundamente des soliden Denkens naturgemäß zu beleben, zu stärken und in ihren Resultaten sicher zu machen geeignet sind. Sie fordern unstreitig eine tiefe, psychologische Bearbeitung der menschlichen Kräfte, die sich im Zählen und Messen aussprechen, und von denen die Zahl- und Formlehre ausgeht, deren geist- und kunstbildende Folgen sich in ihrem Einfluß auf alles menschliche Denken vom gemeinen Urtheilen über einfach in der Anschauung liegende Gegenstände bis auf die höchste Stufe der reinen Wissenschaften zu erheben fähig sind.

So viel indeß die Kunst der Elementarbildung auch von dieser Seite fordert, so gewiß ist sie erreichbar, und ich darf mit der Bescheidenheit, mit der ich über die Resultate meiner Lebensbestrebungen zu urtheilen schuldig bin, dennoch das Wort aussprechen: Das Scherflein, welches die vereinigten Bemühungen derjenigen Glieder meines Hauses, welche die wesentlichen Fundamente der elementarischen Entfaltung der Denkkraft nicht vollkommen unter das Eis haben fallen lassen, hat ganz gewiß einen wesentlichen, der ernsten Prüfung würdigen Beitrag dazu geliefert, die Möglichkeit der höchsten Resultate der Idee der Elementarbildung von Seite ihres Einflusses auf die naturgemäße Entfaltung der menschlichen Denkkraft außer allen Zweifel zu setzen. Die Bahn, auf welcher dießfalls elementarisch vorgeschritten werden muß, ist diese: Die elementarisch, nach berührten Grundsätzen bearbeitete Sprachlehre muß vermög der wesentlichen Eigenschaften aller ihrer Mittel, als naturgemäßes Bildungsmittel der Muttersprache dahin wirken, die Kräfte der Wohnstube in allen Ständen in der soliden Ausbildung der Anschauungskräfte der Kinder wesentlich zu erhöhen und dadurch die Lücken auf eine solide Weise auszufüllen, die zwischen der Ausbildung der Anschauungskraft und der Ausbildung der Denkkraft statt hat und die nur durch die naturgemäße Ausbildung der Sprachkraft ausgefüllt werden kann. Die Mittel, welche die elementarische Entfaltung der Sprachkraft den Müttern und dem ganzen Kreis der Hausgenossen, die, auf welche Weise dieses auch ist, mit den unmündigen Kindern einer Haushaltung in Berührung sind, dafür an die Hand giebt, sind von einer Natur, daß sie die dießfälligen Kräfte des Kindes in den Anfangspunkten ihrer ersten Entfaltung allgemein und zwar im[204] festen Zusammenhang unter einander ergreifen, und geeignet sind, alles, was im Kind einer menschlichen Regsamkeit fähig, die Freude, die Liebe, die Aufmerksamkeit, die Thätigkeit, die Anstrengung, oder mit andern Worten, sein Herz, seinen Geist und seine Hand naturgemäß zu beleben und so seine Kräfte allgemein und im Zusammenhange unter einander anzuregen, und das naturgemäße Wachsthum derselben von ihren Anfangspunkten aus in ihrem ganzen Umfang bildend und stärkend vorzubereiten und anzubahnen.

Fassen wir die wesentlichen Grundsätze und Mittel der Elementarbildung in Rücksicht ihres Einflusses auf die Entfaltung der Kunstkraft in's Auge, so ergeben sich bei der elementarischen Führung des Kindes vollkommen die gleichen Resultate. Das Lesen- und das Schreibenlernen (damit ich von den geringsten und allgemeinsten Anfangspunkten der Schulkunst anfange) führt, wenn es in seinen Übungen wahrhaft naturgemäß behandelt wird, zu den nämlichen Resultaten, zu welchen das naturgemäße Redenlehren auch führt. Wo immer die Kunstmittel des Lesens und Schreibens nicht eben so geeignet sind, den Geist, das Herz und die Hand des Kindes gemeinsam zu ergreifen und zu beleben, so sind sie in so weit nicht elementarisch genugsam gegeben und führen in den Stufenfolgen ihrer Anwendung nicht zu der Gemeinkraft der Menschennatur, die als das nothwendige Resultat der naturgemäßen, elementarischen Führung unsers Geschlechts allgemein anzusehen, anzuerkennen und zu bezwecken ist. Man sieht aber auch wohl, daß dieses, und mit ihm der ganze Umfang der Resultate der elementarischen Bildung, ohne den Zusammenhang mit den aus Liebe und Glauben hervorgehenden Bildungsmitteln des häuslichen Lebens unerreichbar ist. Aber was immer dem häuslichen Leben eigen ist, das ist in jedem Fall auch als ein wesentliches Fundament jeder wahrhaft elementarischen Bildungsübung anzusehen.

Ich fasse die Schreibkunst von dieser Seite noch einmal ins Auge. Alles, was das Kind durch die Elementarbildungsmittel im Reden gewinnt, das gewinnt es auch im Schreiben. Jeder, dem Kind durch die Anschauung so klar gewordene Gegenstand, über den es sich mit Bestimmtheit aussprechen kann, hat das Geistige, das der Fähigkeit, sich über diesen Gegenstand mit eben dieser Bestimmtheit schriftlich auszudrücken, beywohnt, schon zum[205] voraus in sich selbst, und es fehlt ihm, dieses zu thun, nichts mehr und nichts anders, als die Einübung der mechanischen Fertigkeiten der Schreibkunst, die das schriftliche Ausdrücken dessen, was es mündlich sagen kann, erfordert. Aber auch auf die Einübung dieser Fertigkeiten haben die Mittel der Elementarbildung einen entscheidenden und im Ganzen des Erziehungswesens sehr weitführenden Einfluß. Die elementarische Anführung zur Schreibkunst geht nicht von der Einübung der Buchstaben irgend einer Sprache, sondern von der Festigkeit und Sicherheit in der Einübung vielseitiger und reiner Grundformen der geraden und krummen Linien in perpendikularer und horizontaler Richtung aus, und fordert mit genauem Augenmaß eingeübte Formen der abwechselnden Schiefheit derselben von oben bis unten, und in der Rundform die Einübung ihrer fortdauernden Beschränkung in eine sich immer verengernde, liegende und stehende, kurze und verlängerte Eyform. Sie sucht auch ohne alle Rücksicht auf die eigentliche Schönheit der in ihrem Wesen unästhetisch begründeten Formen der Buchstaben vorzüglich die bestimmte Deutlichkeit der in ihrem Wesen bizarren und willkührlichen Gestaltungen derselben und die Schnelligkeit in der Handführung des Kindes zu erzielen, d.h. es deutlich und schnell schreiben zu lehren. Die Schönheit des Schreibens ist nichts anders als Zartheit in den Übergangsformen des Dicken zum Dünnen und des Geraden in's Schiefe. Übungen, die dieses erzielen, sind Übungen im Schönschreiben. Und so ist es, daß die Elementarbildung auch in Rücksicht auf die Einübung der Schreibkunst von den Anfangspunkten ausgeht, welche der naturgemäßen Ausbildung der Zeichnungskunst, d.i. der Kunst, alle Arten von Formen richtig und schön auszudrücken, zum Grunde liegen. Der ganze Unterschied, der in der Art und Weise, wie diese Mittel auf die Ausbildung der Schreibkunst und auf die Ausbildung der Kunstkraft überhaupt einwirken, statt findet, ist, daß sie, die Schreibkunst, in ihrer höchsten Vollendung zur Verhärtung der Hand in ihrer Richtigkeit und selber in ihren Zartheitsformen, und hingegen die Kunst überhaupt und besonders die Zeichnungskunst zur ewig wachsenden Freiheit in allen Formen der Zartheit und der Schönheit hinführt. Eben so ist das, was ich in Rücksicht auf die naturgemäße Begründung des Lesenlehrens und der Schreibkunst gesagt, in Rücksicht auf den ganzen Umfang alles dessen, was zur[206] naturgemäßen Entfaltung der Kräfte, die der Erlernung aller Kunst- und Berufsfächer zum Grunde liegen, gleich wahr.

Es ist äußerst wichtig, daß die Mittel der Idee der Elementarbildung allgemein und auf jeder Stufe mit dem Grad der Empfänglichkeit der Kräfte, deren Entfaltung dafür erforderlich ist, in Übereinstimmung gebracht werden. Die Zeitwelt, die in der Unnatur der Routineverkehrtheit ihres Verkünstelungs-Verderbens wenig Rücksicht auf diese Übereinstimmung nimmt und durchaus keinen großen Takt weder für die Wichtigkeit, noch für die Natur dieses Gesichtspunkts hat, wird und muß die Ausführung desselben unendlich schwer finden. Aber den Gegenstand in seiner dießfälligen Wahrheit ins Auge gefaßt, ist nichts weniger als in dem Grad schwierig. Die elementarische Führung ist im ganzen Umfang ihrer Bildungs- und Unterrichtsmittel von einer Natur, daß der nach ihr geführte Zögling auf keiner Stufe seiner Bildung nur einen Schritt vorwärts kann, wenn er den vorhergehenden sich nicht vollständig eingeübt hat, so daß es für den Lehrer, den Grad seiner dießfälligen Kräfte zu bestimmen, gar nicht schwer ist. Dieser Grad zeigt sich ihm bei dieser Führung gleichsam von selbst; dieses aber ist bei der unzusammenhängenden Oberflächlichkeit der gewohnten Routinemittel freylich gar nicht der Fall. Im Gegentheil, bei dem Wirrwarr der Stufenfolgen jedes oberflächlichen und unnatürlichen Unterrichts ist es in jedem Falle sehr schwer, den Stufengang der Empfänglichkeit für jeden Unterricht, auf welchem das Kind steht, so wie den Grad der Urkraft, der dieser positiven Empfänglichkeit in ihm zum Grunde liegt, richtig zu bestimmen, und noch mehr, ihn wohl zu benutzen.

Doch ich schreite einmal zum endlichen Resultat meiner Ansichten über meinen Gegenstand, welches dahin geht, wenn die Idee der Elementarbildung im Wesen ihrer Ansprüche in ihrer Wahrheit erkannt und die Grundsätze ihrer naturgemäßen Ausführung richtig befolgt würden, so wäre nach meiner Überzeugung der Erfolg derselben in alle dem unfehlbar, was wir als durch sie zu erzielen möglich ins Auge gefaßt und dargestellt haben. Das aber setzt freylich unbedingt voraus, daß erstlich der ganze Umfang der Ausführungsmittel dieser großen Idee auf Glauben und Liebe gebaut und dieses wesentliche Fundament derselben im ganzen Fortgang ihres Gebrauchs festgehalten werde, indem es[207] dadurch allein möglich ist, den ganzen Umfang der Ausbildungsmittel unserer Kräfte und Anlagen unter sich selbst in Harmonie und in Übereinstimmung zu bringen und darin zu erhalten. Dieses wesentliche Ziel der Idee der Elementarbildung und alle Hoffnungen und Erwartungen, die wir darauf bauen, setzen dann ferner voraus, daß jedes einzelne der Kunstausbildungsmittel unsrer Kräfte den ewigen Gesetzen, nach welchen die Natur selbst diese Kräfte entfaltet, mit Sorgfalt untergeordnet werde; ferner, daß die Ausbildung eines einzelnen Theils irgend einer menschlichen Kraft nie als die Ausbildung dieser Kraft selber, sondern immer nur als ein zur Ausbildung derselben gehörendes Element angesehen und behandelt werde. Eben so setzt es voraus, daß die Sorgfalt, den ganzen Umfang der Kunstausbildungsmittel unserer Kräfte innerlich aus der Einheit der Menschennatur hervorgehen zu machen, mit eben der Sorgfalt verbunden werde, diese Mittel auch äußerlich mit den Lagen, Verhältnissen, Umständen und Kräften der einzelnen Stände und Individuen, denen sie eingeübt werden müssen, so wie mit dem Grad der Ausdehnung und Beschränkung, in welchem dieses bey ihnen, vermöge ihrer Lage und ihrer Kräfte naturgemäß geschehen kann und geschehen soll, in Übereinstimmung gebracht werden; und ich muß bestimmt wiederholen, daß die Segenshoffnungen von dem Einfluß dieser hohen Idee in jedem Fall nur in so weit und nur in dem Grad zu erwarten sind, als diesen Bedingnissen in den Ausführungsmitteln ein Genüge geschieht.

Ich muß dieses um so nothwendiger bestimmt und wiederholt äußern, da ich mir wohl bewußt bin, wie sehr ich die Segensresultate dieser hohen Idee nicht nur als für die Erzielung, Begründung und Sicherstellung der wesentlichen Endzwecke meiner Lebensbestrebungen weitführend und als hiefür tief in die Menschennatur eingreifend, sondern auch als in ihrem ganzen Umfang erreichbar und ausführbar dargestellt, und die Ahnung und Hoffnung, daß sie gleichsam mit aller Sicherheit erwartet werden dürfen, in diesen Bogen mit warmer Lebhaftigkeit rege zu machen gesucht habe.

Unter diesen Umständen muß ich natürlich und nothwendig voraussehen und für gewiß annehmen, jeder Leser, der sie mit Umsicht und ernster Aufmerksamkeit gelesen, wird, wenn er dieses auch zwey und dreimal gethan, am Ende über den Contrast[208] dieser Darstellung mit dem wirklichen Mißlingen meiner Bestrebungen nur staunen und mich fragen:

Aber, Pestalozzi, wenn das im ganzen Umfang deiner geäußerten Ansichten wirklich also wäre, wie könnte es möglich seyn, daß deine zwanzigjährigen, diesfälligen Lebensbestrebungen keinen andern Erfolg gehabt hätten, als denjenigen, den du mit uns und wir mit dir vor unsern Augen sehen?

Ich antworte hierüber mit Bestimmtheit. So wie ich in diesen Bogen dem Publikum meine Ansichten und meine Überzeugung über den innern Werth der Idee der Elementarbildung dargelegt, so fest bin ich entschlossen, ihm sowohl den Unwerth, die Schwächen und die Fehler meiner Bestrebungen an sich selbst, als auch die äußern Gründe ihres unausweichlichen Mißlingens, wo nicht in ihrem ganzen Umfange, doch in ihren eigentlichen Urquellen unverholen vor Augen zu legen. Ich wollte diese Darlegung auch wirklich mit den gegenwärtigen Bogen vereinigen, und sie lag schon beynahe ein Jahr lang zur Publicirung bereitet. Umstände, die ich hier nicht berühre, haben ihren Druck verhindert. Sie wird aber von diesen Bogen getrennt, besonders gedruckt erscheinen, und es ist mir gegenwärtig wirklich nicht unangenehm, meinen Schwanengesang, den ich auf eine Art mit den Gefühlen eines Sterbenden dem Herzen der Menschen- und Erziehungsfreunde nahe bringen will, von einer Geschichte getrennt zu haben, deren tiefe Kränkungen und Leiden mit den Gefühlen, die ich in diesen Bogen in mir selber rein erhalten möchte, nicht in einem mich vollkommen beruhigenden Einklang stehen.

Die Hindernisse, die meinen zwanzigjährigen Bestrebungen, die Idee der Elementarbildung theoretisch und praktisch ins Licht zu setzen, im Wege standen, und endlich die so viel als gänzliche Auflösung meiner Anstalt in Iferten herbeyführten, liegen erstlich in dem Contrast, den der Anspruch an reine Naturgemäßheiten im Erziehungs- und Unterrichtswesen mit dem hohen Grad des Verkünstelungsverderbens, in welches unsere Zeiterziehung und unser Zeitunterricht versunken, macht, oder vielmehr in den Ursachen, die dem Verwilderungs- und Verkünstelungsverderben unsers Geschlechts allgemein unter allen Himmelsstrichen zum Grunde liegen. Der Sinn des Fleisches ist allgemein wider den Sinn des Geistes, – er ist allgemein wider das innere göttliche Wesen aller Grundlagen der höhern Menschennatur.[209] Der sinnliche, thierische Mensch erkennt in aller Welt die Dinge nicht, die des Geistes Gottes sind und mit dem innern Funken des ewigen, göttlichen Wesens, der in unserer Natur liegt, in wahrer, kraftvoller Übereinstimmung stehen. Er schwebt in aller Welt, unter allen Himmelsstrichen und unter allen Umständen und Verhältnissen, in sinnlicher Abschwächung der Früchte des Glaubens und der Liebe, in thierisch belebtem Widerspruch der Ansprüche seines Geistes mit den Ansprüchen seines Fleisches und des daraus erzeugten Unterliegens seiner Vernunft unter seinen Gelüsten umher. Alle Kraft der Anstrengung, die die Wahrheit in der Liebe, im Denken und im Handeln anspricht, und ebenso alle Anstrengung der Kunstkraft, die der Segen der menschlichen Thätigkeit auf gleiche Weise allgemein anspricht, ist der thierischen Natur unsers Geschlechts fremd und unbehaglich; folglich liegt das erste Hinderniß der Anerkennung der Idee der Elementarbildung und der Neigung, sich ihre Bildungsmittel einzuüben, in der ungebildeten, sinnlichen Natur unsers Geschlechts selber. Der Sinn des Fleisches führt unser Geschlecht auf keine Weise zu der wahren Kunst, aus welcher die Bildungsmittel der Idee der Elementarbildung naturgemäß allein hervorgehen, sondern vielmehr zu dem Verkünstelungsverderben, das der Ausbildung unsers Geschlechts zur wahren Kunst mit allen Reizen unserer thierischen Sinnlichkeit entgegenwirkt.

Das ist in allen Epochen des Menschengeschlechts allgemein gleich wahr. Der Geist der Thorheit und der Sünde liegt in unserm Fleisch und in unserm Blut, und wirkt mit allen seinen Reizen der Entfaltung unserer Kräfte zur Weisheit und zur Tugend, zur Liebe und zum Glauben entgegen. Die wahre Kunst unsers Geschlechts, die die Idee der Elementarbildung bezweckt, geht auf keine Weise aus diesem Sinn hervor. Dieser wirkt im Gegentheil mit dem ganzen Umfang seiner mächtigen, sinnlichen Reize auf die Erzeugung unsers Verkünstelungsverderbens, das der Entfaltung des Resultats der Idee der Elementarbildung seiner Natur nach entgegensteht, und entgegenstehen muß. Wir wissen auch alle, in welchem Grad dieses Verkünstelungsverderben in der Epoche, in der wir leben, und in welche mein Thun und Lassen hineingefallen, nicht nur allgemein tief eingewurzelt, sondern noch durch die Resultate des großen Begegnisses, das die Welt[210] gleichsam aus allen ihren Angeln zu heben drohte, auf eine Weise belebt worden, die alles Entgegenwirken gegen die Folgen der Leidenschaften, die in diesem Zeitpunkt zügellos belebt wurden, fruchtlos und unwirksam zu machen in einem hohen Grad geeignet war. Ich habe aber über diesen Gesichtspunkt in gegenwärtigen Bogen so viel als alles gesagt, was ich darüber zu sagen habe. Die Hindernisse, die meinen Bestrebungen, diese hohe Idee theoretisch und praktisch ins Licht zu setzen, im Wege standen, liegen ferner in mir selber und in den speziellen Umständen der zwanzigjährigen Epoche meines Aufenthalts in Burgdorf und Iferten, deren Geschichte ich getrennt von den gegenwärtigen Bogen publiciren werde. In Rücksicht auf die Hindernisse, die in mir selber lagen, habe ich keine Ursache, mich über dieselben in diesen gegenwärtigen Blättern, und zwar wie dieselben einerseits in der individuellen Eigenheit meines Karakters und anderseits in den Umständen und Verhältnissen meiner Jugendjahre und meiner Erziehung lagen, nicht offen und bestimmt zu erklären. Ich thue dieses auch ungesäumt.


* * *


Ich war von der Wiege an zart und schwächlich, und zeichnete mich durch viele Lebendigkeit in der Entfaltung einiger meiner Kräfte und Neigungen sehr frühe aus; aber so wie ich an einigen einzelnen Gegenständen und Gesichtspunkten warmes Interesse nahm, zeigte ich mich eben so frühe und in eben dem Grad auf alles, was nicht mit meinen Augenblickslieblingsgegenständen auf irgend eine Art belebt zusammenhing, äußerst unaufmerksam und gleichgültig. Was mein Gefühl ansprach, dafür war ich in jedem Fall schnell und warm belebt. Die Eindrücke der diesfälligen Gegenstände griffen in jedem Fall tief in mein Inneres und stärkten sich sehr oft und sehr leicht zur Unauslöschlichkeit in mir selbst. Andere Gegenstände hingegen, die sogleich bey ihrer Erscheinung eine ernste, aber anhaltende und kaltblütige Aufmerksamkeit in ihrer Beobachtung und Erforschung ansprachen, so wichtig und so bildend sie auch für mich hätten seyn können, machten selten einen solchen überwiegenden Eindruck auf mich. Im Gegentheil, es ist auffallend, alles, was mein Herz ansprach, schwächte den Eindruck dessen, was meinen Kopf erheitern[211] und in bildender Thätigkeit beleben sollte, sehr oft und schnell. Meine Imagination drückte sich bald vorherrschend in mir aus und war meiner Geistes- und Kunstbildung in allem, was mein Herz nicht sehr interessirte, in einem hohen Grad hinderlich. Ich muß es gerade heraus sagen, ich zeigte mich in Gegenständen dieser letzten Art schon sehr frühe und gar oft unverzeihlich unaufmerksam, zerstreut und gedankenlos. Alles, was bildend auf die Entfaltung meiner Überlegung, meines Nachdenkens und meiner Umsicht und Vorsicht wirken sollte und mir mangelte, hatte natürlich auch sehr frühe auf die Schicksale meines Lebens Einfluß. Was ich schon als Kind vornahm, fehlte sehr oft. Ich stieß mit meinem Kopf auch in hundert und hundert Kleinigkeiten mehr als kein anderes Kind an die Wand. Aber es machte mir nichts. Ich besaß mit meiner Unvorsichtigkeit einen Leichtsinn, daß mir das Fehlschlagen von Dingen, die andern Kindern schwer zu Herzen gegangen wären, gewöhnlich so viel als nichts machte. Was hinter mir war, wenn es mich selbst betraf, war mir, so sehr ich es vorher gewünscht oder gefürchtet hatte, sobald ich darüber ein paarmal eingeschlafen, wie wenn es nicht geschehen wäre. So wenig machten Glück und Unglück für mich selbst Eindruck. Die Folgen dieser Eigenheiten meiner Grundlagen stärkten sich in ihrem Wachsthum und wirkten in Rücksicht auf die Bildung meiner selbst zu einem praktisch thätigen Leben von Jahr zu Jahr um so mehr nachtheilig und verderblich auf mich, da meine Erziehung eigentlich wie dazu gemacht schien, dieselbe auf eine ganz außerordentliche Weise zu nähren und zu stärken.

Mein Vater starb mir sehr frühe, und ich mangelte von meinem sechsten Jahre an in meinen Umgebungen alles, dessen die männliche Kraftbildung in diesem Alter so dringend bedarf. Ich wuchs an der Hand der besten Mutter in dieser Rücksicht als ein Weiber- und Mutterkind auf, wie nicht bald eins in allen Rücksichten ein größeres seyn konnte. Ich kam, wie man bei uns sagt, Jahr aus Jahr ein, nie hinter dem Ofen hervor; kurz, alle wesentlichen Mittel und Reize zur Entfaltung männlicher Kraft, männlicher Erfahrungen, männlicher Denkungsart und männlicher Übungen mangelten mir in dem Grad, als ich ihrer bey der Eigenheit und bey den Schwächen meiner Individualität vorzüglich bedurfte.[212]

Auf der andern Seite aber lebte ich vom Morgen bis am Abend in Umgebungen, die mein Herz in einem hohen Grad belebten und ansprachen. Meine Mutter opferte sich mit gänzlicher Hingebung ihrer selbst und unter Entbehrungen alles dessen, was in ihrem Alter und in ihren Umgebungen Reize hätte haben können, der Erziehung ihrer drey Kinder auf, und war in ihrer edeln Hingebung von einer Person unterstützt, deren Andenken mir ewig unvergeßlich seyn wird. Mein Vater, der in den wenig Monaten, seitdem sie in unsere Dienste trat, von der seltenen Kraft und Treue dieses Dienstmädchens überzeugt und ergriffen war, ließ es, von den Folgen, die sein naher Hinschied auf seine verwaiste und unbemittelte Haushaltung haben mußte, beängstigt, vor sein Todbett zu sich kommen und sagte zu ihr: »Babeli, um Gottes und aller Erbarmen willen, verlasse meine Frau nicht; wenn ich todt bin, so ist sie verloren, und meine Kinder kommen in harte, fremde Hände. Sie ist ohne Deinen Beystand nicht im Stande, meine Kinder bey einander zu erhalten.« Gerührt, edel und in Unschuld und Einfalt bis zur Erhabenheit großherzig, gab sie meinem sterbenden Vater das Wort: »Ich verlasse Ihre Frau nicht, wenn Sie sterben. Ich bleibe bey ihr bis in den Tod, wenn sie mich nöthig hat.« Ihr Wort beruhigte meinen sterbenden Vater; sein Auge erheiterte sich, und mit diesem Trost im Herzen verschied er. Sie hielt ihr Versprechen, und blieb bey meiner Mutter bis an ihren Tod. Sie half ihr ihre drey Kinder, die damals eigentlich arme Waisen waren, durchschleppen durch alle Noth und durch allen Drang der schwierigsten Verhältnisse, die sich nur denken lassen, und zwar mit einer Ausharrung, mit einer Aufopferung und zugleich mit einer Umsicht und Klugheit, die um so bewundernswürdiger ist, da sie von aller äußern Bildung so entblößt, vor wenigen Monaten vom Dorf weg nach Zürich kam, um daselbst einen Dienst zu suchen.

Die ganze Würde ihres Benehmens und ihrer Treue war eine Folge ihres hohen, einfachen und frommen Glaubens. So schwer auch immer die gewissenhafte Erfüllung ihres Versprechens war, so kam ihr doch nie der Gedanke in die Seele, daß sie aufhören dürfe oder aufhören wolle, dieses Versprechen ferner zu halten. Die Lage meiner verwittibten Mutter forderte die äußerste Sparsamkeit; aber die Mühe, die unser Babeli sich gab, diesfalls beinahe das Unmögliche zu leisten, ist fast unglaublich. Um einen[213] Korb Kraut oder Obst einige Kreuzer wohlfeiler zu kaufen, ging sie wohl drey bis viermal auf den Markt und paßte auf den Augenblick, wo die Marktleute gerne wieder heimgehen wollten. Diese äußerste Sparsamkeit, ohne welche das Einkommen meiner Mutter zur Bestreitung der Ausgaben für ihre Haushaltung nicht hingereicht hätte, erstreckte sich auf alle Theile derselben. Wenn wir Kinder auch nur einen Tritt auf die Gasse thun oder an irgend einen Ort hinwollten, an dem wir nichts zu thun hatten, so hielt uns das Babeli mit den Worten zurück: »Warum wollt Ihr doch unnützerweise Kleider und Schuhe verderben? Seht, wie Eure Mutter, um Euch zu erziehen, so viel entbehrt; wie sie Wochen und Monate lang an keinen Ort hingeht und jeden Kreuzer spart, den sie für Eure Erziehung nothwendig braucht!« Von sich selbst und von dem, was es für die Haushaltung that und wie es sich für dieselbe aufopferte, redete das edle Mädchen mit uns nie ein Wort. So eingeschränkt man in unserer Haushaltung lebte, so strengte man sich zur Bestreitung aller so geheißenen Ehrenausgaben beynahe immer über Vermögen an, und that hierin ohne alles Verhältniß mehr als bey andern Ausgaben. Trinkgelder, Neujahrsgeschenke und dergleichen sparte man nicht. Wenn die Mutter und das Babeli es auch noch so ungern sahen, daß ein unvorhergesehener Fall eine solche Ausgabe herbeyführte, so wurde sie doch immer sehr ehrenhaft bestritten. Ich und meine zwey Geschwister hatten immer sehr schöne Sonntagskleider; aber wir durften sie nur wenig tragen und mußten sie, sobald wir heimkamen, wieder ablegen, damit sie recht lang als Sonntagskleider getragen werden können. Erwartete die Mutter einen Besuch, so wurde die einzige Stube, die wir hatten, mit aller Kunst, die uns möglich war, in eine Besuchstube umwandelt.

Mein Großvater war Dorfpfarrer, der sich noch in der treuen Sorgfalt für die Erhaltung der halbtodten Überreste der bessern alten Schulzeit wohlgefiel und seinen Schulmeister zum gemeinen, ernsten Fleiß in den harten Formen des Lesen-, Schreiben-, und Auswendiglernens ihrer Gebete, Bibelsprüche und Catechismusfragen anhielt. Er verband seine dießfällige Schulbesorgung mit der in der alten Zeit eben so allgemeinen Pflicht der Seelsorger, die Hausbesuchungen nicht nur in zufälligen Umständen von Krankheiten und Unglücken, sondern in einer regelmäßigen Ordnung das Jahr durch zu halten. Er hielt darüber seine ordentlichen[214] Verzeichnisse, darin der Zustand einer jeden Haushaltung umständlich beschrieben war, wodurch er allem, was in sittlicher und häuslicher eben wie in religiöser Hinsicht in jedem Hause noth that, nicht nur mit väterlicher Sorgfalt, sondern auch mit bestimmter Sachkenntniß nachfragen konnte. Dadurch hatten diese Besuche einen reellen Einfluß auf die Schulkinder. Seine Schule, so schlecht sie in Kunsthinsicht dastand, war mit der sittlichen und häuslichen Bildung des Volks in einem belebten Zusammenhang, der auf die Einübung der Aufmerksamkeit, des Gehorsams, der Thätigkeit und Anstrengung und hiemit auf die wesentlichsten Fundamente der Erziehung kraftvoll und real einwirkte. Bey den, wiewohl geschwächten Überresten der alten bessern Zeit, war unser Landvolk auch noch in diesen Tagen in den meisten unserer Dörfer im allgemeinen brav, voll Natursinn, Lebenstakt und einer einfachen, unschuldigen Thätigkeit, und in seiner Unwissenheit und Beschränkung mit einem einfachen, aber regen Sinn für alles, was im Wesen brav, gut, recht und wahr ist, belebt, der sich in den ausgezeichnetern Menschen dieser Zeit auch in den niedersten Hütten der Landleute gegen jede Art von grellen Erscheinungen des Unrechts, der Lügen, der Lieblosigkeit und Hartherzigkeit, von wem diese auch immer herkamen, mit unbefangenem und sorgenfreyem Muth, Eifer und Widerstand äußerte. Die Lauheit und Gleichgültigkeit für alles, was recht oder unrecht, gut oder böse ist, hatte unter dem Landvolk durchaus noch nicht allgemein Fuß gegriffen, und dieser Sinn war auch in den Landschulen, ungeachtet ihrer Beschränkung, ihres Zurückstehens und ihrer steigenden, innern Abschwächung, dennoch durch vielseitige alte Übungen und Formen mit einem, im Wesen wirklich psychologischen Takt bis auf einen gewissen Punkt unterhalten und geschützt.

In den Stadtschulen hingegen waren die Überreste der guten, alten Zeit nicht mehr in eben dem Grad belebt und unterstützt. Einseitig den Mangel an guter, wissenschaftlicher Bildung erkennend, aber den Zusammenhang ihres Segens mit der Wohnstubenbildung des Volks und mit den Kräften und Fertigkeiten, welche die thätige tägliche Ausübung dieser Erkenntnisse im häuslichen Leben voraussetzen und fordern, eben so von Jahr zu Jahr mehr mißkennend, hatte sich in der städtischen Erziehung eine Gleichgültigkeit, Unkunde und Unaufmerksamkeit auf den[215] innern Zusammenhang aller wesentlichen häuslichen und Schulbildungsmittel mit der, aus diesem Zusammenhange allein entspringenden, sittlichen, geistigen und physischen Gemeinkraft in der Erziehung eingeschlichen, der die Fundamente der alten bürgerlichen Erziehung und der Realvorzüge, die dieselbe in der Vorzeit von der Erziehung unsers Landvolks hatte, in einem hohen Grad verschwinden gemacht. Die Stadt litt in häuslicher und bürgerlicher Hinsicht zuerst darunter. Die tiefern Fundamente der Vorzüge des Stadtlebens vor dem Landleben verschwanden vielseitig. So wie ehemals die Kraft und die Bildung des Landvolks von der Stadt ausgieng und in ihren Segensresultaten denn hinwieder sich in der Stadt concentrirte, so gieng jetzt die wachsende Abschwächung und das wachsende Verderben des Landvolks vielseitig von der Stadt aus. Auch war es unter den Pfarrern der damaligen Zeit allgemeine Klage: Omne malum ex urbe. Indessen fiel mir frühe auf, daß der Fehlerhaftigkeit der ländlichen Erziehung allgemein und in ihrem Wesen unendlich leichter zu helfen seyn könnte, als derjenigen der städtischen. Dabey war mir das Landvolk lieb. Ich bedauerte den Irrthum und die Ungewandtheit, in denen seine, noch belebtere, Naturkraft unbeholfen dastand, und es erregte sich sehr frühe in meinen jugendlichen Jahren ein lebendiger Gedanke, ich könnte mich fähig machen, dießfalls mein Scherflein zur Verbesserung der ländlichen Erziehung beyzutragen. Es schien mir schon in meinen Jugendjahren heiter, dieses müsse in Kunsthinsicht durch die höchstmögliche Vereinfachung der gewohnten Schulunterrichtsmittel des Schreibens, Lesens und Rechnens angebahnt werden. Doch, ehe ich hierin weiter schreite, muß ich vorher die Geschichte meiner eigenen weitern Erziehung und des Einflusses umständlicher darlegen, den ihr einseitiges Gute und ihr vielseitiges Fehlerhafte auf meine Bestrebungen, durch Vereinfachung der gemeinen Unterrichtsmittel die Kräfte der Wohnstubenbildung des Volks von neuem zu beleben und den Landschulen dadurch einen Theil des Segens der Vorzeit wieder zu geben, hatte.

Mein jugendlicher Karakter war, wie ich eben gesagt, gefühlvoll, vom Eindruck jeder Augenblickserscheinung gewaltsam hingerissen; dabey in seiner Thätigkeit voreilend und unüberlegt. Ich sah die Welt nur in der Beschränkung der Wohnstube meiner Mutter und in der eben so großen Beschränkung meines Schulstubenlebens;[216] das wirkliche Menschenleben war mir beynahe so fremd, als wenn ich nicht in der Welt wohnte, in der ich lebte. Ich glaubte alle Welt wenigstens so gutmüthig und zutraulich als mich selbst. Ich war also natürlich, von meiner Jugend auf, das Opfer eines jeden, der mit mir sein Spiel treiben wollte. Es lag nicht in meiner Natur, von irgend jemand etwas Böses zu glauben, bis ich es sah oder selber Schaden davon hatte; und so wie ich meinen Mitmenschen in allen Stücken mehr zutraute, als ich sollte, so traute ich auch mir selbst mehr Kräfte zu, als ich hatte, und hielt mich zu vielem vollkommen fähig, wozu ich eigentlich ganz untüchtig war. Das führte mich durch eine blinde Gutmüthigkeit vom Anfang meines Jünglingsalters bis auf den heutigen Tag zu einer Reihe von übereilten Handlungen und Unternehmungen, die mein gänzliches zu Grunde Gehen, oder wenigstens das gänzliche Stillstehen meiner Lebenszwecke alle Augenblicke hätten herbeyführen können, und doch, Gott sey es gedankt, nie vollends herbeygeführt haben. Dieses Letzte war bestimmt nur dadurch möglich, da das immerwährende Mißlingen meines Thuns indeß immer auch eine Seite hatte und mit Umständen und Resultaten begleitet war, die mich wieder befriedigten und in mir selber erhoben. Mitten im Drange meiner Lebensbestrebungen und im Mißlingen derselben erhielt mich dabey auch mein Leichtsinn bey Fällen lachend und froh, wo bald jeder andere sich zu Tode gegrämt hätte.

Merkwürdig ist mir, daß eine Menge Anekdoten, die man sich in meiner Familie von meinem Ahnherrn väterlicher Seite, dem Archidiakon Ott, gar oft erzählte, eine ganz auffallende Ähnlichkeit seines Karakters und seiner Eigenheiten mit dem meinigen zeigen, und eine Idee sehr zu bestätigen scheinen, daß nämlich Familienkaraktere gar oft nach mehrern Generationen mit Überspringung vieler Zwischenglieder in auffallender Ähnlichkeit wieder erscheinen. Gutmüthig und leichtsinnig wie ich, war er in wirthschaftlichen Angelegenheiten eben so ungewandt und eben so nachlässig, aber da er nicht, wie ich, außer das Gleis des gewohnten bürgerlichen Lebens hinaustrat, sondern wie andere seinesgleichen die gewohnte Laufbahn von den Professorstellen bis zur Chorherrnstelle ordentlich mitmachte, waren die Folgen seiner dießfälligen Schwäche nie so grell auffallend und drückend, wie es bey mir der Fall war. Doch einmal spielte ihm seine gutmüthige[217] Leichtgläubigkeit auch, in ökonomischer und häuslicher Hinsicht einen ärgerlichen Streich. Er besuchte eine, im höchsten Grad als ein Erzschalk berüchtigte Wittwe seiner Gemeinde als ihr Seelsorger in der gutmüthigen Absicht, sie durch seine Vorstellungen dahin zu bringen, mehr auf alles Böse, das man von ihr rede, aufmerksam zu seyn und für ihren guten Namen besser Sorge zu tragen. Aber das schlaue Weib konnte den guten Chorherrn bald überreden, es geschehe ihr in allem, was man von ihr sage, das größte Unrecht; sie sey noch in ihrem besten Alter, und ihre Verwandten, die sie gerne erbten, suchen mit dieser Verschreyung nichts anders, als zu verhüten, daß sie eine anständige Heurath finde u.s.w. Das trieb sie mit einer Besonnenheit und consequenten Kunst, daß der gute Mann zuletzt an alles, was sie ihm hierüber angab, bald wie ans Evangelium glaubte, und sie am Ende selber heurathete. Aber wenige Wochen nach der Hochzeit kam er dahin, die Größe des Fehlers, den er durch diese Heurath begangen, so tief zu fühlen, daß er an die Außenseite seiner Studierstube einen Zettel anheftete, folgenden Innhalts:


»Aus Sodom gieng einst aus, der gute fromme Loth,

In Sodom geht jetzt ein, der Narr, der Chorherr Ott.«


Die Farce endigte sich bald mit einer Scheidung. Mit aller Gutmüthigkeit und Bescheidenheit, die ihm eigen war, hatte auch er eine viel zu große Vorstellung von sich selbst und vom Grad seiner Kultur. Eine von ihm besorgte und mit Anmerkungen begleitete Ausgabe von Flavius Josephus und einige antiquarische Nachforschungen hatten ihm seiner Zeit eine Art von literarischem Ruf erworben, der ihn aber in seinem dießfälligen Zutrauen auf sich selber viel zu weit und dahin führte, daß er eine große Reihe seiner spätern Jahre bis in sein höchstes Alter an einem weitläufigen, sich in viele Folio-Bände ausdehnenden, so betittelten Clavis des Flavius Josephus arbeitete und die größten ökonomischen Hoffnungen auf die Ausgabe desselben setzte, an deren Erfüllung er gar nicht zweifelte, da sein Sohn beym Bischof von Canterbury als Bibliothekar in großem Ansehen stand. Dieser aber starb sehr frühzeitig, und das Werk meines Ahnherrn war bey den Vorschritten der Zeit in der dießfälligen Literatur immer unbedeutender; er fand am Ende durchaus keinen Verleger dazu, wenn er ihm auch das Manuscript umsonst gegeben hätte. Wahrlich,[218] das hätte mir mit einigen Versuchen meiner Sprachübungen, für die ich ganze Riese Papier überschrieb, ohne daß ich jetzt einen Bogen davon druckwürdig achte, sehr leicht begegnen können. Doch ich fand in meinen Umgebungen hierüber so harte Zurechtweisungen, daß ich bis auf den heutigen Tag nie auch nur versucht wurde, mich hierin großen träumerischen Hoffnungen zu überlassen. Diese Ähnlichkeit mit mir sprach sich bey ihm in den vielseitigsten Richtungen auffallend aus. Eben wie ich, die Irrthümer und Schwächen seiner Zeitwelt tief fühlend und mit warmem Herzen an der Hoffnung Theil nehmend, sein Scherflein insonderheit in Rücksicht auf die Klarheit und Einfachheit des Religionsunterricht beyzutragen, schloß er sich an die Bemühungen Turettin's, Werenfels' und Osterwald's enge an und stand in naher Verbindung mit diesen Männern, ob ich gleich nicht glaube, daß er in wissenschaftlicher Hinsicht einigen von ihnen gleich kam.

Indeß war er dabey von einiger Eitelkeit in der Neuerungssucht so wenig frey und gegen anders Denkende eben so schonungslos, als ich dieses beydes in einigen Epochen meines Lebens auch war. Folgender Umstand gibt über seine dießfällige Schonungslosigkeit gegen die steifen Orthodoxen seiner Zeit einiges Licht. Sein Haus war, wie es seit der Reformation in Zürich bey allen kulturhalber sich auszeichnenden Männern der Fall war, für alle bildungshalber wohl empfohlenen Menschen ein offenes Haus. Unter den Fremden, die ihn oft besuchten, kam einmal auch ein Sohn von Osterwald, und mein Chorherr, der wußte, daß allemal, wenn Fremde zu ihm kommen, ein steifer wortklauberischer Theologus Schweizer, der ein wenig Französisch sprach, sich zudrängte und den Fremden ausfragte, wer er sey und woher er komme, instruirte den jungen Osterwald, der kein Wort deutsch konnte, wenn ein dicker alter Mann, der zu ihm komme, ihn fragen werde, wer er sey, so soll er ihm antworten: »Ich bin klein Ketzerlein, und mein Vater ist ein großer Ketzer.« Launige Antworten waren seine Lieblingssache, und er versäumte keine Gelegenheit, die sich ihm darbot, mit Worten, die, indem sie das Gefühl der Menschen ansprachen, in ihnen Gedanken anregten, die die Worte, die er aussprach, eigentlich nichts weniger als ganz ausdrückten. Er liebte überhaupt das Winken weit mehr als das Erklären; er verstand es aber auch besser und brauchte übrigens[219] dieses Talent mit einer Gutmüthigkeit, daß ihm nicht leicht jemand etwas übel nahm, das er sagte. Er ergriff jede, auch die unbedeutendste Gelegenheit zu launigen Ausdrücken.

Einmal begegnete ihm in einem engen Gäßchen ein dicker, großer Küfer, der in seinem festen Bürgermarsch hart beynahe an ihn anstieß, ehe er ihm auswich. Mein Chorherr stellte sich, redete ihn an und sagte ihm ganz ernsthaft: »Meister Küfer, Ihr habt doch wohl gethan, daß Ihr mir ausgewichen.« Der dicke Küfer, der das schwache, alte Männchen sich so stellen sah, mußte lachen und sagte: »Aber, Herr Chorherr, wenn ich Euch nicht ausgewichen wäre, was hättet Ihr denn auch wohl gethan?« Mein Chorherr antwortete ihm ganz ruhig: »Dann wäre ich Euch ausgewichen.« Einmal zeigte sich diese Laune sogar in einem Augenblick, wo er einen Verbrecher zum Galgen begleiten mußte. Es war ein abscheulicher Bube; was der Chorherr auch immer zu ihm sagte, schüttelte er nur den Kopf und wollte nichts von ihm hören. Mein Chorherr ließ aber nicht nach; er redete ihm ununterbrochen zu. Das machte den Kerl ärgerlich; es war dazu noch Regenwetter; sie kamen jetzt zu einer Pfütze, und mein Kerl stampfte mit einem Fuß so stark darein, daß mein Chorherr über und über mit Koth bespritzt ward. Dieser aber kehrte sich ganz ruhig zu ihm hin und sagte ihm: »Du, wenn wir jetzt wieder zurückkommen, so mach' es denn doch noch einmal also!« Diese Laune verließ ihn auch in seinen spätesten Jahren nicht und unter keinen Umständen. Bey einer Antisteswahl hatte er einige Hoffnung, zu dieser Stelle gewählt zu werden. Aber ein junger, rüstiger, kraftvoller Mann, der Herr Antistes Wirz, ward ihm vorgezogen. Der würdige neue Antistes wollte dem alten Chorherrn eine Höflichkeit erzeigen, und ließ ihm sagen: er wolle ihm die Dienstagspredigt, die seiner Stelle oblag, gerne abnehmen; eine Predigt mehr oder minder mache ihm gar nichts. Aber mein alter Chorherr verstand das nicht so; er ließ ihm antworten: »er verkaufe seine Erstgeburt nicht um ein Wirzstöcklein.«2 Dieses Launenhafte in seinen Antworten war ihm so natürlich und es erhielt seine Heiterkeit in dem Grad, daß er oft sagte, er glaube, er sey darum so alt geworden, weil er etwas leichtsinnig sey, und alles lieber etwas zu leicht als etwas zu schwer auf die Achseln nehme. Und es ist sicher, daß ich dieses mit Recht auch von mir[220] sagen kann. Ich wäre bey allem, was mir begegnet, sicher nicht so alt geworden, als ich wirklich bin, wenn ich nicht einen, im höchsten Grad leichten Sinn gehabt hätte. Die Ähnlichkeit des Karakters dieses Mannes mit dem meinigen scheint mir wirklich auffallend.

Doch, ich kehre wieder zu mir selber zurücke. Da mir die männliche Kraftbildung meines ersten Jugendlebens in meinem häuslichen Leben, wie ich gesagt habe, ganz mangelte, so war ich in allen Knabenspielen der ungewandteste und unbehülflichste unter allen meinen Mitschülern, und wollte dabey doch immer auf eine gewisse Weise mehr seyn als die andern. Das veranlaßte, daß einige von ihnen gar oft ihr Gespötte mit mir trieben. Einer, der sich hierin gegen mich auszeichnete, hängte mir den Übernamen: »Heiri Wunderli von Thorliken« an. Die meisten aber liebten doch meine Gutmüthigkeit und meine Dienstgefälligkeit, aber kannten allgemein meine Einseitigkeit und Ungewandtheit, so wie meine Sorglosigkeit und Gedankenlosigkeit in allem, was mich nicht sehr interessirte. Obgleich einer der besten Schüler, beging ich denn doch mit einer unbegreiflichen Gedankenlosigkeit Fehler, deren sich auch keiner der schlechtern von ihnen schuldig machte. Indem mich das Wesen der Unterrichtsfächer meistens lebendig und richtig ergriff, war ich für die Formen, in denen es erschien, vielseitig gleichgültig und gedankenlos. Mitten indem ich in einigen Theilen eines bestimmten Unterrichtsfaches hinter meinen Mitschülern weit zurückstand, übertraf ich sie in einigen andern Theilen derselben in einem seltenen Grad. Das ist so wahr, daß ich einst, da einer meiner Professoren, der sehr wohl griechisch verstand, aber durchaus kein rhetorisches Talent hatte, einige Reden von Demosthenes übersetzte und drucken ließ, die Kühnheit hatte, mit den beschränkten Schulanfängen, die ich im Griechischen besaß, eine dieser Reden auch zu übersetzen und im Examen als Probestück meiner diesfälligen Vorschritte niederzulegen. Ein Theil dieser Übersetzung wurde im Lindauer Journal einem Aufsatze, Agis betitelt, beygedruckt. Meine Übersetzung war auch unstreitig in Rücksicht auf Feuer und rednerische Lebendigkeit besser als die des Herrn Professors, ungeachtet ich ohne alle Widerrede noch so viel als nicht griechisch konnte, hingegen der Herr Professor wohl. So wie ich in einzelnen Theilen meiner Unterrichtsfächer ohne alles Verhältniß weniger als in[221] andern, Vorschritte machte, so war mir überhaupt, ich darf nicht einmal sagen, das eigentliche Verstehen, sondern vielmehr das gefühlvolle Ergriffenwerden von den Erkenntnißgegenständen, die ich erlernen sollte, immer weit wichtiger als das praktische Einüben der Mittel ihrer Ausübung. Dabey aber war mein Wille, einige Erkenntnißgegenstände, die mein Herz und meine Einbildungskraft ergriffen, ausüben zu wollen, ob ich gleich die Mittel, sie praktisch ausüben zu können, vernachlässigte, dennoch in mir selbst enthusiastisch belebt, und unglücklicherweise war der Geist des öffentlichen Unterrichts in meiner Vaterstadt in diesem Zeitpunkt in einem hohen Grad geeignet, diesen träumerischen Sinn, sich für die Ausübung von Dingen, die man sich gar nicht genugsam eingeübt, lebendig zu interessiren und dafür fähig zu glauben, bey der Jugend meiner Vaterstadt allgemein sehr belebt. Ihre bessere Jugend nährte diesen träumerischen Sinn, selber Lavater nicht ausgenommen, allgemein. Die Geschichte des ungerechten Landvogts würde die Wahrheit dieser Äußerung in Rücksicht auf den Bildungsgang Lavater's auf eine sehr merkwürdige Art ins Licht setzen, wenn sie nicht in Vergessenheit gebracht worden wäre.

Der Zeitpunkt war indeß bey allen diesen Fehlern, rücksichtlich des öffentlichen Unterrichts, in meiner Vaterstadt in wissenschaftlicher Hinsicht ausgezeichnet gut. Bodmer, Breitinger, später Steinbrüchel und viele andere Professoren und Gelehrte dieser Zeit waren in einem hohen Grad ausgezeichnet wissenschaftlich gebildete Männer, obgleich sie, wo nicht alle, doch weitaus die meisten, eine, für das praktische Leben, wozu die Jünglinge unserer Stadt hätten gebildet werden sollen, nicht genugsam gegründete Geistesrichtung belebte. Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Wohlthätigkeit, Aufopferungskraft und Vaterlandsliebe war das Losungswort unserer öffentlichen Bildung. Aber das Mittel, zu allem diesem zu gelangen, das uns vorzüglich angepriesen wurde, die geistige Auszeichnung war ohne genugsame und solide Ausbildung der praktischen Kräfte, die zu allem diesem wesentlich hinführen, gelassen. Man lehrte uns träumerisch in wörtlicher Erkenntniß der Wahrheit Selbstständigkeit suchen, ohne uns das Bedürfniß lebendig fühlen zu machen, was zur Sicherstellung sowohl unserer innern, als unserer äußern, häuslichen und bürgerlichen Selbstständigkeit wesentlich nothwendig gewesen wäre.[222] Der Geist des Unterrichts, den wir genossen, lenkte uns mit vieler Lebendigkeit und reizvoller Darstellung dahin, die äußern Mittel des Reichthums, der Ehre und des Ansehens einseitig und unüberlegt geringzuschätzen und beynahe zu verachten. Man lehrte uns mit einer diesfalls stattfindenden Oberflächlichkeit annehmen und beynahe blindlings glauben, durch Sparsamkeit und Einschränkung alle Vorzüge des bürgerlichen Lebens, ohne in den wesentlichen Segnungen des gesellschaftlichen Zustandes dadurch beeinträchtiget zu werden, entbehren zu können, und führte uns in Träume von der Möglichkeit des häuslichen Glücks und der bürgerlichen Selbstständigkeit hinein, ohne große bürgerlich gebildete Erwerbs- und Verdienstskräfte zu besitzen. Das ging so weit, daß wir uns in Knabenschuhen einbildeten, durch die oberflächlichen Schulkenntnisse vom großen griechischen und römischen Bürgerleben uns solid für das kleine Bürgerleben in einem der schweizerischen Kantone und ihren zugewandten Orten vorzüglich gut vorbereiten zu können. Dieser Aufflug zur Bildung eines solchen hohen Träumersinns war um so ansteckender, weil die Abschwächungsquellen des alten Schweizergeistes und seiner Einfalt, Würde und Treue in allen unsern bürgerlichen Institutionen in diesem Zeitpunkt schon sichtbar und auffallend tiefe Wurzel gefaßt, und folglich der Wunsch, dem sinkenden, guten Geist unsers Vaterlands wieder aufzuhelfen, so wie den diesfälligen Übeln, die jeder edeln Schweizerseele zu Herzen gingen, mit Ernst und Kraft in ihren tiefern Wurzeln entgegen zu wirken, vielseitig aus reinem, vaterländischem Herzen hervorging. Aber es mangelte der diesfälligen Speise, die uns in diesem Zeitpunkt aufgetragen wurde, die Einfachheit und Unschuld des Natursinns und der Naturkraft, die dem alten vaterländischen Geiste, so den wir wieder herstellen wollten, zum Grunde lag. Die Schriften, die man uns zur Belebung dieses Sinnes in die Hand spielte und empfahl, waren bey allem Guten, das sie hatten, Produkte der tiefen Zeitverkünstelung, in der wir lebten, und der Unnatur ihres Verderbens. Sie waren eigentlich dazu gemacht, uns in einem hohen Grad selber zu verkünsteln, den Bon sens unserer Väter in uns selber umzukehren und uns sogar gegen die wesentlichen Ansprüche der Kunstlosigkeit und Einfachheit in den ersten Ansichten des gemeinen Lebens nicht nur zu verwirren, sondern selber zu verhärten.[223]

Die Erscheinung Rousseau's war ein vorzügliches Belebungsmittel der Verirrungen, zu denen der edle Aufflug treuer, vaterländischer Gesinnungen unsere vorzügliche Jugend in diesem Zeitpunkt hinführte, der dann durch den bald darauf folgenden, großen, leidenschaftlichen Weltgang in unserer Mitte vielseitig in steigende Einseitigkeit, Unbesonnenheit und Verwirrung hinüber ging, und durch die Miterscheinung von Voltaire und seiner verführerischen Untreue am reinen Heiligthum des religiösen Sinnes und seiner Einfalt und Unschuld mitwirkte, eine, für den wirklichen Segen unserer altväterisch reichsstädtisch geformten Vaterstadt ganz unpassende, neue Geistesrichtung zu erzeugen, die weder das alte Gute, das wir hatten, zu erhalten, noch irgend etwas solid Besseres zu erschaffen geeignet und geschickt war. Auch bey mir war die Erscheinung Rousseau's der Anfangspunkt der Belebung der bösen Folgen, die die nahende Weltverwirrung auf die Unschuld des Hochflugs zu Gunsten der Erneuerung der altvaterländischen Schweizergesinnungen beynahe auf die ganze edlere Jugend meines Vaterlands hatte. So wie sein Emil erschien, war mein im höchsten Grad unpraktischer Traumsinn von diesem ebenso im höchsten Grad unpraktischen Traumbuch enthusiastisch ergriffen. Ich verglich die Erziehung, die ich im Winkel meiner mütterlichen Wohnstube und auch in der Schulstube, die ich besuchte, genoß, mit dem, was Rousseau für die Erziehung seines Emils ansprach und forderte. Die Hauserziehung, so wie die öffentliche Erziehung aller Welt und aller Stände erschien mir unbedingt als eine verkrüppelte Gestalt, die in Rousseau's hohen Ideen ein allgemeines Heilmittel gegen die Erbärmlichkeit ihres wirklichen Zustandes finden könne und zu suchen habe. Auch das durch Rousseau neu belebte, idealisch begründete Freiheitssystem erhöhte das träumerische Streben nach einem größern, segensreichen Wirkungskreise für das Volk in mir. Knaben-Ideen, was in dieser Rücksicht in meiner Vaterstadt zu thun nothwendig und möglich sey, brachten mich dahin, den Stand eines Geistlichen, zu dem ich früher hinlenkte und bestimmt war, zu verlassen, und den Gedanken in mir entkeimen zu machen, es könnte möglich seyn, durch das Studium der Rechte eine Laufbahn zu finden, die geeignet wäre, mir früher oder später Gelegenheit und Mittel zu verschaffen, auf den bürgerlichen Zustand meiner Vaterstadt und sogar meines Vaterlandes einigen thätigen[224] Einfluß zu erhalten. Aber ein Umstand, der mir nahe ans Herz ging, zernichtete diesen Plan glücklicherweise für mich in seinem ersten Ursprunge.

Der Freund, an dessen Kraft mich meine mir selbst wohl bewußte Einseitigkeit und praktische Schwäche in meinen weitführenden Endzwecken hoffnung- und vertrauensvoll anschloß, litt schon eine Weile an einer Brustkrankheit, die wir lange für unbedeutend hielten; diese aber nahm in diesem Zeitpunkt eine sehr ernste Richtung und war bald entscheidend tödtlich. So wie er das sah, ließ er mich zu sich kommen und sagte mir: »Pestalozzi! ich sterbe, und Du, für Dich selbst gelassen, darfst Dich in keine Laufbahn werfen, die Dir bey Deiner Gutmüthigkeit und bey Deinem Zutrauen gefährlich werden könnte. Suche eine ruhige, stille Laufbahn und lasse Dich, ohne einen Mann an Deiner Seite zu haben, der Dir mit ruhiger, kaltblütiger Menschen- und Sachkenntniß mit zuverlässiger Treue beysteht, auf keine Art in ein weitführendes Unternehmen ein, dessen Fehlschlagen Dir auf irgend eine Weise gefährlich werden könnte!«

Sein Tod ging mir nahe ans Herz. Ich glaubte seinem Rath in seiner ganzen Ausdehnung folgen zu wollen, aber ich trug dabey nicht genugsam Sorge dafür, den Quellen der Gefahren, vor denen er mich warnte, die in mir selbst lagen und tief eingewurzelt waren, mit ernster, kraftvoller Sorgfalt entgegenzuwirken. Ich warf mich zwar auf den alten Plan, verbesserte und vereinfachte Unterrichtsmittel in die Wohnstube des Volks zu bringen, mit gedoppelter Lebendigkeit zurück, und hoffte auf diese Weise in einer ruhigen, glücklichen, häuslichen Laufbahn dem Zustand des gemeinen Volks durch meinen Einfluß auf die Vereinfachung seines Unterrichts und eine tiefer begründete Bildung seines ökonomischen Erwerbs im Stillen wohlthätig auf meine Umgebungen wirken zu können. Aber ich kannte den Weg, den ich mir vornahm, so wenig als mich selber, und ahnete nicht, wohin er mich führen werde. So wie ich war, konnte ich ihn nicht einmal ahnen, und nahm in der Blindheit meiner Begeisterung über diesen in mir neu belebten Plan plötzlich den Entschluß, mich ganz dem Landbau zu widmen. Der große Ruf, den Tschiffeli als Landwirth hatte, veranlaßte mich, bey ihm Rath, Wegweisung und Bildungsmittel für diesen Zweck zu suchen. Er nahm mich mit großem Wohlwollen auf, aber die Landwirthschaft, wie[225] er sie betrieb, so wie seine Lebens- und Weltansichten überhaupt, waren in der großen Ausdehnung seiner vielseitigen Kenntnisse und Bestrebungen in praktischer Hinsicht so wenig solid, als ich im Zustand meiner Unwissenheit fähig, aus dem großen äußern, praktisch scheinbaren Tableau des Feldbaus, das bey ihm vor meinen Augen stand, und aus den großen Ansichten und Aussichten, mit denen dieser edle Mann mein Herz nährte und meinen Kopf zu erheitern suchte, eigentlich Nutzen zu ziehen und mich praktisch für den Landbau zu bilden. Ich ging mit vielen einzelnen, großen und richtigen Ansichten und Aussichten über den Landbau als ein eben so großer landwirthschaftlicher Träumer von ihm weg, wie ich mit vielen einzelnen, großen und richtigen, bürgerlichen Kenntnissen, Ansichten und Aussichten als ein bürgerlicher Träumer zu ihm hin kam. Mein Aufenthalt bey ihm führte mich nur dahin, mich durch seine diesfällig kühnen und großen, aber in der Verwirklichung schwierigen und zum Theil unausführbaren Pläne in den gigantischen Ansichten meiner Bestrebungen von neuem wieder zu beleben und zugleich in der Gedankenlosigkeit über ihre Ausführungsmittel in eine Verhärtung verfallen zu machen, deren Folgen schon in den ersten Jahren meiner ländlichen Laufbahn auf das ökonomische Unglück meines Lebens entscheidend einwirkten, und mein Herz bis auf den heutigen Tag vorzüglich darum mit Wehmuth erfüllen, weil sie das Schicksal einer der reinsten, edelsten Seelen, die ich je auf Erden gesehen, an meiner Seite für ihre ganze Lebenszeit unglücklich machten.

Ich hatte unter den Jünglingen Zürich's viele Freunde und gelangte durch einen derselben mit dieser Person, die seine Schwester war, in Bekanntschaft. Sie nahm an meinen Plänen warmen Antheil. Ich liebte sie, aber meine Wünsche fanden Schwierigkeiten. Ich war arm und sie, oder vielmehr ihre Eltern, sehr wohlhabend. Gedankenlos, unbesonnen und blind meinen Wünschen nachstrebend, kam ich zu meinem Ziele und träumte mit dieser Verheurathung mir einen Himmel auf Erden. Mein Glaube an die sichere und große Erfüllung meiner menschenfreundlichen und pädagogischen Zwecke stieg zu einer Scheinüberzeugung empor, daß ich den Gedanken, sie könnte mir auf irgend eine Weise noch fehlen, mir nicht einmal einfallen ließ. Ich hatte Kredit, ich hatte Geld, ich war geliebt, und es zeigte sich sogar in Geldsachen[226] kein Schatten einiger Bedenklichkeit in meinen Umgebungen. Tschiffeli's und mehrerer Berner Grapp-Pflanzungen, die man damals so viel als vollkommen gerathen ansah, erregten großes Aufsehen, und im Vertrauen auf die Kenntnisse und Erfahrungen, die ich mir im Feldbau bey Tschiffeli erworben, verband sich ein sehr reiches Haus meiner Vaterstadt für einen Versuch in dieser Pflanzung mit mir, und es schien sich einen Augenblick alles zu vereinigen, um mich ohne Rücksicht auf den eigentlichen Zweck der Grapp-Pflanzung im allgemeinen, zum höchsten Gipfel meiner landwirtschaftlichen und menschenfreundlichen Hoffnungen empor zu heben.

Ich war bey meinen Nachforschungen nach einer, in landwirthschaftlicher Kultur noch in einem hohen Grade zurückstehenden Gegend, in der ich mich einkaufen wollte, durch Hrn. Pfarrer Rengger in Gebistorf mit dem Zustand des Birrfelds bekannt, auf welchem seit undenklichen Zeiten ein paar tausend Jucharten fast immer brach lagen und die meiste Zeit vom Kloster Königsfelden als eine schlechte, dürre Schafweide benutzt wurden und nicht anders benutzt werden konnten, weil der ganze Umfang dieser großen Haide nur an ihren äußersten Gränzen einige wenige Jucharten schlechtes Mattland, so wie nur wenige unbedeutende Wasserquellen hatte. Das Mißverhältniß der Matten und der Äcker war im ganzen Umfang dieses Bezirks so groß, daß man wohl dreißig Juchart trockenes Ackerland auf eine Juchart schlechtes, trockenes Mattland zählen konnte. Dabey waren die Besitzer dieser großen Weide allgemein so arm, daß sie durchaus nicht im Stande waren, durch Ankauf von Heu und Stroh etwa allmählig etwas zur Verbesserung ihrer öde liegenden Kornfelder beyzutragen. Aber wenige Jahre, ehe ich diese Gegend kennen lernte, hatte man im Dorfe Lupfig, das an Birr, woselbst ich mich einkaufen wollte, anstoßt, eine Mergelgrube entdeckt, die zur künstlichern Anlegung von Matten ganz ausgezeichnete Wirkung hatte, und zugleich zeigte sich, daß in den trockensten Gegenden des kalkartigen Bodens, der am Fuß des Bruneggergebürgs hinter Birr liegt, die Esparsette ohne Dünger mit entschiedenem Erfolg gebaut werden könnte. Der damalige Pfarrer von Birr, Herr Frölich, den ich durch Hrn. Pfarrer Rengger kennen gelernt, war ein mit dem Wesen der Landwirthschaft sehr vertrauter und für die Verbesserung dieser Gegend sich wirklich interessirender Mann.[227] Dieser machte mich mit den wichtigen Umständen, die ich eben des Birrfelds halber berührt, näher bekannt, und überzeugte mich bald, daß die wesentlichen Mittel, welche eine solide Verbesserung dieser Gegend im Großen herbeyführen müssen, mit Sicherheit zur augenblicklichen und leichten Benutzung schon an der Hand liegen. Gestützt auf die ökonomischen Kräfte und Mitwirkung, die mir das Verhältniß mit dem Handelshause, das sich zu diesen Entzwecken mit mir verband, vollkommen zuzusichern schien, nahm ich augenblicklich den Entschluß, sechs- bis achthundert Juchart von diesem Land um den Spottpreis, um den es damals zu haben war, so geschwind als es thunlich zusammenzukaufen, und fieng sogleich, nachdem ich gegen hundert Juchart desselben bey einander hatte, mit dem Bau eines Hauses an, dessen Anlage für das Wesen meiner Zwecke so unüberlegt, so unpassend und zweckwidrig war, als der Ankauf des großen Landstrichs, den ich mir vornahm, an sich vollkommen wohl berechnet und in seinen ökonomischen Vortheilen unfehlbar gewesen wäre. Aber in der Ausführung hätte auch dieser Plan dennoch sehr große, und ich bin jetzt überzeugt, unübersteigliche Schwierigkeiten gehabt. Die Zahl der Güter, die bis nahe an die Örter Birr, Lupfig und Brunegg in diesem Fall in meine Hände gefallen wären, hätten die anstoßenden Äcker in wenig Jahren in ihrem Preis zehn und mehrmal höher, als sie in diesem Zeitpunkt standen, steigen gemacht; dadurch hätten sich diese an mich anstoßenden Dörfer plötzlich ihrer nächsten Güter um einen todten Pfenning beraubt gesehen; dieses aber hätte die Berner'sche Regierung nothwendig zu ihren Gunsten mir und meinem Unternehmen ungeneigt und entgegen wirkend machen müssen.

Die Sache aber nahm plötzlich eine andere Wendung. Mein unvorsichtiger und zweckwidriger Hausbau und das öffentliche Urtheil über den Mann, dem ich in der Besorgung meines ganzen Unternehmens ein sehr großes Vertrauen schenkte, der aber, obgleich in gewissen wesentlichen Rücksichten für mich außerordentlich brauchbar, allgemein verhaßt und gefürchtet war, nahm demselben in der ganzen Nachbarschaft schnell das öffentliche Vertrauen. Das Handelshaus, mit dem ich für mein Unternehmen verbunden war, bekam von allen Seiten und selber vom Pfarrer Frölich, der mir im Anfang diesen Ankauf gerathen, aber[228] auch den Mann, dem ich in der Ausführung meines Plans mein Vertrauen schenkte, sehr haßte, den Bericht, mein ganzes Unternehmen sey, wie ich es führe, ein Narrenstreich, und das Haus werde, wenn es meiner Handlungsweise nicht Einhalt thue, das Geld, das es darein setze, ganz sicher alles verlieren. Bestürzt über diese Nachrichten, aber liebreich und sorgfältig, sandte es zwey achtungsvolle Männer meiner Vaterstadt, die in Rücksicht auf landwirthschaftliche Kenntnisse allgemein das größte Vertrauen hatten, zu mir, um den Zustand der Unternehmung zu untersuchen und ihm davon Bericht zu ertheilen. Ich weiß nicht, ob ich sagen soll, glücklicher- oder unglücklicherweise für mich, war diesen Herren der kalkartige Boden, den ich angekauft hatte, in Rücksicht seiner Eigenthümlichkeit und der Leichtigkeit, durch Mittel, die an Ort und Stelle vorhanden waren, verbessert zu werden, durchaus nicht bekannt. Der große Theil des Landes, der zum Theil viele Jahre nicht gepflügt wurde, war fast wie der Boden einer Steingrube, ohne Spur von nahrhafter Erde, und auch im gepflügten Land war nach ein paar Regentagen, die darüber giengen, in seiner Oberfläche fast nichts zu sehen, als die Menge kleiner weißer Kalksteine, die den Boden bedeckten. Sie erstaunten über die Unvorsichtigkeit meiner Ankäufe, noch mehr aber über die Unpassenheit und Kostbarkeit der Anlage des Wohngebäudes, das ich angefangen, und hatten in letzter Rücksicht auch vollkommen recht. Auf ihren Bericht hin hielt das mit mir verbundene Haus das Unternehmen für vollkommen verloren, zog sich mit einigem Verlust zurück und überließ mir die weitere Ausführung desselben allein. Ich für mich hielt das Unternehmen durchaus noch nicht als entschieden gefehlt. Es war es auch in seinem Wesen wirklich nicht. Der Preis der Juchart, die ich im Durchschnitt allgemein zu zehn Gulden gekauft hatte, stieg von Jahr zu Jahr und steht jetzt notorisch und allgemein auf zwey-, drey- bis vierhundert Gulden; er wäre auch, wenn ich meine Ankäufe fortgesetzt hätte, weit schneller so hoch gestiegen. Der Boden meines Guts war gegen allen Anschein gut und leicht verbesserbar. Die dürren Äcker verwandelten sich schnell in blühende Esparsettenfelder; kurz, der Grund des Fehlschlagens meines Unternehmens lag nicht in ihm, er lag wesentlich und ausschließlich in mir und in meiner, zu jeder Art von Unternehmung, die praktisch ausgezeichnete Kräfte anspricht, pronunzirten[229] Untüchtigkeit. Jedermann kannte dieselbe, nur ich selbst nicht.

Der Traum meines Lebens, die Hoffnungen eines großen, segensvollen Wirkungskreises um mich her, das in einem ruhigen, stillen, häuslichen Kreis seinen Mittelpunkt finden sollte, war nun völlig dahin. Mein Nothzustand, den täglich wachsenden Ansprachen meines unausgebauten Hauses und Guts ein Genüge zu leisten, stieg immer in dem Grad, als ich mich in den Mitteln, ihm abzuhelfen, ungeschickt benahm. Meine Gemahlin litt unter diesen Umständen tief; aber weder in mir, noch in ihr, schwächte sich auch unter denselben der Vorsatz, unsere Zeit, unsere Kräfte und den Überrest unseres Vermögens der Vereinfachung des Volksunterrichts und seiner häuslichen Bildung zu widmen. Das aber half bey der Ungeschicklichkeit und Ungewandheit, mit der ich mich auch jetzo noch in den Anbahnungs- und Vorbereitungsmitteln zu meinen Zwecken benahm, gar nichts; im Gegentheil, es verführte mich noch, und das um so mehr, da ich bey den Grundübeln, die meine erste Unternehmung scheitern machten und noch unerkannt und ungebessert in mir selbst lagen, für ein neues Unternehmen, zu dem mich meine Traumsucht hinführte, unglücklicherweise noch eine nur verführerische und im Grunde zu nichts helfende Handbietung fand. Ich versuchte nämlich, mitten indem der Zustand meiner ländlichen Unternehmung mich ökonomisch schon sehr drückte und immer mehr zurückbrachte, eine Armenanstalt zu begründen, die dem ganzen Umfang der träumerischen Hoffnungen, welche ich mir in meinen frühern Jahren davon machte, entsprechen sollte. Der Glaube an meine Fähigkeit, diesfalls etwas leisten zu können, das für meine Zwecke in einem großen und weitführenden Umfange einzuwirken geeignet sey, belebte mich forthin mit einer unübersteiglichen Gewalt. Ich wollte mein Gut zu einem festen Mittelpunkt meiner pädagogischen und landwirthschaftlichen Bestrebungen, um deren willen ich meine Vaterstadt verließ, erheben. Aber außer den dießfälligen Schwierigkeiten, die in mir selbst lagen, und den ungünstigen, ökonomischen Umständen, in denen ich mich jetzo schon befand, standen mir noch äußere Schwierigkeiten im Weg, die ich nicht ahnte und denen ich um meines individuellen Karakters willen in einem ganz außerordentlichen Grad unterlag. Ich wollte bey alle diesem träumerisch in allen Rücksichten das [230] Höchste, indessen mir ebenso in allen Rücksichten die Kräfte, Fähigkeiten und Fertigkeiten mangelten, von denen die gute Besorgung der ersten und niedersten Anfangspunkte und Vorbereitungsmittel des Hohen und Großen, das ich suchte, allein mit Erfolg auszugehen vermag.

Diese unglückliche Hinlenkung, in allem, was ich vornahm, die oberste Stufe der Leiter, die zu meinen Zwecken hinführen sollte, zu erklimmen, ehe ich auf den untern Stufen derselben festen Fuß gefaßt, und zugleich die Oberflächlichkeit in den Mitteln, den allgemein anerkannten und von mir tief zu Herzen genommenen Mängeln der Volkserziehung in allen Anfangspunkten mit nöthiger praktischer Sachkenntniß und Sorgfalt entgegenzuwirken, abzuhelfen, konnte nichts anders als auf das Fehlschlagen auch dieses gegenwärtigen Plans einen entscheidenden Einfluß haben.

Der herrschende Zeitgeist belebte und stärkte diese Ursachen des Fehlschlagens, die in mir selbst lagen, in einem sehr hohen Grade; er konnte nicht anders, er mußte es. Die Keime zur Entfaltung von Scheinsurrogaten der alten, kraftvollen Erziehungsfundamente, diese böse Quelle der Verkünstelungs-Verwirrungen und das allgemeine Bestreben des pädagogischen Jahrhunderts, in den höhern Stufen der Bildung zu glänzen, ehe dem Bedürfniß einer soliden Begründung ihrer niedern Stufen ein Genüge geschehen konnte, war, ohne daß ich es ahnte, wußte und glaubte, in der höchsten Übereinstimmung mit der Fehlerhaftigkeit meines ganzen Benehmens; und es war doch eben diese Richtung des Zeitgeists, der ich durch meine Bestrebungen mit enthusiastischer Begeisterung entgegenwirken zu können glaubte. So groß, unaussprechlich groß war bey der Eigenheit meines Sinns der Contrast dessen, was ich wollte, mit dem, was ich that, und mit dem, was ich konnte, der aus dem Mißverhältniß meiner gemüthlichen Belebung und meiner geistigen Kraftlosigkeit und bürgerlichen Ungewandtheit hervorgieng und hervorgehen mußte. Ich ahnte die Schwierigkeiten, die die allgemeine Verkünstelung, die in der Zeiterziehung herrscht, jeder wahrhaften und soliden Vereinfachung der Erziehung und des Unterrichts auch in den niedersten Ständen, folglich auch meinem neuen Versuche in den Weg zu legen so vorzüglich geeignet war, nicht einmal von ferne. Ich fühlte durchaus nicht, wie ich sollte, daß, wo immer der Geist der Zeit irgend einer guten Richtung des Erziehungswesens im[231] Allgemeinen in allen Ständen entgegen ist, da ist er es auch in jedem Einzelnen, und in den niedersten Volksklassen wie in den höhern. Das arme und in Niedrigkeit lebende Volk kann unendlich schwer einfach und naturgemäß erzogen werden, wo die Erziehung aller derer, die nicht arm und nicht in der Noth sind, in einem hohen Grad naturwidrig und verkünstelt ist. Dieser Umstand legte natürlich der Ausführung meines pädagogischen Plans zahllose, von mir nicht vorgesehene Schwierigkeiten in den Weg. Um sie aber in ihr wahres Licht zu setzen, muß ich auf den eigenthümlichen Ursprung meines dießfälligen Versuchs zurückkehren.

Ich trat öffentlich mit einem Plan zur Errichtung eines Armenerziehungshauses auf, dessen Ansichten und Grundsätze auch beim Mißtrauen gegen meine praktische Tüchtigkeit in ökonomischer Hinsicht dennoch vielseitig gefiel, und besonders in Zürich, Bern und Basel viele edle, vaterländische Männer so warm ansprach, daß ich zum Anfang desselben sogleich eine, mich im Verhältniß meiner Zwecke täuschende und irreführende Handbietung fand, und mir ebenso, auf diese Handbietung gestützt, von allen Seiten arme Kinder in diese Anstalt angeboten wurden. Aber unter diesen waren sehr viele im höchsten Grad verwilderte, und was noch schlimmer war, viele selber im Bettelstand in einem sehr hohen Grad verzärtelte und dabey protegirte und durch frühere Unterstützung anspruchsvolle und anmaßliche Kinder, denen die kraftvolle Bildung, die ich ihnen nach meinen Zwecken geben wollte, und geben sollte, zum voraus verhaßt war. Diese sahen den Zustand, in dem sie bey mir waren, als eine Art Erniedrigung gegen denjenigen, in dem sie sich vorher befanden, an. Mein Haus war alle Sonntage von Müttern und Verwandten solcher Kinder, die den Zustand derselben ihren Erwartungen nicht genugthuend fanden, voll. Alle Anmaßungen, die sich verzogenes Bettelgesindel in einem Hause, das weder öffentlichen Schutz, noch imponirendes Ansehen in seinem Äußern hatte, erlaubt, wurden von ihnen gebraucht, um ihre Kinder in ihrer Unzufriedenheit zu bestärken, und einige wagten es sogar, mir geradezu zu sagen, der Herr von A., der Herr von B. und der Herr von C., auf dessen Rath sie mir ihre Kinder übergeben, werde ihre dießfälligen Klagen gewiß eben so wahr finden als sie selber. Und es war wirklich so. Hie und da spürte ich gar bald den Einfluß solcher protegirten Bettelväter und Bettelmütter auf Personen, die[232] mir diese Kinder übergeben oder empfohlen hatten. Andere, ganz verwilderte Kinder wurden mir bei Nacht und Nebel, so bald sie gebildet waren, in ihren Sonntagskleidern entführt, und ich fand an den Orten ihrer Wohnung gar oft eine merkliche Unbereitwilligkeit der Behörden, sie mir mit Vertrauen, ohne Umschweife und Weitläufigkeiten, wieder zuführen zu lassen.

Doch diese Schwierigkeiten wären nach und nach mehr oder minder zu überwinden gewesen, wenn ich meinen Versuch nicht in einer, mit meinen Kräften ganz unverhältnißmäßigen Ausdehnung zu betreiben gesucht und mit einer beinahe ganz unglaublichen Gedankenlosigkeit gleich im Anfang in eine Unternehmung hätte verwandeln wollen, die absolut solide Fabriks-, Menschen- und Geschäftskenntnisse voraussetzte, die mir in eben dem Grad mangelten, als ich ihrer bey der Richtung, welche ich meiner Unternehmung jetzt ertheilte, dringend bedurfte. Ich, der ich das Voreilen zu den höhern Stufen des Unterrichts vor der soliden Begründung der Anfangspunkte ihrer niedern Stufen so allgemein mißbilligte und als das Grundübel der Zeiterziehung ansah, auch ihm in meinem Erziehungsplan selber mit allen Kräften entgegenwirken zu wollen glaubte, ließ mich durch die Vorspiegelung der größern Abträglichkeit der höhern Zweige der Industrie, ohne weder sie, noch die Mittel ihres Erlernens und Einführens auch nur von ferne zu kennen, dahin lenken, im Spinnen- und Webenlehren meiner Schulkinder eben die Fehler zu begehen, die ich, wie ich eben gesagt, im Ganzen meiner Erziehungs-Ansichten so sehr verwarf, mißbilligte und für den Haussegen aller Stände gefährlich achtete. Ich wollte das feinste Gespinnst erzwingen, ehe meine Kinder auch nur im Groben einige Festigkeit und Sicherheit in ihre Hand gebracht, und ebenso Musselintücher verfertigen, ehe meine Weber sich genugsam Festigkeit und Fertigkeit im Weben gemeiner Baumwollentücher erworben. Geübte und gewandte Fabrikanten gehen bey einem solchen verkehrten Benehmen zu Grunde; wie vielmehr mußte ich damit zu Grunde gehen, der ich in der Beurtheilung alles dessen, was es hiezu forderte, so blind war, daß ich bestimmt sagen muß, wer nur einen Faden des Meinigen in seine Hand nahm, war sogleich im Stand, den halben Werth desselben darin für mich verschwinden zu machen.

Auch steckte ich, ehe ich mich versah, in unerschwinglichen[233] Schulden, und der größere Theil des Vermögens und der Erbhoffnungen meiner lieben Frau war gleichsam in einem Augenblick in Rauch aufgegangen. Unser Unglück war entschieden. Ich war jetzt arm. Die Größe und Schnelligkeit meines Unglücks war nebenbey auch dadurch herbeygeführt, daß ich in diesem Unternehmen, wie in dem ersten, leicht, sehr leicht ein ungeprüftes Vertrauen erhielt. Mein Plan fand bald einen Grad von Zutrauen, das er bey ernster Aufmerksamkeit auf mein früheres dießfälliges Benehmen bey der gegenwärtigen Unternehmung gar nicht verdient hatte. Man ahnete bey allen schon gemachten Erfahrungen meiner dießfälligen Fehler dennoch den Grad meiner Kraftlosigkeit in allem praktischen Thun noch nicht so groß, als er wirklich war. Ich genoß eine Weile auch jetzo noch ein dem Anschein nach weit führendes Vertrauen. Aber da mein Versuch, wie er mußte, schnell scheiterte, verwandelte sich das, in meinen Umgebungen in einem eben so wenig genugsam überlegten Grad des Gegentheils in eine völlig blinde Wegwerfung auch des letzten Schattens der Achtung meiner Bestrebungen und des Glaubens an meine Tüchtigkeit zur Erzielung irgend eines Theils derselben. Es ist der Weltlauf, und es gieng mir, wie es jedem, der also durch seinen Fehler arm wird, geht. Ein solcher Mensch verliert auch mit seinem Geld gemeiniglich den Glauben und das Zutrauen zu dem, was er wirklich ist und wirklich kann. Der Glaube an die Kräfte, die ich für meine Zwecke wirklich hatte, gieng jetzt mit dem Glauben an diejenigen verloren, die ich mir, in meinem Selbstbetrug irrend, anmaßte, aber wirklich nicht hatte. Ich kann es niemand verargen, die Kräfte, die ich für meine Zwecke wirklich besaß, hatten Lücken, ohne deren genugthuende Ausfüllung sie segenslos in mir selbst lagen. Ich hatte leider schon zweimal in entscheidenden Augenblicken den Rath vergessen, den mir der erste Freund meiner Jugend auf seinem Todbette dieser Lücke halber gab. Ich schäme mich, oder vielmehr es betrübt mich im Innersten. Das große Unglück meiner Lebenstage bis auf diese Stunde ist eine bestimmte Folge dieses unverzeihlichen Fehlers.

Mein Versuch scheiterte auf eine herzzerschneidende Weise. Meine Frau hatte im Übermaaß ihres Edelmuths ihr Vermögen beynahe ganz für mich verpfändet. Personen, deren Namen ich verschweigen muß, mißbrauchten vielseitig mit Härte und zum Theil mit Gefährde ihren Edelmuth. Doch, es ergreift mich eine[234] unwiderstehliche Wehmuth, ich muß das Nähere und Drückendste dieser Umstände und ihrer Folgen mit Stillschweigen übergehen. Ich beklage nur meine Gemahlin, die, indem sie sich mir aufopferte, alles verlor, was ihr edles Herz hätte glücklich machen, und was sie durch ihre Verheiratung mit mir an meiner Seite zu wirken und zu genießen hoffte. Doch, Gottlob! Was ich ihr durch meine Fehler entriß, das gab ihr Gott auf eine gewisse Weise durch Freunde wieder, die bis an ihr Grab ihr Vieles ersetzten, was sie durch mich verloren, und sie in Vielem trösteten, in was sie durch mich betrübt wurde. Sie genoß in der langen Reihenfolge ihrer Leidensjahre eine theilnehmende Aufmerksamkeit und Sorgfalt von einigen edeln Freundinnen, die ihr die Leiden ihrer Tage mit einem Zartgefühl erleichterten, für die ich ihnen und der ob der Unschuld und dem Edelmuth mit göttlicher Kraft waltenden Vorsehung bis auf meinen letzten Athemzug nicht genug danken kann. Auch ich besaß in meinem Unglück noch viele Freunde; aber ich hatte beynahe bey ihnen allen auch die letzte Spur irgend eines Funkens von Vertrauen verloren. Sie liebten mich nur noch hoffnungslos; im ganzen Umfang meiner Umgebungen ward das Wort allgemein ausgesprochen, ich sey ein verlorner Mensch, es sey mir nicht mehr zu helfen.

Das gieng so weit, daß meine besten Freunde, beklemmt von diesem Urtheil und voll von Mitleid, wenn sie mich oben an einer Gasse erblickten, sich in eine andere zurückzogen, damit sie nicht in die Lage kommen, mit einem Menschen, dem durchaus nicht zu helfen sey, ein sie nur schmerzendes und mir selbst nichts helfendes Wort zu verlieren; und Buchhändler Füßli, der beinahe noch der einzige Mensch war, mit dem ich über meine Lage ein herzliches und theilnehmendes Wort reden konnte, sagte mir in diesem Zeitpunkt gerade heraus: meine alte Freunde halten es beynahe allgemein für ausgemacht, ich werde meine Tage im Spital, oder gar im Narrenhause enden. Dieser liebenswürdige, für mich, ach, zu frühe gestorbene Freund nahm innigen herzlichen Antheil an meinem Schicksal, und in eben der Stube, in der er mir dieses sagte, ereignete sich in gleichem Zeitpunkt ein Umstand, der plötzlich eine Besserung meiner ökonomischen Lage und das Ende der traurigen Verhältnisse der Meinigen herbeizuführen geeignet schien. Füßli war wahrer Freund der alten bürgerlichen Anmaßungslosigkeit und selber des veralteten Überrestes[235] der Einfachheit der Vorzeit in den Formen des öffentlichen Stadtdienstes; und man war eben im Begriff, die krummen Wächter vor dem Rathhaus und unter den Thoren in eine, den damals entkeimenden, republikanisch herrschaftlichen Modeansichten des Regierungsdienstes angemessene Form umzugestalten. Diese Neuerung hatte mit dem erwachenden Modegeist des Militärprunks ohne Militärkraft engen Zusammenhang und war von Einfluß habenden Personen unterstützt, die an der Paradestellung müßiggängerischer bürgerlicher und bäurischer Soldaten mehr Freude hatten und ihr Dekorum und ihren Prunk besser zu beurtheilen wußten, und höher schätzten, als den Werth des Bürgerfleißes und der Bürgerehre, von denen der häusliche Segen der Vaterstadt von Alters her ausgieng und sich in der Vorzeit Jahrhunderte lang allgemein blühend erhielt. Diese Maßregel, wie sie geschah, mißfiel sehr vielen altväterisch denkenden Bürgern, und auch mir. Ich machte in einem launigen Augenblick einen, diese Neuerung in's Lächerliche ziehenden, kleinen Aufsatz, der eben auf Füßli's Tisch lag, als dieser mit seinem Bruder, dem Maler, der, so viel ich weiß, jetzo noch in hoher Achtung in London lebt, über mein trauriges Schicksal redete, und bejammerte, daß er durchaus kein Mittel kenne, mir, wie ich sey, und wie ich mich benehme, aus meiner Lage zu helfen. Der Maler nahm in eben diesem Augenblick die »Schnurre« über die Umstaltung der krummen, staubigen und ungekämmten Stadtwächter unter unsern Thoren in gerade gekämmte und geputzte, in die Hand, las sie mehrere Male durch, und sagte dann zu seinem Bruder: »Dieser Mensch kann sich helfen, wie er will; er hat Talente, auf eine Art zu schreiben, die in dem Zeitpunkt, in dem wir leben, ganz gewiß Interesse erregen wird; muntere ihn dazu auf und sage ihm von meiner Seite, er könne sich als Schriftsteller ganz gewiß helfen, wenn er nur wolle!« Mein Freund ließ mich auf der Stelle zu sich kommen und jubelte, indem er mir das sagte und hinzusetzte: »Ich kann gar nicht begreifen, wie es möglich war, daß mir das nicht von mir selbst in Sinn kam.« Mir war es, wie wenn er mir einen Traum erzählte.

Ich hatte mich im Drange meiner Schicksale kulturhalber so vernachlässigt, daß ich bald keine Zeile mehr schreiben konnte, ohne Sprachfehler darin zu begehen, und glaubte, was Füßli auch immer sagte, mich dazu gänzlich unfähig. Doch die Noth, von der[236] man sonst so oft sagt, sie sey ein böser Rathgeber, war mir jezt ein guter. Marmontel's Contes moraux lagen eben, als ich heim kam, auf meinem Tische; ich nahm sie sogleich mit der bestimmten Frage, ob es vielleicht möglich sey, daß ich auch so etwas machen könne, in die Hand, und nachdem ich ein paar dieser Erzählungen gelesen und wieder gelesen, schien es mir doch, das sollte nicht ganz unmöglich seyn. Ich versuchte fünf oder sechs dergleichen kleine Erzählungen, von denen ich nichts mehr weiß, als daß mich keine von ihnen ansprach; die letzte war Lienhard und Gertrud, deren Geschichte mir, ich weiß nicht wie, aus der Feder floß, und sich von sich selbst entfaltete, ohne daß ich den geringsten Plan davon im Kopf hatte, oder auch nur einem solchen nachdachte. Das Buch stand in wenigen Wochen da, ohne daß ich eigentlich nur wußte, wie ich dazu gekommen. Ich fühlte seinen Werth, aber doch nur wie ein Mensch, der im Schlafe den Werth eines Glücks fühlt, von dem er eben träumt. Ich wußte kaum, daß ich wachte; doch fing ein erneuerter Funke von Hoffnung an, sich in mir zu regen, daß es möglich seyn möchte, meine ökonomische Lage auf dieser Bahn zu bessern und den Meinigen erträglicher zu machen. Ich zeigte meinen Versuch einem Freunde Lavater's, der auch mein Freund war. Dieser fand ihn interessant, aber sagte dennoch: »So wie das Buch sey, könne es nicht gedruckt werden; es sey unerträglich inkorrekt und unliterarisch, und werde durch die Umarbeitung von einem Menschen, der schriftstellerische Übung habe, sehr gewinnen, mit Hinzusetzen, er wolle es, wenn es mir recht sey, einem Freund übergeben, den er hiezu sehr fähig glaube.« Anmaßungslos, wie ein Kind, antwortete ich ihm: »das sey mir sehr recht«, und übergab ihm die drey oder vier ersten Bogen des Buchs zu einer solchen Umarbeitung auf der Stelle. Aber wie erstaunte ich, als er mir diese Bogen mit ihrer Umarbeitung wieder zurückgab. Es war eine eigentliche theologische Studentenarbeit, die das reine Naturgemälde des wahren Bauernlebens, wie es von mir in seiner nackten, aber treuen Gestalt einfach und kunstlos dargestellt war, in frömmelnde Kunstformen umwandelte, und die Bauern im Wirtshause eine steife Schulmeistersprache reden machte, die von der Eigenthümlichkeit meines Buchs auch keinen Schatten mehr übrig ließ. Das konnte mir nicht behagen.

Der Freund, der diesem jungen Menschen diesen Auftrag gegeben,[237] schämte sich jezt des Erfolgs selber, und ich bedankte mich der weitern Umarbeitung meines Buchs. Ich wollte dasselbe durchaus nicht so verkrüppelt gegen mich selbst, wie es mir in dieser Umarbeitung in die Augen fiel, in die Welt hinausschicken, und entschloß mich wenige Tage hernach, auf Basel zu reisen, um mich mit Herrn Rathschreiber Iselin, den ich als Mitglied der helvetischen Gesellschaft in Schinznach kennen gelernt und über alles hoch achtete, über mein Buch und über die Art seiner Herausgabe in allen Rücksichten zu berathen. Ich warf in dieser Angelegenheit mein Augenmerk vorzüglich auch darum auf ihn, weil ich von ihm sicher war, daß er in der Beurtheilung des Tons meines Buchs weniger kleinstädtische Rücksichten nehmen werde, als ich dieses von den meisten meiner übriggebliebenen Freunde voraussah und zu besorgen hatte. Aber sein Urtheil und sein Benehmen übertraf dennoch alle meine Erwartung. Der Eindruck, den es auf ihn machte, war ganz außerordentlich. Er sprach geradezu aus: »Es hat in seiner Art noch keines seinesgleichen, und die Ansichten, die darin herrschen, sind dringendes Bedürfniß unserer Zeit; dem Mangel orthographischer Richtigkeit,« setzte er hinzu, »ist leicht abzuhelfen,« und übernahm die Sorge hiefür, so wie diejenige, für die Ausgabe desselben und für ein anständiges Honorar, das mir dafür gebühre, sogleich selber. Doch sagte er dieses leztern halber noch zu mir: »Es wird wahrscheinlich nicht bedeutend seyn, weil Sie als Schriftsteller neu sind und noch keinen Namen haben.« Er schrieb auch sogleich an Decker nach Berlin, der mir einen Louisd'or für den Bogen bezahlte, dabey aber versprach, wenn der Abgang des Buches eine zweite Auflage nothwendig mache, so wolle er mir für den Bogen abermal so viel zahlen. Ich war unaussprechlich zufrieden. Ein Louisd'or für den Bogen war mir in meinen Umständen viel, sehr viel.

Das Buch erschien und erregte in meinem Vaterland und in Deutschland allgemein ein ganz ausgezeichnetes Interesse. Bald alle Journale machten seine Lobrede, was fast noch mehr ist, bald alle Kalender wurden davon voll; was mir aber das Unerwarteste war, die ökonomische Gesellschaft in Bern erkannte mir gleich nach seiner Erscheinung ein Dankschreiben mit ihrer großen goldenen Medaille zu, die ich aber, so sehr sie mich freute, und so gern ich es gethan hätte, in meiner Lage nicht behalten konnte,[238] sondern nach einigen Wochen um den Geldwerth in ein Kabinet verkaufen mußte. Ich kannte den Werth meines Buchs in seinen Hauptansichten selbst noch gar nicht, und dachte nichts weniger, als daß es eine gerathene, malerische Darstellung des ganzen Umfangs der Grundsätze und Gesichtspunkte der Idee der Elementarbildung seyn könnte, die ich zwanzig bis dreißig Jahre später als das Fundament aller naturgemäßen Erziehungs- und Unterrichtsmittel zu erkennen anfing; und seither in der ganzen Zeitfolge meiner pädagogischen Bestrebungen sowohl in ihrem Wesen immer tiefer zu erforschen, als in ihrer Ausübung und Einführung praktisch zu erproben gesucht habe. Ich dachte nicht einmal, daß es als ein wirklich gerathenes Gemälde des Ideals und der innern Grundsätze und Gesichtspunkte des Erziehungsversuchs angesehen werden könnte, den ich lange, ehe ich dieses Buch geschrieben, auf meinem Gut unternommen, aber höchst unglücklich ausgeführt habe. Es war sowohl das eine als das andere wirklich, und zwar in beyden Rücksichten in einem hohen Grad, und in einer hohen, umfassenden Wahrheit. Ich kannte damals das Wort: »Idee der Elementarbildung« gar nicht, und hatte es mit Bewußtseyn auch noch nie aussprechen gehört. Aber das Wesen dieser Idee, wie sie im niedern, gemeinen Volk, beym fast gänzlichen Mangel aller nöthigen Kunstmittel, allein ausgeführt werden kann, und wie ich es schon damals, aber freylich wörtlich unbewußt, in mir trug, ist im Bild der Gertrud in seiner Vollendung dargestellt.

Meine und der Meinigen Freude war über diesen Erfolg unaussprechlich groß. Es hatte auch wirklich den Anschein eines soliden Einflusses auf die Verbesserung meiner ökonomischen Lage, indem es die Aufmerksamkeit einiger bedeutender Menschenfreunde auf mich erneuerte und belebte. Aber so wenig als ich den Erfolg dieses Buchs, so wie er wirklich war, erwartete, eben so wenig ahnete in meinen Umgebungen irgend jemand die innere wesentliche Tendenz desselben, und das innere Leben der Bestrebungen, die in mir selbst lagen, und mir die äußere Hülle seiner Form, beynahe selbst unbewußt, in die Feder legten. Aber weniger noch, als ich selbst, ahneten meine Umgebungen seinen innern Werth und seine innere Tendenz. Es hatte auch in ökonomischer Hinsicht keine bedeutende Folgen für mich. Man sah es in meinen nächsten Umgebungen, die in ökonomischer Hinsicht allein einen[239] wesentlichen Einfluß auf mich hätten haben können, bloß als einen, die Lesesucht des damaligen Zeitgeschlechts lebhaft ansprechenden Roman an, und äußerte von allen Seiten, das Buch zeige klar, daß ich einige Anlagen fürs Romanenschreiben habe, und wenn ich doch jezt nur die Gnade hätte, dieses Talent Tag und Nacht fleißig und ordentlich zu gebrauchen, um mir und meiner Haushaltung einen bessern Mundvoll Brod zu verschaffen, als man mich einen essen sah. Man äußerte sogar hie und da laut, es sey schlecht von mir, wenn ich nicht suche, durch diesen einzigen Weg, der mir noch offen sey, auch wieder zum Stand eines ehrenfesten Bürgers meiner lieben Vaterstadt zu gelangen, den ich gegenwärtig in einem so hohen Grad allgemein verloren.

Aber es lag durchaus nicht in meiner Natur, diesen Rath, so wie er mir gegeben war, zu befolgen. Ich vermochte es auch in der größten Noth nicht, diesen Brodverdienst, zu dem man mich dabey noch einseitig und hie und da bitter und leidenschaftlich hinwies, zum belebenden Fundament meiner Thätigkeit und meiner Anstrengung zu machen. Ich wollte mehr, ich wollte durchaus mit meiner Lebensthätigkeit auf den, mir zu Herzen gehenden Zustand der Volkskultur meines Vaterlands Einfluß suchen; und durch das Talent, das man mir jezt eingestand, den Volkssegen durch Volkswahrheit besser zu begründen trachten, als ich ihn um mich her begründet sah. Lavater fühlte mitten in meiner Lage mehr als irgend jemand in meinen Umgebungen, daß ich einiges Talent und einige Kräfte hiefür besitze, die man mit Unrecht in mir in dem Grad übersah und verschmähte, in dem es wirklich geschah. Er sagte einmal zu meiner Frau: »Wenn ich ein Fürst wäre, ich würde Pestalozzi in allem, was das Landvolk und die Verbesserung seines Zustandes betrifft, zu Rathe ziehen, aber ihm nie einen Heller Geld anvertrauen.« Ein andermal sagte er zu mir selbst: »Wenn ich nur einmal eine Zeile ohne einen Schreibfehler von Ihnen sehe, so will ich Sie zu Vielem, zu sehr Vielem fähig glauben, was Sie gerne thäten und gerne wären.« Sein Urtheil war eine Zwischenstimme zwischen dem um mich her feststehenden Glauben an meine allgemeine und unbedingte Unbrauchbarkeit zu irgend etwas Besserem und Reellem, als zum Romanenschreiben. Aber diese Ansichten von Lavater verschollen beim Unglauben, der über mich[240] herrschte, in meinen Umgebungen, wie die Stimme eines Rufenden in der Wüste.

Man lobte indessen mein Buch forthin. Aber es eckelte mir ob den Ansichten und Grundsätzen, von denen die Lobreden ausgingen, die man mir seinethalben machte. Es war mir besonders ärgerlich zu sehen, wie sein Einfluß in einigen anmaßlichen Zirkeln meiner nähern Umgebungen dahin wirkte, die Quellen des wachsenden sittlichen und bürgerlichen Verderbens unsers Landvolks einseitig und ausschließlich in den Dorfvorgesetzten, wie mein Hummel einer war, zu suchen, und diese freylich äußerst fehlerhafte Unterstufe des öffentlichen Einflusses auf den Volkszustand als die einzige und erste Ursache des wachsenden Verderbens in den Dörfern anzusehen, und diese Unterbeamtete dem Volk selber als die diesfälligen einzigen Landessündenböcke in die Augen fallen zu machen. Dieser Ton wollte in diesem Zeitpunkt allgemein einreißen, und wirkte selbst für den Augenblick dahin, einigen gutmüthigen, aber schwachen Volksfreunden die höhern Ursachen, ohne deren kraftvollern Einfluß gar keine Hummel auf den Dörfern aufkommen könnten, aus den Augen zu rücken.

Nichts konnte meinem Herzen und dem innern Streben meiner selbst mehr zuwider seyn, als diese Folgen des verkrüppelten Beyfalls meines Buches. Sie empörten mich, und so wie ich bin, wollte ich sogleich diesem einseitigen Eindruck desselben mit aller meiner unbefangenen Offenherzigkeit und Lebhaftigkeit durch das einfachst möglichste Mittel entgegenwirken. Ich schrieb, von dieser Ansicht belebt »Christoph und Else«, darin ich den Zusammenhang der höhern, aber auch dadurch hochbemäntelten und hochverschleierten Ursachen des Volksverderbens mit den nackten, unbemäntelten und unverschleyerten Ursachen desselben, wie diese sich auf den Dörfern in den schlechten, hummelartigen Vorgesetzten aussprechen und offenbaren, dem kultivirten Publikum meines Vaterlands und selber den gradsinnigen und in ihrer Art aufgeklärten Landsleuten desselben in die Augen fallen machen wollte. Ich ließ zu diesem Endzweck eine Bauernhaushaltung Lienhard und Gertrud miteinander lesen und sich über die Geschichte desselben und die Personen, die darin auftreten, Sachen sagen, von denen ich dachte, daß sie nicht jedem meiner Mitbürger, wenn er es auch schon gerne wollte, von selbst zu Sinne kommen könnten. Aber das Buch mißfiel. Es[241] wurde nicht gelesen, und sein Verleger wollte die Fortsetzung desselben nicht übernehmen.

Ich fuhr indeß fort, in eben dem Geist zu schreiben, der in Christoph und Else in meinen Umgebungen so auffallend mißfiel, und mir hingegen in meinem Innersten in eben dem Grad immer lieber wurde, als er mißfiel. Ich schrieb in diesem Zeitpunkt successive die Figuren zu meinem ABC-Buche, die später als meine Fabeln betitelt zum Vorschein kamen – ferner eine Broschüre über Gesetzgebung und Kindermord – und meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts. Einige kleine Aufsätze von mir erschienen in Iselins Ephemeriden und in einem von mir herausgegebenen Schweizerblatt. In diesem Zeitpunkt entfaltete sich in mir der Gedanke, ich könne die Gesichtspunkte, die, so wie ich sie in Christoph und Else darzustellen gesucht habe, so sehr mißfielen, durch einen Versuch der geschichtlichen Fortsetzung von Lienhard und Gertrud selber besser erreichen. Die drey spätern Theile von diesem Buche sind als eine bestimmte Folge dieses Vorsatzes, und in dieser Rücksicht, in Verbindung mit dem ersten Theil als eigentlich für die kultivirten Stände geschrieben anzusehen, da hingegen der erste Theil an sich von mir immer als ein von den andern gesöndertes, in die Hand der gemeinen Haushaltungen gehörendes Volksbuch betrachtet und behandelt worden ist. Aber auch diese, wie alle meine bisherigen schriftstellerischen Arbeiten brachten mir sehr wenig Gewinn. Ich verstand den Buchhandel eben so wenig als alles, was ich bisher in ökonomischer Rücksicht vornahm, und verdiente in der ganzen Zeit meiner Noth bis auf den Zeitpunkt, in welchem mein Freund Schmid mit Herrn v. Cotta ein für mich und meine Zwecke sehr vortheilhaftes Verkommniß zu Stande brachte, ich möchte fast sagen, nicht Brod und Wasser.

Dieser dauernde Zustand meiner ökonomischen Verlegenheit machte mit den, im gleichen Zeitpunkt allgemein steigenden Bezeugungen der Achtung von den bedeutendsten Personen meines Zeitalters, einen, mein Gefühl tief drückenden Contrast. Ich war schon lange mit dem Finanzminister, Grafen von Zinzendorf in Verhältnissen; der, wie ich, die Wiederherstellung der häuslichen Volkserziehung als das einige Mittel, der immer steigenden Volksverwilderung und des damit innig verbundenen Volksunglücks[242] mit Erfolg entgegenwirken zu können, ansah, und in Lienhard und Gertrud eine, für das Volk allgemein verständliche und in einzelnen Haushaltungen brauchbare Wegweisung, sich in sehr vielen Rücksichten, in denen sie gegenwärtig unbeholfen und zum Theil verwahrlost dastehen, selber zu helfen, erkannte. Seine Bekanntschaft erregte in ökonomischer Hinsicht sehr große Hoffnungen in mir. Ich kam in diesem Zeitpunkt eben so mit mehreren Menschenfreunden von höhern Ständen, die in dieser Rücksicht mit mir von meinen Bestrebungen träumerische Hoffnungen nährten, in nähere Bekanntschaft. Diese Hoffnungen steigerten sich in mir etwas später im höchsten Grad, als ich mit dem Grafen von Hohenwart in Florenz, und durch ihn mit dem Großherzog Leopold, nachherigem römischen Kaiser, bekannt wurde. Dieser nahm ein ganz außerordentliches Interesse an meinen Ansichten für die Volksbildung und selber an den in meiner Hand und auf meinem Gut gescheiterten Versuchen. Meine Briefe wurden auf seinen Befehl immediat an Se. Kais. Königl. Hoheit selbst adressirt und regelmäßig vom Herrn Grafen von Hohenwart an mich beantwortet. Meine Aussichten zu einer praktischen Anstellung für meine Zwecke waren groß und schienen mir nicht mehr zu fehlen. Ich sollte eben meinen definitiven Plan der Ausführung einer Anstalt nach meinen Ansichten an den Großherzog einsenden, als das Schicksal ihn auf den kaiserlichen Thron versetzte, womit dieses Verhältniß seine Endschaft erreichte.

Merkwürdig ist in ökonomischer Hinsicht für mich der Umstand: Mehrere Personen aus meinem Vaterlande, die nach Florenz reisten, versicherten mich, man habe ihnen daselbst bestimmt gesagt, der Großherzog habe mir eine große goldene Medaille mit seinem Bildnisse zugesandt. Ich habe sie aber sicher nicht erhalten. Es begegnet indeß an den Höfen guter, wohlwollender und zutrauensvoller Fürsten nicht selten etwas von dieser Art. Dieses Mißlingen aller meiner dießfälligen Hoffnungen machte mich auch in diesem Zeitpunkt sehr leidend. Doch, die Zeit meines Leidens ist vorüber. Ich klage nicht mehr, im Gegentheil, ich erkenne die Ursache meiner unglücklichen Schicksale mit Wehmuth in mir selbst. Aber ich erkenne auch den Zusammenhang des Einflusses dieser Schicksale auf den ganzen Umfang der Bildungsmittel zu dem, wenn auch noch so unvollkommenen[243] Grad der Ansichten und Grundsätze der Idee der Elementarbildung, zu welchem Gottes ob mir waltende Vorsehung mich in Übereinstimmung mit mir selbst, beydes, sowohl durch den lebendigsten Drang meiner Wünsche und meiner Neigungen, als durch denjenigen meiner Noth hinführte. Diese Ansichten und Grundsätze sind die einzige Frucht meiner Lebensbestrebungen, sie sind der einzige Trost und die einzigen Freuden meines hinschwindenden Erdenlebens: sie sind das Einzige, was meine ermattete Thatkraft auf Erden, noch wie in meinem Jünglingsalter, mit Feuer und Flamme ergreift, wenn und wo ich die Möglichkeit, darin einen Schritt weiter zu kommen, vor meinen Augen sehe. Dieses Feuer und diese Flamme wird auch nicht in mir erlöschen, bis ich meine Augen schließe. Ich erkenne mit innerer Erhebung meines Herzens: wenigere Widerwärtigkeiten und ein glücklicheres Schicksal hätten diese Flamme, die meinen ursprünglichen Bestrebungen zum Grunde liegt, nicht in diesem Grad lebendig erhalten. Ich tröste mich also darüber vollkommen, daß auch in diesem Zeitpunkt mein ökonomischer Zustand sich auf eine sehr drückende Weise verschlimmerte.

Der Besitz meines Landguts erhöhte diesen Druck von Jahr zu Jahr immer mehr. Es kostete mich jährlich große Summen und trug mir eigentlich so viel als nichts ein. Ich bin nicht zum Landwirth geboren, und man kann unmöglich schlechter dazu erzogen werden, als ich dazu erzogen worden bin; meine Frau war es eben so wenig; aber wenn wir es auch gewesen wären, so entriß mir meine Armuth die Mittel zu, ich will nicht sagen, großen Verbesserungen, sondern nur zur Erhaltung desselben in einer niedern gemeinen Abträglichkeit. Ich mußte gar oft noch das Heu und Stroh, das darauf wuchs, verkaufen, um den dringenden Nothbedürfnissen jedes gegenwärtigen Augenblicks abzuhelfen, und so wie vom Anfang, seit dem ich das Gut besaß, mein Zutrauen von meinen Umgebungen mißbraucht wurde, so wurde meine Noth von denselben jetzt noch doppelt mißbraucht. Mein Freund Battier sah den ganzen Umfang meiner Lage, meiner Bedrängnisse und des Mißbrauchs, den meine Umgebungen jetzt auch noch von diesen machten, und wollte mir mit treuem Freundesherzen darin helfen. Er schlug mir vor, meinen mich immer mehr drückenden und aussaugenden Hof um jeden Preis zu verkaufen, und bot mir an, wenn auch derselbe noch so wenig gelte,[244] so wolle er so viel hinzuschießen, daß ich ein Capital von 1000 Louisd'or für meine Familie in sichere Hand anlegen und von dem Zins desselben unterstützt, mich einem stillen, ruhigen Schriftstellerleben überlassen könne. Dieser Vorschlag schien einerseits von einer Natur, daß ich ihn dankbar hätte annehmen sollen. Aber da auf der andern Seite alle Güter um meinen Hof herum schon damals sehr beträchtlich in ihrem Werth stiegen, und ich mit vollkommener Sicherheit voraus sah, auch der Preis der meinigen werde in sehr kurzer Zeit in diesem Grad und so weit steigen, daß der dießfalls zu hoffende Vortheil bestimmt diejenige Summe weit übertreffen werde, die Battier bey der Annahme des von ihm gemachten Vorschlags mir nachschießen zu müssen in den Fall gekommen wäre, so wollte ich durchaus nicht an meinem besitzenden Eigenthum durch Annahme seiner Wohlthätigkeit mehr verlieren, als ich bey Erhaltung desselben schon wirklich in meiner Hand besaß. Meine Frau und ich entschlossen uns fest, lieber im Besitz des Hofs im Drang aller fortdauernden Beklemmungen zu leben, als durch Annahme dieser Wohlthätigkeit im Grunde Eigenthumshalber noch hinter den Zustand des Realvermögens zurück gesetzt zu werden, das wir wirklich besaßen. Wir wollten durchaus nicht, um jährlich ein größeres Einkommen zu haben, die sichere Aussicht, unser Capitaleigenthum von Jahr zu Jahr ohne alles Verhältniß stärker steigen zu sehen, verlieren, und zogen die Fortdauer unserer gegenwärtigen Noth der Erlösung aus derselben um diesen Preis vor. Wir hatten auch, von einer wichtigen Seite betrachtet, ganz recht. Mein Sohnssohn genießt jetzt die Folgen dieses Entschlusses und zugleich ist auch die Richtigkeit der großen ökonomischen Folgen, die mein ursprünglich projektirter, sehr großer Güterankauf, freylich unter andern Händen gehabt hätte, jetzt vollkommen erwiesen. Aber damals hielt außer mir beynahe auch kein Mensch eine so außerordentliche Erhöhung des Güterwerths in diesen Gegenden möglich.

Battier hielt meinen Entschluß, seine Anerbietungen nicht anzunehmen, für einen unvernünftigen Eigensinn und war zu dieser Ansicht vorzüglich durch folgenden Umstand hingelenkt und darin gestärkt. Ein reicher, aargäuischer Baumwollenhändler, dem er den Auftrag gab, über den Zustand des Hofs und seinen Werth sichere Informationen zu nehmen, mag sehr bald gesehen[245] haben, daß der Ankauf desselben für einen todten Pfenning eine gute Speculation hätte werden können, und ließ sich durch Bauern, deren Besitzungen an meine Güter anstießen und die sie durch ihre Verschreyung auch wieder um einen wohlfeilen Preis zurückkaufen zu können hofften, kanzley'sche Zeugnisse von dem Unwerth derselben geben, die sich alle sehr bereitwillig hiefür zeigten. Natürlicherweise stieg der Zustand meiner Noth nach diesem Vorfall noch mehr und dauerte in immer steigendem Wachsthum bis auf den Zeitpunkt der schweizerischen Revolution fort.

Ich hatte inzwischen immer noch einige Freunde, die mein Thun und Leben von ökonomischer Seite, zwar wie alle Welt, mißbilligten, aber besonders seit der Erscheinung von Lienhard und Gertrud in Rücksicht auf meine pädagogischen und menschenfreundlichen Ansichten eine große Aufmerksamkeit auf mich warfen und auch mit mir über meine damalige Ansichten, von den Fundamenten des wahren, bürgerlichen Wohlstands, und den dießfälligen Zeitbedürfnissen meines Vaterlandes, zwar nichts weniger als allgemein, aber doch vielseitig gleich dachten. Verschiedene von diesen hatten bey der schweizerischen Revolution großes Volkszutrauen und folglich Einfluß in die damaligen Regierungsmaßregeln. Sie säumten auch nicht, meiner ökonomischen Noth abhelfen zu wollen, und boten mir zu diesem Endzweck mit freundschaftlicher Theilnahme Handbietung zu einträglichen und politischen Stellen, wozu sie mir unter den damals obwaltenden Umständen gar leicht hätten helfen können. Aber glücklicherweise erinnerte ich mich in diesem Zeitpunkt des Worts meines gestorbenen Freundes, daß ich bey meinem Karakter auf jeder bürgerlich gefährlichen Laufbahn ohne einen kaltblütigen, gewandten und in seiner treuen Anhänglichkeit sichern Geschäftsmann alles gefahren würde, und wies die mir dießfalls geschehene Anträge mit Standhaftigkeit von der Hand. Ich sagte dem Manne, der in dieser Epoche in der Schweiz die erste Rolle spielte, da er mir seinen ganzen Einfluß zu einer solchen Laufbahn anbot, zur Antwort: »Ich will Schulmeister werden«. Und ich fand hiefür schnell eine so passende Handbietung, daß ich nie eine solche hoffen zu dürfen geglaubt hätte. Einige meiner alten Freunde munterten mich sehr auf, meinem Vorsatz getreu zu seyn, und meine Aufmerksamkeit und Thätigkeit für das[246] Volkswohl gänzlich nur auf die Erziehung zu beschränken, boten mir aber auch ihre Hülfe für diesen Zweck mit dem ausgezeichnetsten Wohlwollen und Zutrauen beynahe unbedingt an.

Man kennt meinen Ruf nach Stanz, und meine Schilderung der wenigen, mühseligen, aber mich in mir selbst beglückenden Tage, die ich in diesem Orte zubrachte. Das Wesen meiner Bestrebungen, den Volksunterricht in seinen untersten Stufen zu vereinfachen und dadurch die wesentlichen Mittel desselben seinen Wohnstuben selber näher zu bringen, gieng daselbst in einem, mich zum Entzücken erhebenden Leben in mir auf. Ich stand als Armen-Vater im Kreise meiner Kinder. Ich hatte in eigentlicher wissenschaftlicher und Kunstbildung nichts, ich hatte nur die Vaterkraft meines Herzens, und zwar so, wie sie sich in der Eigenheit meiner Persönlichkeit beschränkt aussprach, für sie. Der Geist des häuslichen Lebens, dieses ewige Fundament aller wahren Menschenbildung, aller wahren Erziehung, entfaltete seine Segenskraft einfach und wahrhaft naturgemäß durch meine Liebe, meine Hingebung und Aufopferung. Das war in seinen Folgen nicht gering. Er erheiterte in mir selbst nicht bloß die naturgemäßen Resultate, die dieses Leben, wo es immer ist, auf die Ausbildung der vorzüglichsten Fundamente der Segnungen des häuslichen Lebens, – der Liebe, des Denkens und Arbeitens, hat. Dieses Leben that mehr, es setzte die speziellen Ansichten meiner Bestrebungen, den ganzen Umfang der Unterrichtsmittel des Volks zu vereinfachen und sie dadurch dem Innern der Wohnstube desselben näher zu bringen, in ihren ersten Anfangspunkten thatsächlich in ein entscheidendes Licht. Noch war der Begriff von der Elementarbildung und von einer aus ihr nothwendig hervorgehenden naturgemäßen Erziehungs- und Unterrichts-Methode von mir und in meinen Umgebungen nicht ausgesprochen; aber ein wesentliches Resultat ihrer Kraft zeigte sich thatsächlich in unserer Mitte. Kinder lehrten Kinder; Kinder lernten gerne von Kindern, und vorgerücktere Kinder zeigten minder vorgerücktern gerne und gut, was sie mehr wußten und besser konnten als sie. Wenn eines auch noch so klein war, wenn es auch nur einige Buchstaben mehr kannte, so setzte es sich zwischen zwey andere, umhalsete sie mit beyden Händen, und zeigte ihnen mit Schwester- und Bruderliebe, was es mehr konnte als sie. – Damals sprach auch noch kein Mensch von einem Enseignement mutuel;[247] aber sein wahrer ursprünglicher Geist entfaltete sich an meiner Seite und unter meinen Kindern in seinen zartesten Elementen.

Diese höchsten Segenstage giengen schnell vorüber. Die Wendung des Kriegs vertrieb mich von Stanz, das der Eigenheit meiner Kräfte, meiner Schwäche und meiner Zwecke eine so vorzüglich passende Laufbahn anbot. Ich war tief in mir selber erschüttert, und hatte wohl recht, obgleich ich noch nicht wußte und nicht ahnete, warum. Mir stand jetzt immediat nach meiner Entfernung von Stanz die eigentliche zwanzigjährige Epoche bevor, in der ich in Burgdorf die Idee der Elementarbildung mit einigem Bewußtseyn ihrer weitführenden Tiefe und ihres weitführenden Umfangs in's Aug zu fassen anfieng und unvorbereitet und unreif sehr bald mein Scherflein zu ihrer praktischen Ausführung beyzutragen suchte.

Diese Epoche ist nun vorüber, und ich habe in den ersten Bogen der gegenwärtigen Schrift den Geist dieser hohen Idee, so viel meine zwanzigjährigen Versuche und Erfahrungen dieselbe in mir selbst haben erheitern mögen, meiner Zeitwelt, ich muß fast sagen, mit enthusiastischer Belebung meiner Gefühle darzulegen und die großen, segensreichen Resultate, die bey ihrer sorgfältig begründeten Einführung nach meinem Urtheil nothwendig aus ihr hervor gehen mußten, umständlich in die Augen fallen zu machen, aber, zugleich auch unverholen die Ursachen des großen, vielseitigen Mißlingens meiner dießfälligen Bestrebungen, die sowohl in mir selbst als in meinen Umgebungen und in den Zeitumständen lagen, mit unbefangener Wahrheitsliebe darzulegen gesucht.

Aber ich bin weit entfernt, zu glauben, daß ich der dießfälligen Aufgabe schon wirklich ein Genüge geleistet. Nein, nein; die Frage aber: Pestalozzi, wenn alles wäre, wie du gesagt hast, warum bist du denn mit deinen Bestrebungen nicht weiter vorgerückt, als dieses wirklich geschehen? – ist bey fernem nicht beantwortet. Ich habe zwar bis jetzt den Einfluß, den mein individueller Karakter und meine Jugenderziehung auf meine Lebensbestrebungen haben mußten, darzulegen gesucht, aber eben so nothwendig ist es jetzt auch, durch die Geschichte meiner dießfälligen zwanzigjährigen Versuche den Einfluß darzulegen, den die Umstände, Lagen und Verhältnisse, unter denen diese Versuche[248] statt fanden, auf das Mißlingen derselben hatten. Und es liegt meinem Herzen nahe, daß dieses letzte, eben wie das erste, mit Gewissenhaftigkeit und Offenherzigkeit geschehe, damit weder die Folgen, die die Eigenheiten und Schwächen meiner Individualität auf dieses Mißlingen hatten, noch die Fehler und Mißgriffe, die in den zwanzig Jahre dauernden Versuchen ihrer praktischen Ausführung ihrem guten Erfolg so nachtheilig waren, dahin wirken können, den wahren Werth und die Wichtigkeit meiner jetzt zur Lieblingsidee gewordenen Ansicht der Elementarbildung in den Augen des Publikums zu schwächen oder gar verschwinden zu machen. Ich stehe also, nachdem ich die Geschichte meiner Jugendjahre und meiner Jugenderziehung dargelegt, auf dem Punkt, zu zeigen, wie die praktische Laufbahn meiner dießfälligen Bestrebungen sich in Burgdorf in einem blinden und kühnen Hochflug gestaltete und in Iferten von den Folgen dieses fundamentlosen Hochflugs sich immer mehr verirrend mich hundert und hundertmal an den Rand des äußersten Verderbens hinführte, aber dabey dennoch meine Überzeugung von den Segensfolgen dieser hohen Idee in mir selber nichts weniger als schwächte, sondern vielmehr immer stärkte und durch tausenderley Erfahrungen auf die tiefere Erkenntniß sowohl ihres Wesens als ihrer Ausführungsmittel bildend auf mich einwirkte.

Ich kam über mein Schicksal, das mich von Stanz wegführte, innig bewegt nach Burgdorf, und fand da nicht mehr den einfachen, liebevollen, meiner Individualität eigenen und mich gleichsam seligmachenden Boden, den ich daselbst hatte und für meine Zwecke segensvoll und für die Dauer benutzen zu können glaubte. Doch ich fand mich in meine Lage, ich suchte im Anfange meiner Ankunft in Burgdorf nichts anders, nichts mehr und nichts größeres, als in einer Winkelschule dieses Orts den Faden meiner beschränkten Bestrebungen für die Vereinfachung des Volksunterrichts in seinen allgemeinen Anfangspunkten so gut als mir immer möglich, wieder anzuknüpfen. In diesem Verhältniß lernte ich Herrn Fischer, einen literarisch sehr gebildeten Menschenfreund kennen, dem die Regierung das landvögtliche Schloß in dieser Stadt zur Errichtung eines Schulmeisterseminariums übergeben hatte. Aber er starb, ehe er es angetreten. Die Begeisterung, die ich vom Augenblicke an in der Erziehungslaufbahn in Stanz zeigte und worüber meine vom Gurnigel aus geschriebene Briefe[249] Licht geben, so wie mein früheres enthusiastisches Streben nach einer pädagogischen Laufbahn, die mehrere Glieder der Regierung kannten, veranlaßte dieselben, meinen dießfälligen Eifer zu belohnen. Sie übergab mir das Schloß, meine pädagogischen Absichten und Versuche in Verbindung einer Erziehungsanstalt, die ich darin etabliren sollte, fortzusetzen, und bot mir dafür ganz außerordentliche Vortheile und Handbietungen an. Aber der Boden, den ich jetzt betrat, und durch die Annahme des Schlosses betreten mußte, war bey den Eigenheiten, Lücken und Schwächen, die für die große, selber literarisch weitführende, pädagogische Unternehmung in mir liegen, in dem Grad mißlich und ungünstig, als derjenige, den ich mit Stanz verlassen mußte, passend und günstig dafür war. Ich mußte mich in demselben so viel als nothwendig schnell in mir selber verlieren, und konnte nur spät, sehr spät wieder dahin kommen, mich in Rücksicht auf die ursprünglichen Endzwecke meiner Lebensbestrebungen wieder mit mir selbst in Übereinstimmung zu bringen. Ich bin der helvetischen Regierung für ihre Sorgfalt für mich und für ihr Zutrauen herzlichen Dank schuldig; aber sie hatte in ihrer dießfälligen Gunstbezeugung so Unrecht, als ich in der Annahme derselben.

Was ich oben in der Beschreibung meiner Eigenheiten und meines jugendlichen Lebensgangs gesagt habe, beweist hinlänglich, in welchem Grad mir beynahe alles, vorzüglich aber die wissenschaftlichen Kenntnisse und Fertigkeiten mangelten, die zu einem genugthuenden und ehrenhaften Vorsteher einer Erziehungsanstalt, wie diejenige war, die mir jetzo gleichsam wie ein Deus ex machina in die Hände fiel, wesentlich nothwendig gewesen wären. Ich fühlte zwar gar wohl, in welchem Grad mir vieles, sehr vieles hiefür mangelte; aber die Ehrenhaftigkeit meines Rufs schmeichelte mir armen Neuling in der Weltehre in einem Grad, daß ich mich selbst nicht mehr kannte, und kaum daran dachte, was es brauche, eine Ehre, die das bloße Glück einem darwirft, in die Dauer zu erhalten, und in die Länge ihrer würdig dastehen zu können. Ich überließ mich kindisch der eiteln Hoffnung, was ich nicht könne, darin können und werden mir unter den günstigen Umständen, in denen ich mich in meiner Stellung befand, andere gerne und wohl helfen. Das aber ist in jedem Fall ein böser Trost. Wer sich, weil er in einer Sache, die er als Pflichtstelle erkennt und übernommen, nicht selber helfen kann, einen[250] Gehülfen suchen muß, der das für ihn thue, was er selber thun sollte und nicht selber kann, der macht sich sicher sehr bald zum Knecht seines angestellten Gehülfen, der ihm, so wie die Welt ist, in tausend Fällen gegen einen, nur so weit hilft, als er seinen Vortheil dabey findet, und hingegen auch wieder so weit enthilft, als er sich selber dadurch Nachtheil und Schaden zu verhüten im Stande ist oder auch nur verhüten zu können vermeint. Ich habe es erfahren; aber zu spät. Das ganze Unglück meiner letzten zwanzig Jahre hat seinen Ursprung in Umständen, die die Verspätung dieser Erkenntniß in mir verursachten.

Es ist jetzt überstanden, und so wie ich gegenwärtig, nach vollendeter einstweiliger Auflösung meiner Anstalten in Iferten mit Demuth, Ergebung und Glauben einen physischen, häuslichen und bürgerlichen Ruhepunkt auf dem Gute meines Sohnsohns im Aargau gesucht habe, so suche ich in literarischer und pädagogischer Hinsicht auch einen Ruhepunkt, und frage mich in eben dieser Stimmung: Ist dann der Zweck meines Lebens wirklich verloren gegangen? Ich fasse den Umfang und die Natur meiner Lebensbestrebungen noch einmal ins Auge. Ich habe das Vergangene, ich habe das, was hinter mir ist, in mir selbst überwunden. Der Herr hat geholfen; er, der das zerkleckte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht, wird ferner helfen. Ein Gefühl innerer Erhebung ergreift mich. Gerührt wie in der Stunde der erhebendsten Andacht, spreche ich aus und danke es Gott: Der Zweck meines Lebens ist nicht verloren gegangen. Nein, meine Anstalt, wie sie in Burgdorf gleichsam aus dem Chaos hervorgieng und in Iferten in namenlosen Unförmlichkeiten gestaltete, ist nicht der Zweck meines Lebens. Nein, nein, beyde sind in ihren auffallendsten Erscheinungen Resultate meiner Individual-Schwächen, durch welche das Äußere meiner Lebens-Bestrebungen, meine vielseitigen Versuche und Anstalten sich selber untergraben und ihrem Ruin entgegengehen mußten. Meine Anstalten und alle äußere Erscheinungen ihrer Versuche sind nicht meine Lebens-Bestrebungen. Diese haben sich im Innern meiner selbst immer lebendig erhalten und sich auch äußerlich in hundert und hundert gerathenen Resultaten ihres innern Wesens in der ganzen Wahrheit ihrer ewig bleibenden Segens-Fundamente erprobt.

Das vorübergehende Stillstellen des schimmernden Truges so[251] vieler ihrer äußern Erscheinungen ist durchaus nicht dem innern Unwerth meiner Bestrebungen, es ist der Disharmonie meiner Kräfte zu diesen Unternehmungen und der Heterogenität des mit mir zu meinen Endzwecken verbundenen Personale, so wie der gänzlichen Unpassenheit unserer Umgebungen zu unsern Bestrebungen zuzuschreiben. Alle äußern Gestaltungen meiner Unternehmungen und Anstalten forderten den höchsten Grad der kraftvollen Regierungs-Fähigkeit, den je menschliche Unternehmungen erfordern konnten, und ich bin der allerunfähigste Mensch zum Regieren. Auch liegt in meiner Natur nicht die geringste Neigung dazu. Ich weiß, daß ich willenshalber zum Dienen geboren, aber dabey nichts weniger als zum Dienenkönnen erzogen und gebildet worden, und meinte bey meiner Dienst-Unfähigkeit durch meine Dienst-Bereitwilligkeit erzielen zu können, was in dieser Welt nur, wenn es, beydes, zugleich wohlregiert und wohlbedient wird, erzielt werden kann. Ich muß hier wiederholen, was ich in der langen Reihe meiner Unglücksjahre hundert und hundertmal im Stillen zu mir selber sagte: Mit dem ersten Tritt, den mein Fuß auf die Schloßtreppe von Burgdorf gesetzt, habe ich mich in mir selber verloren, indem ich eine Laufbahn betreten, in der ich äußerlich nichts anders als unglücklich werden konnte, da ich mich durch die Annahme der Stelle, die mich in dieses Schloß führte, in eine Lage gesetzt, die die mir mangelnde Regierungskraft wesentlich und nothwendig voraussetzte.

Indeß war es nicht meine Regierungs-Unfähigkeit allein, was das momentane gänzliche Fehlschlagen meiner Versuche und endlich das gänzliche Auflösen meiner bisherigen Anstalten herbeyführte und so viel als nothwendig machte; meine Dienst-Unfähigkeit in der Stelle, in der ich mich jetzt befand, trug eben so viel dazu bey. Es mangelten mir in allen positiven Wissenschaften im gleichen Grad selber die ersten Anfangs-Kenntnisse und Anfangs-Fertigkeiten, die zur persönlich guten Bedienung des Hauses, dem ich dienend vorstehen sollte, in irgend einem Fache derselben nothwendig gewesen wären, und ich ließ mich als Führer eines Etablissements anstellen oder vielmehr an die Wand stellen, das nicht anders als durch eine Vereinigung von Männern, die in sehr verschiedenen Wissenschaften tiefe Kenntnisse und ausgezeichnete Unterrichts-Fähigkeiten besitzen, in[252] reiner Übereinstimmung ihrer Gesinnungen und Zwecke hätte geführt werden müssen, wenn es auch nur in seinen Anfangspunkten einen guten, soliden Fuß gewinnen und wahrhaft tief greifende Wurzel fassen sollte. Ebenso forderte die Natur meines Etablissements, beynahe wie keines andern, daß seine Führer alle, vom ersten bis zum letzten, ein Herz und eine Seele hätten seyn sollen. Ich wußte das wohl, aber ich vermischte in meinem Träumersinne die öde Leerheit eines großen Meynungsvereins mit der Realkraft von Männern, die durch den Besitz aller nöthigen Anlagen, Kenntnisse und Fertigkeiten, die das Geschäft, um dessentwillen sie sich vereinigt haben, anspricht, die Mittel einer gesicherten Ausführung desselben zum voraus in sich selbst tragen. Ich war in meiner Stellung so sehr ein Kind, daß ich Luftschlösser, die meine Traumsucht in den Wolken schaffte, als auf ewigen Felsen gebaut, und träumerische Lobreden über die Solidität dieser Schlösser als Beweise ihrer festen Begründung ansah. Ebenso sah ich im ganzen großen Zeitpunkt meiner dießfälligen Verirrungen einige Glückszufälle, die mir wie das große Loos in einer Loterie zufielen, auf eine Weise an, oder ließ sie vielmehr nicht nur gebrauchen, als wenn sie für mein Leben gesicherte Ressourcen meiner Unternehmung gewesen wären, ich ließ sie sogar auf eine, dieselbe tief untergrabende Weise verschwenden. Selber die grelle Heterogenität, die in den Karakteren des Personale meines Hauses statt fand, erregte im Anfang unserer Vereinigung nicht einmal die fernste Ahnung in mir, daß der Tod meiner Unternehmung früher oder später nothwendig aus ihr werde hervorgehen müssen.

Doch, wer sollte es glauben! Das alles ist im Gewicht der Ursachen, welche die Erreichung meiner Hoffnungen in Iferten unmöglich machten, nicht das Allerbedeutendeste. Das Allerbedeutendeste in den Ursachen ihres unausweichlichen Mißlingens ist unser Unternehmen selber. Wir fiengen es an, ehe wir uns auch nur im Traume dessen bewußt waren, was es seyn und werden sollte, selber ehe wir wußten, was wir eigentlich wollten. Unser Unternehmen an sich, wie es in Burgdorf entkeimte, in Buchsee sich zu gestalten anfieng und in Iferten in abentheuerlicher Unförmlichkeit mit sich selbst kämpfend und sich selbst gegenseitig zerstörend Wurzel zu fassen schien; dieses Unternehmen war an sich, in seiner planlosen Entstehung, auch unabhängend[253] von meiner persönlichen Untüchtigkeit, unabhängend von der Heterogenität der Personen, die daran Theil nahmen, unabhängend von dem gegenseitigen Widerspruche der Mittel, durch die wir dasselbe zu erzielen suchten, selber unabhängend von dem Widerspruche, in dem es mit dem Routinegang der Erziehung und mit der Allgewalt des Zeitgeistes in Opposition stand, ein unausführbares Unding. Wenn wir alle unsere Fehler nicht gehabt hätten, wenn alle Umstände, die uns zuwider waren, nicht gewesen wären, ich sage sogar, wenn wir alle Gewalt, alle Geldmittel und alles Vertrauen besessen und uns auch in wissenschaftlicher Hinsicht nichts gemangelt hätte, was uns hiefür nach einzelnen Rücksichten nothwendig gewesen wäre, so hätte das Unternehmen, wie es in allen seinen Theilen zusammengekrüppelt entkeimen, wachsen, sich erhalten und zur Reifung bringen sollte, dennoch nothwendig scheitern müssen. Es war ein babylonischer Thurmbau, in welchem ein jeder seine eigene Sprache redete und keiner den andern verstand.

Unstreitig waren dabey einzelne große Kräfte in unserer Mitte; aber eine Gemeinkraft für unsere Zwecke war nicht da. Es war an keine zu denken. Wenn unsere einzelnen Kräfte auch noch so groß gewesen wären, wir hätten in ihnen und durch sie zu keiner Gemeinkraft des Hauses gelangen können. Die Wahrheit muß auf jedem Blatte der Geschichte unserer Vereinigung beynahe auch dem Blinden in die Augen fallen und spricht sich in den letzten Tagen derselben als eine schrecklich gereifte Frucht der Verirrungen, deren Daseyn und deren Wahrheit wir so lange nicht genugsam erkannt haben, aus. Es ist keine Gemeinkraft in der Natur denkbar, die etwas an sich Widernatürliches zur Naturgemäßheit in ihren Mitteln und Wirkungen zu umschaffen vermag, und eine in alle Weltverhältnisse zugleich naturgemäß und befriedigend eingreifende und allen Bedürfnissen des Erziehungswesens in allen Lagen gleich genugthuende, aus einem einzigen Hause und aus einer Verbindung weniger einzelner Menschen hervorgehende Erziehungsmethode ist ein wesentliches Unding. Was der Menschheit in allen Verhältnissen zu dienen geeignet seyn soll, muß aus allen Verhältnissen der Menschheit selber hervorgehen. Was auf Millionen Menschen segnend einwirken soll,[254] dessen Kunst-Beförderungsmittel müssen aus Resultaten von Kräften, Maßregeln und Mitteln hervorgehen, die zum voraus in gesonderten Abtheilungen in und für Millionen genugsam vorbereitet vorliegen und in Übereinstimmung mit ihnen gebraucht und benutzt werden können.

Wenn wir jetzt diese unumstößlichen Fundamente jedes, ins Große und Allgemeine der Volksbildung einzugreifen bestimmten Versuchs mit dem wirklichen Zustand unsers Unternehmens in seinem Ursprunge ins Auge fassen, so fällt auf, daß uns von den berührten wesentlichen Bedürfnissen einer solchen Unternehmung so viel als alles mangelte. Wir können uns nicht verhehlen, die naturgemäßen Anknüpfungspunkte des unermeßlichen Guten, das wir suchten, waren in unserer Mitte nirgends da; hingegen die Trennungspunkte und Zerreißungsmittel des wenigen Guten, das wir wirklich besaßen, waren so belebt in unserer Mitte, daß sie wohl nirgends in der Welt auf eine beunruhigendere und sich selber gegenseitig zerstörendere Weise neben einander gefunden werden möchten. Indeß ist gleich wahr, daß mitten unter allen diesen Umständen, sowohl aus den wesentlichen Fundamenten unserer Bestrebungen als selber aus den Verirrungen und Irrwegen, auf denen wir sie zu erzielen suchten, Reize, Mittel und Resultate hervorgiengen, deren, die Menschennatur in ihren Kräften allgemein belebender Einfluß an sich selbst geeignet ist, Millionen Menschen in ihren Verhältnissen fähig zu machen, einzelne Theile unserer Bestrebungen und einzelne Resultate unserer Versuche mit gesegnetem Erfolg zu benutzen, die sich in unserer Mitte in ihren Segenskräften nicht naturgemäß und befriedigend entfalten konnten, indem wir widernatürlich, im Großen unvorbereitet und mittellos, erzwingen wollten, was sich nur im Kleinen vorbereiten, durch Zeit und Wartung zum gesunden Wachsthum des Einzelnen und durch dieses allmälig zur Reifung und Vollendung des Ganzen erheben läßt. Inzwischen ist das Unternehmen, in dessen tausendfachen Wirbeln ich bis auf die Stunde seiner erreichten Endschaft fortschwimmen mußte, wohin mich die Gewalt des Stroms meines Lebens fortriß, durchaus nicht als das Werk meines Herzens und nicht einmal als das Werk meiner Traumsucht anzusehen. Ich träumte in meinem Leben nie, was ich unter den Umständen und Verhältnissen,[255] an die ich angekettet war, gleich kopflos und zum Theil beynahe auch herzlos mit Händen und Füßen und noch mit etwas mehr mitmachen und mitbefördern mußte. Wahrlich, ich war auf der Galeerenbank meines Institutes selber vielseitig außer mich selbst und außer die Eigenheit der Kräfte und Anlagen, mit denen ich zum Dienst der Menschheit in meinen Umgebungen etwas Wesentliches hätte leisten können, wenigstens in gewissen Epochen, so viel als ganz hinausgeworfen und in meiner Wegwerfung dennoch drückend wider mich selbst mißbraucht.

Das Wesen meiner Bestrebungen und der Mittelpunkt meiner Kraft bestand von jeher in dem in mir auf eine seltene Weise belebten Naturtrieb, den Volksunterricht in seinen wesentlichen Theilen und vorzüglich in seinen Anfangspunkten zu vereinfachen. Diese aber mir selbst eigenthümlichen Bestrebungen datiren sich gar nicht von meinem Leben in Burgdorf, sie datiren sich vom ersten jugendlichen Aufschwung der Volks- und Kinderliebe, die, verbunden mit meiner Traumsucht und Ungewandtheit in allem praktischen Thun des Lebens, das Eigenthümliche meines Karakters ausmachte, aber auch das Eigenthümliche meiner Schicksale durch mein ganzes Leben herbeyführte und herbeyführen mußte. Aber sie waren schon in dieser Zeit so tief belebt und mit einem dießfälligen, psychologisch begründeten und, ich möchte sagen, instinktartig höher strebenden Takt verbunden, daß ich ohne alle Anmaßung mit Bestimmtheit sagen darf, der hohe, große Gedanke von der Idee der Elementarbildung, den ich in meinen spätern Jahren in seiner psychologischen Tiefe zu erforschen und durch die höchste Vereinfachung seiner Ausführungsmittel den Wohnstuben des Volks näher zu bringen gesucht, diese hohe Idee lag schon tief in meiner Seele entfaltet, als ich Lienhard und Gertrud schrieb. Ich hatte zwar das Wort »Idee der Elementarbildung« in diesem Zeitpunkt noch nie ausgesprochen, ich glaube nicht einmal vor meinen Ohren erschallen gehört; aber das höchste Resultat, das diese Idee im Menschengeschlecht auch in den niedersten Verhältnissen hervorzubringen vermag, lag damals schon in einem hohen Grad und mit tiefer Belebung in meiner Individualität. Gertrud ist, wie sie dasteht, ein Naturkind, in dem die Natur die wesentlichen Resultate der Elementar-Bildung, ohne den Genuß irgend eines ihrer Kunstmittel zu besitzen, in reiner Höhe dargestellt, und dieses bestimmt in der[256] Eigenheit der Gestaltung, in welcher es sich in den niedern Ständen allein wahrhaft auszubilden vermag. Kurz, die Resultate der Idee der Elementarbildung lagen, da ich ihr Bild entwarf, in ihrem innern Wesen in einem Grad der Vollendung in mir, in dem ich durch alles Nachdenken und alle Erfahrungen meiner dießfälligen Versuche bis heute wesentlich nicht weiter habe kommen können; wohl aber bin ich seither durch den Wirrwarr meiner so vielseitig unnatürlichen und unpsychologischen Erziehungs- und Unterrichts-Versuche in mir selbst von dem belebten Gefühl der reinen, hohen Wahrheit dieses Jugend-Gemäldes der Elementarbildung abgelenkt und in großen, dieser hohen Idee gewaltsam entgegenwirkenden Irrwegen herumgetrieben worden.

Aber alle Umtriebe, die im Chaos dieser Bestrebungen statt fanden und um mich her und mit mir gespielt wurden, haben es mit allen ihren, zum Theil herzzerschneidenden Folgen doch nicht vermögen, das Wesen der Anfangs-Bestrebungen meiner jugendlichen Jahre für die Vereinfachung des ganzen Umfangs der häuslichen Erziehungs- und Unterrichtsmittel, deren Geist ich in diesem Buche so lebendig dargelegt, in mir selber zu verdunkeln, will geschweigen auszulöschen. Ich mußte beim Scheitern der äußern Erscheinung meiner Anstalt nothwendig wieder auf dieses Ursprüngliche meiner Lebensbestrebungen zurückkommen. Es hatte durchaus nichts Anders und nichts Entgegengesetztes in mir ein mich in meinem Innersten tief ergreifendes Interesse erregt. Es konnte es auch nicht, und das um so weniger, da mitten in den Folgen, Verirrungen und Umtrieben der äußern Erscheinung meiner Lebensbestrebungen sehr viele Resultate derselben den Werth meiner dießfälligen ursprünglichen Ansichten in ein helles und entscheidendes Licht zu setzen geeignet waren.

Es ist nicht nur unwidersprechlich, daß in der langen Dauer unserer elementarischen Bestrebungen in jeder Epoche Zöglinge aus denselben hervorgegangen, die die weitführende Kraft einzelner unserer elementarischen Mittel und Übungen außer allen Zweifel setzten; sondern daß selber die Wirkung dieser einzelnen Übungen auf das Eigenthümliche und Spezielle meiner Lebensbestrebungen – auf die Vereinfachung der gewohnten, allgemeinen Unterrichtsmittel und die daraus nothwendig entspringende Erhöhung und Verstärkung der Kräfte der Wohnstube,[257] von den darüber urtheilsfähigen Eltern unserer Zöglinge so viel als allgemein, so wie von Männern, die in Rücksicht auf die naturgemäßen und psychologischen Fundamente alles Erziehungs- und Unterrichtswesens als competente Richter angesehen werden müssen, vielseitig und fortdauernd anerkannt worden ist. Genugthuende Belege dieser Ansicht mangeln in keiner Epoche unserer so lange dauernden Bestrebungen. Man frage selbst in Iferten nach, ob es nicht wahr sey, daß in den letzten Zeiten mehrere von den Töchtern, die in der Zahl- und Formlehre nach Schmid's Grundsätzen geführt worden, sich zu einem Grad allgemeiner pädagogischer Kraft erhoben haben, die diese Stadt, bey aller anderwärtigen Mißkennung unserer Grundsätze und unsers Thuns dennoch dahin gebracht, daß das einstweilige Stillstellen unserer Töchter-Anstalt allgemeines Bedauern erregte. Man frage in den verschiedenen Verhältnissen, in welche die vorzüglichern, bey uns gebildeten Zöglinge eingetreten, man frage selber in der polytechnischen Schule in Paris nach, wie sich verschiedene derselben darin ausgezeichnet haben. An mehrern Orten Deutschlands, vorzüglich in Preußen, stehen Männer an der Spitze von Erziehungs-Anstalten, die einen großen Theil ihrer pädagogischen Kraft den elementarischen Bildungsmitteln, die sie bey uns genossen, danken.

Auch ist es eine auffallende Erscheinung, daß zwey, durch einen, sich in Amerika befindenden Herrn Näff nach diesen Grundsätzen gebildete Zöglinge sich gegenwärtig in Paris in einer, vom mathematischen Studio am meisten entfernt scheinenden Wissenschaft, in der Chemie, vorzüglich auszeichnen. Ich füge diesen Thatsachen noch diese einzige bey, daß die neulichen Bemühungen, unsere elementarischen Grundsätze und Mittel durch ein französisches Journal dem Publiko umständlich und vielseitig bekannt zu machen, in Paris und London von Personen, die in Rücksicht auf psychologische und pädagogische Ansichten und Bestrebungen unstreitig als Männer vom ersten Gewicht anerkannt werden müssen, unsern dießfälligen Zwecken, auf das Fundament ihnen bekannt gewordener Belege von unseren dießfälligen Erfahrungen und Resultaten einen sehr hohen Grad von Aufmerksamkeit und Beyfall geschenkt, und daß sogar Männer von eben diesem Gewicht aus Nordamerika und Brasilien zur Beförderung unserer Ansichten und Bestrebungen[258] in ihrem Lande wirklichen Antheil an unserm Vorhaben genommen und uns dasselbe mit ihrem thätigen Einfluß zu unterstützen bestimmt versprochen. Alle diese, den Werth unserer dießfälligen Bestrebungen erheiternde Thatsachen sind sämmtlich im namenlosen Wirrwarr unsers Aufenthalts in Burgdorf und Iferten erzielt worden.

Indeß mußte dieser, dem Wesen unsers Thuns im Allgemeinen tödliche Wirrwarr einmal sein Ende erreichen; und es ist unter diesen Umständen meine vollkommene Überzeugung, daß das einstweilige Stillstellen meiner Anstalten in Iferten wahrlich als eine glückliche Nothwendigkeit, das innere Wesen meiner Bestrebungen auf ein gereinigteres Fundament zu bauen, und gar nicht als ein Zeichen ihres Unwerths und der Unmöglichkeit der Erzielung ihrer segensvollen Resultate anzusehen ist. Nein, so wenig als die Natur selbst und ihr, auf ewigen Fundamenten gegründeter Gang in der Entfaltung unserer Kräfte zu Grunde gehen kann, so wenig kann irgend ein Scherflein, das den Gang der Kunst in den Erziehungs- und Unterrichtsmitteln des Menschen-Geschlechts dem göttlich gegründeten Gange der Natur näher zu bringen, wahrhaft und kraftvoll geeignet ist, wie ein nichtiges Fantom wieder verschwinden, wenn es die Richtigkeit und Wichtigkeit seiner Resultate vor den Augen irgend einer Zeitwelt, wie diese auch immer beschaffen seyn mag, in dem Grad zu Tage gefördert und als solid und ausführbar dargestellt hat, als dieses bey einigen unserer wesentlichen, elementarischen Versuche der Fall ist.


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Es ist eine, jeder ernsten Prüfung vorliegende Thatsache, daß die Resultate meiner Lebensbestrebungen im ursprünglichen Fundament ihrer Eigenheit noch fest und unerschütterlich dastehen und zur weitern Bearbeitung vorliegen.

Ihre möglichen, wahrscheinlichen und zum Theil gewissen Folgen sind von einer Wichtigkeit, daß ich, ohne Gefahr, jemals dieser Äußerung halber beschämt zu werden, offen aussprechen darf, nicht wenige Resultate unserer Anstalten und Versuche sind geeignet, die Kräfte der Menschennatur im Zustande der Erschlaffung, in dem sie sich durch die Verkünstelungsmaßregeln[259] unserer Zeit befinden, mit mächtiger Kraft real und naturgemäß zu ergreifen, und sie, ich möchte fast sagen, zu einer menschlichen Wiedergeburt und zu einem erneuerten Leben zu erwecken, indem sie uns in der äußern und innern Anschauungskraft, die in unserer Natur liegt, gleichsam die Urquelle alles unsers soliden Wissens, Kennens und Könnens in ihren Anfangspunkten naturgemäß erkennen, benutzen und in dem Grad ergreifen und festhalten gelehrt, in welchem die Routinemittel unserer Zeiterziehung und unsers Zeitunterrichts uns vielseitig davon abgelenkt und entfernt haben.

So wenig ist die Idee der Elementarbildung, auch nur so weit als sie in unserer Hand liegt, ein Luftschloß. Sie kann es nicht seyn, und wenn ihr Wesen fest gehalten wird, so kann sie es nie werden. Dieses liegt in der Menschennatur selber, und ihre Resultate sprechen sich kunstlos in allen Hinsichten und nach allen Richtungen im wirklichen Leben aller Stände einzeln von selbst aus. Jede also aus der Natur hervorgehende, gute Erziehungsmaßregel, jede reine Handlung der Liebe, des Vertrauens und des Glaubens, jede Erkenntniß der Wahrheit und des Rechts, jede Fertigkeit der wahren Kunst, in welcher Form und Gestalt sie sich auch immer äußere, ist in seinem Wesen ein Resultat dieser hohen Idee. Ob der glänzende, liebende, ob der einsichtsvolle, lenkende Mensch, ob der kunstfertige Arbeiter des Zusammenhangs seines Glaubens, seiner Liebe, seines Denkens, seiner Kunst und seines Könnens, Kennens und Wissens mit dem Wesen der Idee der Elementarbildung und ihrer Kunstmittel wirklich bewußt sey und denselben deutlich erkenne, darauf kommt es nicht an. Die Resultate der entfalteten sittlichen, geistigen und Kunstkräfte, wie sie im wirklichen Leben ohne alle Kunst hervorgehen, sind einfache Wirkungen der menschlichen Grundkräfte, die durch die Hinzusetzung der Übungen der elementarischen Kunstbildungsmittel durchaus nicht in ihr erzeugt, sondern nur beholfen, d.i. in ihrer Erscheinung und Entfaltung erleichtert, belebt, gestärkt und in einen, sich unter einander gegenseitig unterstützenden und belebenden Zusammenhang gebracht werden. Die Welt ist voll der einzelnen Resultate des Naturgangs dieser elementarischen Entfaltung, die in der Einfachheit unverkünstelter Sitten, Zeiten und Stände in allen Ständen einzeln, ohne alle Kunst in hoher, innerer Auszeichnung sich vielseitig nach[260] Umständen und Bedürfnissen von selbst zu Tage fördern; und es ist auffallend, in welchem Grad sich diese, von der Kunst ganz unbeholfen und dennoch mit den höchsten Resultaten der Idee der Elementarbildung übereinstimmenden Erscheinungen des gemeinen Naturgangs in der Entfaltung unserer Kräfte in einzelnen, einfach und kunstlos wohlerzogenen Menschen nach der Eigenheit ihres Genies und ihrer Individualität ungleich, aber immer in Übereinstimmung mit ihrem Individualkarakter aussprechen und darlegen. Hier siehst du einen Menschen mit sehr schwachen Geisteskräften und ohne alle Kunstfertigkeiten, mit einer ausgezeichnet tiefen, sich selber bis zur Begeisterung erhebenden, sittlichen und religiösen Kraft als ein eigentliches Genie des Glaubens, der Gottesfurcht und der Menschenliebe; dort findest du einen andern, der in sittlicher Hinsicht wenig belebt, und in religiöser Hinsicht von innerer Begeisterung ferne ist, mit ausgezeichneter Kraft und hoher, geistiger Belebung für die tiefere Erforschung wissenschaftlicher Gegenstände gleichsam von der Natur erschaffen und in sich selbst dafür begeistert, vor dir steht; dort findest du wieder einen andern, der ohne besonderes, sittliches Interesse und ohne eigentliche ausgezeichnete Fähigkeit für die Nachforschung wissenschaftlicher Gegenstände, ein wahres Genie irgend einer Kunst und dafür innerlich in sich selbst so belebt ist, daß ihn die geringfügigsten Gelegenheiten, die sein diesfälliges Genie ansprechen, mit hoher, innerer Gewaltsamkeit ergreifen und mit Leichtigkeit zu Resultaten von entscheidendem Erfolg hinführen. Wer den Gang der Welt in der Naturbelebung der allgemeinen Fundamente der elementarischen Entfaltung unserer Kräfte in ihrer Wahrheit erkennen will, der muß sie in der Verschiedenheit solcher auffallenden Erscheinungen, sowohl in Rücksicht auf die Genialität einzelner Individuen, als mit Rücksicht auf thatsächliche Resultate dieser Verschiedenheit der menschlichen Anlagen, ins Auge fassen. Der Kulturgang des Menschengeschlechts im Allgemeinen findet in solchen genialischen Menschen die natürlichen Stütz- und Anknüpfungspunkte der naturgemäßen Beförderungsmittel des wahren Naturgangs, durch welchen es möglich ist, den Kunstausbildungsmitteln der Idee der Elementarbildung leichten und folgereichen Eingang zu verschaffen, und folglich den Segen ihrer allgemeinen Ausbreitung allmählig mit merklicher Sicherheit ihres Erfolgs anzubahnen[261] und zu befördern. Die naturgemäße Entfaltung der menschlichen Kräfte, die den elementarischen Bildungsmitteln allgemein zum Grunde liegt und zum Grunde gelegt werden muß, geht in ihren wesentlichsten Punkten weit mehr aus dem Leben als aus der Kunst hervor. Alle ihre Kunstbildungsmittel sind der höhern Bedeutung des Lebens untergeordnet und ihre großen Resultate gehen im Allgemeinen mehr aus der thatsächlichen Belebung der Kräfte der Menschennatur als aus dem Einfluß wissenschaftlicher und Kunstbildungsmittel hervor.

In diesem Gesichtspunkte liegt das große und tiefgreifende Erleichterungsmittel der elementarischen Bildungs- und Erziehungskunst. Jeder einzelne Mensch kann in seiner Lage und in seinen Umständen ohne alle Kenntniß der Idee der Elementarbildung und ihrer Mittel das Seine zur naturgemäßen Entfaltung der Kräfte unsers Geschlechts in tausend einzelnen Gesichtspunkten, Verhältnissen und Anlässen beytragen. Darum ist es aber auch die Pflicht jedes erleuchteten Menschenfreundes, die Naturbasis aller wahren Kunstmittel dieser hohen Idee, die in allem Volke liegt, und sich in allen Ständen und Verhältnissen in tausend und tausend Thaten der Erziehung und des Unterrichts ohne alle Kunst naturgemäß ausspricht, anzuerkennen und anerkennen zu machen. Ohne die mitwirkende Anerkennung und Benutzung dieser Naturbasis der Elementarbildung, die in allem Volke liegt, ist es gänzlich unmöglich, die Kunstmittel dieser hohen Idee, besonders in ihren Anfangspunkten, naturgemäß und mit gesegnetem Erfolg zu erforschen, zu bearbeiten, zu benutzen und der Menschheit in allen Ständen in wirklich genugthuenden Thatsachen vor die Sinne zu bringen. Aber allenthalben, wo dieses mit Glauben und Liebe geschieht, finden die Kunstmittel dieser Idee in der Menschennatur selbst offenen Zugang. Wo diese Naturbasis der Kunst immer erkannt und mit Sorgfalt und Ernst benutzt wird, da wird sie auch in allen ihren Erscheinungen als göttlich und als heilige Führerin und Lehrerin von alle dem anerkannt, was die Kunst selbst in ihren höchsten Resultaten zur Bildung unsers Geschlechts beyzutragen im Stande ist und anspricht. Alle Bestrebungen, die Idee der Elementarbildung durch die Kunst, ohne sorgfältige Aufmerksamkeit, auf diesen allgemeinen, thatsächlichen Gang der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte zu bauen, führen in ihren Folgen[262] zu Luftschlössern, die oberflächliche, verkünstelte und träumerische Menschen eben so leicht zu Gelüsten, Ansprachen, Handlungen, Maßregeln und Versuchen hinführen, durch die sie, anstatt den Segen ihrer Mitmenschen zu befördern, Verwirrung, Unglück und Elend unter ihnen vielseitig hervorbringen.

Aller mögliche Vorschritt in den Ausführungsmitteln irgend einer, tief in die Menschennatur eingreifenden Bestrebung hängt von den Vorschritten in der immer heiteren Erkenntniß des Wesens der Idee selber und der Mittel ihrer Ausführung ab. Ohne immer wachsende Klarheit in der Theorie dieses und ähnlicher Gegenstände haben dieselben durchaus kein Fundament eines innern, sich unter einander gegenseitig unterstützenden und belebenden Zusammenhangs. Der Vorschritt in der Theorie steht indeß in allen ihren Theilen mit der Fortdauer und dem Wachsthum der allgemeinen Thätigkeit in der Ausführung eines solchen Gegenstandes im innigsten Zusammenhange. Wir dürfen in keinem einzelnen Fache unserer praktischen Versuche stille stehen. Allenthalben bildet und stärkt die Fortdauer des Thuns die Kraft des Könnens, und das belebte Daseyn des Beyspiels und thatsächlicher Erfahrungen weckt die Aufmerksamkeit und das Interesse aller sich ihnen nähernden Kreise. Sey auch dein Beytrag zu diesen Erfahrungen noch so klein und geringfügig, sobald er als Resultat und im Zusammenhange mit dem Geist und den Mitteln der Idee der Elementarbildung dasteht, ist er die Aufmerksamkeit und das Interesse der Umgebungen, in denen er dasteht, in dieser Rücksicht zu erregen fähig und geeignet, und je größer und bedeutender ein solcher, als Erfahrungssache dastehender Beytrag an sich ist, desto bedeutender und folgereicher ist auch sein Eindruck auf seine Umgebungen. Indeß ist hiebey noch vorzüglich ins Auge zu fassen, nur das Vollendete wirkt allgemein im Großen; nur dieses hat unwiderstehliche Kraft. Hieraus fließt natürlich die Nothwendigkeit, die thatsächlichen elementarischen Beyspiele und Erfahrungen einzeln zum möglichsten Grad ihrer Vollkommenheit zu erheben. Ich kann mich nicht enthalten, den Gesichtspunkt, daß die große Naturbasis der Idee der Elementarbildung von dem einfachen Gange der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte, die in allem Volke liegt, ausgehe, durch ein thatsächliches Beyspiel ins Licht zu setzen, das auf eine auffallende Weise heiter macht, wie weit er einzelne Menschen[263] selber in den vorzüglichern Kunstmitteln des Erziehungswesens hinzuführen geschickt ist. Ein kleiner, armer Junge hatte in einem Kloster, in dem er als Bettelknabe aufgenommen wurde, das Unglück, daß er an eine brennende Laterne anstieß, die von der Bühne herab ins Stroh fiel und es anzündete, wodurch ein sehr beträchtliches Klostergebäude verbrannte. Der arme Junge ward jezt von jedermann beynahe als ein Scheusal in's Auge gefaßt; niemand wollte ihn mehr in sein Haus hineinlassen; er litt lange Hunger und Mangel; zuletzt lief er davon und irrte bettelnd herum; endlich erbarmte sich eine Glasersfrau seiner und nahm ihn auf. Er lernte ihr Handwerk so wohl, daß sie ihn sehr ungerne wieder von sich ließ. Er fing an, sich zu fühlen, wollte mehr als sein Handwerk lernen, durchreiste Italien und einen Theil Frankreichs, gieng selber nach England, lernte mehrere Sprachen geläufig und hatte sich eine große Gewandtheit erworben, mit Menschen aller Art umzugehen. Nun war ihm auch sein Handwerk nicht mehr genug. Der Gedanke kam in ihn, als Kammerdiener könnte er es bey seiner Bildung noch viel weiter bringen, als durch sein Reisen auf seinem Handwerk; zugleich trieb ihn eine Art von Wehmuth wieder nach seinem Vaterlande zurück, wo er sich für diesen Dienst geradezu bey dem Abte des Klosters meldete, dessen Wirthschaftsgebäude er verbrannt hatte. Die Bildung, Freymüthigkeit und Gewandtheit des Mannes machte den Abt aufmerksam; er stellte ihn sogleich als Kammerdiener an, und fand eine so ausgezeichnet gewandte Dienstfähigkeit und Dienstbereitwilligkeit in ihm, daß er eine eigentlich väterliche Zuneigung gegen ihn gewann. Nach wenigen Dienstjahren verheurathete er sich, nahm einen Gasthof zu Lehen, zeigte auch auf demselben seine ausgezeichnet allgemeine praktische Kraft; was aber das Wichtigste ist und warum ich eigentlich von ihm rede, ist dieses: er schickte keines seiner Kinder in die Schule, und gab ihnen in allen Fächern mit einem Erfolg selbst Unterricht, der außerordentlich war und das Erstaunen der ganzen Gegend erregte. Seine fünf Töchter redeten alle Sprachen, die der Vater konnte, geläufig, und waren in allen Theilen der Bildung, in denen sich der Vater auszeichnete, auf eine Weise geübt, als wenn sie durch alle Schulen gelaufen und selber in den höhern Kreisen des Bürgerstands mehr als schulgerecht gebildet worden wären. In allem, was sie angriffen, verständig und vom Morgen bis am[264] Abend thätig, war ihnen dabey auch die niederste Arbeit nicht zu gering. Bürgerlich gekleidet, zogen sie, wenn sie auf dem Felde arbeiteten, ihre Oberröcke aus, schürzten sich nach bäurischer Weise zur ländlichen Arbeit, und im Gasthofe, bey Fremden, zeigten sie ein Benehmen und einen Anstand, den man neben ihrer Gewandtheit in bäurischen Arbeiten nicht möglich glauben sollte. Es war, wie wenn sie dem Vater in den Augen ansähen, was er nur wünschte, und wenn er pfiff, so sprang nicht nur eine, es sprangen zwey und drey seiner Töchter daher, zu sehn, was ihm lieb sey und was er befehle, und richteten es mit einer Sorgfalt, Genauigkeit und Thätigkeit aus, die durch die höchsten Resultate der raffinirtesten Kunstbildung nur selten erzielt wird.

So richtig dieses Beyspiel des sich selbst überlassenen, von der Kunst unbeholfenen Gangs der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte auch immer da ist, wo er im einzelnen Menschen innerlich stark und kraftvoll belebt und äußerlich von den Umständen begünstigt wird, so ist gleich wahr, daß es in Rücksicht auf das, was die Massa des Volks culturhalber in allen Ständen bedarf, nichts bedeutet. Die Erscheinung solcher Menschen ist in dieser Rücksicht, was einzelne süße Tropfen Wassers, die in die bittern, ungenießbaren Fluthen gesalzener Meere hineinfallen. Sie verlieren sich im Volk als rari nantes in gurgite vasto. Das Volk bedarf in allen Ständen und unter allen Umständen der Mittel der Kunst zu seiner Bildung, sonst wird es bey alle dem, was zur Entfaltung seiner Kräfte in ihm selbst liegt, sehr leicht und so viel als allgemein ein Opfer der sinnlichen thierischen Reize, beydes, zur Verwilderung und zur Verkünstelung, die ohne ein kraftvolles, sittlich und geistig wohl begründetes Gegengewicht, beyde gleich sowohl auf den Wegen ihrer sinnlichen Kraftstärkung als auf denjenigen ihrer sinnlichen Abschwächung zur Unmenschlichkeit hinführet. So offenbar ist, daß das Beyspiel einzelner Menschen, die sich durch den bloßen Einfluß des Lebens, ohne alle Kunstmittel zu ausgezeichnet hohen, menschlichen Kräften erheben, durchaus nichts, weder gegen das Bedürfniß der Idee der Elementarbildung, noch gegen den Werth derselben beweist.

Sie, die Elementarbildung ist eine wesentliche und dringende Nachhülfe des, von der wahren Kunst unbeholfenen, in einzelnen Fällen einzelne Menschen zwar oft vortreflich bildenden, aber in[265] tausenden gegen einen die Massa des Volks unnatürlich mißbildenden wirklichen Zeitlebens, wie es sich in seinen Folgen, beydes, in Rücksicht seines Einflußes auf die Verwilderung und auf die Verkünstelung des Menschengeschlechts allgemein ausspricht, und ich möchte fast sagen, in jedem Zeitgeist und in jeder Epoche aller menschlichen Jahrbücher documentirlich gleich darlegt. Und fassen wir nun den positiven Zwang der Entfaltung des, von der Natur unbeholfenen Lebens, wie es, seltene Fälle ausgenommen, im allgemeinen ist, und hingegen des, von den Mitteln der elementarischen Bildung unterstützten und beholfenen Lebens, wie es seiner Natur nach allgemein in allen Ständen einzuwirken fähig ist, gegenseitig ins Auge, so finden wir, in der ersten Epoche des Lebens mangelt dem Kind, das dem großen Naturgang in der Entfaltung seiner Kräfte kunstlos überlassen wird, vor allem aus im allgemeinen eine Mutter, welche die Reize zu dem, was sie ihrem Kinde naturgemäß seyn sollte, belebt, ruhig und gereift in gebildeter Entfaltung ihrer Kräfte mit Bewußtseyn in sich selbst trägt. Ihr Kind gefahret eben so im allgemeinen durch die gegenseitig sich selbst überlassene instinktartige Belebung dieser Triebe, alle Augenblicke in ihrem wahrhaft naturgemäßen Einfluß auf die Belebung seiner Kräfte gestört, verwirrt und anstatt durch dieselbe naturgemäß gebildet, durch sie naturwidrig verbildet zu werden. Unter diesen Umständen wird das unnatürlich geführte Kind durch die Ansprüche seiner Mißbildung, an denen die Mutter selber Schuld ist, ihr sehr bald selber zur Last.

Sie ergreift, wenn sie gutmüthig ist, selber unnatürliche und dem Kinde durch seine Sinnlichkeit schädliche Stillungsmittel seiner unnatürlich belebten Unruhe; wenn sie aber leidenschaftlich ist, so versucht sie die Unruhe ihres Kindes durch Äußerungen ihrer eigenen Unruhe und ihrer eigenen Unbehaglichkeit zu stillen. Sie schieltet und straft das Kind, das nichts verschuldet, das nur so ist, wie es unter ihrer Führung hat werden müssen. Sie straft die Unschuld. Sie legt den ersten Samen der Leidenschaft, sie legt den ersten Samen des Verlustes der Unschuld in das arme Geschöpf. Das Göttliche und Reine, das aus der ruhigen Selbstthätigkeit der Kräfte der Kinder selbst hervorgeht, verliert sich allmählig. Das Leidenschaftliche und Ungöttliche, das aus der unnatürlich belebten, sinnlichen und thierischen Natur hervorgeht,[266] verstärkt sich von Tag zu Tag. Die natürliche Entfaltung seiner Anschauungskraft wird verwirrt. Der bildende Einfluß zweckmäßig vor die Sinne gebrachter Gegenstände der Anschauung wird vielseitig im Kind still gestellt und diese Gegenstände selber eben so vielseitig seinen Sinnen entrückt und ihm hingegen die Menge dasselbe mißbildender Gegenstände mit unnatürlich belebten Reizen vor die Sinne gebracht, folglich die naturgemäße Ausbildung der Anschauungskraft gleichsam in ihrem Ursprung unnatürlich verwirrt, und dadurch die naturgemäße Entfaltung der Sprachkraft eben so wie diejenige der Denkkraft, deren erste Fundamente beyderseits in der naturgemäßen Entfaltung der Anschauungskraft liegen, wo nicht gänzlich unmöglich gemacht, doch ihrer naturgemäßen Entfaltung schon in diesem Zeitpunkt so viel als unübersteigliche Hindernisse in den Weg gelegt, und damit so viel als alles zernichtet, wodurch das naturgemäß geleitete, häusliche Leben im Alter der Unmündigkeit selber das Kind zur naturgemäßen Benutzung der Schuljahre vorbereiten und ihm segenreich machen konnte.

Sehen wir das Kind also aus der Epoche der Wohnstubenbildung austreten, so liegen in ihm keine natürlich belebten Reitze für irgend etwas, das die Schulbildung ihm naturgemäß geben sollte. Es hat keine naturgemäß belebte Anfangspunkte für das, was es in der Schule naturgemäß fortsetzen sollte. Es kommt in eine neue Welt, die für dasselbe durchaus keinen geistig und gemüthlich, wohl aber einen leidenschaftlich belebten Zusammenhang mit seiner Mißbildung hat. Es tritt eigentlich für die Vorschritte der Mißbildung, die es in der Schulführung zu machen Gelegenheit hat, wohl vorbereitet in die Schule. Seine Hausmißbildung kommt mit der Hausmißbildung der ganzen Schaar seiner Mitschüler in belebten Zusammenhang; und da die Mißbildung aller in ihrem Wesen allgemein gleichen Ursprungs und gleicher Natur ist, so wird sie auch sehr leicht allgemein ansteckend. Die Frechheit unter vielen Kindern ist bald allgemein erzeugt, wo die Bescheidenheit in jedem einzelnen nicht zum voraus schon kraftvoll belebt ist. Ebenso sind der böse Muthwille, die schamlose Leichtfertigkeit, das böse Verhöhnen, Beleidigen und Kränken der Schwachheit und der Armuth und alle Fehler der Lieblosigkeit und Hartherzigkeit in der Epoche der Schulzeit in den Herzen der Kinder leicht ansteckend, wenn im häuslichen[267] Leben nicht schon zum voraus Anmuth, Liebe, Friede und Ruhe, die dem kindlichen Alter so natürlich sind, in den einzelnen Schulkindern kraftvolle Nahrung gefunden und ihnen im belebten Kinder-, Bruder-, und Schwesterseyn habituel und gleichsam zum Bedürfniß und zur andern Natur gemacht worden. Eben so sind in geistiger Hinsicht die Zerstreuung, Gedankenlosigkeit, Unaufmerksamkeit, Unvorsichtigkeit und Übereilung unter dem Haufen der Schulkinder bald allgemein ansteckend, wenn die Aufmerksamkeit, das Überlegen und Nachdenken durch die Hausbildung der Einzelnen in ihnen noch keine kraftvolle Wurzel gefaßt hat.

Hinwieder sind in physischer Hinsicht Trägheit, Gemächlichkeit, sinnliche Lüsternheit und ihre Folgen, diese Hindernisse der Entfaltung der Gewandtheit, Anstrengung und Ausharrung in der bürgerlichen und häuslichen Thätigkeit in den Schuljahren eben so ansteckend, wenn die häusliche Bildung ihren kindlichen, liebenden Sinn nicht zum voraus zur physischen Entfaltung und Belebung ihrer Glieder und zur Theilnahme an verschiedenen Arten der ihnen zukommenden, häuslichen Thätigkeit und selber zur eifrigen Anstrengung und Ausharrung in derselben gereizt und angewöhnt hat. Der Schulmeister kann unter diesen Umständen, so gerne er auch wollte, durchaus nicht naturgemäß auf die Fortbildung der sittlichen, geistigen und physischen Kräfte seiner Kinder einwirken: weil der Punkt dieser Bildung, der ihnen im häuslichen Leben schon hätte gegeben werden sollen, in ihnen nicht, wie er sollte, schon naturgemäß entfaltet und belebt vorliegt. Er kann sich unter diesen Umständen durchaus nicht als väterlicher Erzieher seiner Kinder fühlen und denken, im Gegentheil, er muß soviel als nothwendig als mühseliger Unterrichter und Abrichter von Kindern, deren Geist, Herz und Hand ferne von ihm und von alle dem ist, was er ihnen einüben sollte, ansehen und fühlen, und ist, um auch nur einen Scheinerfolg seiner Unterrichts- und Abrichtungsmittel sicher zu stellen, in der traurigen Lage, zu Mitteln der höchsten Unnatur seine Zuflucht zu nehmen und seine Kinder durch Belohnungen, durch eitle Ehre und Ruhm zu dem hinzulocken, was sie, wenn sie im häuslichen Leben naturgemäß erzogen und für das, was sie in der Schule lernen sollten, wohl vorbereitet worden wären, in seinen Elementen schon in sich selber tragen und in den Bildungsübungen[268] seiner Vorschritte gerne und mit Freude sich selber eigen machen würden. Eben so muß er sie mit der rohen Gewalt unnatürlicher Schulstrafen von Dingen abhalten, die im andern Falle ihnen weder von selbst schon zur eingewurzelten Übung geworden, noch auch so leicht durch das Beyspiel anderer ansteckend auf sie hätten wirken können. Und treten solche erziehungshalber im häuslichen Leben nicht nur verwahrloste, sondern selber mißbildete Kinder in diesem Zustand aus den Kinderschulen in höhere und überhaupt in die verschiedenartigen Bildungs- und Unterrichtsanstalten für das wissenschaftliche oder praktische, bürgerliche Leben; so ist die in diesem Zeitpunkt sehr belebt wachsende Kraft ihrer physischen Entfaltung sehr geeignet, allen Reitzen der Zügellosigkeit, Selbstsucht, Frechheit und Gewaltthätigkeit des sinnlichen Lebens und seiner thierischen Ansprüche in einem hohen Grad starke, leidenschaftliche und gefährliche Nahrung zu geben, und sie dahin zu führen, auf das Fundament oberflächlicher Kenntnisse, unreifer Entfaltungen und halberlernter Kunst- und Berufsfertigkeiten anmaßungsvolle, alle Subordination mißkennende und auf leere Luftschlösser gebaute Ansprüche zu machen, deren Folgen wir in unserem Zeitalter in einem hellen Licht oder vielmehr in grellen Erscheinungen als eine Hauptursache des vielseitigen Unglücks unserer Tage erkennen gelernt haben. Fassen wir endlich diese, auf einer solchen Bahn erwachsene Menschen als Väter und Mütter in häuslicher, als Geschäftsmänner in bürgerlicher und Berufshinsicht in's Auge, so erscheinen die Folgen ihrer, in der ersten Stufe ihres jugendlichen Lebens nicht naturgemäß genoßenen Bildung nur erst in ihrem grellsten Licht oder vielmehr in ihren weitführenden, traurigen Wirkungen. Im Verderben des positiven Lebens unseres unnatürlich verkünstelten Zeitgeists und des durch ihn gewaltsam belebten und gestärkten, allgemein sinnlichen Weltgeistes aufgewachsen, mangeln ihnen die wesentlichsten soliden Kenntnisse, Neigungen und Fertigkeiten, die eine gute, naturgemäße Erziehung im Vaterhause und eine darauf gebaute, gute naturgemäße Schul- und Berufsbildung so wohl im Knaben- als im Jünglingsalter ihnen gegeben oder vielmehr sie dazu vorbereitet hätte. Die reinen, menschlichen Beweggründe und Antriebe zur Erfüllung ihrer häuslichen und bürgerlichen Pflichten haben in ihnen selbst keine naturgemäße, reelle Begründung. Sie[269] finden nur in ihrer Verwilderung und ihrer Verkünstelung, so wie in Reitzen, die dieses doppelte Verderben in ihnen stärken und beleben, Beweggründe zur segenslosen Scheinerfüllung der Pflichten, auf deren äußerliche Erfüllung ihre Verhältnisse wider ihren Geist und wider ihr Herz zwingend einwirken. Sie können in dieser Lage dem Schein nach oft recht viel Gutes thun, das sich aber auch nur durch das Sprichwort: »Die Noth bricht Eisen« in seiner Wahrheit erklären läßt. Die wesentlichen Fundamente alles wahrhaft häuslichen und bürgerlichen Guten mangeln ihnen im ganzen Umfange. Die Pflichten und Rechte, die die Menschlichkeit anspricht, sind ihnen ganz untergeordnete Beweggründe ihres, sie auf keine Weise menschlich erhebenden und menschlich befriedigenden Weltsinns. Die Quellen der Liebe sind in ihnen verödet, und von der Wahrheit fragen sie in dieser Verödung: Was ist sie? Und wie sie sind, fragen sie das mit Recht. Die Wahrheit an sich, in ihrer Reinheit, ist ihnen nichts und kann ihnen nichts seyn. Sie ist nicht in ihnen. Der ganze Umfang der Dienst- und Nothpflichten ihrer Sinnlichkeit hat weder in ihr noch in der Liebe ein Fundament der Reize, die sie anspricht; darum ist ihre Erfüllung auch in ihrem häuslichen und in ihrem öffentlichen Leben segenslos.

Doch ich mag das Bild der Folgen, die aus dem Mangel einer soliden, naturgemäßen Begründung des Erziehungswesens im häuslichen Leben in den ersten Kinderjahren bey dem Verkünstelungsverderben der Zeit so allgemein sind, nicht weiter ausführen; ich setze im Gegentheil, dieses Bild zu mildern, noch hinzu, diese unglücklichen Folgen des Mangels einer guten, naturgemäßen häuslichen Erziehung in den ersten kindlichen Jahren können freylich in den folgenden Jahren durch den Einfluß der Religion in einzelnen Fällen in einem hohen Grad gemildert und zum Theil wirklich ausgelöscht werden. Sie erscheinen also im wirklichen Leben bey weitem nicht allgemein in einem so grellen Lichte. Aber wenn der Mensch schon in seinen spätern Jahren, auf welche Weise und durch welche Mittel es auch geschehen mag, dahin kommt, ganz einzusehen, was ihm zur soliden Begründung des häuslichen und bürgerlichen Segens seines Lebens mangelt, und wenn er auch wirklich dahin kommt, diesen Mangel mit bittern Thränen zu beweinen, so ist er doch in seinen Folgen bis auf einen gewissen Punkt so viel als unauslöschlich bleibend[270] in ihm. Wenn er auch dahin kommt, seine Unfähigkeit, sein Brod auf eine, sein Herz selber befriedigende Weise zu verdienen und seine Kinder zu allem Guten und Segensreichen, dessen sie bedürfen, zu erziehen und den Armen um sich her mit dem besten Herzen zu dienen, ganz einzusehen, so hat er um deswillen die gebildeten Kenntnisse und Fertigkeiten, die hiefür nothwendig sind, doch nicht in sich selber, und bleibt in dieser Rücksicht hinter dem Zustand, zu welchem er durch eine, von der Wiege an durchgeführte, elementarische Führung gekommen wäre, bis an sein Grab zurück.

Ich verfolge meinen Weg, und so wie ich eben versucht habe, den positiven Gang des von der Kunst unbeholfenen Lebens, wie es, seltene Fälle ausgenommen, sich in seinen Folgen allgemein ausspricht, darzulegen, so fahre ich fort, das von den Mitteln der wahren, naturgemäßen und elementarischen Bildung unterstützte Leben, wie es wirklich ist und in seinen Folgen nothwendig seyn muß, auf eben diese Weise ins Aug' zu fassen.

In der ersten Epoche des kindlichen Lebens ist keine elementarische, naturgemäße Bildung denkbar, ohne eine Mutter, die das Wesen der Mittel dieser Bildung entweder in ihren höhern Herzens- und Geistesanlagen individuell in sich selbst trägt, oder sie wirklich durch die solide Erlernung derselben sich genugthuend eingeübt hat. Das Wesen dieser Mittel ist seiner Natur nach geeignet, wahrhaft bildend auf ihr Kind einzuwirken und eben so die Reize zu seiner Mißbildung allgemein stille zu stellen und zu schwächen. Das große erste Gesetz dieser Bildung ist die Ruhe des unmündigen Kindes. Diese muß durch die Mutter auf alle Weise befördert werden, und es liegt in der Natur ihres untergeordneten Instinkts selber, daß diese Ruhe ihr heilig sey. Sie thut alles, diese Ruhe zu fördern und ihre Störung zu verhüten. Es liegt im Naturgang ihrer Führung, daß sie alles thue, es zu stillen und nicht unnatürlich zu stören oder stören zu lassen. Die Sorge dieser Handlungsweise der Mutter führt dahin, daß die erste Belebung der Kräfte ihres Säuglings nicht aus äußern, zufälligen und zur Unruhe führenden, sinnlichen Reizen, sondern aus dem Selbsttrieb, welcher der Entfaltung aller seiner Kräfte allgemein zum Grunde liegt, selbst hervorgehe, und sich ruhig und still durch ungestörtes und unverwirrtes Anschauen seiner Umgebungen in[271] ihm selber entfalte, bilde und stärke. Bey dieser Führung wird das Kind, das von seiner Mutter zu keiner unnatürlichen Unruhe gereizt, sondern vielmehr durch sie vor ihren mißbildenden und irreführenden Reizen geschützt wird, ihr auch nicht leicht zur Last; und sie kommt so leicht weder in den Fall, in blinder Gutmüthigkeit, unnatürliche und dem Kinde schädliche Stillungsmittel seiner gereizten Unruhe zu gebrauchen, noch in gereizter Leidenschaftlichkeit der Unruhe des Kinds durch Äußerungen ihrer eigenen Unruhe Einhalt zu thun und dasselbe in diesem Gemüthszustande zu schelten, zu strafen, seine Unschuld zu kränken und den Saamen der Leidenschaft in ihm zu reizen und zu beleben.

Das Reine und Göttliche, das aus der ruhigen Selbstthätigkeit der Kräfte des Kindes selbst hervorgeht, wird durch das diesfällige Benehmen der Mütter von Tag zu Tag in ihm immer mehr gestärkt. Seine Anschauungskraft wird durch dasselbe naturgemäß entfaltet und dadurch die Entfaltung seiner Sprachkraft naturgemäß begründet. Die Gegenstände, die dieses bezwecken, werden ihm mit Sorgfalt und Kunst in Übungen, die stufenweise auf einander folgen und sich so fortschreitend begründen, vor die Sinne zur Anschauung gebracht, und dadurch wird sein solides Redenlernen ein nothwendiges und unfehlbares Resultat seiner Anschauungsübungen und ihres in der Natur der Dinge selbst liegenden Zusammenhangs, über dessen Eindruck es sich wörtlich ausdrücken, d.i. reden lernen soll, und eben so wird dadurch die naturgemäße Entfaltung der Denkkraft mit derjenigen der Anschauungskraft so innig verbunden und so einfach und naturgemäß aus ihr hervorgehen gemacht, daß die Zwischenstufe der zu bildenden Sprachkraft als ein mechanisches, an sich lebloses Ausdrucksmittel des Geistes und des Lebens dieses innigen Zusammenhangs der Anschauungs- und der Denklehre und ihres gegenseitigen Einflusses auf einander angesehen werden kann; wodurch es dann auffällt, daß durch die solide, elementarische Führung des Kinds dasselbe in seiner häuslichen Bildung schon in seiner Unmündigkeit auf eine solide Weise zu einer segensvollen Benutzung seiner Schuljahre und Schulführung vorbereitet und tüchtig gemacht wird. So wie es bey dieser Führung aus der bisher genossenen, häuslichen Bildung in die Schulführung hinübergeht, findet es sich in alle dem, was die erste Stufe[272] dieser Führung ihm einüben soll, durch das, was es in den bisherigen Übungen seines häuslichen Lebens schon genossen, vorzüglich und gut vorbereitet. Das, was die naturgemäß begründete Schulführung ihm geben will und geben soll, findet durch seine häusliche Führung in ihm schon belebte Reize, es selber zu wollen und sogar nach ihm zu haschen.

Die Anfangs- und Anknüpfungspunkte dessen, was es in der Schule lernen soll, sind durch die Anschauungserkenntnisse seines häuslichen Lebens vorbereitet und vorliegend. Es findet sich sehr leicht in alles, was es in der neuen Welt, in die es jetzt eintritt, naturgemäß lernen und sich einüben sollte. Alles in dieser Laufbahn naturgemäß zu Erlernende hat einen innig belebten Zusammenhang mit dem, was es in seiner häuslichen Führung sich naturgemäß eingeübt und eigen gemacht hat. Diese steht mit alle dem, was ihm in der Schule eingeübt werden soll, in innigstem Zusammenhang. So wie die Mißbildung schon im häuslichen Leben verwilderter und verkünstelter Kindern bey denjenigen ihrer Mitschüler, die für die diesfälligen Fehler in beyden Rücksichten schon merklich empfänglich sind, leicht ansteckend wird, so wird auch die Bildung der, im häuslichen Leben gemüthlich und geistig für die Schuljahre wohl vorbereiteten Kinder für diejenigen ihrer Mitschüler, die in ihrem häuslichen Kreise mehr und minder auch gemüthlich und verständig erzogen worden, ich darf nicht sagen, ansteckend, aber doch reizend und anziehend. Unfehlbar wird der elementarisch gebildete Schulmeister schnell auf sie aufmerksam werden, und ihre Mitschüler auf ihre vorzügliche Fähigkeit im Erlernen, auf ihr anmuthvolles, liebreiches Benehmen aufmerksam machen. Er wird sie bald brauchen können, schwächern Kindern in seinen Schulübungen nachzuhelfen und ihnen zu dienen, und da jeder Massaverein nur durch das Vorschreiten seiner einzelnen Glieder in den Zwecken seines Vereins wahrhaft vorschreitet, so ist es natürlich, daß jede elementarisch zu bildende Schule die Sicherheit und Solidität ihres allgemeinen Vorschreitens durch Einfluß einzelner, im häuslichen Leben schon im Geist einer elementarischen Schulführung geführter Kinder zu suchen hat und zu finden im Stande ist. Wahrlich, es lassen sich große Hoffnungen auf diese Ansicht bauen. Wenn die Unnatur aller Thorheit und Schwäche durch einige Anhängsel von Bonbons und Zierathen, wie man sieht, zu leicht ansteckend werden[273] könnte, warum sollte doch die Naturgemäßheit wahrer und kraftvoller Erziehungsmaßregeln durch ihre unfehlbare Segensfolgen nicht auch für die Massa des Volks in allen Ständen und in allen Altern anziehend, überzeugend und hinreißend, oder welches eben so viel ist, in gewissen Rücksichten ansteckend werden können? Und wie sollte es möglich seyn, daß dieses in einer elementarisch wohl zu begründenden Schule nicht vorzüglich der Fall seyn sollte? Es ist nicht anders möglich; alle einzelnen, im häuslichen Leben zur elementarischen Führung wohl vorbereiteten Kinder werden und müssen auf die Massa der mit ihnen elementarisch zu bildenden Schulkinder einen wesentlich segensvollen Einfluß haben.

Doch, ich bin aus dem bestimmten Zusammenhang des Bildes, das ich darlegen wollte, etwas herausgefallen. Ich dachte mir eine Elementarschule, die von Kindern zusammengesetzt wäre, welche sämmtlich schon zum voraus eine elementarisch wohlbegründete, häusliche Erziehung genossen hätten; und von einer solchen Schule wäre wohl unendlich mehr zu erwarten, als ich eben sagte.

Die Frechheit, die Gedankenlosigkeit, Sorglosigkeit, Unthätigkeit und Ungewandtheit, und mit einem Wort, die Fehler, die unter einem Haufen von Kindern, welche im häuslichen Leben nicht naturgemäß zu einer, diesen Fehlern entgegengesetzten Gemüthsstimmung und Lebensweise gebildet werden, sind in Kindern, die im häuslichen Leben in der Kraft wahrhaft elementarischer Bildungsmittel naturgemäß erzogen worden, ich will nicht sagen, in ihren Wurzeln vertilgt, aber ganz gewiß der belebenden Reize beraubt, die sie im entgegengesetzten Falle so leicht ansteckend machen. Solche Kinder sind beym Eintreten in die Schuljahre und in die Schulstube eines lieblichen, freundlichen und wohlwollenden Benehmens, eben wie eines überlegten, besonnenen, thätigen, fleißigen Lebens gewohnt. Rohheit, Unbesonnenheit und Müßiggang ist auf keine Weise in ihr Fleisch und Blut eingewurzelt; wohl aber ist ihnen der milde sanfte Geist, die belebte Aufmerksamkeit, Überlegung und Thätigkeit eines naturgemäßen, unverdorbenen Wohnstubenlebens von der Wiege an eingeübt und natürlich geworden. Die wesentlichen Anfangspunkte alles dessen, was sie in der Schule lernen und worin sie sich in derselben weiter bilden sollen, sind schon wesentlich in ihnen belebt und von der Wiege an eingeübt. Der Schulmeister[274] hat in sehr vielen Rücksichten nur mit Sorgfalt auf das fortzubauen, wozu im häuslichen Leben die wirklichen Fundamente schon gelegt sind, und wozu sie jetzt im Schulleben nicht eigentlich erst empfänglich gemacht, sondern in ihrer gebildeten Empfänglichkeit nur gestärkt und weiter geführt werden dürfen. Der Schulmeister fühlt sich unter diesen Umständen als väterlicher Fortsetzer und Mithelfer der Erziehung von Kindern, die ihm innerlich wahrhaft nahe und mit dem ganzen Umfange seiner naturgemäßen Schulmittel in Übereinstimmung stehen und mit Geist, Herz und Hand freiwillig und mit Lust und Liebe daran Theil nehmen. Er hat durchaus, um die soliden Wirkungen der elementarischen Führung seiner Schulstube mit Sicherheit zu erzielen, nicht nöthig, zur Unnatur von Schulbelohnungen und Schulstrafen seine Zuflucht zu nehmen, davon die einen das Herz der Kinder durch Sinnlichkeit und Ehrgeiz verderben, die andern dasselbe durch Kränkungen erniedrigen und mißstimmen.

Häuslich elementarisch wohlgebildete Kinder tragen den Reiz, sich selbst in alle dem weiter zu führen, was schon angefacht und belebt in ihnen liegt, in sich selbst, und wollen in alle dem gerne weiter, was in seinen frühern Stufen im häuslichen Leben schon Reize für sie hatte und sie belebt ansprach, was in der elementarischen Führung wesentlich und soviel als nothwendig ist.

Kommen dann also elementarisch gebildete, angehende Jünglinge aus den Knabenschulen in höhere, wissenschaftliche Bildungsanstalten oder als Lehrlinge in die Werkstätte bürgerlicher Berufe, so sind sie durch die naturgemäße Führung ihres Kindes- und ihres Knabenalters in einem hohen Grad fähig gemacht, diese Anstalten und Werkstätte für ihr künftiges Leben segensvoll zu benutzen. Freche Rohheit, Muthwille, blinde Anmaßung und tolle Kühnheit, die in diesem Alter so leicht einen, in verschiedenen Farben und Gestalten sich entfaltenden, aber in allen Formen gleich unnatürlichen und verderblichen Burschengeist erzeugt, hat in ihrer häuslichen und in der, aus derselben hervorgegangenen und auf sie gegründeten, elementarischen, häuslichen und Schulbildung ein kraftvolles Gegengewicht gegen diese, dem allgemeinen Segen des häuslichen und bürgerlichen Lebens in allen Ständen so tödtlich ans Herz greifende Ausartung des in diesem Alter lebendig erwachenden Kraftgefühls der Menschennatur.[275]

Der elementarisch wohlerzogene Jüngling fühlt sich über die Reize der jugendlichen Tollkühnheit und der bösen Kühnheit ihrer Ansprüche in sich selbst hocherhaben. Interesse seines Geistes und seines Herzens lenken ihn mit Kraft von den Reizen des blinden Aufschwungs solcher jugendlichen Anmaßungen und Ansprüche weg. Er hat in sich selber höhere Ansprüche des Geistes und des Herzens, denen er mit ernster Kraft, besonderer Ruhe und innerer Stille entgegenstrebt. Die Vorbereitung auf die praktische Laufbahn seines künftigen Lebens, die ihm nahe bevorsteht, verschlingt sein ganzes Interesse, begründet und bildet die ganze Thätigkeit dieser Epoche; und so tritt er im gereiften Segensgenuß der naturgemäßen Bildungsmittel seiner häuslichen Erziehung, seiner Schuljahre, seiner Standes- und Berufsbildung als Vater und Bürger in die Laufbahn, für welche die Epoche seines frühern Lebens als wesentliche Vorbereitungsmittel ihres gesegneten Erfolgs angesehen werden müssen. Seine Stellung ist jetzt der Anfangspunkt von Pflichten, zu deren Erfüllung er von seiner Wiege an bis zu dem Endpunkt seiner dießfälligen Bildung naturgemäß ist vorbereitet worden. Er genießt als Vater und Bürger ihren bleibenden Segen in vollem Maße bis an sein Grab. Er besitzt durch seine, von der Wiege an solid begründeten und ausgebildeten Erkenntnisse, Neigungen und Fertigkeiten ein naturgemäß begründetes Gegenmittel und Gegengewicht gegen die Reize und Folgen, die das Verderben der Verwilderung und Verkünstelung unsers Zeitgeistes und seines ihn allgemein begründenden Weltsinns, beydes, sowohl auf die Schwäche als auf die Rohheit der sich selbst überlassenen, sinnlichen Menschennatur allgemein hat. Die Pflichten seiner Lage und seiner Verhältnisse sind mit der Richtung seines Geistes und seines Herzens und mit den Fertigkeiten und Gewohnheiten seines Lebens in Übereinstimmung. Sie müssen die Beweggründe zu ihrer Erfüllung nicht außer sich in Reizen und Trieben suchen, die das Verderben der Verwilderung und Verkünstelung in der Menschennatur allgemein erzeugen und stärken. Sie finden in sich selbst in der bestehenden Richtung ihres Geistes und ihres Herzens, sie finden in den Urtheilen ihres Geistes, in den Neigungen ihres Willens, in den Fertigkeiten ihres Thuns und Lassens innerlich belebte Beweggründe zur segensvollen und sie befriedigenden Erfüllung der Pflichten ihrer Lage und ihrer Verhältnisse. Sie fühlen[276] sich als Menschen, als Väter, als Bürger, in der Erfüllung dieser Pflichten eben so gesegnet und glücklich, als sie dadurch Segen, Wohlstand und Befriedigung in ihren Umgebungen und Verhältnissen verbreiten. Die hohen, heiligen Fundamente des Guten, das sie thun, gehen in ihnen aus Liebe und Glauben hervor. Sie sprechen zur Wahrheit nicht: Was bist du? und zum Recht nicht: Was willst du? Ihr Herz ist ferne von den Lügen. Darum erkennen sie auch die Fundamente der Wahrheit, die ihnen dient und deren sie bedürfen, vielseitig mit vieler Sicherheit in sich selbst, und was recht ist, sagt ihnen ihr Gewissen mit innerer, göttlicher Stimme. Die Wahrheit, die in ihrer Reinheit ihren Geist und ihr Herz anspricht, ist ihnen alles. Sie ist in ihnen selber in ihrer Liebe und in ihrem Glauben begründet. Sie glauben an die Wahrheit, weil sie sie lieben, und lieben sie, weil sie an sie glauben. Hierin liegen die letzten und höchsten Segnungen der Naturgemäßheit in der Entfaltung der Kräfte und Anlagen der Menschennatur, deren Erkenntniß und Erforschung die Idee der Elementarbildung nachstrebt.

Ich habe das Weitführende dieser hohen Idee und ihres häuslichen und bürgerlichen Einflusses auf die solide Begründung des öffentlichen und Privatwohlstandes unsers Geschlechts mit Wärme für die Anerkennung der Wahrheit dieser Ansichten zu beleben gesucht. Ich wiederhole es jetzt nicht. Im Gegentheil, ich halte es für meine Pflicht, so viel an mir ist, zu verhüten, daß diese meine Lieblingsansichten nicht einseitig und oberflächlich ins Auge gefaßt und dadurch träumerische und eitle Hoffnungen auf dieselben gebaut werden, deren Mißlingen nicht anders als dahin wirken könnte, dem realen Vorschritt dieser hohen Idee, sowohl in ihrer Erkenntniß als in ihrer praktischen Ausführung und Benutzung wesentliche Hindernisse in den Weg zu legen.

Sie, diese hohe Idee, ist in ihren Ausführungsmitteln eigentlich noch nicht da. Die Mittel ihrer Kunst, wenn ich sie auch nur in geistiger Hinsicht als Mittel der Anschauungslehre, Sprachlehre und Denklehre ins Auge fasse, sind sämmtlich noch nicht genugthuend in unsern Händen. Ihre Ausarbeitung ist das erste, womit ihre Einführung auch nur von ferne angebahnt werden kann. Selber die Zahl- und Formlehre, die in Rücksicht auf ihre Brauchbarkeit weit mehr als alles, was wir elementarisch Bearbeitetes in unserer Hand haben, ihrer Vollendung nahe gebracht, ist in dem[277] Zustande, in welchem die Kunstmittel der elementarischen Anschauungslehre hülflos, verödet und unausgearbeitet noch so viel als ein Traum in unserer Mitte dastehen, ohne ihren naturgemäßen Boden. Sie geht immediat aus den ersten Anfangsübungen der Anschauungslehre hervor und alle Vorschritte ihrer Übungen sollen mit den Vorschritten der elementarischen Sprachlehre gleichen Schritt halten. Sie, die Übungen der Zahl und Formlehre, werden nur dadurch, was sie ihrer Natur nach seyn sollen, naturgemäße Übungen der elementarisch zu begründenden Denklehre. Die Bearbeitung der dießfalls so vielseitig mangelnden, elementarischen Anfangsübungen in allen Fächern der Geistesbildung ist dringend und dem Anschein nach so schwierig, daß wenige Menschen sich beim Anblick des Anfangs ihrer Bedürfnisse nicht von der Theilnahme an ihrer Bearbeitung abschrecken ließen.

Auch die im gewohnten Gange ihres Lebens thätigsten Menschen scheuen Arbeiten, die mit ihrem Routinefleiß nicht in Übereinstimmung sind, oder gar mit ihm im Widerspruche stehen. Sie achten gewöhnlich ihre Mühseligkeiten ohne alles Verhältniß größer, als sie wirklich sind. Dieses ist in Rücksicht auf das gegenwärtig in's Auge gefaßte, vorzügliche Bedürfniß der Idee der Elementarbildung bestimmt der Fall. Das innere Fundament aller Ansprüche, die die Idee der Elementarbildung erheischt, so wie aller Resultate, die sie hervorzubringen geeignet ist, liegt in uns selbst; es offenbart sich allgemein in allem Volk und erscheint dem geübten Auge eines psychologischen Forschers allgemein sichtbar. Die Mittel der Übereinstimmung der Kunst mit dem Gange der Natur liegen in ihren wesentlichen Fundamenten offenbar in uns selber. Ihre ausgeführte Bearbeitung hängt also wesentlich und vorzüglich von unserer Bestrebung, sie ausarbeiten zu wollen, ab. Auch wird ihre Bearbeitung dadurch jedem unverdorbenen Vater- und Mutterherzen und auch jedem Erzieher, in dem ihr Fundament innerlich belebt ist, in der Ausübung ihrer Anfangspunkte wesentlich und sehr erleichtert. Das ist so wahr, daß hie und da wesentliche Theile dieser als Kunstprodukt noch nicht bearbeiteten Mittel in allen mehr und minder naturgemäß geführten Erziehungs- und Unterrichtsanstalten selber unbewußt wirklich ausgeübt werden. Wer dießfalls auch keine Spur der Kunst in sich und für sich hat, wird durch die treue Benutzung des kunstlosen Zwangs der Natur der Dinge, der belebt in ihm[278] liegt, gleichsam zum voraus kunstfähig; und es ist auch in dieser Rücksicht wahr, wer in dem Wenigen, das er hat, treu ist, wird dadurch über vieles gesetzt und zu vielem hinkommen, das er nicht hat. Das ist um so auffallender, da alle, auch die höchsten Resultate der Elementarbildung aus den gewonnenen, äußerst einfachen Anfangspunkten ihrer ersten Bildungsmittel gleichsam von selbst herausfallen und also die fortschreitende Anwendung ihrer Bildungskraft Stufe für Stufe immer leichter werden muß.

Das naturgemäße Wachsthum der Vorschritte dieser hohen Idee hängt also, wie so viel anderes Gute, das der Mensch sich einüben und eigen machen soll, von dem wahren, belebten Glauben und der treuen, dankbaren Benutzung alles dessen ab, was von dem, das er weiter sucht und wornach er weiter strebt, schon in ihm selber liegt. Das allervorzüglichste und wesentlichste Bedürfniß, das diese hohe Idee dießfalls anspricht, besteht ohne allen Widerspruch darin, daß diese Mittel in den ersten Anfangspunkten, wie ihrer die Kinder von der Unmündigkeit an bis in's siebente und achte Jahr bedürfen, in der möglichsten Vollendung ausgearbeitet und zur unbedingten Benutzung also vorgelegt werden können. Das kann uns aber bey den Erfahrungen und Versuchen, die wir diesfalls so viele Jahre gemacht haben, unmöglich schwer fallen. Und da das, was später darauf folgt und eben so nothwendig zu bearbeiten ist, wesentlich und allgemein aus der Vollendung dieser Anfangspunkte oder vielmehr aus der durch sie im naturgemäßen Stufengange ihres Wachthums belebten und gestärkten Menschennatur selber hervorgeht, so kann die Bearbeitung der Kunstübungsmittel, die diese Idee für die Bildung der Kinder in ihrem spätern Alter anspricht, Männern, die mit der Bearbeitung der ersten Stufe dieses Bildungsgangs mit sich selber im Reinen sind, unmöglich schwer fallen; obgleich auch bestimmt wahr ist, daß das, was wir bisher zur elementarischen Bearbeitung der Anschauungslehre, der Sprachlehre, der Denk- und der Kunstlehre im allgemeinen erreicht, uns kaum an den Grenzpunkt dessen, was die elementarische Bearbeitung jeder einzelnen Wissenschaft und Kunstlehre auf die Fundamente der wesentlichen, elementarischen Grundsätze und Mittel anspricht und erfordert, erhoben hat. Es ist offenbar, daß wir, um auch nur auf die Anfänge dessen, was in dieser letzten Rücksicht zu thun wesentlich nothwendig ist, das mitwirkende, thätige Interesse der[279] allgemeinen Kultur und Humanität unsers Zeitalters, wo dieses sich immer in der Reinheit seiner Ansichten und Mittel mit dem Wesen der Idee der Elementarbildung harmonisch bewährt, dringend nothwendig haben, und die Aufmerksamkeit der Menschen- und Erziehungsfreunde für diesen Zweck allgemein ansprechen müssen.

Ich komme aber in der Ansicht des ganzen Umfangs der Ausarbeitungsbedürfnisse der Kunstmittel, die die Idee der Elementarbildung anspricht, immer auf den Gesichtspunkt zurück, daß dieselbe die feste Anerkennung eines, in allem Volke liegenden Gangs der Natur in der Entfaltung unserer Kräfte als das ursprüngliche Fundament und gleichsam als die Urquelle aller und jeder Kunstmittel der Elementarbildung, folglich auch als den Hauptgesichtspunkt ihrer Ausarbeitungsmittel voraussetzt und wesentlich aus demselben hervorgeht.

So wie ich eine, auf dieses Fundament gebaute, sorgfältige Ausarbeitung der Kunstmittel und Bildungsübungen, die die elementarische Entfaltung der Geisteskraft in Rücksicht auf die naturgemäße Begründung der Anschauungslehre, der Sprachlehre und der Denklehre anspricht, als dringend nothwendig erachte, wenn die Kunstmittel der elementarischen Geistesbildung nicht bloß zu oberflächlichen, der Menschennatur nicht genugthuenden, sondern sie vielmehr verwirrenden und zur Unnatur unsers Verkünstelungsverderbens lockenden Maßregeln hinführen sollen; so halte ich es aus eben diesen Gründen für nothwendig, daß zur soliden Anbahnung der Ausführung dieser hohen Idee ungesäumt eine Anzahl Jünglinge und Töchter eigentlich zur vollständigsten und solidesten Benutzung und Anwendung des ganzen Umfangs dieser ausgearbeiteten Mittel erzogen und gebildet werden. Wenn solche Anstalten für diesen Zweck ihrer progressiv wirkenden Bestimmung auch nur mäßig entsprechen; so werden ganz sicher Personen aus ihnen hervorgehen, welche die wichtigen Resultate, die wir mitten in unserm babylonischen Thurmbau aus dieser Idee hervorgehen gesehn, auf eine, unsere Versuche ohne alles Verhältniß weit übertreffende Weise hervorzubringen im Stande sind. Auch die schwächern von ihnen werden in ihrem Einflusse auf die Bildung der Jugend mit ihren Zöglingen solider zu Werke gehn und weiter als wir vorschreiten. Genialische Köpfe unter ihnen werden die Jugend durch die elementarischen[280] Mittel, die ihnen vorbereitet in die Hand gelegt werden, mit einer Kraft ergreifen, deren Folgen, wenn sie in ihrem ganzen Umfange benutzt werden, nicht zu berechnen sind. Solche wohlorganisirte Anstalten für elementarisch gebildete Erzieher und Erzieherinnen werden also, ihrer Natur nach und so viel als unfehlbar, dahin wirken, alle, zur Vollendung gebrachten Mittel der Elementarbildung und folglich den ganzen Umfang ihrer Resultate in die Wohnstuben des Volks zu bringen und so die Anfänge der elementarischen Bildung, von der Wiege an bis ins 7te und 8te Jahr, zum Eigenthum des häuslichen Lebens zu machen; wodurch die Segensfolgen dieses Unterrichts in ihren wesentlichen Anfangspunkten Millionen Menschen in einem Zeitpunkt zu Theil werden, in welchem zahllose Kinder aller Stände bey'm gewohnten Routinegange unserer Erziehungsweise theils zu keiner andern, als zu einer sinnlichen thierischen Belebung ihrer Kräfte gereizt, zur Verwilderung hinsinken, theils aber dem Trugschein einer bösen Verkünstelung preis gegeben werden, indem sie in der Entfaltung ihrer Kräfte außer sich selbst und außer den Gang der Natur hinausgeworfen, alle Fundamente der Einheit ihrer selbst in sich selbst und die daraus herfließende Befriedigung ihrer selbst mit sich selbst soviel als nothwendig verlieren müssen. Die geometrische Progression, die in den Ansteckungsmitteln der Volksmißbildung in so vielseitigen Rücksichten zum Entsetzen auffällt und bekannt ist, ist wahrlich in den Segenswirkungen der soliden Bildung des Volks ebenso möglich und denkbar; so wie es offenbar die eigentliche Bestimmung der Idee der Elementarbildung ist, durch die tiefe Kraft ihres Geistes und ihrer Ausführungsmittel diese Progression in der Volksbildung möglich zu machen und zu begründen. Auch bedürfen wir ihrer auffallend, um durch ihren Einfluß der diesfälligen Progression der ansteckenden Zeitreize des Verkünstelungsverderbens der Erziehung und des Unterrichts ein helfendes Gegengewicht entgegensetzen zu können.

Der Geist und das Wesen der Mittel, zu diesem Ziel zu kommen, liegt allseitig im Innern der Menschennatur und ist durch den Gang der Natur, nach welchem sich unsere Kräfte allgemein entfalten, in allen Menschenseelen bis auf einen gewissen Punkt schon zum voraus in einem dunkeln Bewußtseyn vorhanden. Es braucht eigentlich nichts, als daß das dunkle Bewußtseyn dieser[281] Mittel in der Seele des Menschen durch eine äußere Darstellung des Organismus, der sie zu einer klaren Idee erhebt, dem Menschen lebendig vor die Sinne gebracht werde. Geschieht dieses, wie es geschehen kann und geschehen soll, so fühlt jedes Menschenkind diese Mittel als in ihm selbst liegend, und wird von ihnen ergriffen. Dadurch ist offenbar, daß ihr wesentlicher und nothwendiger Einfluß dahin wirken müßte, zahllose schlafende Kräfte im Menschengeschlecht zu erwecken und millionenfach in unserm gegenwärtigen Zustand verwickelte und verdunkelte Ansichten des Erziehungswesens zu entwirren und theoretisch und praktisch in ein heiteres Licht zu setzen. Die Möglichkeit einer solchen Progression des Einflusses gereifter, elementarischer Bildungsmittel geht indeß gar nicht von großen und schon in ihren Keimen Aufsehen erregenden Anfangspunkten aus. Wir wissen ja, selbst das Himmelreich ist in den Anfangspunkten seines Einflusses dem Saamenkorn gleich, das das kleinste unter allen Saamenkörnern, aber geschickt ist, zu einem Baum aufzuwachsen, unter dem die Vögel des Himmels nisten. Aus allen, tief in die Menschennatur eingreifenden Keimen der menschlichen Bildung, die einen innern tief belebenden Geist haben, gehen vielseitige unscheinbare, kleine Bildungsmittel hervor, die durch ihre innere Wirkung eine solche geometrische Progression zu erzeugen und äußerlich auffallen zu machen fähig und geeignet sind. Der Weg zur Vollendung ist in allen Gegenständen, die eine progressive Entfaltung ansprechen, der nämliche. Alles Große in der Welt geht aus kleinen, aber in ihrem Wachsthum in einem hohen Grad kraftvollen und wohlbesorgten Keimen hervor; und was in seinen Keimen vollendet ist, das trägt auch die wesentlichen Mittel der Vollendung seiner Resultate in sich selbst; so wie das, was in seinen Keimen schwach, gehemmt und beengt ist, auch den Keim seines Verderbens in sich selbst trägt. Auch sind alle Bestrebungen, irgend eine weitgreifende Unternehmung im Großen auszuführen, ehe ihre Ausführungsmittel in ihren einzelnen Anfangspunkten genugsam vorbereitet sind, im nämlichen Falle.

Ist dieses wahr oder nicht wahr? – Wenn es wahr ist, dürfen wir säumen, einem Ziel entgegen zu streben, dessen Wichtigkeit besonders in unserm Zeitpunkte außer allem Zweifel liegt? Ich glaube sagen zu dürfen, die Zeit ist, beydes, sowohl zum Gefühl des Bedürfnisses der Weiterführung der diesfälligen Versuche als[282] zu einer merklich erheiterten Kenntniß ihrer wesentlichsten Mittel gereift. Möchte eine solche, in die bestehende Zeitkultur vielseitig und tief eingreifende Anbahnung von psychologisch wohlgeordneten Versuchen zur Weiterführung der Ausarbeitungsmittel dieser hohen Idee nur bald und kraftvoll stattfinden. Wenn es mir anstände, so würde ich am Ende meiner Laufbahn diesfalls sagen: Aude sapere, incipe! Ich darf dieses Wort nicht aussprechen, aber ich darf doch wünschen: möchten es Männer thun, deren Worte von höherer Bedeutung und von höherem Einfluß sind, als die meinigen. Und dieser Äußerung darf ich noch getrosten Muthes als beweisbare Thatsache beyfügen, einige durchaus nicht unbedeutende, sondern vielmehr sehr wesentliche Mittel einer soliden Fortsetzung der Versuche, die Erziehung und den Unterricht allgemein elementarisch zu begründen, sind zum Theil ausgearbeitet, zum Theil zu ihrer weitern Ausführung solid vorbereitet in unsern Händen. Und wenn man einst sehen wird, was Jünglinge und Töchter, welche auch nur diese jetzt schon wirklich ausgearbeiteten Mittel dieser hohen Idee sich solid eigen gemacht, in den Anfangspunkten der sittlichen, geistigen und Kunstbildung unsers Geschlechts dadurch leisten werden, daß sie dieselben im Kreise des häuslichen Lebens Kindern, von der Wiege an bis in's 6te und 7te Jahr, theilhaft machen werden; so wird man die Zeugnisse über das, was wir bisher durch unsere diesfällige Bestrebungen errungen zu haben glauben, nicht mehr in dem Grad, wie es wirklich geschehen, weder bezweifeln noch belächeln, und eben so auch die Hoffnungen, die wir uns darauf zu bauen erlaubt haben, in eben diesem Grad übertrieben finden.

Nein – nein, was auch immer die Ursache davon seyn mag, daß so diese Hoffnungen jetzt so lange und immer mehr in diesem Lichte angesehen und behandelt wurden; so sind sie doch ganz gewiß nicht in dem Grad aus der Luft gegriffen, als man es allgemein wähnte und allgemein wähnen muß, so lange man nicht dahin kommt, einzusehen, daß die Veredlung der sittlichen und auch der intellektuellen und Kunstkräfte unserer Natur unser Geschlecht in wirthschaftlicher und dadurch in häuslicher und bürgerlicher, folglich auch in staatswirthschaftlicher Hinsicht unendlich weiter führen würde und führen müßte, als auch die größtmöglich denkbaren Resultate der veredelten Schafzucht[283] oder irgend eines andern Geschöpfs der Erde, das nicht Mensch ist, je führen können und je führen werden. Aber wir sind leider von dieser Überzeugung noch sehr entfernt und scheinen uns auch jetzo noch, je länger je mehr, davon zu entfernen. Ich kann indeß gar nicht in Abrede seyn, diese Hoffnungen haben sich auch in mir sehr lange nicht zu heitern Begriffen gestaltet. Ich trug das Fundament derselben, den innern Werth der elementarischen Führung, lange nur ahnend in dunkeln Begriffen an mir selbst; aber diese Ahnungen begeisterten mich von dem ersten Augenblick, indem sie sich in mir entfalteten, und rissen mich mit unwiderstehlicher Gewalt zum unaufhaltsamen Streben ihrer soliden Erkenntniß und, ich gestehe jetzt gerne, zu einem Wirbel bloß empirischer und oberflächlicher, aber ununterbrochener, immer fortdauernder diesfälliger Versuche, die aber endlich nicht anders als dahin wirken konnten, mich wenigstens in Rücksicht auf einen Theil dieser hohen Idee zu bestimmten klaren Begriffen zu erheben, wodurch sich dann der Wirbel meiner dunkeln Gefühle über dieselben allmählig in einen sich immer weiter ausdehnenden Kreis mehr oder minder ganz heiterer Begriffe über meinen Gegenstand umwandelte, die mich in so weit der diesfälligen Reifung meiner Begriffe allmählig immer näher brachten, aber auch den Durst nach fortdauerndem Wachsthum in dieser Reifung immer mehr in mir belebten und eigentlich unauslöschlich machten, dabey mich aber auch in dieser Rücksicht zu einer einseitigen Gewaltsamkeit in meinen diesfälligen Bestrebungen hinrissen, die vielseitig mißfiel und mißfallen mußte. Und es ist dabey gar wohl möglich und sogar wahrscheinlich, daß ich in der Begeisterung über die Wichtigkeit und Erreichbarkeit meiner Zwecke und meiner Bestrebungen den Grad meiner Reifung für dieselben überschätze.

Doch es sey. Das Leidenschaftliche dieses Dursts ist zwar unstreitig eine Folge von unglücklichen Schicksalen, die vom Eigenthümlichen meiner Fehler und Schwächen herrührten und mit ihnen innig zusammen hiengen. Aber es ist dabey gleich wahr, daß dieser Durst, der mich unwiderstehlich zwingt, bis in mein Grab in diesen Bestrebungen zu verharren, ein inneres, großes Fundament von segensreichen, in die Menschennatur eingreifenden Wahrheiten, Kräften und Erfahrungen in mir selbst hat, dessen Gewicht ich noch um so mehr größer, bedeutender und weiterführend[284] fühle, da ich durch die ganze Zeit meiner diesfälligen Bestrebungen Schmid an meiner Seite hatte, der in dem bestimmten Punkt meiner diesfälligen Einseitigkeit und Schwäche eine überwiegende und mir äußerst hülfreiche Kraft besitzt und Lücken in mir selber ausfüllt, die ich ohne seinen Beystand ewig nie auszufüllen im Stande gewesen wäre. Ich wäre ganz gewiß, ohne Verbindung mit diesem Manne, bey fernem nicht dahin gekommen, den Ton meines Schwanengesangs in die Höhe zu stimmen, in der er wirklich dasteht, und keine Besorgniß in mir erregt, sondern mich ganz ruhig und ohne alle Besorgnisse aussprechen läßt: Gott Lob! daß alle Widerwärtigkeiten dieses Lebens es nicht vermögen, diesen Durst in mir auszulöschen. Auch wenn ich ihn nicht mehr werde befriedigen können, so sage ich dennoch, Gottlob! daß er in mir nicht ausgeloschen. Es ist für mich bey aller meiner Schwäche kein Geringes, daß ich mir im ganzen Umfange meiner Bestrebungen durch mein Leben immer gleich und dem ursprünglichen Zweck derselben, die wesentlichen Mittel einer naturgemäßen Erziehung und eines naturgemäßen Unterrichts in die Wohnstuben des Volks selber zu bringen, immer treu geblieben. Es schien mir selber die höchste Unnatur, wenn bey diesen innern Fundamenten der Begeisterung meiner Bestrebungen und unter den Umständen, unter denen ich in den höchsten Erwartungen in allem Unglück und in allen Widerwärtigkeiten dennoch immer und immer kraftvoller gestärkt wurde, dieser Durst bis auf meinen letzten Athemzug je erlöschen konnte. Aber meine Pflicht ist, nicht bloß zu sorgen, daß er nicht in mir erlösche; das gibt sich von selbst, aber etwas anders gibt sich dieses Dursts halber nicht von selbst: nämlich, daß er nicht unwirksam auf den weitern Erfolg meiner Bestrebungen, nur mich selber verzehre.

Nein, ich muß dahin trachten, in den wenigen mir übergebliebenen Tagen keinen Augenblick mehr vorbey gehen zu lassen, ohne mein Möglichstes dazu beyzutragen, das jetzt so tief eingewurzelte und allgemein um mich her verbreitete Vorurtheil thatsächlich mit Erfolg zu entkräften, es sey einmal Zeit, daß ich meine gänzliche Unfähigkeit für die praktische Ausführung alles dessen, was ich diesfalls so lange mit so viel Anstrengungen versucht, anerkenne und mich am Ende meines Lebens nicht länger mit einer fruchtlosen Mühseligkeit quäle, deren Zweck- und Erfolglosigkeit mir doch einmal in die Augen fallen sollte. O nein,[285] sie fällt mir nicht in die Augen, und die Zumuthung, in der man sich bemüht, sie gegen mich geltend zu machen, ist in dem Umfange, in dem man es thut, grundlos. Ich darf in dieser Stunde mit dem ruhigsten Ernst aussprechen, ich bin für einige sehr bedeutende und wesentliche Theile der hohen Idee der Elementarbildung vielleicht reifer geworden, als es wenige sind und als ich es ohne die Widerwärtigkeiten und Unglücke meines Lebens selber nie geworden wäre. Ich sehe diese, wenn auch wenige und nur einzelne Resultate meines Thuns, als gereifte Früchte am Baum meines Lebens, noch fest stehen und lasse sie mir ohne Widerstand von keinem gut oder bös gemeinten Wind so leicht von mir wegblasen.

Ich sage noch einmal, diese zwar wenigen und einzelnen Früchte meiner Lebensbestrebungen sind, nach meinem innersten Gefühl, auch in ihrer Beschränkung ihrer Reifung in einem Grad nahe, daß es meine heiligste Pflicht ist, für ihre Erhaltung zu leben, zu kämpfen und zu sterben. Die Stunde, in der ich ihrenthalben Ruhe suchen darf und Ruhe suchen will, hat noch nicht geschlagen. Es hat aber eine andere für mich geschlagen. Die Stunde der Nothwendigkeit ihrer ernsten Prüfung hat für mich gegenwärtig laut, und ich spreche es mit Wehmuth aus, für mich, oder vielmehr für das Scherflein, das ich für die Äufnung und Beförderung der Idee der Elementarbildung noch beyzutragen im Stande bin, hülferufend geschlagen. Diese Prüfung ist für mich jetzt das Eins, das Noth thut; und wenn ich nur dahin komme, daß ich sie erhalte, aber auch so erhalte, daß sie selber geprüft werden darf, so habe ich nichts weiter zu wünschen. Darum ende ich auch meinen Schwanengesang mit den Worten, mit denen ich ihn angefangen:

Prüfet alles, behaltet das Gute, und wenn etwas Besseres in euch selber gereift, so setzet es zu dem, was ich euch in diesen Bogen in Wahrheit und Liebe zu geben versuchte, in Wahrheit und Liebe hinzu, und werfet wenigstens das Ganze meiner Lebensbestrebungen nicht als einen Gegenstand weg, der, schon abgethan, keiner weitern Prüfung bedürfe! – Er ist wahrlich noch nicht abgethan, und bedarf einer ernsten Prüfung ganz sicher, und zwar nicht um meiner und um meiner Bitte willen.

1

Anmerkung. Diese Stelle ist vor mehr als zwey Jahren geschrieben worden und als der Ausdruck meiner damals noch in mir belebten Hoffnung, meine Anstalt in Iferten, mitten durch alle Schwierigkeiten, durch die sie sich durchzukämpfen suchte, erhalten zu können, anzusehen. Ich will sie nicht durchstreichen; aber ich muß, um allen Mißverstand zu verhüten, ihr diese Anmerkung beyfügen.

2

Man heißt eine Art von krausnem Kohl in Zürich Wirz.

Quelle:
Pestalozzi, Johann Heinrich: Schwanengesang. In: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, 28. Band. Zürich 1976, S. 55–286, S. 56-286.
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