Tafelschmuck. Unsitte alles Uebervollen. Verhalten an der Tafel bei Ungeschicklichkeiten. Zartgefühl der Gastgeber.

[301] Zur Vornehmheit der Ausstattung einer Gesellschaftstafel ist deren genügende Breite sehr wesentlich; schmale, mit Blumen, Armleuchtern und Tafelaufsätzen geschmückte Tische machen leicht einen überladenen Eindruck. Die Hitze, welche die Armleuchter ausstrahlen, ist bei schmalen Tischen oft lästig für die Tischgäste; auch kann man zuweilen nur mit Mühe sein Gegenüber sehen, wenn auf einer schmalen Tafel viele Zierraten, wie Tafelaufsätze, Blumenbehälter, Konfitüren- und Obst- Schalen usw. dicht zusammengedrängt stehen. Sehr schick ist es, Blumen und Blätter lose über den ganzen[301] Tisch zu verteilen. Natürlich muß bei solchen Finessen der nötige Platz auf der Tafel vorhanden sein; man darf nicht genötigt sein, erst Blätter und Blüten beiseite schieben zu müssen, um als Gast seine Hände oder Unterarme auf den Tisch auflegen zu können oder um ein präsentirtes Glas Wein vor seinen Teller postiren zu können. Zur losen Verteilung über die Tafel habe ich besonders Veilchen, Kornblumen oder Maiglöckchen – auch Epheu- oder andere Blätter – verwendet gefunden. Sehr vornehm macht sich eine gewisse Einheitlichkeit der Farben im allgemeinen, wenn die Farben der Stoff- und Papierumhüllungen um Lampen, Kronleuchter und andre Gegenstände mit der vorherrschenden Farbe der Blumen harmoniren. Die einzelnen Menükarten kann man mit je einer Blume oder einem Blatt verzieren, indem man den Stengel durch Einschnitte in der Karte hindurchsteckt. Gastgeber, die ein Uebriges leisten können und wollen, beschenken jede der geladenen Damen mit einem kleinen Blumenstrauß, der neben das betreffende Couvert gelegt wird; die Herren werden dann oft auch mit einer einzelnen Blume fürs Knopfloch bedacht, die man ebenfalls neben[302] seinem Convert vorfindet, ohne absolut verpflichtet zu sein, nun auch diesen Schmuck anzulegen. Eine solche Verpflichtung – und zwar dann aus ritterlicher Höflichkeit – tritt natürlich ein, wenn man z.B. von seiner Tischdame aus deren lose gebundenem kleinen Bukett eine Blume verehrt bekommt. Sonst hat man es nicht nötig, sich die Knopflöcher durch hindurchgesteckte Blumen zu verderben, wenn man eben mehr prosaisch-sparsam als poetisch veranlagt ist.

Auf einen sehr verbreiteten Mißstand möchte ich jene hochwohllöblichen Haushaltungen aufmerksam machen, die bis aufs kleinste Tüpfelchen in Aeußerlichkeiten einwandsfrei dastehen wollen, nämlich auf die schauderhaft kleinen Salzgefäße, in die das Salz, gestrichen voll, eingefüllt ist; es ist doch langweilig, bei einer so unwichtigen Handlung, wie beim Nehmen von Salz, große Sorgfalt anwenden zu müssen, um das Herausquillen des Salzes über den Rand des Salznäpfchens zu verhüten. Nichts soll in einer vornehmen Gesellschaft gestrichen voll sein, weder die Herren der Schöpfung vom vielen Trinken alkoholhaltigen Nasses, noch allzu reichlich gefüllte Schüsseln, Schalen, Teller und[303] Trinkgläser, noch auch die meist viel zu kleinen Salznäpfchen. Zu jedem Salzgefäß gehört ein besonderer kleiner Löffel; denn die jungfräuliche Weiße des Salzes leidet darunter, wenn man in das Salznäpfchen mit der Spitze eines Messers hineinfährt, das schon mit Speisen in Berührung gekommen ist.

Der Fehler der Ueberfüllung wird besonders häufig begangen beim Eingießen in Likörgläser, auch in Sekt- und Biergläser, und beim Rauchen, wenn für das Abstreichen der Asche nur winzige, etwa die Höhlung eines Fingerhutes besitzende oder fast gänzlich flache Aschbecher zur Verfügung stehen. Daß die in der vornehmen Welt gebräuchlichen Schnaps- oder Likörgläser die Zwerge unter den Gläsern sind, diese Sitte entspringt der Einsicht, daß der für sie bestimmte Inhalt, der Schnaps oder Likör, durch seinen konzentrirten Alkoholgehalt besonders gesundheitsschädlich ist und deshalb, wenn nicht gänzlich gemieden, so doch wenigstens in möglichst kleinen Quantitäten genossen werden soll. Aus eben diesem Grunde sollte man nun gerade in die Likörgläser möglichst vornehm eingießen, daß heißt derart, daß noch ein verhältnismäßig großer Raum bis zum oberen[304] Rande des Gläschens frei bleibt. Aber nein! Gerade die Likörgläser werden unschönerweise oft bis zum Rande oder sogar darüber hinaus voll gegossen, so daß der meist klebrige Inhalt außen am Glase herabläuft und Unheil stiftet, entweder schon beim Eingießen oder wenn der Trinker; zumal der mit Tatterich behaftete, sein Gläschen ansetzt. Beim Worte »Schnaps« möchte ich noch erwähnen, daß man es vielfach für unfein hält, aber mit Unrecht; es ist ein gutes deutsches Wort; auch wer den Schnaps selbst als den Erzeuger von Trunkenboldigkeit haßt, darf doch das bloße Wort nicht verdammen. Es ist ein Irrtum, daß es vornehmer sein soll, statt Schnaps Likör zu sagen. Liköre nennt man eine Abart von Schnaps, nämlich die süßen Schnäpse. Ein Modewort für die Vielen, die gern mit französischen Brocken um sich werfen, ist der Ausdruck »chasse-café«, statt Schnaps, wörtlich übersetzt, etwas, das den Kaffee jagt. Es ist doch bekanntlich Sitte, den Schnaps oder Likör seinen Gästen nach dem Kaffee zu präsentiren. Beim Eingießen des Champagners oder Schaumweines und schäumenden Bieres muß man natürlich besonders vorsichtig sein, langsam eingießen und eventuell das[305] einzelne Glas beim Eingießen schräg halten. Ein Ueberlaufen der Flüssigkeit über den Rand des Gefäßes ist immer unschön. Bekanntlich kann man das Ueberlaufen von Sekt dadurch leicht verhüten, wenn man auf den Rand eines zu hastig gefüllten Sektglases die Klinge eines Messers, mit dem Rücken nach unten und der scharfen Schneide nach oben gerichtet, leise aufsetzt. Ein gewandter Gast sucht eine ungeschickte Bedienung auf diese Weise möglichst unauffällig zu korrigiren. Wie schon öfters betont, hat man als Formenmensch die Spuren einer einmal geschehenen Ungeschicklichkeit, sei es einer höchst eigenen oder der eines anderen Gastes oder eines dienstbaren Geistes, wenn möglich, ruhig und gelassen zu verwischen und zu verdecken oder als etwas Nebensächliches zu betrachten und scheinbar überhaupt nicht zu beachten. Einen Fettfleck auf dem Tischtuch innerhalb des Bereiches des eigenen Platzes, auch wenn der liebe Nachbar oder die Bedienung ihn verursacht hat, deckt man möglichst unmerklich mit einem Stück Brot oder der Menükarte oder sonstwie zu. Jeden Uebereifer, sowohl wirklichen wie markirten, soll man hierbei möglichst vermeiden. Ein abschreckendes[306] Beispiel hierfür liefert jener zerstreute Professor, der aufs Tischtuch verschüttetes Salz – mit triumphirender Miene ob seines vermeintlich praktischen Sinnes – ganz munter mit Rotwein begießt zum Entsetzen der sparsamen Hausfrau, die – laut Schillers Glocke – außer ihren eigenen Kindern auch noch ihre eigene Tischwäsche lieb hat. Das umgekehrte übliche Mittel, Rotweinflecken durch darauf gestreutes Salz entgegenzuwirken, wird man auch nicht überall anwenden, z.B. wenn man es eben in Anbetracht des besonders großartigen Zuschnittes der Haushaltung, deren Gast man ist, nicht für nötig erachtet. Das beste Mittel aber gegen Tischtuchverunzierungen, das man überall anwenden soll, ist die durch tägliche Uebung – auch daheim im stillen Kämmerlein – beobachtete Vorsicht beim Essen und Trinken und die hierdurch in dieser materiellen Thätigkeit erlangte Formensicherheit. Eine Ungeschicklichkeit kann man auch unter Umständen durch eine gemütliche Bemerkung mildern. Frau A. langt von irgend etwas links von ihrem Teller zu, dabei verirrt sich über den linken Rand der betreffenden Obst- oder Konfitüren-Schale oder einer anderen Schüssel herab auch etwas[307] auf den Platz des linken Nachbarn, des Herrn B. Ist nun Frau A. auf dem Gebiete äußerer Vornehmheit besonders großartig erzogen oder veranlagt, so wird sie ob dieses kleinen Malheurs keine Miene verziehen. Ist sie witzig, so wird sie vielleicht zu ihrem beschenkten Nachbar sagen: »Sie haben sich selbst so wenig genommen, ich wollte Ihnen noch was zukommen lassen« oder Aehnliches. Flüstert aber Frau A., als offenes Bekenntnis ihrer Ungeschicklichkeit – oder Verzeihung! als Bekenntnis ihrer ganz ausnahmsweise außer Acht gelassenen Geschicklichkeit – ein mehr oder minder bestürztes »O, verzeihen Sie nur!« – dann leiste sich Herr B. selbst den kleinen Scherz, etwa zu entgegnen: »Ich danke Ihnen sehr, meine Gnädigste, gerade diese Kirsche« – oder was ihm nun gerade vor die Nase gefallen ist – »esse ich besonders gern!«

Schwieriger als das Tranchiren eines ganzen Bratens oder ganzen Fleischgerichtes, das ja meist bereits in der Küche geschehen ist, ist das gewandte Tranchiren oder Zerteilen des einzelnen Stückes namentlich von Geflügel, das man sich auf seinen Teller genommen hat. Erleichtert wird dies durch scharfe Messer, wie man sie ohne Anmaßung in einem vornehmen[308] Haushalt zu beanspruchen pflegt. Den Mangel anatomischer Kenntnisse beim Zerschneiden eines ganzen Vogels oder eines Geflügelteiles auf seinem Teller muß man wenigstens durch vorsichtiges Schneiden zu ersetzen suchen, um seine lebende und tote Umgebung – ich meine die Nachbarn und das Tischtuch – nicht durch beim Zerschneiden emporspringende Teilchen von Knochen oder Fleisch oder aufspritzende Tunke zu gefährden. Ben Akiba berechtigt mich zu dieser Ermahnung – es ist alles schon passirt. Eine andere Unachtsamkeit ist das sogenannte Verschlucken bei Tisch. Es ist oft selbst verschuldet und eine Folge zu hastigen Genießens; trotzdem sei man auch in diesem Falle als Tischgenosse milde und störe den Unglücklichen, dem dies passirt, um Himmels willen weder durch mitleidsvolle Blicke, noch durch Trostesworte oder gar Thätlichkeiten – wie das Klopfen auf den Rücken – in den mitunter lauten und eigenartig krächzenden Rehabilitirungs-Versuchen. Wie bei einem wirklichen großen Unglück Viele, so werden bei einem solchen kleinen Malheur wohl die Meisten am liebsten und besten mit sich allein fertig. Je unangenehmer sich eine gesellschaftliche Unachtsamkeit[309] äußert, um so taktvoller ist es für die andern, sie scheinbar gänzlich zu übersehen.

Eine besonders zarte Rücksicht der Gastgeber ist es, die Gäste, namentlich ängstliche Gemüter unter ihnen, nicht allein essen zu lassen. Der Herr oder die Frau des Hauses verlangsame nötigenfalls das Tempo beim Essen, damit ein besonders hungriger Gast nicht zuletzt allein ißt und in seinem materiellen Genuß nicht seelisch durch den quälenden Gedanken beunruhigt werde, den Verdacht eines Vielfraßes auf sich zu laden. Aus demselben Grunde gilt es auch für besonders zartfühlend, wenn einer der Gastgeber wenn nicht stets, so doch dann beim zweiten Präsentiren zulangt, so bald wenigstens einer der Gäste dies thut. Auch bei zweimaligem Zulangen, jedesmal in entsprechend geringerem Maße, ist der Gastgeber deshalb noch lange nicht genötigt, mehr zu essen, als ihm angenehm ist; dann wäre eine solche zarte Aufmerksamkeit als ungesundes, übertriebenes Zartgefühl zu verwerfen. Namentlich unter den Damen soll es vorkommen, daß man vorher zu Hause ißt, bevor man sich als Gast zu einem Diner oder Souper begiebt, um dann an der gastlichen Tafel durch scheinbar übergroße[310] Mäßigkeit einen möglichst ätherischen und wenigmateriellen Eindruck zu machen. Wie jede Verstellung ist ein solches Gebaren entschieden minderwertig. Als Gast an Speise und Trank nur zu nippen, namentlich wenn es in ersichtlichem Kontrast zur persönlichen Wohlgenährtheit steht, erweckt keineswegs den Schein einer außergewöhnlichen Vornehmheit. Solche Zimperlichkeiten sind veraltet. Unsere derzeitigen Anstandsbegriffe gehen darauf hinaus, sich so zu geben, wie man ist, und wenn man über einen gesunden Appetit verfügt, sich keineswegs zu geniren, diesen Appetit auch als Gast zu dokumentiren! Und damit wünsche ich allerseits »Gesegnete Mahlzeit!«[311]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 301-312.
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