Kinder und Hunde in Lokalen. Vornehme Aussprache. Table d'hôte.

[358] Kinder und Hunde – liebende Mütter mögen mir, der ich übrigens ein Kinderfreund, d.h. ein Freund artiger Kinder bin, diese Zusammenstellung nicht übelnehmen – Kinder und Hunde, auch die alten, erwachsenen Hunde, bringt man tunlichst überhaupt nicht in öffentliche Lokale oder höchstens nur dann, wenn man sich mit Erfolg bemüht hat, die Genannten zu erziehen und für Fremde genießbar zu machen. Als abschreckendes Beispiel schwebt mir das »goldige Bübcher« eines jungen Frankfurter Ehepaares vor, das ich öfter mit ihrem ungezogenen Sprossen Sonntags abends in ein und derselben Restauration zu Frankfurt am Main antraf. Der Junge belästigte die zunächst sitzenden Gäste derart durch seine Unarten, daß[358] ich über die Macht der blinden Mutterliebe höchlichst erstaunt war, als ich einst als nächster Nachbar mit meinen beiden Ohren hören mußte, wie die junge Mama ihr »goldig Bübcher« gegenüber den auch noch zu milden Verweisen des objektiveren Herrn Papa in Schutz nahm. Zehn Jahre sind seitdem verflossen, vielleicht hat der Eigensinn jener damaligen Range begonnen, sich allmählich in löbliche Energie und nützlichen Tatendrang umzuwandeln. Wer seine Kinder nicht in seinem und ihrem Interesse auch in Aeußerlichkeiten erziehen will, der tue dies in Rücksicht auf die anderen Menschen, die keine Lust verspüren, sich durch Unarten fremder Kinder belästigen zu lassen.

Der Erfolg ist das Entscheidende im Leben. Wer die Erfahrung gemacht hat, daß sein Kind oder sein Hund den Wirten und den anderen Gästen in einem öffentlichen Lokale zum mindesten nicht lästig geworden ist, ja vielleicht sogar Freude gemacht hat, der hat in diesem Falle den Erfolg für sich. Kinderlose Ehepaare und alleinstehende Damen verzärteln ja oft ihre Hunde wie Kinder; also man möge es mir, dem Etiketten-Barden, nicht als Etikettenwidrigkeit anrechnen, Kind und Hund in einem Atem[359] zu nennen. Seinem Hund in einer einfachen Restauration einen Knochen von seinem Teller zu geben, ist nur dann einigermaßen entschuldbar, wenn der glückliche Besitzer des Tieres genau weiß, daß der vierbeinige Liebling mit dem fetten Knochen weder die Fußbekleidung der Gäste und den Kleidersaum der Damen berühren, noch auch den sauberen Fußboden des Lokales verunzieren werde. Niemals setze man seinem Hunde in einem Lokal seinen Teller mit etwaigen Speiseresten zum Fressen vor, sondern ersuche statt dessen nötigenfalls den Kellner, dem Hund besonders, wenn möglich in der Küche und nicht angesichts der übrigen Gäste, zu servieren. Wer möglichste Rücksicht auf die übrigen Gäste und die Wirte nehmen will, wird in einem Lokal den Hund an der Leine behalten, wird kleinen Kindern das Herumlaufen im Lokal verbieten. Bei jenem oben erwähnten »goldigen Bübcher« wäre es vielleicht erfolgreich gewesen, ihm grade alles das zu befehlen, was man im Interesse der Gäste nicht haben wollte.

Die feierlichste Art des Mittagessens in einem Hotel ist die sogenannte table d'hôte: wörtlich übersetzt heißt dieser französische Ausdruck bekanntlich[360] »Tafel des Wirts«. Wie schon in meinen Plaudereien erwähnt, bezeichnen wir Deutschen, entsprechend unserer Hochachtung vor Fremdländischem, vielfach etwas Exquisites, Vornehmes durch einen fremdsprachlichen, namentlich französischen Ausdruck. Man übernachtet in einem Gasthaus höchstens in Posemuckel; Unter den Linden in Berlin giebt's keine Gasthäuser, dort logiert man in Hotels und nimmt dort sein Dejeuner oder seinen Lunch – dieser letzte englische Ausdruck für das deutsche Gabelfrühstück oder Zweite Frühstück wird bekanntlich »löntsch« ausgesprochen – und später an der table d'hôte sein Mittagessen, auf französisch oder englisch »Diner« beziehungsweise »Dinner«, ein. Die Sprache ist ja auch etwas Aeußerliches, und auch in seiner Sprache kann man mehr oder minder vornehm und unvornehm sein. Man nimmt es auch in unseren vornehmsten Kreisen niemandem übel, wenn er, stark abweichend vom Hochdeutschen, dem Deutsch unserer ersten Theaterbühnen, mehr oder minder den Dialekt seiner engeren Heimat spricht; aber darüber mokiert man sich vielfach nach Kräften, wenn jemand ein französisches oder englisches Wort schlecht oder gar[361] falsch ausspricht. Wie ich mich früher mehrfach über dies oder jenes fremdländische Modewort geäußert habe, so möchte ich bei dem Thema »table d'hôte« auf die häufig falsche Aussprache des Wortes hinweisen, auch von Leuten, die sogar französischen Unterricht gehabt haben. Also man spricht dies Wort richtig »tabldot« und nie und nimmer »tabldo« aus. Ein »tabldo« gesprochener Ausdruck müßte französisch »table d'eau« geschrieben werden und würde den unsinnigen Sinn von »Tafel oder Tisch aus Wasser« haben. Die Aussprache tabldo und die hieraus resultierende Schreibweise table d'eau darf sich höchstens ein Alkoholgegner leisten! Manchem erscheint dies vielleicht unwichtig; wer aber Aeußerlichkeiten auch für beachtenswert hält, möge versichert sein, daß man sich durch falsche französische Aussprache wie »tabldo« in den Augen vieler lächerlich macht. Zwei andere Fremdworte, die oft malträtiert werden, sind Clown und Drogen. Vertreter der Hofchargen und der Diplomatie sprechen natürlich höchstens schlechtes Deutsch, aber niemals schlecht französisch oder englisch. Wie ich aus Zuschriften aus dem Leserkreise entnehmen muß, haben meine Plaudereien aber[362] auch bei anderen Menschenkindern Interesse erweckt, denen vielleicht eine Belehrung oder Auffrischung ihrer fremden Sprachkenntnisse angenehm ist. Also der Clown, der Hanswurst im Zirkus, wird nicht »Klohn«, sondern richtig einzig und allein, »Klaun« ausgesprochen. Man sagt nicht »Drohschen« mit weichem »sch«, sondern man spricht dies Wort, das man sowohl Droguen wie auch Drogen schreibt, immer nach der letzten Schreibweise, also »Drogen«, aus. Wenn ich jemanden »Drohschen« aussprechen höre, habe ich immer den Argwohn, er will etwas ganz besonderes in französischer Aussprache leisten, und ich denke dabei an die Verse »Warum in die Ferne schweifen! Sieh, das Gute liegt so nah!« Es ist doch herzlos, grade das Wort »Drogen« in der Aussprache zu mißhandeln, ein Wort, das sich für uns Deutsche, so bequem – so wie man es jetzt meist auch schreibt – aussprechen läßt. Es ist ein eigentümlicher Sprachgebrauch, daß wir viele französischen Worte zu Anfang französisch und in der letzten Silbe deutsch aussprechen, z.B. die Worte Pension, Billet, Parquet und Sergeant. Sonderbar ist beim letzten Wort die unserer Aussprache angepaßte Veränderung der[363] französischen Schreibweise in unser »Sergeant« aus dem französischen Worte »sergent«. Die französisch-richtige Aussprache des Wortes »Hotel«, das heißt: das »H« zu Anfang des Wortes nicht zu sprechen, sondern »otell« zu sagen, wird vielfach für affektiert gehalten; ebenso urteilen manche über die Gewohnheit vieler, die Endsilben in Buffet und Bouquet nach französischer Art, also ohne »t« am Ende, auszusprechen und ferner das »z« im Wort »Offizier«, dem französischen officier, sowie das »f« in »Pension« und in »Person und persönlich« scharf wie das deutsche »ß« auszusprechen. Gleichwohl habe ich dies alles schon an Menschen beobachtet, die in ihrem ganzen Wesen einen nichts weniger als gezierten, sondern durchaus natürlichen Eindruck machten. Wie verschieden die Meinungen hierin sind, beweist folgendes: Mancher spricht »Buffet« in beiden Silben französisch aus, mokiert sich aber über die Affektiertheit des lieben Nächsten, der ebenso mit dem Wort »Bouquet« verfährt und auch hier die Endsilbe französisch, also ohne »t« am Schluß, spricht. Was dem einen natürlich klingt, darin erblickt der andere eine »lächerliche Ziererei« und ein übervornehmes[364] Streben, mit französischer Sprachkenntnis protzen zu wollen. Und oft besteht die ganze Sprachkenntnis in der Kenntnis der richtigen französischen Aussprache. Auch gilt die französische Aussprache der letzten Silben in den Worten »Aristokratie und Diplomatie« – die Endsilben »tie« wie »ßie«, wie den Laut beim Niesen auszusprechen – für besonders sein und schnobel. Wer nun aber die französische Sprache, nicht allein die französische Aussprache, vollständig beherrscht, der wird die genannten Worte vielleicht ganz unwillkürlich »sein und vornehm« aussprechen, auch wenn er nicht zur selben Zeit grade niesen muß. Ein Reinfall, den ich bei einer Dame erlebt habe, ist es, die Endsilbe des im Deutschen sehr gebräuchlichen Wortes »Garantie« ebenfalls wie »ßie« auszusprechen. Da wäre Schnupfen tatsächlich der einzige mildernde Umstand, denn das Wort »Garantie« bildet eine Ausnahme in der französischen Aussprache; auch der erste und vornehmste französische Sprachlehrer in Paris spricht die Endsilbe des Wortes »Garantie« wie »tie«, nicht wie »ßie« aus

Wenn man sich zur table d'hôte niedersetzt oder am Schluß von der Tafel aufsteht, genügt[365] es, seinen Nachbarn und höchstens noch dem Gegenüber eine stumme kurze Verbeugung zu machen, und auch dies wird der gewandte Mensch unter Umständen unterlassen, wenn er Grund hat, jede Annäherung zu vermeiden, oder wenn ihm die Tischgenossen den Eindruck machen, als wären sie für seine Artigkeit nicht empfänglich und verständen sie dieselbe nicht zu würdigen. Einiges möchte ich bei dieser Gelegenheit noch hinzufügen zu meinen früheren Auslassungen über das Benehmen bei Tisch.

Wie früher erwähnt, gilt es nicht gerade für ein Muster von Vornehmheit, die Serviette am Halse zu befestigen, um den Anzug vor Flecken zu bewahren. Der geschickte Gesellschaftsmensch verfährt beim Essen und Trinken so gewandt und vornehm-ruhig, daß Fettflecke auf seinem Anzug wie auf dem Tischtuch ausgeschlossen sind, er breitet die Serviette lediglich über seine Knie aus. Eine gewandte Manier, die Serviette am Herabgleiten vom Schoße zu hindern, ist es, einen Zipfel der Serviette unmerklich unter den Teller zu schieben und durch dessen Schwere festzuhalten. Freilich darf man dann nicht hastig die ganze Serviette zum Munde führen und hierbei den Teller samt dem[366] Salmi von Rebhuhn oder einem sonstigen leckeren Gericht herunterfeuern. Die Serviette übrigens muß für ihren Hauptzweck, den Mund abzuwischen, auch in geeigneter Weise präpariert sein. Man sollte auch in öffentlichen Lokalen den Gästen keine fast brettartig-hart gestärkten, geschweige denn ganz neue, noch ungewaschene Servietten reichen. Diese Hausfrauen-Sparsamkeit, durch noch ungewaschene Servietten mehrmaliges Waschgeld ersparen zu wollen – denn ungewaschene, glänzende Leinwand schmutzt nicht so leicht ein – findet selten Anerkennung. Mit besonderer Vorliebe gleiten bekanntlich die Servietten von seidenen Damenkleidern herunter, und speziell für diesen Fall dürfte es praktisch sein, die Serviette in obiger Weise festzuhalten. Auch an der tablé d'hôte oder überhaupt in einem öffentlichen Lokal, oder – noch allgemeiner gefaßt – wo und wann es auch immer sei, wird der vornehme Mann einer Dame, auch wenn er an Alter ihr Großvater sein könnte, einen ihr entfallenen Gegenstand aufzuheben suchen, auch wenn ihm die Dame glänzlich fremd ist. Ich kann mir da einen Ausnahmefall denken, der sicher, wie alles im Leben, auch vorkommen dürfte, nämlich den Fall, daß[367] eine siegesbewußte und übermütige Dame in koketter Weise einen solchen Höflichkeitsdienst von einem ihr interessanten Nachbar an der table d'hôte durch absichtliches Fallenlassen ihrer Serviette erzwingen will. Ist eine solche frevelhafte (?) Absicht klar ersichtlich, und ist der Mannesstolz des Herrn größer als seine Verliebtheit, so wird er unter Umständen die herabgefallene Serviette absichtlich übersehen. Das soll wohl auch bequemer und manchmal mehr geeignet sein, einem solchen »Uebermut« zu imponieren, als wenn man nach dem landläufigen Höflichkeitsschema die Serviette aufhebt. Doch, wie gesagt, ich habe einen solchen Fall nicht erlebt, sondern denke ihn mir bloß als möglich.

Wenn man etwas derb geartet ist, muß man dabei wenigstens auch witzig sein. Eine Dame erzählte mir mit großem Vergnügen die Bemerkung eines ihrer Tischherren, der bei dem wiederholten Herabgleiten ihrer Serviette auf einem feierlichen Diner zu ihr gesagt hätte: »Ich weiß nicht, ob mir das Bücken gut tut; haben Sie zufällig Hammer und Nägel bei sich, dann wollen wir die Serviette festnageln, oder sonst will ich das Ding, das ja unten auch ganz schön liegt, nur immer aufheben, wenn[368] Sie es gebrauchen!« Es kommt meistens auf das »Wie« an, und unter Umständen wirkt eine Abweichung von den feststehenden Satzungen usueller Höflichkeit sehr erfrischend, wie ich bei dieser Geschichte an dem fidelen Gesicht der liebenswürdigen Erzählerin merkte.

Im allgemeinen wird eine Dame jeden ihr doch freiwillig gewährten Höflichkeitsdienst eines Herrn ohne Murren annehmen und dafür das übliche »Danke« oder »Danke sehr« aussprechen oder doch wenigstens durch Neigen des blonden oder andersfarbigen Hauptes ausdrücken. Namentlich beim Aufheben ihrer Serviette durch ihren Nachbar wird die Dame sich nicht auch noch bücken, schon aus Klugheitsrücksichten; denn im Falle einer Karambologe unter dem Tische könnte sich der Kopf des Herrn als der härtere erweisen. An der tablé d'hôte, wie auch sonst in einem öffentlichen Lokale, wird der taktvolle Mensch zu vermeiden wissen, seine Tischnachbarn auch nur im geringsten, sei es durch gewaltsame Konversationsangriffe oder sonstwie zu belästigen, wenn er nicht das sichere Gefühl hat, daß der andere Teil geneigt ist, eine Unterhaltung oder gar nähere Bekanntschaft anzuknüpfen.

Eine Anregung aus dem Leserkreise veranlaßt[369] mich, noch einmal kurz auf eine längst besprochene Sache einzugehen:

In meinen ersten Plaudereien äußerte ich verschiedene Ansichten über die Haltung des Suppenlöffels, ob man ihn mit der Breitseite oder mit der Spitze zum Munde führt. In der Mitte liegt das Wahre. Das Richtigste und Praktischste wird sein, wie es viele ganz unwillkürlich von selbst machen werden, den Suppenlöffel dicht an der Spitze, zwischen dieser und dem Mittelpunkt der Breitseite des Löffels zum Munde zu führen.[370]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 358-371.
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