II.

Vom 18. Oktober 1792 bis 12. Mai 1819

[33] Man hat außerhalb Unterösterreichs, besonders aber in dem protestantischen Deutschland keinen entsprechenden Begriff von[33] denen hier in Unterösterreich noch bestehenden großen geistlichen Stiften (Abteien), die man zum Unterschiede von den Klöstern der Bettelmönche, nämlich der Franziskaner, Kapuziner u.s.w. Herrenklöster zu nennen pflegt. Der Art sind jene der regulierten Chorherren zu Klosterneuburg und Herzogenburg, der Benediktiner zu Melk, Göttweig, zu den Schotten in Wien, Seitenstätten und Altenburg, der Cisterzienser zu Hl. Kreuz, Lilienfeld, Zwettl und Wiener-Neustadt und der Prämonstratenser zu Geras. Es gibt zwar in Oberösterreich, in der Steiermark und den übrigen österreichischen Provinzen eben solche und wohl noch größere Abteien, allein nur in Unterösterreich sind die Äbte, Prälaten (von den Mitgliedern erwählte Vorsteher) derselben mit dem Titel eines kaiserlichen Rates bezeichnet. Meistens entstanden sie in den früheren Jahrhunderten aus den Stiftungen der Landesfürsten, daher ihnen der Name Stift gegeben worden sein mag. Ihr Besitzstand besteht in mehr oder minder bedeutenden Domänen, Herrschaften, die ihnen, gleich wie den anderen weltlichen Besitzern, mit Nutz und Last zu Eigen sind, nur daß sie keiner Vererbung fähig sind, sondern als ein unzertrennlicher Körper fortzubestehen haben. Ihr Zweck ist noch heutzutage das gemeinschaftliche Leben unter einer bestimmten Ordensregel, die Seelsorge auf den Stiftspfarreien und das Lehrfach in den öffentlichen Schulanstalten. Ich will hier nur von dem Cisterzienserstifte Lilienfeld sprechen. Dasselbe liegt in Unterösterreich, im Viertel Oberwienerwald, welches den St. Pöltner Kreis in sich begreift, und die Herrschaft gleichen Namens erstreckt sich größtenteils im Gebirge über neun Quadratmeilen mit sieben Märkten, vielen Dörfern, Waldungen und 14 bis 15 Tausend Untertanen bis an die steiermärkische Grenze. Jenseits der Donau im Viertel Obermanhardsberg besitzt es auch noch die Herrschaft Unterdürnbach mit zwei Märkten und mehreren Dörfern und die kleine Abtei Marienberg in Ungarn. Mitglieder zählt es gewöhnlich über fünfzig, von welchen 24 in der Seelsorge auf eigenen Pfarreien und einige als Professoren der Theologie im Bernardinum zu Hl. Kreuz und als Professoren der Grammatik und der Humaniora zu Wiener Neustadt angestellt sind. Die Stiftsherrschaft übt die Jurisdiktion, Zivil- und Kriminaljustiz durch einen eigenen Justiziär auf der herrschaftlichen Kanzlei inner ihrer Grenzen aus, führt die landesfürstlichen Abgaben, sowohl eigene als auch jene der Untertanen an die landständische Kassa in Wien ab und verwaltet die Waisenkassa. Das weitläufige Stiftsgebäude[34] mit einer herrlichen gotischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert, mit der Prälatur, dem Konvent, vielen Gäste-und dem Kaiser, d.h. für den kais. Hof bestimmten Zimmern und den ökon. und anderen Gebäuden liegt in einer überaus reizenden Talgegend am Fuße der Alpen.

Der Ton, der in den meisten dieser österreichischen Stifte herrscht, ist nichts weniger als düster. Je nachdem in dem einen und dem anderen unter der Leitung eines tüchtigen Vorstehers der gute, nämlich die Frömmigkeit, Sitte, Anstand und Neigung zu wissenschaftlicher Beschäftigung zum Gemeingut wurde, sieht man dort alles in der gehörigen Ordnung vorwärts schreiten und freut sich des dauernden Segens, der ihr entquillt. St. Florian und Kremsmünster in Oberösterreich haben auch aus der letzteren Zeit hochgeachtete Schriftsteller aufzuweisen, nicht minder Melk, Klosterneuburg und Wien zu den Schotten im Unteren. Reichhaltige Bibliotheken bieten allen die nötigen Hilfsmittel. Übrigens ist die Verfassung eines solchen Stiftes, ich möchte beinahe sagen, eine republikanische unter einem selbstgewählten Präsidenten, denn obschon das Gelübde des Gehorsams die Mitglieder dem Stiftsoberen streng unterordnet, so vergessen sie es doch selten ganz, daß er durch ihre Wahl zu jener Würde erhoben wurde. Auch wird seine Macht bei wichtigeren Dingen, z.B. Kauf und Verkauf von Realitäten, durch Einfluß des Kapitels bei Einberufung sämtlicher, oder des größeren Teils der Kapitularen beschränkt, wozu übrigens auch die landesfürstliche Bewilligung eingeholt werden muß. In Hinsicht der Anstellungsfähigkeit zur Seelsorge hängen diese von der Approbation des Diözesanbischofs ab. –

Erst nach drei Monaten, nachdem nämlich mein Entschluß, in dem erwählten Stand und Orden zu verharren, in mir noch mehr befestigt war, gab ich meinen Eltern von demselben Kunde, die darüber anfangs nicht wenig betroffen waren, doch sich in der Folge meiner Zufriedenheit gewiß vollkommen beruhigten. Während des ein volles Jahr dauernden Noviziats war es mir außer dem Chor und einiger zum geistlichen Stande vorbereitenden Studien vergönnt, in den lateinischen Klassikern, die sich im Noviziatssaal in einem Schrank vorfanden, in den Nachmittagsstunden zu lesen. Ciceros sämtliche Werke, dann Livius, Sallustius, Tacitus, Terenz und Virgil, die ich früher nur aus einigen in den Schulbüchern enthaltenen Bruchstücken kannte, studierte ich mit ungemeinem Fleiße und nie empfundener Freude; doch war und blieb seitdem der ernste, große Menschenkenner Tacitus vor allen mein Liebling. Auch die Hl. Schrift Alten und Neuen Bundes las ich dort zum ersten Mal in ihrem Zusammenhange, und eine ganz neue Welt ging da vor meines Geistes Augen auf! Überhaupt wirkte dieses Probejahr, nach den überstandenen Stürmen in stiller Abgeschiedenheit mit Lektüre und ernstem Nachdenken zugebracht, sehr[35] wohltätig auf mein Gemüt und meine nachherige Bildung. Nebstbei haben dort die Novizen die Aufgabe, in den Rekreationstagen zu ihrem künftigen Beruf der Seelsorge im Gebirge durch Ersteigung der steilsten Höhen sich zu üben und ihre körperliche Kraft zu erproben; auch darin fand ich volle Befriedigung meiner Freude an den Schönheiten der Natur. Im Verlaufe dieses Probejahres kam Denis, Kustos an der kais. Bibliothek in Wien, Österreichs berühmter Barde Sined, eigentlich der Barde der großen Kaiserin Maria Theresia, auf einer Reise nach Mariazell in das Kloster, und da der alte Novizenmeister sich etwas darauf zu Guten tat, solchen Fremden den Novizen, der nach seiner festsitzenden Meinung aus der algierischen Gefangenschaft kam, vorzustellen, so führte er ihn zu mir in das Noviziat. Denis sprach italienisch mit mir vor allem aufmunternd zur Dankbarkeit gegen die Vorsehung, die mich auf meiner weiten Reise aus großen Leiden und Gefahren gerettet habe. Ich antwortete mit leiser Stimme ganz kurz: »Es ist gewiß, ich habe auf jener Reise viel ausgestanden«, – was im strengsten Sinne wahr gewesen ist. Mein alter Meister aber sprach, als sie sich entfernten, lachend zu ihm: »Wie ich es sagte, er hört es nicht gerne, wenn von jener Geschichte gesprochen wird!«

Nach dem überstandenen Probejahr kam ich Anfang November des J. 1793 in das bischöfliche Priesterseminar zu St. Pölten, wo ich während der drei folgenden Jahre Theologie studierte. Dort ward mir das Glück, an einem meiner Lehrer Anton Wohlfahrt, Mitglied des Cisterzienserstiftes von Wiener Neustadt und nachmaligen Abten desselben, dem das Bibelstudium und jenes der griechischen und orientalischen Sprachen oblag, einen wahrhaft väterlichen Freund zu finden, der mich besonders auszeichnete, mich in den Winterabenden nach dem Nachtessen mit auf sein Zimmer nahm und dort mit mir die trefflichsten, interessantesten Werke und Zeitschriften durchlas. Im zweiten Jahre des theologischen Lehrkurses trieb ich nebenher das Studium der französischen Sprache, verlegte mich aber mit besonderem Fleiß auf jenes der englischen (beides ohne einer fremden Anleitung), so daß ich in der Folge im Stande war, jedes auch noch so schwer verständliche Werk, wie z.B. Milton und Shakespeare, zu verstehen. Früher Tacitus, jetzt Shakespeare und später Homer waren die drei Autoren, denen mein Geist am tiefsten huldigte; doch dünkte mich Shakespeare das größte Genie aller Zeiten! Die dürftige Kenntnis der griechischen Sprache, in so weit sie nämlich in der Schule zum Verständnis der Bücher des Neuen Bundes nötig war, diente mir zur Grundlage, sie mir später auch zum Lesen der griechischen Klassiker eigen machen zu können.

Im zweiten Jahre des theol. Lehrkurses versuchte ich, gegen den Winter hin einige Lieder in Form eines Rundgesanges zu schreiben, die wir dann, einige 60 Studierende, in den Erholungsstunden[36] gewöhnlich nach dem Nachtessen im Billiardzimmer ringsher an der Wand sitzend unter Begleitung eines Violoncello laut und munter absangen. Eines davon, so weit ich mich dessen erinnere, begann mit den Worten: »Schön ist's, Brüder, uns hier zu erfreuen, wenn die Freud' uns hellen Blickes winkt, u.s.w.« Diese Freude sollte uns, versteht sich, nur zum Guten dienen, daher war auch ihr Besingen von unseren Vorgesetzten und Lehrern, die uns manchmal zuhörten, gebilligt. Auch aus andern Stiften der St. Pöltener Diözese, Benediktiner aus Göttweig und Altenburg, Cisterzienser aus Zwettl und reg. Chorherren von Herzogenburg befanden sich damals als angehende Theologen mit mir im bischöflichen Seminar. Einer von diesen, ein sehr geistreicher junger Mann, gab uns zuweilen nach dem vollendeten Rundgesang noch eine scherzhafte Novelle zum Besten. Eines Abends hörte ich zu meinem großen Erstaunen die Erzählung meiner algierischen Gefangenschaft, wie er sie aus den Mitteilungen meines alten Novizenmeisters an mehrere Stiftsmitglieder erfahren hatte, aber, versteht sich, mit mehreren romantischen Zugaben aufgestutzt, von ihm vorlesen. Es folgte allgemeiner Beifall und Lachen darauf. Dies war die Veranlassung, daß im Verlaufe der Zeit alle diese jungen Leute später als Kaplane, Pfarrer u.s.w. im Lande zerstreut weiter davon erzählten, viele von ihnen es als wirklich geschehen annahmen, und die Sage auf solche Art immer weiter verbreitet wurde. Oft lachte ich darüber, wenn man mich in der Folge darüber anging; oft ergriff mich aber ein tiefer Mutwille dabei, da mir der wider Willen erhaltene Anstreich eines Romanhelden oder Abenteurers überaus verhaßt war. Vor hohen Personen, welche mich darüber reden zu hören dachten, fand ich mich gewöhnlich nach einigem Stillschweigen mit der stehenden Phrase ab: »Gewiß, ich habe in meinem Leben viel ausgestanden!« –

Im Spätherbst des J. 1796 durch den Bischof Grafen von Hohenwart in St. Pölten zum Priester geweiht, las ich die erste Messe in meinem Stifte am 8-ten Dezember desselben Jahres und nebstdem, daß ich an der dortigen Stiftspfarre zur Seelsorge verwendet ward, verlegte ich mich sogleich auf das Bibelstudium und jenes der damit verbundenen Sprachen, da ich meine Neigung kund tat, Professor desselben werden zu wollen. Auch hielt ich den Novizen, ihnen zur Vorbereitung für das künftige Schuljahr wöchentlich dreimal Vorlesungen aus der Kirchengeschichte, wodurch ich hoffte, mich in meinem Fach als künftiger Lehrer in Hinsicht des Vortrags mit Erfolg einüben zu können.

Das folgende Jahr 1797 war ein verhängnisvolles für Österreich und für mich. Das Volk wurde aufgeboten, das Land gegen das unter Bonaparte bis Leoben vorgedrungene französische Heer zu schirmen. Ich hielt die Aufgebotspredigt und bekam in der Folge die Auszeichnungsmedaille der Landwehr. Der Waffenstillstand[37] wurde indessen abgeschlossen, und die aus der Festung Mantua auf Kapitulation abgezogene Mannschaft, unter welcher ein bösartiges Fieber ausgebrochen war, über Bruck an der Mur, Mariazell und Lilienfeld in die Spitäler von Krems und Brünn transportiert. Ich mußte einigen Sterbenden von ihnen beistehen und erbte die Krankheit sogleich. Am 5-ten Mai mußte ich mich legen; bald zeigten sich an mir die schwarzen Petechien, und durch einen übelangebrachten Aderlaß wurde mein Zustand noch schlimmer. Bei fortwährendem Phantasieren, aus welchem ich erst nach erfolgter Krisis am 21-sten Tag wieder zum Bewußtsein kam, wurde ich öfters von den herbeigeholten Ärzten für unrettbar erklärt, und auch später zweifelte man noch lange an meiner völligen Wiederherstellung, da durch die vielen decubitus (durch Ablagerung entstandene Brandwunden), deren achtzehn an meinem Leibe gezählt wurden, meine ganze Lebenskraft erschöpft zu sein schien. Wirklich war ich seitdem sehr vielen Krankheitsfällen unterworfen und fand erst nach mehr als zwanzig Jahren, wo ich meiner Auflösung schon nahe zu sein schien, in den Bädern von Gastein eine entscheidende Besserung meines Gesundheitszustandes. In gutmütiger Sorgfalt, daß das sitzende Leben bei anhaltendem Studieren für mich minder ersprießlich sein dürfte, ernannte mich mein Abt zu Anfang des J. 1798 zum Ökonomiedirektor des Stiftes, welches Amt wegen der Alpenwirtschaft mit vieler anstrengender Bewegung verbunden war, ganz gegen meine Neigung; doch ich mußte gehorchen. Nach zwei Jahren, während welchen ich mein Amt liebgewonnen hatte, traf jenen der Schlag; es wurde ihm ein Administrator (Stellvertreter) gegeben, und ich mußte die Leitung der Herrschaftskanzlei und des Forstamtes übernehmen. Da wurde mir dann, weil die Forste auf einer Strecke von mehr als neun Quadratmeilen verteilt waren, ein Reitpferd unentbehrlich, was man wieder in Hinsicht meiner Gesundheit für zuträglich erachtete.

Da gab es dann zuweilen übertriebene Anstrengungen – besonders eine, die nicht einmal von Amtspflicht geboten war und die für mich sehr gefährlich hätte werden können. Ich hatte mich mit dem Kaplan von Kaumberg, einem vier Stunden vom Stifte und zu ihm mit der Pfarrei gehörigen Markte, verabredet, daß wir an einem bestimmten Tage bei dem Dorfpfarrer in Anzbach, seinem Verwandten, zusammentreffen wollen, um auf dessen Einladung in der dortigen schönen Gegend einen Tag zuzubringen. Das Dorf liegt nicht ferne von Neulengbach, welcher hübsche Marktflecken am Eingang des Gebirgstals von der nach Oberösterreich führenden[38] Hauptstraße deutlich gesehen wird. Ich wollte nach dem zeitlicher eingenommenen Mittagsmahl über das Gebirg reitend abends dort eintreffen. Noch während ich dabei saß, sprang der Gerichtsverwalter des Stiftes herein und sagte, daß er wegen eines Kriminalfalles sogleich nach der Herrschaftskanzlei von Neulengbach über St. Pölten, also wohl über vier Posten weit fahren müsse. Ich aber bestieg nach geendetem Mahle mein Reitpferd, das einen sehr schnellen Paß ging und ritt durch das schöne Seitental der Gölsen, durch welches man nach Hl. Kreuz und Baden gelangt, über drei Stunden lang bis nahe an den Markt Hainfeld, von welchem ich den Gebirgsweg nach Anzbach abgeredetermaßen einschlagen sollte. Nach anderthalb Stunden, als die Sonne sich bereits zum Untergang neigte, gelangte ich auf der Höhe zu einem einsam gelegenen Wirtshause, hielt vor demselben still und fragte, wie weit es noch bis Anzbach sei. Man sagte mir zwei Stunden. Dies schreckte mich ab, und ich gedachte dort zu übernachten. Als ich aber in den Hofraum ritt, und der Gastwirt, zugleich Metzger, dort eben einen geschlachteten Ochsen zerstückte, da lag allenthalben so viel Blut und Unrat herum, daß ich von Ekel ergriffen auf dem bezeichneten Wege langsam wieder weiterritt. Nach einer Stunde ungefähr, wo schon tiefe Dämmerung im Tale verbreitet war, hielt ich vor einem einzelnen Bauerngehöft an, schrie nach der erhellten Stube um Gehör und vernahm nun von den Herausgeeilten, daß ich vom eigentlichen Wege ab hieher links, statt von demselben rechts geritten sei, man wolle mir aber durch einen eröffneten Zaun nach einer kurzen Strecke Begleitung den rechten Weg angeben. Mein gutes Tier schritt nach so langer Anstrengung auf demselben geduldig weiter fort; doch jetzt rauschte hinter einer lichten Reihe von Weidenbäumen ein Bach über das Gerölle immer lauter; das Roß hielt öfters stille, wich etwas zurück und schnob. Dies bewog mich abzusteigen, und da fand ich, daß wir uns ein paar Klafter hoch an dem Uferrande des Baches befanden, worauf ich mein Reitpferd an dem Zügel langsam weiterführte und beschloß, in der, wie es schien, weiten Öde unter einem breiten Baume zu übernachten, der Morgendämmerung nämlich zu harren, da die Nacht glücklicherweise nicht kalt war. Nach einer zurückgelegten ziemlich langen Strecke hörte ich der Langseite näher oben Hundegebell und ein paar Männerstimmen und schrie aus vollem Halse um Hilfe. Jene oben riefen, was es gebe, kamen endlich herab und über einen schmalen Weg, der den dortigen Bewohnern zum Kirchengange diente, zu mir herüber. Ich sagte ihnen, wer ich sei und wohin ich wolle. Sie kamen aus ihrer Verwunderung über meinen Irrgang gar nicht heraus und sagten endlich, der einzige Ausweg sei, das Pferd womöglich über den Steg hinüberzuführen und dann Neulengbach nach einer halben Stunde zu erreichen. Ich traute dem Landfrieden nicht mehr, dingte einen von ihnen um reichlichen[39] Lohn zum Führer und kam um neun Uhr abends in dem Gasthofe des Marktes an.

Inner dem Tore desselben faßte ein Postknecht den Zaum meines Rosses und fragte, ob er den Schimmel versorgen solle. Mit Staunen hörte ich, daß er von Lilienfeld, und der Gerichtsverwalter im oberen Stockwerk beim Nachtessen begriffen sei; nur Anzbach im Sinne, hatte ich auf seine Fahrt nach Neulengbach ganz vergessen. Er erschrak nicht wenig, als ich eintrat, denn mittags hatten wir uns noch im Stifte gesehen und nun trafen wir viele Meilen weit davon zusammen. Er meinte, ein großes Unglück müsse dort geschehen sein, das mich hieher führte. Doch bald ließen wir uns, ich insbesondere, bei großem Hunger das Nachtessen trefflich schmecken, und am folgenden Morgen langte ich zeitlich in dem belobten Anzbach an, wo ich mit meinem Stiftsmitbruder und dem Ortspfarrer einen vergnügten Tag zubrachte.

Da hörte ich, daß die letzte Poststation vor Wien, Purkersdorf, nur anderthalb Stunden weit entfernt liege. Mir gingen noch einige wichtige Notizen zu meiner Tunisias ab, die ich in der Hofbibliothek zu finden hoffte; ich ritt also nach Purkersdorf hinaus, übergab mein Pferd dem Gastwirte daselbst zur Versorgung und eilte mit einem Fiaker nach Wien. Dort fand ich, was ich suchte, und kehrte am nächsten Morgen auf gleiche Art wieder nach Anzbach zurück. Der Kaplan von Kaumberg war indessen heimgezogen, und ich trat den nächsten Tag die Reise in das Stift, während welcher ich abermals acht Stunden lang nicht aus dem Sattel stieg, von dort an. Im Zurückreiten sah ich dann in der weiten Öde, wo ich jüngst mein gefahrvolles nächtliches Abenteuer bestand, die ganze über eine Stunde breit rings vom Mittelgebirg umgebene und von weißem Sand und Geröll bedeckte Fläche, worauf nur der Waldbach und ein schmales Geleise, Weg genannt, zu sehen war, vor mir und wunderte mich gar nicht mehr, daß ich mich in der Dunkelheit so leicht und wiederholt verirren konnte.

Das Gefährliche dieses nächtlichen Rittes waren an der Langseite hin die abschüssigen und zerbröckelten Uferränder des tief unten fortgleitenden Waldbaches, wo mich der sichere Instinkt meines klugen Tieres vor dem Hinabsturze bewahrt hatte.

Diese beiden Ämter versah ich vom J. 1800 bis Ende Juni 1807, wo ich zum Pfarrer von Türnitz, einem an der Straße nach Mariazell in der Steiermark zwei Stunden Weges vom Stift entfernten Markte, ernannt ward.

Doch es ist noch etwas für mich Wichtiges über die letzten achthalb Jahre meines Lebens im Stifte nachzuholen. Bei meinen vielfältigen, anderweitigen Beschäftigungen hatte ich meine literarische Ausbildung nicht versäumt; es war mir ein unaussprechliches Vergnügen, in den einsamen Abendstunden und meistens bis tief in die Nacht hinein meinen Studien obzuliegen. Seit ich in der Stiftsbibliothek [40] Homers Ilias nach der Voßischen Übersetzung gefunden und gelesen hatte, war für das Ideal, das ich schon so lange in der Brust mit mir herumtrug, die Form gefunden; mein Entschluß war gefaßt, die Eroberung von Tunis und die Befreiung von zwanzigtausend Christensklaven durch den heldenmütigen Kaiser Karl V. zum Stoff eines Nationalepos der Deutschen zu wählen, und dieser literarischen Arbeit allein die Mußestunden meines Lebens zu weihen. Zu diesem Behufe las ich alles darauf bezügliche mit unermüdlichem Fleiße durch, machte lange Auszüge aus Jovius und Eutropius gleichzeitiger Geschichte jenes Kriegszuges, benützte manches aus Robertsons Geschichte Karl V., ergänzte aber das meiste aus den zuverläßlichen Quellen, die mir Ferreras und Sepulveda boten. Nebst dem konzentrierte sich alles, was ich durch lebendige Anschauung der Natur in und außer dem Menschen in mich aufnahm, in diesem einzigen Gegenstande meiner Wahl, und ich suchte es ihm mit allem, was je meine Brust freudig oder schmerzlich bewegt hatte, mit Liebe einzuhauchen, wie solches das Epos in seiner weltumfangenden Größe erheischte.

Bei weitem die größte Mühe und Anstrengung kostete mich aber die vollkommene Ausbildung in der deutschen Sprache und die Metrik oder die Erlernung des Versbaues. Anfangs schien mir die Stanze, als der romantischen Poesie angehörig, den Vorzug zu verdienen, und ich machte mich ganz freudig über den ersten Gesang meines Gedichtes her, der in solchen beinahe zu Ende gedieh; doch bald überzeugte ich mich, daß der Reim, wenn auch noch so glücklich gehandhabt, den Gedanken immer Fesseln anlege; dies um so mehr bei einem langen, erzählenden Gedichte, wie es das Epos ist, für welches sich der Hexameter durch seine Breite im Periodenbau, durch das Auffassen volltönender zusammengesetzter Wörter und durch die Macht, alles, was sich in der Schöpfung dem Ohr durch einen Laut und dem Auge durch seine Form erkennbar ist, ganz entsprechend zu beschreiben, vorzüglich eignet. Also ausgerüstet mit den nötigen Vorkenntnissen, nahm ich mir dann vor, mein Werk in den Augenblicken der Weihe zu vollenden. Bei meinen andern vielfältigen Geschäften, denen ich aus tiefem Pflichtgefühl eifrig oblag, ahnte es aus meiner Umgebung niemand, daß ich mich mit solchen Dingen beschäftige. Ein Kind der Natur, auf ihren Armen gewiegt und großgezogen, war ich seit meiner frühesten Jugend meistens mir selbst überlassen und mußte von keiner gängelnden Hand geführt auf der literarischen Laufbahn alles selber erwerben, somit meinen eigenen Gang gehen, wozu meine jetzige Lebensweise besonders fördernd wirkte. Wenn ich dann später in Biographien und dergleichen von ausgezeichneten deutschen Schriftstellern las, wie sie schon als Jünglinge auf Universitäten talentvolle Freunde fanden, mit welchen sie dann auch in der Folge im literarischen Verkehr stehend sich gegenseitig hoben[41] und unterstützten, da dachte ich bei mir selber: »Du Armer, standst so einsam!« Doch vielleicht war es gut, daß es so kam!

Die Leitung der Ökonomie und dann der bedeutenden Waldgeschäfte des Stiftes war mir durch den Zeitraum von beinahe zehn Jahren, von meinem 26-sten bis 36-sten Lebensjahre, anvertraut. Dort die weitläufigen Forstreviere zu Roß und zu Fuß durchziehend, auf den Alpenhöhen, im Schatten dunkler, vom Wind bewegter Wälder, am rauschenden Wildbach, in der schauervollen Nähe brausender Katarakte weilend oder hingestreckt auf grüne Matten und wohl stundenlang zu dem blauen Himmel emporschauend horchte ich voll hoher Ahnung der allwärts regen, geheimnisvollen Stimme der Natur und schaute sie vor mir in unaussprechlicher Fülle bezaubernder Gestalten ausgebreitet, deren Bilder mit unauslöschlichen Zügen meinem Geiste gegenwärtig mir bei meinen nachfolgenden Konzeptionen zu Gebote standen.

Während jener Zeit geschah auch die erste Besetzung von Unterösterreich durch Feindesgewalt, also auch jener Gegend, wo ich lebte. Marschall Davoust folgte dem General Merveldt, der sich bei Stadt-Steyr in das Gebirg geworfen hatte, mit dreißigtausend Mann bis Mariazell an der Grenze von Steiermark nach, trieb ihn dort auch einem kurzen Widerstand auf die Straße nach Bruck an der Mur nochmals in die Flucht und wandte sich dann, ohne ihn weiter zu verfolgen, gegen Lilienfeld, um sich mit der nach Wien vorrückenden Hauptarmee Napoleons bei St. Pölten zu vereinigen. Man erwartete von dieser Stadt her einen feindlichen Besuch im Stifte, und nun kam er, ohne daß man sich dessen versah, mit solcher Macht von der entgegengesetzten Seite. Ein paar Tage zuvor herrschte beinahe Grabesstille weitumher, nur etwa zwanzig Mann versprengter österreichischer Krieger von allen Waffengattungen, Kanoniere, Fuhrwesens-Mannschaft, Reiter ohne Pferde, Fußvolk, deutsches und ungarisches u.s.w. kamen über die Gebirge seitwärts in das Tal herab und wurden im Orte einquartiert und verpflegt. Da sah ich sie in der Nachmittagsstunde an dem Ufer der Traisen hingestreckt auf den Boden liegen. Die einen rings um den ausgebreiteten Mantel beinahe in Lumpen von Montur sahen voll Gier nach den fallenden Würfeln, um all ihr Geld spielend; die anderen schlugen weit lärmender in ihrer Fröhlichkeit mit den Karten auf den Boden, und im Eifer des Spiels wandte keiner den Blick nach mir hin, obschon ich ihnen lange zugesehen hatte. Das »von heut auf morgen!« in dem Kriege macht, daß der Soldat wie das Leben so auch seine noch so geringe Habe sprichwörtlich auf das Spiel setzt. Noch ein paar Tage hindurch herrschte eine beklemmende[42] Stille in jener Gegend. Es sind schreckliche Augenblicke, die einem feindlichen Einfall vorangehen!

Am 5-ten November 1805 sprengten gegen acht Uhr morgens die ersten feindlichen Reiter heran, die sogenannten Eclaireurs, denen bald Scharen auf Scharen, endlich nach ein paar Stunden auch der Marschall folgte und sich mit seinem ganzen Generalstab in dem Stift einquartierte. Drei Tage währte der Durchmarsch seines Korps, während welchem stets ein paar tausend Mann links und rechts an der Straße im bivouvaque lagen, dessen zahllose Feuer des Nachts durch die Fenster meines Zimmers leuchteten. Doch ich hatte dort wenig Ruhe. Der Abt war mit den Kostbarkeiten flüchtend nach Ungarn hinabgezogen; der Prior schloß sich mit den älteren Geistlichen im Konvent ein, und nur einer der jüngeren stand [mir] in diesem furchtbaren Sturm und Drange bei, wo ich von den Franzosen mit dem Titel Mr. le Procureur bezeichnet ward. Bald wurde ich vor den Marschall, bald nach der Kanzlei des Generalstabs, bald in die Küche und den Keller und auch zu einem verwundeten Soldaten, den in einem der Seitentäler, wo er vermutlich plündern wollte, ein Bauer mitten durch die Brust geschossen hatte, gerufen, um ihn mit den Sterbesakramenten zu versehen. Als ich im Schneegestöber mitten durch die ziehenden Scharen nach Hause kehrte, riefen einige unter ihnen: »Il a encore des bonnes bottes« (er hat noch gute Stiefel an), und ich befürchtete alle Augenblicke, daß mich einer von hinten fassen und der andre mir die Stiefel abziehen würde, wie sie es dort gar oft zu tun pflegten, und ich dann barfuß heimkehren müßte, was indessen doch nicht geschah.

Nun sah ich endlich kriegerische Szenen vor mir, von welchen ich in meiner Kindheit so viel gehört und mit welchen ich mich so lange, so viel beschäftigt hatte; aber ach! nicht auf dem Felde der Ehre, sondern daheim, unter Feindes Gewalt, der harten Willkür und unzähligen Plackereien preisgegeben! Diese hatte ich im vollen Maße zu erdulden gehabt, obschon ich von persönlicher Mißhandlung frei blieb. Am Morgen des vierten Tages kam die Nachricht von dem Einzug Napoleons in Wien an, und der Marschall brach sogleich auf, um dort mit seinem Korps zu ihm zu stoßen. Kurz vorher ließ er mich zu sich rufen; ich mußte mich nahe am Feuer des Kamins neben ihn setzen; er langte von dessen Gesimse die Wienerzeitung herab und sagte, ich solle ihm den ersten Artikel darin in die französische Sprache übersetzt vorlesen. Er war kurz und lautete beiläufig wie folgt:

»Der Feind hatte die Kühnheit, bis an die Grenze Oberösterreichs vorzudringen; es sind aber alle Anstalten getroffen, ihn kräftig zurückzuweisen.« Er nahm das Blatt lächelnd aus meinen Händen, das ganze sollte ohnehin nur ein Scherz im spöttelnden Sinne sein, und erzählte mir dann mit vieler Wärme von der Expedition[43] nach Ägypten, die er unter Napoleon mitgemacht hatte. Zum Schluß bedauerte er nur, daß Österreich durch diesen letzten Kriegszug das siegreiche französische Heer von der Invasion von England, zu welcher alles vorbereitet war, abgezogen hätte!

Das Stift hatte bedeutenden Verlust, vorzüglich an Wein, an Rindvieh, wie auch an Futter für dasselbe und durch Kontributionen in Barem erlitten, so wie auch die ganze Gegend ringsumher erschöpft ward.

Weit größere und anhaltendere Leiden hatte mir der Krieg von 1809 bereitet. Seit dem Monat Juli 1807 war ich als Pfarrer von Türnitz sowohl mit dem Erfolg meiner Amtsverrichtungen in einer guten Gemeinde, als auch mit dem Betrieb meiner kleinen, mich sehr gut nährenden Ökonomie zufrieden und hatte die Pfarrkirche mit einem von Schindler in Wien gemalten Bilde zum Hochaltare und den Chor mit einer guten Orgel versehen, wozu auch einige der wohlhabenderen Bürger Geldbeiträge geliefert hatten. Da hob sich an dem heiteren Friedenshimmel wieder das schwarze Gewittergewölk des Krieges herauf; ein Enthusiasmus ohnegleichen erfüllte die Völker von Österreich, und es lag auch uns Pfarrern ob, die Landwehr von der Kanzel aufzubieten. Bald sahn wir diese in den Waffen geübt mit den übrigen Kriegern in das Feld rücken. Endlich schien der Tag gekommen zu sein, wo die frühere Schmach an dem übermütigen Feinde gerächt werden sollte. Der Sieg schien gewiß; allein die ewige Vorsehung hatte es anders bestimmt, die Feinde rückten wieder verheerend gegen Wien vor!

Hinter Türnitz verengt sich das Tal zu einem Engpaß, wo sich die steirische Landwehr unter dem Grafen von Schärffenberg, vereint mit einem zurückgekehrten Bataillon österreichischer Landwehr, die der Major Graf Adalbert Clary-Aldringen befehligte, hinter geringfügigen Verschanzungen aufstellte. Vor dem Markt Türnitz wurden ein paar Kanonen auf einem Punkte aufgeführt, von welchem die Straße bestrichen werden konnte. Dies geschah spät abends; doch am frühen Morgen wurden auch diese weiter hinein in das Gebirgstal, durch welches sich die Straße nach Steiermark fortdehnt, geführt. Von diesen Schritten müssen in das Hauptquartier zu St. Pölten Nachrichten gelangt sein; denn bald ward eine bedeutende Macht in Eilmärschen gegen uns gesandt. Ich stand an jenem Morgen gegen acht Uhr, sinnend in den weiten Hofraum schauend, unter der Haustüre; da sprengten die ersten feindlichen Reiter heran und schossen auf einen Bauer, der erschrocken vor ihnen über das Gittertor auf mich zusprang, ihre Pistolen ab. Eine Kugel fuhr kaum zwei Spannen weit von mir in die Mauer. Zwei Regimenter Chasseurs à cheval und fünf Bataillone Infanterie waren es, die der General La Bruyère, Neffe des Marschall Berthier, der später in der Schlacht bei[44] Lützen sein Leben verlor, zu einem leichten Sieg heranführte, denn obgleich die Krieger der Landwehr ihm etwa fünfzig Mann und unter diesen den ersten kühn vordringenden Rittmeister Schuß auf Schuß niedergestreckt hatten, so nahmen sie doch bald Reißaus; die beiden Kanonen wurden nachmittags samt den gefangenen zwei Kanoniers zu meinem großen Herzleid durch den Markt zurückgebracht und mit dem ebenfalls gefangenen Major der österreichischen Landwehre, Grafen von Breuner in das Hauptquartier abgeführt. Zur selben Zeit sah ich aus dem östlich vom Markt gelegenen weiten Traisental, in welchem sich mehrere Mahl-und Sägemühlen und über vierzig große Bauerngehöfte zerstreut befinden, ungeheure hohe schwarze Rauchsäulen emporsteigen; der zurückgekehrte General sprang vor meinem Gärtchen, in welchem ich mich eben befand, vom Pferde und erzählte mir lächelnd von dem geringen Widerstand, den er gefunden. Mehrere Bürger des Marktes waren ihm mit todblassen Gesichtern gefolgt, riefen mich zitternd seitwärts und taten mir kund, daß die Bauern vom Traisental zwei Franzosen, die auf Plünderung ausgingen, erschossen, den dritten aber verwundet hätten, welcher ihnen entkommen eben in den Markt gelangte, als der General zurückkam. Sogleich habe dieser den Befehl erteilt, sämtliche Häuser im besagten Tal niederzubrennen; wo ich mich nicht verwendete, wären sie alle bis nahe am Weichbild des Marktes verloren! Ich eilte bestürzt dem Generale zu und bat ihn mit gefalteten Händen um Pardon; er aber, sonst immer freundlich gegen mich, wandte mir zornig mit den Worten den Rücken, ich sollte für keine Meuchelmörder Vorbitte tun, und ging nach seinem Zimmer. Ich folgte ihm dahin und ließ nicht ab, ihn mit meinen Bitten zu bestürmen, bis er unter der Bedingnis dem Feuer Einhalt zu tun versprach, wenn ich mich verbürgte, daß die Bauern der Umgegend keinen ähnlichen Unfug mehr gegen die Franzosen verüben würden. Man fürchtete, so schien es, ähnliche Auftritte wie in Tirol ... Komme, was da wolle, ich tats! Alsobald schrieb er einige Zeilen, die ein Reiter forttrug; ich aber mußte ein paar Bürger mit zwei Soldaten von Haus zu Haus senden, damit sie die Bauern, unter welchen wegen erlittener Mißhandlungen eine große Aufregung war, ermahnten, sich ruhig zu verhalten. Ein Glück war es, daß meine Pfarrkinder aus Liebe zu mir sich der Anordnung fügten, denn aus der mindesten Veranlassung wäre ich, wie es später offenkundig ward, zu einem abschreckenden Beispiel öffentlich erschossen worden. Daß ich am Vorabende der Invasion bei der Aufführung der beiden Kanonen gegenwärtig war und mir die Richtung derselben und der Kartätschenladungen von den Kanonieren zeigen ließ, wurde ihnen von einem Mann, von dem noch später die Rede sein wird, verraten; dies und der Umstand, daß in meinem Schlafzimmer hinter einem Kasten sich ein paar Jagdgewehre vorfanden, die ein[45] paar Offiziere sogleich draußen an einem eisernen Gitter den Kolben abschlagend unbrauchbar machten, hatte besonders die zwei Obersten der Chasseurs à cheval mit Mißtrauen gegen mich erfüllt. Nach obenberührter Absendung wurde dem Feuer Einhalt getan. Schon waren zwei Mühlen und acht große Bauernhöfe niedergebrannt, als vor dem neunten der abgesendete Reiter anlangte, den Kriegern den Befehl des Generalen kund tat und sie zurückrief. Der Besitzer einer von jenen dem Markte zunächst liegenden Mühlen wurde von den Franzosen, da er dem nächsten brennenden Hause zu Hilfe eilen wollte, niedergeschossen – ein sechzigjähriger, ansehnlicher Mann, den ich wegen seiner schätzbaren Eigenschaften wie einen Freund in Ehren hielt. Man brachte mir ihn in der Abenddämmerung auf einen Schubkarren ohne Sarg und nur mit einem groben Leintuch bedeckt vor die Kirchentüre, damit ich ihn vor dem Begräbnis einsegnete! In jenen schrecklichen Momenten galt weder Sitte noch Recht, denn auch die Glocken mußten verstummen.

Jener Abend sollte noch mehr des Schmerzlichen für mich bieten. Der General saß mit etwa zwanzig Offizieren beim Nachtessen, an welchem ich gezwungen Teil nehmen mußte; da ich aber vor Herzleid und heimlichem Grimm wegen der Schreckensszenen nichts zu mir nehmen konnte, so ward ich von den Offizieren häufig verhöhnt, daß mir das Schicksal meiner Bauern den Appetit verdorben hätte. Plötzlich fuhr der Oberste der Jäger zu Pferde vom Tische auf, rannte zum Fenster, die übrigen mit Ausnahme des Generals alle ihm nach und wandte sich dann mit einem schreienden Laut gegen mich, was das Feuer auf dem nächsten Hügel bedeute? »Ich weiß es nicht«, gab ich zur Antwort. Nach seinem Beispiel schnallten nun alle voll Hast ihre Degen um den Leib und als sie zur Türe hinausstürzten, rief er mir mit geballter Faust zu, wenn es ein Signalfeuer wäre, so würde er zuerst mein Haus und darauf den ganzen Markt in Brand stecken und mich erschießen lassen. Ich blieb unbeweglich sitzen – so auch der General, der seinen Federhut aufhatte und schweigend nach dem Teller hinabsah. Nach einiger Zeit kehrten wieder alle lärmend und lachend zurück, es hatte einigen Soldaten gefallen, hoch über dem Lager einen Wachtposten einzunehmen und sich bei dem Feuer zu erlustigen.

Am vierten Tage wurde der General durch Napoleon beordert, ihm mit seinen Truppen nach Wien zu folgen. Allein der obgleich geringe Widerstand der Landwehr machte, daß nach ihm General Duplin mit einigen Bataillonen nach Türnitz kam, und diesem Lacour folgte, der in der Schlacht von Wagram das Leben verlor. Auch sie beide waren bei mir einquartiert, wie von nun an alle feindlichen Chefs, die in unsere Gegend beordert waren. Ehe General Lacour, der um ein Uhr nach Mitternacht angesagt war, in meinem[46] Hause eintraf, stellte sich ein Sergeant-Major dort ein, forderte trotzig ein reinliches Bett in einer der unteren Stuben mit dem Bedeuten, er sei der Sekretär des Obersten, der mit dem Generalen komme, und der Oberste von diesem besonders hochgehalten. Am Pfingstsonntage morgens frühe, als eben die Schlacht von Aspern gekämpft ward, sah ich mit dem Generalen aus dem Fenster des oberen Stockwerks in den Hofraum hinab, wo seine Reitpferde und einige dreißig Chasseurs à cheval seines Aufbruchs harrten; er gab mir auf die Frage: »Qu'est ce que serà de nous et de l'armée des Autrichiens?« zur Antwort: »Encore un coup, et nous allons les écraser!«

Nach dem Abzug des Generals stand ich in trübe Betrachtungen versunken im oberen Gärtchen und harrte der Stunde des nahen Gottesdienstes, als plötzlich die lärmende Stimme und der Fußtritt einiger Soldaten von der Treppe heraufscholl. Es war der obgenannte Sergeant-Major mit ein paar langbärtigen Regiments-Zimmerleuten, die ihre großen Hacken wie gewöhnlich auf der Schulter trugen. Der Oberste – rief jener ungestüm – habe hier im Hause eine wichtige Schrift liegen lassen, die er holen müsse. Ich führte sie sogleich in das Zimmer, in welchem der Oberste übernachtet hatte; allein es fand sich nichts. Sie müsse sich, so lärmte er, vorfinden, und er werde sie schon selber suchen, nachdem wir sie aus böser Absicht versteckt hätten. Mit diesen Worten drangen sie in mein Zimmer ein, und die beiden Zimmerleute begannen sogleich auf seinen Befehl meinen verschlossenen Schreibkasten aufzubrechen. Ich zweifelte gleich anfangs keinen Augenblick, daß sie nur zu plündern gekommen waren, weil sie mich schon in der Kirche vermuteteten, und der eine von ihnen, wie er mich noch im Gärtchen stehen sah, zu seinen Kameraden sagte: »Nous avons manqué le moment!«; daher lief ich mit den Worten: »Ihr Schurken, gleich werde ich den Offizier herbeirufen!« zum Zimmer hinaus, dann durch das Gärtchen in die erste Gasse des Marktes und rief einem Bürger zu, es möge einer der Offiziere schnell in den Pfarrhof kommen. Nach dem Abzug des Generalen La Bruyère blieben nämlich hundertzwanzig Mann Fußvolk mit drei Offizieren und 40 Reitern mit ihren Marechaux de logis (Wachtmeistern) als ein Picket zurück und wurden im Markte einquartiert. Da sah ich denn, wie diese vor dem Abzug des größeren Heerhaufens mitunter noch so übermütigen Krieger sich nun so zahm und furchtsam benahmen, denn die Offiziere und diese Wachtmeister kamen vereint zu mir in den Pfarrhof und baten mich, ich möchte Sorge tragen, daß ihnen von Seiten der Bauern!! kein Leid geschehe, und sie würden auch ihre Mannschaft in Ordnung halten, damit nicht der mindeste Exzeß geschehe. – Ich sagte ihnen unter dieser Bedingnis volle Sicherheit zu. Nun kam also einer dieser Offiziere mit bloßem Haupte in Eile herbei, als ich eben den Bösewicht mit[47] seinen beiden Gehilfen scheltend aus dem Zimmer und über die Treppe hinunter trieb und ihn vor dem schweigenden Offiziere wiederholt einen Räuber, der nur habe plündern wollen, nannte. Er kreischte noch unten von »Mauvaise volonté« und dergleichen und eilte dann den abmarschierten Scharen nach. Der Offizier gestand nun selber, daß die beabsichtigte Plünderung erfolgt wäre, wenn ich weniger Mut bewiesen hätte. Wie schlecht übrigens diese Herren Wort hielten, erhellte daraus, daß nach einigen Tagen, als diese kleine Arriergarde im Markte aufgestellt sich zum endlichen Abzug anschickte, ein Soldat aus einer geringfügigen Ursache einen der Bürger in meiner Gegenwart mit dem Gewehrkolben im Angesicht blutig schlug. Als ich darüber die Stimme erhob, winkte der Hauptmann dem Tambour mit dem Säbel, die Trommel rief zum Doppelschritte, und es zogen alle in Eile fort.

Zwischen der Schlacht von Aspern und Wagram waren wir in Türnitz ziemlich frei von Feinden; nach dieser aber brach ein neuer Jammer über uns herein. Zwei französische Magasinärs, die mit eigener Gelegenheit über Mariazell und Bruck an der Mur nach Graz reisen wollten, wurden zwischen diesem Markt und dem nächsten Orte Annaberg auf der Straße ermordet und all ihrer Habe beraubt. Der lüderliche Sohn eines Bürgers von Türnitz, welcher der Landwehr entlaufen war, dann ein Maurergesell aus Tirol, ein Zimmergeselle und zwei Drahtziehergesellen – alle von jenem verführt – waren die Täter. Nach etwa sechs Wochen, nachdem dieser geheimgehaltene Frevel im Hauptquartier zu Schönbrunn angezeigt ward, kam von St. Pölten herein ein Offizier von der Gens-d'armerie mit sechs Gens-d'armes und vierundzwanzig Württemberger Dragonern unvermutet in Türnitz an und jener quartierte sich bei mir im Pfarrhof ein. Während des Mittagessens, zu welchem er einige Gäste geladen wünschte, betrug er sich überaus lustig und machte mir nach demselben den Vorschlag, mit ihm nach der eine Stunde entlegenen Glasfabrik zu fahren. Vier Dragoner und ein Gens-d'armes begleitete uns zu Pferde. Dort angelangt, befahl er mit ernstem Tone, zwei von jenen sollten ihm den Wirt unter dem Berg (Annaberg), bei welchem sich jene Frevler vor der Tat versammelt hatten, gebunden herbeiführen. Nun wurde mir der Zweck meiner Erscheinung klar! Auf die Frage, ob ich von jenem Mord und dessen Urhebern etwas gehört hätte, gab ich zur Antwort, daß ich später wohl Einiges davon gehört hätte, aber mir als Seelsorger geziemte es um so weniger, bei den weltlichen Gerichten etwas dagegen zu veranlassen, da es noch lange darauf hieß, einige versprengte[48] Landwehrmänner hätten die beiden Franzosen erschossen. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, zeigte mir aber einen offenen Befehl vor, vermöge welchem er den Markt Türnitz niederbrennen solle, so ihm nicht die Täter binnen vierundzwanzig Stunden ausgeliefert sein würden. Der Wirt am Berge ward gebunden herbeigeführt, und ich drang in den Offizier, daß wir noch vor ihm in den Markt eintreffen möchten. Sogleich berief ich den Bürgermeister, tat ihm jegliches kund und forderte ihn auf, er möge zur Abwendung des drohenden Unglücks die Täter festsetzen lassen, wenn sie sich noch im Markte befänden. Bis auf den Haupturheber des schändlichen Frevels, den Bäckerssohn und den Maurergesellen aus Tirol, die entsprungen waren, wurden die anderen alle ergriffen und gefangen gesetzt. Am folgenden Morgen hielt der Offizier nach französischer Gerichtsordnung bei offenen Türen und Fenstern Gericht, bei welchem ich nebst dem Wachtmeister der Gens-d'armes, einem Elsasser, den Dolmetsch machen mußte und dabei Gelegenheit hatte, ein paar durch Angst und Schrecken bei ihren Aussagen verwirrte Bürger von größerem Unglück zu retten. Auch gelang es mir, die Entlassung des Wirtes am Berg, dessen Unschuld ich gleich Anfangs behauptet hatte, zu bewirken; die übrigen, als schuldig erkannt, wurden nach Schönbrunn in das Hauptquartier abgeführt, wo sie später Gelegenheit fanden, durch Bestechung des Wärters dem Kerker zu entkommen. Der Wirt am Berg mußte 500 F.C.M. und der Markt Türnitz 1300 F. als Brandschatzung zahlen, weil die Tat nicht früher angezeigt wurde. Nur schwer gelang es mir, die anfangs viel höher gestellte Forderung durch ergreifende Vorstellungen herabzustimmen.

Es war eine unbeschreibliche Szene, als die indessen auf meinen Wink von ihrem Hause herbeigerufene Gattin des Bergbauerwirtes mit ihrem aus dem Kerker entlassenen Gatten in einer offenen Kalesche fahrend vor dem Hause, wo ich mich mit den französischen Gerichtspersonen befand, still hielt, sie vor mir, als ich zu ihnen hinabeilte, sich in den Staub warfen und mir laut weinend die Füße küssen wollten, so daß ich mich dessen nur mit Mühe erwehren konnte. Diese Befreiung war für die beiden armen Ehegatten um so überraschender und freudenvoller, da der Gens-d'armerie-Offizier morgens gleich bei dem Anfange des Verhörs den Bergbauerwirt mit geballter Faust und fast schreiend vor Wut angefahren, er sei derjenige, der die Gefangennehmung der beiden ermordeten Franzosen in seinem Hause veranlaßt hätte; deswegen habe er auch den Auftrag, sein Haus noch heute abbrennen zu lassen, die einzige Gnade, die er ihm dabei erweisen wolle, sei, daß er früher alle Möbeln aus demselben schaffen könne.[49] Nach diesen Worten sandte er sogleich zwei berittene Dragoner nach Annaberg und dem Hause unter dem Berg ab, den Befehl zu vollziehen. Die Nachbaren des Wirtes, gute Berginwohner der Gegend, legten sogleich Hand an und halfen sogleich alles aus dem Hause schaffen, und zwar mit solchem Eifer, daß bis Nachmittag kein Nagel mehr in der Mauer stecken blieb. Da ich, wie gesagt, gleich anfangs die Unschuld des Bergbauerwirtes behauptet hatte, und diese nun aus den Aussagen der später eingefangenen Täter in das hellste Licht kam, so drang ich gleich nachmittags in den Offizier, die mit der Brandlegung beauftragten Dragoner zurückrufen zu lassen, was dann auch geschah, und die armen Hausbesitzer nun doppelt getröstet waren.

Aber bis zur Zeit des Friedensabschlusses wurde ich öfters noch, teils schriftlich, teils durch abgesandte Reiterordonanzen vom franz. Oberkommando in St. Pölten angegangen, ob die Täter noch nicht zum Vorschein gekommen wären. Dies war hauptsächlich von den zwei Obengenannten zu verstehen. Endlich wurde ich sogar in Begleitung eines Bürgers nach St. Pölten zitiert. Ich hatte auf ein scharfes Examen gerechnet; wie erstaunt war ich aber, daß ich auf dem Rathause mit einigen fünfzig Offizieren einem großen Festmahl beiwohnen sollte! Ich suchte bestürzt sogleich den dortigen Herrn Bischof, der sich, nachdem die französischen Machthaber seine Residenz fortwährend im Besitz hielten, zu einem seiner Domherrn zurückgezogen hatte, auf und eröffnete ihm die Ursache meiner Hinreise und meine Verlegenheit, wie etwa die Teilnahme an einem solchen Gastmahl auch höheren Ortes, so auch in der Umgebung gedeutet werden könnte? Er beruhigte mich aber mit den Worten, ich solle mich der Einladung zum Besten meiner Pfarrgemeinde fügen, das übrige würde er schon verantworten. So setzte ich mich denn mit mehr denn fünfzig Offizieren von allen Graden ruhig zu Tische; reichlich dampfende Schüsseln und Champagnergläser kreisten munter herum; lärmende Toasts wurden ausgebracht, unter anderen mit allgemeinem Zuruf auch auf mein Wohlsein, wo es hieß: »Au bon pasteur, qui a bien soutenu les Siens!« Ich muß gestehen, daß ich bei dieser unerwarteten Auszeichnung, meine Tränen zu bergen, die Augen mit beiden Händen bedeckte. Der oben öfters erwähnte Gens d'armes Offizier, der neben mir saß, flüsterte mir in das Ohr, man habe von allem genaue Kenntnis, was ich bei der ersten Besetzung von Türnitz durch General La Bruyère für meine Pfarrgemeinde getan und wie ich mich bei seiner eigenen strengen Mission daselbst benommen habe; zu gleich nannte er mir den Namen dessen, der jenes traurige Ereignis mit den kleinsten Umständen an den Korps-Kommandanten in St. Pölten schriftlich kund tat, damit im Fall Türnitz zur Strafe des begangenen Frevels niedergebrannt werden sollte, sein eigenes Haus und Eigentum verschont[50] bliebe. Dieser war kein eigentlicher Türnitzer, sondern der zeitweilige Besitzer eines öffentlichen k.k. Amtes. Er ist seitdem schon lange nicht mehr, seine Asche ruhe in Frieden! Aber bemerkenswert ist es, daß der feindliche Offizier selber jene Tat, wodurch selbst das Leben vieler seiner Mitbürger gefährdet wurde, eine schlechte nannte!

Man wollte mich auch noch für den Abend, wo eine glänzende Ballunterhaltung beginnen würde, zurückbehalten; allein ich berief mich auf meine dringenden Pfarrgeschäfte und fuhr mit dem mich begleitenden Türnitzer Bürger innig zufrieden heim, wo ich erst gegen Mitternacht anlangte.

Nach dem zu Wien am 10-ten Oktober geschlossenen Frieden wurde die große Armee bis zu ihrem völligen Abmarsch im Monat Dezember links und rechts an der Hauptstraße in Österreich in die Kantonierungsquartiere verlegt. Erst hatten wir in Türnitz französische und dann durch längere Zeit kön. sächsische Truppen zu verpflegen. Es tat mir viel weher, die Deutschen feindlich gegen uns gestellt zu sehen, und ich bemerkte öfters mit heimlicher Schadenfreude, mit welcher Verachtung und mit welchem Hochmut die Franzosen ihre deutschen Verbündeten behandelten. Sie befahlen uns vor ihrem Abzug laut, wir sollten alles für ihre etwa noch nachfolgenden Truppen sparen und diesen nichts verabfolgen. Gewöhnlich benahmen sich auch die Deutschen, besonders die Württemberger und Sachsen, gegen das Landvolk viel härter als die Franzosen. Es gab noch manches zu erdulden, und tief fühlte ich es, es gäbe kein schmerzlicheres Los als jenes, unter feindlicher Gewaltherrschaft zu stehen!

Der Oberste von den französischen Truppen, die wir jetzt in einstweiliges Quartier bekamen, war ein sehr gebildeter, freundlicher Elsasser, mit dem ich im Posthause, wo er einquartiert war, manche Abendstunde über die letzten Kriegsereignisse verplauderte. Eines Tages lud er mich zu einer militärischen Feierlichkeit ein, bei welcher er vier Kreuze der Ehrenlegion an seine Truppen verteilen würde. Sie standen in drei Reihen vor ihm aufmarschiert außer dem Markte auf meiner sogenannten großen Wiese. Erst hielt er eine kräftige Anrede an sie und rief dann, indem er einen großen Brief entsiegelte, die zu beglückenden bei ihrem Namen und hieß sie vortreten. Der erste, dem er das Kreuz mit dem Band an die Brust heftete, war ein Unterlieutenant; der zweite und dritte ein Korporal und Gemeiner und der vierte ein Tambour. Während er sie dekorierte, nahm er vor jedem den Hut ab und küßte ihn dann als Kameraden, denn auch seine Brust war damit geschmückt, auf die linke Wange. Kaum war ich zu Hause angelangt, so kam er in Eile zu mir gelaufen, mir die erhaltene Nachricht kund zu geben, daß noch vier oder fünf Kompagnien mehr in Türnitz und in der Umgebung einquartiert werden sollten, und schon waren die armen[51] erschöpften Talbewohner nicht mehr im Stande, die bereits Anwesenden gehörig zu verpflegen, so daß schon einige ihre Häuser verließen und sich draußen in den Waldhütten mit ihren wenigen Rindern verbargen. Der Oberste, den ich um seinen Schutz anging, erwiderte, der alte Divisionsgeneral, (wo ich nicht irre, Renier), der das Stift und dessen Umgebung besetzt hielt, sei ein strenger alter Mann, dem er keine Vorstellungen gegen die gemachte Anordnung machen dürfte; so ich mich aber entschlösse, sogleich zu ihm hinauszufahren und mich für meine Pfarrkinder zu verwenden, was gewiß von Erfolg sein würde, so sei er bereit, mich zu begleiten und meinem Fürwort Zeugnis und Nachdruck zu geben. Wir fuhren sogleich ab und kamen abends draußen an. Da hieß es, Sne Exzellenz seien ausgegangen, sich mit der Jagd zu vergnügen; zum Glück war er in der Nähe des Stiftes am Damm des anstoßenden Forellenteiches, von wo er einige Taucherenten mit seinem Schießgewehr zu erlegen suchte. Wir gingen ihm sogleich entgegen. Ich suchte vergeblich, einen Generalen in Uniform zu erblicken; doch mein Begleiter entblößte das Haupt – ich auch, und wir standen vor einem hohen, hageren Greise mit eisgrauen Haaren, der sie mit einem grünledernen Käppchen bedeckt hielt, seine Uniform mit einer unscheinbaren Jacke vertauschte und jetzt das Jagdgewehr einem aus seinem Gefolge reichend finster uns ansah. Der Oberste stellte ihm dem erhaltenen Auftrag zufolge die Unmöglichkeit vor, mehr Truppen in der Türnitzer Gegend unterbringen zu können, da schon einige Bauern auf den Bergen umher ihre Häuser verlassen und sich mit ihrem Rindvieh geflüchtet hätten. Als der General dies letztere Wort, welches im Französischen (ils se sauvent) besonders bedeutend ist, vernommen hatte, da geriet er in Wut und schrie: »Ils se sauvent? (sie flüchten sich?) Lassen Sie den Bürgermeister (Marktrichter), lassen Sie den Pfarrer in Arrest setzen!« Da trat ich vor und sagte ihm, ich sei der Pfarrer von Türnitz und sei gekommen, seine Großmut für die dortigen armen Gebirgsbewohner anzusprechen. Schon bei dem ersten französischen Worte, das ich sprach, stutzte er, und als ich geendet hatte, sah er mich lange forschend an. Darauf winkte er mir, mit ihm zu gehen, ohne an den Obersten auch nur ein Wörtchen zu richten, und beschuldigte auf dem ganzen Wege bis in das Stift und in sein Zimmer hinauf die Regierung, daß sie den Rückmarsch der großen französischen Armee voraus wissend keine Anstalten der Verpflegung durch Anlegung von Magazinen u.s.w. – als ob das bei der feindlichen Okkupation des Landes eine so ausgemacht leichte Sache gewesen wäre! – getroffen hätte. Er ließ uns alle, die wir ihm folgten, im Vorzimmer über eine halbe Stunde stehen und trat endlich in der ganzen Generalsuniform, mit vielen Orden geschmückt, heraus; ging einigemal gravitätisch vor uns auf und nieder und öffnete die Türe des Vorsaals, der zum[52] Durchgang in die Korridore diente, worauf die militärische Musikbande mit Blasinstrumenten eine lärmende Symphonie im heulenden französischen Stile anstimmte. Nun wurde es mir klar, daß er vor mir, dem Fremden, der ihn in seiner Jagdjacke getroffen hatte, sich in seinem ganzen Staat zeigen wollte. Er fragte mich, ob ich nicht beim Diner (um 6 Uhr abends) bleiben wolle, und als ich es auf mein Seelsorgeramt gestützt ablehnte, winkte er mir mit weitvorgestreckter Rechten zum Abschied mit den Worten: »Fahren Sie demnach ruhig heim; es werden keine Truppen weiter nach Türnitz für diesmal kommen.« Ich fuhr mit dem Obersten innig vergnügt davon und stieg vor seinen Quartieren ab, um uns gegenseitig und einem uns dort erwartenden Hauptmann, einem heiteren Gascogner, bei dem Nachtessen gütlich zu tun. Der Postmeister brachte sogar ein paar Flaschen Champagner aus dem Versteck hervor, und wir freuten uns über den glücklichen Erfolg unsrer Reise. Nachdem der Wein dem Hauptmann noch mehr als gewöhnlich die Zunge gelöst hatte, erzählte er uns, wie er, der Sohn eines reichen Kaufmannes, bei dem Ausbruch der Revolution bloß bei der Armee Sicherheit des Lebens gefunden habe, dadurch aber seines gehofften Eigentums verlustig geworden sei. Es interessierte mich aus jener Zeit der gewaltigsten Volksaufregung so manches zu erfahren; unter anderem verlangte ich, die Melodie des »Ca irà – ca irà« und der Marseillerhymne zu hören. Er fing mit einer desperaten Stimme die letztere: »Allons enfants de la patrie« an und steigerte sie von Strophe zu Strophe zu einer völligen Wut, so daß er mit schäumendem Munde, unfähig weiter fortzusetzen, ausrief: »Ah! C'était un enthusiasme du diable!« Welch ein Zustand muß dort jener des französischen Volkes gewesen sein!

Der furchtbare Sturm, der zuletzt Österreich traf, hatte ausgetobt, es trat tiefe Stille in allen Geschäften ein, und so manche harte Entbehrungen waren in dem darauffolgenden Winter an der Tagesordnung. Indessen hatten die ausgestandenen Leiden und die dabei bewiesene gegenseitige Hilfeleistung zwischen mir und meiner Pfarrgemeinde die Bande der Liebe und des Zutrauens nur noch enger geknüpft, und als der Frühling kam und die ganze Schöpfung wieder so freundlich lächelte, da fand ich mich mächtig aufgeregt zu ungewöhnlicher Tätigkeit. Ich fühlte es in meinem Innersten, nun sei die Stunde gekommen, an mein lang beabsichtigtes Werk, das epische Gedicht »Tunisias«, Hand zu legen. Ungesäumt durchlas ich nochmals alles, was ich bis dahin als nötige Vorbereitungen zusammengeschrieben hatte; entwarf den Plan der zwölf Gesänge und begann sogleich den ersten, um die erste vor einer so großen Arbeit zurückschreckende Angst zu überwinden. Ich suchte vorher nach einer beinahe konvulsivischen Anstrengung mit einem einzigen Blicke das ganze vor mir liegende Feld zu überschauen – die Hauptidee stand klar vor mir da; ich wußte, wo ich beginnen, wo[53] ich enden, und wie und was ich in den Zwischenräumen ordnen und gestalten mußte. Es war auch unmöglich, dabei meines früheren hierauf bezüglichen Lebens und so vieler Eindrücke und Erfahrungen nicht zu gedenken, die wie ein Traumgebilde vor meines Geistes Augen vorüberflogen. War es mir doch, als ob ich nur darum so gerne durch Hain und Wald, durch Sturm und Wetter gezogen, als ob ich nur darum die Meere durchschifft, ihre Wunder beobachtet und ihre Schrecken bestanden hätte, als ob mein ganzes bisheriges Streben und Lernen, all mein Sinnen, Denken und Empfinden nur dahin gerichtet gewesen sei, um in diesem Werk den Inhalt einer ganzen Weltanschauung niederzulegen. In dem Zustand der Begeisterung, in welchen ich versetzt war, wendete ich jede Viertelstunde, die mir von meinen Amtsverrichtungen erübrigte, dazu an, um damit vorwärts zu kommen, und fürchtete nichts so sehr als ein unvermutetes Ereignis, welches mich auf längere Zeit in dieser Arbeit unterbrechen könnte. So gelang es mir bei einer fortgesetzten Anstrengung, die selbst meine Nerven angriff, von dem Frühjahr 1810 bis zu jenem des folgenden Jahres mit dem elften Gesange zu Ende zu kommen. Aber was ich befürchtete, geschah jetzt.

Das Stift Lilienfeld war am 10-ten September des J. 1810 ganz abgebrannt. Nach einer lange anhaltenden trockenen Witterung kam in den Nachmittagsstunden in dem rückwärts liegenden Meierhofe Feuer aus; der heftige Wind trug das brennende Heu und Stroh nach dem Stiftsgebäude hin und zündete Turm, Kirche und alle übrigen viele hundert Kurrentklafter betragende Dächer an. An Rettung war gar nicht zu denken, und das Stift lag am folgenden Tage ganz im Schutte, aus welchem noch lange die brennenden Trümmer rauchten. Erst nach ein paar Tagen fuhr ich hinaus, um die unbeschreibliche Verwüstung in Augenschein zu nehmen. Die Mitglieder des Stiftes alle hatten es verlassen und waren in den nächsten Häusern einquartiert, da noch das am meisten erhaltene Gebäude des Konventes wegen der noch darin drückenden Hitze nicht bewohnt werden konnte. Nachdem die Turmuhr zerstört und auch die Glocken alle geschmolzen waren, und so viele in der Umgebung gar nicht wußten, wie sie an der Zeit waren, so ließ ich eine etwa zwei Zentner schwere Glocke aus einem der selten betretenen Magazine hervorholen und im Fenster des erkerförmigen Seitenturmes aufhängen, von wo dann die Mittag- und Abendstunde wie sonst verkündet wurde. Auch teilte ich in Hinsicht der nötigsten Vorkehrungen den betreffenden Personen meine Ratschläge mit und fuhr abends wieder nach Türnitz heim. Aber öfters wurde ich in der Folge noch hinausberufen, weil es dringende Beratungen erheischte, ob zum Wiederaufbau Schritte geschehen, und welche Teile der vielen Gebäude erhalten werden sollten? Ich riet, vor allem solle die schöne Kirche mit[54] einem festen Dachstuhl versehen und eingedeckt werden, da diese, möge auch sonst was immer geschehen, schon wegen der Pfarre Lilienfeld erhalten werden müßte; auf das Konvent und die nötigsten Wohnorte könnten einstweilen sogenannte Notdächer aus geschnittenen Brettern zu stehen kommen. Was dann auch geschah. –

Ein Jahr vorher hatte das Stift bei der feindlichen Invasion all sein Rind- und Zugvieh, alle seine Weine verloren und auch im Bar große Verluste erlitten; durch Unwirtschaft des früheren und durch Krankheit verursachte gänzliche Apathie des dort noch lebenden Abtes versank es in große Schuldenlast; nun kam noch der furchtbare Brand dazu, welcher mit obigem vereint das fernere Bestehen desselben fast unmöglich erscheinen ließ, und da selbst mehrere der Stiftsmitglieder daran verzweifelten, so war dessen Aufhebung allerhöchsten Ortes beschlossen. Indessen verwendete sich der damalige wahrhaft edelgesinnte Diözesanbischof in St. Pölten, Freiherr Crüts von Creits, für dessen ferneren Bestand, und wies auf mich, den in verschiedenen Stiftsämtern Versuchten, als jenen, der durch Tätigkeit und guten Willen die allerdings schwere Aufgabe noch zu lösen im Stande sein würde. Nach einer von Seiten der Regierung vollbrachten Untersuchungskommission ward ich im Monat Juli 1811 als Prior und Administrator in das Stift berufen. Ich sträubte mich lange dagegen, da ich in Türnitz so vergnügt und eben in einer für mich so wichtigen Arbeit begriffen war; aber es half nichts ... ich mußte gehorchen! Bei den mannigfaltigsten Geschäften schrieb ich dennoch gegen Ende November den letzten Gesang meines Heldengedichtes nieder. Bald darauf starb der schon lange kränkelnde Abt, und sechs Monate später, nämlich am 12-ten Juli J. 1812, ward ich durch Stimmenmehrheit im Beisein des Bischofs und zweier im Namen des Kaisers abgesandter Regierungsräte zu dessen Nachfolger erwählt. Obschon im Conclave durch das sogenannte Scrutinium sich 24 Stimmen für mich, und für jenen, der mit mir in die Wahl kam, nur 16 Stimmen ergaben, so war meine Bevorzugung doch nicht leicht geschehen. Die nötigen Reformen, die ich während der ein volles Jahr dauernden Administration des Stiftes durchführen mußte, ließen manche ein gar zu strenges Regiment fürchten, das sich aber in der ganzen Folgezeit stets in den gehörigen Grenzen fortbewegte und darum auch allgemeine Geltung fand. Es wäre zu weitläufig, hier zu erzählen, mit welcher Anstrengung ich gleich während meiner Administration die Wiederaufbauung des Stiftes begonnen und nach ungefähr sechs Jahren größtenteils vollbracht habe. Öfters stellten sich mir mannigfaltige Hindernisse entgegen. Schon im J. 1813, welches durch anhaltende Regengüsse und Überschwemmungen furchtbar geworden ist, war das Stift in Gefahr, von den Fluten zerstört zu werden. In zwei verschiedenen[55] Zeiträumen, Juni und August, strömte der Regen unaufhörlich herab; die ausgetretene Traisen erfüllte das ganze Tal von einer Bergwand zur andern wie ein See, zerstörte alle Brücken und die Straße dergestalt, daß noch später mehrere Wochen hindurch die Kommunikation versperrt blieb und man nur zu Fuß oder reitend weiter kommen konnte. Das von den Alpen herabströmende Wasser hatte schon einen Teil des Meierhofes und den äußersten Flügel des Stiftes weggespült. Ein besonderes Unglück war es, daß im August, wo einige Tage hell und sonnig ein länger dauerndes schönes Wetter vermuten ließen, gerade über den Zimmern, die ich bewohnte, das Notdach abgenommen wurde, um eine feste Dachung aufschlagen zu können, der frühere gewaltige Regen sich wieder einstellte und in meiner Wohnung Decke und Fußboden jämmerlich durchnäßte, so daß die Feuchtigkeit darin noch lange festgehalten wurde und für meine Gesundheit manche üble Folgen veranlaßte.

Im J. 1814 kam der Kaiser Franz I. aus Frankreich durch Oberitalien und Tirol als Sieger zurück. Ich verfügte mich nach dem benachbarten Wallfahrtsorte Mariazell in Steiermark, wohin ihm die Kaiserin Ludovika mit dem Prinzen Anton von Sachsen und dessen Gemahlin entgegengefahren waren. Der Kaiser kam im Gefolge des Großherzogs von Toskana Ferdinand gegen Mittag an. Ich bat ihn, im Stifte Lilienfeld zu übernachten, erhielt dessen Zusage, wurde zur Tafel gezogen und reiste nach selbe gleich in das Stift ab, um für den folgenden Abend alles zu seinem Empfang vorzubereiten. Die Beleuchtung der Stiftsgebäude nahm sich mit dem hart daran stoßenden großen Teiche herrlich aus, das ihm sichtbare Freude machte. Als ich ihn zur Abendtafel führte, und sich die Zuschauer aus allen Klassen selbst aus den ärmsten bis zur Türe herzudrängten, sagte er mir, ich solle sie ruhig zusehen und nicht entfernen lassen. Seine Menschenfreundlichkeit gab sich überall kund, wie es aus dem Folgenden noch mehr erhellen wird.

Trotz meinen vielen besonders den Stiftsbau betreffenden Geschäften hatte ich auch für einige erfreuliche Genüsse gesorgt durch Gründung einer vortrefflichen Musikschule, durch Anlegung eines Naturalien-, Technologischen- und Mineralien-Kabinetts. Das Technologische, welches sich bloß auf die Erzeugnisse der in der Stiftsherrschaft existierenden Fabriken und Werke von Eisen, Holz, Glas, Leder u.s.w. beschränkte, zog besonders die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich und erhielt seinen vollen Beifall. Bei seiner Abreise am nächsten Morgen ereignete sich für mich unter[56] dem Gerassel der abfahrenden Wägen inner dem Tore etwas sehr Bedenkliches. Ein Hoflakai kam zurückgelaufen und sagte mir, daß im Zimmer des Oberstkämmerers ein Aktenstück liegen geblieben sei. Ich rief mit lauter Stimme dem Portier zu, er möge jenes Zimmer schnell öffnen, und bald lief jener mit der vermißten Schrift wieder den Wägen nach. Betroffen kam aber der Stiftschirurg auf mich zu und warnte mich vor solch heftiger Anstrengung meiner Stimme, da ich einige Wochen zuvor an einem heißen Julius-Tag durch den Trunk eines in Eis gekühlten Wassers mir einen heftigen Krampfhusten zugezogen hatte und noch täglich im Magen geronnenes Blut ausspuckte. Der Äskulap fand dies noch immer nicht bedenklich, wenn nur kein frisches Blut gußweise nachkäme. Wirklich fühlte ich mich selben Tag immer unwohler, und gegen den Abend ward von solchem mein Waschbecken bis zur Hälfte erfüllt. Ich hielt meine Brust für immer beschädigt; mußte mich gleich zu Bette legen, beruhigende Mittel gebrauchen, und obschon nach ein paar Wochen kein weiterer Blutauswurf mehr erfolgte, so konnte ich doch noch lange darauf nur mit Anstrengung treppaufwärts gehen.

Vor der Abreise fragte mich der Kaiser, wann ich nach Wien kommen würde? »Zu Anfang des Kongresses«, gab ich zur Antwort. »Das ist mir lieb – sagte er – ich sehe es gerne, wenn auch vom Lande viele dazu kommen.« Ich traf denn zur rechten Zeit dort ein; und brachte den größten Teil des Winters im Gewühle der Hauptstadt zu. Besonders merkwürdig ward mir der Einzug der drei Monarchen, des Kaisers von Rußland, Alexander, des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm III., welche von der Praterallee aus links und rechts neben dem Kaiser Franz durch die Jägerzeile nach der Stadt ritten. Bald war eines Abends großer Cercle bei Hof, wo außer obgenannten zwei Monarchen die Könige von Bayern und Württemberg mit ihren Kronprinzen, der König von Dänemark, der Großherzog von Baden, Eugen Beauharnais, gewesener Vizekönig von Italien, u.s.w. freundlich mit uns sprachen und die berühmtesten Diplomaten Castlereagh, Talleyrand, Consalvi, Graf Hardenberg u.s.w. auf den eigens für sie erbauten Tribünen zu ersehen waren. Während der langsam vorwärts schreitenden Verhandlungen des Kongresses wurden Feste auf Feste zu Ehren der hohen Gäste gegeben, bis endlich der plötzliche Aufbruch Napoleons von der Insel Elba und seine Landung in Frankreich die Monarchen nach allen Richtungen wieder zu den Ihrigen zurückführte.

Bei dem Wiederausbruch des Krieges im J. 1813 hatte die allgemeine Schilderhebung im deutschen Vaterlande, das erste Mißlingen bei der Belagerung von Dresden, der entscheidende Tag von Kulm und endlich die große Völkerschlacht von Leipzig mein Gemüt vielfältig bewegt; ich lebte jene Szenen im Geiste mit und[57] hätte mich öfters gerne auf deren Schauplatz befunden. An dem Abend, an welchem General Neipperg mit der Siegesnachricht von Leipzig als Kurier hinter den blasenden Postillions und im Gefolge vielen Volkes durch die Straßen zu Pferde hinzog, befand ich mich eben in Wien und lief neben ihm her im jauchzenden Gedränge der Menschen vor Freude weinend bis zur Kaiserburg mit. Bald darauf schlug die Stunde des Theaters. Als die Kaiserin in der Hofloge des festlich erleuchteten Hauses erschien, da begann ein Jubel wie noch nie gehört ward, da wurde das Volkslied: »Gott erhalte Franz, den Kaiser! von der ganzen Volksmenge mit einem Enthusiasmus ohnegleichen gesungen, und mir schien, als ob die hellen Tränen auf allen Wangen den Glanz der Lichter noch vermehrt hätten. Freiwillig hatten auch die Bewohner Wiens, so viel es die Eile zuließ, alle Fenster sogleich beleuchtet. Nebst diesem Tage ward mir der Einzug des Kaisers in seine Hauptstadt am 14. Juni 1814 unvergeßlich – ich habe später im 12. Gesang des Heldengedichts »Rudolph von Habsburg« ein Bild davon zu entwerfen gesucht. Unermeßliche Vorbereitungen wurden dazu von den Landständen Niederösterreichs und den Bürgern Wiens gemacht. Nur die Beleuchtung allein hatte viele hunderttausend Gulden gekostet. Ich hatte dort und später noch öfters den Wunsch geäußert, wären doch nur diese zu einem dauernden Monument, etwa zum Ausbau der Kaiserburg, wozu alle Provinzen der Monarchie mit Freuden beigetragen hätten, dem Kaiser zu Ehren verwendet worden. Der Vorschlag geschah, aber der rechte Zeitpunkt, ihn zu nützen, ist versäumt worden. Das Herrlichste indes zur Erinnerung für meine ganze Lebenszeit ist mir die erste Feier des Jahrestags der Schlacht von Leipzig am 18-ten Oktober desselben Jahres geblieben. Der Himmel war grau umwölkt, und die Sonne kam den ganzen Tag nicht einen Augenblick zum Vorschein; doch war die Luft wie zu einer Sabbatstille mild und ruhig und vermehrte die Feierlichkeit des Festtags. Auf dem vorderen Wiesengrunde des Praters rechts von der Hauptallee war ein herrlich geschmückter Pavillon mit vier hohen Säulen und einem Traghimmel und Altar, zu welchem breite Stufen hinaufführten und der zur Abhaltung des Gottesdienstes, der sogenannten Lagermesse, bestimmt war, errichtet. Zehntausend Mann der ausgesuchtesten Truppen, Infanterie und Kavallerie umgaben ihn im Viereck. Der Kaiser mit der Kaiserin und seinen Brüdern und allen fremden Monarchen und Fürsten stiegen von ihren Wägen sich schwingend eilig die Treppe hinauf und nahmen die für sie bereiteten Plätze ein; für die Minister und andere hohe Herrschaften waren links und rechts Tribünen errichtet, der Feldbischof hielt den Gottesdienst ab. Gleich vom Beginn desselben bis zum Ende des Festes am späten Abend erscholl rings um den Prater her unaufhörlicher Kanonendonner. Nach der Messe setzte sich der festliche Zug[58] durch die Hauptallee bis zu dem Lusthaus hinab in Bewegung. Den Hofequipagen folgten die Truppen durch die unzählige Volksmenge, gewiß waren dort über zweimalhunderttausend Zuschauer gegenwärtig, und die Stadt rückwärts schien wie ausgestorben. Bald waren die fürstlichen hohen Personen, Herren und Damen, auf der ringförmigen Galerie des Lusthauses zu ersehen, die dort hinaufstiegen, um die vorbeidefilierenden Truppen zu betrachten. Jedesmal, wenn Scharen eines Regiments, dessen Inhaber einer der anwesenden Fürsten war, Kaiser Alexander, König Wilhelm von Preußen u.s.w. näher kamen, eilten diese herab, setzten sich zu Pferde und führten sie vor dem Kaiser zum Gruß den Degen senkend vorüber. Dann zogen diese über die mit Kriegstrophäen geschmückte Schiffbrücke auf dem schmälern Donauarm nach der Simmeringer Heide hinüber, wo von solchen Trophäen eine riesige Pyramide errichtet war, und von welcher sich sternförmig nach allen Richtungen unabsehliche gedeckte Tische hinausdehnten; denn bei diesen und jenen, die sich im Prater selbst durch alle Seitenalleen endlos erstreckten, wurden an diesem Abend die Truppen, Offiziere und Gemeine, festlich bewirtet. Für die Generalität wurden im unteren Saale des Lusthauses Erfrischungen bereitet. So endete dieser große, unvergeßliche Tag! Möchte er doch alljährlich durch alle Provinzen der österreichischen Monarchie noch festlicher, als es seitdem geschah, begangen werden! Wer könnte ihr den Vorzug streitig machen, daß es in jener Völkerschlacht das größte Gewicht in die Waagschale des Krieges legte und durch unerschütterlichen Widerstand unter allen die größte Zahl der Toten auf dem Wahlplatze ließ!

Am 15. Juni 1815 wurde unter Wellingtons Kommando der entscheidende Sieg von Waterloo errungen, welcher der Herrschaft Napoleons ein Ende machte. Die Nachricht davon kam am 27-sten desselben Monats nach Lilienfeld, und zwar während der Mittagstafel, wo eben zur üblichen Feier meines Namenstages über hundert Gäste zugegen waren. Unter diesen befand sich auch der alte Feldmarschall-Lieutenant Freiherr von Mack und er war es, der den Siegesbericht mit dem größten Enthusiasmus vorlas und in allen Anwesenden einen gleichen erweckte. Da ich hier von dem Verhältnisse, in welchem ich damals zu ihm stand, zu sprechen habe, so will ich einen Artikel, welcher das Nötige darüber enthält, anführen. Ich fand ihn vor ungefähr zwei Jahren in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur und Mode vom 1. März 1831 Nr. 26. folgenden Inhalts:


F.M.L. Freiherrn von Mack's Grabstein in dem Friedhof von St. Pölten. (Eingesendet)

Es ist so meine Gewohnheit auf Reisen, daß ich, angekommen auf einer Poststation, aus dem Wagen steige, und während die Pferde gewechselt werden, voraus fort schlendere. Liegt dann ein Begräbnisplatz an meinem Wege, so versäume ich es selten, mich in demselben[59] umzusehen, da er vielfältigen Stoff zu ernsten Betrachtungen bietet. Der Friedhof vor dem Linzertore des artigen Städtchens St. Pölten stand eben offen, und ich ging an der rechten Seitenwand hinauf, wo ich eine beträchtliche Zahl von Denksteinen eingemauert fand. Unter diesen hielt mich jener des F.M.L. Freiherrn von Mack wie mit einem Zauberstabe fest. Wer denkt, da er seinen Namen sieht oder hört, nicht sogleich der Tage von Ulm und des unglücklichen Feldzuges vom J. 1805, der ihre Folge war? Er ist darum vielfältig getadelt, oft auch entschuldigt worden. Die Nachwelt möge ihn unparteiisch richten, wenn es ihr anders nicht an den entsprechenden Behelfen mangeln wird. Gewiß ist es, daß F.M.L. Mack von sehr ausgezeichneten Männern bis an sein Ende in Ehren gehalten und noch einige Jahre vor demselben auch von seinem gütigen Monarchen mit besonderer Gnade behandelt worden ist. Das Denkmal, von welchem hier die Rede ist, setzte ihm sein jüngster Sohn, Rittmeister in kais. österreichischen Diensten, und die Inschrift lautet folgendermaßen:


Hier ruht

Carl Freiherr von Mack von Leiberich, k.k.F.M.L. und Ritter des militär. Maria-Theresienordens. Geboren den 24. August 1752 – gestorben den 22. Oktober 1828.

Unglücklich, doch ungebeugt im Sturm der Zeit; hoher Verdienste wegen geehrt von dem Besten der Herrscher; geliebt und verehrt bis zum Grabe von Gattin, Kindern und Freunden.

Dann folgen in einer Vertiefung folgende Verse:

...in des Glückes sonnenhellen Tagen

Hat auf glänzender Bahn ein Hochgewitter

Dich ereilt, und grimmig zerstört dir alsbald

Segel und Maste!

Aber gerettet blieb dir nach dem Sturme noch

Für die stillere Einsamkeit: Bewußtsein,

Liebe, Achtung edeler Menschen, und mild

Tröstende Freundschaft!

L.P.


Dem Andenken des geliebten Vaters usw. weiht dies Denkmal der dankbare Sohn. –

Ich erfuhr in der Folge, daß obige Verse aus einem Gedichte genommen wurden, welches ihm im J. 1815 der damalige Abt des Stiftes Lilienfeld, Ladislaus Pyrker, Verfasser der ›Tunisias‹, des ›Rudolph von Habsburg‹ und der ›Perlen der hl. Vorzeit‹ geweiht hatte, und welches ich hiemit zur öffentlichen Kenntnis bringe; es lautet so:


An den Freiherrn Carl von Mack


Eilend die Weltbahn fort auf stiller Meersflut

Fliegt das herrliche Schiff; es glänzt des Himmels Bogen,

Morgenschimmer lächelt hernieder; freudig

Wiegt in des Segels

Schneeigem Busen sich der rasche Fahrwind,

Rings umhüpfen des blauen Wellenreiches

Muntere Bewohner des schnellen Kieles

Silbernen Schaumpfad;

Drängend vor Hast erfüllt des Volkes Menge,

Nah' und ferne, das Küstenland, und jubelt,

Preist das Segenerfüllte, ruft ihm

Glück auf die Fahrt nach!

Aber urplötzlich trübt den heitern Himmel

Nachtgewölke; der Sturmwind tobt, die Blitze

Zucken, und im Morgentumult forthallet

Schrecklicher Donner;[60]

Berstend entsinkt der Mast dem Bord; zerrissen

Fliegen Segel im Wind; loskracht des Schiffs Raum,

Und das Volk erbebet dem nahen Tode ...

Aber erfahren

Lenkt es der Steurer kühn durch Sturm und Wetter

In den schirmenden Port; dort sieht er freudig

Seine beste Habe gerettet – schöner

Lacht ihm die Zukunft.

Freund! in des Glückes sonnenhellen Tagen

Hat auf glänzender Bahn ein Hochgewitter

Dich ereilt, und grimmig zerstört dir alsbald

Segel und Maste.

Aber gerettet blieb dir nach dem Sturm noch

Für die stillere Einsamkeit: Bewußtsein,

Lieb' und Achtung edeler Menschen, und mild

Tröstende Freundschaft!


Lilienfeld, 1815.

L.P.


Schon hatte der Postillion einige rasche Töne der Ungeduld hören lassen; ich eilte bewegt nach meinem Wagen, und die Pferde trabten auf der stäubenden Straße weiter.

E+ + +


General Mack wurde, wie bekannt, infolge der Übergabe von Ulm 17. X. 1805 durch ein Kriegsgericht zum Tode verurteilt; das Urteil in Festungsarrest abgeändert, und er seines Ranges und Ordenszeichens beraubt nach ein paar Jahren wieder auf freien Fuß gestellt. Er lebte dann auf seiner kleinen Herrschaft in Böhmen mit seiner Familie zurückgezogen; übergab jene später an seinen Sohn und kaufte ein kleines Gütchen in der Nähe der Stadt St. Pölten in Unterösterreich, von wo er dann mit seiner Gattin, einer ausgezeichnet gebildeten Frau, zu mir nach Lilienfeld zum Besuche kam. Ein Sohn des Kriegers und ein Freund des Soldatenstandes von Jugend auf fand sich bald die gegenseitige Annäherung, und ich muß gestehen, daß ich stets bis jetzt in mein weit vorgerücktes Alter mit den vorzüglichsten Männern aus demselben in angenehmer Berührung stand, mit ihnen gerne Umgang pflog und in gegenseitiger Sympathie mich ihres besonderen Wohlwollens erfreute. So hat mir selbst der erhabene Sieger von Aspern seit mehr als dreißig Jahren schriftlich und mündlich unzählige Beweise seiner Huld gegeben, und ich hoffe sie auch bis zu meinem Ende zu bewahren. Der glückliche Augenblick, wo sie ihren Anfang nahm, war im Spätsommer des J. 1813, als ich von Lilienfeld aus berufen wurde, in dem k.k. Gußwerke hinter Mariazell einer Zusammenkunft zwischen ihm und dem Erzherzog Johann beizuwohnen. Dieser reiste am folgenden Morgen wieder nach Graz zurück, ich aber sollte den Erzherzog Karl nebst seinen beiden Kammerherren[61] nach dem Gipfel des Ötschers geleiten, der sonst der Mons altissimus Austriae inferioris hieß, seit den neuesten Messungen aber hinter dem Schneeberg bei Wiener-Neustadt, der über 6.300 Fuß mißt, beinahe um 300 Fuß weniger im Range steht. Den ersten Tag gelangten wir zur Alpenhütte, wo in einer schnell errichteten Laubhütte bei Alpengesang und nah' und fern ertönendem Jubelruf ein bescheidenes Mahl genossen ward. Am nächsten Morgen wurde die Höhe erstiegen; unter Weges bei der Fahrt in das Stift nächst Annaberg der merkwürdige Lassingfall (von welchem weiter unten ein Mehreres) besehen und spät abends in das reich beleuchtete Kloster eingefahren. Ihn, der in seinem Leben, besonders nach den glücklichen Feldzügen 1796 und 1799 als Sieger und Retter Deutschlands so viele solche Auszeichnungen erfuhr, freute diese kleine Aufmerksamkeit (jetzt im J. 1813!) so sehr, daß er mir, der ich in seinem Wagen an seiner Seite saß, mit einem lauten Dankruf die Hand und das Knie drückte. Das beleuchtete Stiftsgebäude, durch eine Bergwand und ein breites Gebäude, durch dessen hochgewölbtes Tor eingefahren wird, [verdeckt,] kam plötzlich und erst im letzten Augenblicke überraschend zum Vorschein. Den folgenden Tag blieb er noch im Stifte und reiste dann nach Wien zurück. Seitdem und bis zu meinem Abgang von dem Stifte (1819) kam er jährlich zu einer kleinen Lustreise dorthin; blieb einige Mal drei bis vier Tage, um mit mir die Lilienfelder Alpen und andre Höhen zu besteigen. Auch später als Patriarch von Venedig und Erzbischof von Erlau wurde ich freundlich aufgefordert, mit ihm und seinen Kindern die Alpenfahrt zu machen, die so wie er sie in meiner Gesellschaft zum ersten Mal besteigen sollten. Am tiefsten rührte es mich aber, als er gleich nach der ersten Entbindung seiner Frau, Henriette von Nassau, von der Prinzessin Therese, jetzigen Königin von Neapel, zu mir in das Stift kam, um mir seine junge Frau, wie er sagte, aufzuführen. Ich mußte sie auf ihrer Gebirgsreise bis nach Mariazell begleiten; weiter bis nach Gmunden in Oberösterreich ließ mich ein wichtiges Geschäft daheim nicht mitfahren. Noch immer habe ich das Glück, bei meinen jährlichen Reisen nach und über Wien entweder in der Stadt oder in der Weilburg draußen in Baden wie einer der Seinigen mit besonderem Wohlwollen empfangen zu werden. Im J. 1818 sandte er mir sein vortreffliches Werk: »Grundsätze der Strategie, erläutert durch die Darstellung des Feldzugs von 1796 in Deutschland, mit Karten und Planen. 3 Teile. Wien 1813.« Prachtausgabe, – im J. 1822 seine »Geschichte des Feldzugs von 1799 in Deutschland und in der Schweiz, mit Karten und Planen, 2 Teile, Wien 1819« – ebenfalls Prachtausgabe, – und im J. 1828 sein treffliches gemaltes Porträt in einem reichvergoldeten Rahmen. Nicht um mich zu brüsten, führe ich alle diese Umstände an, sondern um Dank und Verehrung vor aller Welt kund zu tun für diesen wahrhaft großen Mann, den[62] Retter Österreichs bei Aspern, dem dort billig das herrlichste öffentliche Denkmal gesetzt werden sollte!

So sind der Feldmarschall Fürst von Wrede in München, Freiherr von Stipsitz, Vizepräsident des Hofkriegsrats in Wien, Feldzeugmeister Marquis von Chasteler und die Generale Fölseis und Mohr in Venedig, General der Kavallerie Freiherr von Frimont in Padua, Baron Taxis und Graf Castiglioni, Generalmajor in Erlau nebst anderen mir mit freundschaftlichem Wohlwollen zugetan geworden und geblieben.

Mack kam alljährlich in einem der Wintermonate auf mehrere Tage zu mir in das Stift, wo er mir dann in den einsamen Abendstunden nach und nach die Schicksale seines vielbewegten Lebens, seinen Anteil an den Kriegstaten 1788 vor Belgrad, 1793 und 94 bei der Rheinarmee in Belgien ohne Ruhmredigkeit erzählte und über die folgenden Ereignisse wichtige Aufschlüsse gab, die aber nicht der Öffentlichkeit übergeben werden können. Anerkannt war er ein vortrefflicher Generalquartiermeister, ein Mann feurigen Geistes, der die kühnsten, von allen Kennern bewunderten Plane entwarf und der nichts für unmöglich hielt. Die Überrumpelung der französischen Kantonierungen an der Röhr, der Entsatz von Maastricht und die Erstürmung des Lagers bei Fomar – außerdem die Einnahme von Valenciennes, Charleroy u.s.w. zeugen davon. Sein Unglück war es, daß er 1798 in Neapel und 1805 in Deutschland die Stelle eines kommandierenden Generals übernehmen mußte. Alle, die ihn früher kannten, haben ihm das Zeugnis der Rechtlichkeit gegeben. – Volle Begnadigung durch seinen gütigsten Monarchen Franz I. ward ihm im J. 1818, wo er ihm seinen Rang als F.M.L. mit der entsprechenden Pension, den militärischen Maria Theresia-Orden und den Titel eines Geheimen Rates wieder zurückgab und mit der zartesten Rücksicht ihm diese frohe Nachricht durch der Erzherzog Karl in Wien, wo er sich eben befand, bekannt machen ließ.

Die Lage des Stiftes an der nach Mariazell in Steiermark und über Aflenz nach Bruck an der Mur führenden Straße zog sehr viele Fremde alljährlich hin und jetzt auch der berühmte Wasserfall, Lassingfall genannt, am Fuße des Josephberges, den ich im J. 1813 bekannt und durch Herstellung eines Weges an den Seiten hoher Felswände den Besuchern zugänglich gemacht hatte. Sonderbar genug, daß er nach dem Verlauf so vieler Jahrhunderte erst zu hohem Ruhm gelangen sollte. Herr Roßthorn, aus England stammend und Inhaber mehrerer Eisenwerke in Österreich und Steiermark, hatte sich unferne von Mariazell ein romantisch gelegenes Landhaus gekauft, auf einem seiner botanischen Ausflüge den Lassingfall, da er unzugänglich war, mehr geahnt als gesehen und mich darauf aufmerksam gemacht. Bei obenerwähnter Gelegenheit gab ihm Erzherzog Karl vor dem Rheinfall bei Schaffhausen den Vorzug, obschon wir ihm durch[63] gefahrvolle Versuche nur seitwärts nahen konnten. Ich versuchte später eine ihm gegenüber beinahe senkrecht aufragende Felswand zu erklettern und als es mir endlich nach vielen gefahrvollen Mühen gelang, auf eine vorspringende Steinplatte stehen zu kommen, so war ich von diesem großartigen Schauspiel ganz ergriffen. Der Lassingbach stürzt sich, von den östlich gelegenen Seitentälern des Annabergs kommend, durch eine hochaufgetürmte Felsenschlucht in dreifachen Windungen in die Tiefe des Ötschergrundes 270 Fuß senkrechter Höhe, 395 Fuß horizontaler Länge herunter, und beinahe ein Dritteil desselben fällt noch der Steinplatte gegenüber, auf welcher jetzt ein Pavillon steht, wie aus einem Felsentor hervorbrausend, in einen umschlossenen Abgrund hinab, so daß man unten im Tale den hervordringenden Bach wohl sieht und hoch oben ein gewaltiges Brausen hört, ohne den Wasserfall erblicken zu können. Seit etwa siebenzig Jahren wurde der Lassingbach benützt, die in den Annaberger Tälern erzeugten Brennhölzer in den Ötscherbach und in den Erlauf-Fluß, mit welchem er sich dort vereint, zu schaffen. Von dort weiter werden sie dann mit Hilfe der Klausen (Schleusen) auf der Erlauf bis an den Rechen an der Donau und auf Schiffen dreißig- bis vierzigtausend Klafter jährlich nach Wien zum Verkauf gebracht. Unterhalb der Stelle, wo der Lassingbach sich von der Ebene in die Felsschlucht hinabzustürzen beginnt, wurde eine große Schleuse erbaut, das Wasser zu einem Teiche zu sammeln und es dann zur Fortschaffung der Scheiter von Zeit zu Zeit durch Eröffnung des Schleusentores loszulassen. Da tobt es dann wie eine breite Schneelavine mit furchtbarem Gebraus in die Tiefe hinab; der Wasserstaub fliegt himmelempor, im erregten Windstrom schwanken die höchsten Fichten wie leichte Kornähren an beiden Seiten der Berge, und da kann man sich den Fall des Rheinstromes bei Schaffhausen vergegenwärtigen. Nur ist die auf solche Art ein Kunstprodukt, das zur Sommerszeit den Reisenden auf Verlangen vorgezeigt wird, nicht aber bei dem Übertritt des Winters in das Frühjahr, wo das Schmelzen des Schnees den Lassingbach zu einem gleich mächtigen Strom gestaltet und ihn, der schon im gewöhnlichen Zustand äußerst malerisch ist, durch die weit bedeutendere Höhe des Falles, da er senkrecht 270 Fuß und der Rhein nur 80 Fuß hoch in die Tiefe stürzt, sich den Vorzug erringen möchte.

Rechts von der eben beschriebenen Schlucht liegt über frische, grünende Matten ein Bauernhof, neben welchem ein Fußsteig bis zum Rande des Berges hinaufführt. Dort angelangt fährt man beinahe erschrocken zurück, denn es tut sich den erstaunten Augen ein ungeheurer Felsenkessel auf, wie er nicht leicht wieder anderswo gefunden werden könnte. Der über sechstausend Fuß hohe Ötscher ragt aus der Tiefe bis zu seinem Gipfel mit seinen schwarzgrauen Felsenwänden nackt und kahl empor; an seinem Fuße fließen der[64] Lassing- und der Ötscherbach und die Erlauf in ein Rinnsal zusammen und eilen durch die sogenannten Erlaufmauern über Gaming der Donau entgegen. Ringsherum türmen sich ähnliche Felsenmauern auf, nur von dem obenerwähnten Rande des zugänglichen Berges zieht sich über kärgliches Steingras, Gestrüpp und Geröll eine minder starre Wand nach der Tiefe hinab, und auf dieser beschloß ich einen zwar schmalen, aber so viel möglich sicheren Fußsteig im Zickzack herstellen zu lassen. Die größte Schwierigkeit bot dann jener steile Felsen, auf welchem der zur Betrachtung des Wasserfalles nötige Standpunkt errungen werden sollte. Es blieb nichts anderes übrig, als an selben angelehnt zwei Reihen besonderer Fichtenstämme mit ein paar Absätzen oder Ruhepunkten bis hinauf zu zimmern und 162 starke Bretterstufen in selbe einzustemmen. Oben wurde dann eine nach dem Wasserfall hin offene, gedeckte Bretterhütte errichtet.

Schon war diese Arbeit im J. 1814 ziemlich weit vorgerückt, als ich zu Anfang des Monat Juli 1815 von dem Erzherzog Rainer, Vizekönig des lombardo-venezianischen Königreichs, damals in Geschäften S.M. dem Kaiser ad latus, eine Staffette aus Wien erhielt des Inhalts, daß Ihre M. Marie Louise, Erzherzogin und Herzogin von Parma, nach einigen Tagen in das Stift kommen würde, um sowohl selbes, als auch dessen Umgebung bis Mariazell zu besehen, und ich darum ersucht werde, ihr diesen Ausflug in unsre Gebirgsgegend, so viel möglich, angenehm zu machen. – Vor allem anderen fuhr ich sogleich drei Posten weit bis unter den Fuß des Josephsberges, um mit dem Waldmeister des Schwemminhabers die Herstellung des Weges zu dem Lassingfall zu beschleunigen, zu welchem Ende hundert kräftige Holzknechte herbeigerufen wurden, welche die ganze Arbeit in drei Tagen vollendeten. Ein paar Tage vor der Ankunft der Erzherzogin kam[en] ihr Hausintendant, Koch, Stallmeister und Kammerfrau an, lauter Franzosen, die ihr von Paris als frühere Dienstleute gefolgt waren. Es war für mich sehr interessant, mit diesen über so manches auf den Kaiser Napoleon Bezügliche zu sprechen, und sie gaben freundlich und gerne Bescheid. Alle waren enthusiastisch für ihn eingenommen, besonders die ältliche Kammerfrau wiederholte öfters die Worte: »Vraiment, c'était un grand homme« Auf die Frage, wie sich die Kaiserin in ihre Lage gefunden hätte, nachdem es hieß, sie wäre nur gezwungen seine Gattin geworden, gab sie die Antwort, sie wäre in ihrem Innersten überzeugt, die Kaiserin habe sich glücklich gefühlt. Im J. 1811, als er sie wie im Triumphzug durch Frankreich, Belgien usw. herumführte, habe sie allüberall die Vergötterung des Napoleon le Grand gehört und gesehen. Überdies habe er besonders auf Reisen die zarteste Rücksicht für sie bewiesen. Er sei Soldat und der Entbehrungen gewohnt – nur seiner Frau solle es an keiner[65] Bequemlichkeit mangeln, sagte er bei jeder Gelegenheit; ihre Wohltätigkeitsliebe auszuüben, standen ihr Schätze zu Gebote; endlich habe sie ihm einen Sohn geboren; lauter Veranlassungen, ihm ihre volle Zuneigung zuzuwenden. Dies alles bestätigen auch ihre Mitgenossen.

An einem Nachmittag erfolgte ihre Ankunft in der Gesellschaft ihrer Hofdame, der Gräfin Scarampi aus Mailand. Während ich sie über die Treppe in die für sie bereiteten Kaiserzimmer führte, ging sie freundliche Worte sprechend und ihr Gesicht gewohntermaßen gegen die Brust senkend, das noch überdies von einem breiten Strohhut verhüllt war, so daß ich ihr erst im Zimmer, als sie sich an die Brüstung des Fensters gelehnt gegen mich wandte, in die Augen sehen konnte, an meiner Seite einher. Ich erstaunte, wie sehr sie an Schönheit und edler Haltung, seit ich sie das erste Mal sah, gewonnen hatte; dies war am 11. April 1810, wo sie durch Prokuration an den Kaiser Napoleon vermählt wurde, zu welcher feierlichen Handlung er seinen berühmten Waffengenossen, Marschall Berthier, nach Wien gesandt hatte. Tags darauf gab der Prinz Albert, Herzog von Sachsen-Teschen, öffentliche Tafel, während welcher ich, einer der begünstigten Zuschauer, ihr gegenüberstehend sie sattsam betrachten konnte.

Nachdem sie jetzt eine geraume Zeit mit mir gesprochen, ich ihr den Plan eröffnet, welche Lustpartien durch fünf bis sechs Tage gemacht werden könnten, und mich darauf empfohlen hatte, kam mir die Gräfin Scarampi nach und sagte, Ihre Majestät wünschten, daß ich während ihres Hierseins sowohl beim Diner (7 Uhr abends) als auch beim Dejeuner (12 Uhr mittags) mit ihnen beiden speisen sollte, was dann auch sowohl im Stifte als auch bei den folgenden Exkursionen geschah. – Hier finde ich es nötig, etwas zu bemerken, auf was ich erst später aufmerksam gemacht wurde, nämlich, daß gerade um jene Zeit das Schicksal Napoleons entschieden werden sollte, als er sich auf den Bord der Fregatte Bellerophon begab, dann zuerst nach der Themse und bald darauf nach St. Helena abgeführt wurde!

Nach dem ersten Diner, welches von 7 bis 9 Uhr abends dauerte, winkte mir die Gräfin, wir sollten der Erzherzogin in ihr Empfangszimmer folgen. Dort saß sie auf dem Kanapee und wir beide vor ihr eine und auch anderthalb Stunden lang in den mannigfaltigsten Gesprächen hingehalten, bis sie sich mit einem freundlichen »Gute Nacht!« zur Ruhe begab. Auch dies wiederholte sich jeden Abend auf gleiche Weise. Von den Gegenständen der Gespräche will ich nur ein paar jener erwähnen, die sich auf ihren damals vierjährigen Sohn und den Kaiser Napoleon bezogen. Als ich ihr sagte, wie sehr sich die Wiener freuten, sooft sie ihren kleinen Prinzen ausfahren sehen und besonders darüber, daß er ihnen auf ihre Grüße so freundlich danke, erwiderte sie: »Ich will[66] ihn frühzeitig lehren, sich freundlich gegen jedermann zu benehmen. – Nicht wahr, Gräfin, ich vergesse mich öfters noch immer?« sagte sie lächelnd zu dieser. Bekanntlich saß sie öfters in sich gekehrt, ohne aufzusehen, im Wagen, was man, obgleich mit Unrecht, für eine mürrische Laune deutete. Auch erzählte sie uns, wie unbeschreiblich groß die Freude Kaiser Napoleons über sein neugeborenes Söhnlein war. Etwa am vierten oder fünften Abend nach dessen Geburt stand er lange vor seiner Wiege (eigentlich Korb), worin es lag, gab ihm die zärtlichsten Namen und steckte ihm endlich eine gesottene Pflaume von jenen, die für sie bereitet zunächst auf einem Teller sich vorfanden, in den Mund, so daß das arme Kind davon bald erstickt wäre, er aber in Angst und Schrecken geriet. Bei einer anderen Gelegenheit, wo von den französischen Dichtern und insbesondere von Voltaires Schriften die Rede war, und ich unter diesen eine für mich der empörendsten die »Faceties« bezeichnete, sagte sie, auch mehr nach der Gräfin hin gewendet, daß Kaiser Napoleon ihr während der ersten Zeit ihrer Ehe – »wissen Sie Gräfin?« – so auf gut soldatisch befohlen habe, die Werke des Voltaire zu lesen, was sie auch durch die ersten zehn Bände meistens dramatischen Inhalts unternahm, doch als sie das eben besagte Werk »Les Faceties« beiläufig bis zur Hälfte durchgesehen hatte, da erklärte sie ihm ganz ernsthaft, sie wolle nicht weiter lesen, und sandte ihm die übrigen Bände zurück. Wobei er es dann auch bewenden ließ. Mich däucht, dies gereichte sowohl ihr als ihm zur Ehre. Als ich eines Abends bei Tische bemerkte, gehört zu haben, daß sie vortrefflich Klavier spiele, und wir uns nach demselben wie gewöhnlich in ihren Salon zurückgezogen hatten, sprang sie mitten im Gespräch von dem Sofa auf, eröffnete das im Zimmer stehende Fortepiano und spielte mir über eine Stunde mehrere Sonaten und Stücke aus den beliebtesten Opern mit großer Fertigkeit vor, von welchen ein paar als die Lieblingsstücke Napoleons bezeichnet wurden.

Zum ersten Ausflug hatte ich die Reise nach Mariazell in der Steiermark auf einer Seitenstraße über Hohenberg und St. Ägyd, wo bedeutende Eisen- und Stahlfabriken von Säbelklingen, allen Gattungen von Feilen, Sensen, Drahtzügen und gewalztem Blech des unternehmenden Herrn Fischer und Söhne zu sehen sind. An dem Fuße des steilen Kreuzberges, über den man zu dem Markte Mariazell gelangt, befindet sich die zur Förderung der Scheiterschwemme errichtete Maschine, der Holzaufzug genannt, wo durch die Gewalt des Wassers getrieben ein mächtiges Rad in zwei Kropfstücken (geschweißten Hülsen) bald links, bald rechts sich drehend die Scheiter auf niedrigen Wägelchen hinauf zur Höhe des Berges fördert, von wo sie dann durch Pferd und Ochsenzüge nach dem nahen Erlaufsee und von dort in den von dem Lassing- und Ötscherbach verstärkten Erlauffluß geschafft,[67] um, wie oben gesagt, nach Wien befördert zu werden. Die beiden vierrädrigen Wägelchen, wovon das eine jedesmal mit Scheitern beladen auf einem doppelten und mit einem Bretterdach bedeckten Schienenweg von Holz aufwärts und das andere leer herunterrollt, werden von der Maschine mittels eines Seiles, das zwischen den Rädern straff an den Boden streift, in sehr schnelle Bewegung gesetzt und stehen nur stille, wenn auf und abgeladen wird. Nachdem die Erzherzogin dieser industriellen Beschäftigung einige Zeit stillschweigend zugesehen hatte, wandte sie sich schnell nach mir herum und bat mich, Anstalt zu treffen, daß sie auf den Scheitern sitzend aufwärts gezogen werden möchte. Ich machte ernste Vorstellungen dagegen, da bei dem möglichen Zerreißen des Seiles große Gefahr drohe, und erst ein Jahr vorher einigen Wallfahrtern, die sich aus Unterhaltung hinaufziehen ließen, Arme und Beine zerschlagen wurden. Sie sah dem regsamen Treiben wieder eine Weile zu, wandte sich wieder zu mir und sagte noch dringender wie zuvor: »Lieber Herr Prälat, machen Sie doch, daß wir hinaufkommen!« Als ich endlich unüberlegt einwilligte, sah ich die zwei Beamten aus dem k.k. Gußwerk, die, sie zu bewillkommnen, abgesandt waren, leichenblaß zurücktreten. Doch auf ein Abstehen davon war nicht mehr zu denken; ich wählte daher ein paar der kräftigsten Holzknechte, die mit einem Strick in der Hand, der an die Tragbalken des Wägelchens befestigt ward, neben demselben mit hinauf dringen sollten, was wegen der schnellen Fahrt keine leichte Aufgabe war. Vorher wurde beiläufig eine halbe Klafter Scheiterholz aufgeladen, damit das Seil straff wurde, die bei den Damen ließen ihre Mäntel und Shawls darauf breiten und setzten sich, mit dem Rücken nach der Höhe gewendet, auf, – mir ward die untere Stelle, die ich mit hinabhängenden Füßen einnahm. Die Maschine wurde in Gang gesetzt, und wir waren in schwindelnder Eile nach wenigen Minuten oben angelangt. Die Erzherzogin, wie ich deutlich merkte, war froh, die Fahrt glücklich bestanden zu haben, und beschenkte die Leute reichlich. Oft dachte ich seitdem bei mir selber, warum war ihr dort die gefahrvolle Unternehmung so wünschenswert erschienen? Denn was geschah? Den folgenden Tag, als wir eben bei der Mittagstafel saßen, ward ich hinausgerufen; die beiden Beamten des Gußwerks waren wieder erschienen, mir zu melden, das Seil sei vor einer halben Stunde entzweigerissen worden. Ich gebot, für jetzt es geheim zu halten, und machte es auch der Erzherzogin nicht zu wissen; doch bei einer anderen Gelegenheit, von welcher weiter unten die Rede sein wird, tat ich es mit einigem Vorwurf, welcher Verantwortung sie mich ausgesetzt hätte, in Gegenwart ihres kaiserlichen Vaters selber.

Der folgende Tag war im Rückweg von Mariazell in das Stift der Besichtigung des Lassingfalles gewidmet. Am Fuße[68] des Josephberges fährt von der sogenannten Wienerbrücke der Pfad bis zur Höhe des Bauerngehöftes, die man zu Fuß, zu Pferd oder auf einspännigen Wägelchen in einer halben Stunde erreicht. Erstaunen faßte die Erzherzogin bei dem Anblick des großen Felsenkessels am Ötscher. Von dort ritt sie auf einem verläßlichen Gebirgspferde, das ihr Stallmeister am Zaume leitete, nachdem er den mitgebrachten Damensattel aufgelegt hatte, auf dem neuen Zickzackweg bis in die Tiefe hinab.

Als wir die hölzerne Treppe 162 Stufen aufwärts stiegen, und ich bemerkte, daß der Erzherzog Karl den Lassingfall großartiger als jenen des Rheins bei Schaffhausen und schöner als die meisten in der Schweiz gefunden habe, sagte sie achselzuckend, sie habe erst voriges Jahr die Schweiz bereist und werde sehen, ob es sich also verhalte. Als wir aber auf der Platte unter der Hütte angelangt waren, und nun die Lassing nach den losgelassenen Schleusen in furchtbarer Majestät über die Felsen in die Tiefe herabdonnerte, im mächtigen Luftstrom die höchsten Tannen allumher hin und her schwankten, der Staubregen hoch gen Himmel aufwirbelte und im hellen Sonnenschein des Mittags eine große Anzahl von Regenbogen über den brausenden Fluten sich wölbte, da wandte sie sich schnell mit hocherhobenen Armen nach mir herum und rief: »Es ist so – es ist so – ich habe nie einen schöneren gesehen!«

Abends langten wir in dem Stifte an. Nach Tische und dem gewöhnlichen Salongespräch meinte ich, würde sie sich ermüdet von den heutigen Strapazen früher zur Ruhe begeben; doch, als ich mich entfernen wollte, äußerte sie den Wunsch, die Hallen der großen gotischen Stiftskirche und der Kreuzgänge bei Kerzenschein, es war schon nahe an elf Uhr, sehen zu wollen. Ich führte also die beiden Damen, ihren Dienern, welche die Lichter trugen, folgend, über eine Seitentreppe hinunter. Während dieser schauerlichen Wanderung kamen nur einzelne bewundernde Worte aus ihrem Munde. Sie stand öfters stille und schien in tiefe Betrachtungen versunken.

Verläßlichere Gebirgspferde waren von Annaberg herab bestellt, und am nächsten Morgen wurde die Besteigung der Klosteralpe unternommen. Als ich neben ihr ritt, und sie fragte, ob sie nach dem Mühen des gestrigen Tages gut geschlafen habe, sagte sie in langgedehntes »Nein!«; sie habe abends zuvor eine Staffette vom Erzherzog Rainer erhalten – dann noch bis nach Mitternacht Briefe geschrieben und obgleich ermüdet noch lange darauf nicht einschlafen können. »Sie wissen schon,« – sagte sie nach einigem Schweigen hinzu – »wenn man unglücklich[69] ist ...« Diese Äußerung und die nächtliche Wanderung zeugte also von einem tiefbewegten Gemüt, und der von Wien erhaltene Brief gab wahrscheinlich von dem entschiedenen Schicksal Napoleons Kunde! – Die Alpenreise fiel übrigens ganz herrlich und für sie höchst befriedigend aus. Der schönste Tag begünstigte das Unternehmen, und die Aussicht von dort ist unbeschreiblich schön – ja einzig, denn man müßte ein zweites Unterösterreich mit seinem breiten Donaustrom und seinen unzähligen Städten, Klöstern, Dörfern und Burgen hinzaubern, um sie anderswo finden zu können. Sie reicht im Süden über einen Teil der Stadt Wien bis an den Schneeberg und mehr rechts an die steirischen Hochgebirge; im Westen an den großen Briel und den Traunstein in Oberösterreich, im Norden über das Marchfeld an Böhmens und Mährens Höhen, und im Osten an die Karpaten, die sich von Preßburg links immer höher emporheben. Die Lilienfelder Alpen, gegen viertausend Fuß über dem Meere hoch, sind in der norischen Alpenkette zunächst an die unermeßliche Fläche hinausgeschoben und darum bieten sie eine Fernsicht nicht nach starren Gletscherhöhen, sondern nach allwärts reichbelebten Fluren, welcher an Herrlichkeit weder jene von der Rigi, noch von dem Schafberg gleichkommt. Sowohl diese, als auch der Lassingfall sind im 2. Gesang der Rudophias beschrieben.

Am nächsten, gleichsam an einem Ruhetage, wurde das Innere des Stiftes, die Bibliothek, das Naturalienkabinett, der Meierhof und der Garten besichtigt, und von dem vierseitig gebauten, mit vielen roten Marmorsäulen verzierten gotischen Kreuzgange manche Zeichnung entworfen. Die Erzherzogin brachte über zwei Stunden sitzend daselbst zu, und ich fand jene sehr gelungen. Endlich wurde am Tage der Abfahrt das Mittagessen in dem anderthalb Stunden vom Stifte entlegenen Schloß Bergau veranstaltet. Dieses liegt an der Seitenstraße, welche von Lilienfeld über Hainfeld, Hl. Kreuz und Mödling durch liebliche Gebirgsgegenden nach Wien führt. Selbes kam mit der Herrschaft gleiches Namens und Kreisbach mit derselben durch Kauf in den Besitz des Stiftes zu jener Zeit, als die Schweden an der Donau vor Wien standen, und ihr Besitzer, Freiherr Jörger, in Folge der Reformation Protestant geworden, mit noch einigen andern Häuptern der Rebellen in das Zimmer des Kaisers drang, diesen an einem Knopfe seines Rockes faßte und ihm zurief: »Ferdinand, willst du unterschreiben?«, weswegen er später geächtet und seiner Güter beraubt wurde. Nach Tische kurz vor ihrer Abfahrt wollte sie auf einem Hügel, unter hohen Tannen stehend, die schöne Gegend noch einmal betrachten, und als ich die Worte rief: »Österreich[70] ist ein schönes, von einem guten Volke bewohntes Land!« – sagte sie: »Ja, mir geht es auch wieder wohl, seit ich unter den Meinigen bin.« Dann nahm sie mit freundlichen Blicken und Worten Abschied und lud mich ein, ich solle sie bei der nächsten Reise nach Wien in Schönbrunn besuchen, wo sie mir dann ihren kleinen Sohn vorstellen wolle. Es geschah. Ich wurde zur Tafel, wie gewöhnlich, acht Uhr abends geladen, bei welcher nebst dem Erzherzog Rainer, ihrem Obersthofmeister, einem Franzosen und zwei Hofdamen auch der kleine Prinz gegenwärtig war. Ich habe ihn seitdem auf meinen Reisen nach Gastein und Wien beinahe jährlich und noch drei Tage vor seinem Tode, wie er's wünschte, besucht.

In den folgenden drei Jahren hatte ich das Glück, von den Herren Erzherzogen Karl, Johann, Rainer und Ludwig abwechselnd im Stifte besucht zu werden und mit ihnen öfters durch mehrere Tage Ausflüge in das Hochgebirge zu machen. Ich will nur von einem derselben, der Besteigung des Ötschers mit dem Erzh. Ludwig im J. 1816 Meldung machen. Der gewöhnliche Weg führt vom Josephsberg aus durch waldige Täler und über mehrere Höhen zu Pferde sieben Stunden lang bis zur Hütte des Spielpichler am Fuße desselben, wo man übernachtet und von wo man bald nach Mitternacht aufbricht, um den Sonnenaufgang oben betrachten zu können. Das erste Mal machte ich diese Ötscherreise im J. 1804, damals noch als Kämmerer und Waldmeister des Stiftes mit dem Erzh. Rainer auf demselben Wege, der an der Westseite über grasige Abhänge bis zum Gipfel ziemlich bequem hinaufführt. Auf der Ostseite aber gegen die Hauptstraße am Josephsberg hin ragt er als ein kahler, ungeheurer Felskoloß empor und scheint dort unersteiglich zu sein. Doch haben teils die Gemsen und die weidenden Kühe teils die nächsten Alpenbewohner sich schmale Steige geebnet, welche auf manchen in der Ferne nicht sichtbaren, vorhängenden Platten ein sehr nahrhaftes Heu mit halsbrecherischer Kühnheit niedersicheln und selbes in Büscheln gebunden in die Tiefe zur Heimschaffung hinabwerfen, wobei sie auch in fortlaufenden Windungen sich den kürzesten Weg bis zur Höhe des Berges ausgefunden haben. Auf dieser steilen Seite wollte nun der Erzherzog den Berg mit mir besteigen, da von der Hauptstraße am Josephberg hin zwei dunkle Höhlen über der Hälfte seiner Höhe sichtbar werden, von welchen die Sage im Munde des Volkes viel zu erzählen wußte. Diesen sollte nun auch unser Besuch gelten.

Im J. 1804 befand sich noch in der Stiftsbibliothek von Lilienfeld ein gewiß über hundert Jahre altes Manuskript unter dem Titel: »Der inwendige Ötscher und seine Wunder«, welches der Erzherzog Rainer damals zur Durchsicht mit nach Wien[71] nahm, und welches leider darauf auch ihm vielleicht durch Schuld seiner Umgebung abhanden gekommen ist. Es handelte von den beiden Höhlen, wovon die eine noch jetzt das Geldloch und die andere das Taubenloch genannt wird. Der Sage wie auch dem Manuskript, welches sie verzeichnete, zu Folge erhielt die erste deshalb den Namen, weil vordem von Zeit zu Zeit Männer aus dem fernen Wälschland erschienen, mehrere Tage in derselben wohnten und mit Gold und Silber beladen wieder heimkehrten. Das Taubenloch aber wurde wegen einer Gattung kleiner, glänzend schwarzer Bergdohlen, die in unzählbarer Menge in ihr hausen und rastlos aus und einfahrend wie regungslos in der Luft herumschweben, also benennet. In der ersteren befinde sich ein zur Sommerszeit festgefrorener Teich, über welchen hinübergekommen man durch eine niedrige Öffnung kriechen müsse, um dann in ihrem Inneren versteinerte Gestalten und seltsame Götzenaltäre erblicken zu können; in der zweiten sei eine unermeßlich hohe Wölbung, die wohl bis zum Gipfel des Berges hinaufreiche, unter welchem man durch das sogenannte Wetterloch hinaussteigen könne. Von allem diesem hatte ich schon früher gehört; doch, was meine Aufmerksamkeit insbesondere erregte, war, daß im J. 1808 der Regierungsrat von Schreibers, Direktor des Naturalien-, und Widmanstetter, des Technologischen-Kabinetts in Wien und beide auch durch lit. Leistungen bekannt zu mir als damaligen Pfarrer von Türnitz kamen und mir sagten, daß ihre jetzige Reise zum Zweck habe, obgenannte Höhlen zu untersuchen. Widmannstetter äußerte unter lautem Lachen wiederholt, daß wahrscheinlich all das darüber Gesagte nur Fabeln seien; ich war der gegenteiligen Meinung und ich ersuchte sie, mir im Rückwege darüber zu referieren, was dann auch geschah; denn nach einigen Tagen stiegen sie im Vorbeifahren vom Wagen, und Herr von Schreibers, der zuerst in das Zimmer trat, rief triumphierend, ich hätte recht gehabt, die Nachrichten von den beiden Höhlen seien keine Fabel, und diese höchst merkwürdig. Sie wiesen mir auch zwei große Fledermäuse [vor], die sie daraus mitgenommen hatten.

Vielleicht hatte Erzh. Ludwig von diesen Naturforschern von den Höhlen des Ötschers gehört. Wir fuhren den ersten Nachmittag[72] bis nach St. Ägyd, wo wir in der Fabrik des Herrn Fischer übernachteten. Den folgenden Tag ritten wir durch die waldigen Täler unterhalb des Marktes Annaberg bis hinunter in den Erlaufboden und langten von dort über den Teufelsriegel auf höchst beschwerlichen Fußsteigen erst bei sinkender Abendsonne auf dem Ochsenboden, einem Weideplatz, an, auf welchem eine mit frischem Heu gefüllte Scheune stand. Ich riet in derselben zu übernachten, da wir dicht unter den Höhlen wären und morgens rasch aufwärts dringend nach der Äußerung der Holzknechte in anderthalb Stunden zu ihnen gelangen könnten. Doch der Erzherzog wollte bis zu der Hütte des Holzmeisters Spielpichler kommen, weil selbe zum Nachtlager bestimmt worden sei. Wir kamen in stockfinsterer Waldnacht, die auch durch vorgetragene Spanfackeln (zusammengefügte Späne von harzigem Kienholz) nur wenig erleuchtet war, erst gegen elf Uhr in großer Ermüdung dort an, die uns über fünf Stunden Weges die hemmenden Baumwurzeln verursacht hatten. Der Aufbruch geschah am frühen Morgen, wo wir abermals fünf Stunden lang an der Seite des Berges schief aufwärts ringend wieder zurückkehren mußten, um in die Nähe der Höhlen zu gelangen. Wir waren etwa nur eine halbe Stunde mehr davon entfernt, als der Erzherzog mit dem ihn von Wien begleitenden Hofrat des Erzherzogs Karl, Joachim Kleyle, Verfasser einer sehr interessanten Reisebeschreibung des Salzkammergutes in Oberösterreich, sich auf den Boden niederließ und mir erklärte, die Besichtigung der Höhlen für seine Person aufgeben zu wollen, da er vom Gehen erhitzt und von Schweiß triefend sich einer Verkühlung auszusetzen fürchte. Hofrat Kleyle blieb bei ihm zurück; ich aber stieg mit einigen Holzknechten und einem jungen Beamten der k.k. Schmelzhütte in Annaberg, also einem Bergmann, mutig bis zu ihnen hinauf, um dann künftig auch anderen sagen zu können, ob sie die Mühe lohnten, die ihr Besuch erheischte.

Vom Eingange der ersten Höhle, das Geldloch genannt, sahen wir richtig den kleinen mit einer Eisrinde bedeckten Teich und drüben die düstere Öffnung, durch welche wir kriechen sollten, um die vielen versteinerten Gestalten und Götzenaltäre, von welchen das Manuskript sprach, ersehen zu können. Aber die Jahreszeit war zu Ende August schon vorgerückt, und die Eisdecke schien nicht fest genug, uns tragen zu können, was wir auch leicht erprobten, da die hineingeworfenen Steine sie leicht durchbrachen. Durch den kaminförmigen Trichter, der sich umgekehrt in die Höhe erhob, zog ein eiskalter Wind herab, der uns nicht gestattete, dort länger zu verweilen, und wir eilten weiter. Was die Nachricht von den versteinerten Götzenbildern, die wir nicht zu Gesicht bekamen, betrifft, so wird sie jeder leicht erklären, der die berühmten Stalaktiten-Höhlen bei Adelberg in Krain und andre ähnliche gesehen hat. Es gehört wahrlich wenig Imagination dazu,[73] um die daselbst vorkommenden und von den Führern bezeichneten Steingebilde, wie die Madonna mit dem Kinde, die Kanzel, von wo einer der Führer eine kurze Rede hält, die Fleischbank mit den herabhängenden Würsten und Schinken, dann den Vorhang u. dgl. entsprechend zu finden. Angelangt in der zweiten Höhle, dem sogenannten Taubenloch, zogen in einem weiten Raume viele vielleicht seit Jahrhunderten aufgehäuften Hügel Vogelmistes, über welchen die Nester der Bergdohlen in der Wölbung des Felsens sich befanden, meine Aufmerksamkeit auf sich. Dann stiegen wir durch einen wohl sechzig bis siebzig Schritt langen und wie durch Menschenhand ausgehauenen Felsengang abwärts, bis wir zur niederen Öffnung kamen, durch welche wir kriechen mußten, um in das Innere zu gelangen. Aber dort bei dem Schein mehrerer Spanfackeln welch ein ergreifender Anblick bot sich uns dar! So hoch die Holzknechte die flammenden Fackeln emporstreckten, so konnte das Auge das unermeßlich hinauf umwölbte Dunkel nicht durchdringen. Nach dieser Höhle habe ich jene, die zu Ende des ersten Gesanges der Tunisias vorkömmt, besungen. Besonders interessant war es zu sehen, als der junge Bergbeamte eine Fackel ergriff und durch die schmalen, inner der Seitenwand befindlichen Klüfte in der ganzen Runde umher wie auf einer Schneckenstiege einige Klafter hoch hinaufstieg, und dabei durch mehrere Öffnungen wie aus offenen Fenstern der Fackelschein auf uns herableuchtete. Wir riefen ihn zurück, doch einer der Holzknechte erzählte uns, daß vor vielen Jahren ein mutiger Holzknecht auf solche Art bis zur obersten Wölbung der Höhle gekommen und dort durch das sogenannte Wetterloch auf die Kuppe des Ötschers hinausgestiegen sei. Dies ließen wir dahingestellt sein und eilten zu dem Erzherzog zurück, der nach allem, was er über die beiden Höhlen von uns vernahm, es sehr bedauerte, daß er abgehalten von Gesundheitsrücksichten sie nicht mit uns habe besehen können.

Nun hatten wir die schwere Aufgabe, den Weg über die letzte steilste Wand bis zum Gipfel des Berges zurückzulegen. Die riesenstarken Holzknechte reichten uns öfters die Hand, um uns über die Felsenschichten, gegen welche wir unsere Füße stemmten, hinaufzuziehen. Erst gegen vier Uhr nachmittag langten wir oben an. Der Weg zu der äußersten Spitze, wo ein eisernes Kreuz steht, führte uns bei dem sogenannten Wetterloch, einer zirkelrunden Felsenöffnung vorbei. Da gab es denn vieles zu hören, wie gefährlich es sei, aus Laune und Mutwillen Steine hinabzuwerfen, indem jedes Mal noch am selben Tage ein Gewitter entstehe. Hofrat Kleyle lachte über diese Schreckbilder und warf die ersten hinunter, die mit einem seltsamen Gepolter in die Tiefe rollten; noch ein und der andere von uns ahmte sein Beispiel nach. – Vor dem Kreuze sitzend rasteten wir dann einige Zeit aus, besprachen[74] die Gegenstände einer unermeßlichen Fernsicht und beobachteten den Barometer zum Vergleiche mit früheren Messungen. Bald wurde der Aufbruch für nötig erachtet, um auf der Westseite des Berges bis zu dem an seine Füße liegenden kleinen Gasthause im Lackenhof, wo ein tüchtiges Mahl und die bespannten Wägen zur Weiterfahrt nach dem zur Nachtstation bestimmten Markte Gaming bereit standen, kommen zu können. Trotz der allgemein vorhandenen großen Eßlust wurde wegen der sinkenden Dämmerung die Mahlzeit beseitigt und die Fahrt angetreten. Ich saß mit dem Erzherzog in einer halbgedeckten Kalesche, Hofrat Kleyle vorne unbedeckt uns gegenüber. Wir fuhren kaum eine halbe Stunde, so wurde es plötzlich finstere Nacht. Ein schweres Gewitter zog hinter uns her von den Höhen herab; der Donner tobte durch die Täler; die Blitze entflammten alle Augenblicke die Fluten des vorbeirauschenden Baches, und der Regen sank in Strömen, so daß Hofrat Kleyle bis auf die Haut durchnäßt ward. Es wurde öfters mitunter lachend der Warnung gedacht, welche die Holzknechte wegen der Steinwürfe in die Tiefe des Wetterloches ergehen ließen; der furchtbare Aufruhr aber in der Natur hieß bald die scherzhaften Äußerungen verstummen. Gegen elf Uhr nachts kamen wir in dem k.k. Amtshause zu Gaming an, und die große Ermüdung ließ uns auch dort die Nachtruhe dem reichlich bereiteten Mahle, das ganz unbeachtet blieb, vorziehen. Morgens besahen wir das weitläufige Gebäude des Amtshauses, in welches nach der Aufhebung durch Kaiser Joseph II. das so reiche, wegen einer vortrefflichen Bibliothek und den Grabmälern mehrere Glieder des österreichischen Regentenstammes berühmten Karthäuserkloster von Gaming verwandelt war. Ein betrübender Anblick war es, all die vormaligen Herrlichkeiten im Verfalle zu sehen, so die großartige Stiftskirche und darin die umherliegenden Marmorblöcke der teilweise zerstörten fürstlichen Grabdenkmäler, aus welchen der vormalige Bischof von St. Pölten, Graf von Hohenwart, bei Gelegenheit der kanonischen Visitation die Gebeine sammeln und anständig beisetzen ließ.

Gegen zehn Uhr setzten wir unsere Weiterreise durch die merkwürdigen Erlaufmauern zum Lassingfall und Mariazell zu Fuße fort. Durch die Erlaufmauern, einem engen Felsental, führt hoch über den rauschenden Fluten ein schmaler, hie und da sehr gefährlicher Fußsteig über sechs Stunden lang hinauf in den oben beschriebenen großen Kessel des Ötschers, aus welchem sich der Ötscher- und Lassingbach mit dem Erlauffluß vereint ergießt. Bei dem Lassingfall wurde wegen großer Ermüdung nicht lange verweilt, und wir kamen am späten Abend in der Nachtherberge in Mariazell an. Am folgenden Tage, einem Sonntag, war für den Ort eine besondere Festlichkeit, da der dortige Vorsteher der geistlichen Kommunität sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum[75] feierte, sein Bruder jenes seines Eintritts in dasselbe Benediktinerkloster, zwei junge, in Mariazell gebürtige Geistliche ihre Primiz oder erste Messe lasen, ein alter Bauer aus der Umgebung seine goldene Hochzeit mit seinem Weibe beging, und zwei junge Brautpaare vor demselben Altar getraut wurden. Nachdem wir allem diesem beigewohnt hatten und durch die Volksmenge nach dem Gasthof zur Weiterreise zurückgingen, erblickten wir dort auch die stämmigen Holzknechte, unsere Ötscherführer, ebenfalls in ihren Sonntagskleidern auf dem Markte stehend und ihre Augen mit komischem Lächeln auf uns gerichtet. Als wir an ihnen vorüberkamen, rückten sie nur ein wenig an ihren breiten Hüten, und einer von ihnen rief uns lachend zu: »Nu, haben wir es euch nicht gesagt, ihr sollt keine Steine in das Wetterloch hinabwerfen? Seid ihr recht durchweicht worden?« – Wir grüßten sie lächelnd zum Abschied. Der Erzherzog fuhr weiter fort durch die Steiermark, und ich kehrte nach dem Stifte heim.

In Hinsicht obiger Erzählung von einem durch Steinwürfe in das Wetterloch erregten Gewitters, will ich aus den interessanten Wanderungen durch die Schweiz, und insbesondere in der Nähe des Pilatusberges am Luzernersee durch C. Eduard Silesius (Baron von Badenfeld) eine hieher bezügliche Stelle anführen:


Die Sage von derlei Nebenhöhlen und Wetterlöchern ist zu allgemein verbreitet und kommt zu häufig vor, als daß man ihren Ursprung lediglich der Heimat des Aberglaubens zuweisen, oder wohl gar sie bespötteln dürfte. Solchen allwärts verbreiteten Volksmeinungen liegt durchgängig eine richtige Naturerforschung, ein tiefer Sinn zu Grunde. Wie Schneeflocken sich zueinandergesellend allmählich zur Lavine anschwellen, so bilden un merkliche Nebelteilchen – wie jeder, der die atmosphärischen Erscheinungen von umfassenden Gebirgsübersichten beobachtet, bestätigen wird – allmählich Gewölke, Wolkenmassen, Gewitter. Daß ferner gewisse Höhenpunkte namentlich perpetuierliche Feuchtigkeitsbehälter auf beherrschenden Punkten, die Braustätten jener Uranfänge der Hochgewitter sind, wird ebensowenig geleugnet werden, als daß ein in solche stagnierende Dunstbehälter geschleuderter Stein diese lauschenden bösen Dünste, leicht angefesselte Ungeheuer, noch viel rascher in Bewegung setze, als eine weit massenhaftere Wasserfläche; und somit ist ein durch einen Wurf in die Pilatuslacke herbeigeschworenes Hochgewitter ohne Schwierigkeit erklärt. (Spaziergang durch die Alpen vom Traunstein zum Montblanc. Von Eduard Silesius. Wien, Gerold, 1844. 3 Teile.)


Das Jahr 1817 wurde in Hinsicht meiner Gesundheitszustände ein merkwürdiges für mich. Seit dem furchtbaren Typhus, den ich im J. 1797 überstanden hatte, bin ich bei all den Beschäftigungen eines sehr bewegten Lebens ein kränkelnder, an physischen Kräften herabgekommener, nervenschwacher Mensch geblieben. Besonders scheinen die Verdauungswerkzeuge sehr gelitten zu haben, da ich gewöhnlich Vormittag sehr blaß aussah, und mir der Schweiß in großen Tropfen an der Stirne und der oberen Lippe stand. Häufige[76] Bewegung in freier Luft wurde mir teils geraten, teils durch meine Oberen zur Pflicht gemacht, da ich durch zwei Jahre das Amt eines Ökonomie direktors und durch mehr als sieben jenes eines Waldmeisters im Stifte versehen mußte, und ich muß offenherzig gestehen, daß ich dabei, wie ich oben bemerkte, mit übertriebenem Eifer zu Werke gegangen sei. Mit Widerwillen hatte ich das erstere Amt angetreten; doch, nachdem ich mich in selbes gefügt hatte, gewann ich es lieb und setzte einen Ehrgeiz darein, die lange vernachlässigte und fast schon aufgegebene Alpenwirtschaft wieder herzustellen. Das Stift sollte bald das schönste Rindvieh in Österreich aufweisen können. So viele Gänge bergauf mir dieser auch verursachte, so trieb ich es dann noch viel eifriger, als ich es mir in den Kopf setzte, auf der sogenannten Hinteralpe, der höchsten Abteilung der Klosteralpe, wo zwar das beste Futter wuchs, aber wegen Mangel des Wassers, sobald das in kleinen Teichen gesammelte Regenwasser versiegt war, von dort die weidenden Rinder in die unteren herabgetrieben werden mußten, eine Quelle aufzufinden. Statt den gewöhnlichen, starke drei Stunden dauernden Fußweg zu gehen, wählte ich meistens den kürzesten durch enge Waldschluchten hinauf, wo ich freilich in anderthalb Stunden die Höhe erreichte, aber dann schwer atmend und von Schweiß triefend, öfters auch ganz erschöpft in dem Grase niedersank. Doch als ich die gesuchte Quelle etwas unterhalb der Weideplätze an der östlichen Bergseite wirklich auffand, da war auch meine Freude groß, wie die eines Feldherrn an der gemachten Eroberung. Erst seitdem ist jene Alpe zur rechten Benützung gediehen.

Noch weit größere Beschwerden verursachte mir das Amt des Waldmeisters, das ich über sieben Jahre bekleidet hatte. Schon bei der jährlichen Abmaß der ausgeschichteten Scheiter im Spätherbst, meistens im Monat November, wo auf den Höhen bereits dichter Schnee lag, und mit an den Füßen angeschnallten Steigeisen oft von frühe bis abends im selben herumgegangen werden mußte, gab es viel Ungemach zu erdulden, und da geschah es auch, daß ich eines Abends, wo ich bei plötzlich eingetretener Kälte mit starkdurchnäßten Stiefeln nach Hause ritt, erfrorene Füße bekam und die von Zeit zu Zeit aufbrechenden Frostbeulen mir noch jetzt nach mehr als vierzig Jahren arge Schmerzen verursachen. Der mehr als achtzehntausend Joche betragende Waldgrund des Stiftes war weder gehörig gemessen, noch hatte man kunstgerechte Mappen davon. Ich nahm einen aus dem Rheinland stammenden geschickten Geometer, Hain mit Namen, in die Stiftsdienste auf und begann mit ihm vereint die zur Mappierung nötigen Aufnahmen zu machen. Da mußten zwischen den Revieren, den fremdherrschaftlichen und den eigenen Untertansgründen die Grenzen abgegangen und die Markzeichen festgesetzt und berichtigt[77] werden, was über Berg und Tal und öfters auf den höchsten Berggraten geschah, und da hatte ich öfters Gelegenheit die Bemerkung zu machen, wie viel die moralische Kraft über die physische vermöge. Von Jugend auf an das Bergsteigen gewohnte und abgehärtete Jäger legten sich dabei öfters abgemattet im Schatten nieder, während ich bei all dem Gefühl meiner Schwäche aufrecht stand und ihnen durch festes Ausharren Mut machen wollte. Oft ganze Tage lang war bei großer Hitze nur kalte, geronnene (sogenannte saure) Milch nebst Quellwasser und schwarzem Brot, das wir hie und da in den einsamen Bauernhütten trafen, unsere Erfrischung. Zwei und einen halben Frühling, Sommer und Herbst dauerte bereits diese Beschäftigung, und schon einige sehr zweckmäßig verfertigte Mappen lagen bereit, als ich sie zu meinem großen Leidwesen mitten abbrechen und nach dem Markte Türnitz (Juli 1807) als Pfarrer ziehen mußte. Solche unverhoffte Übergänge von einem Zustand in den anderen kommen in meinem Leben öfter vor! –

Möglich, daß auch jene mitunter übertriebene Anstrengungen viel dazu beitrugen, meinen ohnehin etwas schwächlichen Körper in einen wiederholt krankhaften Zustand zu versetzen. Zweimal wurde ich in die Badner Bäder bei Wien gewiesen, die aber bei mir jedes Mal mit schlechtem Erfolg angewendet wurden. Das erste Mal im J. 1798, ein Jahr nach dem überstandenen Typhus, wo ich aber vielleicht wegen ihrer schwefligen Dünste schon nach dem fünften Bade eine heftige Augenentzündung bekam, über neun Monate daran litt, und wobei mir mit Zugpflastern und Aderlässen an den Füßen tüchtig zugesetzt wurde. Nicht mit besserem Erfolg und auch nur durch wenige Tage gebrauchte ich sie im J. 1810 als Pfarrer in Türnitz, da sich bald heftige, gichtartige Schmerzen in den Gelenken einstellten, und ich heimgekehrt über vierzehn Tage in einer völligen Apathie im Bette lag. Doch schlimmer wurde es mit mir im J. 1817, wo an meinem schlechten Aussehen jedermann Anstoß nahm, und ich seit geraumer Zeit das linke Bein, an dem der rückwärtige Teil des Schenkels kalt und fühllos war, im Gehen mit der Fußsohle am Boden streifend nach mir zog. Die Veranlassung dieses Übels wüßte ich nicht mit Bestimmtheit anzugeben. Entweder war nach dem Typhus das wegen der Brandwunden über acht Wochen dauernde Liegen auf derselben Seite oder das tolle Verfahren des Chirurgs, der die Wunden durch fortgesetztes Ausschneiden reinigen wollte, oder noch ein anderer merkwürdiger Vorfall schuld daran, den ich hier kurz erzählen will. Als Pfarrer von Türnitz ging ich einst mit dem dortigen Revierjäger über die Höhen des Häferberges, um nach einer schnellen Wendung auf der nordwestlichen Seite des Berges auf dem kürzesten Wege in das Stift zu gelangen. Wir kamen an eine enge, kaum sechs Fuß breite Felsenschlucht, in welcher die[78] Schneelawinen hinabzurollen pflegen. Der Jäger setzte glücklich hinüber; als ich es tun wollte, entglitt meiner Hand der Alpenstock, und flog, so jäh war die Senkung der Schlucht, eilig in die Tiefe hinab – ich ihm mit emporgestreckt aufliegender Linken in sausender Schnelle wohl dreihundert Fuß weit nach, bis meine linke Ferse an eine aus dem Gestein etwa vier Zoll aufragende Erhöhung stieß, und ich dadurch gerettet war, denn nur noch ein paar hundert Fuß weiter wäre ich von dem Rand der Felsenschlucht über eine wenigstens hundert Klafter hohe steilrechte Felsenwand hinabgestürzt. Während des schnellen Hinabrutschens hörte ich nur das »Jesus! Jesus!« Geschrei des nachlaufenden Jägers, der mir nahegekommen das spitzige Eisen seines Alpenstockes in den Felsen bohrte, dann, als ich meinen rechten Fuß daran gestemmt hatte, mich bei der dargereichten linken Hand zu sich hinaufzog, wo ich aber fast besinnungslos zu Boden sank. Seitdem ist meine linke Ferse immerfort taub und fühllos geblieben, und wohl möglich, daß dies auch die Fühllosigkeit und das Erkalten des hinteren Schenkels nach sich zog.

In dem obengenannten Jahre wurde mir endlich Hilfe geboten. Gegen Ende Juli war ich zu Leesdorf bei Baden durch meinen gar lieben Freund, Anton Reyberger, Abten vom Stifte Melk und ausgezeichneten theol. Schriftsteller, nebst vielen anderen zu Gaste gebeten. Während des Mittagessens sagte er halbleise zu seinem Nachbar: »Seht dort unsern Ladislaus, der lebt uns kein halbes Jahr mehr!« Selbst davon überzeugt, hörte ich diese Worte mit der größten Kaltblütigkeit an. Nach Tische bestürmte er mich im Verein mit der ganzen Gesellschaft, ich solle den eben auch anwesenden Dr. Paintinger von Leoben als einen sehr ausgezeichneten Arzt konsultieren. Ich wollte es an jeder Hilfe verzweifelnd lange nicht tun. Endlich drängte man mich mit dem Arzt in ein Nebenzimmer, und nach mehreren ärztlichen Erhebungen erklärte er, nur von dem Gebrauch der Gasteiner Quelle sei für mich noch Rettung zu hoffen. So sehr ich mich dagegen sträubte, so mußte ich den vereinten Vorstellungen aller Anwesenden nachgeben und einige Tage darauf fuhr ich mit eigener Gelegenheit vom Stifte über Mariazell, Wildalpen, Stift Admont und Radstadt nach dem Wildbad in Gastein. Damals war diese wegen Heilung von Nervenübeln berühmte Badeanstalt in Hinsicht der Unterkunft in einem betrübten Zustande. Außer dem vormals fürsterzbischöflichen Badeschloß, welches der Kaiser Franz I. 1807 zum Gebrauche der Badegäste überließ, waren nebst der Straubinger Hütte und dem Mitter- und Grabenwirtshaus nur noch ein paar ärmliche Handwerker- und Krämerhäuser zur Aufnahme der Badegäste mit Ausnahme des Armeespitals vorhanden,[79] und der damalige Badearzt Dr. Storch versicherte mir, daß jährlich nur etwa 130 Badegäste in allen diesen Lokalitäten untergebracht werden könnten. Auch ich fand nur ein paar sogenannte Mezzaninen, eigentlich Dachstübchen des Schlosses, die aber wohnlich genug sind, zu meinem Gebrauche vor. Meine Ankunft erfolgte am 1-sten August, und bis zum 22-sten habe ich die Bäder angewendet. Am achten Tage schrie ich im Kommunbad, wo etwa zwölf Personen gegenwärtig waren, laut auf: »Mein Fuß ist warm geworden!« Und so war es auch. Vom Schenkel bis zu den Zehen hinab ist Leben und Wärme gedrungen. Überhaupt habe ich mich in diesen dort gewöhnlichen einundzwanzig Badetagen sehr erholt, so daß bei meiner Zurückkunft alle Bekannten, insbesondere mein Freund Reyberger, die lauteste Freude über mein gutes Aussehen bezeugten. Und hätte ich mir am Morgen meiner Abreise, wo ich eine kleine Anhöhe bestieg, noch einmal die Gegenden zu sehen und Abschied von ihnen zu nehmen, nicht einen Rheumatism(us) im Rücken, der mich viele Jahre hindurch peinigte, zugezogen, so wäre dieser erste Aufenthalt daselbst für mich sehr segensreich gewesen. Indessen habe ich seitdem im Verlauf von mehr als zwanzig Jahren jene Bäder fast jährlich besucht und jedesmal die besten Wirkungen davon erfahren. Im J. 1818 und 1820 habe ich Herrn Franz Grillparzer mir zugesellet.

Das Jahr 1818 führte mich unverhofft ganz neuen Lebensverhältnissen entgegen. Gegen Ende April schrieb mir Hofrat Kleyle aus Wien, der Kaiser habe seinem Herrn (dem Erzh. Karl) bei Tische gesagt, er würde mich nächstens zum Bischof von Görz in Friaul ernennen, wo ein theol. Seminär für Istrien errichtet werden sollte. Vor Schrecken ließ ich den Brief aus den Händen fallen und warf mich auf den Boden meines Zimmers auf das Antlitz, verhüllte es mit beiden Armen und weinte lange Zeit fort. Was ich darauf in der Angst meines Herzens an Hofrat Kleyle schrieb, dessen entsinne ich mich nicht mehr; aber nach einigen Wochen schrieb er mir abermals, er habe meinen Brief dem Erzherzog Ludwig gezeigt, und dieser habe ihm vor ein paar Tagen aufgetragen, mir zu wissen zu tun, ich könnte nun meine Angst fahren lassen, der Kaiser habe den geistlichen Referenten in Triest, Wallant, einen geborenen Görzer, zum Bischof von Görz ernannt. Bald darauf hieß es wieder, ich würde Bischof von Stuhlweißenburg werden. Dieses Gerücht verlor sich bald wieder, und ich war außer Sorgen. – Als ich mich aber zu Ende Juni dem Kaiser in Baden, wo er sich aufhielt, in Geschäften meines Stiftes vorstellte, sagte er, ehe er mich entließ, mit freundlicher Stimme, ob ich mich entschließen könnte, als Bischof von Zipß nach Ungarn zu gehen, da ich der Sprache des Landes, wie er wisse, noch mächtig sei, und er seine Ursachen habe, mich dorthin zu setzen. Nachdem ich einige Zeit zitternd vor ihm geschwiegen hatte, sagte ich endlich,[80] mein ganzes Leben sei für mein Stift berechnet, da wüßte ich beiläufig, was ich zu leisten im Stande sei – die Stellung der Bischöfe in Ungarn sei auch eine politische, und da ich bald nach vollendetem philosophischen Lehrkurs das Land in meinem zwanzigsten Lebensjahre verlassen und seitdem 26 Jahre im Stifte Lilienfeld verlebt habe, so sei mir jene ganz fremd geblieben. Er ging ein paar Mal vor mir auf und nieder, sah mich wie verwundert an und entließ mich dann lächelnd mit den Worten, »Nu, nu«, ich solle mich nur gefaßt halten, er würde mich vielleicht doch dazu ernennen! Heimgekommen erzählte ich alles meinem Prior Philipp, der nur ein Jahr später als ich in das Stift eingetreten und mir besonders zugetan war. Es waren keine Ursachen vorhanden, es geheim zu halten, und bald machten meine besorgten Geistlichen verschiedene Vorschläge, die Sache noch wo möglich zu verhindern. Indessen reiste ich in Gesellschaft des H. Grillparzer nach Gastein ab. Schon war ich nahe am Ende meiner gewöhnlichen Badezeit und beruhigte mich, nichts weiter davon vernehmend, mit dem Ge danken, der Kaiser habe vielleicht seinen vorgehabten Plan mit mir dennoch aufgegeben, als einst bald nach Mitternacht der Briefträger heftig mit den Worten an meine verschlossene Türe pochte, es sei eine Staffette an mich angekommen. Erstarrt las ich die amtliche Nachricht, der Kaiser habe mich am 18-ten August zum Bischof von Zipß ernannt. – Zwei Tage darauf reiste ich mit meinem Begleiter nach Österreich zurück. Nachdem ich zu Hause angekommen war, eröffnete mir der Prior, es sei auf die erhaltene Nachricht von meiner Ernennung im Konvente beschlossen worden, ihn mit noch einem Mitgliede des Stiftes, wenn ich einwilligte, an den Diözesanbischof nach St. Pölten und von dort zur Audienz nach Wien mit der Bitte zu senden, daß der Kaiser in Erwägung der Umstände des Stiftes noch ferner mich als Abten desselben, wie ich es selber wünschte, belassen möge. Der Herr Bischof widerriet ihnen aber die vorhabende Reise hauptsächlich aus dem Grunde, daß der Kaiser bei seinem nun einmal geäußerten Entschluß diesen Schritt wahrscheinlich sehr ungnädig aufnehmen würde. Sie kehrten also wieder zurück, und mein Schicksal war auf solche Art entschieden.

Nachdem ich bei der kön. Hofkanzlei in Wien den gewöhnlichen Eid abgelegt und bei dem apostolischen Nuntius die vorgeschriebenen Obliegenheiten erfüllt hatte, wurden die betreffenden Schriften nach Rom gesendet, und die päpstliche Bestätigung in einem zu haltenden Konsistorium zu seiner Zeit erwartet. Ich aber machte mich auf, mich in meinem Stifte den Winter über auf meine künftige Bestimmung und auf alles das, was dort noch in Ordnung zu bringen war, als die Übergabe des[81] inventarischen Stiftsvermögens an eine Regierungskommission und auf die Resignation meines bisher geführten Amtes, vorzubereiten.

Die allerhöchsten Ortes hiezu bestimmte Regierungskommission, bestehend aus einem der älteren Regierungsräte im weltlichen und jenem im geistlichen Departemente und dem k.k. Hofbuchhalter, traf um die Mitte des Monats März im Stifte ein und wurde in gebührender Form empfangen. In der zur Amtshandlung bestimmten Stunde versammelte ich die Offizialen des Stiftes, die Geistlichen, Kämmerer, Ökonomie- und Walddirektor, Küchen- und Kellermeister mit dem Prior, dann die Oberbeamten der herrschaftlichen Kanzlei, als den Hofrichter, Rentmeister, Waisenamtsverwalter und Kontrollor und ich begab mich mit ihnen in das innere Zimmer der herrschaftlichen Kanzlei, wo die kais. Kommissäre bereits erschienen waren. Dort sprach ich dann zu meinem Gefolge mit bewegtem, aber ernstem Tone, sie wüßten, daß seit dem Antritt meiner Abtenwürde alle Einkünfte des Stiftes in die Kassen der Kanzlei geflossen wären, daß ich selber keine verwaltete, sondern selbst meinen Bedarf gegen Quittung dorther bezogen, und daß sie alle entweder nach Erfordernis des Amtes oder auf meine Anweisung die nötigen Ausgaben besorgt und verrechnet hätten. Eine schwere Last sei mir gleich am Anfange meiner Amtsführung aufgebürdet worden, denn es galt, das während der langwierigen Krankheit des vorigen Abtes minder besorgte, durch zwei feindliche Invasionen hart mitgenommene und endlich durch den schrecklichen Brand im J. 1810 beinahe ganz zerstörte Stift wieder in aufrechten Zustand zu versetzen, und durch Gottes besondere Huld und durch ihre treue Mitwirkung sei die Aufgabe genügend gelöst worden. Wohl mußten wir uns besonders anfangs viele Entbehrungen gefallen lassen, große Mühe und Anstrengung sei unser Los dabei gewesen; aber dafür sei das Bewußtsein der erfüllten Pflicht unser schönster Lohn geblieben. In dem ich ihnen für ihre redliche Mitwirkung stets dankbar bleiben werden, fordere ich sie auf, mir den letzten Beweis ihrer mir bewiesenen Anhänglichkeit dadurch zu geben, daß sie vor den anwesenden Herrn Kommissären strenge Rechenschaft ablegen und in Bezug auf alle Zweige der Administration alles in so klares Licht setzen, daß auch nicht der geringste Zweifel obwalten möge. – Sowohl die Herren Kommissäre als auch meine Beamteten waren durch diese Rede sicht bar ergriffen; ich aber verbeugte mich tief, verließ die Kanzlei und habe auch außer dem Mittagessen, wo ich ganz heiter von anderen Gegenständen sprach, keinen von ihnen weder gesehen noch gesprochen. Am späten Abend ging ich dann wieder hinunter. Alle erhoben sich in freudiger[82] Bewegung, und besonders der alte, ehrwürdige Hofbuchhalter v. St. rief mir mit hocherhobenen Händen entgegen: »Herr Prälat, es wird ja alles in einem gloriosen Zustand befunden!« Worauf ich lächelnd versetzte: »Haben Sie es denn anders erwartet?« Wirklich schien die Herrn die Furcht angewandelt zu haben, daß bei der in so kurzer Zeit bewirkten und so große Auslagen erfordernden Wiederherstellung sämtlicher Stiftsgebäude sogenannte Notschulden gemacht worden seien; allein das sämtliche Inventarium, wie es mir bei der Abtenwahl am 12-ten Hornung 1812 von der damaligen Regierungskommission feierlich übergeben wurde, fand sich nicht nur vollständig, sondern bei allen Zweigen in einem verbesserten Zustande, so wie auch nach der Revision aller vorhandenen Staats- und Privatobligationen und unter Verrechnung stehender Kassen alles in bester Ordnung vor, worüber ich später ein rühmliches öffentliches Zeugnis erhielt.

Nach einer dreitägigen Arbeit erklärten die Herrn Kommissäre vor dem ganzen versammelten Konvente, sie hätten alles in dem befriedigendsten Zustande gefunden, und reisten – nachdem ich die rührende Dankrede des Priors eben so gerührt beantwortet hatte – wieder nach Wien zurück. Den folgenden Tag fuhr auch ich dorthin ab, um vor meinem gänzlichen Scheiden von Österreich noch einmal zurückzukehren – aber schon als Gast, da ich bei dem letzten Akt der k.k. Kommissäre vor ihnen und dem versammelten Konvente meine Abtenwürde feierlich resigniert hatte.

Der Zustand des Stiftes war bei meinem Austritte allerdings befriedigend. Durch den Höheren Ortes (im J. 1811) zur Deckung des Staatskredits angeordneten Verkauf des Lilienfelderhofes in Wien erhielt das Stift im J. 1814, weil indessen der neue Finanzminister (Graf von Wallis) andere Hilfsmittel ins Auge faßte, den Verkaufspreis (260.000, – C.M.) samt den Zinsen in Staatspapieren, welche die von früherer Zeit her rührenden Schulden des Stiftes teils löschten, teils deckten und mich auch in den Stand setzten, dem Stifte eine wichtige Realität, die in der Herrschaft nächst Türnitz liegende Glasfabrik (um 55.000) zu erwerben. Von dem Verkaufspreis des Lilienfelderhofes hatte der Kaiser auf mein Gesuch sechzigtausend Gulden C.M. als Beihilfe zum Wiederaufbau der abgebrannten Stiftsgebäude resolviert. Es kostete mich viele Mühe, selbe von den Stellen, so sehr es der Kaiser auf meine wiederholten Klagen betrieb, zu erhalten, denn es war das verhängnisvolle Jahr der Finanzoperationen im J. 1811 und[83] schwer fiel es mir, oft stundenlang bei dem Finanzminister und den Präsidenten zu antichambrieren; doch ich ertrug alles meines Stiftes wegen, dem aufgeholfen werden mußte und ward! – Mit Ausnahme eines rückwärts liegenden Teiles der Stiftsgebäude, dessen Wiederherstellung nicht notwendig schien, waren die übrigen alle wieder hergestellt, und die vorzüglichsten mit Dachziegeln, zu deren Erzeugnis ich bei dem zum Stifte gehörigen Schloß Kreisbach das Materiale auffand und die Öfen erbaute, eingedeckt. Es gewährte einen freundlicheren Anblick, als es früher hatte. Nur war es zu bedauern, daß das sogenannte Dormitorium, ein achtzig Schritt langer, auf Säulen dreifach aufgewölbter Saal, der seit der Erbauung des Stiftes mehrere Jahrhunderte hindurch den Klosterbrüdern zur gemeinschaftlichen Wohnung und Schlafstätte gedient hatte, wegen der im Feuer verkalkten, sturzdrohenden Gewölbsteine niedergerissen werden mußte. (Siehe Rudolphias 2. Gesang). Die Herstellung der jetzt bestehenden schönen Prälatenwohnung und die größere, zweiundzwanzig Zentner schwere Glocke, die auch später meinen Namen Ladislaus erhielt, habe ich kurz vor meinem Austritt dem Stifte aus eigenem Vermögen, das mir eben durch einen Gewinn aus der Güterlotterie zufloß, dankbar zum Opfer gebracht und auch die Wahl taxen bezahlt.

In literarischer Hinsicht war auch so manches zur Vollendung gediehen. An der Tunisias feilte ich von Zeit zu Zeit die letzten drei Jahre her und besonders bei meinen häufigen Geschäftsreisen nach Wien im Wagen sitzend, frei von jedem lästigenden Zwang und im Anblick der schönen Natur, worauf es mir zur Eigenheit ward, den größten Teil meiner späteren Geisteswerke auf meinen Reisen im Wagen niederzuschreiben und die mit dem Reisblei auf einem kleinen, steifen Portefeuille von Leder, worin die reinen Blätter bereit lagen. Oft wurden reine Seiten von Briefen aus der Rocktasche verwendet.

Chrysostomus Hanthaler, Mitglied des Stiftes Lilienfeld und ein sehr gründlicher Geschichtsschreiber, der im J. 1756 starb, hinterließ nebst dem in Druck erschienenen Werke »Fasti Campililienses« in 4 Foliobänden, worin er die Geschichte des Klosters, des Cisterzienser Ordens, jene von Österreich und von allen europäischen Ländern vom J. 1202 (als dem Stiftungsjahre des Klosters) bis zum Anfang des 16-ten Jahrhunderts beschrieb, ein Urkundenbuch im Manuskript in zwei großen Foliobänden mit mehr als viertausend Zeichnungen von Siegeln und Wappen, betitelt: »Recensus Diplomatico-Genealogicus[84] Archivi Campililiensis«. Auf fünfzig Kupferplatten waren jene bereits gestochen und zum Druck des Werkes bereitet, als diese bei der Aufhebung des Klosters unter Kaiser Joseph II. im J. 1789 mit dem vorrätigen kupfernen Küchengeschirr an die meistbietenden verkauft wurden. Im J. 1817 glückte es mir, diese Kupferplatten in Wien wieder aufzufinden und um den Verkaufspreis – zu 60 F. –, wo das Stechen allein über zweitausend Gulden gekostet haben mag, wieder einzulösen, wodurch die Herausgabe dieses so interessanten Werkes möglich ward.

Kurz vor meiner Abreise nach Zipß ersuchte mich der Fürst Lichtensteinische Bibliothekar Wolff als Kurator der Beckschen Buchhandlung und ihrer Erben, zum Besten dieser um den freien Verlag meiner »Tunisias« und des Hanthalerischen »Recensus Diplomatico-Genealogicus«, zu welchem ich eine Vorrede schrieb, und ich übergab ihm ohne allem Vorbehalt sowohl dieses Manuskript als auch jenes der »Tunisias« zu dem oberwähnten wohltätigen Zwecke, worauf dann schon im J. 1820 die erste Ausgabe dieser Epopöe bei Karl Beck erschienen ist. Hofrat Freiherr von Hormayr hatte in seinem Archiv für Geographie, Geschichte usw., da er bei einem Besuche im Stifte einige Bruchstücke daraus abschrieb, sie zuerst zur Kenntnis des Publikums gebracht und dadurch den Druck derselben veranlaßt, was sonst vielleicht noch lange nicht geschehen wäre.

In Wien hatte ich ein paar Wochen hindurch bei Anschaffung so manchen im meiner künftigen Stellung nötigen Bedarfs an Wägen, Porzellangeschirr, Silber zum Tischgebrauch, Prätiosen etc., zu welchem mir ein paar wohlwollende Freunde Vorschüsse geleistet hatten, vollauf zu tun. Vom Stifte hatte ich außer den nötigsten Kleidungsstücken, der Leibwäsche, und einer Kiste mit Büchern nichts mitgenommen, da ich als Stiftsmitglied kein Eigentum besaß. – Dieses verehrte mir zum Andenken zwölf in der Türnitzer Stiftsfabrik erzeugte feine Trinkgläser und einige Boutellien, worauf mein neues bischöfliches Wappen geschnitten war, und die mir noch zum Gebrauche dienen.

Bald langte ein Domherr aus Zipß, Johann Andujar, jetzt Dompropst am dortigen Kapitel, ein gebildeter und in jeder Hinsicht vortrefflicher Mann, von jenem mir entgegengesendet in Wien bei mir an, und da der Erzbischof von Wien – nachdem die päpstlichen Bullen von Rom angekommen waren – die bischöfliche Konsekration auf den 18-ten April festgesetzt hatte, so reiste ich mit ihm nach Lilienfeld und nach Mariazell in der nachbarlichen Steiermark. In Türnitz ließ ich vor dem Pfarrhofe halten, um diesem den Schauplatz meiner dort gehabten frohen[85] und traurigen Erlebnisse zu zeigen, wodurch meine Gegenwart den Bewohnern des Marktes schnell bekannt wurde; hielt mich aber nur kurz dort auf und fuhr sogleich weiter. In Mariazell blieben wir einen Tag in Übung dessen, wozu dieser berühmte Wallfahrtsort so schöne Gelegenheit bietet. Am folgenden, da wir noch der öffentlichen Andacht beiwohnten, reisten wir etwas später von dort ab, so daß wir uns erst gegen fünf Uhr Nachmittag dem Markte Türnitz näherten. Bald ersah ich ein paar Reiter, die bei Erblickung meines Wagens eilig nach dem Markt zurücksprengten, und ich vermutete alsbald, es würde dort etwas zu meinem Empfange vorbereitet sein. Doch wie soll ich das beschreiben, was sich nun meinen Augen darbot! Die Bewohner der von mehr als zweihundert, in nahen und ferneren Tälern und auf höheren und niedrigeren Bergebenen zerstreut liegenden Bauernhöfen meistens männlichen Geschlechts standen in ihren Sonntagsröcken mit entblößtem Haupte und den einen Arm an die Wand gelehnt bis zu dem zuletzt liegenden Pfarrhof, nach welchem ich langsam hinabfuhr, an den beiden Häuserreihen des Marktes geschart da und sahen mich lautlos und trauernd an. Ich war tief in die Seele ergriffen und nie werde ich diesen Anblick, der fast an das Schauerliche grenzte, vergessen! Kaum war ich in dem Pfarrhof angekommen und in dem Zimmer des Pfarrers mit ihm einige Mal auf und abgegangen, so hieß es, der Marktrichter mit mehreren Bürgern und die Abgesandten der Bauern seien im Vorhause draußen, um mir noch einmal ihren Dank und Abschiedsgruß darzubringen. Ehe ich hinaustrat, rang ich noch die Hände über meinem Haupte – mir war, als müßte meine Brust entzweireißen! Ich stand vor den Versammelten still; der Marktrichter begann einige Worte zu stammeln – die Tränen erstickten seine Stimme – ein allgemeines Schluchzen ertönte – ich schrie weinend auf: »Laßt mich meine lieben Kinder – ich kann nicht – Gott segne euch alle für immer!« – und eilte in das Zimmer zurück, wo ich mich auf das Kanapee warf, die Stirne mit beiden Händen auf die Lehne desselben drückte und lange wie ein kleines Kind fortweinte. Endlich langten wir in Lilienfeld am Abend an, übernachteten dort und am folgenden Morgen – wieder ein Fremdling daselbst geworden, fuhr ich mit meinem Begleiter nach der Hauptstadt ab.

Die Trennung von dem Stifte, dem ich von meinem zwanzigsten bis zum achtundvierzigsten – also über siebenundzwanzig Jahre angehörte, und für welches mein ganzes noch übrige Leben berechnet war, wo ich mich ausbildete, wo mir so viele Freuden und Leiden zu Teil wurden, wo ich in der Liebe meiner Mitbrüder und in der Anhänglichkeit des zum Stifte gehörigen Gebirgsvolkes[86] so vielen Trost fand – kostete mich heiße Tränen. Ich drückte mich in die Ecke des Wagens und die Augen mit gesenktem Haupte zu. Eben dämmerte der Morgen – der Wagen fuhr vom Tore langsam bis an die Straße hinab; da sagte mein Begleiter: »Sehen Sie die Menge, die links und rechts an dem Wege knieend um den Segen bittet!« – Da mußte ich wohl meine Augen noch dauernd auf sie richten, bis wir den letzten vorüberkamen, dann fuhren wir eilig weiter fort.

Es waren alle Vorbereitungen getroffen, somit weihte mich der beinahe 90 Jahre alte Fürsterzbischof von Wien, Graf Sigismund von Hohenwart, der vormals dem Jesuiten-Orden angehörte und der Erzieher Kaiser Franz des I. und der Erzherzoge Karl, Joseph und Johann, Söhne des Großherzogs Leopold in Florenz, war, in der Domkirche zu St. Stephan unter der Assistenz des Erzbischofs der kath. Armenischen Kongregation in Wien und des dortigen Weihbischofs und fürsterzbischöflichen Generalvikars Mathias Steindl am 18-ten April d.J. 1819 zum Bischofe mit all den üblichen Zeremonien. Es machte dem alten Herrn eine besondere Freude, daß er mich im J. 1796 als damaliger Erzbischof von St. Pölten zum Priester und nun nach mehr als 22 Jahren zum Bischof geweiht hatte. So war auch dies vollbracht, und ich mußte endlich von Österreich scheiden am 1-sten Mai 1819!

Schmerzlich war für mich auch der Abschied von Wien, wo ich seit einer langen Reihe von Jahren her im Kreise ausgezeichneter, edler und guter Menschen die glücklichsten Stunden verlebte. Unter diesen sind Hofrat Joseph von Hammer, Frau Karoline von Pichler, Regierungsrat und Bibliothekar Ridler, Reg. Rat und Direktor des Waisenhauses Michael Vierthaler, Hofrat Joachim Kleyle, Professor Georg Meinert und der Benediktinerabt Anton Reyberger – durch literarische Verdienste berühmt. Die Bande der innigsten Freundschaft knüpften mich aber an den Herrn Weihbischof Mathias Steindl. So wie sein Andenken, wird auch jenes des Herrn Hofrat Niedermayer, Direktor der k.k. Porzellanfabrique, Joseph Freiherrn von Stipsitz, Vizepräsident des Hofkriegsrates, der Herrn Staatsräte Lorenz und Jüstel, der Herrn Hofräte Anton Buchmayr (jetzt Bischof von St. Pölten), Floch und Freiherr von Mayern und des Herrn Anton Wohlfahrt, Abt des Cist. Stiftes in W(iener) Neustadt und meines ehemaligen Lehrers in dem bischöfl. Seminar zu St. Pölten meinem Herzen stets teuer bleiben! Die meisten derselben sind schon in ein besseres Leben eingegangen! –

Quelle:
Pyrker, Johann Ladislaus: Mein Leben 1772–1847. Wien 1966 (Fontes Rerum Austriacarum, Abteilung I: Scriptores, Band 10)., S. 33-87.
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