Frag' mich was!

[138] Es war höchste Zeit, daß sie erfunden wurde – die »Berlitz School« der vielgeschmähten, vielgeliebten »allgemeinen Bildung«. »Frag' mich was«, das unterhaltsame Spiel mit Inquisition in puncto Universalwissen ist symptomatisch für unsere Zeit. Büchmanns geflügelte Worte, der Extrakt des »Who's who«, schmackhaft zugerichtet mit etwas Politik, Kunst, Geschichte, Literatur – und im Handumdrehen ist das geistige Rüstzeug des Durchschnittsmanns der Jetztzeit beieinander.

»Er ist ja nur halbgebildet!« Mit diesem absichtlich herabsetzenden Werturteil verteidigt sich die Masse der geistigen Schwerarbeiter, der Reaktionär-Oppositionellen gegen den sich selbst machenden, vorwärtsstrebenden Praktiker, der wohl den Werdegang eines Maschinenkolbens, die Geheimsprache eines Überseecodes, nicht aber die Unterschiede zeitgenössischer Malstile aus dem Effeff kennt.

Beide Extreme sind verwerflich, sowohl das doktrinärzähe Festhalten am alleinseligmachenden Ballast »humanistisch« benannter Kulturgüter ohne Nutzanwendung auf die Schichtung der Welt des zwanzigsten Jahrhunderts wie andererseits auch das bloße Erraffen von Kenntnissen und Erkenntnissen, knapp brauchbar für den Augenblicksvorteil.

Wesentlich für den Menschwert des Mannes ist zunächst: Meister in seinem Bereich zu sein, dort nach Vollendung zu streben, gleichgültig, ob als Erfinder oder Forscher, Werkführer oder Künstler, Gelehrter oder Angestellter. Unmittelbar[138] danach als zweite Forderung erscheint der Drang nach Ausgleich – Herstellung des kulturmenschlichen Gleichgewichts.

Ein solch kategorischer Imperativ ist gar nicht so weit hergeholt. Geht einmal in die Arbeiterschulen – seht, mit welchem Heißhunger geistige Bereiche durchstreift werden, um der hirntötenden Maschine Paroli bieten zu können. So soll jeder neben seinem Berufswissen, neben seiner Erziehungs- und Lernsphäre auch den ihm fremden Dingen Interesse zuwenden. Eines Tages wird ihm der erweiterte Gesichtskreis die aufgewendete Zeit und Mühe in klingendem Lohn bezahlt machen.


Frag' mich was!

Herrscher in seinem Fach sein, dem Gegenpol verständnissuchend nachspüren, über allem eine kräftige Dosis »Frag' mich was« – und die Idealforderung an die innere Geistesbeschaffenheit des »Vollendeten« ist erfüllt![139]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 138-140.
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