Habent sua fata ...

[140] Frauen und Bücher soll man nicht ververleihen – nicht einmal an seine besten Freunde, man weiß nie, ob man sein Eigentum unversehrt und – überhaupt wiederbekommt! Im Umgang mit Büchern erweisen sich erst der abgeklärte Geschmack, das feinfühlige Verständnis und die wirkliche innere Beschaffenheit des modernen Zivilisationsmenschen. Wer nicht trotz überkomprimierten Tagespensums Bedürfnis und Muße aufbringen kann – wenn auch nur für Minuten – ein Reich des Geistes zu durchwandern, hat noch nicht die Plattform des Gleichgewichts von Kultur und Zivilisation erklommen – wer weiß, ob überhaupt jemals ...


Habent sua fata ...

Ein Haufen gestapelter Bücher macht noch lange keine Bibliothek aus. Uns allen vertraut ist die immer wiederkehrende Form allmählicher Zusammenballung. Aus dem Chaos aufgehobener Druckwerke gestaltet sich über Nacht unmerklich der Kern einer kleinen Sammlung und schafft den Wunsch zur Mehrung. Auf einmal will man ordnen, gruppieren, Lücken ausfüllen – mit[140] Halbleinen und Pergament, Rücken an Rücken, eine vielsagende Fassade in Szene setzen! Dann ist plötzlich auch die Liebe zu dem Eigenwerk da – erst die verschämte, schließlich die hell lodernde, die nie mehr erlöscht.

Bücher müssen leben, sollen unsere Kraftreserve sein und Neuland erschließen. Nichts verkehrter daher, als Einrichtung und Anordnung nonchalant zu behandeln. Für den Einsamen muß die Bibliothek greifbar nahe am Lieblingsplatz in der Wohnung placiert werden. Belletristische Ableger kommen ins Schlafgemach, Fachliches, Wissenschaftliches in Umgebung des Schreibtisches.

Die beste Ehe verträgt keine gemeinsame Bibliothek – darum: Gütertrennung. Überlaßt den Frauen die Versorgung mit notwendigem Übel der Auflagenromane, erobert dafür die Herzen mit gelegentlichen Überraschungen durch einen aparten Stendhalband, einen amourösen Franzosen oder wertvolle Memoiren berühmter Geschlechtsgenossinnen – die Wahl fällt nicht schwer.

Gesamtausgaben, Einzeldrucke, politische, wirtschaftliche Literatur gehören unter die Obhut des mit Argusaugen die Schätze behütenden Mannes. Bei Vergrößerung und Anbau nicht der notwendigen Dinge des Tagesbedarfs und Allgemeinwissens vergessen – Gesetzbücher, Lexika, Börsen-, Geschichts-, Sprachführer, Büchmann und »Wer ist's«, Gotha und Millionärbuch.

Die Marotte ist im Bereich des Büchersammelns geheiligt. Scheltet nicht, wenn einer es für erstrebenswerter hält, Rennkalender und Gemäldekataloge statt eines Goethe »zur ersten Hand« aufzuspeichern. Andere wieder verlegen sich auf Märchenwerke aller Epochen, auf Schriften aus und von dem fernen Osten – zahllos sind die Variationen einer Leidenschaft, die keine Grenzen kennt.

Ihr Junggesellen, glaubt mir, es geht auch ohne ostentative Zurschaustellung jener seltenen, kostspieligen Bändchen, deren Erwähnung bei allen neugierigen Fragern wollüstigen Nervenkitzel hervorruft – der sogenannten Privatdrucke. Mögen sie noch so edel und künstlerisch in Fasson und Ausführung sein oder die amüsantesten Gravüren enthalten – nie sollen sie, jedermann zugänglich, auf Regal oder in der Büchervitrine aufbewahrt, sondern als höchst gefährliches Narkotikum hinter Schloß und Riegel gesetzt werden.

Ehemänner, welche in derlei Dingen zumindest den Schein zu wahren haben, sind notorisch die größten Sünder in litteris. Sie wählen als routinierte Praktiker Sinnenlust plus Seelenfrieden![141]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 140-142.
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