Das Modellverleihhaus.

[30] Endlich hatte ich Daisy unter vier Augen!

»Sag' mal, Liebes, ich will absolut nicht indiskret sein, im Gegenteil – aber wie wir stehen – du weißt ja – hat dir jemand etwas vermacht, sollte gar ein großes Los – oder nicht auszudenken – ein Freund?? ...«

»Wieso kommst du darauf?« Daisy lächelte dünn. Ich sprudelte nur so heraus: »Du trägst alle paar Abende ein neues Abendkleid und brillierst in phantastischen Frühjahrskomplets – wechselst mit Jumperkleidern – selbst deine Pelze –« Ich brach gespannt ab. Daisy schien schwer enttäuscht:

»Ach so, du weißt noch nicht – warst bisher nie bei Madame Larosse, die seit einer Woche überrannt wird.« ... Meine Neugierde wuchs: »Schnell, schnell – überrannt – von wem, wozu?« Daisy fuhr langsam fort: »Weil sie ein Modellverleihhaus eröffnet hat.« – Ich blickte ahnungslos. Daisy kam mir zu Hilfe.

»Ich gehe sowieso morgen hin, treffen wir uns um drei Viertel elf an der Untergrundbahn.«


Bei Madame Larosse.


Zwei blaubefrackte Pagen dienerten tief. »Straße, Ballsaal oder Haus?« fragten sie mich unverständlicherweise, was mich einigermaßen erstaunte. Daisy winkte blasiert ab und wurde von einer alten, aber nicht minder koketten und dicken Dame fast umgestoßen: »Haben Sie schon Ihr Bild vom Presseball gesehen, himmlisch, chérie! Ah, eine Freundin –« und nun umzärtelte sie mich. Allmählich fing ich zu begreifen an. Die moderne Abwechslungslust eleganter Frauen findet hier Befriedigung. Sich mit »fremden Federn zu putzen«, ist seit jeher Los vieler Schönen. Das wird hier im weitestgehenden Maße unterstützt und findet – wie erwartet – größten Anklang. Es rauschen Kommerzienrätinnen und Filmdiven, schüchterne Ladies und freche Backfische durch die Flügeltüren. Preislisten liegen wie in der Leihbibliothek auf den Sesseln und Diwans. Annähernd hundert Schränke bergen[30] die verlockenden Schätze stofflichen Glanzes. Selbst Dollarprinzessinnen brauchten nicht lange zu überlegen. Für tausend Mark im Monat können sie zehn noch nie berührte Modelle erstklassiger Firmen zur Schau tragen – Einzelstücke für besondere Gelegenheiten fünf Prozent teurer. In Anbetracht, daß sonst eine derartige Schöpfung sieben- bis achthundert Mark kostet – und auch nicht viel öfter das Licht des Ballsaals erblickt – ist dieses System als »spottbillig« zu bezeichnen! Schon für fünfzig bis achtzig Mark stehen unglaubliche Kombinationen aller Art zur Verfügung, die dann nur ein einziges Mal, in einer anderen Stadt vorgeführt werden. Am begehrtesten sind unbedingt die laufenden Abonnements; für sechshundert Mark im Monat zwölf Roben zu beliebiger Zeit und zu jedem gewünschten Zweck. Leicht zerrissene oder befleckte Kleider werden speziell berechnet, aber schließlich – mein Gott – Fleckenputzerin und Wäscherei verschlingen ebensoviel!


Das Modellverleihhaus

Parfümdurchrauschte Lüstersäle – in der letzten Kabine ein Photoatelier – immer in Betrieb. Für zehn Mark eine Bildkopie. Frau Direktor F. in einem Sommerhermelin von H., – Star »Pussi-Lussi« in einem Kleopatrabrokat mit Zobelbesatz ...

Mir schwinden langsam die Sinne. Ich sehe mich für dreihundert Mark in Breitschwänze gehüllt, von Chanet-Illusionen behangen –, in den Weltzeitschriften als tonangebend – – –

O tempora modernissima! Jetzt werden wir auch bald ein »Flirtverleihhaus« erwarten dürfen ...[31]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 30-32.
Lizenz:
Kategorien: