Mädchen oder Frau?

[152] Gar kein heikles Thema – offen und ehrlich anzufassen – der Wahrheit ins Gesicht gesehen, falsches Schamgefühl abgestreift, Tatsachen gegenübergestellt!

Genau so gut kann man fragen: Ehe oder freie Liebe? Gerade weil wir die Großmutterzeiten hinter uns haben, gerade deshalb soll nicht übertrieben und nichts kleinlich beurteilt werden. Die Frau hat eine andere Stellung als früher, sie ist beruflich oder sportlich tätig, sie ist nicht mehr behütet, im Haushalt gefesselt, ihr Wissen, ihre Interessensphären sind erweitert, sie ist Kamerad, Frau, Geliebte, Mutter in einer Person. Sie hat das Recht und die Sehnsucht nach mehr Freiheit als früher. Ob sie sie ausnutzt, und wie weit – ist ihre Sache.

Die Frage ist überflüssig, ob es recht ist, daß ein Backfisch »seine Liebhaber wechselt«, es ist schade und übereilt, wenn die Achtzehnjährige unter jeder Bedingung »erleben will und muß«, aber wenn das fünfundzwanzigjährige Mädchen mit dem Mann, den sie kennt und liebt, befreundet ist, hat man kein Recht mehr, moralische Urteile zu fällen.

Das Nichtgebundensein steigert Gefühle, das Sich-nicht-sicher-Fühlen macht aufmerksamer, liebenswürdiger, devoter. Es gibt sicher Menschen, die das nicht entbehren können. Das Geborgensein, Ausruhenkönnen und »Zuhausefühlen« sind die Privilege der Legitimen.


Mädchen oder Frau

Glückliche Ehen sind selten, gute Ehen existieren. Wenn eine Ehe beides ist, schlägt sie alles Illegitime. Nun urteilt selbst, Vorschriften sind nicht am Platz, gekämpft wird so und so, Hauptsache, man kommt zum Ziel –: »Jedem das Seine!«[152]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 152-153.
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