»Der Typ«.

[157] An mondänen Weltstätten gedeiht er besonders gut. Dort ist er geradezu unvermeidlich. Man findet ihn auf Zuschauertribünen, auf Bobs, in lichtgedämpften Bars und parfümdurchwogten Hotelhallen.

Beiderlei Geschlechtern ist er bestimmt. Manche verleugnen ihn, sagen, »sie wären über den Nonsens eines ›Typs‹ hinaus«! Das stimmt nicht. Der weiterhin glattrasierte Elegant weiß genau, daß er durch den flüchtigen Gang einer hellblonden Überschlanken irgendwie berührt wird – angezogen – hinsehen muß –, und diese leichte, angenehme, noch unausgeprägte Unruhe ist symptomatisch.

»Sie«, die dunkeläugige Brünette, der »Darling« in dem süßen Tigerfell, die »große Schönheit« im brillantblitzenden Abendkleid wird abgelenkt, sensibler, lebendiger oder einsilbiger – aber verändert sich augenblicks, wenn ein braungebrannter Golser oder ein feminin angehauchter Künstler – im Frack eine unerhörte Linie verratend – lässig oder blasiert zum Diner schreitet. Unwillkürlich bewegen sich ihre Lippen: »Endlich wieder ein Mann, der ...« Instinktiv geahnte Wahlverwandtschaft, kennzeichnend für die Gattung: »Typ«.

Sein Schicksal ist meist sehr unbestimmt. Er pflegt sich nicht lange zu halten. Oft spielt er eine nur kurze, aber glänzende Gastrolle und wird leicht von einem noch »typischeren« abgelöst. Der Geschmack wechselt mit dem Tempo der Zeit. Man legt sich ungern fest. Wahrscheinlich auch aus Nächstenliebe! Was gestern schwarz war – lockt heute kastanienrot.

Doch es gibt auch beständige, deren Typ Lebensdauer hat. Man legt die Erfüllung ungestillter Wünsche in ihn, hegt ihn mit liebevollster Phantasie: »Ach, Jonny würde immer für mich ans Telephon gehen, fabelhafte seidene Hemden tragen, je nach Stimmung Blumen auswählen, von[157] Kleidern und Pelzen begeisterter sein als ich, stürmisch heißeste Liebeserklärungen zur richtigen Stunde anbringen, mit dem Oberkellner das Menü verbessern, beim Friseur geduldig zwei Stunden lang Zeitung lesen und so ...«

Die Männer denken bedeutend nüchterner – wahrscheinlich skeptischer. Ihr Typ muß weniger vielseitig als außerordentlich einseitig sein.

Immer wieder glaubt man, den Typ zu finden, immer wieder stellt sich das Gegenteil heraus: In der entscheidenden Sekunde ist er zu vergnügungssüchtig oder zu uninteressant, spielt kein Bridge, tanzt keinen »Black«, ist immer auf Reisen, hat schlechte Manschettenknöpfe, haßt Karnevalsfeste oder – ist bereits anderweitig allerengstens gebunden ...

Doch deswegen resigniert man nicht. Im Gegenteil, man sucht weiter. Schenkt dem Typ neue Qualitäten, modernisiert ihn oder gibt ihm eine bürgerlichere Note. Einmal trifft man bestimmt auf ihn! – Dann will man ihn kultivieren. Das ist das Allerschlimmste! Das ist der Tod des Typs! Er verändert sich umgehend. Entwickelt sich zum Umgekehrten, widerspricht, hat eigene Ansichten, miserablen Geschmack, wird von jedem bißchen nervös, markiert Heimlichkeiten oder hat alle paar Stunden Migräne. Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: »Wie konnte ich nur!« Es gibt heute noch Frauen und Männer, die ihren Typ heiraten wollen – sprechen wir nicht darüber ...

Der Typ ist im Leben der Menschen das, was der Sekt beim Essen ist. Man sehnt sich mitunter nach ihm und seiner Aufmunterung, seinem schäumenden, prickelnden Rausch und ruht nicht eher, bis man ihn bestellt hat. Dann nippt man einige Male begeistert an ihm und – ist eigentlich schon zufrieden. Je mehr man von ihm nimmt, desto weniger bekommt er.

Ja, es ist mit dem »Typ« genau wie mit dem Champagner. Beide sollten von Anfang an »kaltgestellt« werden.
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»Der Typ«

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 157-160.
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