Sturz vom Pferde

[92] Eines Tages sollt ich den Bijou des Herrn von Brock von der Reitbahn nach Hause bringen, welche eine ziemliche Strecke vor der Stadt lag. Nicht weit vom Tore rief mich ein kleiner Junge an, ich möchte ihn doch ein wenig aufs Pferd nehmen. »Nun so komm her«, sagt ich spaßend, »wenn du Courage hast!« Der dreiste Bube ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern kam eiligst auf das Pferd losgesprungen, welches, davon scheu gemacht, einen Luftsprung tat, welcher mich aus dem Sattel hob. Zum Unglück blieb ich im Steigbügel hängen und wurde bis ans Tor geschleift, wo man das Pferd auffing und[92] mich halbtot in die Wachtstube trug. Der wachthabende Offizier war so menschenfreundlich, sogleich einen Wundarzt zur Verbindung meiner Wunden herbeirufen zu lassen. Das vielzungige Gerücht hatte meinen Unfall sogleich vergrößert in der ganzen Stadt verbreitet und mich für tot ausgeschrien. Während ich noch verbunden wurde, kam der Soldat, welcher das Pferd nach Hause geführt und meinen Sturz berichtet hatte, zurück und erzählte, die Frau von Völker hätte geäußert, es könne nicht möglich sein, denn ich wisse ja, daß ich auf dem Pferde nicht reiten solle! Erst als er es teuer versichert hätte, daß ich vom Pferde geschleift worden wäre, hätte man es geglaubt und mich sehr bedauert. Die Gefährlichkeit meiner Wunden beängstigte mich weniger als die Furcht vor der Moral, die mir gelesen werden würde, wenn ich nach Hause käm, und wirklich wurde mir das Kapitel von meiner Gnädigen tüchtig gelesen, als man mich nach Hause geführt brachte.

Mehrere Wochen lang blieb ich dienstunfähig und mußte nach meiner Wiedergenesung das Versäumte durch verdoppelten Fleiß nachzuholen suchen.

Bei der großen Fete, welche der englische Prinz von Wallis, als Bischof von Osnabrück, zu Stade gab, hatt ich die Ehre des Mitbedienens. Solch ein Gastmahl hatt ich nie gesehen: ganze gebratene Ochsen und Fische von ungeheurer Größe und mancherlei mir ganz unbekannte Dinge wurden auf die Tafel gebracht, an welcher ein paar hundert Gäste sitzend und fast ebensoviel stehend ihren Appetit stillten. Das übrige wurde nach geendigter Tafel der Dienerschaft und dem Publikum preisgegeben, wobei alles bunt über ging.

Wegen einer Anstellung meines jungen Herrn wurden von seinen Eltern verschiedene Plane entworfen und wieder verworfen, als der amerikanische Krieg ausbrach, weshalb viele deutsche Völker nach Amerika geschickt wurden, für welche Stade der Versammlungsplatz war.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 92-93.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers