Im zweiten Jahr meiner Dienstzeit

[104] Der Holzvorrat war alle geworden, weshalb ich, da es besonders sehr kalt war, mir alle Mühe gab, Holz aufzutreiben. Endlich wies mir ein Schmied einen auf dem Kirchhofe liegenden Lindenklotz an, den ich mühsam mit einem Gehülfen zersägte, dann auf dem Schubkarren nach Hause fuhr, spaltete und davon einheizte. Aller Mühe ungeachtet wollte das nasse Holz nicht fortbrennen, und da es Zeit war, die Pferde zu füttern, so ging ich davon ab und ließ das Feuer glimmen. Bei meiner Rückkehr vom Füttern rief mir mein Herr entgegen: »Infamer Kerl, mache, daß die Stube warm wird, oder der Teufel soll dich holen!« – Ich suchte mich mit meinen Nebenarbeiten und der Nässe des Holzes zu entschuldigen, dies erbitterte ihn noch mehr, und brüllend fuhr er mich an: »Halt's Maul, Schurke, oder ich haue dich, du sollst den Himmel für eine Baßgeige ansehen«, und bei diesen Worten, natürlich schwieg ich nicht, ergriff er ein Stück Brennholz und schlug mich aus allen Kräften damit auf den Rücken.

Dies konnt ich nicht erdulden, sondern eilte unverzüglich zum Herrn Obristen von Minigerode, welcher, über meine Erzählung verwundert, sogleich durch seinen Jäger meinen Herrn zu sich rufen ließ. – »Schämen Sie sich, Herr Lieutenant«, rief er ihm entgegen, »schämen Sie sich! Ohne Verschulden muß man seine Leute nicht mißhandeln, und auch Dienstboten muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen! Kennen Sie unsre Gesetze nicht, so soll sie der Auditeur Ihnen vorlesen.«

Mein Herr vermochte sich nicht zu verantworten; er sah verschämt vor sich nieder, sich in meiner Gegenwart reprimandieren lassen zu müssen. Ich aber war gerechtfertigt[104] und war mit der Erklärung zufrieden, daß es nicht mehr geschehen solle.

Kurz darauf brachte ich das Pferd auf die Reitbahn; es war sehr ungezogen und wild, weshalb ich ihm in Gegenwart meines Herrn einige Peitschenhiebe gab. »Kerl«, brüllte er mich an, »du darfst mich leicht erbittern, so laß ich dich auf der Stelle krumm schließen.«

Da es der Ort nicht war, mich zu verteidigen, so schwieg ich und führte es dem Herrn Major von Linsingen vor, welcher, als er einigen Tadel am Reitzeuge fand, mir einen Verweis gab, den ich mir zur Warnung dienen ließ. Zurechtweisungen bei geringen Fehlern nahm ich willig an, Gewalttätigkeiten aber empörten mich, ohne mich zu überzeugen, daß irgendein Mensch berechtigt sei, einen andern zu mißhandeln.

Einst, als die Herren Offiziere einen Ball im Reithause angestellt hatten, woran sie auch ihre Bedienten Anteil nehmen ließen, hatte ich mich an die Hautboisten angeschlossen und spielte mit. Unterdessen hatte mir der Herr Major von Linsingen zugerufen, daß ich mittanzen möchte; dies hatt ich aber nicht gehört und war, ohne mich zu entschuldigen oder zu bedanken, bis zu Ende des Balls bei der Musik geblieben. Dies hatte mein Herr mir so übel genommen, daß er, als wir nach Hause kamen, mich sehr hart darüber anließ und mich endlich mit dem Degen bedrohte. Dieser Vorfall hätte für ihn sehr übel ablaufen können, da ich ihm an Kräften überlegen war. Jetzt überzeugt ich mich, daß wir nicht mehr füreinander paßten, obgleich mir die Livree einzubüßen auch nicht anstand.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 104-105.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers