Neues Abenteuer

[136] Ich nahm meinen Weg nach Weimar über Chemnitz und Penig. Im Walde hascht ich einen grauen jungen Vogel, von der Größe eines Falken, mit blauem Schnabel und gelben Füßen. Der Wirt im nächsten Dorfe, bei dem ich einkehrte, kannte den Vogel nicht, riet mir aber, damit auf das benachbarte Gut zu gehen, dessen Herr ein großer Freund von seltenen Tieren wäre und mir ihn gut bezahlen würde.

Als ich auf das Gut kam, hieß es, der Herr wäre mit dem Jäger auf der Jagd und würde so bald nicht zurückkommen, wenn ich aber den Weg nicht scheue, so sollt ich nur auf dem Fußsteige rechts in den Wald gehen, wo mich ihre Schüsse ihnen auf die Spur leiten würden. Gesagt, getan! Schon mocht ich eine gute Viertelstunde weit in den Wald hineingegangen sein, ohne etwas zu hören und zu sehen, als plötzlich in meiner Nähe ein Schuß fiel. Ich ging querdurch waldein und wurde bald darauf einen Jäger gewahr, welcher mir aber schnell wieder aus den Augen kam, weshalb ich ihm über Stock und Stein nacheilte. Wie erschrak ich aber, als ich, statt den Gutsbesitzer zu treffen, auf eine Zigeunerbande stieß, welche sich in eine Höhle gelagert hatten und mich frugen, woher ich komme und was ich suche. Ich erklärte ihnen die Ursach meiner Erscheinung und wurde freundlich eingeladen, bei ihnen Platz und Teil an einem Katzen- oder Kaninchenbraten zu nehmen, welchen eine geschäftige Zigeunerin auftrug. Ich mochte mich sträuben, wie ich nur wollte, ich mußte mitessen und bleiben. Vergebens stellte ich ihnen vor, daß ich im Begriffe sei, zu meiner Frau zu reisen; vergebens bat ich sie weinend, sie möchten mir doch kein Leid antun, ich wolle ihnen ja gern all mein weniges Habe geben, sie lachten mich aus, machten sich in ihrer Sprache lustig über meine Angst, und so brach der Abend ein, weshalb ich mich so gut als für verloren hielt. Endlich trat ein altes Weib zu mir und prophezeite[137] mir, daß mich zwar noch mancherlei Unannehmlichkeiten treffen würden, am Ende würde ich aber noch glücklich und lange leben.

Als ich darauf meine Bitte, mich doch gehen zu lassen, wiederholte, sagte der eine Zigeuner, welcher der Oberste schien: »Es mag drum sein, ich will dich nicht aufhalten, aber wenn du dich ein Wort verlauten läßt, daß du uns hier getroffen hast, so bist du verloren. Verstehst du mich?«

Ich gelobte die größte Verschwiegenheit und wurde von einem Zigeuner durch den Wald nach dem Wirtshaus geleitet, in dem ich schon gewesen war. Den Vogel, den man als einen Habicht erkannte, mußt ich zurücklassen und dafür ein Viergroschenstück annehmen. Der Wirt frug mich bei meinem Eintritt, wo ich so lange gewesen wäre und ob ich meinen Vogel gut verkauft hätte. Ich verneinte es und sagte, daß ich mich im Walde verirrt gehabt und den Vogel freigelassen hätte.

Den folgenden Morgen setzte ich meinen Weg über Altenburg, Ronneburg usw. nach Weimar fort, wo meine Frau mir während meiner Abwesenheit einen Stammhalter geboren und ihn in Pflege gegeben hatte, um einen Ammendienst bei dem Herrn Bergrate Voigt anzunehmen, da sie sich und das Kind ohne Unterstützung nicht hinbringen konnte.

Die Hoffnung, in Weimar einen Dienst zu finden, schlug mir fehl, deswegen ergriff ich mit Freuden die Aufforderung, für den Herrn Bergrat Voigt Mineralien und Drusensteine zusammenzuholen, wofür mir ein Taler Tagelohn zugesichert wurde, ein Lohn, welcher damals nicht unbedeutend war.

So war ich also auf einmal aus einem Bedienten in einen Schubkärrner verwandelt, der, wo es mit dem Schubkarren nicht ging, die Steine im Tragkorbe zusammentrug und, was ich am Tage nicht endigen konnte, die Nacht hindurch zustande zu bringen suchte.

Meine erste Sendung ging nach dem Harz, einem großen,[138] mit Holz bewachsenen Gebirge zwischen Thüringen und Niedersachsen, dessen größter Teil dem Herzoge von Braunschweig-Wolfenbüttel und insonderheit zu dem Fürstentume Blankenburg gehört. Er hat zwar wegen der hohen Gebirge ein wildes Ansehen, ist aber seinen Besitzern wegen der Holzung und Wildbahn, besonders aber wegen der sehr ergiebigen Bergwerke äußerst nützlich. So sind Wildemann, Grund, Lautenthal und Zellerfeld Bergstädte, welche den sämtlichen Herzogen gemeinschaftlich geblieben sind, Clausthal, Sankt Andreasberg und Altenau sind aber an Hannover gefallen.

Die Einwohner des Harzes stammen von Meißnern und Franken her, daher kommt ihre von andern Braunschweigern verschiedene Aussprache. Schreiber, im »Historischen Berichte von dem Anfange der Harzbergwerke«, sagt, daß Konrad der Zweite zur Bevölkerung Goslars die Franken dahin berufen habe. Im Jahre 1004 wurden die meisten Bergleute durch Hunger und im Jahre 1006 vollends durch die Pest aufgerieben. Unter Heinrich dem Vierten wurde der Harz wieder sehr durch den Krieg heimgesucht.

Aus dem Harzgebürge haben die Flüsse Oker, Leine, Innerste, Helme und Bode ihren Ursprung, welcher letztere bei dem Dorfe Thale, auf dem sogenannten Roßtrapp, einen entsetzlichen Wasserfall bildet. An eben dieser Stelle ist ein dreifaches Echo, dessen mittleres so stark ist, daß eine Pistole fast so stark als eine Kanone knallet. Dem Roßtrapp gegenüber liegt die Teufelsmauer, ein der Zerstörung der Zeit trotzendes Gebirge. Im Tale hinter diesem Gebirge ist der sogenannte Steinbach, in welchem zwanzig bis dreißig Zentner schwere Kieselsteine liegen, welche nach dem Winkelmaße gebildet zu sein scheinen. Im Blankenburgischen, bei dem Kloster Michaelstein, sieht man den Hans- und Henning-Mönch, zwei hohe Klippen, welche einem Mönche sehr ähnlich sehen.

Eine Stunde davon, zwischen den Dörfern Wienrode und[139] Timmenrode, ist ein Steinbruch, dessen Steine ineinanderstehende Schüsseln bilden, deren sich die Nachbarn zu Viehtrögen bedienen. Der sogenannte Heidelberg streicht vor Blankenburg eine Stunde weit in so gerader Linie nach Morgen hin, daß er ganz einer künstlichen Mauer gleicht. Fast bei jedem Schritte, den man auf dem Harze tut, stößt man auf eine Naturmerkwürdigkeit. Wer kennt nicht den berühmten Philister, den Blocksberg? wer nicht die Baumannshöhle und den Rammelsberg? Man rechnet allein fünfhundert Arten verschiedener Pflanzen, die auf dem Harzgebürge wachsen. In der Waldung findet man allerhand in Deutschland lebende Vögel, vom Zaunkönig bis zur Trappe, und die kleinsten Insekten bis zur zwölffüßigen Schlange. Nichts ist mannigfaltiger als das Mineralreich, welches vor Zeiten sogar Goldkörner geliefert haben soll. Vor und auf dem Harze zählt man auf hundertzwanzig zum Teil zerstörte Schlösser, unter denen Homburg, Staufenberg, Blankenburg und Reinstein, wegen der nach ihnen benannten Regentenhäuser, merkwürdig sind.

Soviel im allgemeinen über dieses Gebirge, worüber mehrere Reisebeschreibungen nachgelesen werden können.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 136-140.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers