Dienstbemerkungen

[233] Bei dieser Gelegenheit könnt ich im Vorbeigehen die Eigenheiten und Übellaune mancher Herrschaften gegen ihre Dienstboten rügen; denn seit meiner zwanzigjährigen Dienstzeit sind sie mir sehr bekannt. Da hat z.B. der Bediente bald das Rendezvous zu früh entdeckt, bald den Krepp zu stark gepudert, bald die Stube zu stark oder zu schwach geheizt, bald das Bett nicht gut gemacht oder den Pot de chambre nicht recht gesetzt, bald zu früh oder zu spät geweckt, bald die Stiefel und Kleider nicht gut genug geputzt und dergleichen Vorwürfe mehr, welche manchmal nur aus der Luft gegriffen sind. Hierbei muß ich der Unterredung eines dienstlos gewordenen Kameraden gedenken. Dieser konnte die schreienden Ungerechtigkeiten, die im Hause vorfielen, nicht länger mit ansehen und forderte seinen Abschied. »Warum«, frug ihn sein Herr, »willst du meinen Dienst verlassen?« – »Herr«, antwortete er, »Sie werden zu sehr bestohlen!« – »Ei nun«, erwiderte der Herr, »so stiehl mit; ein Diener muß sich in seine Verhältnisse schicken können!« Diesmal blieb er, bis ihn ein anderer Vorfall aus dem Dienste brachte. Er hatte schon längst bemerkt, daß die gnädige Frau in Abwesenheit ihres Gemahls von einem sogenannten Cicisbeo Rendezvous annahm und ansehnliche Summen an denselben verlor. Eine Zeitlang schwieg er, endlich konnt er es nicht länger über sich gewinnen und entdeckt es seinem Herrn. Dieser, erstaunt, so etwas von seinem Bedienten zu hören, runzelte die Stirn, ging zum Zimmer hinaus, kam bald zurück, warf zwanzig Goldstücke auf den Tisch und sagte dann zu dem Bedienten: »Da, nimm, aber unverzüglich packe deine Sachen zusammen und geh; daß ich aber nicht höre, daß[233] du gegen einen andern so was von meiner Gemahlin äußerst!« – »Mir auch recht«, sagte darauf der Bediente, packte seine Sachen und ging. – »Siehst du, Bruderherz, so ist mir's ergangen, und nun bereu ich's in der Tat, daß ich mich von meiner Liebe gegen meinen Herrn verleiten ließ, ihm in betreff seiner Gemahlin die Augen zu öffnen, denn es war sonst ein seltener, ganz vortrefflicher Herr, und es wird mir schwer werden, nur halb so gut wieder anzukommen, ob ich gleich verstehe, was zu einem guten Bedienten gehört; ich bin kein Spieler, kein Trunkenbold oder Mädchenjäger, suche mich in meine Herrschaft zu schicken, bin treu, verschwiegen und nachgiebig, ob ich mich gleich niemals schlecht oder verächtlich behandeln lasse, und doch bin ich verlegen wegen eines guten Dienstes; dem einen werd ich zu alt, dem andern zu jung, dem dritten zu flink, dem vierten zu groß oder zu klein, dem fünften nicht schön genug, dem sechsten zu bescheiden, dem siebenten zu prätentiös sein. Ein vollkommener Bediente müßte alle Eigenschaften besitzen, er müßte servieren, rasieren, frisieren, kutschieren, musizieren, deklamieren, französisch parlieren, schneidern, gärtnern und erforderlichenfalls auch den Vorleser etc. machen, kurz sich in alle Forderungen der Herrschaft fügen und mit geringem Lohn vorliebnehmen können, dann würd es ihm wohl an einer zufriedenen Herrschaft nicht mangeln.«

Ich mußte ihm recht geben und tauschte meine gemachten Erfahrungen unterweges gegen die seinigen aus. Er begleitete mich nach Weimar, wo er Augenzeuge von dem mißmutigen Empfange meiner Frau war, welche mich darüber tadelte, daß ich den Dienst so schnell aufgesagt und der gestrengen Herrschaft einen ganzen Vierteljahrgehalt geschenkt hätte.

Mein Kamerad übernahm meine Rechtfertigung, blieb einige Tage bei mir und riet mir, die sich mir darbietende Gelegenheit zu benutzen, mit dem jungen Herrn von Benjoung, einem Engländer aus dem Belvedereschen[234] Institut, nach Berlin und Hamburg eine kurze Reise zu machen, er selbst aber ging nach dem Vogtlande, seinem Vaterlande, um sich daselbst als Gastwirt zu etablieren.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 233-235.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers