I. Die Stifts-Dame.

Das Städtchen I. in einem benachbarten Herzogthume ist eins der reizend-gelegensten, die je mein Auge erblickte. Ein schöner, schnell dahin rauschender Fluß faßt es von der einen Seite ein, und die malerischen Ufer der Stöhr – so heißt der Fluß – mit ihren üppig grünenden Wiesen, ihren Weilern und Kirchdörfern bieten einen eben so schönen, als friedlichen Anblick dar, während das Städtchen von der andern Seite von waldigen Höhen bekränzt wird, auf deren höchster Spitze man das Stammschloß einer in gerechter Achtung stehenden gräflichen Familie erblickt. Die ganze Gegend athmet einen Frieden, der sich unwillkürlich der Seele mittheilt und die etwa darin aufgestiegenen Stürme alsbald beschwichtigt.[3]

Ich war achtzehn Jahr alt, als die Wechselfälle eines viel- und frühbewegten Lebens mich nach I. zu lieben Verwandten führten, in deren Kreise es mir bald wieder wohl werden sollte, nachdem dem Herzen eine Wunde geschlagen worden war, wie das Schicksal sie so leicht denen schlägt, deren Seele zart besaitet ist und deren Geist und Gemüth eine ungewöhnliche Richtung genommen hat.

Die Ansprüche, die man in den sich mir eröffnenden neuen Verhältnissen machte, konnten um so leichter von mir erfüllt werden, da sie ganz mit meinen Neigungen und der Richtung meines Geistes übereinstimmten: ich sollte den Unterricht und die Erziehung einer Cousine übernehmen, die mir bald sehr theuer werden mußte, weil alle Elemente des Guten und Schönen sich in dem jugendlichen Gemüthe derselben vereinten; auch reichten wenige Monden hin, ein festes Band der Liebe und des Vertrauens um Rosalie und mich zu schlingen.

Auch sonst erging es mir in meinem neuen Wirkungskreise wohl: mein Vetter, Rosaliens Vater, war einer der gemüthlichsten Männer, die ich je kennen gelernt, und seine Frau durch einen großen Verstand und einen Witz ausgezeichnet, die mir imponiren mußten. Sehr bald hatte ich[4] mich also in die neue Lage hinein gelebt und, wie ich es gewohnt war, mich in derselben festgestellt. Das Leben in einer kleinen Stadt und in beschränkten Verhältnissen, nachdem ich in einer Weltstadt und in überaus reichen, glänzenden aufgewachsen war, hatte nichts Drückendes und Beängstigendes für mich, da die Natur mir Alles ersetzte, was ich hinter mir gelassen hatte, und so fing ich an, eine Ruhe zu schmecken, auf die ich nicht mehr zu hoffen gewagt; ja, bald sogar kehrte jene Heiterkeit mir wieder, die ein Grundzug meines Charakters ist, und mit jugendlicher Unbefangenheit gab ich mich den sich mir darbietenden neuen Eindrücken und der Geselligkeit des angenehmen Städtchens hin.

Die letztere war um so belebter, da sich in dem Orte nicht nur das vornehmste Fräulein-Stift des Landes, sondern sogar ein kleiner Hof befand, indem die Schwester der Königin, die geistreiche Prinzessin Juliane, Abtissin des Stifts war und somit ihren Wohnsitz unter den vier und zwanzig jungen Damen aufgeschlagen hatte, die dasselbe bildeten und die, indem sie ihre bedeutenden Einkünfte hier verzehrten, der Stadt eine große Wohlhabenheit verliehen.

Ich, aus einer großen, weltberühmten Stadt[5] kommend und bald dafür bekannt, daß ich einige gesellige Talente besäße, sah mich auf's Freundlichste und Zuvorkommendste von den Stifts-Damen aufgenommen, die kein anderes Geschäft hatten, als sich gut zu unterhalten und ihre bedeutenden Revenüen so angenehm als möglich zu verzehren. Es wurden Feste aller Art, Bälle, Gesellschaften, Musik-Partien, ländliche Ausfahrten u.s.w. veranstaltet, und ich durfte nicht dabei fehlen.

Ich kann mir jetzt, wo ich auf dem Standpunkte angelangt bin, von wo aus man das Leben mit ruhigen Blicken zu überschauen befähigt ist, nicht verhehlen, daß alle diese Zerstreuungen, daß der beständige Verkehr mit jungen Mädchen, die keinen andern Lebenszweck hatten, als sich zu zerstreuen und zu unterhalten, mir Gefahr drohte, indem nach und nach jener Ernst von mir wich, der mich, trotz meiner Jugend, einer sehr edeln und hochbegabten Frau, meiner Rosa-Maria, theuer gemacht und das süße Band einer nur mit unserm Leben endenden Freundschaft um uns geschlungen hatte. Schon dürstete meine Seele nach Vergnügungen und rauschenden Festen; schon wählte ich meine Lectüre nicht mehr wie sonst, und ein seichter Roman durfte manche freie Stunde tödten; schon ekelten mich die in kleinen Städten unerläßlichen[6] Klätschereien nicht mehr wie früher an; schon begann die Toilette eine Rolle bei mir zu spielen; schon füllten ernste Studien nicht mehr allein meine Zeit aus; schon begann ich Werth auf einige körperliche Vorzüge zu setzen, die die Natur mir verliehen hatte; schon prunkte ich gern mit meinen geringen Talenten; kurz, ich war auf dem Wege, ein eben so seichtes Geschöpf zu werden, wie es der größte Theil von Damen war, mit welchen ich im täglichen Verkehr lebte, als der Himmel sich meiner Jugend und Unerfahrenheit annahm, und mir eine Freundin zuführte, die bald meinem ganzen Wesen seine frühere Richtung wieder geben sollte.

Zu den vier und zwanzig Stifts-Damen gehörten auch Elise und Margarethe von A. Ich hatte schon viel von Beiden gehört, aber, obgleich ich mich fast beständig im Kreise ihrer Schwestern umhertummelte, sie doch noch nie in einer der von mir besuch ten Gesellschaften gesehen, weil Beide in einer Art von Verruf standen, Elise, weil man sie beschuldigte, die Gelehrte spielen zu wollen, und eine höchst bizarre Person zu sein, und Gretchen – so hatte man ihren Namen abgekürzt – weil man ihr, trotz ihres ehrwürdigen Standes, eine Menge galanter Affairen zuschrieb,[7] an welchen Beschuldigungen der Neid wohl nicht einen geringen Antheil haben mochte, indem Gretchen nicht nur für das schönste Fräulein im Städtchen, sondern im ganzen Lande galt. Beide Schwestern lebten mit ihrer Mutter zusammen, die, obschon zu den ersten Familien des Landes gehörend, verarmt war und von ihren Töchtern ernährt wurde, eben so wie ein Bruder, der Officier war und mit seinem geringen Solde nicht auskommen konnte.

Ich hatte auf Kosten beider Schwestern schon tausend Geschichten, besonders auch im Hause meiner Anverwandten, gehört, und wenn man gleich der außerordentlichen Schönheit der Einen und dem Verstande der Andern volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, so hieß es doch immer: mit Beiden kann man nicht umgehen, ohne, besonders wenn man noch jung ist, seinen Ruf auf's Spiel zu setzen. Mein Verlangen nach einer solchen Bekanntschaft war daher nicht eben groß, obgleich das, was ich besonders von Elisens Geist und Kenntnissen hörte, meine Neugierde einigermaßen reizte und wohl zuweilen den Wunsch in mir aufregte, sie wenigstens einmal sehen und mich mit ihr unterhalten zu können.

An einem Sonntag-Nachmittage sollte dieser Wunsch ganz unerwartet in Erfüllung gehen. Es[8] war im Juni und der schönste Tag, den der Himmel nur der Erde schenken konnte. Zwei Gräfinnen B., Elisabeth und Georgine, an die ich mich besonders angeschlossen hatte, schlugen mir einen Spaziergang vor, und wir eilten den reizenden waldigen Höhen zu, in deren Schatten wir so oft schon selige Stunden verlebt hatten. Nichts kam unserer Heiterkeit gleich; wir sangen, tanzten, scherzten, lachten um die Wette, so wie wir die Waldes-Einsamkeit erreicht hatten, und noch nie hatte Elisabeth ihren glänzenden, oft aber auch sehr scharfen, Witz so brillant spielen lassen, als auf diesem Spaziergange. Sie war unerschöpflich in allerliebsten piquanten Geschichten aus ihrem frühern Hofleben an einem kleinen deutschen Hofe, und Keiner erzählte, wie sie; dazu der reine, blaue Himmel über uns, die mit den balsamischen Düften der Birken erfüllte Luft, der Gesang der Waldvögel, das Rauschen der Bäche, die Tausende von Blumen, die am Rande derselben blühten; kurz, meine Seele befand sich in jener Art von Berauschung, wie man sie nur in den glückseligen Tagen der Jugend zu empfinden vermag.

Ermüdet von der langen Wanderung, ließen wir glücklichen Drei uns endlich auf das schwellende[9] Moos unter einer großen, allein stehenden Eiche nieder, von wo aus man, da sie die Spitze eines Hügels bekränzte, der unübertrefflichsten Aussicht auf ein zu Füßen des Hügels liegendes Wiesenthal genoß. In meiner Seele fing es, trotz der Störungen von außen durch Elisabeths anmuthiges Geschwätz, an, stille zu werden; ich stimmte bald nicht mehr ein und schwelgte, von meinen Begleiterinnen unbemerkt, in höhern Wonnen. Ein Liedchen, eins von denen, die nie von uns niedergeschrieben werden, die aber wohl die schönsten sind, die uns ein poetisches Gemüth eingiebt, ging durch meine Seele, und droben im höchsten Gipfel der Eiche saß der Componist desselben, eine Schwarzdrossel, die es auf der Stelle in Musik setzte; ich hörte so fast nicht mehr, was die muntere, unerschöpfliche Elisabeth plauderte und wurde erst aus meinen süßen Träumereien durch den Ruf aufgeschreckt:

– »O weh! da kommen sie! Wir können ihnen nicht mehr entweichen.«

– »Wer denn?« fragte ich verwundert.

– »Elise und Gretchen,« flüsterte sie mir zu. »Man hat uns bereits gesehen und wir müssen jetzt Stand halten; das ist fatal!«

Das war dieses unerwartete Zusammentreffen[10] mit den viel besprochenen Schwestern für mich nun keineswegs, vielmehr freute ich mich des Zufalls, der sie mir entgegen geführt, ohne daß ich sie aufgesucht hatte, und so sah ich den beiden langsam auf uns Zuschreitenden mit gespannter Neugier entgegen.

Der Ruf hatte nicht zu viel von Gretchens wahrhaft bezaubernden Schönheit gesagt, und so fiel natürlich zuerst mein Blick auf ihre hohe, schöne, schlanke und stolze Erscheinung, deren entblößtes Haupt – sie hatte den leichten Strohhut der Schwüle des Tages wegen abgenommen und trug ihn am Arme – gleichsam wie von einem Heiligenscheine umgeben war, indem die Sonne golden durch die fast überreiche Fülle hellbrauner Locken schien. Nie habe ich wieder ein Paar Augen gesehen, wie Gretchens: sie beschämten das Blau des Veilchens und ihr Glanz wurde durch einen dichten Kranz langer, dunkler Wimpern so erhöht, daß man sie auf den ersten Blick für schwarz hätte halten sollen. Stirn, Nase, Mund, Wangen, Kinn und Colorit waren vollkommen schön und die Weiße und Feinheit der Haut unübertrefflich; eine Reihe der köstlichsten Zähne schmückten den rosigen Mund.

Ich gestehe, daß ich durch diese überraschende[11] Erscheinung in eine Art von Erstaunen, ja, ich möchte sagen, Anbetung, versetzt wurde, und den Blick nicht von Gretchen weg und auf deren kleine, unscheinbare Schwester zu wenden vermochte, die ihr am Arme hing und erst von mir bemerkt wurde, als sie uns mit einer feinen, fast schrillenden, und so höchst unangenehmen, Stimme begrüßte.

Es würde in der That für den geistreichsten und geschicktesten Maler nicht möglich sein, einen größern und schneidendern Contrast durch seinen Pinsel hervorzurufen, als der war, den diese beiden Schwestern in ihrer äußern Erscheinung darboten. Elise reichte ihrer Begleiterin kaum bis an die Schultern und war so verwachsen, wie man selten Verwachsene sieht; nicht nur der Rücken bot einen bedeutenden Höcker dar, sondern auch die Brust war schief, die Hüften waren es, wahrscheinlich auch die Beine, welche, so wie die Arme, unverhältnißmäßig lang gegen den Oberkörper waren. Man denke sich zu dieser Gestalt einen viel zu großen, von rothem, mit Grau untermischtem Haar umflossenen Kopf, eine etwas aufgeworfene Nase, einen großen, zahnlosen Mund mit schmalen, geschminkten Lippen und hohle, eingefallene Wangen, auf denen gleichfalls dicke[12] Schminke saß. Nur ein Paar graue, nicht eben große, aber schön geschnittene und blitzende Augen, aus denen eine wunderbare Gluth hervorbrannte, verriethen den Geist, den diese abschreckende Hülle einschloß. Um das Auffallende dieser fast mit Widerwillen erfüllenden Erscheinung zu vermehren, so war das Fräulein noch überdies sehr phantastisch angezogen, nämlich mit einem gestickten weißen Kleide, worüber es ein scharlachrothes Jäckchen, vorn mit langen Schößen, und reich mit schwarzen Litzen verziert, trug; diese Kleidung, obgleich sie zu jener Zeit nicht ganz ungewöhnlich war, und namentlich von sehr jungen und schönen Personen getragen wurde, gab Elisen doch mehr das Ansehen eines Affen, denn eines Menschen, und ich sah mich nach dem Bären um, der ihm, wie mein Satyr mir in dem Augenblick zuflüsterte, nothwendig folgen müsse.

So unangenehm, wie schon gesagt, meinen Begleiterinnen dieses Zusammentreffen mit den beiden verrufenen Schwestern auch war, so konnten sie doch nicht umhin, diese einzuladen, neben uns Platz zu nehmen, da es, vermöge ihres gleichen Standes und der Verhältnisse, zu viele Beziehungen zwischen ihnen gab und sie sich wenigstens im Convente, in der Kirche und in den Cirkeln[13] der Prinzessin, ihrer Abtissin, oft sehen mußten. Ungezwungen nahmen die beiden ungleichen Schwestern die Einladung an; ein weißes Taschentuch wurde auf das Moos gebreitet und sie setzten sich zu uns.

Es war ersichtlich, daß das schöne Gretchen Glück machen und besonders mich, von der sie schon gehört haben mochte, erobern wollte, denn sie gab sich alle nur erdenkliche Mühe schön zu reden und sogar empfindsam. Sie mochte wissen, daß ich zuweilen Verse machte und für eine Art von Schöngeist galt, da einige meiner Erstlings-Gedichte bereits in dem von Varnhagen, Chamisso, Neumann und einigen Andern herausgegebenen poetischen Taschenbuche abgedruckt worden waren; daher fütterte sie mich, um mir Respect vor ihrem Verstande einzuflößen, gleichsam mit auswendig gelernten Versen und schönen Sentenzen und legte in jedem Worte eine Sentimentalität an den Tag, die mir mehr als ein Lächeln abnöthigte und mir ihren Verstand sehr verdächtig machte. In der That war Gretchen so dumrn als schön, und das will viel sagen.

Elise, die durch Zufall dicht neben mir Platz genommen hatte, sprach lange kein Wort. Ihr Auge, in dem sich bald ein feuchter Glanz zeigte,[14] hing an dem unübertrefflich-schönen Schauspiele der untergehenden Sonne, die ihre letzten flammenden Strahlen auf den Fluß warf, der in einiger Entfernung von uns am Saume des Hügels hinfloß und dessen Wellen, leicht vom Abendwinde aufgeregt, in Millionen sprühender Funken erzitterten. Ein leises Zucken, das sich um ihren Mund zeigte, der Ausdruck in ihrem Auge sagten mir, was in diesem Augenblick in ihrer Seele vorging; die meinige empfand Dasselbe, unsre Blicke fanden sich und ein Bund war zwischen uns geschlossen, der nur mit unserm Leben enden sollte.

Wir ließen die andern Drei schwatzen und blieben stumm; dann, als aufgebrochen wurde, um den Rückweg anzutreten, weil es bereits spät geworden war, ließen wir sie vorauf gehen und schlenderten langsam hinter drein; ich hatte Elisen, die nur mühsam ging, den Arm geboten und führte sie.

Wir sprachen jetzt mit einander; was? weiß ich nicht mehr zu sagen, aber meine Seele war wie bezaubert, mein Herz beglückt, wie seit lange nicht; Elisens Worte, obgleich mit einer so unangenehmen Stimme gesprochen, tönten wie Musik in mein Ohr; sie hatte für Alles den richtigsten[15] und schönsten Ausdruck und sprach doch so natürlich; sie war witzig, aber ohne alle Bosheit; sie schien Alles zu wissen und doch nicht, daß sie irgend etwas wisse.

Nie vermöchte meine Feder zu beschreiben, was durch diese Begegnung so urplötzlich in meinem Innern geweckt, aufgeregt, zur Sprache gebracht wurde. Mein bisheriges frivoles Treiben und Leben kam mir wie ein böser Traum vor, und mit Schmerz und Beschämung dachte ich daran, daß ich demselben fast seit einem Jahre die edlern Beschäftigungen zum Opfer gebracht, die meine Jugend bisher ausgefüllt hatten, und mein Entschluß stand fest, diese ungesäumt wieder vorzunehmen.

Endlich hatten wir das Städtchen erreicht und unsre Wege trennten sich, da wir in einem andern Theile der Stadt wohnten, als die beiden Schwestern.

– »Nicht wahr,« sagte Elise, mir ihre Hand reichend, mit einem Tone, der fast wie flehende Bitte klang, »nicht wahr, wir sehen uns wieder?«

– »Ja!« betheuerte ich mit einem Händedruck; »ja, auch mir wird es das höchste Bedürfniß sein, Sie wieder zu sehen. Wann darf ich zu Ihnen kommen?«

– »Zu jeder Stunde, in der Ihre Pflichten[16] es Ihnen erlauben; ich weiß, daß Sie solche haben, ich aber bin frei.«

– »So komme ich schon morgen, nach vollendetem Unterrichte,« versetzte ich.

Ein dankbarer Blick aus ihrem Auge belohnte mich für dieses Versprechen, und wir schieden.

Elisabeth, die sichtbar darüber piquirt war, daß ich mich Elisen ausschließlich während dieser wenigen Stunden geweiht und von ihr selbst fast keine Notiz genommen hatte, ließ, als wir wieder allein waren, das ganze Geschütz ihres Witzes gegen mich spielen und machte besonders auch Elise zum Zielpunkte desselben; allein ich ertrug es nicht und wir waren nahe daran, uns ernstlich zu entzweien. Elisabeth hielt nämlich so viel von mir, als ein Wesen ihrer Art nur von einer Freundin halten kann, und so war eine kleine Eifersucht von ihrer Seite ganz natürlich. Sie hatte stets im wegwerfenden Tone, ja sogar mit Verachtung von den beiden Schwestern gesprochen, und jetzt mußte sie erleben, daß ich mich so lebhaft von der einen derselben angezogen fühlte, daß ich ihrer fast darüber vergaß. Sie mußte sich wegen dieser Hintansetzung rächen, schon ihr Stolz, ihre Eitelkeit forderten das, und wahrscheinlich, sie[17] schenkte mir nichts, besonders als sie bemerkte, daß ich ernstlich durch ihren Spott verletzt wurde.

Wir trennten uns kälter als sonst und ich eilte, in einer innern Aufregung, über die ich mir keine Rechenschaft abzulegen vermochte, nach meiner eigenen Behausung, wo ich, zu meiner Freude, Alles ausgeflogen fand. In dieser Stimmung entstand das nachfolgende Gedicht, das ich hier, trotz seiner großen Mangelhaftigkeit, als zur Stimmung meiner Seele und zu jener Zeit passend, mittheile:


An Elise von A.1

Was tief in mir das Heilige ich nenne;

Das, was die Brust in höh'rer Sehnsucht hebt,

Wie innig fühl' ich's Deinem Seyn verwebt:

O wohl mir, wohl mir, daß ich das erkenne!


Wir müssen durch's bewegte Leben streifen,

Und ach! uns spricht nicht Ton, nicht Farbe an;

Ja, Alles, was das Dasein schmücken kann,

Wir können's nicht, so viel wir haschen, greifen.


Wir klimmen muthig auf des Wissens Hügel,

Uns reizt der sonnenhelle, lichtbekränzte Pfad;[18]

Und ob wohl Einer ihn erklommen hat?

Nein – Alle sanken mit gebrochnem Flügel!


Wir strecken unsre Hand aus in die Streifen,

Womit der Irisbogen Liebe uns umzieht,

Der ewig in die graue Ferne flieht,

Wenn wir im süßen Wahne nach ihm greifen.


Es keimt und sproßt der Glaube nur so lange,

Bis der Verstand die schöne Knospe lüftet,

Die süße Blüthe, ach wie schnell! verdüftet –

Der Weg wird hell, das Herz so öd' und bange.


Doch Eines kenn' ich, das die Brust umziehet,

Wie Frühlingsluft, wie Sphärenmelodie:

Es ist der Himmelsfunke Sympathie,

Der still im Herzen der Verwandten glühet.


In einer eben so aufgeregten Stimmung, als die war, worin ich das vorstehende Gedicht schrieb, verharrte ich noch den ganzen folgenden Tag. Der Liebende kann mit keiner größern Ungeduld die Stunde herbeisehnen, in der es ihm vergönnt sein wird, die Geliebte seiner Seele zu sehen und zu umarmen, als ich den Abend herbeisehnte, der mich Elisen wieder zuführen sollte, indem er mich meiner Pflicht gegen das mir anvertraute Kind dann wenigstens auf einige Stunden entledigte.

Meine Seele, die so lange geschlummert, oder doch ihr bis dahin fremdartige Eindrücke durch eine frivole Umgebung in sich aufgenommen hatte,[19] war durch die Begegnung Elisens gleichsam wieder geweckt und neu besaitet worden. Ich hatte so lange kein einziges ernstes und tiefes Wort gehört; so lange war ich keinem Menschen begegnet, dem die Wissenschaft so viel, dem der Ernst Alles war, der sich von den Frivolitäten des Lebens mit unverkennbarem Ekel abwandte, und seine Seele nur für die erhabensten Eindrücke zugänglich erhielt. Jetzt plötzlich hatte ich ein solches Wesen gefunden, und schon jetzt wußte ich, oder ahnete ich vielmehr, daß ich es bis in den Tod lieben müsse und wieder von ihm geliebt werden würde.

Der heißersehnte Abend kam endlich heran; ich übergab meinen Zögling der Mutter, nahm Hut und Umschlagetuch und verließ das Haus, um dem Klosterhofe zuzueilen, wo, wie ich wußte, Elisens Wohnung war.

Die vier und zwanzig Damen, welche das Fräulein-Stift bildeten, wohnten nicht in einem einzigen großen Gebäude zusammen, sondern in Privatwohnungen zerstreut durch die ganze Stadt. Auf dem sogenannten, dicht neben der Kirche belegenen Kloster-Hofe, wo ehemals ein katholisches Kloster gestanden haben soll, befanden sich jedoch einige schlechte, fast ganz verfallene Häuser, die man Fall-Häuser, wie die daneben befindlichen[20] Gärten Fall-Gärten nannte, weil sie nach der Reihe den ärmern, sich darum bemühenden Stifts-Damen zufielen und gratis von ihnen bewohnt wurden. Ein solches Fall-Haus bewohnte Elise mit ihrer Schwester, trotz den bedeutenden Revenüen, die Beide als Stifts-Damen hatten. Erst späterhin erfuhr ich, aus welchen edlen Gründen Elise eine Armuth für sich erwählt hatte, die weder mit ihrer Geburt, noch mit ihren gegenwärtigen Verhältnissen übereinstimmte, denn hätten die Schwestern ihre Revenüen verzehrt, so würden sie eben so glänzend und sorgenlos haben leben und ganz so brillant haben wohnen können, wie die andern Chanoinessen. Der Vater dieser Beiden aber hatte nicht nur das ihm zugefallene Erbgut verzehrt, sondern bei seinem Tode auch noch bedeutende Schulden hinterlassen, die seine Töchter jetzt von ihren Ersparnissen abtrugen, um sein Andenken in Ehren zu erhalten, obgleich sie auf keine Weise dazu verpflichtet waren, ihre Einkünfte zu solchem Zwecke zu verwenden.

Meine Anverwandten, bei denen ich, wie schon angedeutet, in den angenehmsten Verhältnissen lebte, waren nicht gewohnt, mich zu fragen, wohin ich ginge, wenn ich nach vollbrachtem Unterrichte das Haus verließ. Dies war eine Freiheit,[21] die man einem kaum achtzehnjährigen Mädchen billigerweise nicht hätte gestatten sollen; allein ich war im Besitze ihres unumschränkten Vertrauens, das vielleicht noch durch den Umstand erhöht wurde, daß man mich verlobt wußte, und so fragte auch jetzt Niemand, wohin ich ginge. Man war es gewohnt, daß ich am Abende einige Stunden mit den Gräfinnen von B. zubrachte, wo dann Musik gemacht, gescherzt, geplaudert oder gelesen wurde, und so konnte ich, ohne eine Unwahrheit zu sagen, zu der ich übrigens nicht fähig gewesen wäre, meinen Weg zu Elisen antreten. Ich gebrauchte jedoch die Vorsicht, nicht über den Kirchhof und Klosterhof, sondern hinten durch den Garten der Schwestern zu gehen, und sah mich so zuerst mit klopfendem Herzen in dem Heiligthume, das Die bewohnte, die ich so innig lieben sollte.

Der Garten war nicht nur schön und mit Geschmack angelegt, sondern prangte auch mit zahllosen Blumen. Fast betäubte mich der Rosen-Duft, der mir von den Beeten und aus mehren Rosen-Hecken entgegenströmte. Einige himmelhohe Pappeln bildeten eine große Rotunde, in der Bänke und ein mit einer schönen Marmor-Platte belegter Tisch standen; an andern Stellen dieses zauberischen Gartens befanden sich Lauben von[22] Geißblatt und spanischem Flieder, die eben in voller Blüthe standen und mit den andern Blumen des Gartens zu wetteifern schienen, die Luft mit Wohlgerüchen zu erfüllen.

Blumen-Duft hat immer eine fast zauberische Wirkung auf mich hervorgebracht und mich in jene süßen Träume gewiegt, die für die Seele so wohlthuend sind. Für mich knüpfen sich tausend Erinnerungen an solche Düfte und wie oft taucht noch jetzt plötzlich ein theures, längst versunkenes Bild aus der Tiefe meiner Seele wieder auf, wenn ich den Duft dieser oder jener Blume einathme.

Ich war in Elisens Garten wie in einer Art von Verzauberung und durchschritt ihn, trotz meiner Sehnsucht nach ihr selbst, nur langsam; da wurde plötzlich das Ohr von ihm bisher ungewohnten Klängen berührt, die aus den höchsten Wipfeln der Bäume herabzukommen und Engels-Stimmen zu gleichen schienen. Ich blickte fast erschrocken empor, denn dieses Erklingen aus der Luft hatte etwas Geisterhaftes, und jetzt gewahrte ich, daß in den höchsten Wipfeln der Pappeln und Birken Aeolsharfen angebracht waren, die, vom leisen Abendwinde bewegt, diese zauberischen Töne durch die Luft erzittern ließen.[23]

Diese Klänge, der schöne Garten, die mich umspielenden Düfte, erhöhten die poetische Stimmung, in der ich mich schon seit dem vorhergehenden Tage befunden hatte, natürlich nur noch mehr, und mit lebhaft gerötheten Wangen und laut klopfendem Herzen betrat ich das Haus, auf dessen Flur mir Schön-Gretchen entgegen kam.

– »Sie kommen? Sie halten Elisen Wort? Das ist schön!« sagte sie mit gewinnender Freundlichkeit. »Folgen Sie mir, Sie werden mit Sehnsucht erwartet.«

Sie reichte mir bei diesen Worten die Hand und führte mich zur Treppe, die ich jedoch allein besteigen mußte, weil sie überaus schmal war und Zweien nicht gestattete, sie nebeneinander zu betreten, auch waren die Stufen schlecht und abgenutzt, so daß man sie nur mit Mühe hinanklimmen konnte.

– »Hier ist Elisens Zimmer, und sie allein,« sagte meine freundliche Führerin, indem sie auf eine Thür zur Linken wies; »klopfen Sie nur an und treten ein: ich habe unten noch mit dem Abendbrot zu schaffen.«

Ich gehorchte ihrem Befehl und ein leises Herein eröffnete mir das Himmelreich, in dem ich später so selige Stunden verleben sollte.[24]

Elise lag, als ich eintrat, auf einem kleinen, mit schwarzer Seide überzogenen Sopha ausgestreckt und entschuldigte mit ihrer Krankheit, daß sie diese Stellung nicht verlassen dürfe. Das arme Wesen war, vermöge seiner körperlichen Beschaffenheit oft auf Monate dazu verdammt, regungslos auf diesem Sopha zu liegen; der gestrige, etwas lange Spaziergang war Elisen nicht wohl bekommen, und der herbeigerufene Arzt hatte ihr das Liegen als Hauptmittel verordnet.

– »O, wie schön ist es von Ihnen, daß Sie gekommen sind!« rief sie, so wie sie mich erkannt hatte, und streckte mir ihre fast wachsweiße, abgemagerte Hand entgegen. »Nehmen Sie Platz neben mir, und verzeihen, daß ich nicht aufstehen und Sie, wie üblich, begrüßen darf; mir ist wieder einmal recht übel, das will sagen körperlich, denn geistig bin ich gesund und wir wollen was Rechts mit einander plaudern, wenn auch Sie heute dazu aufgelegt sind.«

Ich rückte mir einen Stuhl ganz dicht an ihr Sopha und setzte mich zu ihr. Mein Blick schweifte im Zimmer umher, das niedrig und fast ärmlich möblirt war. Die Stühle und Tische darin waren von grobem Holze, die Ueberzüge alle verblichen, doch herrschte die größte Reinlichkeit[25] vor, und ein fast allzu starker Duft von weißen Lilien, die in einer großen Vase unter dem Spiegel standen, erfüllte die Luft. Der einzige Reichthum in diesem Zimmer war eine bedeutende Menge schön eingebundener und sauber erhaltener Bücher, von denen viele mit Lesezeichen versehen waren, was verrieth, daß man sie fleißig benutzte.

– »Hier sehen Sie meine Welt!« sagte Elise, »die der Richtung meiner Blicke mit den ihrigen gefolgt war. »Sie ist klein, armselig, beschränkt, wenn Sie wollen; allein sie genügt mir, sie füllt mich ganz aus, und ich würde über das Schicksal gar nicht zu klagen haben, wenn ich eine Freundin, ein Wesen gefunden hätte, dessen Seele wie die meinige besaitet gewesen wäre und mich hätte lieben und freundlich tragen können.«

– »Wie, Sie fanden sie nicht?« fragte ich mit Erstaunen. – »Nein,« versetzte sie, und ein tiefer Zug von Schmerz zeigte sich auf ihrem leidenden, jetzt ganz blassen Gesichte, das zu meiner Freude nicht geschminkt war. »Wenn Sie mich erst näher kennen,« fuhr sie fort, »werden Sie begreifen lernen, daß es mir schwer, ja fast unmöglich fallen mußte, eine Freundin nach meinem Sinne zu finden. Ich mache die größten Ansprüche, ja vielleicht solche an die Freundschaft,[26] die sie nicht erfüllen kann; ich fordere eine gänzliche Hingabe der Freundin an mich, eine Hingabe, wie die Liebende sie für den Geliebten hat, und wer würde mir die gewähren? Freilich,« fuhr sie nach einer Pause fort, während welcher ich mich meinen Gedanken überlassen hatte, »freilich würde ich im Stande sein, eine solche Hingabe an mich zu belohnen; freilich fühle ich mich reich genug, sie zu vergelten; allein ich bin vier und vierzig Jahr alt geworden, ohne das Wesen gefunden zu haben, dem ich einen solchen Tausch der Herzen hätte anbieten mögen, aus Furcht, abgewiesen, vielleicht gar unheilbar verletzt zu werden, und so habe ich mich endlich bescheiden lernen.«

Sie seufzte, indem sie dieses sprach, und ihr Blick verweilte einen Augenblick auf dem Portrait eines jungen, sehr schönen Mannes, das neben ihr über dem Sopha hing; es lag in diesem Blicke Etwas, das wie eine Abbitte aussah.

Das Gespräch nahm dann eine andere Wendung, die sie absichtlich herbeiführte. Ich mußte ihr von mir erzählen, von meiner seltsamen Jugend, von dem Gange, den meine Bildung genommen hatte, deren Schöpferin ich, in durchaus störender Umgebung, ganz allein gewesen war,[27] und sie hörte mir mit dem gewinnendsten Wohlwollen, mit der innigsten Theilnahme zu. Ich fühlte mich ihr gegenüber ganz frei und unbefangen, obgleich ich ihre große geistige Ueberlegenheit willig anerkannte; ich konnte mich und mein Inneres ihr ganz hingeben, mich ganz vor ihr aufschließen, ohne Furcht von ihr nur einen Augenblick mißverstanden zu werden, und ich schloß vor ihr meine Seele auf, wie vor Gott, und das erfreute sie sichtbar.

Ein körperliches Unbehagen, das mich, ich weiß es selbst nicht wie, befiel, unterbrach dann unsre Unterhaltung; ich fühlte mich wie betäubt und empfand bald die heftigsten Kopfschmerzen.

– »Mein Gott,« sagte sie fast erschrocken, »daß ich auch daran nicht gedacht habe! Sie werden durch meine Lilien krank geworden sein und den Duft derselben im verschlossenen Zimmer nicht ertragen können. Schaffen Sie sie auf den Vorsaal hinaus und öffnen ein Fenster, um frische Luft einzulassen; ich Unbesonnene hätte Sie damit tödten können!«

– »Und wie ertragen Sie diesen narcotischen Duft?« fragte ich, indem ich ihren Befehlen gehorchte; »wird er auch Sie nicht vielleicht tödten, besonders wenn Sie in diesem Zimmer schlafen?«[28]

– »Möchten Sie mir denn einen so süßen Tod nicht gönnen, einen so ächt poetischen nicht, Sie Poetin?« fragte sie lächelnd. »Ich habe ihn mir oft gewünscht, allein so schwach ich auch sonst bin, so sind doch meine Nerven unbegreiflich stark, und er will nicht kommen, dieser süße, duftreiche, heißersehnte Tod.« Ich schalt sie wegen dieser Aeußerung, und sie erwiederte, ernster werdend:

– »Das war auch nur mein Scherz, liebe Amalia – ich darf Sie doch so nennen? – Nein, ich suche den Tod nicht, ich werde ihn nie gewaltsam herbeiführen, so wenig lieb mir auch das Leben sein kann: ich habe Pflichten zu erfüllen, und kann sie nur erfüllen, indem ich lebe. So hege und pflege ich denn meine armselige kleine Person fast über Gebühr; mit diesem Lilien-Duft habe ich mich aber vertraut gemacht, und er schadet mir nicht mehr. Sie werden wissen, daß man seine Natur nach und nach sogar an die schärfsten Gifte gewöhnen kann; so habe ich es mit dem Dufte meiner Lieblings-Blume gemacht, und die Geister, die ihr entströmen, sind, wenn auch vielleicht gegen alle Andere feindlich, ja sogar tödtlich gesinnt, mir doch befreundet und zugethan.«[29]

Wir sprachen noch lange mit einander, so lange, bis der seine Strahlen durch das niedre Fenster werfende Mond mich an die Heimkehr mahnte.

– »Sie kommen wieder, nicht wahr?« fragte Elise, als ich ihr beim Scheiden die Hand reichte, und ich versprach es willig.

Am folgenden Tage hatte ich einen Sturm mit Elisabeth zu bestehen, die durch einen Zufall – ihre Kammerfrau hatte mich, trotz meiner Vorsicht, in Elisens Garten gehen sehen – von meinem Besuche bei dieser unterrichtet war, und kam, mir die bittersten Vorwürfe, sowohl über mein gestriges Ausbleiben, als über die Fortsetzung der Bekanntschaft mit Elisen zu machen, die sie eine überspannte Närrin, eine kleine lächerliche Person, ein verschrobenes Wesen u.s.w. nannte, und deren kleine Schwächen sie mit den grellsten Farben ausmalte, indem sie unbarmherzig über ihren Anzug und die von ihr ausgelegte Schminke herfiel.

Dies verstimmte mich nicht nur, sondern schmerzte mich zugleich tief, besonders weil ich es nicht zu entschuldigen wußte, daß eine Person von Elisens Geist und innerm Gehalte sich so lächerlich und auffallend kleiden, ja sogar ihr Gesicht mit der mir in den Tod verhaßten Schminke[30] bedecken konnte, was um so mehr auffallen mußte, da ihre äußere Erscheinung fast abschreckend war. In der That hat sich mir dieses Räthsel nie ganz aufgeklärt, und nie ist es mir möglich gewesen, trotz der fast unumschränkten Macht, die ich späterhin über Elisens Herz erlangte, sie von dieser Schwachheit abzubringen. Auf meine fast flehende Bitte, die mir so verhaßte Schminke fortzulassen, antwortete sie mir, diese gehöre für sie eben so wohl zur anständigen Bekleidung, besonders in Gesellschaften, als der übrige Schmuck, den sie anlege, und sie sei es der Gesellschaft schuldig, so wenig häßlich als möglich vor ihr zu erscheinen.

Dies war eine Abgeschmacktheit, wenn man will, eine Krankheit ihres sonst so gesunden Geistes; allein durch wie viele Tugenden und geistigen Vorzüge wurde sie wieder aufgewogen!

Ich sah Elisen jetzt fast täglich, und waren wir verhindert, uns zu sehen, so schrieben wir einander. Oft, wenn ich am vorhergehenden Abende abgehalten gewesen war, sie zu besuchen, fand ich am Morgen beim Aufstehen schon eins der eben so zierlich geschriebenen, als zusammengefalteten Billete von ihr vor, von denen ich bald Hunderte aufzuweisen hatte. Sie mußte mir Alles sagen, was in ihrer Seele vorging, Alles wissen,[31] was die meinige bewegte. Las sie ein gutes Buch, das sie besonders anregte, so theilte sie mir die Stellen schriftlich daraus mit, die sie vorzüglich angezogen hatten, und fügte denselben ihre geistreichen und tiefen Bemerkungen hinzu; war ihr im Leben irgend Etwas aufgefallen, so mußte ich es auf der Stelle wissen und sie mein Urtheil darüber hören; dies ging so weit, daß ich selbst in den Gesellschaften, in die ich gezwungen zuweilen gehen mußte, von diesen Billets bekam, die ich nie ohne Rührung und Dank gegen sie empfing. Ihre Botin war ein schönes Kind, die Tochter einer armen Wittwe, die Elise nicht nur unterrichtete, sondern die sie auch sonst unterstützte; sie nannte dieses Kind ihre Sylphide und hatte es sehr lieb.

Es konnte bei diesem regen und fortgesetzten Verkehr zwischen uns nicht fehlen, daß man in meinem Hause und in der Stadt nicht aufmerksam darauf geworden wäre, und so war bald unsre innige Freundschaft kein Geheimniß mehr. Mißbilligung und Tadel von Seiten meiner Verwandten, die es herzlich gut mit mir meinten, blieben nicht aus, und man hatte im Grunde nicht Unrecht damit, da Gretchens Ruf in der That sehr schlecht war, und so der Besuch eines[32] Hauses, in dem auch sie lebte, für den Ruf eines jungen Mädchens nachtheilig werden mußte. Allein ich konnte von Elisen nicht mehr lassen; mit tausend Fäden hatten wir uns mit einander verknüpft, und alles, was gut und edel an mir war, mußte ich als ihr Werk ansehen, für jede gute Stunde, die ich genoß, für jeden neuen Gedanken, der in mir aufging, war ich ihr zum Danke verpflichtet. Sie war es, die mich mit den besten Büchern bekannt machte, die unsre Literatur und die einiger andern Nationen, deren Sprache mir zugänglich war, aufzuweisen hat; sie las mit mir die besten Uebersetzungen der Römer und Griechen, deren Meisterwerke sie in der Ursprache zu lesen vermochte; sie ermunterte durch ihren Beifall meine geringen Talente; sie tadelte mich mit Liebe, wo ich zu tadeln war; sie spornte mich unaufhörlich an, meinen Geist auszubilden und mit Kenntnissen zu bereichern; sie machte mich besser, edler, ernster, als ich früher gewesen war, indem sie mir die Frivolitäten des gewöhnlichen Lebens in ihrer Hassenswürdigkeit und Nacktheit zeigte; sie vermehrte meine Kenntnisse, indem sie mir entweder selbst Unterricht gab oder ihn vereint mit mir noch selbst nahm, um mich zum unausgesetzten Fleiße anzuspornen.[33]

O, was verdanke ich Dir nicht Alles, theurer Schatten, der Du gewiß selbst jetzt noch aus seligen Höhen liebend auf Dein Geschöpf herabblickst, und Dich der Dankbarkeit freuest, die es Dir bis zum letzten Hauche seines Lebens unwandelbar weihen wird! Und für Alles, was Du mir gabst, fordertest Du nichts, als daß ich Dich liebe, liebe, wie Du mich liebtest, mit der vollen Gluth der Seele und des Empfindens, und glücklicher sei, indem ich immer besser würde!

Und wie hätte ich Elisen nicht lieben sollen, die die Schöpferin meines bessern Selbst, die mir als ein hülfreicher Engel gerade in der Zeit des Lebens entgegengetreten war, wo ich nahe daran stand, mich selbst zu verlieren; sie nicht, die mir dadurch, daß sie den Trieb des Wissens wieder in mir belebte, die Quelle unvergänglicher Genüsse eröffnete; sie nicht, die zugleich den größten Verstand, die seltensten Kenntnisse und ein liebendes Herz besaß?

Ja, ich liebte sie mit der ganzen Kraft meiner feurigen Seele; liebte sie in dem Maaße, daß ich selbst die kleinen Fehler und Schwachheiten an ihr nicht mehr hätte missen mögen, mit denen es mir erging, wie es uns mit kleinen Narben und Flecken in einem geliebten Gesichte ergeht: wir sehen sie[34] entweder gar nicht mehr, oder möchten doch nicht, daß sie daraus verschwänden. Und sie fühlte das; sie blühte zu neuem Leben, zu neuer Gesundheit in dem seligen Gefühle wieder auf, nochmals ein Wesen gefunden zu haben, das ihr ganz, ungetheilt angehörte, das ihr seine schönsten, heiligsten und reinsten Empfindungen weihte.

Nur Eins trübte unser glückseliges Zusammenleben zuweilen: es war die Furcht, die Elise nicht los werden konnte, daß man uns trennen würde, und ach! sie war nicht ungegründet. Wenn ich ihr gleich aus billiger Schonung und Zartgefühl nicht sagte, welche Kämpfe ich zu bestehen, welche Hindernisse zu besiegen und welche Kraft aufzuwenden hatte, um mich für sie und unsre Freundschaft zu erhalten; so ahnete sie dieselben doch, da es ihr nicht verborgen war, wie schlecht Gretchens Ruf im Publicum, und wie besorgt meine Anverwandten mit Recht für den meinigen waren. Ich ließ mich indeß nicht irre machen und kämpfte mich muthig durch; es würde mir feig und meiner unwürdig geschienen haben, einem bloßen Vorurtheile zu Liebe, Elisens Freundschaft, das Glück ihres Umgangs, aufzuopfern, diese Freundschaft und dieses Glück, die mich edler, besser und ernster machten und jetzt so nothwendig[35] zum Fortbestehen meines Lebens gehörten, als das Athmen.

Auch sah ich Gretchen fast gar nicht. Elise war entweder in ihrem Zimmer oder im Garten allein mit mir. Wir lasen, zeichneten oder schrieben mit einander, wenn wir nicht plauderten; oft auch mußte ich ihr zum Clavier oder zur Guitarre vorsingen, besonders Abends in der Dämmerung, wo sie es sehr liebte, Musik zu hören. Dann freilich setzte sich Gretchen auch wohl auf ein Stündchen zu uns; allein sie entfernte sich gleich wieder, wenn wir von unserm »gelehrten Kram,« wie sie unsre ernsten oder wissenschaftlichen Unterhaltungen zu nennen pflegte, zu reden anfingen. Es erging ihr damit ganz so, wie dem Gellertschen Geiste mit den Versen – wir waren immer sicher, sie zu verscheuchen, wenn wir von einem Buche zu reden anfingen, und ich muß gestehen, daß wir oft boshaft genug waren, zu diesem Kunstgriffe unsre Zuflucht zu nehmen, um uns ihres unerträglichen Geschwätzes und ihrer sentimentalen »Schönrednerei« zu entledigen. Uebrigens war Gretchen ein völlig gutes und harmloses Geschöpf, das mit inniger Liebe der Schwester zugethan war und auf die zarteste und gemüthlichste Weise für alle Bedürfnisse derselben, so[36] weit sie diese zu befriedigen im Stande war, sorgte. Hätte das Schicksal ihr früh einen braven, sie liebenden Gatten zugeführt, so würde sie eine treffliche Hausfrau und Mutter, eine treue, liebende Gattin geworden sein. Allein ein solches Glück war ihr nicht beschieden; denn wenn gleich ihre außerordentliche Schönheit Bewunderer und Anbeter genug herbeizog, so fehlte es ihr doch bei ihrer Armuth – ihre Einkünfte als Kloster-Dame hörten natürlich mit ihrer Verheirathung auf – an einem ernstlichen Bewerber, wozu auch wohl der Umstand beitragen mochte, daß sie schon in frühester Jugend ein Verhältniß mit einem jungen Officier gehabt hatte, von dem die böse Welt das Uebelste sprach, und dieser Officier hatte sie, da er gleichfalls arm war, nicht heirathen können. Nur dieser Umstand machte es einigermaßen begreiflich, daß ein so schönes Mädchen, dessen Reize durch das ganze Land berühmt waren, und von denen man nur mit Bewunderung sprach, unvermählt geblieben war – und es auch für die Folge blieb. Schön-Gretchen ist jetzt verblüht, ist zur Matrone geworden, und noch immer Stifts-Dame in I.

Elisens große Kränklichkeit, die sie fast immer an ihr Zimmer und sogar an das Lager fesselte,[37] so wie die Bornirtheit der Mutter der beiden Schwestern, hatten herbeigeführt, daß Gretchen sich ganz selbst überlassen geblieben und den unseligen Weg gegangen war, auf dem man sie jetzt erblickte. Uebrigens glaube ich, daß auch sie mit Recht sagen konnte: »Ich bin besser, als mein Ruf,« denn nie habe ich auch nur ein frivoles Wort, obwohl manches alberne, von ihren Lippen vernommen, und wenn man in ihr Auge blickte, glaubte man in das der höchsten Unschuld und Seelen-Reinheit zu sehen. Gewiß ist indessen, daß sie sich große Unvorsichtigkeiten hatte zu Schulden kommen lassen und zuweilen noch jetzt zu Schulden kommen ließ, indem sie mit Vergnügen die Huldigungen von Männern annahm, die als höchst leichtsinnig im bösesten Rufe standen.


Als mein Verhältniß zu Elisen so vertraut geworden war, daß wir jeden Gedanken unserer Seele gegen einander austauschten, wagte ich es, sie auf das unvorsichtige Betragen ihrer schönen Schwester aufmerksam zu machen, und sie zu fragen, wie sie es damit habe so weit kommen lassen können, da ihr doch gewiß Mittel und Wege genug zu Gebote gestanden, dem einreißenden Verderben zu wehren?[38]

Sie schwieg bei dieser Frage einige Augenblicke betroffen still; dann sagte sie:

– »Einestheils hat mich meine beständige Kränklichkeit daran verhindert, den Einfluß auf Gretchen auszuüben, den ich unter andern Umständen wohl auf sie hätte ausüben können; und dann, laß es mich Dir gestehen,« fügte sie lächelnd hinzu, »bin ich dahin gekommen, über Liebe und Ehe anders zu denken, als der große Haufe thut. Ich sehe die Schwester glücklich; sie ist jung, ist schön, die Natur hat ihr Genußfähigkeit verliehen; so freue ich mich, daß sie die schönen Tage ihrer Jugend genießt und ihr Leben jenen poetischen Anstrich hat, der so manchem jugendlichen Leben fehlt. Sie hätte vielleicht eine sogenannte gute Partie thun können, wenn sie vorsichtiger in der Wahl ihres männlichen Umgangs gewesen wäre; allein ich zweifle daran, daß mehr Glück für sie dabei herausgekommen wäre, als jetzt ihr durch ihre Freiheit und Ungebundenheit zu Theil wird. Ich schaudre, wenn ich an das Loos der sogenannten guren Ehefrauen denke, deren Blüthe unter Sorgen und Lasten aller Art nur allzu früh dahinwelkt, und die, der rohen Willkür ihrer Männer gänzlich unterworfen, an Leib und Seele zugleich verkümmern. Sieh Dir nur einmal recht[39] ein solches Pärchen an, das man in der Welt ein glückliches nennt,« fuhr sie nach einer Pause lächelnd fort, »und gieb zu, daß es das Bild der höchsten Prosa, der schauderhaftesten Langweiligkeit darbietet; ja, würde man beide Theile zum Nachdenken über sich selbst bringen und ein offenes Geständniß von ihnen erlangen können, so halte Dich fest davon versichert, daß Beide ihr vielbeneidetes Glück zu allen Teufeln wünschen, und, wenn die lieben Kinder nicht wären, keinen lebhafteren Wunsch hegen würden, als ihr unseliges, sie zur höchsten Prosa des Lebens verdammendes Bündniß wieder gelöset zu sehen.«

– »O, Elise!« rief ich, die durch die von ihr ausgesprochenen Grundsätze und Ansichten auf das Lebhafteste erschreckt wurde, »Du hast nie geliebt, kennst die wahre Liebe nicht, wenn Du so die Ehe schmähst!«

– »Nicht?« fragte sie, und ihr leuchtender Blick wandte sich nach dem Portrait um, das über ihrem Sopha hing, und, wie schon angedeutet worden, das eines sehr schönen, jungen Mannes war. »Nicht?« wiederholte sie, und die eben noch so bleichen Wangen wurden von einem matten Roth gefärbt. Dann wurde sie plötzlich stumm und sehr ernst, ging an ihr[40] Schreibpult und nahm aus einem verborgenen Fache desselben ein Paquet Briefe hervor, das kreuzweis mit einem schwarzen Bande zusammen gebunden war.

– »Da nimm und lies sie zu Hause, aber mit Andacht,« sagte sie und ihre Hand und Stimme bebten, als sie mir das Paquet überreichte. »Es war nicht Mangel an Vertrauen gegen Dich,« fuhr sie nach einer Pause fort, »nicht die Furcht, daß auch Du mich verspotten würdest, wie die Welt es thut, daß ich, so hinfällig von Jugend auf, so jedes Reizes entbehrend, so mißgestaltet selbst, zu lieben wagte und geliebt wurde, das Dir diese Papiere bisher vorenthielt; aber ich fürchtete mich, die tiefe Wunde meines Herzens wieder zu berühren, ich habe genug daran geblutet, und ich will, ich mag diese Erweichungen nicht, sie passen jetzt nicht mehr zu mir!«

Unwillkürlich erhob ich das Auge, indem ich die Briefe von ihr empfing, zu dem bewußten Portrait, um die Gesichtszüge des Mannes zu betrachten, der so bedeutungsvoll in Elisens Leben getreten war und, aller Wahrscheinlichkeit nach, selbst so bedeutend gewesen war. Wohl sah ich noch schönere, nie aber geistreichere und edlere[41] Gesichtszüge als diese; besonders waren Stirn und Augen von unübertrefflicher Schönheit und Hoheit.

– »Nicht wahr,« sagte Elise, die der Richtung meiner Blicke mit den ihrigen gefolgt war, »er war ein schöner Mann? Auch konnte man sich kein reizenderes Paar denken, als wenn er neben Gretchen ging, die damals, als wir ihn kennen lernten, funfzehn Jahr alt und eine wahre Hebe war; auch hegte ich lange keinen lebhaftern Wunsch, als diese Beiden mit einander vereint zu sehen. Es war aller Anschein vorhanden, daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen würde, indem Ernst, durch Gretchens Reize angezogen, vielleicht mit den besten Absichten in unser Haus kam. Allein es sollte anders kommen, und ich, ich war dazu bestimmt, dieser Neigung hindernd in den Weg zu treten. Doch lies die Briefe, und Du wirst Alles wissen; ich fühle, daß ich mich selbst vor Dir seltsam ausnehmen muß, wenn ich Dir von einem gehabten Liebesverhältnisse erzähle, und ich fürchte mich mit Recht davor, mir den Anschein des Lächerlichen zu geben, indem ich Dir von zarteren Gefühlen rede, die ich einem schönen und liebenswürdigen Manne einflößte.«

Ich nahm die mir anvertrauten Briefe mit nach[42] Haus und las sie, wie Elise gewollt hatte, »mit Andacht,« ja unter Thränen.

Nie hat ein Liebender so geliebt, wie Ernst; nie redete ein Mann glühender zu der Geliebten seines Herzens, als er es in diesen Briefen zu Elisen that. Er drang auf eine feste, unauflösliche Verbindung zwischen ihnen, er wollte sie durch das Band der Ehe auf immer an sich ketten, und war in Verzweiflung, als sie sich ihm mit der ihrer würdigen Festigkeit versagte.

Ich glaube, daß nie ein ähnliches Verhältniß in der Welt existirt hat; dies war eine rein-geistige Liebe, wenn es je eine gegeben!

Da das Verhältniß anfing, Aufsehen zu erregen, weil Ernst seine Liebe für Elisen keineswegs zu verbergen bemüht war, trieb ihr strenger Befehl ihn fort von ihr. Er gehorchte erst, nachdem er die feste Ueberzeugung gewonnen hatte, daß Nichts ihren einmal gefaßten Entschluß ändern würde, und begab sich, da seine Verhältnisse es ihm erlaubten, auf Reisen, nicht um sie zu vergessen, sondern um sich gehorsam gegen ihren Willen zu bezeigen. In Rom wurde er von einem bösartigen Fieber ergriffen, dem er erlag; noch wenige Tage vor seinem Tode hatte er ihr geschrieben und in unveränderter Liebe und Gesinnung gegen sie.[43]

Ich wage nicht, zu beschreiben, welchen Eindruck diese Geschichte und die sie begleitenden Briefe auf mich machten; nie empfing ich einen lebhaftern und dauerndern, als diesen; denn selbst jetzt, nach so vielen Jahren, erinnere ich mich fast jeder Zeile, die in diesen Briefen stand, und würde den Inhalt derselben, wenn ich es wollte, aus dem Gedächtnisse getreu wiedergeben können.


Das Band zwischen Elisen und mir schlang sich, allen äußern Hindernissen zum Trotze, mit jedem Tage fester. Sie betrachtete mich als ihr Werk, als ihr geliebtes Kind, als ihren Zögling, und machte es fast zu ihrem ausschließlichen Geschäft, meinen Verstand aufzuklären, meinen Geist zu bereichern und meine Kenntnisse zu vermehren. Jede Trägheit des Geistes war ihr zuwider und so regte sie mich durch ihre zugleich geistreichen und gemüthlichen Gespräche fortwährend zum Denken an. Ich befand mich in ihrer Nähe in einer beständigen Spannung, die aber, weit davon entfernt, mich zu ermatten, meinem Geiste eine immer größere Elasticität gab. Ich begriff, daß ich etwas sein müsse, um einem Wesen, wie Elise, zu gefallen, und meine ganze Seele strebte darnach, ihr Alles zu sein.[44]

Was ich ihr geworden war, wie sie mich liebte, wie sie zu lieben verstand, zeigte sich bald. Ich verfiel in eine tödtliche Krankheit, von der die Aerzte mich nicht glaubten herstellen zu können. Sie vernahm dies, nachdem sie mich mehre Tage vergeblich bei sich erwartet hatte, mit Schrecken, und eilte sogleich zu mir. Dies war schon ein großes Opfer von ihrer Seite, indem sie recht gut wußte, wie ungern man sie in meiner Nähe und in dem Hause wußte, in dem ich lebte; allein alle Rücksichten mußten schweigen, wo es mein Leben, das sie von ihrer Pflege abhängig glaubte, galt, und so verscheuchten sie keine verdrießlichen Gesichter von meinem Lager, neben dem sie, die Schwache, Kränkliche, selbst dem Tode Nahe, vierzehn Tage und Nächte verweilte, indem sie sich nur auf wenige Stunden Ruhe auf einem im Zimmer stehenden Sopha gönnte.

Meine Krankheit war ein Brustübel; ich konnte und durfte nicht reden, ohne mich der Gefahr eines heftigen Lungen-Blutsturzes nochmals auszusetzen; doch war ich bei voller Besinnung und empfand und begriff ihre ganze Liebe. Sie ließ mich kaum aus ihren Armen; sie bewachte jeden meiner Athemzüge, wenn ich auf Augenblicke einschlummerte; nur von ihrer Hand durfte ich[45] die mir verordnete Arzenei nehmen; sie beschwor mich fast unter Thränen, kein Wort zu reden und mich ihr zu erhalten, indem ich strenge die Vorschriften des Arztes befolge, ihr, die nicht ohne mich leben könne, wie sie sagte, und ich gehorchte ihrem liebevollen Befehle mit von Dankbarkeit erfülltem Herzen.

Ihre Pflege und Wachsamkeit, verbunden mit einer ungeschwächten Natur und richtiger ärztlicher Behandlung, erhielten mir das Leben, und jetzt beschwor ich sie, an sich zu denken, sich auch mir zu erhalten. Es war die höchste Zeit damit; denn kaum zu Hause angelangt, verfiel sie in jenen Zustand der Ermattung, wie ich ihn, in einem geringern Grade aber, schon mehrmals an ihr gesehen hatte; doch schrieb sie mir trotz dem, da ich das Haus noch nicht wieder verlassen durfte, täglich von ihrem Schmerzenslager, um mich über ihren Zustand zu täuschen.

Endlich durfte ich sie wieder sehen und ihr danken; aber wie groß war mein Erschrecken über den Verfall, den ich an ihr wahrnahm! Fast hätte ihr Anblick mir einen Rückfall zugezogen, denn ich wußte ja recht gut, daß ich die alleinige Ursache ihrer Hinfälligkeit war. Indeß wurde sie mir und dem Leben erhalten, und der Frühling,[46] welcher wieder erwacht und überaus schön und warm war, that das Seinige, um sie wieder herzustellen.

Mit welchen Empfindungen machten wir den ersten Spaziergang wieder, mit welchen betraten wir die Stätte im Walde, wo wir uns zuerst gesehen hatten! Wie damals, lagerten wir uns unter dem Schatten der großen Eiche auf das schwellende Moos hin, und saßen lange Hand in Hand, Auge in Auge, Seele an Seele hangend. Wußten wir doch jetzt, was wir an einander hatten, welches Glück der Himmel uns durch unser Begegnen und Finden geschenkt hatte!

Plötzlich, wie sich am Morgen die Nebel vor den siegenden Strahlen der Sonne verziehen und ein bisher verhülltes Bild der Landschaft uns sichtbar wird und sich vor uns aufrollt, erinnerte ich mich in diesem Augenblick eines Traumes, den ich in der vorhergehenden Nacht gehabt und am Morgen beim Erwachen wieder vergessen hatte; er erschreckte mich und schien mir so bedeutsam, daß ich ihn Elisen mittheilte, die mir stumm und immer bleicher und bleicher werdend zuhörte.

In jenem höchst merkwürdigen Traume ging ich, wie jetzt in der Wirklichkeit, an Elisens Seite zwischen den Bäumen des Waldes umher, und[47] war ganz so selig, wie ich es immer in ihrer theuren Nähe und in der Umgebung einer schönen Natur war. Indem wir so fortwandelten, gelangten wir zu einem freien Platze, der sich immer mehr und mehr ausdehnte, so daß ihn endlich nur noch der Horizont begrenzte. Da sah ich zu meinen Füßen nieder und erblickte zwischen Elisen und mir eine schmale Ritze oder Spalte von dunkler Färbung, die sich wie ein schwarzer Strich zwischen ihren und meinen Füßen hinzog. Indem ich diese auffallende Erscheinung mit Erstaunen betrachtete, bemerkte ich zu meinem Erschrecken, daß die Spalte immer breiter und breiter wurde, und daß Elise am jenseitigen Rande derselben stand und mir die Arme, wie flehend, entgegenstreckte, indem der Abgrund zwischen uns beständig größer und tiefer wurde und sie mit einer schwindelnden Schnelligkeit immer weiter zurückflog. Noch konnte ich ihre theure Gestalt erkennen, noch sah ich ihre flehend gegen mich ausgestreckten Arme, allein aus so weiter Ferne schon, daß ihre Gesichtszüge mir nicht mehr kenntlich waren; dann verschwamm ihre Gestalt ganz und der Abgrund, an dessen diesseitigem Rande ich mit einer unnennbaren Angst stand, wurde nur noch vom Horizonte begrenzt.

– »Man wird uns trennen!« rief Elise mit[48] einem Ausdruck der Stimme, der mich durchschauderte; »glaube mir, man wird uns trennen!« rief sie nochmals; »dieser Traum weissagt es mir.«

Ich suchte sie zu beruhigen und spottete sogar, obgleich es mir selbst weh und seltsam um das Herz war, über ihren Glauben an Träume, der in der That ihr eigenthümlich war; allein sie blieb traurig und verstimmt und wollte sich ihren Glauben nicht ausreden lassen.

Nur zu bald sollte in Erfüllung gehen, was sie gefürchtet hatte. Ein Regiment Cavalerie wurde in die Gegend und in die Stadt verlegt und bald wimmelten die Gassen von Officieren. Diese verfehlten nicht, sich von Gretchens vielgepriesener Schönheit durch den Augenschein überzeugen zu wollen, und so oft ich in Elisens Haus kam, erblickte ich, wenn auch nur durch die geöffnete Thür des Wohnzimmers, rothe Röcke. Freilich kam ich, die ich gleich auf Elisens Zimmer flüchtete, mit diesen Herren nicht in Berührung und lernte keinen einzigen von ihnen kennen; allein diese neue Unvorsichtigkeit von Seiten Schön-Gretchens diente meinen Verwandten zum willkommenen Vorwande, mir mit Ernst und Strenge den Besuch von Elisens Hause zu untersagen, und,[49] als ich, im Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit, diesem Befehle nicht Gehorsam leisten wollte, eine Hülfe herbei zu rufen, der ich nicht widerstehen durfte.

Ich war, wie schon angedeutet worden, damals bereits mit meinem nachherigen Gatten verlobt; man unterrichtete ihn von der Gefahr, der mein Ruf ausgesetzt sein würde, wenn ich noch ferner ein Haus besuche, das so vielen Officieren zum Sammelplatze diene, und die Wirkung, welche man von diesem Schritte erwartet hatte, konnte um so weniger ausbleiben, da mein Verlobter bis zur Raserei eifersüchtig war.

Ich tadle die nicht, welche in der reinsten Absicht so handelten, und würde unter ähnlichen Umständen ganz dasselbe für ein mir anvertrautes, noch junges und unerfahrnes Mädchen thun; allein der Schlag, den ich dadurch empfing, war wahrhaft furchtbar, und um so schmerzlicher für mich, da ich mir auch nicht das Mindeste vorzuwerfen hatte.

Weit davon entfernt, an Gretchens Gesellschaft und den Besuchen, die sie annahm, Gefallen zu finden, wandte ich mich vielmehr von beiden mit Ekel und Unwillen ab und hatte mich auch nicht ein einziges Mal nur dazu bewegen lassen, in das Wohnzimmer[50] zu kommen, wenn Besuch da war. Meine Welt, mein Paradies, war Elisens trauliches Stübchen; das Glück, das ich suchte, ihre belehrende, belebende Unterhaltung, der Unterricht, den ich von ihr empfing, die geistige Anregung, die mir von ihr zu Theil wurde. Stundenlang konnten wir Beide an den Winter-Abenden auf niedrigen Stühlen vor der Flamme des Ofens sitzen und mit einander plaudern, wenn ich eine Unterhaltung so nennen darf, in der das Höchste und Heiligste zur Sprache kam und die nie zum Flachen, Trivialen herabsank. Ich wußte, was Elise mir gegeben hatte, welchen Dank ich ihr schuldig war, und jetzt sollte ich nicht nur undankbar, sondern sogar unmenschlich gegen sie sein, indem ich sie des einzigen Glücks beraubte, auf das sie noch Werth setzte; denn sie hatte mich so stolz gemacht, zu glauben, daß mein Umgang ein solches für sie war.

Im ersten Augenblick, als ich den Brief meines Verlobten empfing, war ich wie betäubt und wußte nicht, was ich beginnen sollte, um mich aus einer so entsetzlichen Lage heraus zu ziehen; ich zerfloß in Thränen und wünschte mir tausendmal den Tod, den ich der schrecklichen Nothwendigkeit unbedingt vorgezogen haben würde, ein Herz, wie Elisens, zu betrüben; allein er kam[51] nicht – ich mußte leben, mußte Der eine tödtliche Wunde schlagen, die sich für die Erhaltung meines Lebens aufgeopfert hatte!

Dann faßte ich mich wieder und schrieb an S. Ich stellte ihm das ganze Verhältniß getreulich dar und schilderte ihm meine Verzweiflung über seinen harten Befehl mit den lebhaftesten Farben, indem ich ihn zugleich flehentlich bat, ihn zurück zu nehmen. Ich versprach ihm, in soweit seinen Willen zu befolgen, daß ich Elisens Wohnung, die ihm, wegen Gretchens, mit Recht ein Stein des Anstoßes war, nicht wieder beträte; allein er sollte mir gestatten, sie bei mir, auf Spaziergängen und an andern, durchaus nicht anstößigen Orten zu sehen. Ich beschwor ihn, mir einen Umgang nicht zu rauben, der mich veredelte, mich besser und geistreicher mache, und ohne den ich nicht mehr leben könne, nachdem ich die Süßigkeit eines so schönen, geistigen Verkehrs habe kennen gelernt.

Alles war vergebens, und mein Brief hatte das Uebel nur noch ärger gemacht. Es giebt eine Art von Eifersucht, die sich nicht nur auf den Umgang mit dem andern Geschlechte, sondern auch auf den mit Eltern, Geschwistern und Freundinnen erstreckt: Elise zu lieben, wie ich es that,[52] wurde mir zum Verbrechen gemacht, und ich sogar aufgefordert, meine bisherigen Verhältnisse zu verlassen.

Nichts blieb mir übrig, als zu gehorchen.

Ich sah Elise nicht wieder, ich vermochte es nicht, Abschied von ihr zu nehmen, noch ihr Herz dadurch zu verwunden, daß ich ihr die Ursache unserer Trennung mittheilte. Ich schrieb ihr erst von Hamburg aus; doch auch das Glück wurde mir verboten, mich schriftlich mit ihr unterhalten zu dürfen, indem es hieß, ihre Grundsätze und Lebens-Ansichten wären der Art, daß sie die meinigen untergraben müßten.

Nach Jahren sandte mir Gretchen eine Brieftasche von schwarzem und rothem Atlasbande geflochten; ich öffnete sie und fand alle meine an Elise geschriebenen kleinen Briefe, poetische Versuche, die ich ihr mitgetheilt hatte, und einige Aufsätze in Prosa von meiner Hand darin. Sie hatte Alles treu verwahrt und sandte es mir als Vermächtniß von ihrem Sterbebette zu. Von ihrer Hand war keine Zeile dabei; wahrscheinlich hatte sie nicht mehr schreiben können, denn sonst würde ich auch noch diesen Beweis ihrer Liebe und der Vergebung einer unfreiwilligen Schuld[53] gegen sie empfangen haben. Als ich ihr Vermächtniß empfing, war sie bereits heimgegangen.

Wie ihr Andenken in mir fortlebt, davon mag das Vorstehende Zeugniß ablegen. Die Segnungen ihrer Liebe und ihres Umganges dauern noch jetzt für mich fort.[54]

Fußnoten

1 Späterhin abgedruckt im »Deutschen Dichterwald,« herausgegeben von Justinus Kerner, La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. Tübingen 1813.


Quelle:
Schoppe, Amalia: Erinnerungen aus meinem Leben, in kleinen Bildern. Altona 1838, S. 55.
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