III. Der alte Leihbibliothekar.

Früher war noch nicht, wie jetzt, in kleinen Städten sogar für die Lectüre durch Leihbibliotheken gesorgt, und man mußte, um sich Bücher, Journale u.s.w. zu verschaffen, sie von den zunächst gelegenen großen Städten kommen lassen, was natürlich große Unbequemlichkeiten mit sich führte und überdies, der Transport-Kosten wegen, überaus kostspielig war.

In dieser Hinsicht war das Städtchen Itzehoe vor vielen andern sehr bevorzugt, indem es eine Leihbibliothek und einen Leihbibliothekar besaß; beide waren aber so eigenthümlicher Art, daß sie wohl einer kleinen Schilderung würdig sein dürften.[75]

In einem engen, zum Felde direct hinausführenden Gäßchen der obengenannten Landstadt stand ein kleines, unansehnliches und durchaus verfallenes Häuschen mit kleinen niedern und so beschmutzten, so angelaufenen Fenstern, daß kein Blick in die Stube gestattet war. Dieses Haus war selbst während des Tages stets verschlossen und öffnete sich nur, wenn man anklopfte, worauf sich ein kleiner, sehr hagerer Mann mit dunklen, blitzenden, tiefliegenden Augen zeigte, der gewöhnlich die Brille auf der Stirn, statt auf der Nase, sitzen hatte, weil er sie nur zu den feinern Arbeiten seines Berufs – er war Buchbinder – gebrauchte, sonst aber überaus scharf sah.

Brüning, so hieß dieses, von J.G. Müller in den »Papieren des braunen Mannes« verewigte Original, öffnete dem Anklopfenden nur mit Vorsicht die Thür, fixirte ihn mit seinen kleinen, stechenden Augen sehr scharf und öffnete dann, oder verschloß, je nachdem ihm der Einlaß Begehrende gefiel oder mißfiel, seine Thür; letzteres that er allemal mit einigen derben Flüchen, die sich allmälig in ein Brummen verloren, bis Alles wieder todtenstill in dem Häuschen ward.

Die äußere Erscheinung dieses Mannes hatte etwas so Auffallendes, und sein Gesicht war zugleich[76] so klug, so geistreich und so boshaft, daß man seiner nicht leicht wieder vergaß; besonders stachen die kleinen schwarzen, von buschigen Braunen noch mehr verdüsterten Augen, die denen einer Schlange an List und Klugheit glichen, auffalend in dem magern, aschgrauen und reichlich mit Bart bewachsenen Gesichte hervor. Der Mund war zahnlos und so tief eingefallen, daß das sehr spitzige Kinn und die noch spitzigere Nase sich fast berührten; die Stirn war breit und hoch und der Scheitel fast kahl; nur hinten um den Kopf zog sich noch ein Kranz spärlicher, weiß und schwarz gemischter Haare. Die Gestalt war klein und mager und bereits sehr vom Alter gekrümmt; der Anzug der der Handwerker in kleinen Städten, nur war er auffallend schmuzig.

Dies war der Buchbinder und Leihbibliothekar des Städtchens Itzehoe, und zugleich für uns, die wir nach geistiger Nahrung schmachteten, ein überaus wichtiger Mann.

Um zu Brünings Schätzen zu gelangen, mußte man förmlich bei ihm eingeführt und gewissermaßen durch eine ihm bereits bekannte Person beglaubigt werden, denn sonst bekam man kein Buch von ihm, selbst nicht gegen das stärkste Pfand; auch durfte man nicht bei ihm abonniren[77] und bekam nie mehr als ein Buch zur Zeit; das erstere gestattete er nicht, weil er sich die Freiheit vorbehalten wollte, seinen Leser, sobald er ihm auf irgend eine Weise mißfiel, sogleich verabschieden zu können, und das that er ohne Barmherzigkeit; das letztere wurde vielleicht durch die nicht eben große Sammlung von Büchern bedingt, die er im Besitze hatte; auch ängstigte es ihn sehr, wenn er bedeutende Lücken in seinem Schatze erblickte, und es traf sich wohl einmal, daß er ihn selbst Denen auf eine Zeitlang verschloß, die sonst nach Belieben daraus schöpfen durften, blos deshalb, weil er nach seiner Meinung zu viel verliehen hatte und seinen Vorrath nicht noch mehr vermindert sehen wollte.

Denn seine Bücher waren seine Welt, sein Glück, das einzige Gut, auf das er Werth setzte, und er bewachte sie, obgleich sie größtentheils schon alt, schmuzig und sehr verlesen waren, wie man den köstlichsten Schatz bewachen würde. Sie mußten ihm Alles sein: Gattin, Kind, Freunde und Genossen, denn von allem Diesen besaß er nichts und hatte auch nie den Trieb in sich verspürt, sie sich anzueignen. Er lebte ganz allein in dem kleinen verfallenen Häuschen und betrieb selbst sein eigentliches Geschäft, die Buchbinderei,[78] ganz ohne Gehülfen, so daß man oft lange warten mußte, bevor man ein Buch, das man ihm zum Einbinden übergeben hatte, wieder bekam. Er hatte wenig körperliche Bedürfnisse, und ich sah ihn weder rauchen noch schnupfen, auch sollte er, wie die Nachbarn aussagten, sehr frugal leben, und im Sommer sah man oft mehre Tage seinen Schornstein nicht rauchen, so daß er dann von kalter Küche, Brot u.s.w. leben mußte.

Die Nachbarn hielten ihn deshalb für einen Geizhals, was er aber keineswegs war; denn wäre er das gewesen, so würde er, um Geld zu gewinnen, Jedem ohne Ausnahme Bücher gegeben haben, wenn er nur dafür bezahlte, und das that er nicht; alles, was er erwarb oder erübrigte, verwandte er zum Ankaufe neuer Bücher, und ein Werk mochte noch so theuer sein, so schaffte er es an, wenn es ihm gefiel, denn er las es jedesmal erst durch, bevor er es kaufte; aber er war auch durch Nichts dazu zu bewegen, ihm mißfällige oder Bücher von solchen Autoren anzuschaffen, die ihm nicht zusagten. So besaß er, wie J.G. Müller mir schon erzählt hatte, kein einziges seiner Werke in der Bibliothek, weil er Müller, aus einem Grunde, der mir nie klar geworden ist, bitter haßte, und erklärte die Werke[79] desselben, wenn man nach ihnen bei ihm fragte, für »Schofel-Waare.«

Da meine Freundin, die Gräfin Elisabeth von B., bei ihm las, bat ich sie, mich bei Brüning einzuführen, was sie nach einigem Zögern that, denn seit einem komischen Vorfalle, der sich vor Kurzem zugetragen hatte, war Brüning sehr aufgebracht auf den gesammten Adel, namentlich aber auf die Stifts-Damen, geworden, und stand auf dem Punkte, gänzlich mit ihm zu brechen, d.h. ihm sein Haus und seine Bibliothek zu verschließen, und so fürchtete sie sich, sich bei ihm zu zeigen.

Die Sache war die:

Eine der Stifts-Damen, eine nahe Anverwandte meiner Freundin Elisabeth, hatte mit einem sehr jungen und schönen Manne bürgerlichen Standes, einem Arzte, ein Liebesverhältniß angeknüpft, obgleich dieser verheirathet war, und beging den Mißgriff, das Haus des alten Brüning dazu auszuersehen, zu einer bestimmten Stunde sich ein Rendez-vous mit ihrem Liebhaber zu geben, der niemals verfehlte, ihr auf dem Fuße nachzufolgen, so wie sie in dasselbe getreten war. Freilich stellten Beide sich, als ob sie sich nur zufällig träfen und als ob allein der Umtausch[80] der Bücher sie dahin führe – denn es war noch eine Eigenthümlichkeit Brünings, daß man in Person kommen und sich die Bücher abholen mußte, und er sie nie dienenden Personen anvertraute –; allein der alte pfiffige Mann roch trotz dem bald Lunte und wurde nur durch die Zuneigung, welche er gegen den jungen, sehr gelehrten, stets die besten Werke lesenden Arzt hegte, davon abgehalten, dem Pärchen das consilium abeundi zu geben.

Endlich machten die Beiden es ihm aber doch zu arg, indem sie sich nicht nur fast täglich in der Bibliothek trafen, sondern die Stifts-Dame auch ihrem Liebhaber die Stunde andeutete, wo er Abends oder Nachts ihre Thür offen finden würde. Dies machte sie so: sie schlug nämlich ein zur Hand liegendes Buch auf, setzte den Finger auf eine Seitenzahl desselben, und reichte es dann dem jungen Arzte mit den Worten dar:

– »Lesen Sie einmal, Herr Doctor, das ist eine sehr hübsche Stelle!«

Der Arzt merkte sich dann die Seitenzahl und richtete seine Besuche nach derselben ein.

Brüning hatte die Liebenden schon seit einiger Zeit mit verbissenem Ingrimme beobachtet; als er aber seiner Sache gewiß und fest davon überzeugt[81] zu sein glaubte, daß man sein ehrliches Haus auf solche Weise mißbrauchte, brach er los, überhäufte das Pärchen mit Vorwürfen und Schimpfreden und verbot demselben den Eintritt in seine Wohnung und Bibliothek für immer, worauf es sich, äußerst beschämt und noch auf die Gasse hinaus von ihm mit harten Worten verfolgt, entfernte. Die Sache machte natürlich Aufsehen bei den Nachbarn, besonders da Brüning so aufgebracht war, daß er, in der offenen Thür gegen seine Gewohnheit stehen bleibend, Alles laut erzählte, was ihm begegnet war, und wurde so zum Stadt-Gespräch.

Seit dieser Zeit hatte der seltsame Alte, dem Dergleichen mit Bürgerlichen noch nie begegnet war, einen Widerwillen gegen den Adel gefaßt und war namentlich auf die Stifts-Damen äußerst aufgebracht, weil Comtesse L. zu diesen gehörte.

– »Ich will ein blaues Auge daran wagen, Dich bei dem alten Cerberus einzuführen,« sagte Elisabeth, nachdem ich ihr meine Bitte deshalb vorgetragen hatte; »allein ich kann nicht dafür einstehen, daß er uns nicht Beide zur Thür hinausweist, denn er soll seit dem Vorfalle mit L. auf uns Alle sehr ergrimmt sein.«

Wir gingen trotz dem und standen bald vor[82] der Thür des alten Brüning, der uns auf unser Klopfen nicht eben in der brillantesten Laune öffnete, denn er hatte Rauch im Hause und wurde sehr dadurch gequält; doch ließ er uns ohne Weiteres ein, und wir befanden uns nun in dem Tempel der Musen, in dem Heiligthume des seltsamen alten Mannes.

Ein nicht eben großes Zimmer zur rechten Hand diente zugleich zur Bibliothek und zum Arbeitszimmer. Alle Wände desselben waren von unten bis oben mit Borten bekleidet, in denen die Bücher, sorgfältig nach den verschiedenen Fächern geordnet, standen. Nur in der Mitte desselben war ein Raum frei geblieben, den ein großer, fester Tisch von Eichenholz ausfüllte, worauf Brüning seine Buchbinder-Arbeiten betrieb. Ein wahrhaft unermeßlicher Staub und Schmuz bedeckte Alles in diesem überdies stark angeräucherten Zimmer, so daß ich mich vergebens nach einem Platze umsah, wohin ich Parasol und Handschuhe auf einen Augenblick legen könnte; doch wenn ich sie nicht arg beschmuzt sehen wollte, mußte ich beides in der Hand behalten.

Elisabeth begrüßte den wunderlichen Alten mit ihrer gewohnten Freundlichkeit und stellte mich ihm dann als eine neue Teilnehmerin seiner Bibliothek,[83] zugleich aber auch als eine Person vor, die bereits mit den Musen sich befreundet habe und gewiß in der Folge noch selbst viele Bücher schreiben werde.

Auf diese Empfehlung – denn das war sie für Brüning, der für Alles, was zur Literatur gehörte, eine Art von Respect hatte – betrachtete er mich mit seinen kleinen, durchdringenden Augen auf eine mich im höchsten Grade verlegen machende Weise, schob die Brille auf der Stirn einige Male hin und her, und fragte dann mit einer schnarrenden, höchst unangenehmen Stimme:

– »Welches Buch steht Ihnen zu Befehl?«

– »Ich ersuche Sie um einen Katalog,« war meine Antwort, »um mir eins aussuchen zu können.«

– »Ei was, Katalog! Katalog!« brummte er. »Ich habe keinen Katalog; ich bin selbst der Katalog meiner Bücher. Sagen Sie mir, was Sie wünschen, und wenn es zu Hause ist und ich es besitze, sollen Sie es haben.«

Ich erinnerte mich nun, daß Elise von A. mir den »Alamontado« von Zschokke als ein sehr gutes Buch empfohlen hatte und bat es mir von ihm aus. Seine Gesichtszüge erheiterten[84] sich sichtbar, als ich es forderte, und er ging, um es mir zu holen.

– »Das ist ein gutes Buch, ein sehr gutes Buch,« sagte er, es mit zärtlichen Blicken betrachtend, nachdem er den dick darauf ruhenden Staub zum Theil abgeblasen, zum Theil mit dem Aermel seiner sehr schmuzigen wollenen Jacke abgewischt hatte, »und eben deshalb wird es wenig gelesen,« fügte er mit einem Seitenblick auf Elisabeth hinzu, deren Lectüre ihm wohl weniger gefallen mochte.

Ich zahlte ihm, was recht war, er trug meinen Namen und den Titel des von mir geliehenen Buches in sein Register ein, und wir schieden als Freunde von einander. Bemerken muß ich noch, daß keins seiner Bücher numerirt war, und daß alle einen ganz gleichen Einband von dunkelgrauem, marmorirtem Papier hatten, daß er aber trotz dem jedes Buch auf der Stelle zu finden wußte, obgleich seine Sammlung wohl an 4 bis 5000 Bände betrug. Er mußte ein ungeheures Gedächtniß und nebenbei viel Ordnungssinn haben, denn jedes Buch erhielt, so wie es wieder zu Hause kam, seinen gehörigen Platz und nie brauchte er eins zu suchen. So wie man ein Buch von ihm forderte, wandte sich sein Blick[85] sogleich nach der Stelle um, wo es stehen mußte, und nie irrte er sich in Hinsicht derselben; auch wußte er ganz genau, ob eins zu Hause oder verliehen sei, ohne daß er nachzusehen brauchte. So konnte er mit Recht sagen, daß er selbst der Katalog seiner Bücher sei.

Ich kam von nun an oft zu ihm, und da ich unter Elisens Anleitung und Auswahl nur gute Bücher las, ihm überdies dann und wann ein Geschenk mit einem Buche machte, wurden wir bald die besten Freunde; ja, er hob mir sogar Bücher auf, wenn ich welche forderte, die eben nicht zu Hause waren, was ein Zeichen seiner höchsten Gunst war.

Er schien sich wirklich für mich zu interessiren und sparte sogar seinen guten Rath nicht gegen mich.

– »Hören Sie, liebes Kind,« sagte er an einem Tage zutraulich zu mir, »Sie gefallen mir, weil Sie gute Bücher lesen, und, wie ich glaube, mit Nutzen; aber Eins mißfällt mir an Ihnen: weshalb gehen Sie so viel mit den infamen adlichen ›Schaufkatten‹ (Schnaubkatzen) um? Ich sehe Sie so oft Arm in Arm damit an meinem Hause vorüber gehen, und ärgere mich jedesmal darüber. Glauben Sie mir, hinter[86] all den hochadlichen Dirnen ist nichts dahinter, die Baronesse von A. nehme ich etwa aus; das kann Niemand besser wissen, als ich, bei dem sie lesen, und Gott sei geklagt, welches Zeug! Nicht Eine von ihnen hat noch je ein ernstes, ordentliches Buch gefordert; es ist mir ordentlich eine Pein, sie zu bedienen, und seit dem Vorfall mit der Comtesse L. bin ich schon oft auf dem Punkte gewesen, sie alle zum Tempel hinaus zu weisen. Das liest nichts, als Romane und abgeschmackte Liebesgeschichten; Das stopft sich den Kopf voll von bösen Gedanken, die für den Stand gar nichts taugen, und da kommen denn solche saubre Verhältnisse heraus, wie bei der Comtesse L.; Gott wolle ihnen allen gelegentlich einen Mann geben, damit der Skandal aufhöre!«

So schalt er noch eine Weile fort, und hatte im Grunde nicht Unrecht. Zu meinem Erstaunen war er, trotz seiner Abgeschiedenheit von der Welt, so genau von der skandalösen Chronik des Orts und der Umgegend unterrichtet, als hätte er mitten im Gewühl der dortigen großen Welt gelebt. Woher er das Alles hatte, habe ich nie in Erfahrung bringen können; vielleicht sah er zuweilen einen alten Bekannten, der es ihm in einem traulichen[87] Plauderstündchen zubrachte, denn anders läßt sich die Sache nicht erklären.

– »Ich hätte,« fuhr er in seiner ermahnenden und wohlgemeinten Rede gegen mich fort, »bald von Ihnen eine ganz unrichtige Idee bekommen, da Sie sich bei mir durch die Comtesse von B. einführen ließen, die übrigens noch eine der Bessern ist und auf deren Betragen der Leumund nichts zu sagen haben kann; allein für Sie taugt ein solcher Umgang doch nichts, und Sie thäten gut, sich fein zu den Bürgerlichen zu halten, zu denen Sie selbst gehören. Die hochnasigen Dinger, wenn sie sich auch eine Zeitlang mit Ihnen unterhalten, wollen Ihnen doch nichts, und wenn sie in ihrer adlichen Clique sind, sehen sie Sie doch über die Achsel an.«

Er redete so noch eine Weile fort und gerieth immer mehr in Eifer. Bewundern mußte ich, wie genau er Jede kannte, und wie genau den Charakter einer Jeden zu bezeichnen wußte, und zwar allein nach den Büchern, die sie lasen. In seinem riesenhaften Gedächtnisse hatte er Alles aufgespeichert, was ihm seit so vielen Jahren vorgekommen war, und nichts davon hatte er vergessen.

Man kann sich vorstellen, daß ein Mann wie[88] Brüning nicht eben beliebt und sogar gefürchtet in dem Städtchen war, und doch mußte man ihm kommen, da man nur durch ihn Lectüre erlangen konnte.

Sehr erwünscht war es daher fur Viele, als eine durchreisende Schauspieler-Truppe ein Stück aufführte, welches »Siegfried von Lindenberg« hieß – ich glaube, es ist zu jener Zeit auch an andern Orten gegeben worden – und worin ein Charakter vorkam, der mit dem des alten Brüning die größte Aehnlichkeit hatte. Um mehr Zuschauer herbeizulocken, wie dies allemal durch ein zu erwartendes Skandal geschieht, hatte der Schauspieler, welcher den alten Brüning darzustellen hatte, sich ganz genau eine Kleidung machen lassen, wie dieser sie trug, wenn er Sonntags zur Kirche ging, was er regelmäßig und in einem höchst auffallenden Anzuge that. Er trug dann nämlich einen Rock von milchweißem Tuche mit großen Stahlknöpfen und einem kurzen, breiten Schooße; eine scharlachrothe Weste und eine kurze, sehr knapp anliegende hellblaue Tuch-Hose zu geflammten Strümpfen und zu Schuhen mit breiten silbernen Schnallen. Sein Haupt bedeckte er mit einer dicken Knoten-Perrücke und trug den dreieckigen Hut, zur Schonung[89] derselben, unter dem Arm, während sich die eine Hand mit einem dicken spanischen Rohr bewaffnet hatte, das so hoch war, daß der elfenbeinerne Knopf ihm fast bis zur Nase reichte.

Dieses Costüme war so auffallend, daß es leicht nachgeahmt werden konnte, und von dem Schauspieler auch wirklich in den kleinsten Theilen nachgeahmt wurde. Schon lange vorher, ehe das angegebene Stück aufgeführt werden sollte, hieß es daher im Städtchen: man wird den alten Brüning auf's Theater bringen, und Jeder beeilte sich, zu der ersten Darstellung einen Platz zu suchen.

– »Wissen Sie wohl, Herr Brüning,« sagte einer seiner Leser boshaft zu ihm, »daß man aus dem ›Siegfried von Lindenberg‹ unsers Müller ein Stück gemacht hat und es auf das Theater bringen wird?«

– »Wenn es nicht besser ist, als der Roman,« versetzte der Alte, »so wird nicht viel daran sein.«

– »Doch will alle Welt es sehen,« erwiederte der Andere.

– »So? ich glaube das wohl, denn das Schlechte findet immer den meisten Zulauf.«

– »Es ist nicht das, sondern es wird eine[90] Merkwürdigkeit darin vorkommen, und die zieht die Menge an.«

– »Etwa ein Pagliazzo, der sich am Schlusse der Darstellung auf den Kopf stellt, die Beine in die Höhe streckt und ein Rad schlägt? So Etwas mögen die Leute hier!«

– »O nein, Herr Brüning, Sie sind sehr im Irrthume; man wird einen berühmten Mann unserer Stadt, man wird Sie in dem Stücke darstellen.«

– »Vortrefflich! das muß ich sehen!« rief der Alte, ohne, wie der Andere gehofft hatte, böse zu werden, noch außer Fassung zu gerathen.

Der Tag der Darstellung kam heran; alle Plätze waren besetzt und das ziemlich geräumige Rathhaus, wo die Vorstellung statt fand, fast überfüllt. Da, als eben Aller Blicke sich auf den sich erhebenden Vorhang gerichtet hatten, trat unser Brüning, mit seiner sonntäglichen Kleidung angethan, in den Saal, drängte sich bis zum Orchester durch, stellte sich dorthin und stand, zu Aller Erstaunen mit auf dem Stockknopf gestützten Kinn in der vordersten Reihe da. Bald erschien seine Copie auf dem Theater, und zwar so naturgetreu in allen Theilen, selbst in Haltung und Stellung, so wie in der Maske nachgebildet, daß[91] man zweifelhaft werden konnte, welcher der wahre Brüning, ob der da oben auf den Brettern oder der da unten im Parterre es sei.

Ein donnernder Applaus begrüßte den Schauspieler gleich bei seinem ersten Auftreten, und als er, der sein Original unten erkannt hatte, ganz wie dieser das Kinn auf den Stockknopf stützte und zu Brüning eben so hinunter sah, wie dieser zu ihm hinauf, so wollten der Jubel und das Gelächter kein Ende nehmen.

Brüning ließ sich durch alles Dieses nicht einen Augenblick außer Contenance bringen, und schien sich eben so sehr zu ergötzen, als das übrige Publicum; auch hielt er bis zu Ende der Darstellung aus und entfernte sich dann langsam und gravitätisch.

– »Nun, Herr Brüning,« redete ihn draußen einer der jungen Leute an, »wie hat Ihnen das Stück gefallen?«

– »Ganz gut, und der Schauspieler, der mich darstellte, hat seine Sachen so weit ganz gut gemacht:


Wie er räuspert und wie er spuckt,

Das hat er ihm freilich abgeguckt;

aber!« ...


Er verbeugte sich bei diesen Worten gegen den Frager und ging von dannen.[92]

Da ich von Itzehoe bald wegkam, habe ich von dem alten Brüning nichts weiter gehört und weiß so nicht, ob er noch lebt, oder schon gestorben ist. Er gehörte aber gewiß zu den eigenthümlichsten und unerforschlichsten Menschen, die es je gegeben hat, und ein Urtheil über seinen Charakter und seine wahren Gesinnungen stand Keinem zu, weil beide durchaus nicht zu ergründen wären. Seine große Grobheit ist sprichwörtlich in dem Städtchen geworden, wo er gelebt hat, und seine Originellität führte viele Neugierige ihm zu, die er aber oft, wenn er ihre Absicht bemerkte, ihn ausforschen zu wollen, derb genug abführte. Wir sind, bis zu meiner Abreise, gute Freunde mit einander geblieben.[93]

Quelle:
Schoppe, Amalia: Erinnerungen aus meinem Leben, in kleinen Bildern. Altona 1838, S. 73-95.
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