Logierbesuch.

[52] Wer den Vorzug genießt, ein Gastzimmer zu besitzen, der mache sich unsere, auf die Einrichtung eines solchen bezüglichen, Winke aus dem Kapitel »Wohnung« zu Nutze und sehe froh und vergnügt der Ankunft des lieben Reisenden entgegen.

Viele ziehen es allerdings vor, unerwartet zu kommen; aber wir raten von einem derartigen Überfalle durchaus ab, weil er der Rücksichtslosigkeit verzweifelt ähnlich sieht. Die Wirte müssen ihn zwar mit vollendeter Höflichkeit ertragen und außerordentlich erfreut aussehen, selbst dann, wenn sie dadurch von einer dringenden Reise abgehalten werden oder bereits das Haus voll Gäste haben. Jeder Hausfrau aber wird es lieber sein, in Ruhe ihre Vorbereitungen zum Empfange des Gastes zu treffen, und es ist billig, daß für diesen in erster Linie ihr Wohlbehagen inbetracht kommt. Darum versäume man ja nicht, durch eine schriftliche Nachricht oder ein Telegramm seine Ankunft anzukündigen. Freilich möchten wir raten, solche Anmeldungen nicht aus heiler Haut zu unternehmen, sondern erst infolge einer herzlichen und dringenden Einladung. Nur in diesem Falle braucht man nicht fürchten, zu stören.

Auch melde man sich nicht ohne weiteres »auf der Durchreise für eine Nacht« an. Jeder weiß, daß so ein Besuch im Fluge dieselben Vorbereitungen erfordert, wie ein längerer, und daß doch eigentlich niemand Genuß davon hat, weil alles in der Hatz geht. Ist es also nicht möglich, die Sache anders einzurichten, so bleibe man die Nacht im Hotel und bringe bei seinen Freunden nur die Nachmittagsstunden oder den Abend zu.

Hat sich ein Gast angemeldet, so erwächst den Wirten daraus die Verpflichtung, ihn auf dem Bahnhofe zu erwarten, bezw. erwarten zu lassen; denn auch der Sohn oder die Tochter des Hauses[52] können das an ihrer Stelle thun. Daß der Abholende alle etwa nötigen Gänge wegen des Gepäckes, der Droschke u. dgl. für den Ankommenden abzuwickeln hat, ist selbstverständlich. Auch begleicht er gewöhnlich die kleinen Ausgaben, welche durch diese Dinge entstehen, und es wäre unschicklich, wenn der Gast darüber viele Worte machen oder gar den geringen Betrag durchaus zurückerstatten wollte. Am besten ist es, mit höflichem Danke all dieses als nur in der Ordnung hinzunehmen.

Nach der ersten herzlichen Begrüßung im Hause führt die Hausfrau die Freundin, der Hausherr den Freund in das Gastzimmer, wohin man auch das Gepäck bringen läßt. Die Bediensteten lösen die Schnüre davon oder entfernen die Hüllen. Wird ihre weitere Hilfe abgelehnt, so verlassen sie und auch die Wirte den Ankömmling, um ihm Gelegenheit zu geben, alle Spuren einer längeren Reise an sich zu tilgen. Damit dieses möglich wird, sei für warmes und kaltes Wasser, Seife und Handtücher reichlich gesorgt. Alle anderen Dinge, wie Kämme, Bürsten u.s.w. führt der Gast bei sich. Wir raten jedem, der auf Ordnung und Sauberkeit hält, dieses ihm geschenkte Viertelstündchen ja nicht abzulehnen; denn es ist eine einfache Pflicht der Höflichkeit, sich seinen Wirten nicht in dem derangierten Zustande, den eine Reise naturgemäß mit sich bringt, zu zeigen, sondern mit der größten Sorgfalt darauf bedacht zu sein, ihnen einen netten und sauberen Eindruck zu machen.

Erscheint der Besuch nun zum zweiten Male bei seinen Gastfreunden, so bietet man ihm nach nochmaliger Begrüßung eine Erfrischung an. Ist er in der Nähe einer Mahlzeit angekommen, so wartet man gern mit derselben auf ihn, niemals aber darf man sich erlauben, ihn lange auf eine Erfrischung warten zu lassen.

Vor dem Zubettgehen versuche sich der Gast möglichst genau über die Hausordnung zu unterrichten, damit er dieselbe nicht stört. Bitten ihn seine Wirte, doch ja unbesorgt auszuschlafen, mit der Versicherung, daß dieses ihnen nicht im geringsten hinderlich sei, so thue er es ruhig. Er wird bald genug merken, ob es ihnen Ernst war und hat sich dann nach seinen eigenen Wahrnehmungen einzurichten. Überhaupt geben wir zu bedenken, daß das Zusammenleben sich nur dann auf die Dauer behaglich gestaltet, wenn jeder Teil durch den andern so wenig wie möglich geniert ist. Darum raten wir auch den Gastgebern, genau bei der bestehenden Hausordnung zu bleiben, denn das Gefühl, alles aus dem Geleise gebracht zu haben, kann für den Gast keineswegs angenehm sein.

Man glaube auch ja nicht, daß es erforderlich sei, den Gast keinen Augenblick allein zu lassen. Viele würden dieses sogar als[53] Belästigung empfinden, und zum mindesten liefe man Gefahr, sich gegenseitig überdrüssig zu werden. Darum lasse man ihn treiben was ihm zusagt, und bemühe sich nur, auf alle seine Wünsche mit herzlicher Bereitwilligkeit einzugehen, ohne aus dem gegenseitigen Umgange einen Zwang zu machen.

Abends ist es Sache des Gastes, zuerst aufzubrechen; wenn nicht, wie in vielen Familien, eine bestimmte Stunde für den allgemeinen Aufbruch festgesetzt ist. Um diese Zeit pflegt der dienstthuende Geist die angezündeten Lichter hereinzubringen und zu melden, daß die Lampen in den Schlafzimmern angezündet seien.

Im ganzen raten wir dem Gaste, seinen Besuch nicht zu lange auszudehnen und möglichst gleich in den ersten Tagen des Abreisetermines Erwähnung zu thun. Er erzeigt seinen Gastfreunden dadurch einen großen Gefallen, weil sie sich mit dem Vergnügungsprogramm danach einrichten können. Daß bei allen Unternehmungen, welche zu Ehren des Gastes stattfinden, die Wirte die entstehenden Kosten zu tragen haben, liegt in der Natur der Sache. Doch können wir es nicht gegen den guten Ton finden, wenn der Besuch, über die pekuniären Verhältnisse seiner Freunde wohl unterrichtet und also wissend, daß diese Dinge über ihren Etat gehen, sie bittet, die Ausgaben außer dem Hause selbst bestreiten zu dürfen. Natürlich muß er hierbei vorsichtig zu Werke gehen, um nicht bitter zu kränken, wo er mit gutem Herzen alles aufs beste zu ordnen wünschte.

Bei der Abreise erhalten die Bediensteten ein Trinkgeld. Die Höhe desselben richtet sich nach den Verhältnissen des Hauses, des Gastes und der Dauer des Aufenthaltes. Knappe Trinkgelder machen einen wenig seinen Eindruck und sind oft die Veranlassung zu übler Nachrede, der man durch eine weitere Mark entgangen wäre.

In neuerer Zeit ist es Sitte geworden, dem Gaste beim Scheiden ein elegantes Buch vorzulegen, in welches er nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Abschiedsgefühle eintragen soll. Wer humoristisch veranlagt ist und leidlich reimt, thut am besten, ein bezügliches Verschen zu deponieren; wer schnell und gut zeichnet oder malt, verewigt sich auf diese Weise. Jedenfalls wäre es geschmacklos und unpassend, nur Datum und Namen einzuzeichnen und so das Buch zu einem Gasthausfremdenbuche zu stempeln.

In der Heimat angelangt, muß der erste Brief den Gastfreunden selten, und zwar darf derselbe höchstens acht Tage hinausgeschoben werden. Man wiederholt darin den Dank, welchen man bereits bei der Abreise ausgesprochen, und beleuchtet das außerordentliche Vergnügen, welches der Aufenthalt bei den Freunden mit sich brachte, sehr eingehend.[54]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 52-55.
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