Im Restaurant.

[62] Im großen ganzen wenden wir uns in diesem Kapitel nur an die Vertreter des starken Geschlechtes. Damen besuchen höchstens eine Konditorei, ein Restaurant selten; in kleineren Städten überhaupt nicht. Geschieht es dennoch, so sind sie in Herrenbegleitung und haben wenig mehr zu thun, als sich recht geräuschlos und zurückhaltend zu benehmen. Die Verhandlungen mit dem Kellner überlassen sie ihrem Begleiter, welcher auch für bequeme Plätze in passender Gesellschaft Sorge tragen wird. Den Hut und die Handschuhe legen Damen im Restaurant nicht ab, höchstens entledigen sie sich ihres Umhanges oder Mantels, der dann auf ihrer Stuhllehne einen Platz findet, nicht am Garderobenständer unter den Herrensachen. Verbesserungen am Anzuge oder an der Haartracht hier vorzunehmen ist unzulässig. Den devoten Gruß des Kellners oder Portiers beantworten sie mit einem leichten Kopfneigen; denn wir können nicht begreifen, warum es seiner sein soll, denselben unerwidert zu lassen.

In öffentlichen Gärten verweilen Damen häufig allein oder in Begleitung von Kindern ganze Nachmittage. Gegen diese Art Erholung, welche besonders in großen Städten unentbehrlich ist, kann der gute Ton nichts einwenden, vorausgesetzt, daß die Betreffenden sich geräuschlos und unauffällig betragen. Doch scheint uns für tüchtige Hausfrauen die Bemerkung nicht überflüssig, daß es wunderlich aussieht, wenn sich sieben Personen mit einer Portion Kaffee oder einem Glase Bier behelfen, während sie den, »Zubiß« dem Arbeitskorbe entnehmen. Man bedenke doch, daß die Zeche zugleich das Eintrittsgeld repräsentiert und karge deshalb nicht ungebührlich.

Herren nehmen beim Betreten des Restaurants die Kopfbedeckung ab. Überzieher, Hut und Stock werden geräuschlos an dem Kleiderständer untergebracht, und empfehlen wir den Kellnern, den Gästen dabei hilfreich zur Hand zu gehen. Das Zurechtrücken des Shlipses, das Aufkämmen der Haare und Ordnen der Kleider verbietet die gute Sitte. In den meisten Fällen wird es auch sehr überflüssig sein, nach einem kurzen Gange oder einer kleinen Pferdebahntour mit Kamm und Bürste, oder mit beiden zugleich, wie im Schlafzimmer zu hantieren; vom Schneiden und Reinigen der Nägel ganz zu schweigen. Andererseits ist es freilich ein unheimliches Gefühl, in einer durch Wind oder Regen derangierten Toilette in Gesellschaft zu verweilen, und wir können es niemanden verdenken, wenn er wünscht, seinem äußeren[62] Menschen eine kleine Aufbesserung zu teil werden zu lassen. Aber wir bitten ihn, sich zu diesem Zwecke in eines der weniger besuchten Nebengemächer zurückzuziehen. Größere Restaurationen besitzen Zimmer, die diesem Bedürfnisse der Gäste Rechnung tragen, und es wäre wünschenswert, wenn man überall an eine solche Bequemlichkeit dächte.

Ein schroffes Durchbrechen der Reihen der bereits sitzenden Gäste, behufs Auffindung eines geeigneten Platzes, ist höchst unpassend. Man suche mit den Augen und nehme mit gemessenem Anstande einen leeren Sitz ein. Befinden sich an demselben Tische bereits andere Personen, so ist es nur höflich, mit wenigen Worten anzufragen, ob man die übrigen nicht störe. Dafür genügt ein einfaches: »Gestatten Sie?« oder »Ists erlaubt?« vollständig. Stühle für späterkommende Bekannte umzulegen, ist zwar gäng und gäbe, doch können wir es bei großem Zudrange weder liebenswürdig noch menschenfreundlich finden, den anderen die Plätze vorzuenthalten, die ihnen nach dem bekannten Grundsatze: »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, rechtmäßig zustehen.

Beim Essen und Trinken hat man sich so zu betragen, daß die Blicke Fremder nichts Unerträgliches sehen, und das wird jeder können, der unsere Ratschläge über dieses Thema nicht nur an hohen Festtagen, sondern ständig, gewissenhaft befolgt. Das Ausstochern der Zähne während oder nach der Mahlzeit ist ein häßlicher Anblick, ebenso das leidige Ausspeien, das viele förmlich als Sport betreiben.

Speisen und Getränke werden bei dem Kellner bestellt; doch thue man es in gelassener, freundlicher Weise. Anrufe, wie: »Pst!«, »Heda!« oder dgl. sollte kein Gebildeter anwenden. Um die dienstthuenden Geister herbeizurufen, giebt es Tischglocken, und wo diese fehlen, genügt das mit wenig erhöhter Stimme gesprochene Wort: »Kellner!« um denselben zu uns zu führen. Etwaige Wünsche teilt man ihm kurz und höflich mit. Ist weibliche Bedienung vorhanden, so sind plumpe Scherze und zärtliche Ausfälle ganz und gar vom Übel. Männer von Bildung und guten. Sitten dürfen sich so etwas nicht zu schulden kommen lassen.

Glaubt man sich durch das Dienstpersonal vernachlässigt, so wäre es wenig schicklich, darüber einen Zank zu beginnen. Die diesbezüglichen Klagen bringe man bei dem Wirte, bezw. dem Oberkellner, vor. An diese Persönlichkeiten wende man sich auch mit berechtigten Ausstellungen an Essen und Trinken; niemals aber lasse man sich hinreißen, über das, was verabfolgt wird, laut zu kritisieren oder gar polternd zu schelten.

Viele Leute gehen von der eigentümlichen Idee aus, daß die in Gasthäusern ausgelegten Blätter eigens für sie da sind. Sie sind[63] ein gefürchtetes Geschlecht, bekannt unter dem Namen Zeitungstiger oder -marder. Es wäre ein zweckloses Unternehmen, ihnen mit Höflichkeit beikommen zu wollen; ein Vorgehen mit anderen Waffen zu empfehlen, verbietet aber unser Standpunkt. Wir raten, den Kellner zu bitten, die Zeitung von dem lesewütigen Gaste zu fordern, was in den meisten Fällen den gewünschten Erfolg haben wird, ohne eine widerwärtige Scene zu veranlassen. Hat man sein Blatt erlangt, so lese man mit den Augen und störe andere nicht durch halblautes Gemurmel.

Ob beim Bezahlen der Zeche oder beim Verlassen des Lokals den Kellnern Trinkgelder gereicht werden, darüber entscheidet der herrschende Brauch. Demselben hat man sich eng anzupassen und sich weder durch ein Abweichen nach dieser noch jener Seite hin auffällig zu machen.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 62-64.
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