Das Äußere des Briefes.

[91] Aus der Sauberkeit, Zierlichkeit und Korrektheit eines Schriftstückes ziehen wir gar zu gern einen günstigen Schluß auf den Absender, während wir ihm mit derselben Gewißheit jede Nachlässigkeit darin zur Last legen. Wenn nun ein guter Stil Talent, Nachdenken und ernstes Streben verlangt, so behaupten wir andererseits, daß jeder, ohne besondere Anstrengung, seinen Briefen dem Äußeren nach das Gepräge der Vollendung aufdrücken könnte. Wer an sich ordnungsliebend und sauber ist, dem wird dies keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Ein unbeschnittenes Blatt, und wenn es sich auch nur um einen Bestellzettel an den Schneider handelte, ein zerknittertes Kouvert, ein Klecks und ähnliches können ihm gar nicht unterlaufen. Durch Aufmerksamkeit und Strenge gegen sich selbst kann aber jedermann so weit gelangen, daß ihm die Vorschriften der Ordnung und Sauberkeit selbstverständlich und unumgänglich not wendig erscheinen.

Zunächst mache man es sich zur festen Regel, seine Handschrift nicht zu vernachlässigen; denn sie ist es, welche dem Schriftstücke vorzugsweise den Stempel der Schönheit und Sauberkeit aufprägt. Eine gute Handschrift ist nicht nur ein wirksamer Empfehlungsbrief, sondern ein Erfordernis feiner Lebensart.[91]

Man wende doch nicht ein, daß gute Schrift zu jenen Dingen gehöre, welche von der natürlichen Begabung abhängen. Jeder kann sich dieselbe aneignen, vorausgesetzt, daß er Geduld, Zeit und Ausdauer hat.

Neben der Handschrift sind Tinte und Papier für das Äußere eines Schriftstückes von Wichtigkeit.

Unzweifelhaft wird der günstige Eindruck eines Schreibens durch festes, elegantes Papier bedeutend erhöht. Die dünnen, transparenten Sorten anzuwenden, kann also höchstens da gestattet sein, wo es sich im sehr intimen Verkehr um außerordentlich umfangreiche und häufige Mitteilungen handelt, so daß die Ersparnis nicht nur am Porto, sondern auch am Papier für die Dauer eine ganz bedeutende wäre.

Die Form des Bogens ist für einen Privatbrief gleichgültig. Am hübschesten und bequemsten ist die Art, welche uns unter der Bezeichnung, »englisch« bekannt ist. Bei diesem Format paßt der Bogen genau in das Kouvert, wenn er einmal umgebrochen wird, was jeder ohne Schwierigkeiten fertig bringt, während zum dreiteiligen Umknicken des Quartformates immer eine gewisse Übung und Geschicklichkeit gehört, wenn es gleich in den Umschlag passen soll. Muß das Schriftstück nun gar nochmals anders gefalzt werden, so ist es mit seinem sauberen Aussehen gewöhnlich vorbei.

Inbezug auf die Farbe entscheiden wir uns unbedingt für die mattesten Töne und geben dem hellsten Gelb vor allen anderen den Vorzug. Findet man Wohlgefallen an gemalten Vignetten, Namenszügen, Monogrammen u. dgl., so kann der gute Ton füglich nichts dagegen einwenden, vorausgesetzt, dieselben entsprechen dem Schönheits- und Schicklichkeitsgefühle. Auch muß darauf geachtet werden, daß Bogen und Umschlag in Farbe und Ausstattung übereinstimmen, und daß letzterer undurchsichtig sei. Das Durchscheinen der Schrift sieht nicht nur häßlich und wenig elegant aus, sondern ist auch nicht ungefährlich, weshalb es sich empfiehlt, in solchem Falle noch ein leeres Blatt um den beschriebenen Bogen zu legen. Die Tinte sei dunkel und kräftig, schwarz oder farbig, nur nicht rot.

Zu einem anständigen Briefe gehört stets ein ganzer Bogen, selbst wenn es sich nur um eine kurze Mitteilung handelt. In diesem Falle kann man sich ebenso gut der starken Billets in Kartenform bedienen.

Man lege den Papierbogen so hin, das sich die geschlossene Seite links, die offene rechts vom Schreiber befindet und fülle denselben mit sauberer Schrift in geraden Linien. Wer letzteres nicht frei kann, bediene sich eines Linienblattes; Bogen mit Wasserlinien[92] thun es auch, sind aber weniger schön, als glatte. Ein Auf- und Abwogen der Schrift muß auf jeden Fall vermieden werden; denn es ist geradezu unverzeihlich.

Etwa ein Finger breit vom oberen Rande des Bogens wird Ort und Datum verzeichnet, wenn man nicht vorzieht, diese Bemerkung an den Schluß des Briefes zu stellen. Eines, wie das andere, hat seine Berechtigung. Ort und Datum fortzulassen wäre ein grober Flüchtigkeitsfehler, umsomehr als diese Notiz oft für den Empfänger von besonderer Wichtigkeit ist. Wohnt man in einer großen Stadt, so versäume man nicht, Straße und Hausnummer dazuzuschreiben, auf dem Lande aber die nächste Poststation.

Das Papier bis an die Ränder vollzuschreiben ist unschön und unschicklich, doch will es uns auch nicht gerade geschmackvoll erscheinen, zu beiden Seiten einen breiten Rand freizulassen und nur das Mittelfeld zu beschreiben, wie viele Anstandslehrer empfehlen. Wir sind dafür, links einen zwei bis drei Finger breiten Rand freizulassen und nach rechts herüber das Papier vollständig zu füllen. Auch oben und unten muß ein freier Raum bleiben, und zwar läßt man denselben gern etwas breiter, wie den Längsrand.

Auf der ersten Seite, etwa eine Hand breit vom oberen Papierrande entfernt, beginnt man mit der Anrede. Sie muß in der Mitte des Bogens stehen und von dem eigentlichen Briefe durch einen bemerkbaren Zwischenraum und ein Ausrufungszeichen oder Komma getrennt werden. Einen Punkt dahinter zu setzen, wäre grammatikalisch falsch. Die zweite Seite fange etwa zwei Finger breit vom oberen Rande an und ende in gleicher Entfernung vom unteren; die dritte entspreche ihr ganz genau.

Wie die Anrede beschaffen sein muß, ergiebt sich aus dem Verhältnisse, in welchem der Schreiber zu dem Empfänger des Briefes steht. Im intimeren Verkehre wählt man gern die Beiwörter »lieb« »gut«, »teuer« u. dgl., während man Entfernteren gegenüber »geehrt« »sehr geehrt«, »wert«, »wertgeschätzt«, »hochgeschätzt«, »verehrt«, »hochverehrt« und ähnliches nimmt. »Hochzuverehrend« ist schleppend und doppelsinnig und daher unzulässig. Einer Dame, die man mündlich »gnädige Frau« anredet, schreibt man auch »hochverehrte gnädige Frau«, und ein gebildetes Mädchen nur »geehrtes Fräulein« anzureden, darf niemandem in den Sinn kommen. Selbst seiner Schneiderin und Putzmacherin wird man unter Umständen das Prädikat »sehr geehrt« geben, während man an den Schuhmacher, Friseur u. a. recht gut »geehrter Herr« schreiben kann. Herren, die über irgend welchen Titel verfügen, redet man auch schriftlich mit diesem an; bei Damen dasselbe zu thun klingt kleinbürgerlich.

[93] Der Anfang sei natürlich und einfach, wie die Gelegenheit ihn von selbst ergiebt, ohne jede steife Geschraubtheit oder wunderliche Verschnörkelung. Man beginne ganz nach Belieben, doch merke man, daß es unhöflich klingt, die Epistel mit der eigenen Person oder gar mit dem Fürworte »ich« einzuleiten. Wir reden sogar der etwas veralteten Manier, im Laufe des Briefes das Ich auch nach dem Punkte klein zu schreiben, das Wort und sehen darin nur eine selbstverständliche Höflichkeit. In Briefen an Höherstehende möchten wir diese Form als unerläßlich bezeichnen. Wem sie nicht einleuchtet, der vermeide Sätze mit diesem Anfange.

Die Fürwörter, welche sich auf die angeredete Person beziehen, werden stets mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben, und man vergesse nicht, daß auch »sich« hierhin gehört. Es heißt also z.B.: »Sie können Sich kaum eine Vorstellung von meiner Freude machen.« Hochgestellte Persönlichkeiten redet man lieber wiederholentlich mit ihrem Titel an und umgeht die Anredewörter z.B., »Exzellenz werden mir glauben« u.s.w. Aber man vermeide schwülstige Höflichkeiten und nichtssagenden Wortschwall.

Um das ganze Schreiben übersichtlicher und klarer zu gestalten, mache man beim Übergange von einem Gebiete auf das andere, also bei den hervorragenden Dispositionspunkten, Absätze. Auch hüte man sich vor allzu häufigem Abbrechen der Wörter, weil dieses vielen beim Lesen ungemein störend ist. Am Ende einer Seite sollte man niemals ein Wort zerreißen, sondern lieber einen kleinen Raum unbenutzt lassen.

Für den Schluß reserviere man mindestens drei bis vier Zeilen: besser aber ist es, mehr freizulassen, damit das Anredewort und der Namenszug von dem Vorhergehenden durch einen breiteren Zwischenraum getrennt werden und mehr ins Auge fallen. Man schreibt also:


»In der angenehmen Voraussetzung, Sie sehr bald bei uns begrüßen zu dürfen, gnädige Frau, bin ich

mit aller Hochachtung

Ihre

Sie sehr verehrende

N. N.«


Oder man kann auch im Laufe der Zeilen weiterschreiben bis zu dem Anredefürworte:


»Hoffentlich deutest Du, liebe Tante, diese große Bitte nicht übel, sondern erfüllst dieselbe thunlichst bald

Deinem

dankbaren Neffen

N. N.«
[94]

Jedenfalls merke man, daß es erforderlich ist, Titel, Namen u. dgl. zum Schlusse noch einmal zu wiederholen; es klingt auch gut, dieses im Laufe des Schreibens an passenden Stellen zu thun.

Von Nachschriften sind wir keine Freunde, ja wir möchten behaupten, daß dieselben ein Verstoß gegen die gute Lebensart seien, weil sie stets eine gewisse Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit verraten. Darum mache man sich vorher klar, was man zu schreiben gedenkt und sammele sich genügend, um alles innerhalb des Briefes unterzubringen. Ist dennoch etwas vergessen worden, was freilich in geschäftlichen und amtlichen Schriftstücken nicht vorkommen darf, so sind wir dafür, ohne weitere Vorrede den Nachsatz beizufügen und zwar durch einen bemerkbaren Zwischenraum von der Unterschrift getrennt. P. S. (Postkriptum), N. (Nachschrift) oder NB. (nota bene) darüber zu schreiben, kommt uns überflüssig vor. Ungehörig ist eine Nachschrift auf jeden Fall. Auch dem Beschreiben der Ränder können wir keinen Geschmack abgewinnen, ganz gleich, ob es im Verlaufe des Briefes oder als Nachschrift geschieht. Das Papier ist so wohlfeil, daß es keinen Zweck hat, den zweiten Bogen auf Kosten der Sauberkeit und Ordnung zu sparen.

Ist das Schreiben fertig, so überliest man es sorgfältig und läßt es lieber trocknen, statt mit dem Löscher schnell darüberzufahren. Von Sand brauchen wir wohl nicht besonders abzuraten. Ganz gleich, ob der Bogen ein- oder zweimal geknifft wird, um in das Couvert zu passen, die erste Seite muß stets innen liegen. Man steckt ihn mit der offenen Seite abwärts hinein, so daß die Anrede unter den Verschluß des Umschlages kommt. Wer nicht imstande ist, die Adresse aus freier Hand deutlich, klar und gerade zu schreiben, der schiebe getrost ein Linienblatt in das Couvert; wir finden das weit weniger ehrenrührig, als eine nachlässige, schiefe Aufschrift. Man glaube doch sa nicht, daß die Adresse bei der Beurteilung eines Briefes nicht mitspricht! Es giebt Menschen, die gerade aus dieser auf den Charakter des Absenders schließen und gewiß mit Recht. Außerdem ist eine saubere deutliche Aufschrift für den Versand des Schreibens wichtig.

Die Art der Adressen ist in unserer Zeit sehr vereinfacht worden. Man schreibt »Herrn Regierungspräsidenten v. Schmidt« ebenso gut wie »Herrn Schuhmachermeister Müller«, ohne Gefahr zu laufen, bei einem oder dem anderen Anstoß zu erregen, vorausgesetzt, daß beide auf der Höhe ihrer Zeit stehen. Will man ja einen Zusatz machen, so hat jeder Gebildete das Prädikat »Hochwohlgeboren« zu beanspruchen. Es wäre wunderlich, einen Unterschied im Range machen zu wollen, und so recht zur Unzeit mit dem Worte »wohlgeboren« anzutreten. Man schreibt es höchstens an den niederen Handwerkerstand,[95] wie überhaupt an Leute von geringer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Bildung. Für den hohen Adel, vorzugsweise bei Personen gräflichen Ranges, wendet man »Hochgeboren« oder »Hoch- und wohlgeboren« an, in manchen Gegenden auch wohl »Edelgeboren«. Wie schon gesagt, wir finden wenig Geschmack an solchem Sport, umsomehr als wir uns nichts bei diesen Beiwörtern denken können, darum halten wir es für richtiger, nur den Titel und Namen des Empfängers in sauberer großer Schrift auf dem Umschlage anzugeben. Rechts davon, mehr nach der unteren Ecke zu, kommt der Bestimmungsort, darunter die Wohnungsangabe und sonstigen Bemerkungen, welche der schnellen und sicheren Beförderung dienlich sein sollen. Oder man beobachtet das umgekehrte Verfahren, indem man den Bestimmungsort zunächst recht groß auf die obere Mitte des Couverts schreibt, dicht darunter die Wohnung, dann aber erst den Namen und Titel des Adressaten. In die obere rechte Ecke kommt die Freimarke. Man klebe sie nicht windschief oder verkehrt auf, sondern sorgfältig. Der Verschluß des Couverts geschieht größtenteils durch Gummi, der sich bereits an demselben befindet. Wir empfehlen aus Gründen der Schönheit, Reinlichkeit und Gesundheit, das Anfeuchten nicht mit der Zunge zu machen, sondern vermittelst des Fingers, wenn man nicht im Besitze eines Feuchters ist. Soll der Brief außerdem noch mit Siegellack verschlossen werden, so sei das Siegel dünn, gleichmäßig und rund und das Petschaft deutlich abgedrückt. Für die Gravierung des letzteren eignet sich ein Namenszug, ein einzelner Buchstabe oder ein Monogramm am besten. Wer ein Wappen führt, wird natürlich dieses in sein Petschaft stechen lassen.

Amtliche Schreiben werden gewöhnlich ohne Couvert versandt, und zwar in der Weise, daß man den Rand der oberen Seite bis zur Mitte des Bogens umlegt, dann die untere ebenso, damit beide Ränder in der Mitte zusammenkommen. Hierauf biegt man die offene rechte Seite etwa zwei Finger breit um, dann die geschlossene linke so weit, daß sie über den Rand der rechten reicht und schiebt sie zwischen die Blätter derselben. Ein Siegel oder eine Oblate bildet den Verschluß. Private Briefe in dieser Art postfertig zu machen, ist wenig elegant und nicht zu empfehlen.

Daß jeder Brief frankiert werden muß, versteht sich von selbst, nur überzeuge man sich durch die Briefwage, daß auch der genügende Wert in Freimarken aufgeklebt worden ist, um dem Empfänger nicht, trotz vorhandener Frankatur, die Unannehmlichkeit des Strafportos zu bereiten.[96]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 91-97.
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