Die Wohnung.

[105] Wo Du auch wohnen magst, immer denke daran, daß das erste Erfordernis des guten Tones die peinlichste Ordnung und Sauberkeit ist, ganz gleich, welchem Stande Du angehörst.

Sauber sei der Vorflur, sauber das Wohn- und Schlafzimmer, sauber der Salon, die Bodenkammer, die Küche und die Badestube, kurz, jedes Winkelchen, das zu dem Bereiche der Wohnung gehört. Jedes Ding habe seinen bestimmten, festen Platz und werde, nach dem Gebrauche, sofort an diesen zurückgebracht. Nirgends dürfen Leisten und Füße an den Möbeln, Fransen an den Kissen oder Decken und Rohrgeflecht an den Stühlen fehlen; niemals dulde man verblichene und zerrissene Stickereien und knarrende Thüren.

Der Hausfrau oder deren Stellvertreterin liegt es ob, für Aufrechterhaltung der Ordnung und Sauberkeit zu sorgen, doch mögen es sich die anderen Familienmitglieder angelegen sein lassen, ihr das Leben in dieser Beziehung nicht zu schwer zu machen, sondern sie in ihren Bestrebungen nach Kräften zu unterstützen.

Die innere Ausstattung der Wohnung richtet sich ganz nach den Verhältnissen des sie Bewohnenden. Nicht nur der Geldpunkt spricht hierbei mit, sondern auch der Stand und Bildungsgrad.

Das Hauptaugenmerk richte man darauf, daß jeder Raum seiner Bestimmung entspreche, darum stelle man den Schreibtisch der Hausfrau nicht in den Salon und den Bücherschrank des Hausherrn nicht ins Eßzimmer. Ferner hüte man sich, seine Zimmer mit überflüssigen[105] Geräten anzufüllen. Eine Wohnung, in der man nur auf beschwerlichen Engpässen von einer Thür zur anderen, vom Klavier an den Tisch, vom Fenster an das Bücherbrett gelangt, macht einen unruhigen, beängstigenden Eindruck und schließt jede Gemütlichkeit aus.

Das Wohnzimmer sei so behaglich wie möglich. Weg mit den kleinen wackligen Tischchen und unsicheren Sockeln, mit den verstaubten Wandekorationen und dgl. Ablegern aus dem Salon. Hier muß auch die Kinderschar sich ohne Furcht und Grauen bewegen können, hier darf der Alte Großvater seine Pfeife liegen lassen, ohne gleich mit der Hausfrau in Konflikt zu geraten, hier kann das Notenpult offen stehenbleiben, u. dgl. m.; denn all dieses erhöht den Eindruck der Wohnlichkeit. Hier werden gute Bekannte und liebe Freunde empfangen, während man Fernerstehenden in den Salon führt.

In diesen stelle man all die tausend Sachen und Sächelchen, welche viel Geld kosten und keinen anderen Zweck haben, als der Hausfrau und den Gästen das Leben zu erschweren. Denn welche Mühe kostet es, sie staubfrei zu erhalten, und wie leicht geschieht es, selbst dem Gewandtesten, einmal gegen eins der Heiligtümer zu stoßen, und ihm ein seliges Ende zu bereiten. Dann gilt es, als Hausfrau, liebenswürdig zu versichern, daß der Schaden ohne Belang sei und die artige Entschuldigung des Missethäters gütig abzulehnen.

Ist man im Besitze eines besonderen Eßzimmers, im anderen Falle kann das Wohnzimmer sehr gut diesem Zwecke dienen, so hänge man keine Uhr und keinen Spiegel hinein. Es ist unschicklich, die Gäste bei der Mahlzeit an die Zeit zu erinnern, und während derselben sieht niemand in den Spiegel, auch vor- und nachher in diesem Raume nicht; denn er könnte auf den fatalen Gedanken kommen, seinem Anzuge oder gar seinem Haare einen verbessernden Griff zu teil werden zu lassen, was hier geradezu unerhört wäre.

Im Kinderzimmer seien die Ecken der Möbel abgerundet, um gefährliche Stöße zu vermeiden. Man erleuchte es durch eine Hängelampe und stelle nur die allernötigsten Sachen hinein, damit den Kleinen ihre Freiheit bleibt. Man wähle einen großen, sonnigen Raum dazu, doch muß derselbe möglichst entfernt vom Salon liegen, damit die Besucher ja nicht durch Kinderlärm belästigt werden.

Das wärmste, hellste und beste Zimmer bestimme man zum Schlafraume; weil man gar nicht genug für seine Gesundheit bedacht sein kann. Aus demselben Grunde hüte man sich vor kasernenartiger Zusammenpferchung und richte, um dies zu vermeiden, lieber drei Schlafzimmer ein, auf Prunkgemächer ganz verzichtend. Niemals führe man Fremde in diese intimen Räume. Dieselben sind nur dem Arzte bei ernsten Krankheitsfällen und bei eben dieser[106] Gelegenheit auch vertrauten Freunden zugänglich. Nie aber verträgt es sich mit den Anforderungen des guten Tones, die Damen zum Ablegen in das Schlafzimmer zu führen. Giebt es keinen anderen Ort hierfür, so lasse man die Sachen im Wohnzimmer ablegen und befördere sie durch die Dienstboten ins Schlafzimmer, aus dem man sie auch wieder holen läßt.

Das Badezimmer lege man neben das Schlafzimmer, um die Reinlichkeit nicht durch besondere Umstände zu erschweren. Verfügt man nicht über einen solchen Raum, so sorge man wenigstens für eine große Badewanne, in welche man die Familienmitglieder zweimal wöchentlich steigen läßt.

Last but not least, reden wir noch vom Gastzimmer. Einfach und zweckentsprechend sei das selbe ausgestattet und trage den Charakter eines Schlafzimmers, weil es dem Gaste größenteils nur als solches dient. Besondere Aufmerksamkeit wende man der Lagerstätte zu. Hierin das Rechte zu treffen ist keineswegs leicht, denn jeder huldigt darin seiner eigenen Idee. Darum frage man durch das Stubenmädchen an, wie der Gast es gewöhnt ist. Steht derselbe uns sehr nahe, so dürfen wir es getrost selbst thun. Die Hausfrau unterlasse ja nicht, das Gastzimmer persönlich zu prüfen, damit kein Verstoß gegen die gute Sitte vorkomme. Sie sehe zu, daß die Vorhänge herabgelassen, Handtuch, Seife, Licht, Zündhölzer und frisches Trink- und Waschwasser nicht fehlen und achte darauf, daß die Betten nicht etwa »klamm« seien, weil dieses nicht nur das Wohlbehagen, sondern auch die Gesundheit gefährdet. All diesen Verpflichtungen komme sie mit ruhiger Überlegung nach; denn jede Hast, jedes wirre Hin und Her wird dem Gaste den Eindruck machen, als bereite er durch sein Erscheinen Ungelegenheiten und ihm das Wiederkommen verleiden.

Zum Schlusse dieses Kapitels betonen wir noch einmal die Reinlichkeit, als das A und O alles Wohlbehagens und aller guten Lebensart. Dieselbe erstrecke sich nicht nur auf das Zimmer und die darin befindlichen Gegenstände, sondern auch auf die Luft, welche wir einatmen. Denn was nützt alles Scheuern, Putzen und Abstäuben, wenn uns eine dumpfe, verdorbene Luft aus den Zimmern entgegenweht!? Unreine Luft ist eigentlich der Inbegriff alles Ekelhaften, weil wir nicht imstande sind, ihr auszuweichen, was bei anderen Unreinlichkeiten meist sehr gut angeht. Wir müssen sie einatmen, wir müssen unsere Lungen und unser Blut damit vergiften und schließlich noch gute Miene zum bösen Spiele machen. Wir thuen es, wenn wir genug Lebensart haben; aber wir verzeihen diesen Verstoß gegen die Reinlichkeit schwer.[107]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 105-108.
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