Geburt.

[131] Besonders reichliche Anknüpfungspunkte für Taktlosigkeiten giebt jener Zustand, der jedem ernsten und feinfühlenden Ehepaare zu heilig sein sollte, um ihn durch öffentliche Besprechungen und frivole Bemerkungen zu entweihen. Am besten verträgt es sich mit dem guten Tone, wenn desselben überhaupt nicht Erwähnung geschieht. Die junge Frau halte darauf, ihre Kleider so zu wäh len daß die lieben Nächsten vollständig im Unklaren darüber bleiben, was im Werke ist. Etwaige taktlose Bemerkungen und Anfragen wißbegieriger Freundinnen aber lehne sie mit höflicher Reserve ab. Zieht sie sich soviel als thunlich von dem Verkehre mit der Außenwelt zurück, besonders in der letzten Zeit, so vermeidet sie am besten überflüssige Gespräche und wird zugleich den Ansprüchen des guten Tones gerecht.

Es ist reichlich Zeit, wenn Verwandte, Freunde und Bekannte das frohe Ereignis erfahren, sobald das kleine Wesen das Licht der Welt erblickt hat.

In kleinen Städten benachrichtet man die Nächststehenden durch einen Boten noch an demselben Tage; in größeren durch eine kurze schriftliche Mit teilung, wobei die Postkarte erlaubt ist.

Ein Inserat in den Tageblättern gilt, selbst mit dem üblichen; »statt besonderer Meldung«, nur für den ausgedehnten Kreis ferner Bekannten. Alle unsere Freunde müssen trotzdem durch eine besondere Meldung von dem Geschehenen in Kenntnis gesetzt werden. Hierzu bedient man sich am besten lithographierter Karten, die schleunigst[131] in der nächsten Druckerei bestellt werden. Gedruckte gelten für weniger sein, doch genügen sie für den Mittelstand vollständig.

Bei der Abfassung der Inserate und Anzeigen kann man gar nicht knapp genug sein. Je mehr Worte, desto leichter geschieht ein Verstoß gegen den Takt. Die Beiwörter »derb, prächtig, kräftig, fest« u.a.m. sind schließlich nicht die schlimmsten, aber sie machen einen unfeinen, plumpen Eindruck; alle näheren Erläuterungen über den Verlauf des Ereignisses sind aber ganz und gar vom Übel. In der Zeitung stehe kurz und ernst: »Gott schenkte uns einen Sohn.« A. Klössel und Frau geb. Müllert; oder: »Uns wurde eine Tochter geboren« u.s.w. allenfalls auch: »Die Geburt eines Knaben zeigen wir unsern lieben Freunden hocherfreut an.« u.s.w.

In den Privatanzeigen kann man sich schon etwas weitläufiger ausdrücken, doch hüte man sich auch hier vor Überschwänglichkeiten und vermeide unpassende Erörterungen.

Auf solche Anzeigen hat man in spätestens acht Tagen zu antworten. Es genügen wenige herzliche Worte, welche einen Glückwunsch und eine freundliche Nachfrage nach Mutter und Kind in sich schließen. Man kann sich zu diesem Zwecke der Besuchkarte oder eines Billets bedienen: Postkarten sind zu vermeiden. Handelt es sich um eine persönliche Gratulation, so darf dieselbe nicht vor Ablauf der ersten acht Tage stattfinden und nicht später als vier Wochen nach der Geburt. Der Besuch muß sich auf die Dauer von 15 bis 20 Minuten beschränken.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 131-132.
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