Nachschrift

[260] Erst nachträglich ist der Verfasser dieses Aufsatzes auf die Ministerialverordnung vom 30. Mai 1894, betreffend die Unterbringung von Kranken in Privat-Irrenanstalten (G.- u.V.-Bl. S. 139 ff.) aufmerksam gemacht worden, die ihm bis dahin, da er sich selbst seit Ende 1893 in Anstalten befindet, nicht bekannt gewesen war. Nach seinem Dafürhalten dürfte aus dieser Ministerialverordnung Nichts zu entnehmen sein, was den in dem gegenwärtigen Aufsatz entwickelten Ansichten entgegen stände. Eigentliche Gesetzeskraft, sonach eintretendenfalls für den Richter verbindliche Wirkung, kommt der Verordnung (abgesehen von der Strafbestimmung unter 9) überhaupt nicht zu. Dieselbe will auch offenbar den Leitern von Privat-Irrenanstalten in Bezug auf die Frage der Freiheitsentziehung nicht größere Rechte geben, als ihnen nach allgemeinen Grundsätzen zustehen würden, sondern fügt nur den in dieser Bezeichnung aus allgemeinen Grundsätzen sich ergebenden Verpflichtungen noch weitere (instruktionelle) Verpflichtungen hinzu, deren Verletzung für die Leiter der Anstalten zur Anwendung der unter 9 der Verordnung bestimmten Polizeistrafe und nach Befinden zur Entziehung der ertheilten Konzession führen kann. Der entscheidende und für den Richter bei einer etwaigen Anklage wegen Freiheitsberaubung maßgebende Gesichtspunkt wird daher immer der sein, ob und inwieweit die Leiter von Heilanstalten für Geisteskranke zugleich als staatliche Organe für Ausübung der Sicherheitspolizei in Bezug auf die Festhaltung gefährlicher Geisteskranker anzusehen sind. Dies ist bei den Leitern der öffentlichen Heilanstalten der Fall – diesen stehen insoweit obrigkeitliche Befugnisse zu, ganz so, wie etwa bei den Eisenbahnen den mit Handhabung der Bahnpolizei beauftragten Beamten –, nicht aber (von dem obenberührten Ausnahmefall der einstweiligen Fürsorge bis zur Unterbringung in einer öffentlichen Heilanstalt abgesehen), den Leitern von Privatanstalten.

Quelle:
Schreber, Daniel Paul: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken. Bürgerliche Wahnwelt um Neunzehnhundert. Wiesbaden 1973, S. 260.
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