Bestrafung Löwes und der Hensel.

[236] Niemand wußte, ob ich schon Engagement hätte oder nicht. Nur meine Freunde, und die schwiegen. Daß ich nicht bleiben wollte, wußte man. Ja, weil ich nicht prahlte mit meiner baldigen Versorgung, so standen viele in dem Wahn, ich wäre um Engagement verlegen. Freuten sich, und um ja jeden Appetit zu mir zu benehmen, wurde nun erst in dem »Wandsbeker Boten« das Epigramm abgedruckt, das auf[236] Mad. Hensels Putztisch so lange gelegen und von dem mir der Friseur gesagt hatte. Nun, dachte ich, wird's zu arg. »Rodogüne« wurde gegeben. Ich spielte sie; die Hensel ihre berühmte Kleopatra. Ich suchte zum ersten Male in meinem ganzen Leben Händel. Als ich abgehe im ersten Akt, wird mir stark applaudiert. Ich sage, als ich in die Kulisse trete: »Ob man mir in Hamburg noch applaudiert oder ich klopfe mir selbst auf den Hintern, gilt mir gleich. Und mich wundert, daß man einer so elenden Aktrice, die der Tod doch bald wegraffen soll, noch applaudieren mag.« Und sah dabei der Hensel scharf in die Augen. Sie erhob ihre Stimme und sagte ganz im Tone der Kleopatra: »Ja, das muß sich jede Aktrice gefallen lassen, daß man sie kritisiert.« Nun hatte ich, was ich wollte. Die bekam nun von mir alles ins Gesicht gesagt, was ich ihr schon so lange zugedacht. Ohne mit niedrigen Schimpfworten zu kommen, hat ihr wohl schwerlich jemand weder vor, noch nach besser die Wahrheit gesagt, wie ich. Sie knirschte vor Wut. Aber den Mut hatte sie nicht, ein Wort mir zu antworten. Und wer eine Hensel und ihr Maul kannte, wenn sie anfing, kann denken, wie ich sie in der Presse hatte, daß sie nicht muckste. Auch nicht eine Silbe! Den Friseur verriet ich nicht. Denn mehr hatten solches auf ihrem Tisch liegen sehen. Sagte ihr, welch ein elendes Geschöpf sie wäre, voll Niedrigkeit, Neid und Bosheit. Und wie sie noch an mich denken würde. Ohne mich an ihr zu rächen, würden's andere tun. »Wagen Sie es, den Mund gegen mich zu öffnen! Wagen Sie's, wenn Sie's können! Kuschen müssen Sie, wie hier Ihr Handlanger!« Löwe saß neben ihr auf seinen Stock gelehnt.

Ich ging zu meinem Stuhl, und mein Bruder kam dazu. »Was gibt's?« Ich sagte es ihm. Karl geht auf Löwe los, nimmt solchen und packt ihn fest in seine linke Hand und schüttelt ihn bei seiner Halskrause, daß ihm die Zähne klapperten, und sagt dazu: »Dem Hundsfott, den Kritikenschreiber schlage ich noch Arm und Bein entzwei!« Der Kerl sitzt da, läßt sich von meinem Bruder schütteln und schimpfen, hat einen Stock in der Hand und wehrt sich nicht. Heißt das nicht ein rechter Philosoph, nur von den unechten?[237] Speit man und muß man vor so einem Kerl nicht ausspeien und »Pfui, Pfui des Elenden« sagen? Da er sich gar nicht rühren wollte, fasse ich Karl bei dem Arm und sage zu ihm: »Entehre deine Hände nicht, daß du sie an solch eine Memme legst! Ist er nicht verzagter als ein Weib? Längst hätte er ja von mir Ohrfeigen bekommen, wenn ich nicht wüßte, daß ich meine Hände entheiligte und solche dann keinem redlichen Menschen mehr reichen könnte, weil ich sie besudelt. Den muß der Henker züchtigen; denn der Scharfrichter ist noch ehrlich.« Nicht ein Wort sprach er. Aber von der Zeit kam er nicht wieder aufs Theater, und alle Schreiberei hörte auf. Nun hatte ich für mich meine Genugtuung, hatte gesagt, was ich noch sagen mußte. Viele standen auf dem Theater, die es angehört und gesehen hatten, und es breitete sich bald im ganzen Schauspielhaus aus. Ich spielte nun den Abend auch so, daß ich's fühlte, ich spielte gut.

Doch sollte ich noch eine eklatante Revanche haben. Im letzten Akt, wo die Königin nun auf dem Punkt steht, daß alle ihre Laster sollten bekannt werden, und sie, um die Mordtat des Sohnes nicht sich aufbürden zu lassen, den Schein derselben auf Rodogüne wirft, antwortete ich der Königin in dem ganzen Tone der sich redlich Bewußten mit aller Gelassenheit. Schade, die Rede fällt mir nicht mehr ganz ein:


»Aus Furcht, er hätte den Mörder ihm verraten.

Doch da sein Ausspruch nichts Entscheidendes enthält,

Willst du, daß der Verdacht nur auf uns beide fällt.

Gewiß! Wenn Sterbliche so sehr von Laster brennen,

Wenn einer unter uns die Unschuld töten können,

So fällt zwar mein Verdacht, aus Ehrfurcht, nicht auf dich;

Doch du –!!!«


Nun machte ich eine Pause von einer starken Minute, sah die Königin Hensel vom Fuß bis zum Kopf an und maß sie, heftete meine Augen starr an die ihrigen und sagte in einem sehr tiefen, kalten, verächtlichen Ton, doch schnell, so recht hingeworfen:

»Du bist zum Mord weit fähiger wie ich.«[238]

Unstreitig war das Applaudieren, das aus allen Logen und dem Parterre auf einmal erschallte, das stärkste, was den ganzen Abend gehört worden war. Die Königin Hensel stand da, als ob ihre Mutterbeschwerungen kommen wollten. Nun war's vorbei! Meine Rache hatte ich mir genommen. Weder sie, noch Löwe, noch alles, was zu ihnen gehörte, kam mehr in meinen Mund. Und die Hoffnung, bald einen Ort zu verlassen, in dem ich so viel Unangenehmes erlebt, trug zu meiner Zufriedenheit nicht wenig bei.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 236-239.
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