Französische Schauspieler in Braunschweig.

[286] Montag, den 29., gingen wir zusammen nach wir der französischen Komödie. Es wurde eben vor dem Fest das letztemal gespielt und »Der Galeerensklave« gegeben. Daß ich als Zuschauerin im Schauspielhaus wäre, breitete sich bald allgemein aus. Herr Lessing, Herr Professor Zachariä und Herr Professor Ebert bewillkommneten mich im Parkett. Der durchlauchtigste Herzog ging aus der großen Loge und kam in die kleine, rechts am Theater. Meine Fleischer sah es zuerst und sagte zu mir: »Karolinchen, sieh dich um, da ist der Herzog, ich wette, er ist deinetwegen in die Loge gekommen.« Ich sah hinauf, und noch ehe ich aufgestanden, winkte der gnädigste Herr mir mit beiden Händen den gnädigsten, herablassenden, freundlichsten und leutseligsten Willkommen zu. Ich konnte nicht ungerührt bleiben, Tränen standen in meinen Augen. Zachariä sagte zu mir: »Sehen Sie, liebe Schulze, daß man Sie auch hier noch nicht vergessen hat, daß man Sie auch hier zu schätzen weiß! Aber wer sollte es auch nicht, wenn man Sie einmal gekannt hat.« Mit vieler Aufmerksamkeit sah ich dem Stück zu, und ich mußte den Schauspielern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß die meisten sehr gut spielten, besonders Madame Messieure als Cecile bei der Stelle, als sie den Galeerensklaven fragt, ob er in[286] Rochelle Lisiman gekannt. Er sagt: »Lisiman? – Das ist mein Vater –«, und ruft aus: »André!« – »Welch ein malerisches Bild! So meisterhaft, von dem größten Künstler gezeichnet zu werden, und doch würde des größten Künstlers Gemälde tot sein gegen ihr Bild. Wer könnte den Uebergang zeichnen? Sehen mußte man sie. Sie riß mich auch so hin, daß ich aufstand, Bravo, Bravo, rief und in die Hände schlug und mir die Tränen über die Backen rollten. So hatte sie mich mich selbst vergessen machen, daß ich nicht daran dachte, daß niemand in Braunschweig eher anfängt zu applaudieren, als bis der Herzog selbst seinen Beifall bezeigt. Doch nahm's der ganze Hof sehr wohl auf und applaudierte mit, und alles übrige, was Hände hatte.« Lessing sagte: »Unsere Franzosen strengten sich heute besonders an, müssen wissen, daß die Schulze da ist.« Zachariä sagte: »Ja, ich bin auf dem Theater gewesen und hab's ihnen gesagt, was für eine Kennerin der Kunst sie heute zur Zuschauerin hätten.«

Madame Messieure muß ich es zum Ruhm nachsagen, daß sie ihrem Charakter durchaus treu blieb. Nichts hatte sie in ihrem ganzen Spiel, an das wir Deutschen uns nun einmal nicht gewöhnen können. Sie war ganz Natur, ganz Natur! Und wieviel verlor sie noch in ihrem Spiel, da sie hochschwanger war. Monsieur Le Boeuf war André, sehr gut, doch keine Messieure, noch zuviel Franzose, für mich! Als das Stück aus war, wurde einer von der Gesellschaft an mich ins Parkett geschickt, der sagte mir: »Madame, die Gesellschaft hat mit vielem Vergnügen vernommen, daß Sie heute im Theater sind. Als eine Kennerin wie Sie, bitten wir Sie alle einstimmig um Ihr Kritik.« Die Anrede machte mich etwas stutzig. Ich antwortete ihm aber freimütig: »Ich wünschte, daß ich der französischen Sprache so vollkommen mächtig wäre, um ihnen selbst zu sagen, welch einen überaus angenehmen Abend sie mir gemacht hätten. Madame Messieure hätte meine ganze Hochachtung, ich bewunderte sie so sehr, wie ich noch keine Deutsche hätte bewundern können, wenn sie in jeder Rolle die Satisfaktion leistete, wie in dieser heutigen. Sollte nicht glauben, daß ich's nicht bemerkt[287] habe, wie sehr ihre hohe Schwangerschaft ihrem Spiel im Wege gewesen. Sie hat so sehr meinen Wünschen Genüge geleistet, daß mir zur Vollkommenheit ihrer Kunst keiner wäre übrig geblieben. Nur hätte ich gewünscht, daß sie eine andere Amalie gehabt, als die noch gar zu viel Anfängerin ist. Von der Seite hätte sie auch nicht die geringste Unterstützung gehabt. Freilich wäre an der Rolle der Amalie sehr wenig, aber um so mehr hätte solche von einer geübten Schauspielerin sollen besetzt sein. Denn man sieht sie zu oft und zu lange, und das tut dem Ganzen großen Schaden, wenn was dasteht, das entweder besser oder gar nicht da sein sollte. Auch Monsieur Le Boeuf spielte gut, und noch mehr würde ich das, was er gesagt, auch geglaubt haben, wenn er den großen Brillantring nicht bei den Ketten und der großen Armut am Finger gehabt hätte. Bitten ließe ich ihn, nie zu vergessen, solchen abzulegen in der gleichen Rolle. Le Boeuf kann Ringe haben, verdient solche und noch weit mehr, André aber darf und muß keinen haben. Auch die übrigen drei Herren spielten sehr gut. Und bloß Amalie und den Ring des André wünschte ich nicht gesehen zu haben.« Man gab mir einstimmig recht. Zum Schluß war die Operette »Das Milchmädchen und die Jäger.« Doch dabei halte ich mich nicht auf, alle drei spielten und sangen französisch gut. Doch war mir ihr Spiel lieber wie ihr Gesang.

Dienstag erhielt ich bis gegen Abend verschiedenen Besuch. Selbst der durchlauchtigste Herzog ließ mir zu meiner Heirat gratulieren und eine glückliche Reise wünschen. Hätte ich nur ein Kleid in meinem Koffer gehabt, so wäre ich selbst nach Hofe gegangen, aber im Amazonenkleid fand ich's nicht für schicklich.[288]

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915.
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