Wieder zur Bühne.

[58] Nach der Abrede, die ich lange vorher wegen meinem Debüt mit Herrn Schröder gehabt, war erst die Frage: welche Rolle? – Ich wußte es nicht. Ich wollte nach meiner Art nirgends anstoßen. Er selbst schlug mir im »Romeo« die Julia vor und sagte dabei: »Haben in derselben viel Lärm gemacht.« »Ja, gemacht! Aber so lange vom Theater! Und meine Situation! Wenn ich sie nur aushalte. Gewünscht hätte ich, das erste Mal auftreten in einer Rolle, wo ich in Trauer und Schwarz gekleidet sein könnte, und weiß keine, die ich gemacht.« H. Schröder: »Ja, nehmen Sie die Julia! Meine Schwester machte sich ohnedies nichts mehr aus der Rolle, weil die Oper ›Romeo und Julia‹ gemacht wird. Dann wird das Stück ohnedies nicht mehr gegeben.« Ich: »Nun, wenn Sie meinen. Will's versuchen. Der Himmel mag mir beistehen.« H. Schröder: »Und die zweite?« Ich: »Ich dächte im ›Herrenrecht‹ die Collette. Das Stück ist besetzt, glaube ich, bis auf die Rolle. Hab' sonst darinnen gefallen. Auch ist die Collette kein ganz junges Mädchen.« H. Schröder: »Gut, das ›Herrenrecht‹!« Ich: »Und nun noch etwas, lieber Herr Schröder! Die zwei Rollen, wenn ich wieder aufs Theater gehen muß, spiele ich hintereinander. Glauben Sie dann, daß es wieder mit mir geht, und ich werde bei Mad. Ackermann ja wieder engagiert, oh, so bitte ich Sie, lassen Sie mich nur von Anfang an oft hintereinander spielen! Nicht verlange ich gute Rollen. Nein, sollen keiner was entziehen! Geben Sie mir die kleinsten! Aber nur oft lassen Sie mich spielen, daß ich wieder das Theater und das Publikum mich gewohnt wird. Oh, die Gewohnheit tut viel, das wissen Sie.« Herr Schröder gab mir recht und sagte, er wolle es schon machen. Ja, noch mehr, er frug mich einige Male, wann ich mich denn entschließen würde. Denn geht es, dann möchte ich gern ein und die andern Stücke austeilen, wo ich wünschte, daß Sie die Rolle spielten.« »Ich kann und darf mich nicht eher entschließen, als bis mir keine andere Rettung übrigbleibt, als bis mir alle Wege abgeschnitten sind.«[58]

Nun waren sie es, und ich schrieb an Herrn Schröder ein kleines Brieflein, darinnen ich ihn bat, mich Freitags, den 5. Juli, auftreten zu lassen. Wählte darum den Freitag, daß, wenn ich etwa bei meinem ersten Hervorkommen (in das Wort habe ich mich des Biedern wegen, das darin liegt, verliebt) ein hitziges oder kaltes Fieber bekäme, ich doch zwei Tage zur Erholung hätte und auch ihn nicht in Verlegenheit setzte, wenn ich krank würde oder gar den Tod davon hätte und gar nicht mehr spielen könnte. Bliebe ich gesund, nun, so bliebe es auch den 7. bei dem »Herrenrecht«. Das war so ungefähr der Inhalt meines Briefes, soviel ich mich dessen noch erinnern kann.

Herr Schröder wollte selbst zu mir kommen, war aber seiner vielen Geschäfte wegen abgehalten worden und schrieb mir tags darauf die Ursache, warum mein Debüt acht Tage später, nämlich den 11. Julius und den 14. das »Herrenrecht« sein sollte und freute sich meines Entschlusses.

Nun, so war's denn beschlossen. Donnerstag bat ich mir Probe aus. Wollte es nicht wagen, bei meiner durch so vielen Gram sehr zerrütteten Gesundheit, Probe und Stück an einem Tage herzusagen. Den 11. das Morgens hatte ich einen Trost. Herr Doktor Dahl kam zu mir und sagte: »Sie haben gestern Probe gehabt? Herr Schröder hat mir gesagt, er wäre recht mit Ihnen zufrieden gewesen. Sie hätten alles sehr richtig und mit vieler Einsicht gesagt.« – Das war Trost, aber noch nicht fähig, das aus meiner Seele zu wischen, was darinnen lag.

Das Haus war ganz voll. Da saß ich, und der Vorhang rollte in die Höhe. Erst war alles still, dann erscholl ein lautes Händegeklatsche. Ob ich gedankt, weiß ich nicht. Ich sah auf und sah viele weiße Schnupftücher im Parterre und in den Logen, wo man sich über mein erstes Hervorkommen die Tränen abtrocknete. Ich hatte keine. Wie ich gespielt? Was ich gespielt? Ich weiß es nicht. Ich war nach meinem Gefühl nichts. Erst wie ich in dem Sarg lag, rollten sanft meine Zähren. Ich lag da in einem Gefühl, daß, wenn man zu mir gesagt hätte: Du bleibst nun in dem[59] Sarg, stirbst jetzt – oh, ich würde lächelnd ausgerufen haben: »Gott sei Dank, so haben endlich alle meine Leiden ein Ende.«

Dieses ist nun mein Wiederhervorkommen als Julia. Welch eine Seele müßte das sein, die imstande ist, über mich zu spotten! Das Stück war aus. Herr Schröder sagte mit einem freundlichen Gesicht: »Nun, sind Sie müde?« »Ein bißchen. Ich weiß selbst nicht, wie mir ist.« Madame Mecour kam freudig zu mir mit einem Gesicht, das ich kannte, wenn sie etwas recht herzlich gut meinte, drückte mir die Hände und sagte so recht innig: »Ich freue mich.« Die gute Frau! Auch sie ist nicht mehr. Ruhe sanft! Ob mehrere was zu meiner Aufmunterung gesagt? Ich weiß es nicht.

Da ich nach Hause fahren wollte, stand Madame Ackermann in ihrer Haustür und erwartete mich: »Brav, Kind, brav! Haben's recht gut gemacht! Ich freue mich! Ach, ich habe meine Schulzen wieder.« Ich: »Schulzen? Oh, das noch lange nicht!« Mad. Ackermann: »Nun, Kummerfeld, auch gut. Habe ich Sie doch nun wieder. Ging recht gut, recht brav. Fassen Sie Mut! War das erste Stück, das ich wieder ganz nach meiner Lotte Tode gesehen. Kommen Sie den Sonntag zu mir und essen mit mir eine Suppe! Hören Sie! Vergessen Sie es nicht! Ich schicke nicht wieder. Gute Nacht, liebe Kummerfeld!« Das tat meinem Herzen wohl, nach unserer Abrede, die wir genommen. Ach Gott, hilf mir! Will gern alles tun, nur laß mich nicht vor meinen Feinden mit Schande bestehen!

Den anderen Tag hatte ich Besuch von meinen Freunden und Bekannten. Alle wünschten mir Glück und nahmen teil, daß es so gut gegangen. Ich zweifelte; denn mein Mißtrauen in mich selbst war zu groß. Sie versicherten mich, daß man mir recht applaudiert hätte unter dem Spiel und bei jedem Abgang. Aber Gott weiß es, daß ich es noch bis diesen Augenblick nicht weiß. Denn ich hörte und sah nichts bis auf den ersten Anblick. Aber das ist gewiß, wäre ich schuld an meinem Unglück gewesen, hätte ich Kummerfelds Vermögen mit durchgebracht, mit faulen Zitronen hätte man mich herunter geworfen, und man hätte recht gehabt.[60]

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 58-61.
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