161.

[127] Der Zug des stillen Duldens, aus dem Größe der Seele, Standhaftigkeit und Würde spricht; wird von dem freundlichen Blikke, der wenigstens, um andere in ihrer Heiterkeit nicht zu stören, heiter scheinen will, erzeugt, und dieser ist dann ein so großer Reiz des Gesichts; man sagt[127] von Dem, der ihn hat, er hat so etwas Leidendes in seinem Gesicht. Ich empfehle Ihnen diesen freundlichen heiterscheinenden Blick also in einer kummervollen Lage vorzüglich, und bin also weit entfernt, Ihnen etwa anzurathen, daß Sie sich bei frohen Schicksalen jenen sanftleidenden Blick geben sollen; das könnte man wirklich eine Art von Koketterie nennen: aber wo Sie wirklich leiden, da nehme Ihr Blick dann diese kluge und gute Mischung an, da zwingen Sie sich zu dieser sanften Freundlichkeit. Er erhält durch den verborgnen Kummer einen eigenen interessanten Reiz, und er wird auf das vortheilhafteste ausgelegt; man sieht ihm Bescheidenheit, Sehnsucht, Freude um sich zu verbreiten, Besorgsamkeit den innern Kummer nicht zu äußern, stille Größe im Unglück, Demuth im Glücke, Ruhe und Gelassenheit, die nicht zu erschüttern ist, Mitleiden bei der Noth der Mitmenschen, feines, reges Gefühl und Edelmuth.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 127-128.
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