Konzertreise in Deutschland

[192] 1815–1816


Nach einem wehmütigen Abschiede von dem lieben Wien, wo wir so glückliche Tage verlebt hatten, trat ich mit meiner Familie die große Reise am 8. März 1815 an. Mein Bruder Ferdinand, dessen Engagement am Theater an der Wien noch ein Jahr dauerte, blieb allein zurück. Nach Ablauf desselben fand er in der Berliner Kapelle eine Anstellung.

Unser erster Aufenthalt war in Brünn, wo wir Konzert gaben. Wie es ausfiel, erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber, daß ich mit der Orchesterbegleitung sehr unzufrieden war. In dieser Hinsicht war ich freilich durch mein vortreffliches Orchester in Wien sehr verwöhnt worden!

Von Brünn gingen wir nach Breslau, wo wir im April ebenfalls zwei Konzerte gaben, doch ohne zahlreichen Besuch. Die Verstimmung über den neu ausbrechenden Krieg und über die großen Opfer, die jeder einzelne für die neuen Rüstungen darbringen mußte, war freilich damals so allgemein, daß es wohl nie einen ungünstigem Zeitpunkt für Konzertunternehmungen gegeben haben mag. Ich hielt es daher fürs beste, vor der Hand gar keine öffentlichen Konzerte mehr zu geben, und beschloß deshalb, in den ersten schönen Frühlingstagen direkt nach Carolath abzureisen. In einer so musikalischen Stadt, wie Breslau von jeher war, fehlte es aber auch in jener kriegerischen Zeit nicht an eifrigen Musikfreunden, denen es Lebensbedürfnis war, Musik zu hören. Ich wurde daher häufig in Privatzirkel eingeladen, wo ich Gelegenheit fand, meine Wiener Kompositionen aus der Tostschen Mappe vorzutragen. Dieselben fanden großen Anklang, besonders die beiden Quintetten, die ich daher sehr oft wiederholen mußte. – Auch schrieb ich auf den Wunsch meines[193] Freundes, des Domkapellmeister Schnabel, ein Offertorium für eine Solosopranstimme und Chor mit obligater Violine und Orchester, welches, wie das Verzeichnis meiner Kompositionen besagt, am 16. April im Dom aufgeführt wurde, und bei welchem ich die Violinpartie übernahm. Da ich die Originalpartitur dort hinterließ und sie seit jener Zeit nie wiedergesehen habe, so vermag ich nicht zu sagen, ob die Komposition Wert hat. Wahrscheinlich befindet sie sich noch in der Bibliothek des Domes.

An einem schönen Frühlingsabende kam ich mit den Meinigen in Carolath an. Da wir in der Nähe des Schlosses einen kleinen Fluß auf einer Fähre zu passieren hatten, so war unsre Ankunft im voraus bemerkt worden. Wir fanden daher bei unsrer Einfahrt in den Schloßhof bereits die ganze fürstliche Familie am Fuß der Treppe versammelt und wurden von ihr auf das freundlichste bewillkommnet. Der Fürst selbst führte uns zu den für uns bestimmten Zimmern. Nachdem wir uns umgekleidet hatten, wurden wir zur Abendtafel gerufen. Der Fürst, ein etwas zeremoniöser, aber freundlicher und wohlwollender Mann von etwa achtundfünfzig bis sechzig Jahren, empfing uns am Eingange des Speisesaales und stellte uns den übrigen Tischgenossen vor. Es waren die Fürstin, seine zweite Gemahlin, deren Schwester, eine für Musik und Poesie schwärmende Dame, seine beiden Töchter zweiter Ehe, liebenswürdige Mädchen von 15 und 17 Jahren, und deren Hofmeister, Herr Kartscher, ein feingebildeter junger Mann. Die Unterhaltung bei Tische war, die etwas altertümliche Förmlichkeit des Fürsten abgerechnet, zwanglos und lebhaft und zeigte mir, daß ich mich in einem gebildeten und für alles Schöne empfänglichen Zirkel befand. Auch Dorette war mit der Unterhaltung ihrer Nachbarn, des Fürsten und dessen Schwägerin, sehr zufrieden, und die Kinder, deren sich die jungen Damen freundlichst angenommen hatten, fühlten sich sehr glücklich. Die ganze Familie sah daher einem vergnügten Aufenthalt auf dem Schlosse entgegen.

Am andern Tag begann sogleich die Hausordnung, die für die ganze Dauer unsres Dortseins mit wenigen Ausnahmen unverändert dieselbe blieb. Vormittags, während Dorette den Prinzessinnen Unterricht erteilte, der ältesten auf der Harfe, der jüngsten auf dem Piano, gab auch ich meinen Kindern den ersten Musikunterricht. Nachher durften sie den Stunden beiwohnen, die der Hauslehrer den Prinzessinnen gab, und er war freundlich genug, seinen Unterricht, soviel es sich tun ließ,[194] dem Fassungsvermögen der Kinder anzupassen. Unterdessen beschäftigten meine Frau und ich uns mit unsren eignen Musikstudien oder ich komponierte. Da die fürstliche Familie den Liedgesang sehr liebte, so gab mir dies Veranlassung, zwei Hefte Lieder zu schreiben, wozu mir die Schwester der Fürstin aus ihrer großen Gedichtsammlung die Texte lieferte. Es befanden sich darunter auch einige Gedichte von Herrn Kartscher. (Beide Hefte sind in Leipzig bei Peters als Op. 37 und 41 erschienen.)

Waren dann die Arbeiten und Studien des Vormittags beendigt, so mußte zur Mittagstafel noch eine sorgfältige Toilette gemacht werden, da die fürstliche Familie dabei stets en parure erschien. Der Rest des Tages wurde der Geselligkeit und dem Vergnügen gewidmet. War das Wetter schön, so wurde der Kaffee im Schloßgarten eingenommen und gegen Abend ein Ausflug zu Wagen in die Umgegend gemacht. Sehr häufig war eine dem Fürsten gehörende Meierei das Ziel, und es wurde dort oder auch im Walde daneben ein ländliches Abendbrot serviert. War das Wetter trübe oder kam Besuch aus der Umgegend, so wurde abends musiziert. Anfangs bestanden diese Musikpartien bloß in dem, was ich und meine Frau auf Violine, Harfe und Piano zu hören gaben. Als aber Herr von Reibnitz als Gast auf dem Schlosse angekommen war, wurde auch ein Versuch mit Quartettmusik gemacht. Der alte Kammerdiener des Fürsten, der in seiner Jugend Violoncell gespielt hatte, mußte sein Instrument wieder hervorsuchen, der Schulmeister des Orts die Bratsche und Herr von Reibnitz die zweite Violine übernehmen. Ich hatte leider keine andern Quartetten bei mir als meine eignen, die für solche Mitspieler allerdings nicht geschrieben waren! Der erste Versuch fiel daher auch sehr entmutigend aus. Da die andern aber großen Eifer zeigten, so ließ auch ich es nicht an Geduld und Ausdauer fehlen und brachte es mit Hilfe vieler Proben doch dahin, daß ich zwei meiner Quartetten der Gesellschaft zu hören geben konnte. Diese war in Kunstgenüssen nicht sehr verwöhnt und nahm daher die Vorträge mit großem Beifall auf. Auch eine Polonaise, die ich damals schrieb (op. 40, bei Peters), gefiel sehr und wurde bald ein oft begehrtes Lieblingsstück der Gesellschaft, vielleicht nur, weil man sie hatte entstehen sehen.

In solcher, wenn auch etwas einförmigen, doch genußreichen Weise verlebten ich und die Meinigen die zwei ersten Monate unsres Aufenthaltes in Carolath, dann verkündigte der Fürst eines Mittags mit einiger Feierlichkeit: er werde genötigt sein, seine lieben Gäste auf einen Tag zu verlassen, da er wie jedes Jahr, so auch in diesem am 24. Juni[195] eine Reise nach Glogau machen müsse, um dem Johannisfeste der Freimaurer beizuwohnen. Dies veranlaßte mich, mich ihm nach aufgehobener Tafel als Freimaurer zu erkennen zu geben, worauf der Fürst freudig überrascht mich sogleich zur Mitreise einlud. Ich habe zu erzählen vergessen, daß ich schon in Gotha Freimaurer geworden war, nach einem Jahre dort den zweiten Grad des Ordens und wieder ein Jahr später auf einer Reise in Berlin den dritten, den Meistergrad, erhalten hatte. Da ich nun aber, da in Österreich die Maurerei verboten war, seit zweieinhalb Jahren keine Loge besucht hatte, so sehnte ich mich, einmal wieder einer Brüderversammlung beizuwohnen. Es kam mir daher die Einladung des Fürsten zur Mitreise nach Glogau sehr gelegen!

Nun wurden glänzende Voranstalten gemacht. Der große Reisewagen mit dem fürstlichen Wappen wurde aus der Remise gezogen und abgestäubt, ein Jäger und ein anderer Diener in die Festlivree gesteckt, und der Fürst selbst erschien zum erstenmal in der Staatsuniform mit dem Stern auf der Brust.

Früh am 24. fuhren wir ab. Im Logenlokal angelangt, wurde der Fürst durch eine Deputation bewillkommnet und auch sein Gast, nachdem er sich legitimiert hatte, freundlichst von den Brüdern begrüßt. Nach der Arbeitsloge folgte eine glänzende Tafelloge, bei welcher ich mich den musikalischen Brüdern anschloß, ihren Gesang begleitete und auch selbst mit meiner kräftigen Baßstimme einige Maurergesänge sowie die »Heiligen Hallen« aus der »Zauberflöte« vortrug. Ich fand unter den musikalischen Brüdern mehrere Bekannte von meiner frühern Reise durch Schlesien, die eifrigst bemüht waren, mich durch Aufmerksamkeiten zu ehren.

Auch der Meister vom Stuhl hieß den »berühmten Künstler« im Kreise der Brüder willkommen und dankte dem Fürsten, ihn zugeführt zu haben. Dieser schien sehr froh, mit seinem Gaste Ehre eingelegt zu haben, denn er verdoppelte nach der Rückkehr nach Carolath seine ohnehin schon großen Artigkeiten gegen mich und meine Familie, so daß wir oft dadurch in Verlegenheit gesetzt wurden!

Nach einem weitern höchst vergnügten Aufenthalte von sechs bis acht Wochen daselbst setzten wir dann unsre Reise über Dresden und Leipzig nach Gotha fort. Hier, nach einer fast dreijährigen Abwesenheit in die Heimat zurückgekehrt, fühlte sich Dorette so glücklich, daß ich nicht daran denken durfte, die Reise so bald weiter fortzusetzen. Ich ließ mich[196] daher auf einige Monate daselbst häuslich nieder und machte nur einige kleine Ausflüge in die Umgegend. Der erste war zu meinen Eltern nach Gandersheim, wohin mein Vater inzwischen als Landphysikus versetzt war, und von da nach Hannover, wo ich Konzert gab. Der zweite nach Frankenhausen, wo Bischoff wieder ein Musikfest veranstaltet hatte.

Hier beginnt eins meiner Tagebücher, welche ich ohne Unterbrechung bis zur Rückkehr aus Italien fortgesetzt habe. Der Titel heißt: »Flüchtige Bemerkungen, auf einer musikalischen Reise, angetreten von Wien, den 8. März 1815«, und das Buch beginnt:


Frankenhausen, den 19. und 20. Oktober 1815


... In Hannover machten wir die interessante Bekanntschaft des Geigers und die höchst uninteressante des Menschen Kiesewetter. Als Geiger zeichnet er sich durch ein kräftiges, sehr reines und gefühlvolles Spiel aus, ohne aber, wie es mir scheint, wahres Gefühl für die Schönheiten der Kunst zu besitzen; als Mensch ist er einer von den aufgeblasensten Windbeuteln, die mir bis jetzt vorgekommen sind. Er besitzt eine vorzügliche Violine von Guarneri. Er dirigierte in unserm Konzerte am 11. Oktober, aber ohne Sicherheit und Übersicht.

Nach einer Pause von drei Jahren haben sich die Künstler Thüringens abermals hier versammelt, um nach dem schnell beendigten Kriege die nun vollendete Befreiung Deutschlands am Jahrestage der Leipizger Völkerschlacht auf eine der Tonkunst würdige Weise zu feiern. Heute, am 19., dem ersten musik. Festtage, war die Aufführung meiner Kantate »das befreite Deutschland« und die des Weberschen Te Deums. Da es mir als Komponisten nicht zusteht, mein eigenes Werk zu rezensieren, so sei nur von der Aufführung die Rede. Die Besetzung der Solopartien war nicht die beste, daher auch die Arien und Ensemblestücke den wenigsten Effekt machten, das Terzett im ersten Teil und der vierstimmige Sologesang vor der Schlußfuge ausgenommen. Der Chor und das Orchester aber waren vorzüglich, daher auch die Chöre und die Ouvertüre einen kräftigen, imposanten Effekt machten. Den meisten Eindruck auf das Publikum machten: der Doppelchor der fliehenden Franzosen und der sie verfolgenden Russen, das darauffolgende Gebet des deutschen Volkes und der Schlußchor mit der Fuge. Ich machte von neuem die Erfahrung, daß in einem großen Raume und mit kolossaler Besetzung die einfachsten Sachen (wenn sie nur überhaupt in einem würdevollen, edlen Stil geschrieben sind) den größesten Effekt hervorbringen[197] und zu reiche Figuren in der Instrumentalpartie und zu schnell wechselnde Harmonienfolgen dort nicht an ihrem Platze sind.

Das Te Deum von Weber hat meine Erwartungen, die durch mehrere vorteilhafte Rezensionen in der musikalischen Zeitung sehr gespannt waren, nicht befriedigt. Es verrät zu sehr, daß es mit kalter Spekulation und nicht im Moment der Begeisterung geschaffen ist. Gleich der Anfang ist gesucht und als Einleitung zu einem Te Deum unpassend. Wozu dieser lange anwachsende Paukenwirbel, der wie ein ferner Donner klingt, und das darauffolgende Fanfare von vier Trompeten und Posaunen, dem ähnlich, womit die Kavallerie auf die Wachparade zieht? Das folgende Allegro moderato ist, die Harmoniefolge gleich im ersten Takt abgerechnet (wo man es durch keine Lage der Harmonie vermeiden kann, daß der Zuhörer die zwei aufeinander folgenden Quinten hört,


Konzertreise in Deutschland

das bestgelungene Stück und macht mit kräftiger Besetzung einen schönen Effekt. Auch das folgende Adagio in Cb mit gehaltenen Chornoten pp und der unisono Begleitung der Saiteninstrumente in Sechzehnteilen macht eine schöne Wirkung. Der letzte figurierte Satz aber (denn eine streng durchgeführte Fuge ist es nicht) hat gewaltige Leeren und Lücken; auch ist das Thema nicht würdevoll genug und besonders dessen spätere Umkehrung eher komisch als im Kirchenstil.


Konzertreise in Deutschland

Auch macht es eine schlechte Wirkung, daß der Komponist die Chorstimmen in dieser Fuge durch die Saiteninstrumente um eine Oktave höher verstärkt hat, wodurch häßliche und übelklingende Lagen der Harmonie entstehen. Die Exekution dieses Te Deums war leider ebensowenig wie die der Kantate ganz fehlerfrei.


Den 20. Oktober [1815]


Am zweiten Tage fand ein Konzert folgenden Inhalts statt: Sinfonie von Mozart (C-dur), bei der genauen und feurigen Exekution von hinreißender Wirkung! Ich überzeugte mich heute, daß die 4 verschiedenen Themen der Schlußfuge, die anfangs einzeln stehen, da wo sie in der Coda oder zuletzt alle 4 zusammengearbeitet sind, sich in einem großen Lokale und bei einer kräftigen Besetzung im richtigen Verhältnis sehr akustisch herausheben, und daß diese Stelle alsdann, in gehöriger Entfernung angehört, sich ohne alle Verworrenheit dem geübten Ohre darstellt. Früher fand ich diese Stelle mehr künstlich als schön;[198] heute machte sie aber einen gewaltigen Eindruck auf mich. – Violinkonzert von mir (E b). Ich machte heute wieder die Erfahrung, daß der Virtuos beim großen Publiko sich eines weit rauschenderen Beifalls zu erfreuen hat wie der Komponist, daß überhaupt dem großen Haufen ein brillantes Konzertstück, wär es auch wirklich fade, weit mehr gefällt als das vortrefflichste Ensemblestück, sei's eine gearbeitete Sinfonie oder ein großer kräftiger Chor, und daß es daher leider wenig belohnend ist, Kompositionen im großen gediegenen Stil zu schreiben, wozu eine so reiche Fantasie und so viel Vorkenntnisse gehören, und daß mans den meisten Komponisten nicht verdenken sollte, daß sie dem Geschmack des Publikums frönen, da sie es so viel leichter und bequemer haben können. – So wie überhaupt unsre heutige Musik mit mehr Beifall aufgenommen wurde wie die gestrige ernstere, so hatte sich mein Konzert eines ganz besondern Beifalls des Publikums zu erfreuen. – Italienische Arie von Paër, gesungen von Herrn Strohmeyer. Diese Arie ist aus einem Oratorio, genannt »la religione«, wenn ich nicht irre, aber in einem so trivialen Stil geschrieben, daß man sie mit verändertem Texte recht gut in eine Opera buffa einlegen könnte. Während die Religion, die personifiziert singt (die wohl auch schicklicher Sopran statt Baß sänge), sich in den allergewöhnlichsten neuitalienischen Melodien, Rouladen und Sprüngen herumtreibt, brüllt der Chor sein »Santa« im unisono ff dazwischen, wie man etwa eine Räuberbande würde singen lassen: »Steh, das Leben oder die Börse!« Das Publikum, das nicht wußte, daß diese Arie in ein Oratorium gehört, war sehr wohl damit zufrieden, da sie Herrn Strohmeyer Gelegenheit gab, seine schöne Stimme und die Geläufigkeit seiner Kehle zu hören zu geben. – Adagio und Potpourri für Klarinette von mir, geblasen von Herrn Hermstedt, mit vielem Beifall aufgenommen. Doch fand ich und auch mehrere andere Musiker, die sich gegen mich darüber äußerten, daß Hermstedt, ob er gleich im Mechanischen noch immer Fortschritte macht, doch seinen Geschmack immer noch nicht sehr ausgebildet hat, und selbst meine Sachen, die ich ihm früher einstudiert habe, wenn er sie eine Zeit lang für sich studiert, in einem so bizarren, ich möchte sagen, verbildetem Geschmacke vorträgt, daß man von dem ursprünglichen Geiste der Komposition wenig erkennt. Seine mechanische Fertigkeit ist seiner Bildung als Künstler überhaupt vorausgeeilt, und er könnte das Mißverhältnis nur durch fortgesetzten Aufenthalt in einer großen Stadt, wo der gute Geschmack zu Hause wäre, aufheben. – Zum Schlusse wurde ein Gesang nach der Melodie des »God save the king« mit Harmoniebegleitung von Herrn Methfessel gesungen, in den das ganze Publikum, an welches Texte ausgeteilt[199] waren, mit einstimmte. Man wollte anfangs dazu eine 4stimmige Chorbearbeitung dieses Liedes vom Abt Vogler, die kürzlich in der Musikalischen Zeitung bekannt gegeben wurde, nehmen, da diese aber hart und trocken ist und so sonderbar und zwecklos herumspazierende Mittelstimmen hat, so daß man sie kaum für eine Arbeit von diesem gewandten Harmoniker halten sollte, so wurde sie verworfen. – Vor diesem Liede präludierte Herr Methfessel auf der Orgel, aber nicht sehr sonderlich. Viel reicher entfaltete sich Methfessels schönes Talent als Liederkomponist und Liedersänger nach unsern geselligen Mittags- und Abendmahlzeiten, wo er die Gebildeten der anwesenden Musiker und Musikfreunde durch ernste und komische Gesänge mit Klavier- und Guitarrenbegleitung unterhielt und erfreute. Sein musikalischer Witz und seine Launen sind wirklich unerschöpflich. Bei einer frühern Reise mit Hermstedt hatte er mehrere seiner Lieder mit obligater Klarinettbegleitung versehen, von diesen gaben sie uns einige zu hören, die eine herrliche Wirkung machten und alle Zuhörer entzückten.

Der arme Bischoff fand bei diesem dritten Frankenhäuser Musikfeste seine Rechnung nicht, und es ergab sich beim Abschluß ein bedeutendes Defizit. Die Veranlassung dazu war wohl die Einquartierung russischer Truppen in der Umgegend, wodurch die Stadt-und Landbewohner vom Besuche des Festes abgehalten wurden. Da Bischoff nicht in der Lage war, das Defizit aus eignen Mitteln decken zu können, so beschlossen die anwesenden Musiker auf meinen Vorschlag, die Kosten ihrer Hin- und Zurückreise selbst zu übernehmen und die dazu nötige Summe durch ein in der Heimat zu gebendes Konzert aufzubringen. Ich gab ein solches am 28. Oktober in Gotha, wobei mich Andreas Romberg, seit zwei Jahren Konzertmeister daselbst, freundlichst unterstützte. Die Einnahme deckte die Reisekosten der Gothaischen Kapelle vollkommen.

Ehe ich von Frankenhausen scheide, muß ich mich dankbar der als Künstler hier so genußreich und glücklich verlebten Stunden bei diesem und den zwei frühern Musikfesten erinnern. Sie waren mir Veranlassung, einige meiner größesten Kompositionen zu schreiben, z.B. »das jüngste Gericht«, die Sinfonie in Es # und mehrere Sachen für Hermstedt. Sie verschafften mir die persönliche Bekanntschaft aller in Thüringen und Sachsen wohnenden vorzüglichen Künstler und gewährten mir durch das Zusammenwirken dieser Künstler einen Genuß, den ich selbst in Wien nicht einmal wiedergefunden habe.
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Gotha, den 28. Oktober [1815]


Das Zusammenleben mit Andreas Romberg, einem so gebildeten und denkenden Künstler, hat mir wieder viele genußreiche Stunden verschafft. Wie kömmt es aber doch, daß manche Komponisten ihre eigenen Kompositionen so kalt und trocken vortragen, wenn ihnen auch die dazu gehörige mechanische Fertigkeit nicht fehlt, daß man glaubt, sie fühlten die Schönheiten derselben selbst nicht? Andreas Romberg spielte mehrere seiner neuen Quartetten, die mir lieb und wert geworden waren, weil ich sie oft von andern gehört und selbst gespielt habe; aber der Geist, der sich in diesen Quartetten so deutlich ausspricht, daß ihn bis jetzt jeder der Geiger, von dem ich sie gehört habe, richtig auffand, schien ihm selbst unbekannt; denn er spielte sie ohne alles Gefühl. Auch schien sich seine Vorliebe gerade zu solchen hinzuneigen, die mir und andern als die am wenigsten bedeutenden vorkamen. Auch nahm er manche Tempi in diesen Quartetten sowohl wie in seiner Sinfonie aus Es # langsamer, als es der Charakter des Tonstücks ver langt hätte, und schadete dadurch der Wirkung sehr. Diese letzte Erfahrung macht man übrigens bei fast allen Komponisten, die die Tempi ihrer Kompositionen oft weniger glücklich wählen als jeder andre unbefangene und routinierte Direktor. Auch ist es eine ebensohäufig zu machende Erfahrung, daß Komponisten ihre Sachen falsch beurteilen und auf die weniger guten den größesten Wert legen. In meiner Konzertante, die er mit mir öffentlich spielte, hatte ich Mühe, ihn in das gewohnte Tempo zu bringen, obgleich es ihm an der dazu nötigen Fertigkeit nicht fehlt.


Meiningen, den 31. Oktober [1815]


Heute gaben wir hier Konzert, das die Herzogin sowie ihr ganzer Hofstaat mit ihrer Gegenwart beehrten. Herr Wassermann, einer meiner geschicktesten Schüler, spielte mit mir meine Konzertante.


Würzburg, den 6. November [1815]


Hier machte ich die Bekanntschaft zweier interessanter Künstler, der Herren Professor Fröhlich und des Kapellmeisters Witt. Ersterer ist Professor der Ästhetik an der Universität, ein vielseitig gebildeter Künstler und einer der eifrigsten Mitarbeiter an der musikalischen Zeitung. Als Rezensent scheint er ziemlich gewissenhaft zu Werke zu gehen, doch ist es sehr zu tadeln, daß auch er, wie fast alle andern bedeutenden Werkbeurteiler, Urteile über Werke niederschreibt, ohne einmal eine Partitur zu besitzen. Wer es weiß, daß die geübtesten Komponisten beim Durchlesen einer fremden Partitur nicht sicher über den Effekt des[201] Stückes sich zu urteilen getrauen, den muß es wundern, daß diese Herren ein Werk zu übersehen glauben, wenn sie die einzelnen Stimmen nebeneinander legen und bald da, bald dort hineinsehen. Man sollte nie über ein mehrstimmiges Werk urteilen wollen, bis man es mehrere Male, und zwar gut exekutiert, gehört hatte. Bei dieser Prozedur der Rezensenten darf man sich nicht wundern, daß so viele schiefe und einseitige Urteile gefällt werden!

Herr Kapellmeister Witt hatte die Güte, mir am Piano sein Oratorium »die vier Menschenalter« zu hören zu geben. Da er sehr schlecht spielte und womöglich noch schlechter sang, so wäre es vorlaut, über den Effekt, den dieses Werk bei der Aufführung machen kann, nach dem, was ich davon hörte und beim Nachlesen in der Partitur sah, urteilen zu wollen. Doch kam es mir ziemlich gewöhnlich, hin und wieder fast trivial vor. Doch zeugten die Fugen und einige andere im strengen Stil geschriebene Nummern von großer Gewandtheit im Kontrapunkt.

Besondern Genuß gewährte mir die hiesige Kirchenmusik in der Schloßkapelle. Man kann nicht leicht ein vorteilhafteres Lokal für Musik finden wie diese Kapelle, die überdies in architektonischer Hinsicht wegen ihres schönen Baues und der reichen und geschmackvollen Verzierungen zu den schönsten Kirchen gehört, die ich je sah. Die ehemalige Großherzogliche Kapelle, die bisher noch unzerrissen ist, und das Sängerpersonale sind sehr brav und exekutierten eine Messe von Haydn ohne Tadel. Auch in meinem Konzerte am 7. November wurde mir sehr gut akkompagniert.


Nürnberg, den 16. November [1815]


In dieser alten Reichsstadt steht es um Musik jetzt sehr schlecht. Das Orchester ist ganz erbärmlich, und der Geschmack für schöne Künste scheint nicht viel besser zu sein als der, in welchem die alten Häuser gebaut und die Spielsachen für Kinder gearbeitet sind. Unser gestriges Konzert war nicht sehr besucht. Alle Musikstücke mit Orchesterbegleitung wurden aber von diesem total verhunzt. Zur Ergänzung des Tagebuchs führe ich hier noch an, daß sich mir damals in Nürnberg der junge, etwa vierzehnjährige Molique vorstellte und mich bat, ihm während meines Aufenthalts Unterricht zu geben, dem ich gern willfahrte, weil der Knabe schon damals Ausgezeichnetes für seine Jahre leistete. Da Molique sich seit jener Zeit durch fleißiges Studium meiner Violinkompositionen immer mehr in meiner Spielweise ausbildete und sich daher Schüler Spohrs nannte, obgleich er nur wenige Lektionen bekam, so habe ich dieses Umstands noch nachträglich erwähnt.
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München, den 12. Dezember 1815


Unser hiesiger Aufenthalt war reich an Kunstgenüssen. Den Tag nach unserer Ankunft war das erste der Abonnementskonzerte, von denen die königliche Kapelle jeden Winter 12, 6 vor dem Karneval und 6 in den Fasten gibt. Diese Konzerte werden sehr besucht und verdienen es. Das Orchester besteht aus einer einfachen Harmonie, wenigstens zwölf ersten, zwölf zweiten Violinen, 8 bis 10 Violen, 10 Violoncell und 6 Kontrabässen. Die Violinen und Bässe sind vortrefflich, die Blasinstrumente bis auf die Hörner ebenfalls. Man gibt gewöhnlich eine ganze Sinfonie (welches um so mehr zu loben ist, da es jetzt so selten wird und das Publikum so wenig Interesse dafür zeigt), eine Ouvertüre, zwei Konzert- und zwei Gesangsachen. Da die Münchener Kapelle sehr berühmt ist, so war meine Erwartung sehr gespannt; dennoch wurde sie durch die Ausführung der Beethovenschen Sinfonie in Cb


Konzertreise in Deutschland

womit man dieses erste Konnzert am 20. November eröffnete, noch weit übertroffen. Es ist kaum möglich, ein Musikstück mit mehr Feuer, mehr Kraft und dabei größerer Zartheit sowie überhaupt genauerer Beobachtung aller Nuancen von Stärke und Schwäche zu exekutieren, und so machte diese Sinfonie einen Effekt, den ich ihr, ohnerachtet ich sie oft und gut, selbst in Wien unter der Direktion des Komponisten gehört habe, kaum zugetraut hätte. Indessen fand ich doch nicht Ursache, mein früheres Urteil über sie zurückzunehmen, daß sie nämlich zwar einzelne Schönheiten hat, aber kein schönes klassisches Ganzes bildet. Namentlich fehlt sogleich dem Thema des ersten Satzes die Würde, die der Anfang einer Sinfonie meinem Gefühl nach doch notwendig haben muß. Dies bei Seite gesetzt, ist das kurze, leicht faßliche Thema allerdings zur thematischen Durchführung sehr geeignet und vom Komponisten mit den übrigen Hauptideen des ersten Satzes auch sinnreich und zu schönem Effekt verbunden. Das Adagio in As ist teilweise sehr schön, doch wiederholen sich dieselben Gänge und Modulationen, obgleich immer reicher figuriert, gar zu oft und werden dadurch zuletzt ermüdend. Das Scherzo ist höchst originell und von einer echt romantischen Färbung, das Trio aber mit den polternden Baßläufen für meinen Geschmack gar zu barock. Der letzte Satz mit seinem nichtssagenden Lärm befriedigt am wenigsten; die Wiederkehr des Scherzo darin ist jedoch eine so glückliche Idee, daß man den Komponisten darum beneiden muß. Sie ist von hinreißender Wirkung! Wie schade, daß der wiederkehrende Lärm diesen Eindruck so bald verwischt![203]

In diesem Konzerte hörten wir auch Herrn Rovelli, einen jungen, erst kürzlich engagierten Geiger, ein Konzert von Lafont (in Cb) vortrefflich und zu allgemeiner Zufriedenheit exekutieren. Dieser junge Künstler verbindet mit den Vorzügen der Pariser Schule (er ist Schüler von Kreutzer) auch das, was ihren Jüngern gewöhnlich fehlt, Gefühl und eigentümlichen Geschmack. Jene Vorzüge bestehen aber in fleißiger Ausbildung des Mechanischen des Violinspiels, worüber aber die meisten Eleven des Pariser Konservatoriums zu steifen Maschinen verbildet werden, wovon sie sich späterhin schwer wieder losmachen. Herr Rovelli zeichnet sich auch noch dadurch aus, daß er fertig prima vista liest und gut akkompagniert, wovon ich die Erfahrung machte, da er mir meine Quartetten akkompagnierte.

Auch sang in diesem Konzerte Madame Bamberger aus Würzburg, von deren schöner Altstimme und guter Schule ich schon dort so viel Rühmliches gehört hatte. Heute gefiel sie aber nicht sehr; sie schien ängstlich, woher es wahrscheinlich kam, daß sie so oft Atem schöpfte und die Töne so wenig trug.

Im zweiten Abonnementskonzerte blies Herr Fladt ein Oboekonzert sehr vorzüglich. Er hat einen schönen Ton und geschmackvollen Vortrag. Herr Legrand, der das Rombergsche Violoncellkonzert (in Eb) spielte, scheint mir schon bergab zu gehen. Wenigstens fehlte es ihm heute an Ausdauer und reiner Intonation. Eine Ouvertüre von Steibelt (aus Romeo und Julie) erhebt sich nicht über das Gewöhnliche.

Im dritten Abonnementskonzerte wurde meine Sinfonie (in Es#) unter der feurigen und umsichtigen Direktion des Herrn Konzertmeister Moralt ganz vorzüglich gegeben und machte hier mehr Wirkung wie selbst in Frankenhausen, wo ich sie vor vier Jahren zum erstenmal gab. Herr Musikdirektor Fränzl spielte sein altes Violinkonzert (in C-dur) mit Janitscharenmusik. Die Komposition ist in dem süßlich-faden Geschmack der Pleyelschen Epoche und kann jetzt unmöglich noch gefallen; ebenso veraltet ist auch sein Spiel, von dessen frühern Vorzügen nur noch das Feuer zurückgeblieben ist, welches ihn aber jetzt oft zur Undeutlichkeit und unreinen Intonation hinreißt. Ohnerachtet das auch heute oft der Fall war, so wurde er doch rasend applaudiert, welches einem Fremden von dem Geschmack der Münchener leicht einen übeln Begriff hätte beibringen können, wenn man nicht gesehen hätte, daß eine kleine Anzahl seiner persönlichen Freunde das Publikum durch[204] heftiges Klatschen und Bravorufen dazu animierte. So vorteilhaft es übrigens für solche Künstler ist, auch in spätem Jahren rücksichtlich ihrer frühern Verdienste noch immer vom Publiko mit Beifall belohnt zu werden, und so billig man dies im ganzen genommen finden wird, so hat es doch auf die Bildung des Publikums einen nachteiligen Einfluß und muß junge Künstler in ihren Studien irreführen; auch ist es kaum zu verlangen, daß ein Künstler, der sich in seinen alten Tagen noch ebenso enthusiastisch beklatschen sieht wie in seiner brillantesten Epoche, so viel Selbsterkenntnis besitze, um den Zeitpunkt nicht zu überschreiten, wo er aufhören soll, öffentlich aufzutreten. Daß Fränzl diesen Zeitpunkt schon überschritten hat, ist wohl keinem Zweifel unterworfen. Und doch ist er im Begriff, wieder eine musikalische Reise anzutreten!

Im vierten Abonnementskonzerte spielte ich mit Herrn Rovelli meine Konzertante, um dem Gesetze zu genügen, nach welchem jeder fremde Künstler, der sich der Mitwirkung der Kapelle bei seinem Konzerte zu erfreuen haben will, in einem der Abonnementskonzerte vor oder nach seinem eigenen zu spielen verbunden ist. Diese Konzertante, die ich in Wien mit Seidler, in Gotha mit Romberg und noch mit mehreren andern vorzüglichen Geigern gespielt habe, hörte ich noch nie so gut wie hier. Rovelli, der sie mit dem größesten Fleiß einstudiert hatte, spielte sie vortrefflich; ebenso gut wurde sie akkompagniert; einen vorzüglich guten Effekt machte das Adagio mit den drei obligaten Violoncells.

Voglers berühmte Ouvertüre aus »Castor und Pollux« entsprach nicht meiner Erwartung. Sie fängt feurig und kräftig an, wird aber gegen das Ende lahmer, und selbst dieser Anfang wirkt nur durch sogenannte Lärmeffekte mit Blechinstrumenten. Die Jagdsinfonie von Méhul aber machte, so vortrefflich exekutiert, wie ich sie noch nie hörte, eine herrliche Wirkung. Es ist auch nicht zu leugnen, daß diese Ouvertüre, die allenthalben so viel Glück gemacht hat, trotz mehrerer müßiger Wiederholungen wegen ihres herrlichen romantischen Charakters vollkommen diesen Beifall verdient, welches leider so selten mit den Lieblingskompositionen des großen Publikums der Fall ist.

Am dritten Dezember spielten wir bei der Königin im Kabinett, wo außer dem Könige und ihr nur wenige Auserwählte des Hofs zugegen waren. Sie schien besonderes Interesse an der Musik zu nehmen; beide überhäuften uns mit Artigkeiten. Außer den drei Musikstücken, die ich mit meiner Frau spielte, sang Herr Mittermayer eine Arie am Piano und Mad. Dülken, eine ausgezeichte Virtuosin, spielte mit ihrer Tochter und Schülerin ein Rondo von Steibelt für 2 Piano.[205]

Am sechsten fand unser Konzert im Redoutensaale statt, welches die Königin auch mit ihrer Gegenwart beehrte, eine Auszeichnung, die seit mehreren Jahren keinem fremden Künstler zuteil geworden war. Es war mir als Komponist eine große Freude und als Solospieler eine große Erleichterung, meine Sachen einmal wieder so gut akkompagniert zu hören. – Im Theater wurde wegen Abwesenheit der ersten Sängerin Madame Harlaß (die für den Karneval in Venedig engagiert ist) nichts Neues gegeben. Eine Aufführung von »Figaro« war von Seiten des Orchesters vortrefflich, von Seiten der Sänger aber nur mittelmäßig.

Im Museo fand ich in der musikalischen Zeitung einen Bericht über das letzte Frankenhäuser Musikfest und in diesem eine Rezension über meine Kantate. Diese (wahrscheinlich von Gerber) enthält so viel Seichtes und Falsches, daß ich große Lust hätte, darauf zu antworten, hätte ich mir nicht seit meinem Wiener Federkriege mit Mosel fest vorgenommen, nie wieder eine Antikritik zu schreiben.


Würzburg, den 26. Dezember [1815]


Auf der Reise von München hieher haben wir im Fluge drei Konzerte gegeben, die im voraus arrangiert waren, am 16. in Nürnberg, am 18. in Erlangen, am 22. in Bamberg. Gestern am ersten Weihnachtstage fand unser 2. Konzert hier statt. – Vorgestern gab ich Herrn Professor Fröhlich meine neuen in Wien geschriebenen Quartetten in der Absicht zu hören, daß er sie in der musikalischen Zeitung rezensiere. Da sie sehr gut zusammengingen, so machten sie einen vorteilhaften Eindruck auf die Zuhörer.


Frankfurt am Main, den 14. Januar 1816


Unser hiesiger dreiwöchentlicher Aufenthalt war sehr arm an Kunstgenuß. In der ganzen Zeit kein Konzert und nicht ein einziges Mal Privatmusik! Während wir vor acht Jahren bei unserm ersten Aufenthalte kaum imstande waren, allen den Aufforderungen dazu Genüge zu leisten, fällt es jetzt bei dem langen Aufenthalte keinem der Frankfurter Musikfreunde (wenns jetzt deren überhaupt noch gibt) ein, unsere Talente auch nur ein einziges Mal zu einer Privatmusik in Anspruch zu nehmen.

Im Theater war auch wenig Erfreuliches. Außer Fränzls »Carlo Fioras« gab man nichts für uns Neues. Diese Oper, die schon auf mehreren Bühnen nicht ohne Beifall gegeben worden ist, verdankt dieses Glück wohl nur einigen ergreifenden Momenten im Sujet, denn die Musik hat durchaus nichts Ausgezeichnetes. Aber auch das Sujet ist voller Unwahrscheinlichkeiten[206] und Albernheiten und schleppt sich in den zwei letzten Akten unerträglich. Auf Fränzls Musik läßt sich jener bekannte Ausspruch anwenden: Das Gute darin ist nicht neu und das Neue nicht gut. Gewöhnliche, unzähligemal gehörte Melodien und verbrauchte Harmoniefolgen; und wenn er je mal einen höhern Flug erregt, führt er uns gleich einen alten Bekannten vor. Indessen ist doch eine sehr ergreifende Stelle darin, nämlich die, wo der Alte den Stummen über sein Schicksal befragt und, während dieser seine Antworten aufschreibt, die Musik dessen Gefühle ausdrückt. Auch der gleich darauffolgende Theatercoup ist von großer Wirkung, wo in demselben Augenblick, wie man, wiewohl vergeblich, in den Stummen dringt, seinen Verfolger zu nennen, ein Bedienter hereintritt und diesen mit Nennung seines Namens anmeldet. Madame Graff bewährte sich in dieser Oper und als Gräfin in »Figaro« als eine gebildete Sängerin von Gefühl und Geschmack. Das übrige Gesangpersonale ist aber sehr unbedeutend. Das Orchester hingegen ist sehr vorzüglich und seines alten Ruhms würdig.

Am zwölften war unser Konzert im roten Hause. Mad. Graff sang die große Szene aus »Faust« sehr vorzüglich. Das Orchester akkompagnierte mit Liebe und großer Genauigkeit.

Am dreizehnten brachte ich fast einen ganzen an Musik sehr reichen Tag in Öffenbach bei André zu. Ich fand ihn auf einem neuen Steckenpferde, auf welchem er sich mit fast noch größerem Selbstgefallen und noch unerträglicherer Arroganz herumtummelte wie seinen frühern. Es heißt: Deklamation und Liedkomposition. Er hat die feste Überzeugung und äußert sie auch laut mit edler Offenherzigkeit, daß alle Gesangkomponisten von Mozart bis Wenzel Müller durch alle Generationen nicht verstanden haben, ein Lied richtig zu deklamieren und in Musik zu setzen, und daß folglich seine Lieder, deren er eine ganze Menge gemacht hat, die ersten untadelhaften seien, die existieren. – Er forderte mich auf, einige meiner neuen Lieder zu hören zu geben, konnte aber nicht lange der Autoreitelkeit widerstehen und fand einen Vorwand, schon beim zweiten zu den seinigen überzugehen. Fräulein von Goldner, seine Schülerin, sang mehrere davon hinreißend schön. Es ist nicht zu leugnen, daß die meisten dieser Lieder richtig deklamiert und auf interessante Weise aufgefaßt sind und, so vortrefflich gesungen und gut akkompagniert, eine große Wirkung machen. Ich sagte ihm dies, verhehlte ihm aber auch nicht meine Ausstellungen. Die meisten sind zu formlos; er opfert der Deklamation Rhythmus und Form auf, was bei einem so kleinen einfachen Musikstücke wie das Lied nur in wenigen[207] außerordentlichen Fällen geschehen darf. Um nicht in den Fehler so vieler Liederkomponisten zu verfallen, die sich an den Rhythmus, den der Dichter seinem Liede gegeben hat, zu ängstlich binden, verfällt er meiner Ansicht nach in den entgegengesetzten; er wechselt, um manche Silben dehnen und jeder ihren Akzent geben zu können, fast in allen seinen Liedern alle Augenblick die Taktart und macht es so dem Zuhörer unmöglich, irgendeine rhythmische Einteilung zu hören. Nun ist aber Musik ohne Rhythmus ein leeres Geklingel und daher vielleicht das Unbefriedigte, was mich nach mehreren dieser Lieder ergriff. Auch ist noch auszustellen, daß die Klavierbegleitung zu den meisten dieser Lieder zu obligat ist; man glaubte, eine freie Klavierfantasie zu hören, in die ein andrer dann und wann auf eine recht passende Art etwas hineinsang. Die Art, wie André diese Sachen zu hören gibt, sowie überhaupt seine Arroganz in Kunsturteilen sind völlig unerträglich. So holte er z.B. ein altes Schulzisches Lied: »O selig, wer liebt« hervor, sang es so, daß es lächerlich werden mußte, und wollte uns nun seine Komposition über denselben Text zu hören geben. Aha, sagte jemand aus der Gesellschaft, Sie zeigen uns erst den Schatten, damit nachher das Licht um so größere Wirkung macht!

Mich verdroß diese Mißhandlung eines alten würdigen Komponisten so sehr, daß ich mich nicht enthalten konnte zu sagen: Mein lieber André, Sie scheinen mancherlei zu vergessen, erstlich, daß es Ihrem Liede eben nicht zur Ehre gereicht, wenn es erst einer Folie bedarf, zweitens, daß dieses Schulzische Lied vor länger als fünfundzwanzig Jahren komponiert ist, wo man noch andere Ansichten der Kunst hatte und die Melodien, die uns jetzt freilich veraltet vorkommen, noch neu waren, und drittens, daß Sie zu Ihrem Zweck doch eben keine sonderlich glückliche Wahl getroffen haben, indem dieses Lied bei aller seiner Einfachheit doch sehr richtig deklamiert ist und in der Wiederholung des: o selig, wer liebt am Ende jeder Strophe etwas höchst Poetisches enthält, und daß es sehr zweifelhaft ist, ob unsere Lieder nach fünfundzwanzig Jahren noch so viel Vergnügen machen werden, wie es dieses Lied, gut gesungen, noch immer gewährt. – André war doch etwas beschämt und äußerte sich den übrigen Teil des Tages bescheidener. – Ich wollte ihm nun mehrere meiner Quartetten und Quintetten zu hören geben, aber das erste ging gleich so schlecht, daß ich davon abstand und es bei dem ersten bewenden ließ.

Nach Tische gab uns Herr Aloys Schmitt als Fantasie auf dem Piano »einen Seesturm«. Ohnerachtet er diese von Wölffl zuerst versuchte[208] Spielerei nicht übel gab, so hätte ich doch von einem so ausgezeichneten Klavierspieler lieber etwas Solideres zu hören gewünscht.

Am Abend führte mich André zu Herrn Ewald, bei dem sich die Offenbacher Singakademie versammelt hatte. Man gab mit einer Besetzung von ungefähr 48 Stimmen zuerst: Die drei Worte von Schiller, Musik von Aloys Schmitt, darauf einen patriotischen Chor von André und zum Schluß Schillers Bürgschaft, wieder von Schmitt, alles übrigens mit Klavierbegleitung. Die Ausführung von lauter Dilettanten war sehr vorzüglich und nur zu bedauern, daß das Lokal nicht geräumiger war. Die Komposition der »drei Worte« gefiel mir sehr und verrät ein herrliches Talent zur Gesangskomposition. Auch eignet sich dies Gedicht weit besser zur Komposition als die Bürgschaft. Bei diesem letztern hat der Komponist die verschiedenen redend darin vorkommenden Personen von verschiedenen Stimmen singen lassen; es klingt sehr sonderbar, von diesen Personen auch das singen zu hören, was uns der Dichter erzählt. Der Eintritt des Chors ist bei verschiedenen Stellen von außerordentlicher Wirkung, z.B. der, wo es heißt: Und unendlicher Regen gießet herab, und später, wo der erschöpfte Wanderer das Rieseln einer Quelle hört. Überhaupt herrscht in dem Ganzen eine reiche Fantasie. Zu tadeln ist das öftere Wiederholen einzelner Worte, was oft recht lächerlich klingt, und dann die Formlosigkeit des Ganzen, durch das zu häufige Wechseln der Taktart und der Tempi verursacht. Die vierhändige Klavierbegleitung ist so reich an Figuren, Passagen und enharmonischen Verwechslungen, daß sie sich, so wie sie da ist, nicht für das Orchester umschreiben ließe. – Der Chor von André zeichnete sich durch nichts aus. Herr Hasemann, der mir am Morgen mein Quartett als Violoncellist recht gut akkompagniert hatte, ließ uns seine Virtuosität auf der Baßposaune in Variationen über: Mich fliehen alle Freuden bewundern. Indessen macht es bei dem Zuhörer von Geschmack doch einen widrigen Eindruck, wenn ein Instrument aus seinem Charakter herausgeht und zu Sachen gezwungen wird, die seiner Natur zuwider sind.


Darmstadt, den 9. Februar [1816]


Durch eine Krankheit meiner Frau zu einem beinah vierwöchentlichen Aufenthalt gezwungen, habe ich Zeit genug gehabt, den hiesigen Musikzustand kennen zu lernen. Sehr viel Erfreuliches läßt sich davon nicht sagen. Der Großherzog hat zwar viel Liebe für die Tonkunst und verwendet große Summen darauf; diese Liebe wird aber zur Manie, da sie sich nur auf Theatermusik beschränkt, und bringt der Kunst keinen Gewinn. Er findet nämlich seine Freude daran, in den Proben den[209] Musikdirektor und Regisseur in eigener Person zu machen; er dirigiert daher nicht nur das Orchester an einem auf dem Theater befindlichen Pulte, sondern ordnet auch alles auf der Bühne an. Da er sich in beiden Posten für unfehlbar hält und weder dem Kapellmeister noch dem Regisseur die geringste Einwendung gegen seine Anordnungen gestattet, so ist es natürlich, daß viele Mißgriffe geschehen. Denn obgleich er unter den Großherzögen wohl der beste Operndirektor sein mag, so ist damit noch nicht gesagt, daß er ein guter sei! Er beweist dies schon in der Wahl der Werke, die er auf seinem Theater geben läßt. Da er es so reich dotiert hat, daß die Regie auf den Geschmack des Publikums behufs der Einnahme keine Rücksicht zu nehmen braucht, so könnte sie ein Repertoire von lauter gediegenen und wertvollen Werken schaffen, ließe er ihr die Auswahl. So trifft er aber diese selbst, und es wird daher nicht nur viel Mittelmäßiges gegeben, sondern manches Vortreffliche ganz ausgeschlossen, wie z.B. die Cherubinischen Opern, weil sie der Großherzog nicht leiden kann. Allenfalls läßt er den »Wasserträger« noch passieren, doch auch nur den ersten Akt. Auch die Mozartschen Opern wollen ihm nicht recht behagen; denn als vor einigen Tagen einmal wieder der »Don Juan« an die Reihe kam, nachdem dreißig Abende vorher nichts als die »Athalia« von Poißl probiert worden war, und das Orchester, von der tödlichen Langenweile befreit, die ihm jene Oper gemacht hatte, das erste Finale mit großer Begeisterung exekutiert hatte, äußerte er laut gegen den Kapellmeister gewendet: Nach der Poißlschen Oper will der »Don Juan« doch nicht mehr schmecken! O Einfalt!

Das Sologesang-Personale ist sehr schlecht, ohnerachtet er so bedeutende Gehalte zahlt, daß ich ihm für das nämliche Geld die besten deutschen Sänger verschaffen wollte. Er will aber nur mittelmäßige Talente, damit sie sich um so williger seinen Anordnungen fügen. Das Chorpersonale (dreißig Frauen und dreißig Männer) ist im Vergleich mit dem Übrigen vorzüglich zu nennen. Im Orchester sind mehrere vorzügliche Künstler, doch ist auch viel Mittelgut darunter. Auf das Ensemble desselben und besonders auf das Pianissimo tut sich der Großherzog viel zu gut; doch bleibt in Bezug auf reine Intonation und auf Deutlichkeit noch viel zu wünschen übrig. Kein Orchester der Welt ist so geplagt wie dieses; denn sämtliche Mitglieder desselben müssen jeden Abend, den Gott werden läßt, von sechs bis neun oder zehn Uhr im Theater zubringen. Jeden Sonntag ist Oper, an zwei andern Tagen jeder Woche Schauspiel; an den vier übrigen Tagen hält der Großherzog seine Opernproben. Nur[210] wenn er durch Krankheit verhindert ist, fallen sie aus. Dann werden auch keine Opern gegeben. Unlängst war er wegen eines Übels am Bein genötigt, mehrere Wochen das Zimmer zu hüten; in dieser Zeit durfte weder eine Probe gehalten, noch eine Oper gegeben werden. Er schien zu glauben oder wollte es seinen Leuten weismachen, daß ohne ihn nichts einstudiert werden kann.

Es gewährt einen sonderbaren Anblick, den alten Herrn, schon ganz krumm gewachsen, in seiner Uniform mit dem Stern auf der Brust hinter dem Pulte den Musikdirektor oder beim Zurechtstellen der Statisten und Statistinnen den Regisseur machen zu sehen, wie er bald dies, bald jenes zu erinnern hat, bald piano oder forte schreit! Verstände er dies nun alles, so würde es keinen bessern Operndirektor geben; denn er hat nicht nur viel Eifer und Ausdauer, sondern auch in seiner Eigenschaft als Großherzog die nötige Autorität. So reicht seine Partiturkenntnis aber nicht weiter, um allenfalls die Violinstimme nachlesen zu können, und weil er selbst einmal Geige spielte, so quält er die armen Geiger ewig mit seinen Erinnerungen an unwesentliche Kleinigkeiten, ohne daß dadurch etwas gebessert wird. Unterdessen können die Sänger so falsch und geschmacklos singen, wie sie wollen, oder die Blasinstrumente können einen Takt vor oder nach sein, er merkt es nicht, und der Kapellmeister darf nicht einmal wagen, es zu rügen, um den Großherzog nicht in sein Amt zu fallen. Daß daher die Opern trotz der vielen Proben doch nicht gut gehen und in der Regel um so schlechter, je mehr Proben stattgefunden haben, findet seine Erklärung im obigen sowie darin, daß Sänger und Orchester am Ende vor Abspannung und Überdruß nicht mehr achtgeben können. So ging es auch mit der Oper »Athalie« von Poißl, die während unserer Anwesenheit in Darmstadt jeden Abend probiert wurde. Nach vielleicht 30 Proben war endlich die Aufführung, doch fielen noch Fehler sowohl auf dem Theater wie im Orchester vor.

Von der Musik dieser Oper läßt sich nicht viel Rühmliches sagen. Es ist alles zu gewöhnlich, zu oft schon dagewesen, und mehrere Musikstücke sind allgemein bekannten von Mozart und Cherubini nachgebildet, ohne daß dadurch etwas anderes gewonnen wäre, als daß sie an jene erinnern, so z.B. der Priestermarsch, der mit seinen einzelnen Paukenschlägen ganz dem der Zauberflöte während der Feuer- und Wasserprobe gleicht. Ebenso das Schlußallegro des ersten Aktes, welches mehrere auffallende Reminiszenzen aus dem ersten Finale des »Don Juan« enthält u.d.m. Der erste Akt wird noch dadurch besonders langweilig, daß[211] so viel langsame Tempi und Gebete unmittelbar aufeinander folgen, sowie es denn überhaupt der Oper an Leben und Handlung fehlt.

Der Großherzog, der die Komposition dieser Oper sehr schön findet, vielleicht weil sie ein Baron gemacht hat, hatte den Verdruß zu sehen, daß sie das Publikum sehr langweilte, was man auch selbst in der Nähe seiner Loge laut äußerte. Dies veranlaßte ihn zu der Äußerung, daß man wohltun würde, allen solchen Leuten, die diese herrliche Oper nicht goutierten, die Türen zu Thaliens Tempel ganz zu verschließen! Chacun à son gout! Ich lobe mir eine Mozartsche! Wenn es wahr ist, was man sich hier erzählt, daß er seine Hofdiener und Offiziere zum Theaterbesuche zwingt, indem er ihnen vom Gehalte den Betrag für das Theaterabonnement ohne weiteres abziehen läßt, so könnte er seine Drohung leicht wahr machen, indem er sie von dieser Fronde befreite!

Da uns der Großherzog zu einem öffentlichen Konzerte die Mitwirkung der Kapelle verweigerte, weil er sie, wie es in der Antwort auf mein Gesuch hieß, keinen Abend im Theater entbehren könne, so waren wir schon im Begriffe abzureisen, ohne in Darmstadt gespielt zu haben, als uns die Direktion des Kasino den Antrag machte, in ihrem Lokal aufzutreten, wofür sie uns ein Honorar von zwanzig Karolinen offerierte. Dies nahmen wir an. Ich spielte mit Dorette eine Sonate, zwei Konzertsätze mit Klavierbegleitung und Dorette schloß mit der Phantasie in C-moll. Wir hatten ein sehr empfängliches Publikum. Den Geigern des Orchesters, die mich gern gehört hätten, und Herrn Backofen, dem frühern Lehrer meiner Frau, den ihre jetzige Virtuosität in hohem Grade interessiert haben würde, war es aber nicht gestattet, unter den Zuhörern zu sein, denn der Großherzog hatte abends vorher bei der Probe im Theater gesagt: »Daß mir morgen Abend ja niemand fehlt!«


Heidelberg, den 11. Februar [1816]


Trotz der großen Kälte, die seit voriger Nacht herrscht, haben wir heute mittag den Schloßberg erstiegen, um die wunderschöne Ruine des Schlosses von neuem zu sehen. Ich habe mich gefreuet, daß man seit acht Jahren diese nicht weiter hat verfallen lassen, daß man vielmehr Sorge trägt, es nun so, wie es jetzt da liegt, zu erhalten. Die Aussicht über die Stadt nach Mannheim und in das Neckartal ist selbst im Winter entzückend schön!


Karlsruhe, den 26. Februar [1816]


Unser hiesiger Aufenthalt hatte dadurch, daß wir alte Bekannte vorfanden, viel Angenehmes. Auch bot er manchen Kunstgenuß. Gute[212] Orchestermusik hörten wir zwar nicht, denn die Kapelle ist, obgleich in neuerer Zeit mehrere ausgezeichnete Künstler engagiert wurden, noch immer sehr mittelmäßig. Einige gute Mitglieder können die Schwächen der übrigen nicht verdecken. Dagegen hörten wir zwei gute Sängerinnen: Demoiselle Barensfeld und Madame Gervais. Erstere sang am 21., als wir bei der Großherzogin im Kabinett spielten, eine Arie und einige Tage früher die Sopransoli in Rombergs »Glocke«, die von einer Dilettantengesellschaft im Museum recht gut gegeben wurde. Demoiselle Barensfeld besitzt eine schöne Stimme, viel Geschmack und Geläufigkeit, überladet aber ihren Gesang zu sehr mit Verzierungen. Madame Gervais, die auch eine vorzügliche Schauspielerin ist, sahe ich in Weigls recht artiger Oper »Ostade«, wo sie besonders eine Kavatine sehr schön sang. Dann hörten wir sie in unserem Konzerte am 24. die große Szene aus »Faust« mit allgemeinem Beifalle singen. Sie hat ebenfalls eine schöne Stimme, gute Schule, viel Gefühl und große Geläufigkeit, verziert aber auch am unrechten Orte und detoniert zuweilen.

Meine Quartetten und Quintetten gab ich viermal zu hören, zweimal bei Herrn von Eichthal und einmal bei den Herren von Freydorf und Brandl. Sie wurden mir von den Herren Fesca, Fiala, Böhnlein und von Dusch vortrefflich akkompagniert. Fesca spielte auch ein neues Quintett seiner Komposition, das sehr viel Neues und Schönes enthielt. Im letzten Satze war je doch manches gar zu gesucht.

Karlsruhe hat sich seit 8 Jahren sehr vergrößert und verschönert. Außer einer Menge von Privathäusern hat es auch drei große öffentliche Gebäude in dieser Zeit erhalten. Das älteste, woran schon vor 8 Jahren gearbeitet wurde, ist das Theater, ein großes, in einem schönen Stil und sehr zweckmäßig eingerichtetes Gebäude. Der einzige Vorwurf, den man dem Baumeister, Herrn Weinbrenner, mit Recht machen kann, ist der, daß er nicht dafür gesorgt hat, daß es im Winter gehörig geheizt werden kann. In den Wintermonaten leidet das Publikum und noch mehr die Schauspieler und das Orchesterpersonal gewaltig vom Zuge und der Kälte, und es wird mancher dadurch vom Besuch des Theaters abgehalten. – Das 2., ebenfalls von Weinbrenner aufgeführte Gebäude ist die katholische Kirche, ein nach dem Urteil der Kenner fürchterlich mißratenes Werk; es besteht in einer großen Rotunde mit einem sehr eckigen Turm daneben, der wie zu einer Dorfkirche gehörig aussieht. Außerdem sind auch noch so viel andere kleine eckige Gebäude angebaut, daß das Ganze einen gar widrigen Anblick gewährt. Zur Entschuldigung des Baumeisters sagte man, daß der Turm nicht in seinen Plan gehörte, daß die[213] Katholiken aber glaubten, man wolle ihnen den Turm und das Geläute darin nicht gönnen, auf diesen bestanden und sich von einem Wiener Baumeister dazuzeichnen ließen, welchen dann Weinbrenner ausführen mußte. – So wie das Gebäude jetzt dasteht, ist es wirklich ein Schandfleck des Baumeisters und der Stadt. – Das 3. Gebäude ist die noch nicht einmal ganz vollendete lutherische Kirche in einem schönen und reichen Stil mit einem besonders imposanten Portal. Der Turm will dem Kenner zwar auch nicht gefallen, doch ist er in demselben Stil wie die Kirche und viel edler und größer als der von der katholischen Kirche. – Ein ewiges Ärgernis für alle Besucher bleibt die unglückselige Fächergestalt der Stadt, die sie zwingt, ihre neuen Häuser in lauter stumpfen und spitzen Winkeln zu bauen und ihnen fast kein regelmäßiges Zimmer anzulegen erlaubt. Der, der die erste Idee zu dieser Form gab, ist schon oft mitsamt seiner Idee verwünscht worden.


Straßburg, den 6. März [1816]


Es drängt mich zuerst von dem zu reden, was jedem Reisenden noch vor seiner Überfahrt über den Rhein von dem fremden Land zuerst in die Augen fällt; ich meine den Münster! Weit jenseits Kehl sahen wir schon seine kolossale und doch zierliche Gestalt hoch in die Lüfte ragen. Der Münster ist so oft und gut (am poetischsten wohl in Baggesens Reise) beschrieben worden, daß ich mich damit nicht versuchen werde. Aber das muß ich aussprechen, daß früher nie etwas so sehr das Gefühl des Erhabenen und Heiligen in mir erweckt hat als dieser wundervolle Bau! So soll ein Tempel Gottes gebaut sein! Dies ist der Stil, der sich für ein solches Gebäude schickt! Warum man nicht auch noch jetzt, wenn man einmal bedeutende Summen aufwenden will und kann, neue Kirchen in diesem gereinigten gotischen Stile baut? Welch edle Formen, welche Zierlichkeit, welcher Reichtum und welch imposante Größe sind da vereinigt! Man hat alles, was in der Zeit der Revolution von den Bilderstürmern am Münster beschädigt wurde, wieder hergestellt, und die neuen Bildsäulen, die man an die Stelle der zertrümmerten gesetzt hat, sind weit besser wie die alten, die damals verschont geblieben. Überhaupt wird der Münster sehr sorgfältig erhalten, und es sind zu den äußern Reparaturen allein jährlich 20 000 Franken ausgesetzt. Diese Sorgfalt ist bei diesem Gebäude wegen seiner Zierlichkeit aber auch doppelt notwendig, da die geringste Beschädigung leicht größere und gefährlichere nach sich ziehen könnte; denn selbst der gigantische Turm hat nicht einmal rundum eine feste Mauer, sondern steht vom tiefsten[214] Grunde an auf lauter Pfeilern, zwischen denen sogar unter der Kirche ein Kanal durchfließt, den man beschiffen kann. Auf halber Höhe, da wo der Bau sich in zwei Hälften trennt, von denen aber nur die eine fertiggeworden ist, ist nun vollends alles so luftig, zierlich und durchsichtig wie ein Konditoraufsatz. Die geringste Beschädigung da, wo immer ein Pfeiler den andern trägt, könnte den Zusammensturz des ganzen Turmes nach sich ziehen.

Wie wir den kühnen Riesenbau lange genug bewundert hatten, erregte der Telegraph, der auf dem Kirchendache seine Arme emporstreckt, unsere Aufmerksamkeit. Es wurde eben geschrieben, und die Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegungen ergötzte uns sehr. Da wir den Mechanismus kennen zu lernen wünschten, so stiegen wir hinauf, kamen aber erst oben an, als eben aufgehört wurde, und sahen nur noch die Depesche in den sonderbaren Zeichen naß auf dem Papiere stehen. Ich hätte gern gewußt, ob diese Zeichen, deren es höchstens vierundzwanzig sein können, die Buchstaben oder einzelne Worte oder ganze Sätze bedeuteten, und richtete deshalb einige Fragen an den Telegraphisten. Er gab aber wenig Auskunft, entweder weil er nicht durfte oder selbst nichts wußte, was das Wahrscheinlichste ist, da nur der Direktor den Schlüssel der Zeichen besitzen soll. Nach seiner Behauptung bedeutet jedes Zeichen ein Wort. Dies ist aber sehr unwahrscheinlich, da man mit vierundzwanzig Wörtern doch nicht ausreichen würde, auch wenn das dazwischen Fehlende größtenteils erraten werden könnte. Daß ihm übrigens die Bedeutung von einem oder einigen Zeichen bekannt sein müsse, bewies er dadurch, daß er, um uns den Mechanismus zeigen zu können, das signe d'attention machte, wodurch angefragt wird, ob im Laufe des Tages noch eine Depesche zu erwarten sei und daher jeder Telegraphist auf seinem Platze bleiben müsse. Dieses Zeichen wurde sogleich vom nächsten Telegraphen abgenommen, wie wir durch das Perspektiv sahen, und dann ebenfalls vom folgenden, der auch noch, obwohl weniger deutlich, zu erkennen war. Nach sieben oder acht Minuten kam aus Paris die Antwort zurück: es müsse jeder auf seinem Posten bleiben. Dieses Zeichen nahm nun auch unser Telegraph ab, und dann standen sie alle wieder in Ruhe. Der Mechanismus ist sehr einfach. Drei große Räder im Zimmer des Telegraphisten, über welche aus Messingdraht geflochtene Schnüre laufen, setzen die drei Gelenke des Telegraphen in Bewegung. Kleinere, an den großen befestigte Räder bewegen einen kleinern Telegraphen im Innern des Zimmers, an welchem der Maschinist sieht, ob die Zeichen oben auf dem Dache richtig gemacht[215] werden. Ein dritter mäßig großer Telegraph, gegen die Wohnung des Direktors gerichtet, dient dazu, ihm die Zeichen, die von Paris ankommen, sogleich mitzuteilen. Die ganze Anstalt ist sehr interessant und macht dem menschlichen Verstande Ehre. Die Wächter haben einen beschwerlichen Dienst und müssen vom ersten Morgengrauen an bis zum Anbruche der Nacht auf ihrem Posten sein. Die geringste Nachlässigkeit wird gleich mit Absetzung bestraft.

Ich lernte in Straßburg drei ausgezeichnete Künstler und viele passionierte Musikfreunde kennen. Erstere sind: Herr Spindler, Kapellmeister am Münster, Nachfolger von Pleyel, der diese Stelle früher bekleidete, Herr Berg, Pianofortespieler und Komponist, und Herr Kuttner, ebenfalls Pianist und Sänger. Von Spindlers Kirchenkompositionen wird besonders ein Requiem sehr gelobt, von seinen dramatischen Arbeiten eine Oper: »Das Waisenhaus«. Spindler schickte die Partitur und das Buch dieser Oper, welches letztere ebenfalls sein Eigentum war, an die Wiener Theaterdirektion. Sie wurde nicht angenommen und unter dem Vorwande zurückgeschickt, daß die Gesangpartien nicht für ihre Subjekte paßten. Man hatte aber vom Buche diebischerweise eine Abschrift genommen, und Weigl komponierte es nun ebenfalls noch einmal. Da ihm kurz vorher seine »Schweizerfamilie« großen Ruhm verschafft hatte, so verbreitete sich dieses neue Werk bald über alle deutschen Theater, während Spindlers Komposition bis jetzt nur in Straßburg gegeben worden ist. Doch wurde letzterm die Genugtuung zuteil, daß die Weiglsche Komposition, welche im vorigen Jahre von einer deutschen Operngesellschaft hier gegeben wurde, bei weitem nicht so gefiel wie die seinige. – Spindler ist ein unterrichteter und dabei äußerst bescheidener Künstler. Unter den passionierten Musikfreunden steht Herr Advokat Lobstein oben an. Er ist Direktor eines wohl eingerichteten Liebhaberkonzertes. Das stark besetzte Orchester desselben besteht größtenteils aus Dilettanten, und Kompositionen, die nicht zu schwer sind, und die sie oft genug probiert haben, geben sie nicht übel. Da in Frankreich noch aus der Revolutionszeit ein Gesetz besteht, nach welchem jeder Konzertgebende, wenn er sein Konzert affichiert und eine Kasse macht, den fünften Teil der Einnahmen vor Abzug der Unkosten an die Theaterdirektion im Orte abgeben muß, so machte mir Herr Lobstein den Vorschlag, mein Konzert im Lokal und am Tage des Liebhaberkonzerts zu geben. Dadurch entging ich der Abgabe und machte demohngeachtet eine sehr bedeutende Einnahme. Das Konzert wurde nur unter der Hand bekannt gemacht, war aber demohngeachtet so besucht,[216] daß über hundert Menschen schon keinen Platz mehr fanden. Dies sowie der enthusiastische Beifall, den unser Spiel fand, veranlaßte mich, noch ein zweites öffentliches Konzert zu geben, nachdem ich mich vorher mit der Theaterdirektion über eine fixe Abgabe von achtzig Franken verständigt hatte; dies 2. Konzert war, wahrscheinlich wegen des zu drei Franken erhöhten Eintrittspreises, nicht so besucht wie das erste. Das Orchester war in beiden Konzerten dasselbe, halb aus Dilettanten und halb aus Künstlern zusammengesetzt; die Saiteninstrumente ziemlich gut, die Blasinstrumente aber äußerst schlecht. Da nun in meinen Kompositionen letztere viel beschäftigt sind, so wurden sie auch total verdorben. Meine Quartetten und Quintetten, die ich häufig in Privatgesellschaften spielte, wurden mir hingegen recht gut akkompagniert. Besonders zeichneten sich dabei die Herren Baxmann (erster Violoncellist des Theaterorchesters) und Nani (Violinist) vorteilhaft aus. Obgleich die Straßburger in der Musikbildung den Bewohnern der größern deutschen Städte bedeutend nachstehen und von unserer neuesten Musik und deren Geist noch wenig kennen und wissen, so scheinen sie doch meine Kompositionen sehr zu goutieren. Mein hiesiger Aufenthalt diente daher dazu, daß meine Kompositonen, von denen hier nur wenige gekannt waren, nun häufig verlangt und von den Musikalienhändlern verschrieben werden.

Während unsrer Anwesenheit in Straßburg gaben die Herren Berg und Kuttner ein öffentliches Konzert, in welchem sie sich beide als sehr fertige Klavierspieler zeigten, Herr Berg aber auch als talentvoller Komponist. Es wurde von ihm eine Ouvertüre, ein Klavierkonzert und Variationen für zwei Pianoforte gegeben. Besonders gefiel mir das Allegro der Ouvertüre wegen seines natürlichen Flusses und der guten Durchführung des Themas. Herr Berg ist aber doch nicht frei von der Krankheit aller modernen Komponisten, die immer nur nach Effekten jagen und darüber versäumen, ihre Ideen gehörig durchzuführen.

Wir besuchten einige Male das Theater und fanden die Oper mit Ausnahme der ersten Sängerin, Madame Fay, sehr schlecht, das Lustspiel und Vaudeville aber sehr gut. Ich überzeugte mich von neuem, wie sehr die Franzosen in den beiden letzten Gattungen den Deutschen überlegen sind. Die hiesige Truppe, die allgemein für sehr mittelmäßig gilt, gibt ihr Lustspiel mit einer Rundung und Genauigkeit, wie man es nur sehr selten auf den besten deutschen Theatern findet.

Die Lebensweise der Straßburger weicht von der der gegenseitigen Bewohner des Rheinufers schon sichtlich ab, und man merkt es recht gut, daß man französischen Boden betreten hat. Besonders wird man durch[217] die vielen größtenteils sehr eleganten Kaffeehäuser, durch deren häufigen Besuch, durch die kolossalen französischen Affichen an den Straßenecken und durch das Sprachgemisch von Französisch und Deutsch daran erinnert. Die Straßburger sprechen beide Sprachen gleich geläufig, oft auf eine komische Art gemischt, das Deutsche aber durchgängig sehr schlecht.


Münster bei Kolmar, den 26. März 1816


Seit beinahe vierzehn Tagen sind wir hier in einer kleinen Fabrikstadt in den Vogesen bei einem reichen Fabrikbesitzer, Herrn Jaques Hartmann, zu Besuch. Unser Wirt, der ein leidenschaftlicher Musikfreund ist, war von Herrn Kapellmeister Brandl in Karlsruhe benachrichtigt worden, daß wir auf unserer Reise Kolmar passieren würden. Von Straßburg aus hatte er den Tag der Durchreise erfahren; er verlegte uns daher den Weg und zwang uns mit freundlicher Gewalt, ihm nach Münster in sein Haus zu folgen. Dort mit Anbruch der Nacht angelangt, wurden wir von seiner Familie auf das herzlichste bewillkommnet und sogleich durch den Garten in einen hellerleuchteten Konzertsaal geführt, der ringsum mit den Namen unsrer großen Komponisten geschmückt war, unter welchen, wahrscheinlich seit heute, der meinige auch ein bescheidenes Plätzchen gefunden hatte. Die Kapelle des Herrn Hartmann war schon aufgestellt und empfing uns bei unserm Eintritt mit einer gar nicht schlecht exekutierten Ouvertüre. Das Orchester besteht aus der Familie des Herrn Hartmann und aus einem Teile der in seiner Kattunfabrik angestellten Beamten, Künstler und Arbeiter. Da er, soviel es sich tun läßt, nur solche annimmt, die musikalisch sind, so ist es ihm geglückt, fast ein vollständig besetztes Orchester zusammenzubringen, das nicht zu schwere Kompositionen, die es fleißig eingeübt hat, ganz erträglich exekutiert. Herr Hartmann selbst ist Virtuos auf dem Fagott und besitzt schönen Ton und viel Fertigkeit. Seine Schwester und seine Tochter spielen Pianoforte. Letztere, ein Kind von acht Jahren, ist der Glanzpunkt dieses Dilettantenorchesters. Sie spielt bereits sehr schwere Kompositionen mit bewunderswerter Fertigkeit und Genauigkeit. Mehr noch wie dieses überraschte mich ihr feines musikalisches Gehör, womit sie (vom Piano entfernt) die Intervallen der verwickeltsten und vollgriffigsten, dissonierenden Akkorde, die man ihr anschlägt, erkennt und die Töne, woraus diese bestehen, in ihrer Folge nennt. Aus diesem Kinde wird gewiß einst, wenn es gut geleitet wird, eine ausgezeichnete Künstlerin werden.[218]

Herr Hartmann hat einen schönen Ton auf dem Fagott und viel Fertigkeit. Er besitzt eine Menge Kompositionen, die für ihn geschrieben sind, von Krommer, Brandl, Thurner und andern. Brandl ist sein Lieblingskomponist, weil er die Eigenschaften des Instruments und seines Spiels am genauesten kennt. Diese Kompositionen, deren ich mehrere hörte, sind dankbar für das Instrument, leicht im Akkompagnement, zeichnen sich aber außerdem nicht sehr durch Reichtum der Ideen aus. Für sein gewöhnliches Auditorium, dem unsre deutschen bessern und neuern Kompositionen noch ganz unbekannt sind, passen sie aber sehr.

Nachdem die Familie sich produziert hatte, gaben auch wir eins unsrer Duette zu hören und hatten ein sehr dankbares und begeistertes Auditorium.

Herr Hartmann läßt nicht leicht einen ausgezeichneten Künstler durch das Elsaß passieren, ohne ihn aufzufangen, und hat deshalb schon viele von ihnen bei sich gesehen, unter anderen Kreutzer, Durand, Thurner, Bärmann und die Gebrüder Schunke. Gewiß waren alle ebenso zufrieden mit ihrem Aufenthalte in seinem Hause wie wir; denn es gibt keinen artigern und zuvorkommendern Wirt als Herrn Hartmann. Von den beiden zuerst genannten Künstlern erzählte er mir folgendes, was sie hinlänglich charakterisiert. Kreutzer gab zu Straßburg im Theater ein sehr besuchtes Konzert. Nach dem ersten Teile ließ er sich die Einnahme auszahlen und verspielte sie sogleich am Roulettetisch im Foyer bis auf den letzten Sous. Nun wurde er zum zweiten Teile des Konzerts gerufen und mußte nachträglich verdienen, was bereits verspielt war. – Durand machte es noch ärger! Herr Hartmann hatte für ihn ein Konzert in Mühlhausen arrangiert und begleitete ihn selbst dahin. Durand verlor sich sogleich in ein Bierhaus, und es hielt schwer, ihn von da wegzubringen, um die Probe zu halten. Bei dieser vermißte er seinen Bogen, den er zu Kolmar vergessen hatte. Er erklärte, ihn holen zu müssen, weil er sonst am Abend nicht spielen könne. Herr Hartmann gab ihm seinen Wagen und ermahnte ihn zu baldiger Wiederkehr. Die Zeit des Konzertes rückte heran, aber Durand war noch nicht zurück. Das Publikum versammelte sich, die Musiker stimmten ein, doch der Konzertgeber fehlte immer noch! Nachdem eine halbe Stunde gewartet war und das Auditorium bereits unruhig wurde, ließ Herr Hartmann die Ouvertüre spielen. Da Durand aber noch nicht erschien, so mußte er endlich vortreten und die Abwesenheit des Konzertgebers verkünden. Höchst unwillig auf diesen verließ das Publikum den Saal. Spät am Abend kehrte der Kutscher mit dem vergeblich Erwarteten zurück und erzählte seinem[219] Herrn, daß er ihn mehrere Stunden lang in allen Kaffee- und Wirtshäusern vergeblich gesucht und endlich in einem Bierhause gefunden habe, wo er im lustigen Verkehr mit andern Gästen das Konzert total vergessen hatte.

Vor drei Tagen gaben wir in Kolmar ein sehr besuchtes Konzert, welches Herr Hartmann durch seine dortigen musikalischen Freunde im voraus hatte arrangieren lassen. Da das Orchester, welches fast ganz aus Dilettanten bestand, sehr schlecht war, so mußte ich darauf verzichten, eigene Kompositionen vorzutragen, und im Akkompagnement leichtere von Rode und Kreutzer wählen. Nach der Sonate, welche ich mit meiner Frau vortrug, wurde uns aus einer Loge ein Lorbeerkranz zugeworfen, an welchem das folgende Gedicht befestigt war:


Couple savant dans l'art heureux

Qui fit placer au rang des Dieux

L'antique chantre de la Grèce

D'un instrument mélodieux

Et de la harpe enchanteresse

Quand les accords délicieux.

Nous causant une double ivresse,

Faut-il, que les tristes apprêts

D'un départ qui nous désespère,

Mêlent d'inutiles regrets

Aux charmes que Vôtre art opère!

Ah! près de nous il faut rester!

Quelle raison pour s'en défendre?

A nos voeux, si Spohr veut se rendre,

Il pourra, j'ose l'attester,

Se lasser de nous enchanter,

Jamais nous lasser de l'entendre.


Par E.C. (outerèt), habitant de Colmar.


Im zweiten Teil des Konzertes ließ sich auch Herr Hartmann mit Variationen für den Fagott von Brandl hören. Er schien sehr befangen, blies aber doch recht gut. – Die Einnahme war für eine so kleine Stadt sehr bedeutend. Den Tag nach dem Konzerte aßen wir zu Mittag beim General Frimont, Kommandeur der österreichischen Truppen im Elsaß. Wir lernten unsern Wirt als einen höchst artigen und jovialen Mann kennen. Er hat sich durch Gerechtigkeitsliebe, strenge Mannszucht und[220] zuvorkommend-artiges Wesen die Liebe der Kolmarer in hohem Grade erworben. – Abends kehrten wir hierher zurück.

Gestern erhielt ich von Musikdirektor Tollmann in Basel, dem Herr Hartmann im voraus unsre Ankunft meldete, die Nachricht, daß er ein Konzert für uns schon auf nächsten Sonntag, den 31., arrangiert habe. Wir müssen daher von unserm lieben Wirte und den Seinigen scheiden. Doch haben wir versprechen müssen, womöglich im Sommer noch einmal hierher zurückzukehren.

Die Kattunfabrik des Herrn Hartmann haben wir, von ihm geführt, mehrere Male besehen. Sie ist sehr bedeutend und liefert Waren, die hinsichtlich ihrer geschmackvollen Muster selbst den englischen vorgezogen werden. Sie beschäftigt über tausend Menschen und unter diesen ausgezeichnete Künstler als Zeichner und Kupferstecher. Es werden alle Sorten Kattune verfertigt, ordinäre mit Handdruck, feine mit Walzendruck und Möbelkattune sowie Tapeten mit großen und kleinen Kupferstichen verziert. Letztere hauptsächlich für Ostindien und China. An den Kupferplatten zu dieser Gattung arbeiten die Künstler oft jahrelang. Die Bilder sind größtenteils Kopien berühmter Gemälde. Der Mechanismus, womit die Kupferplatten auf Zeuge abgedruckt werden, ist ein Geheimnis der Hartmannschen Fabrik, das den Fremden nicht gezeigt wird. Bei uns wurde als ungefährlich eine Ausnahme gemacht. Auch eine künstliche Maschine zum Farbenreiben wurde hier erfunden und ist bis jetzt die einzige ihrer Art. Das an Fabriken so reiche Elsaß ist mit der neuen Regierung, die für Belebung der Industrie nichts tut, sehr unzufrieden und hängt noch mit ganzer Seele an dem verbannten Kaiser. Es erklärt sich dies leicht, wenn man weiß, daß in der glänzenden Zeit des Kaiserreichs die Fabriken hiesiger Gegend in einem außerordentlichen Flor waren, der hauptsächlich durch die Kontinentalsperre, welche die englischen Waren vom Festlande abhielt, veranlaßt wurde. Die Hartmannsche Fabrik beschäftigte damals mehr als 3000 Menschen. Jetzt, wo wieder ganz Europa mit englischen Fabrikaten überschwemmt ist, haben die hiesigen Fabriken ihre Arbeiten bedeutend einschränken müssen. Man äußert aber auch seine Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung unverhohlen und sagt ganz laut, daß nur der günstige Zeitpunkt abgewartet würde, um das jetzige Joch wieder abzuschütteln. Wahr ist es, daß viel Gemeinnütziges, wie Kanal- und Straßenbauten, Preisverteilungen zur Beförderung der Industrie, Kunstanstalten, z.B. das Konservatorium der Musik zu Paris, als verhaßte Überbleibsel der Revolution und Kaiserregierung teils beschränkt, teils unterdrückt worden[221] sind. Dies hat viel böses Blut und die neue Regierung sehr verhaßt gemacht. Man würde es daher ganz gern sehen, wenn sich das Gerücht bestätigte, daß das Elsaß an Österreich abgetreten werden soll.

Von dem Vorspieler des Orchesters, einem Beamten der Fabrik, erwarb ich damals eine Geige von Lupot in Paris. Ich war von dem vollen und kräftigen Ton dieses Instrumentes, das damals erst dreißig Jahre alt war, so frappiert, daß ich dem Besitzer sogleich einen Tausch mit einer italienischen Geige, die ich in Braunschweig gekauft und auf meinen ersten Reisen gespielt hatte, antrug, der gern eingegangen wurde. Ich gewann die Geige bald so lieb, daß ich sie meiner bisherigen Konzertgeige, einer alten deutschen von Buchstetter, vorzog und von nun an auf allen meinen Reisen spielte. –

Erst im Jahre 1822, nachdem bereits meine Kunstreisen als Geiger aufgehört hatten, erkaufte ich von Madame Schlick in Gotha mein jetziges Instrument, eine Stradivari, und überließ, von dem Konzertmeister Matthäi in Leipzig dringend gebeten, diesem die Geige von Lupot, die im Laufe der Jahre sehr gut geworden und zu großer Berühmtheit gelangt war. Dieser spielte sie bis zu seinem Tode, wo sie dann in den Besitz des Konzertmeisters Uhlrich kam.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 192-222.
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