Die Geburtstage

Die Geburtstage

[31] vergesse man. Das ist natürlich nicht leicht, aber durch Übung kommt man dahin. Wie man durch die Mnemonik das Gedächtnis stärken kann, so ist man wohl auch imstande, ein System zu schaffen, mit dessen Hilfe[31] man das Vergessen erleichtert. Gratuliert man aber, so kaufe man kein kostbares Blumenarrangement, wenn man nicht weiß, daß die zu beglückwünschende Dame eine große Blumenfreundin ist. Giebt sie nichts auf Blumen, so wird der eintreffende Blumenaufsatz nicht freundlich empfangen, da die Empfängerin berechnet, was sie für den Betrag, den die Blumen verschlungen, Nützliches hätte haben können.

Man verhindert solche zu nichts führende Betrachtung durch ein persönliches Erscheinen. Dies ist auch wegen der Billigkeit vorzuziehen.

Schriftliche Gratulationen verfasse man in Prosa, denn es sind immer schon schlechte Verse eingetroffen, und ein wirklicher Unsinn tritt in der Prosa nicht so bemerkbar hervor. Man lasse überhaupt das Dichten zu Geburtstagen. Meist wird doch von Leuten gedichtet, die es nicht können. Der Umstand, daß das nicht bestraft wird, ist doch kein hinreichender Grund, es zu thun.

Schickt man ein Geschenk mit einer Visitenkarte, so setze man auf diese nicht das Wort: Gratula! Es ist ebenso falsch, wie gebräuchlich.

Hat man den Geburtstag versäumt und möchte noch am folgenden Tag ein Geschenk senden, so fasse man Mut und thue es. Selbst noch acht Tage später wird es angenommen. Man darf niemals an der Güte der Menschen zweifeln.

Ist man irgendwo zum Gratulieren erschienen und erfährt, daß anonyme Geschenke eingetroffen sind, so spreche man von diesen in einem Ton, welcher es vermuten läßt, daß man einer der anonymen Geber sei, besonders wenn man es thatsächlich nicht ist. Ich habe schon mindestens sechs Torten gesehen, zu welchen mehrere Väter genannt wurden, die sämtlich unschuldig waren, den Torten hat es aber nicht geschadet.[32]

Man spende keine Torte, welche die Zahl der Jahre der Beschenkten durch Wachslichtchen ausdrückt. Es giebt Damen, welche, schon zwei Jahrzehnte lang nicht über dreißig alt werdend, beim Anblick einer solchen Danaertorte sich einer Ohnmacht näher als sonst fühlten und nach einem flüchtig taxierenden Blick auf den Lichterkranz schwuren, keinen Bissen von diesem Geschenk zu essen, auch wenn es ihre Leibtorte sei. So boshaft darf nur eine gute, liebe Freundin sein, für einen Mann schickt sich das nicht.

Vor allem merke man sich das Folgende, damit man es an Geburtstagen nicht laut werden zu lassen versäume: Der offizielle Titel der oder des den Geburtstag Feiernden vom 35. Jahre aufwärts lautet »Geburtstagskind«. Das Geburtstagskind sieht immer vorzüglich aus. Noch gestern wurde davon gesprochen. So möchte man selber aussehen. Auch könnte man das Geburtstagskind, wenn es Frau und Mutter ist, für eine Schwester der Tochter halten. Hat das Geburtstagskind keine Tochter, so bearbeite man den Satz passend durch Heranziehung ihres Sohnes oder ihrer jüngsten Schwägerin. »Eine jüngere Schwester ihres Mannes« aber sage man nur im äußersten Notfall.

Vorsichtig sei man bei älteren Geburtstagskindern mit dem Wunsch: bis zum hundertsten Wiegenfest. Manchen ist dies zu wenig, da sie nicht weit genug von demselben entfernt sind.

Alle auf dem Geburtstagstisch ausgestellten Geschenke finde man blendend, selbst die fürchterlichen gestickten Sofakissen. Sind die aus guten Delikatessenhandlungen abgesandten »Stillleben« mit dem ganzen Komfort der Friandise ausgestattet, so nehme man vertrauensvoll die Einladung zum morgigen Mittagessen an.

Als Gatte des Geburtstagskindes esse man möglichst[33] viele von den auf den Schüsseln ausliegenden belegten Butterbrötchen, sonst muß man sie am anderen Tage essen. Dann sind sie aber vertrocknet.

Von den öffentlichen festlichen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen sind etliche zu betrachten, welche mancherlei Gefahren und Unbequemlichkeiten bergen, auf die warnend und ratend hinzuweisen ist. Hier ist in erster Linie der Bazar zu nennen.


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 31-34.
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