Eiszeit

[99] betrifft, so tritt solche jetzt bekanntlich nur recht unregelmäßig, unpünktlich und etwas kurzlebig auf, doch werden einige Fingerzeige trotzdem am Platze sein. Vor allem spiele man den Abgehärteten, der sich über die herrschende Kälte freut, namentlich wenn man in solcher Zeit nichts so liebt, wie den geheizten Ofen und den anbrechenden Frühling. Besonders in einem Raum, der angenehm warm ist, spreche man mit Begeisterung von dem unter den Wagenrädern singenden Schnee und dem erstarrten Flußbett. Das macht immer den Eindruck unverfrorener Männlichkeit.

Ist man aber durch Umstände gezwungen, oder durch einen unglücklichen Zufall in die Lage geraten, aufs Eis zu gehen, so beklage man laut, daß man leider nicht lange bleiben könne, nicht länger als höchstes dreimal Hinfallen.

Man vermeide es sorgfältig, wörtlich zu sagen, man sei gerne aufs Eis gegangen. Man drücke sich anders aus. Denn es ist immer ein Freund vorhanden,[99] welcher vor Kälte mit den Zähnen die Worte klappert: »Dir ist wohl zu wohl?« Hat man aber diesen ehrwürdigen Witz provoziert, so lache man und sage, daß diese Beleidigung nur mit Punsch abgewaschen wer den könne, sonst hat man die Hohnlacher auf seiner Seite. Zugleich hat man vielleicht wirklich Gelegenheit, zu einem Glas Punsch zu kommen.

Will man vor lästigen Bemerkungen sicher sein, so miete man sich auf der Eisbahn ein Paar Schlittschuhe und trage dasselbe sichtbar. So kann man behaupten, man habe es schon benutzt, oder werde es sofort benutzen.

Fallenden Damen gegenüber sei man sehr vorsichtig, wenn man unverheiratet ist. Es giebt Damen, welche das Fallen gewerbsmäßig betreiben, auf Hilfeleistung von Menschenfreunden oder Galanten spekulieren und sie in den Kreis ihrer Berechnungen gezogen haben. Man eile nicht sofort hinzu, sondern lasse anderen den Vortritt, denn auch hier gilt der alte Satz: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Hebt man aber auf, so pflegen manche gefallene Damen derart dankbar zu sein, daß es einem nur einen Augenblick angenehm ist, man es aber später bereut.

Man sehe auf der Eisbahn nichts, wenn man sich nicht lästig machen will, denn sie ist ein beliebter Ort für ganz zufällige Zusammenkünfte, die sorgfältig verabredet sind. Will man sehr beliebt werden, so teile man dann und wann mit, daß man durch den Anblick der Schneefläche geblendet werde und nichts sehe.

Fällt man hin und hat sich sehr weh gethan, so lache man. Natürlich wird das für eine Komödie gehalten, aber es ist doch dieser und jener um eine Schadenfreude gekommen, die man jetzt selbst genießt.

Tritt Thauwetter ein, so fordere man jeden Bekannten dringend auf, mit auf die Eisbahn zu kommen. Selbstverständlich lehnt jeder ab, aber man gilt dann[100] doch als ein passionierter Eisläufer, wenn man dies nicht sein sollte.

Man sei vorsichtig, wenn man eine Eismutter trifft. Sie ist nicht zum Laufen, sondern zum Bleiben gekommen, und zwar bei ihren Eistöchtern. Eine Eismutter ist doch ernster zu nehmen, als eine Ballmutter. Schon ihr Aufenthalt in der ungemütlichen Kälte weist auf rauheres Wesen und größere Tapferkeit hin, als der Ballmutter in der behaglichen Temperatur des Saales eigen zu sein pflegen. Eine Eismutter verhält sich zu einer Ballmutter, wie eine Wittwe zu einem Backfisch. Sie ist weniger harmlos, sehr kühn und geht ohne Schonung auf das Ganze.

Den Eisvater hat man nicht weniger vorsichtig anzufassen. Er ist der Gegensatz zum Ballvater, der durch Skat und Cigarre unschädlich gemacht zu werden pflegt. Denn der Eisvater hat die Eisbahn in seiner Jugend gewöhnlich selbst sehr eigennützig ausgebeutet und kennt die Schliche der Schlittschuhplattler, namentlich der Leutnants, Studenten und Jeunesse dorée.

Hat man die Eisbahn eines Flusses oder eines anderen Gewässers in Verdacht, daß sie unsichere Stellen hat, und fürchtet man, einzubrechen, so ziehe man die gegossene Eisbahn vor. Auf dieser kann auch der Furchtsamste ein Held sein, der vor den Schrecken der entfesselten Fluten nicht erbleicht und den menschenfeindlichen Neptun keck herausfordert.

Wird man von einer Familie eingeladen, ein Eisfest mitzumachen, so nehme man an und werde rechtzeitig unpäßlich. Ich empfehle einen verstauchten Fuß. Nur wenn man gern auf Kinder aufpaßt, welche die Familie jedenfalls zum Eisfest mitfuhrt, greife man zu und stellt sich pünktlich ein.

Ist man gestürzt und hat sich die Wange, die Stirn oder eine andere geeignete sichtbare Stelle so aufgeschlagen, daß eine Narbe bleibt, so kann man[101] diese später als eine schöne Erinnerung an ein Duell bezeichnen und hat dann ein großes Eisvergnügen gehabt.

Wenn man als Feind der Kälte auf das Eis geraten ist, so erkenne man keinen Freund oder Bekannten, da man, den Hut zu ziehen, wenigstens eine Hand aus der Tasche nehmen muß, wodurch die Hand nicht wärmer wird.

Man weiche jeder Einladung zu einer Schlittenpartie aus, denn das fast einzige Vergnügen einer solchen besteht darin, daß der Schlitten nicht umfällt.

So unwichtig es manchem erscheinen mag, über das Verhalten im


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 99-102.
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