Picknick

[39] im Freien. Jeder Teilnehmer hat Trink- und Eßbares beizusteuern, und da jeder beisteuert, was er gern ißt und trinkt, so wird jedem Geschmack genügt, wenn man nicht gezwungen wird, von dem Leibgericht und Leibgetränk Anderer zu kosten. Man thue es aber[39] ausnahmsweise, um einige derselben nicht zu verletzen, hauptsächlich aber, um auf die Kosten zu kommen.

Ist die Gesellschaft gelagert und soll das Verzehren der beigesteuerten Eßwaren beginnen, so nehme man anfangs ganz kleine Portionen und versichere, man habe keinen Appetit, um die Nächstlagernden nicht stutzig zu machen und sie ferner nicht zu veranlassen, ängstlich geworden einzuhauen und Vorräte anzusammeln. Erst dann thue man dies selbst.

Sind gefürchtete Picknicker anwesend, so frage man diese nach der Güte dieses oder jenes Bratens und achte genau auf ihr Urteil. Fällt dies absprechend aus, wird z.B. der Braten als ungenießbar oder als unter aller Kritik garniert bezeichnet, so greife man eifrig zu und sorge auch für die Zeit eintretenden Mangels.

Hört man dagegen von gemütvollen Picknickern eine Schüssel als besonders empfehlenswert hervorgehoben, so bleibe man dieser Schüssel fern und überlasse die Aufräumung den Unkundigen und Naiven, an denen es bei einem Picknick niemals fehlt.

Hat jemand außer seinem genießbaren Beitrag einen ungenießbaren Freund mitgebracht, so sei man auch gegen jenen zurückhaltend, weil solche Picknicker gewöhnlich auch in der Wahl der Speisen geschmacklos zu sein pflegen.

Unter den Weinen bevorzuge man denjenigen, welcher von dem getrunken wird, der ihn mitgebracht hat. Man unterrichte sich also vorher genau, ob der Spender von Flüssigkeiten selbst von seinen Gaben trinkt oder nicht. In letzterem Fall greife man an seinen Flaschen vorbei und warte ab, bis er selber trinkt. Dann strecke man ihm das leere Glas entgegen und lasse es aus der bevorzugten Flasche füllen.

Werden von einem Teilnehmer des Picknicks, der einen vortrefflichen Appetit entwickelt, Rätsel aufgegeben,[40] so suche man den Ehrgeiz, sie zu lösen, zu bezwingen, da das Nachdenken das bekanntlich allein fettmachende Selbstessen ungemein stört. Man bringe einige Worte mit und halte sie bereit, um sie im gegebenen Moment dem rätselschwangeren Picknicker entgegen zu schleudern. Ich empfehle als Lösung das Wort »Flammenschwert« auch für ein- und zweisilbige Charaden, das Wort »Eis« für drei- und mehrsilbige, worauf allgemeines Gelächter folgt, aus dem man sich aber nichts macht, weil man während der Dauer desselben ungestört weiter essen kann.

Kommen die allgemein bekannten Scherzfragen an die Reihe, deren Beantwortung ebenso allgemein bekannt ist und kein Kind in Verlegenheit bringen, so kenne man weder die Frage, noch die Antwort, als solche erteile man aber eine falsche, um die Gesellschaft zu unterhalten, die sich, wenn die komischen Fragen beginnen, bereits in einem dem Gähnen ähnlichen Zustand befindet. Wenn also die so sehr komische Frage an die Reihe kommt: »Welches Fabrikat findet die meisten Abnehmer?« so antworte man: der Glühstrumpf, die Geschenkcigarre, die Ansichtspostkarte, der Nordhäuser, die Seife, die Frankomarke, kurz, man nenne jedes Fabrikat, nur nicht den Hut. Dies wirkt, und man leistet der Gesellschaft damit einen Liebesdienst.

Fällt eine Fliege in den Wein, so entfernt man sie, indem man den Wein fortgießt. Dann nimmt man ein reines Glas und schenkt dies aus einer frischen Flasche voll. Man kann sich dies auf einem Picknick erlauben. Entdeckt man im Hause eine Fliege im Wein, so schafft man sie mit einem Löffelchen oder einem Zahnstocher aus dem Glas und leert dies dann, um das Andenken der Hinausgeworfenen zu ehren.

Es giebt auch einen Picknickwein, welcher der hineingefallenen Fliege nicht bekommt, ja ihr sogar schadet. Mit solcher Fliege gehe man human um.[41]

Ist eine Bowle bereitet, so sorge man auch als Fernlagernder dafür, daß sie immer mit dem Deckel versehen wird. Denn die darüber hinweg fliegenden Vögel zielen nicht, wenn ihnen etwas Menschliches begegnet.

Auf der dem Picknick folgenden Durchquerung des Waldes oder auf dem Spaziergange prüfe man seine Nüchternheit. Findet man sie lückenlos, so biete man ohne Bedenken einer heiratsfähigen Dame den Arm, während man einem auch ganz kleinen Rausch leicht eine Lebensgefährtin verdankt. Nur zu bald ist einem Picknicker zur Verlobung gratuliert, und dann ist es zu spät.

Hat man zu viel gegessen und zwar mehr als man zum Picknick beigetragen hat, so klage man nicht, sondern bedaure, keinen Appetit gehabt zu haben, um nicht nach Gebühr geschätzt zu werden.

Ist man ein Mensch, der immer einen Beschluß faßt, den er nicht zur Ausführung bringt, so beschließe man nicht, wenn man von Picknick nach Hause kommt, nie wieder ein solches mitzumachen.

Eines der furchtbarsten Naturereignisse ist außer einem Erdbeben und einer Wasserhose der


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 39-42.
Lizenz:
Kategorien: