öffentlichen Sommerfesten

[47] ist, hat unter sehr vielen die zu wählen, welche er nicht besuchen will.

Solche Feste finden meist zu wohlthätigen Zwecken in zoologischen Gärten, in Ausstellungsparks und großen Vergnügungsetablissements statt und enden mit Feuerwerk und Regen.

Wegen des zu erwartenden Regens nehme man keinen Schirm mit, da dieser, wenn man ihn braucht, bereits aus Versehen und in der Zerstreutheit gestohlen zu sein pflegt.

Nimmt man an solchem Fest in großem Kreise teil, so suche man für die Gesellschaft einen Tisch in der Nähe eines der Orchester zu erobern. Denn hier ist der musikalische Lärm, da es sich gewöhnlich um ein Regimentsmusikkorps handelt, der betäubendste, und man braucht daher nicht fortwährend zu plaudern, was namentlich an heißen Tagen noch ermüdender ist als an kühlen.

Ist eine Rutschbahn etabliert, so mache man etliche Touren, denn es giebt wohl keine größere Freude als bei einer seltenen und originellen Unterhaltung mit dem Leben davonzukommen. Der Vorsicht halber lege man nur eine einzige Rutschbahnfahrt zurück.

Hat man kein Glück im Spiel, so versuche man es an der Würfelbude, woselbst das Glück im Spiel darin besteht, daß man es nicht hat. Wird man aber vom Unglück schnöde im Stich gelassen und gewinnt einen Gummibaum oder eine Gipsbüste des Präsidenten der vereinigten Staaten von Nordamerika, so betrachte man dies als einen Fingerzeig des Schicksals, die Götter nicht ferner zu versuchen, dränge den Gewinn einem ärmeren Zuschauer auf und verlasse entrüstet[47] das Spiel, aber so schnell, daß man von der erwähnten Gipsfigur nicht mehr erreicht werden kann.

Bricht der Regen plötzlich los, so biete man den Arm einer Dame, welche einen Schirm hat. Es ziemt dem Mann, galant zu sein. Hat man aber selbst einen Schirm, so belästige man die Dame nicht.

Bleibt trockenes Wetter, so biete man den Arm keiner Dame, besonders wenn man einen Schirm hat. Denn die Dame will nach Hause begleitet sein und pflegt ungemein weit entfernt zu wohnen. Damen, welche man von einem Gartenfest nach Hause begleiten muß, wohnen merkwürdiger Weise immer ungemein weit entfernt, besonders wenn sie das Gegenteil behaupten.

Naht ein Festzug, welcher, wie es angekündigt war, an Pracht der Kostüme alles bisher Dagewesene in den Schatten drängen wird, so erwarte man garnichts, und man wird sehr angenehm enttäuscht sein. Selbstverständlich ist der Schatten, in welchen alles bisher Dagewesene gedrängt wird, garnicht vorhanden.

Anwesende ältere Damen der Verwandtschaft, von der Großmutter aufwärts, ehre man dadurch passend, daß man sie veranlaßt, wegen der Hitze auf ihren Plätzen zu bleiben und sich nicht durch den Garten führen zu lassen. Herrscht die Hitze nicht, so bediene man sich an ihrer Stelle einer anderen Kalamität: des Staubes, des Gedränges oder des drohenden Regens.

Trifft man eine Dame, welche man bis vor kurzer Zeit brünett kannte, mit blondgefärbtem Haar, so erkenne man sie, wenn dies irgend möglich ist, sofort wieder und sage ihr nicht, daß sie eine eitle Närrin sei und sich lächerlich mache. Man sage überhaupt nichts, was ganz selbstverständlich ist oder nichts nützt.

Wird man aber von einem Mann begrüßt, der sich[48] gefärbt hat, so erkenne man ihn nicht, besonders dann, wenn man ihn deutlich erkennt, und erkläre ihm, indem er seinen Namen nennt, daß er ein anderer sei, denn der, den man kenne, sei kein Narr. Man nehme sich aber in Acht, einem Bekannten, der graues Haar hat, auf den Kopf zuzusagen, er habe es sich grau färben lassen, denn graues Haar ist immer echt.

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Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 47-49.
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