die Feiertage,

[72] auf die sich die Familie so sehr freut, wenn sie erwartet werden, und durch die sie so ausschweifend gelangweilt[72] wird, wenn sie da sind. Der Sonntag, der häufigst wiederkehrende Feiertag, beweist dies wöchentlich mehr oder etwas weniger deutlich.

Ein Mann, der es für ersprießlich hält, ununterbrochen mit seiner Frau beisammen zu sein, und eine Frau, welche es bedauert, ihren Mann nicht immer an ihrer Seite sehen zu können, haben außer dieser bewunderungswürdigen Eigenschaft noch die eine, daß sie nicht existieren, und wenn sie existieren, nur ganz kurze Zeit. Es ist ein Glück für die Ehe, wenn sie aus so vielen Scheidungen, als es Wochentage giebt, besteht.

Der Mann, der dies in Gegenwart seiner Frau energisch bestreitet, ist fest von der Wahrheit des von mir Behaupteten überzeugt, genau so wie die Frau, die in Gegenwart ihres Mannes noch energischer dagegen protestiert.

Es ist ebenso ein Glück für die Freundschaft, welche Männer geschlossen haben, wenn die Freunde nicht immer beisammen sind. Wie Gatte und Gattin haben sich auch die Freunde bald alle die Hauptsachen gesagt, die sie sich zu sagen haben, fangen sich zu langweilen an und werden sich im wahren Sinn des Wortes täglich alltäglicher. Jedes Paar, ob ehelich, ob freundschaftlich verbunden, bedarf der Verkehrspausen. Faust und Gretchen, Egmont und Klärchen, Hero und Leander, Ferdinand und Louise hätten wahrscheinlich nicht als Liebespärchen geendet, wenn sie immer zusammen gewesen wären. Es ist nicht auszudenken.

Gäbe es eine Ehestatistik, so würde es sich wahrscheinlich herausstellen, daß die Mehrzahl der Geschiedenen solche Paare bildeten, die wie die siamesischen Zwillinge unzertrennlich schienen.

Wir sind sehr glücklich verheiratet, könnten die meisten Paare sagen, wir sehen uns täglich nur kurze Zeit.[73]

Der größte Wohlthäter der Ehe ist der Beruf, der den Gatten den größten Teil des Tages der Wohnung fernhält.

Natürlich wird dies vorzugsweise von solchen, die es zugeben, nicht zugegeben werden.

Alles freut sich auf den Sonntag. Man hat einen vortrefflichen Vorwand, nichts zu thun. Man kann sich auf das Gesetz berufen, wenn man die Hände in den Schooß und sich selbst auf die Bärenhaut legt. Oder richtiger: Die Arbeit legt den Menschen nieder. Der Staat, der durch die Einführung der strengen Sonntagsfeier den Menschen die Muße verschaffen wollte, in die Kirche zu gehen, handelte selbst gegen das göttliche Gebot. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen. Am Sonntag wird das Brot gegessen, ohne daß von der Stirne heiß der Schweiß rinnt. Aber die freie Zeit wird auch nicht von jedem in der Kirche zugebracht. Diejenigen meiner Leser, welche mir diese Behauptung übel deuten und mir deshalb grollen sollten, freuen sich natürlich auf den Sonntag nur, um in die Kirche gehen zu können, welche Erklärung sie hoffentlich wieder versöhnen wird. Trifft man sie auf der Promenade, auf dem Sofa oder gar im Wirtshaus, so ist dies ausnahmsweise der Fall.

Wer während der Wochentage nicht Zeit hat, Briefe zu schreiben, giebt sich die Versicherung, alles am folgenden Sonntag nachzuholen, er thut dies aber nicht, indem er sich vornimmt, den nächsten dann folgenden Sonntag mit Briefschreiben auszufüllen. Bekanntlich hat jemand, der unbeschäftigt ist, keine Zeit, irgend etwas zu thun.

Auf den Sonntag wird auch der Besuch der Museen, der Galerieen und der Schlösser verschoben, welcher so lange schon auf dem Programm steht und niemals, oder doch seit Jahren nicht gemacht worden[74] ist. Man hat mit Recht oft genug gesagt, es sei doch eine Schande, daß der Fremde, der sich nur acht Tage lang in der Stadt aufhalte, mehr kennen gelernt habe, als der Bewohner der Stadt, der den Genuß so bequem haben könne. Das erste, was man dann am Sonntag vornimmt, ist das Suchen nach einem Vorwand, die Sehenswürdigkeiten links liegen zu lassen. Dieser Vorwand wird sicher gefunden, was sehr befriedigt.

Wer gerne einmal einer Theatervorstellung am Sonntagnachmittag beiwohnte, thut dies gleichfalls nicht.

Wer über den Schlafrock als über ein schändliches Kleidungsstück, welches den Menschen verphilistere, ihn in den Abgrund der Trägheit stoße und denkfaul mache, zu schelten weiß, legt dieses allerdings abscheuliche und gefährliche Kleidungsstück am Sonntag nicht ab.

Hat ein Mann in den Wochentagen nicht die Muße, sich mit der Erziehung seiner Kinder zu beschäftigen, so ermuntert er sie am Sonntag, ins Freie zu gehen, wozu er ihnen ein verhältnismäßig reichliches Taschengeld bewilligt. Denn er hat die ganze Woche so viel zu thun und will am Sonntag seine Ruhe haben.

Einen großen Genuß verspricht sich dieser oder jener von der Lektüre des Buches, das ihm empfohlen worden ist. Nach Tisch kommt endlich die zum Lesen nötige Ruhe, mit ihr nach genauer Prüfung des Titels und der ersten Seite des ersten Kapitels der Schlaf und nach dem Schlaf der Trost: Nun, in sieben Tagen ist ja wieder ein Sonntag.

Merkt ein feinfühliger Gatte, daß der Gattin augen scheinlich das Alleinsein an den Wochentagen zur lieben Gewohnheit geworden ist, und fällt ihm hierzu nichts ein, so bleibt er nach gethanem Schlaf zu Hause. Anderenfalls geht er aus, um in einem Wiener Caféhaus frische Luft zu schöpfen.[75]

Will er dann seine Anwesenheit mildern, so hat er sich für den Abend eine Skatpartie arrangiert. Mit den Skatspielern erscheinen dann deren Damen, welche seiner Gattin die Zeit angenehm verlängern.

Sind beide für den Abend ausgebeten, so machen sie sich pünktlich auf den Weg in das befreundete gastliche Haus, er, um die Anwesenheit eines anderen Gatten mit mildern zu helfen, sie, um einer anderen Gattin die Zeit angenehm zu verlängern. Wieder an den häuslichen Herd zurückgekehrt, freuen sich beide dann auf den folgenden Tag, auf den Wiederbeginn der Woche mit seinen Berufsgeschäften für ihn und mit den Wirtschaftsgeschäften für sie.

Wenn man seit einiger Zeit keinen Unsinn begangen hat und wünschen sollte, diese Lücke auszufüllen, so gehe man an einem schönen Sonntagnachmittag in ein Theater, um die Wildente, oder einen ähnlichen Ibsen zu sehen und sich dadurch die Laune für den übrigen Teil des Tages unheilbar verderben zu lassen. Da der Versuch nicht strafbar ist, so mache man ihn, um für die Zukunft unterrichtet zu sein, was man zu thun hat, wenn man seine gute Laune in das Gegenteil verwandeln will. Hat man dann diesen Zweck erreicht und wünscht man noch, in leidlich schlechter Luft zu atmen, so gehe man hierauf in eine Abendvorstellung desselben oder eines anderen Theaters, in welchem eine Nachmittagsvorstellung stattgefunden hat.

Will man sich in dem Entschluß bestärken, am Sonntag überhaupt nicht auszugehen, so gehe man nach dem Theater mit der Gattin in ein Restaurant. Man wird daselbst keinen Platz, oder das Lokal lästig überfüllt finden und in dem erwähnten Entschluß bestärkt nach Hause gehen.

Hat man die Absicht, die Gastfreundschaft einer befreundeten Familie, welche ein Landhaus bewohnt, auf eine harte Probe zu stellen, so überfalle man sie[76] uneingeladen am Sonntagnachmittag. Man wird daselbst viele Besucher finden, welche vielleicht in derselben Absicht erschienen. Besteht die befreundete Familie diese harte Probe, so freue man sich, wiederhole sie aber nicht. Denn es ist kein eine ernste Strafe verdienendes Verbrechen, ein Landhaus zu bewohnen. Diese Ansicht ist ungemein wenig verbreitet.

Die anderen Feiertage sind, da sie im Äußeren dem Sonntag gleichen und sich nur durch tiefere Bedeutung und auch durch längere Dauer von ihm unterscheiden, hier nicht ausführlicher zu behandeln. Alle haben das gemeinsam, daß sie jedem etwas zu lang dauern und sich jeder freut, wenn sie zu Ende sind. Wir wollen nur noch auf die zufälligen Feste einen flüchtigen Blick werfen.

Die moderne Frauenbewegung hat manche neue Erscheinung gezeitigt, von welcher die Vergangenheit, als man unter Frauenbewegung nur das Bewegen der Frauen im Hausstand, bei der weiblichen Handarbeit und etwa auf Bällen verstand, keine Ahnung hatte. Es handelt sich heute um eine soziale Bewegung, durch welche die Frauen die Selbständigkeit zu erkämpfen und Erfolge zu erringen suchen, welche die Männer aus ihren Stellungen verdrängen und ihnen die Erhaltung der Familie erschweren und unmöglich machen, bis sich eines Tages die Männer in ähnlicher Weise erheben, um für ihre Emanzipation zu kämpfen und ihre Rechte zurückzuerobern. Vorläufig ist die Frau noch im Avancieren. Auf dem Wege zum Parlament und zum Gerichtshof sind sie bereits bis zu den Hörsälen, den Postschaltern und den Schreibmaschinen vorgedrungen und haben sich die Deckplätze der Omnibusse und Pferdebahnen erstürmt, welche ihnen nur zu lange verschlossen waren und wo sie sich nunmehr eine höhere Erkältung zuzuziehen vermögen, als ihnen solche bisher auf den Wagenperrons[77] erreichbar gewesen. So entwickelt sich die Frauenbewegung immer bedeutsamer und mächtiger, so daß die Männer sich in ihren Positionen täglich mehr bedrängt sehen und in absehbarer Zeit die Frauen um ihre Erfolge werden beneiden müssen. In neuerer Zeit haben die Frauen auch den Ballsaal und den Klub als Terrains der Alleinherrschaft besetzt und namentlich mit dem


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 72-78.
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